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Princeton University.
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Cronmmics.
_ JAHRBÜCHER
FÜR NATIONALÖKONOMIE
UND STATISTIK
BEGRÜNDET VON FORTGESETZT VON
BRUNO HILDEBRAND JOHANNES CONRAD
HERAUSGEGEBEN VON
DR. LUDWIG ELSTER
WIRKL. GEH. OBER-REGIERUNGSRAT IN BERLIN
IN VERBINDUNG MIT
Dr. EDG. LOENING Dr. H. WAENTIG
PROF. IN HALLE A. S. PROF. IN HALLE A. 8.
106. BAND
Il. FOLGE 51. BAND
1916. 1.
JENA
VERLAG VON GUSTAV FISCHER
1916
Alle Rechte vorbehalten.
rrlaıı 7- & |
Inhalt des 5i. Bandes, dritte Folge. (106. Bd.)
I. Abhandlungen.
Dix, Arthur, Vom bulgarischen Wirtschaftsleben und seinen Aussichten. S. 64.
Heyn, Otto, Zur Verteidigung der Chartaltheorie des Geldes. S. 776.
Köppe, H., Die deutschen Kriegsanleihen. S. 321.
—, — Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe in den
Vereinigten Staaten. S. 753.
—, — Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. S. 449.
Liefmann, Robert, Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft.
S. 1, 193.
Spitz, Philipp, Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus
und Marx. S. 492. 593.
II. Nationalökonomische Gesetzgebung.
Müller, Johannes, Die durch den Krieg hervorgerufenen Gesetze, Verordnungen,
Bekanntmachungen usw., soweit sie im Reichsgesetzblatt veröffentlicht worden sind
(3. Fortsetzung). 8. 349.
Strutz, G., Das Gesetz über vorbereitende Maßnalımen zur Besteuerung der Kriegs-
gewinne. 8. 86.
Taubes, Emil, Die Einschränkung des freien Getreidehandels in Rumänien. S. 805.
III. Miszellen.
Bruck, W. F., Die Wiederaufnahme des Hanfbaues in Deutschland. S. 250.
Deite, Hermann, Der Ersatz des Handels durch gemeinwirtschaftliche Organi-
sationen des Kriegsrechts. S. 630.
Dix, Arthur, Deutschland und der Balkanmarkt. S. 647.
Feld, Wilhelm, Soziale Klassenbildung in der Bevölkerungsstatistik. S. 550.
Guradze, Hans, Die Brotpreise in Berlin im zweiten Kriegsjahre 1915. S. 813.
Herbst, Die Fürsorge für die Kriegsbeschädigten. S. 104.
Heyn, Otto, Der Kursrückgang der deutschen Wechsel keine Folge einer Entwertung
des deutschen Geldes. S. 376.
Kellenberger, Eduard, Die Aufhebung der Barzahlung in England 1797 und ihre
Folgen. 8. 391.
Krebs, Willy, Die Jahresberichte der genossenschaftlichen Zentralverbände. S. 537.
Rudloff, L., Der Bodenwert im besetzten Nordost- und Ostfrankreich und seine
Schwankungen im letzten halben Jahrhundert. S. 269.
—, — Die Entwertung des französischen Bodens seit einem Menschenalter. S. 807.
x. Stojentin, Zur künftigen Entwicklung des Arbeitsnachweises in Deutschland. S. 145.
Strehlow, Die Ansiedelung der Kriegsinvaliden in Stadt und Land. $. 525.
Tauben, Emil, Rumäniens Mühlenindustrie und Mehlhandel. S. 656.
ahn, Friedrich, Die amtliche Statistik und der Krieg. S. 95.
NN 456388
IV Inhalt.
IV. Literatur.
a) Berichte und Sammelreferate.
Bredt, Joh. Viktor, Welche Umstände verteuern das Bauland? Bespr. von Streh-
low. S. 822.
Eberstadt, Rudolf, Der Ursprung des Zunftwesens und die älteren Handwerker-
verbände des Mittelalters. Bespr. von G. v. Below. S. 292.
Fränkel, Franz, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Bespr. von Karl Leh-
mann. S. 556.
Nationalstaat und Nationalwirtschaft. Unionstaat und Unionwirtschaft. Mitteleuropa.
Bespr. von G. v. Below. S. 662.
Oberfohren, Ernst, Die Idee der Universalökonomie in der französischen wirt-
schaftswissenschaftlichen Literatur bis auf Turgot (Probleme der Weltwirtschaft ete.,
Heft 23). Bespr. von W. Ed. Biermann. S. 818.
Ein neuer Grundriß der Sozialökonomik. Bespr. von Karl Diehl. S. 399.
Strieder, Jakob, Studien zur Geschichte kapitalistischer Organisationsformen : Mono-
pole, Kartelle und Aktiengesellschaften im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit.
Bespr. von Paul Rehme. S. 162.
Weidner, Fritz, Die Haussklaverei in Ostafrika. Bespr. von Rud. Leonhard.
S. 829.
b) Rezensierte Schriften.
Amonn, Alfred, Nationalgefühl und Staatsgefühl. (G. v. Below.) S. 662.
Asch, Käte, Die Lehre Charles Fouriers.. (Otto Warschauer.) S. 297.
Bachmann, Organisationsbestrebungen in der deutschen Tuch- und Wollwarenindustrie.
(Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen, Neue Folge Heft 32.)
(Richard Passow.) S. 694.
Bonne, Georg, Heimstätten für unsere Helden. (Strehlow.) S. 310.
Bramm, Rudolph, Deutschlands Stellung im Welthandel und Weltverkehr.
(A. Wirminghaus.) S. 306.
Brandt, Die deutsche Industrie im Kriege 1914/15. (Richard Passow.) S. 842.
v. Caemmerer, Charlotte, Der Berufskampf der Krankenpflegerin in Krieg und
Frieden. (Margarethe v. Gottberg.) S. 851.
Deck, Fritz, Die Pfälzische Bank. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Kredit-
genossenschafts- und Bankwesens. (Georg Obst.) S. 308.
Delden, W. van, Studien über die indische Juteindustrie. (Abhandlungen aus dem
volkswirtschaftlichen Seminar der Technischen Hochschule zu Dresden, herausgegeben
von Robert Wuttke, Heft 9.) (Richard Passow.) S. 432.
Dix, Arthur, Bulgariens wirtschaftliche Zukunft. (L. E.) S. 691.
Eggenschwyler, Die Schweizer Volkswirtschaft am Scheideweg. Ratschläge zur
Neuorientierung unserer Industrie. (Schweizer Zeitfragen, Heft 44.) (Richard
Passow.) S. 837.
Fessmann, Karl, Gelbe Gewerkvereine in Frankreich, „Syndicats jaunes".
(H. Köppe.) S. 578.
Frölich, Fr., Die Stellung der deutschen Maschinenindustrie im deutschen Wirt-
schaftsleben und auf dem Weltmarkte. (Richard Passow.) S. 693.
Gesellschaft österreichischer Volkswirte, Jahrbuch 1914. (Gustav Aubin.) S. 441.
Guckenmusz, Franz, Die Unterstützung der französischen Handelsmarine durch
Prämien. (Cl. Heiß.) S. 304.
Harms, Edmund, Die Ueberführung kommunaler Betriebe in die Form der ge-
mischt-wirtschaftlichen Unternehmung. (Richard Passow.) S. 689.
Herzfelder, Emil, Haftpflichtversicherung. (Versicherungs-Bibliothek, Bd. 4.)
(Walter Hoffmann.) S. 576.
Hobson, C. K., The Export of Capital. Studies in economie and political science.
(Robert Liefmann.) S. 173. 3
Hoefliger, Walter, Die finanzielle Kriegsbereitschaft der schweizerischen Eid-
genossenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Schweizerischen Nationalbank.
(Sven Helander.) S. 572.
Inhalt. y
Huberich, Charles Henry, Das englische Prisenrecht in seiner neuesten Gestalt.
Unter besonderer Berücksichtigung der seit August 1914 erlassenen Gesetze und ge-
fällten Entscheidungen der Prisengerichte Englands und der britischen Uebersee-
besitzungen und Protektorate. Herausgegeben im Auftrage der Aeltesten der
Kaufmannschaft von Berlin. (Loening.) S. 312.
Hulftegger, Otto, Die Bank von England mit besonderer Berücksichtigung der Be-
servefrage und der Entwertung der englischen Rente. (Sven Helander.) S. 575.
Kaufmann, Arthur, Vergleichende Untersuchungen über den Schutz der Arbeiter
und Angestellten der Großherzogl. Badischen Staatseisenbahnen und der Schweizerischen
Bundesbahnen. (Heft 175 der Staats- u. sozialwissenschaftlichen Forschungen, herausg.
von Schmoller u. Sering.) (H. Köppe.) S. 183.
Köhne, Carl, Das Recht der Sozialversicherung und der Krieg. (W. Hanauer.)
S. 845.
König, Erich, Peutingerstudien [Studien und Darstellungen aus dem Gebiete der Ge-
schichte, herausgeg. von H. Grauert, Bd. 9, Heft 1 u. 2]. (Adolf Hasenclever.)
S. 175.
Kracht, Ernst, Das Streikpostenverbot. (H. Köppe.) S. 310.
Kretzschmar, H., Das ländliche Genossenschaftswesen im Königreich Sachsen. Eine
kritische Untersuchung zwanzigjähriger genossenschaftlicher Entwicklung. (Tübinger
Staatswissenschaftliche Abhandlungen, N. F. Heft 8.) (Willy Krebs.) S. 708.
Lansburgh, Die Kriegskostendecekung und ihre Quellen. (O. Heyn.) S. 776.
Leiske, Walter, Die Finanzierung der Hypothekenanstalten deutscher Großstädte
für den bestehenden Hausbesitz,. (Walter Hoffmann.) S. 699.
Derselbe, Die gemeindliche Kriegshilfe im großstädtischen Bodenkredit. (Walter
Hoffmann.) S. 699.
Ludewig, Hans, Geldmarkt und Hypothekenbank-Obligationen. (Staats- und sozial-
wissenschaftliche Forschungen, Heft 181.) (H. Hilbert.) S. 179.
Michel, Erwin, Barzahlung und Kreditverkehr in Handel und Gewerbe in der Pro-
vinz Posen. (Georg Obst.) S. 703.
Mitscherlich, Waldemar, Nationalstaat und Nationalwirtschaft und ihre Zukunft.
(G. v. Below.) S. 662.
Naumann, Friedrich, Mitteleuropa. (G. v. Below.) S. 662.
Oberst, Oskar, Zur Verschuldung und Entschuldung des bäuerlichen Besitzes in den
östlichen Provinzen Preußens. (A. Nußbaum.) S. 429.
Pesl, D., Der Mindestlohn. (H. Köppe.) S. 298.
Pfitzner, Johannes, Die Pan-Amerikanische Finanzkonferenz vom 24. bis 29. Mai
1915. (Kriegswirtschaftliche Untersuchungen aus dem Institut für Seeverkehr und
Weltwirtschaft an der Universität Kiel, herausgegeben von B. Harms. Heft 2.)
(Eduard Kellenberger.) S. 842.
Plenge, Johann, Wirtschaftsstufen und Wirtschaftsentwicklung. (G. v. Below.)
S. 662.
Robbins, Edwin Clyde, Railway Conductors, a study in organized labor.
(H. Köppe.) 8. 581.
Rühl, Paul, Grundlagen des Rechnungswesens der Gemeinden. (Johannes
Müller.) S. 307.
Schmidt, Karl, Das Rentabilitätsproblem bei der städtischen Unternehmung. (Tü-
binger Staatswissenschaftliche Abhandlungen, herausgeg. von Fuchs, Neue Folge
Heft 10.) (Richard Passow.) S. 696.
Schmidt, Ludwig W., Die Entwicklung der Handelsbeziehungen der Vereinigten
Staaten von Amerika während des ersten Kriegsjahres 1914/15. (Kriegswirtschaftliche
Untersuchungen aus dem Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft an der Uni-
versität Kiel, herausgegeben von B. Harms. Heft 3.) (Eduard Kellenberger.)
S. 842.
Slokar, Johann, Geschichte der österreichischen Industrie und ihrer Förderung unter
Kaiser Franz I. Antwort auf die Kritik des Dr. Gustav Aubin. (Diese Jahrbücher
II. Folge Bd. 49, S. 553 ff.) (Slokar.) S. 565.
Aubin, Gustav, Erwiderung auf diese Antwort. S. 568.
Statistisches Jahrbuch der Stadt Cöln für 1914. Im Auftrage des Herrn Oberbürgermeisters
herausgegeben vom Statistischen Amte der Stadt Cöln 1915. (Johannes Müller.)
8. 851.
VI Inhalt.
Strub, O., Laws Handels- und Kolonialpolitik. (Zürcher volkswirtschaftliche Studien,
herausgeg. von H. Sieveking, Heft 8) (Gustav Aubin.) S. 427.
Weber, Adolf, Die Lohnbewegungen der Gewerkschaftsdemokratie. Ein antikritischer
Beitrag zum Gewerkschaftsproblem. (H. Köppe.) S. 180.
Weck, Hermann, Kriegsschäiden und Kriegsschadenersatz. (Ostlandbibliothek,
Bd. 1.) (K. Elster.) S. 847.
Whitney, Nathanael Ruggles, Jurisdietion in American Building — Trades
Unions. (H. Köppe.) S. 434.
Women in Public Life. The Annals of the American Academy of Political and Social
Science Philadelphia, Vol. 56, Whole No. 145. (Käte Winkelmann.) 5. 704.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des
Auslandes. $S. 173. 297. 427. 565. 689. 837.
Die periodische Presse des Auslandes. $S. 188. 316. 443. 587. 716. 853.
Die periodische Presse Deutschlands. $S. 189. 317. 444. 588. 717. 854.
Volkswirtschaftliche Chronik. 1915. November: S. 731. Dezember: S. 803.
Jahresübersicht von 1915: S. 893.
„ „ 1916. Januar: S. 1. Februar: S. 71. März:
S. 149. April: S. 231.
R. Liefmann, Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 1
I.
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der
Wirtschaftswissenschaft.
Erster Teil.
Heutige Richtungen und Objekt der Wirtschafts-
wissenschaft.
Von
Robert Liefmann,
Inhalt: Einleitung. Kap. I. Die heutigen methodologischen Bich-
tungen. 1. Objektivismus und Subjektivismus. 2. Die tauschwirtschaftlich-soziologische
Richtung. 3. Die juristisch-soziologische Richtung. Kap. Il. Das Objekt der
Wirtschaftswissenschaft. 1. Allgemeines über die Objektsbestimmung in der
Wirtschaftswissenschaft. 2. Versuche einer „sozialen“ Objektsbestimmung in der Wirt-
schaftswissenschaft. 3. Der Zweck in der Volkswirtschaft. 4. Die Einheit des Objekts
der Wirtschaftswissenschaft.
Einleitung.
In den letzten Jahren hat die Erörterung der sogenannten metho-
dologischen Fragen in der ökonomischen Wissenschaft einen der-
artigen Umfang angenommen, daß sich immer mehr Stimmen er-
heben, die erklären: „Redet doch nicht ewig davon, wie man’s
machen soll, sondern macht etwas.“ Die Folge davon ist, daß
jetzt keiner mehr über diesen Gegenstand zu schreiben wagt, ohne
eine Entschuldigung dafür vorzubringen !). Wenn nun auch ich
in diesem Aufsatze zu den dahingehörigen Problemen Stellung nehme,
so bedarf das einer Entschuldigung und Begründung ganz besonders.
Denn ich habe selbst und zwar in dieser Zeitschrift?) an dem Ueber-
maß an methodologischen Erörterungen Kritik geübt und darauf
hingewiesen, daß sie ohne positive Leistungen wenig Bedeutung
haben. Und hier liegt nun auch meine Legitimation, wenn ich jetzt
ebenfalls zu den methodologischen Erörterungen unserer Wissenschaft
das Wort ergreife. Ich kann mich dabei stützen auf ein geschlossenes
theoretisches System, dessen Grundgedanken und teilweise Ergebnisse
1) Vgl. die Abhandlung meines zu früh verstorbenen Freiburger Kollegen Hans
Schönitz, Wesen und Bedeutung des privatwirtschaftlichen Gesichtspunktes in der
Sozialökonomie, in der Sammlung: Die private Unternehmung und ihre Betätigungs-
formen, 1914. Einleitungsheft.
2) Siebe meinen unten erwähnten ersten Aufsatz.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 1
2 Robert Liefmann,
ich seit einem Jahrzehnt in verschiedenen Arbeiten und Aufsätzen
publiziert habe. Es kommen vor allem in Betracht für die Grund-
gedanken die beiden Aufsätze in diesen Jahrbüchern: Das Wesen
der Wirtschaft und der Ausgangspunkt der National-
ökonomie, Jahrgang 1913, Bd. 101, S. 603 ff., und Wirtschaft
und Technik, Jahrgang 1914, Bd. 102, S. 721 ff.; sowie für die Er-
gebnisse die beiden Aufsätze: Die Entstehung des Preises
aus subjektiven Wertschätzungen und Konkurrenz-und
Monopoltheorie im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozial-
politik, 1912, Bd. 34 und 1915, Bd. 41; ferner noch der Aufsatz:
Theorie des Sparens und der Kapitalbildung in
Schmollers Jahrbuch, Bd. 36, Heft 4.
Das diesen Arbeiten zugrunde liegende System, das in der Haupt-
sache abgeschlossen unter dem Titel „Grundsätze der Volkswirt-
schaftslehre“ im Manuskript vorliegt, unterscheidet sich dadurch voll-
kommen von allen bisherigen ökonomischen Systemen, daß es auf
einer ganz anderen Auffassung der Wirtschaft beruht.
Im Gegensatz zu der gesamten bisherigen Auffassung, welche
das Wirtschaften ableitet aus dem beschränkten Vorhanden-
sein von Gegenständen der äußeren Natur, es daher in
erster Linie mit der Sachgüterbeschaffung verknüpft und so
zu einer Verwechslung von Technik und Wirtschaft kommt, ist
Wirtschaften nach meiner Ansicht etwas Psychisches, eine be-
sondere Art des Disponierens, es ist Nutzen- und Kostenver-
gleichen. Nutzen und Kosten sind also nicht Gütermengen, son-
dern Lust- und Unlustgefühle, und die wirtschaftliche Aufgabe ist
nicht Produktion, Güterbeschaffung, sondern die Erzielung eines
Maximums von Lustgefühlen mit einem Minimum von Unlustgefühlen.
Die Unlustgefühle, Kosten, sind eigene Arbeitsmühe oder Opfer von
Sachgütern. Erstere hat der Wirtschafter nicht in gegebenem Um-
fange, sondern jede folgende Arbeitsanstrengung wird stärker als
Unlustgefühl empfunden. Nicht die Güter der Außenwelt sind, mit
wenigen Ausnahmen, beschränkt vorhanden, sondern nur die mensch-
liche Arbeitsfähigkeit ist beschränkt, sie sich anzueignen. Und da-
her ist es das wirtschaftliche Problem, wie auf an sich unbegrenzte
Bedürfnisse ihrem Umfange nach nicht gegebene Kosten, letzten
Endes Arbeitsmühe, aufgewendet werden.
Die schärfste theoretische Formulierung dafür, wie der Wirt-
schafter diese Aufgabe löst, ist das Gesetz des Ausgleichs der
Grenzerträge: Kosten dürfen nur so weit auf die Befriedigung
jeder Bedürfnisart verwandt werden, daß die Erträge, d.h. der
Ueberschuß von Nutzen über die Kosten, die mit der letzten auf-
gewendeten Kosteneinheit erzielt werden, für alle Bedürfnisse
gleich groß sind.
Dieser Satz, der also das wirtschaftliche Handeln jedes einzelnen
Menschen bestimmt, gilt nun auch für den gesamten Tausch-
verkehr und für die Preisbildung dabei, d. h. er erklärt das
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 3
Angebot und damit den Umfang, in dem die Nachfrage, die
auch hier, wie die Bedürfnisse, als unbegrenzt anzusehen ist, be-
friedigt wird.
Diese Bemerkungen können für das Verständnis der folgenden
methodologischen Erörterungen genügen. Immerhin dürfte es das
Eindringen in unsere Gedankengänge erleichtern, wenn man sich die
Grundgedanken der in den beiden ersten Aufsätzen in diesen Jahr-
büchern enthaltenen Ausführungen etwas zu eigen macht. Und vor
alem bitte ich im Auge zu behalten, daß wir nicht etwa, wie die
‚subjektive Wertlehre“, nur einzelne, wenn auch wichtige, Ab-
änderungen an der bisherigen Theorie vornehmen, etwa gar auch
eine neue „Wertlehre“ liefern wollen, sondern auf Grund unserer
anderen, psychischen Auffassung der Wirtschaft sind auch alle unsere
Grundbegriffe, vor allem der Kostenbegriff, auch wenn wir dieselben
Bezeichnungen anwenden, anders zu verstehen.
Dieses theoretische System, mit dem wir die Grundlage des
gesamten tauschwirtschaftlichen Organismus zu erfassen suchen, er-
möglichte es uns nun, zu den heute so viel erörterten methodologischen
Fragen von einem ganz bestimmten und neuen Standpunkt aus Stellung
zu nehmen. Denn ein großer Teil der bisherigen methodologischen
Erörterungen leidet daran, daß ihre Verfasser nicht ökonomische
Theoretiker waren, wenigstens nicht das Ganze des Tauschverkehrs
mit einem einheitlichen, geschlossenen theoretischen System zu er-
fassen suchten. Vielmehr sind die meisten von philosophischen Er-
örterungen über den Charakter der Nationalökonomie als Kultur-
wissenschaft und besonders als Sozialwissenschaft aus-
gegangen und haben damit besondere Betrachtungsweisen oder Methoden
begründen wollen. Wir wollen demgegenüber nachweisen, daß es
sich bei dem heute streitigen Problem der Wirtschaftstheorie nicht
um verschiedene Betrachtungsweisen oder Methoden, sondern in erster
Linie um verschiedene Auffassungen über das Objekt der Wirt-
schaftswissenschaft handelt. Diese Frage aber kann, wie auch die
beiden Methodologen zugeben, die in dieselogischen und philosophischen
Fragen am tiefsten eingedrungen sind, Max Weber und Alfred
Amonn, nicht von der Philosophie her entschieden werden, sondern
eine Spezialwissenschaft gewinnt ihr Problem aus der Erfahrung.
Eine Wissenschaft wird nicht durch methodologische Untersuchungen
geschaffen, sondern entsteht durch wissenschaftliche Behandlung aus
der Beobachtung gewonnener Probleme. Wie Ammon sagt: „Das
Objekt der Nationalökonomie darf nicht bestimmt werden als ein
Objekt für eine noch nicht existierende, erst zu schaffende Wissen-
schaft, sondern als das Objekt, das die Eigenart jener Probleme be-
grifflich erfaßt ausdrückt, welche zweifellos nach dem gegenwärtigen
Zustand der Wissenschaft als die spezifisch nationalökonomischen,
d. h. zu dieser bestimmten, tatsächlich vorhandenen, als National-
ökonomie bezeichneten Wissenschaft gehörigen gelten.“ „Es handelt
sich darum, jene Probleme herauszuheben, die der Wissenschaft, wie
1*
4 Robert Liefmann,
sie nun einmal historisch geworden ist und heute tatsächlich be-
steht, zugrunde liegen, ihren nicht aufhebbaren Kern bilden !).“
Schließlich sei noch betont, daß wir hier nicht Philosophie
treiben, sondern für die Nationalökonomie wertvolle Erkenntnisse
gewinnen wollen. Wir gehen daher auf die allgemeinen philosophischen
Fragen, die sich natürlich an unser Thema knüpfen lassen, so wenig
wie möglich ein und suchen nur Feststellungen zu gewinnen. die
von jedem möglichen philosophischen Standpunkte aus anerkannt
werden müssen.
Kapitel I. Die heutigen methodologischen Richtungen.
1. Objektivismus und Subjektivismus.
Es ist seltsam, in der Geschichte der Nationalökonomie zu be-
obachten, wie gewisse methodologische Probleme als Zeit- oder, man
könnte auch sagen, als Modeströmungen plötzlich auftauchen, auf
das eindringlichste erörtert werden und nach einiger Zeit wieder
anderen Platz machen. Das läßt sich allerdings nur in der deut-
schen Wissenschaft verfolgen, die fast allein immer das Bedürfnis
fühlt, sich mit ihren logischen und philosophischen Grundlagen aus-
einanderzusetzen.
Vor 2 Jahrzehnten stand in Deutschland die historische
Schule noch auf ihrem Höhepunkte und damals wurden die methodo-
logischen Probleme unter der Devise: induktiveoderdeduktive
Methode auf das eingehendste erörtert. Heute ist es über diese
Streitfrage stillgeworden. Jeder weiß, daß beide Erkenntnismethoden
zusammenwirken müssen, daß jeder beide je nach seiner Veranlagung
zusammen verwendet und daß Wirtschaftsgeschichte und Wirtschafts-
theorie sich nicht im Wege stehen, sondern gegenseitig ergänzen.
Heute ist der Gegensatz von Objektivismus und Sub-
jektivismus das Hauptproblem, also ein Gegensatz, der sich auf
einem viel engeren Gebiete, auf dem der Wirtschaftstheorie abspielt.
Er ist durch die moderne „subjektive Wertlehre“ aufgebracht
worden, die die alte objektive zu verdrängen sucht. Aber wir werden
sogleich sehen, daß er eben deswegen auch nur für die Wertlehre
Bedeutung hat, d. h. eine Lehre, die überhaupt auf einer Verkennung
der wirtschaftlichen Aufgaben und Probleme beruht. Zwar hat noch
neuestens Rudolf Stolzmann in zwei großen Aufsätzen in dieser
Zeitschrift?) zu dem Gegensatz von Objektivismus und Subjektivismus
Stellung genommen, aber zu beiden kritisch, und glaubt, sie durch seine
1) Alfred Amonn, Objekt und Grundbegriffe der theoretischen Nationalökonomie,
1911, 8. 12 und 13. — Leider folgt Amonn selbst nicht dieser richtigen Feststellung,
indem er, dem Begriff Sozialwissenschaft zuliebe, und um die Wirtschaft von der Technik
unterscheiden zu können, die gegebenen Probleme und das gegebene Erfahrungsobjekt
sehr stark umkonstruiert (s. darüber unten Kap. II).
2) Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode
(Band 103), und „Die Kritik des Objektivismus und seine Verschmelzung mit dem
Subjektivismus zur sozialorganischen Einheit“ (Band 104).
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 5
„sozialorganische Methode“ beide „überwinden“ zu können.
Wir wollen zeigen, daß vom Standpunkt unserer anderen, psy-
chischen Auffassung der Wirtschaft jener Gegensatz überhaupt
entfällt, daß beide Wertlehren, die objektive wie die subjektive, in
Wirklichkeit objektiv sind, da jeder Versuch, „den Güterwert auf
ein Maß zu bringen“, objektiv sein muß.
Hier sei zunächst die Uebersicht über die Methodenkämpfe weiter
geführt. Das künftige methodologische Hauptproblem scheint mir der
Gegensatz von individualistischer und sozialer Betrach-
tungsweise odervom privaten undvolkswirtschaftlichen
Gesichtspunkt zu sein. Es ist, wie wir zeigen werden, weniger
eine Frage nach der Methode als nach dem Objekt, dem Wesen
und der Aufgabe der ökonomischen Wissenschaft, und das haben
wir daher auch in dem Titel dieses Aufsatzes zum Ausdruck ge-
bracht.
Wie sehr das Aufkommen dieses Problems mit den heutigen Zeit-
strömungen, mit der modernen Philosophie, ja noch allgemeiner mit
heutigen kulturellen und sozialen Tendenzen und Gegensätzen in Zu-
sammenhang steht, kann man daraus erkennen, daß die sogenannte
soziale Betrachtungsweise, welche den Hauptgegenstand
unserer Erörterungen bildet, schon vor einem halben Jahrhundert
von Karl Marx, wenn auch vielleicht nicht ganz im Bewußtsein
ihres Gegensatzes zu der bisherigen, angewandt worden ist. Aber
trotzdem Marx mit seinen Lehren die weiteste Beachtung gefunden
und einen ungeheuren Einfluß ausgeübt hat, hat man erst neuestens
gemerkt, daß sein Standpunkt in vieler Hinsicht ein ganz anderer
war als der der bisherigen Wissenschaft. Er wollte, wenn auch nicht
alle, so doch grundlegende wirtschaftliche Erscheinungen, vor allem
den Wert und Preis, nicht als ErgebnisindividuellerZiele be-
greifen, wie die bisherige Theorie, sondern als „gesellschaftliche*
Erscheinungen. Indem wir diese Auffassung bekämpfen, wollen
wir zeigen, daß diese gesellschaftlichen Erscheinungen nichts
anderes sein können als „gesellschaftliche Zwecke“, was denn auch
die konsequentesten und aufrichtigsten Vertreter der sozialen Be-
trachtungsweise selbst zugeben; und wir suchen daher weiter nach-
zuweisen, daß es solche gesellschaftliche Zwecke im Wirtschaftsleben
nicht gibt,sondern dieses alleinausindividuellenZwecken
zu erklären ist. Das ist der klare Tatbestand des Problems, den
man aber erst aus einem Wust unklarer Sozialbegriffe, mit denen die
Vertreter der sozialen Betrachtungsweise operieren, mühsam heraus-
schälen muß.
Wir kommen nun unserem Ziele am besten näher, wenn wir zu-
erst über den Gegensatz von Objektivismus und Subjektivis-
mus in der ökonomischen Wissenschaft einige Worte sagen.
Der Gegensatz von Objektivismus und Subjektivismus knüpft,
wie wir Schon hervorhoben, an den Wertbegriff an, der ja den Kern-
punkt aller bisherigen Theorien bildet, und bezieht sich damit auch
6 Robert Liefmann,
auf die Preistheorie, die nach allen bisherigen Anschauungen aus
der Wertlehre zu entwickeln ist. Da der Preis für alle ökonomischen
Theoretiker ein Wertausdruck ist — für uns ist er es nicht, weil es
überhaupt keine Möglichkeit gibt, Werteallgemein „auszudrücken“ !) ——
welche den Preis durch die Kosten „bestimmen“ will, als sub-
jektive die, welche den Preis auf subjektive Wertschätzungen
Auf andere Probleme als die Wertlehre und die Preistheorie
nach ihrer bisherigen Auffassung als einer Anwendung der Wertlehre
ist der Gegensatz von Objektivismus und Subjektivismus nicht aus-
zudehnen. Aber die Wertlehre stand so im Mittelpunkte des Inter-
esses, man war so überzeugt, in ihr den Angelpunkt der ganzen
meten Aufsatz: Ueber den Subjektivismus in der Preis-
lehre (Archiv £. Sozialwissenschaft u. Sozialpolitik, Bd. 38, 1914)
wohl die Vermutung aus, daß man mit der Antithese Subjektivismus
darfsempfindungen zusammenhängt. Und zweitens über-
Geldlehre) und auf der im letzten Grunde die Unmöglichkeit jeder anderen Erklärung
der wirtschaftlichen Vorgänge als mit der psychischen Auffassung beruht (s. darüber unten
)
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 7
sieht er, trotzdem ich auf das nachdrücklichste darauf hingewiesen
habe, bei seiner Kritik, daß ich ja gerade den Gegensatz zwischen
Objektivismus und Subjektivismus in der Wert- und Preislehre durch
den Nachweis aufgehoben habe, daß Kosten niemals objektiv als eine
Gütermenge, wie in der bisherigen Theorie, sondern auch immer
als ein subjektiver Schätzungsbegriff aufzufassen sind.
Wegen dieses Gedankens bezeichnete ich schon in meiner Schrift:
„Ertrag und Einkommen“ meine Theorie als „rein subjektiv“. Da-
gegen ist die österreichische Grenznutzenlehre schon mit ihrem W ert-
begriff: Kombination von Nutzen und gegebener Güter-
menge, dann aber auch mit ihrer „Preistheorie“ ein höchst
unlogisches Gemisch von Objektivismus und Subjektivismus, und
Stolzmann hätte, wenn er wirklich den Subjektivismus kritisieren
wollte, nicht Böhm-Bawerks Theorie bekämpfen müssen, sondern
meine Auffassung.
Für diese hat die Antithese Objektivismus—Subjektivismus gar
keine Bedeutung. Sie verschwindet hinter der viel allgemeineren:
materialistische—psychische Auffassung des Wirtschaftens. Von
letzterer aus sind alle bisherigen Theorien materialistisch und darum
auch objektiv und eine Lehre, die einen vom Nutzen verschiedenen
Wert zum Grundbegriff macht und glaubt, ein „Maß des Güter-
wertes“ feststellen zu können, muß immer objektiv sein. Denn
der Wert kann sich immer nur an Gütern, Objekten feststellen oder
messen lassen. Mit dem Wertbegriff der Grenznutzenlehre ist da-
her die Aufgabe, die sie sich vorsetzte, die tauschwirtschaftlichen
Erscheinungen auf subjektive Bedürfnisse zurückzuführen, unmöglich
zu lösen. Das ist eine der wichtigsten kritischen Erkenntnisse, die
nur auf der Grundlage unseres positiven Systems, d. h. unserer psy-
chischen Auffassung der Wirtschaft zu gewinnen war.
Immerhin ist die österreichische Theorie im Verhältnis zur klassi-
schen ein Schritt zum Subjektivismus in diesem Sinne, d. h. zur
psychischen Auffassung, und man kann behaupten, daß in dieser
Richtung die ganze Entwicklung der ökonomischen Theorie seit
Jahrzehnten hindrängt. Insofern läßt sich meine rein subjektive,
d. h. psychische Theorie als die Vollendung seit langem vorhandener
Entwicklungstendenzen in der Wissenschaft auffassen. Denn eine
noch subjektivere Theorie kann es nicht geben.
Das wird nun auch heute noch von manchen, die noch mehr
zum Objektivismus neigen — dabei spielen Erziehung, geistige Be-
weglichkeit und vor allem literarisch festgelegte Stellungnahme eine
große Rolle — gar nicht als ein Vorzug aufgefaßt werden, weil sie auf
Grund der materialistischen Auffassung der Wirtschaft, keine rechte
Vorstellung von der Aufgabe der Wirtschaftstheorie haben. Die
Klassiker mit ihrem praktisch-politischen Zweck, den Volksreich-
tum zu fördern, hatten sich überhaupt keine Gedanken darüber
gemacht. Die neuere subjektive Werttheorie aber erblickte es als
ihre Aufgabe, den „objektiven Wert“, den Preis, und damit den
ganzen Mechanismus des Tauschverkehrs auf den „subjektiven
8 Robert Liefmann,
Wert“, der durch den Grenznutzen bestimmt werden soll, zurück-
zuführen. Dem lag der richtige Gedanke zugrunde, daß die tausch-
wirtschaftlichen Erscheinungen vom Individuum her erklärt werden
müssen, und daher knüpft sich vor allem an die subjektive Wert-
lehre die sogenannte „individualistische Betrachtungs-
weise“, von der wir unten noch sprechen werden. Der Fehler war
nur, daß dieser durch den Grenznutzen bestimmte subjektive Wert
eine absolut willkürliche Konstruktion ist, daß es ganz
unmöglich ist, irgendein „Maß“ oder einen Bestimmungsgrund eines
wirklich subjektiven Wertes oder Nutzens anzugeben. Nicht auf
einen subjektiven Wert, sondern auf individuelle Bedarfs-
empfindungen sind die tauschwirtschaftlichen Erscheinungen
zurückzuführen. Denn es ist zweifellos, daß sie es im letzten Grunde
sind, welche den ganzen Mechanismus des Tauschverkehrs in Be-
wegung setzen. Nicht auf einen angenommenen subjektiven Wert,
sondern noch weiter zurück in die Psychologie auf diesubjektiven
Bedürfnisse, jedoch ohne diese selbst und ihren Inhalt zu unter-
suchen, hat also die ökonomische Theorie zurückzugehen. Und aus
dieser ihrer Aufgabe, die allgemeinsten Erscheinungen des Tausch-
verkehrs, insbesondere die Preis- und Einkommensbildung zurückzu-
führen auf und zu erklären aus subjektiven Bedarfsempfindungen,
ergibt es sich von selbst, daß wir unsere Theorie als eine psychische
bezeichnen, im Gegensatz zu den bisherigen technisch-materia-
listischen, welche mit dem Wertbegriff immer an die Objekte,
die Güter anknüpfen. Daher sind von diesem Standpunkte aus alle
Theorien mehr oder minder objektive, und wir haben darum schon in
unserer ersten Schrift, „Ertrag und Einkommen“ unsere Theorie als
eine „rein subjektive“ bezeichnet.
Die anscheinend ganz objektiven Geldausdrücke,
die Preise und Einkommen, die scheinbar von den sub-
jektiven Bedarfsempfindungen ganz unabhängig sind,
auf solche zurückzuführen und aus ihnen zu erklären,
das ist unsere Aufgabe. Das ist es, was wir darunter ver-
stehen, wenn wir es als Aufgabe der ökonomischen Theorie bezeichnen,
den Mechanismus des Tauschverkehrs zu erklären. Das
hat auch v. Zwiedineck nicht erkannt, indem er das Problem der
„Entstehur les Preises aus subjektiven Wertschätzungen“, das ich
in der vc m kritisierten Arbeit schon dem Titel nach allein be-
handelte, mit der Frage nech den Ursachen von Preisverände-
rungen vermengi. Daß alle grundlegenden tauschwirtschaftlichen
Vorgänge aber letzten knürs auf subjektive Bedarfsempfindungen
zurückgehen und daher auch aus ihnen erklärt werden müssen,
dürfte bei einigem guten Willen schließlich wicht schwer einzusehen
sein. Und daraus ergibt sich, daß die ökonomische Theorie, die
diese Aufgabe hat, rein subjektiv sein muß. Sie scheidet bewußt
alle objektiven Momente aus, denn sie widersprechen ihrer Aufgabe.
Ist einmal die Beziehung zwischen dem objektiven Preise und sub-
jektiven Bedarfsempfindungen, wie wir statt Wertschätzungen
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 9
besser sagen, richtig erkannt und kausal erklärt, wozu bisher noch
nicht einmal die kleinsten Ansätze vorlagen, so kann man auch die
objektiven Preis-„Bestimmungs“- d. h. -Beeinflussungsgründe heran-
ziehen, was in der Lehre von den Preisveränderungen geschieht.
Wenn auch eine Tendenz zum Subjektivismus in der neueren Ent-
wicklung der ökonomischen Theorie zweifellos ist, so ist doch erst
neuerdings auch der Objektivismus ins Extrem getrieben worden.
Es ist der konsequenteste Versuch, auf Grund der materialistischen
Auffassung der Wirtschaft auch eine wirklich materialistische Theorie
aufzubauen. Er findet seine Begründung darin, daß es eben dem
Subjektivismus, insbesondere der Grenznutzenlehre, nicht gelungen
war, die tauschwirtschaftlichen Erscheinungen besser zu erklären.
Man erkannte nicht, daß das gerade die Folge der materialistischen
Auffassung und der nur an die Güter, also an die Objekte der
Wirtschaft anknüpfenden Wertlehre, aber nicht der subjektivistischen
oder individualistischen Betrachtungsweise an sich zuzuschreiben
war, daß diese vielmehr bisher überhaupt weit entfernt war, rein
subjektiv zu sein.
Diese neueste objektivistische Richtung treibt den Objektivismus
auf die Spitze, indem sie als Gegenstand der Wirtschaftstheorie
überhaupt nicht mehr menschliche Handlungen, sondern „die Ver-
änderungen, die sich in den Güterquantitäten voll-
ziehen“, bezeichnet. Sie abstrahiert also ganz von den Individuen
und betrachtet ausschließlich die Objekte, die Güter. Den be-
deutendsten Versuch dieser Richtung, die man als die „objektiv-mathe-
matische“ bezeichnen kann !), hat im Anschluß an ältere Vorgänger
wie J. B. Clark und S. N. Patten in Amerika, neuestens Joseph
Schumpeter mit seinem Buche: Das Wesen und der Haupt-
inhalt der theoretischen Nationalökonomie, 1908, unter-
nommen. Nach ihm ist Gegenstand der ökonomischen Theorie „ein
System von zusammengehörigen Quantitäten bestimmter Güter“.
Diese Güterquantitäten sollen sich in einem natürlichen Gleich-
gewichtszustand (!), der mathematisch durch eine Reihe von
Gleichungen ausgedrückt wird, befinden, und Aufgabe der Theorie soll
sein, „jene Aenderungen der Quantitäten abzuleiten, welche
im nächsten Augenblicke vor sich gehen werden“ (S. # “und 33).
Bei dieser Lehre muß anerkannt werden, daß sie #: :gstens das
allgemeine gegenseitige Bedingtsein der tauschwirtschaftlichen Er-
scheinungen, der Preise und Einkommen, empfindet, während die
bisherige Theorie so ungeheuer naiv den Preis jedes Produktes auf
1) Uebrigens teilen nicht alle Nationalökonomen, welche eine mathematische Unter-
suchungs- oder Darstellungsmethode anwenden, diesen extremen objektiv-materialistischen
Standpunkt; insbesondere ist das nicht der Fall bei H. H. Gossen und L. Walras.
Aber auch sie und alle, die zur Erklärung der tauschwirtschaftlichen Erscheinungen
Mathematik anwenden, arbeiten doch mit einem qnantitativ aufgefaßten Gleichge-
wichtszustand und glauben, die Tauschvorgänge auf Gleichungen bringen zu
können, was dem Wesen der wirtschaftlichen Erscheinungen vollkommen widerspricht.
10 Robert Liefmann,
seine individuellen Kosten zurückführen will. Aber Schumpeter er-
kennt nicht, daß dieses gegenseitige Bedingtsein, die „Interdependenz“
der Preise und Einkommen, wie er es nennt, nur durch das Geld
bewirkt wird, und daß man die Gelderscheinungen, die ja die Pro-
bleme der ökonomischen Theorie bilden, nicht durch Quantitäts-
gleichungen, sondern nur dadurch erklären kann, daß man auf die
hinter den Geldausdrücken stehenden psychischen Schätzungen
und Erwägungen zurückgeht. Schumpeter ist eben auch, wie
alle bisherigen Nationalökonomen, in dem Irrtum der materialistischen
Auffassung befangen, hinter dem Geldschleier nur die Vorgänge der
Produktion zu sehen und sie für Wirtschaft zu halten.
Uebrigens liegen auch v. Wiesers Abhandlung im Grund-
riß der Sozialökonomik solche Anschauungen von Quantitäts-
gleichungen zugrunde, indem er überall von den Gütern spricht, „die
im wirtschaftlichen Mengenverhältnisse stehen“.
Alle derartigen Anschauungen bedeuten nun eine solche Ver-
kennung des Wesens der wirtschaftlichen Erscheinungen und der
Aufgabe der Nationalökonomie, die es unter allen Umständen mit
Bewertungserscheinungen und nicht mit Quantitäten zu tun
haben, daß wir über diesen extremen Materialismus am besten ein-
fach zur Tagesordnung übergehen, zumal seine Nichtigkeit schon
durch das Fehlen aller positiven Resultate, auch nur der kleinsten
Erweiterung unseres Verständnisses der wirtschaftlichen Zusammen-
hänge genügend dargetan wird. Wenn ich natürlich auch nicht erst
in Widerspruch gegen Schumpeters extremen Materialismus zu meiner
Theorie und zur Erkenntnis des eigentlichen Wesens des Wirt-
schaftlichen gelangt bin, so scheint es doch, als ob gewissermaßen
die allgemein übliche materialistisch-quantitative Auffassung erst ins
Extrem getrieben werden mußte, bevor der Boden für eine richtige
Auffassung des Wirtschaftlichen und für den Neubau der öko-
nomischen Theorie reif war.
Die hergebrachte technisch-materialistische Auffassung der Wirt-
schaft ist es nun auch, welche die verschiedenen heutigen Richtungen
einer „sozialen Betrachtungsweise* veranlaßt hat. Denn — das ist
eines der wichtigsten Ergebnisse unserer Betrachtungen, das wir hier
vorausnehmen — auf dieser Grundlage war eine Unterscheidung von
Wirtschaft und Technik nur dadurch möglich, daß man nur die
Tauschvorgänge als Wirtschaft ansah. Daher klammert sich
diese Richtung an die Begriffe Sozialökonomie und Sozialwissen-
schaft und an eine soziale Betrachtungsweise Kein Zweifel: wenn
eine materialistische Theorie überhaupt möglich wäre, könnte sie nur
eine gesellschaftliche, soziale sein. Aber sie wäre dann doch nur
eine technische, keine wirtschaftliche nach dem allbekannten
Erfahrungsobjekt. Das zu zeigen, soll jetzt unsere Aufgabe sein.
2. Die tauschwirtschaftlich-soziologische Richtung.
Wie wir schon sagten, hat man in neuerer Zeit den Gegensatz
von Objektivismus und Subjektivismus zu „überwinden“ und beide
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 11
Richtungen zu verschmelzen gesucht. Erörterungen darüber spielen
seit dem Beginn dieses Jahrhunderts in der Wirtschaftstheorie eine
wachsende Rolle und machen den Hauptinhalt der heute beliebten
methodologischen Ausführungen aus. Sie wurden veranlaßt durch die
Tatsache, daß den bisherigen Theorien trotz ein Jahrhundert langer
Bemühungen und trotz der noch sehr verbreiteten Anschauung von
dem großen Fortschritt, der der Grenznutzenlehre zu danken sei,
ein wirklicher Erfolg nicht beschieden war. So kam man auf den
Gedanken, den Gesichtspunkt oder die Betrachtungsweise
der wirtschaftlichen Erscheinungen zu ändern, und versuchte, an
Stelle der bisherigen „individualistischen Betrachtungs-
weise“ eine „soziale Betrachtungsweise“ zu setzen. Ur-
sprünglich erschien dieser Gegensatz mehr als eine Frage des Aus-
gangspunktes, also der Methode, ob man vom Individuum
oder von den „sozialen Gesamtheiten“ der „Volkswirtschaft“ u. dgl.
ausgehen solle. Wir werden aber unten zeigen, daß es sich um eine
ganz andere Auffassung des Objekts der Wissenschaft und damit
dieser selbst handelt, daß — um das Resultat der Untersuchung vor-
wegzunehmen — die soziale Betrachtungsweise bedeutet, im Tausch-
verkehr ein selbständiges „Zweckgebilde“ zu sehen.
Die meisten dieser Erörterungen sind auf der Stufe allgemein-
philosophischer und methodologischer Untersuchungen stehen ge-
blieben und haben zu einem systematischen Aufbau einer neuen Theorie
auf anderer Grundlage nicht geführt. Praktisch kommen sie aber
alle auf dasselbe Resultat hinaus: an Stelle der engen Beziehungen zur
Geschichte, welche die historische Schule suchte, fordern sie alle
eine enge Verbindung mit der Soziologie, der Gesellschafts-
Iehre, laufen darauf hinaus, den Unterschied zwischen dieser und
der Wirtschaftswissenschaft zu verwischen. Grundlegend ist für alle
diese Forderungen der Gedanke der Sozialwissenschaft, von
der die Wirtschaftswissenschaft ein Teil sei. Daher wird sie auch
mit Vorliebe als Sozialökonomik bezeichnet und an den Begriff
des Sozialen knüpfen sich die Anregungen auf Umgestaltung und
Neuorientierung der ökonomischen Wissenschaft, auf seiner All-
gemeinheit und Verschwommenheit beruhen auch die Fehler dieser
Richtungen und Bestrebungen, weshalb alle „Sozialbegriffe“ in
der Wirtschaftswissenschaft mit großem Mißtrauen zu betrachten
sind.
Der Gedanke der Begründung einer „sozialen“ Theorie lag
eigentlich ziemlich nahe. Er hatte auch eine gewisse Berechtigung
angesichts des Umstandes, daß die bisherigen Theorien von der
„sozialen“, d. h. gegenseitigen, allgemeinen Bedingtheit
der grundlegenden tauschwirtschaftlichen Erscheinungen, der Preise und
Einkommen, gar keine Ahnung hatten, sondern in der Tat in diesem
Sinne „atomistisch“ waren. Aber gerade in diesem Sinne sind jene neuen
Richtungen auch nicht „sozial“, gehen sie nicht über die früheren
hinaus. Vielmehr sind sie sozial in dem Sinne, daß sie gesell-
schaftliche Momente, vor allem die Rechtsordnung, also
andere Zweige der allgemeinen „Sozialwissenschaft“ nicht nur mit
12 Robert Liefmann,
heranziehen, sondern sogar zur Bestimmung des Gebiets der Wirt-
schaftswissenschaft anwenden wollen. Man kann diese Richtungen,
weil sie alle die Wirtschaftswissenschaft oder doch den Zweig, den
sie „Sozialökonomik“ nennen, in enge Verbindung mit der Sozio-
logie bringen, soziologische Richtungen nennen. Sofern dabei
auch die Frage zugrunde liegt, inwieweit die Einzelwirtschaft über-
haupt Gegenstand der Volkswirtschaftslehre ist und ob als solcher
nicht nur die „sozialen Verkehrsbeziehungen“ oder ein durch die
Rechtsordnung geregelter einheitlicher „sozialer Wirtschaftskörper“,
eine „Gesamtwirtschaft“ oder „Volkswirtschaft“ zu betrachten sei,
werden diese Richtungen uns unten bei der Erörterung des Objekts
der ökonomischen Theorie noch beschäftigen, wo zu ihnen abschließend
Stellung genommen wird. Hier kommt es zunächst nur darauf an,
die Gründe des Entstehens dieser Richtungen und ihren Zweck aus
dem heutigen Zustand der Wissenschaft zu erklären.
Man könnte zwei Gruppen der soziologischen Richtung unter-
scheiden, von denen die eine etwaals juristisch-soziologische,
also mit stärkerer Betonung der Rechtsordnung, die andere als
tauschwirtschaftlich-soziologische zu bezeichnen wäre.
Doch gibt es Uebergänge (Amonn), und mehrere ihrer Vertreter
werden untereinander wieder gewisse Verschiedenheiten ihrer An-
sichten behaupten, manche Nationalökonomen haben überhaupt nur
in Andeutungen zu ihnen Stellung genommen.
Der eigentliche Urheber der „sozialen Betrachtungsweise“ ist
Karl Marx, was man aber — ein charakteristischer Beweis für
die Schwerfälligkeit in unserer Wissenschaft — erst ein halbes Jahr-
hundert nach Erscheinen seines „Kapital“ angefangen hat zu er-
kennen. Wir wollen nun hier nicht darauf eingehen, daß Marx
nicht nur kausal erklären, auch nicht, wie Schönitz es aus-
drückt, „den sozialen Gehalt der Verkehrsvorgänge deuten, ihre
Kulturbedeutung feststellen“ wollte, sondern daß er die Tendenz
hat, die Ansprüche einer bestimmten sozialen Klasse zu begründen.
Wir können davon absehen, weil uns hier ja nur die methodo-
logische Grundlage seines Werkes interessiert.
Es ist möglich, daß Marx als erster empfunden hat, was heute
so viele zur Forderung einer sozialen Betrachtungsweise veranlaßt,
daß man vom Standpunkt der materialistischen Auffassung der Wirt-
schaft das allgemeine gegenseitige Bedingtsein der grundlegenden
tauschwirtschaftlichen Erscheinungen, der Preise und Einkommen,
das durch das Geld herbeigeführt wird, nicht erkennen und erklären
konnte. Wenn er das wirklich erkannt hat — mir scheint es zweifel-
haft —, wäre es sein größtes wissenschaftliches Verdienst. Aber er
hat diesem Gedanken dann nur sehr unvollkommen Ausdruck ge-
geben, und ich kann die heutige Marxinterpretation, die alles, was
heute die soziale Betrachtungsweise fordert, in sein Werk hinein-
geheimnissen will, nicht mitmachen. Richtig ist, daß Marx den
Wertbegriff, der vor ihm, nach ihm und auch bei ihm selbst den
Grundbegriff der Wirtschaftswissenschaft bildet, ganz anders auf-
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 13
gefaßt hat als die übrigen Nationalökonomen. Inwieweit der Preis
als Wertausdruck aufzufassen sei, diese Hauptfrage, durch die die
Wertlehre erst Bedeutung für die ökonomische Theorie bekommt,
geht zwar aus seinen Ausführungen nicht klar hervor. Im dritten
Bande wird davon gesprochen, daß die Güter nicht zu ihren „Werten“
verkauft werden. Aber Wert bedeutet für ihn nicht individuellen,
sondern „gesellschaftlichen“ Wert. Diese Auffassung beruht
letzten Endes natürlich auf der allgemeinen Verwechslung
von Wert und Preis, die nicht nur der objektiven Wertlehre
zugrunde liegt, sondern auch bei der subjektiven Wertlehre in der
allgemeinen Auffassung zur Geltung kommt, daß der Preis ein Aus-
druck eines subjektiven Wertes sei, daß, wenn ich mir einen Rock
für 50 M. kaufe, ich ihn gleich 50 M. schätze.
Aber der Gedanke des gesellschaftlichen Wertes ist zweitens
doch offenbar auch durch eine dem ganzen Sozialismus als einem ge-
sellschaftlichen System zugrunde liegende Auffassung herbeigeführt
worden, wonach die tauschwirtschaftlichen Erscheinungen nicht
das Ergebnis individueller Zwecke, sondern von Klassen-
kämpfen seien. Es ist klar, daß diese Auffassung das Wesen der
Wirtschaft und die Aufgabe der Wirtschaftstheorie verkennt. Das
Wesen der Wirtschaft besteht eben in der Verfolgung eines in-
dividuellen Zwecks: Bedarfsbefriedigung, und die Aufgabe der
Wirtschaftstheorie, wie man sie sich seit 100 Jahren auch immer
gestellt hat, besteht darin, die tauschwirtschaftlichen Erscheinungen
aus den individuellen Handlungen zu erklären, die der
eigenen Bedarfsbefriedigung dienen. Daher darf die Wirt-
schaftstheorie unter keinen Umständen bei der Beobachtung stehen
bleiben, daß die Wirtschaftssubjekte dabei als gesellschaftlich ein-
heitliche Gruppen und Klassen aufgefaßt werden können, sie darf nicht
das Vorhandensein bestimmter Klassen von vornherein annehmen.
Sondern, wenn sie sich überhaupt mit Klassenerscheinungen zu be-
schäftigen hat, die ja weit über das ökonomische Gebiet hinaus-
gehen, so hat sie sie aus ökonomischen Gründen, d. h. eben-
falls aus Zwecken individueller Bedarfsbefriedigung
zu erklären.
In der Tat ist es eine völlige Verkennung der Aufgabe der Wirt-
schaftswissenschaft, wenn man sich, wie der Sozialismus, und dazu
noch so einseitig und übertrieben, gleich „Kapitalisten“ und „Ar-
beiter“ als getrennte Klassen einander gegenübergestellt denkt und
aus ihrem Kampf alle tauschwirtschaftlichen Erscheinungen er-
klären zu können glaubt!). Es ist kaum einzusehen, was die
ganzen Erörterungen von Marx überhaupt noch mit wirtschafts-
theoretischen Aufgaben zu tun haben, wo das Ziel jeder Erwerbs-
tätigkeit, die eigene Bedarfsbefriedigung so völlig außer Betracht
1) Aus diesem Grunde bekämpfte ich von jeher das bei vielen Nationalökonomen
so beliebte Operieren mit den Schlagworten „Kapitalismus“ und „kapitalistisch“, womit
eben auch diese Klassenbegriffe als Axiom von vornherein in die Wirtschaftstheorie
hineingetragen werden.
14 Robert Liefmann,
bleibt. Seine ganzen wirtschaftstheoretischen Erörterungen sind für
Marx meines Erachtens auch nur ein Mittel für seine klassen-
politischen Tendenzen.
Denn, vom Standpunkt einer wirklichen Erklärung der tausch-
wirtschaftlichen Vorgänge aus gesehen: wohin kommt Marx mit diesem
Gedanken eines gesellschaftlichen Wertes? Das Resultat ist doch
eine für den heutigen Standpunkt geradezu kindliche Wertlehre. Er
läßt ihn durch „gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit“
bestimmt werden, also durch einen weiteren, anscheinend auch „ge-
sellschaftlichen“ Begriff. Aber Marx selbst muß gelegentlich zu-
geben, daß die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit nur dann einen
Wert bedeutet — hervorbringt, kann man nach dieser Theorie ruhig
sagen, wenn sie sich in Produkten verkörpert, die ein „gesellschaft-
liches Bedürfnis befriedigen“!). Also der dritte „gesellschaft-
liche“ Begriff! Gesellschaftliches Bedürfnis bedeutet aber, bei Lichte
besehen, nichts anderes als Produkte, für die subjektive Wert-
schätzungen, subjektive Bedürfnisse vorhanden sind. Daß
sich nach diesen die Kostenaufwendungen richten und daraufhin auf
Grund des Gewinnstrebens der Produzenten ein Angebot zustande
kommt, das hat Marx nicht erkannt, wie er überhaupt das Gewinn-
streben und dahinter die Bedürfnisse als Regulator des Tauschver-
kehrs nicht erkannt hat. Die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit
dient nur dazu, diese notwendige Beziehung auf subjektive Bedarfs-
empfindungen zu verschleiern, weil sie eben in seine Tendenz nicht
paßte. . Marx hat vielleicht erkannt, daß der Preis kein subjektiver
Wertausdruck ist, daß er aber irgendwie mit subjektiven Bedürfnissen
in Beziehung stehen muß, das konnte ihm kaum entgehen; er konnte
es aber ebensowenig wie jemand sonst erklären. Daher seine
„soziale Betrachtungsweise“, die also bei ihm ebensowenig wie bei
ihren neuen Anhängern eine Vertiefung, ein Eindringen in „ge-
sellschaftliche“ Zusammenhänge, sondern ganz einfach eine Ver-
legenheitsmaßregel ist, das Eingeständnis der Unfähigkeit, an-
scheinend objektive „soziale“ Erscheinungen wie den Preis auch auf
subjektive Bedarfsempfindungen zurückzuführen. Marx kam ebenso-
wenig weiter wie andere, weil er eben auch mit seiner „sozialen“
Betrachtungsweise hinter dem Geldschleier nicht individuelle Er-
wägungen, Nutzen- und Kostenvergleichungen, sondern nur technisch-
materialistisch die Vorgänge der Produktion sah.
Das Gesagte genügt vollkommen zur Kritik des Marxschen
Systems als Versuch einer Erklärung des Tauschverkehrs.. Auf
weitere Ungeheuerlichkeiten desselben, Reduzierung qualifizierter
Arbeit auf einfache, Aequivalententausch, Mehrwertlehre usw., brauchen
wir nicht näher einzugehen.
Von der wirklichen „sozialen“ Bedingtheit aller Geldausdrücke,
aller Werte und Preise, von der Tatsache, daß durch das Geld alle
„Werte“ und alle Preise im Zusammenhang miteinander stehen, hat
1) Das Kapital, 2. Aufl., S. 85.
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 15
Marx ebensowenig eine Ahnung wie alle Nationalökonomen bis in
die neueste Zeit, und es ist deshalb durchaus abzulehnen, wenn
neuere Marxinterpreten versuchen, in seiner Lehre eine tiefsinnige
„soziale“ Theorie zu erblicken. Nur die Unklarheit über das Wesen
einer solchen kann das ermöglichen, und man kann in der Tat, da
die Erörterungen des dritten Bandes des „Kapital“ mit denen des
ersten und zweiten kaum zu vereinigen sind, sehr viel in ihn hinein-
interpretieren. Es ist aber sehr zu bedauern, daß auch heute immer
noch tüchtige jüngere Kräfte in der Nationalökonomie sich zu solcher
Interpretation verleiten lassen, statt das wirtschaftliche Leben zu
beobachten und daran neue Theorien anzuknüpfen.
Der gewaltige Einfluß von Marx hat aber, wenn auch erst in
neuester Zeit, viel dazu beigetragen, die „soziale Betrachtungsweise“
immer mehr zu verbreiten. So faßte man insbesondere die Ein-
kommensbildung, da man sie und das gegenseitige Bedingtsein
aller Einkommen nicht aus der Preistheorie erklären konnte, als ein
Ergebnis des Kampfes der zwei großen Klassen auf, in die der
Sozialismus alle tauschwirtschaftlichen Tätigkeiten einzuschachteln
suchte, bzw. die er allein beobachtete, der Kapitalisten und Arbeiter.
Und auch die historische Schule machte sich das zunutze, alles nur
als Folge der „sozialen Klassenbildung“ anzusehen, zog diese Er-
scheinungen in das Gebiet der Wirtschaftswissenschaft hinein und
betrieb so ihre Vermischung mit der Soziologie.
Es ist zuzugeben, daß die Betrachtung der Einkommen als das
Ergebnis sozialer Klassenkämpfe schon einen gewissen Fortschritt
bedeutet gegenüber der ganz unzureichenden, auch logisch unmög-
lichen bisherigen „atomistischen“ Auffassung, die jedes Einkommen
als Entgelt für die spezielle Leistung betrachtete und von der
allseitigen Verknüpftheit aller Einkommen als Preise keine Ahnung
hatte. Aber der richtigen Erkenntnis der gegenseitigen Bedingtheit
aller Preise und Einkommen durch das Geld kam man damit doch
nicht näher, die Soziologie ist eben unfähig zur Erklärung der speziell
wirtschaftlichen Geldtauscherscheinungen, die unweigerlich auf das
Individuum zurückführen muß. Und indem sie sich mit den Er-
scheinungen der Klassenbildung beschäftigte, die weit über das
ökonomische Gebiet hinausgehen und einer ganz anderen Wissenschaft,
der Gesellschaftslehre, angehören, hat die Nationalökonomie die
eigentliche Aufgabe der Wirtschaftstheorie, die Erklärung der tausch-
wirtschaftlichen Vorgänge aus den individuellen Bedarfsempfindungen,
versäumt.
Merkwürdigerweise hat die soziologische Betrachtungsweise, die
Marx, wenigstens an vielen Stellen seines Buches, zugrunde legt,
erst in der neuesten Zeit Schule gemacht, vor allem bei R. Hilfer-
ding, Böhm-Bawerks Marxkritik, in „Marxstudien“, Bd. 1, 1904,
der gegen v. Böhm-Bawerk scharf den ganz anderen Gesichtspunkt
von Marx betont, dabei aber auch selbst sehr viel interpretieren und
16 Robert Liefmann,
hinzukonstruieren muß, ohne doch in den Grundlagen zu klareren
Erkenntnissen zu kommen.
Vielleicht sind es auch solche Gedanken und Einflüsse gewesen,
die Max Weber, der ja neuerdings immer mehr zur Soziologie
übergeht, allerdings nur ganz gelegentlich, auf dem ersten Soziologen-
tag (Verhandlungen, S. 267) Veranlassung gaben, sich mit dem In-
halt der Sozialökonomik zu beschäftigen. Er will sie nur bei den
Tauschvorgängen als vorliegend ansehen. In der üblichen Weise
knüpft er dabei an die Mittel der Bedarfsbefriedigung an und
meint, daß sich „die Sozialökonomik nur mit der Analyse derjenigen
Mittel zur Bedarfsbefriedigung befaßt, welche denkbarerweise Gegen-
stand eines Tausches werden können“. An dieser Abgrenzung ist
gegenüber zahlreichen anderen, die wir gleich kennen lernen werden,
anzuerkennen, daß sie sich von der Verwendung unklarer sozio-
logischer Begriffe fernhält.
Aber wenn Weber einmal versuchen würde, auf dieser Grundlage
positive ökonomische Theorie zu treiben, würde er sich leicht überzeugen
können, daß man die Tauschvorgänge ohne die Beziehung auf die wirt-
schaftlichen Erwägungen der Einzelwirtschaften nicht erklären kann,
also immer zu einer psychischen Auffassung der Wirtschaftslehre ge-
drängt wird. Zwar sind auch wir der Meinung, daß allein die kompli-
zierten Erscheinungen des Tauschverkehrs mit Geld es sind, welche zu
einer Beschäftigung mit wirtschaftlichen Problemen und zu einer Wirt-
schaftswissenschaft führten. Aber es ist leicht einzusehen, daB auch
diese Tauschvorgänge nicht isoliert betrachtet werden können, wie es
die extremen Objektivisten wollen, die die Veränderungen in den
Güterquantitäten untersuchen, sondern man hat auch hier, wie in allen
Wissenschaften, nach der Verursachung zu fragen und kann daher
nicht davon absehen, was die bisherige Theorie sozusagen unbewußt,
von selbst als ihre Aufgabe ansah, die Tauschverkehrsvorgänge auf
die wirtschaftlichen Handlungen und Erwägungen der einzelnen
Menschen zurückzuführen. Ohne Bezugnahme auf sie, die den An-
stoß zu allem geben, läßt sich eben der Mechanismus des Tausch-
verkehrs nicht erklären. Die Preise sind, trotz aller Bedingtheit
durch gesellschaftliche Momente, für den Wirtschaftstheoretiker, der
ihr Wesen und ihre Entstehung untersucht, nicht anders als in-
dividualistisch zu erklären. Es ist und bleibt das Zentralproblem der
Wirtschaftstheorie zu zeigen, wie durch ein allgemeines Tauschmittel
die wirtschaftlichen Erwägungen der Einzelnen enorm erleichtert und
die Mögliehkeiten individueller Bedarfsbefriedigung gewaltig ge-
steigert werden. Mit den „Mitteln zur Bedarfsbefriedigung“ befaßt
sich die Sozialökonomik überhaupt nicht; so lange man an dieser
technisch-materialistischen Auffassung festhält, muß jeder Fortschritt
der Wirtschaftstheorie vergeblich bleiben.
‚Daß es, abgesehen von der gleich zu besprechenden juristisch-
soziologischen Betrachtungsweise, so lange gedauert hat, bis eine
rein tauschwirtschaftliche Auffassung, wie sie Marx wenigstens teil-
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 17
weise vertritt, auch nur prinzipiell gefordert wurde, hat
darin seinen Grund, daß in dieser Lehre, konsequent durchgeführt,
von allen wirtschaftlichen Begriffen, die Beziehung auf eine
Einzelwirtschaft haben, also Nutzen, Kosten, Wert im
subjektiven Sinn, Einkommen, abstrahiert werden müßte.
Ihre Vertreter haben aber niemals gezeigt, was dann von Wirt-
schaftstheorie noch übrigbleiben würde, noch auch jemals versucht,
eine solche „reine Sozialökonomik* zu schaffen, ein deutlicher
Beweis dafür, daß Wirtschaftstheorie und Gesellschaftstheorie
etwas Verschiedenes sind. Ferner ist Marx’ Lehre weit davon ent-
fernt, eine rein gesellschaftliche Theorie zu sein. Sie beruht ganz
auf der Grundlage der klassischen objektiven Werttheorie und ihrer
Grundfehler (Lehre vom Aequivalententausch). Die zu errichtende
Gesellschaftstheorie hat sich von der überlieferten, wenn auch noch so
falschen Wirtschaftstheorie nie emanzipieren können. Noch heute ist
man so sehr im Banne der wirtschaftlichen, individualistischen Auf-
fassung, die ja auch sozusagen die natürliche ist und die wirtschaft-
lichen Begriffe so auffaßt, wie sie im täglichen Leben gebraucht
werden, d. h. eben vom Standpunkt des Individuums aus, daß man
zu der gesellschaftlichen Auffassung erst allmählich erzogen
werden mußte. Das hat der Sozialismus denn auch besorgt, und heute
stehen sehr viele der Vertreter einer „sozialen“ Betrachtungsweise
der wirtschaftlichen Erscheinungen, wenn auch unbewußt, unter dem
Eindruck seiner Klassentheorie und ihrer Bedeutung für die Erklärung
der tauschwirtschaftlichen Vorgänge. Unklare Sozialbegriffe, wie So-
zialkapital, sozialer Zweck, Sozialwirtschaft, sozialer Gesamtkörper
und viele andere treiben in der „Sozialökonomik“ ihr Unwesen, und
neuerdings kommen manche Vertreter dieser Richtung dahin, daß die
„Sozialökonomik“ überhaupt nicht mehr durch das Oekonomische, das
nicht einheitlich erfaßbar sei, sondern vor allem durch das „Soziale“
bestimmt werde, und glauben, sie als einen Teil der „Sozialwissen-
schaft“ begreifen zu können, ohne zu erkennen, daß deren Inhalt
äußerst unbestimmt ist.
Die Auffassung solcher Sozialbegriffe wird schließlich so zur
fixen Idee, daß ihre Vertreter gar nicht mehr erkennen, daß nur die
Individuen es sind, die wirtschaften, daß sie die Einzelwirtschaften
überhaupt nicht mehr sehen: „vom Standpunkt der sozialwissen-
schaftlichen Untersuchung der wirtschaftlich zusammenlebenden
Menschen gibt es jene supponierten Einzelwirtschaften überhaupt
nicht mehr“ (!Stam mler), oder: „Nur die Volkswirtschaft ist Wirt-
schaft, Wirtschaft im engeren Sinne“ (v. Schulze-Gävernitz).
Es führt das dann dahin, daß sie den Tauschverkehr, die „Volkswirt-
schaft“ als eine „Gesamtwirtschaft“ (Diehl), als ein „soziales Zweck-
gebilde“ (Stolzmann) ansehen, ihn also, durch den unzutreffenden
Ausdruck Volkswirtschaft irregeführt, selbst für eine Wirt-
schaft mit eigenen Zwecken halten, sich jedenfalls niemals
darüber Rechenschaft ablegen, daß ihre Sozialbegriffe willkürliche
Konstruktionen sind, die im wirtschaftlichen Leben keine Unterlage
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd.'106 (Dritte Folge Bd. 51). 2
18 Robert Liefmann,
finden. Viele sprechen auch vom Tauschverkehr als einer „Verkehrs-
gesellschaft“, ein fürchterlicher Ausdruck, der typisch die Verwechs-
lung von Wirtschaftslehre und Soziologie charakterisiert, welch letz-
tere sich Beziehungen der Menschen zueinander nicht anders als
eine Einheit vorstellen kann. Man verkennt damit das Wesen der
Wirtschaft und der tauschwirtschaftlichen Beziehungen, welche keinem
„Zusammenwirken“, keinen „Gemeinschaftsbeziehungen“,
mit anderen Worten keinen gleichgerichteten, sondern ent-
gegengesetzten Zwecken und Interessen ihr Entstehen ver-
danken, und daher nicht als ein „Gesamt“-Begriff aufgefaßt werden
können.
Die Tatsache, daß nur die Individuen wirtschaften, mit andren
Worten dienotwendige Beziehung aller wirtschaftlichen Erscheinungen
zur Bedarfsbefriedigung, wird immer wieder verkannt, die Einzelnen
werden nur als „dienendes Glied“ der „sozialen Gesamtwirtschaft“
(Diehl), ihre Tätigkeit nur als „gesellschaftliche Funktion“ (Hilfer-
ding u.a.) aufgefaßt. Es ist das eine völlige Verkennung des Wesens
der Wirtschaft, welche auf der materialistischen Auffassung, der Ver-
wechslung von Wirtschaften und Produzieren beruht. Sah man das
Wirtschaften im Produzieren, so konnte man schließlich gradeso
gut sagen, die ganze Volkswirtschaft produziere wie der Einzelne,
doch müßte man dann konsequent zu dem Resultat kommen, daß nur
die Weltwirtschaft produziere, also allein Wirtschaft sei. Aber
man kommt eben mit dieser technischen Auffassung niemals zur
Lösung der Probleme, die sich die Wirtschaftstheorie seit einem
Jahrhundert gestellt hat, die zweifellos ihre Hauptaufgabe bilden und
aus der Betrachtung des wirtschaftlichen Lebens, das man zu ver-
stehen sucht, gewonnen sind, der Frage, wie die tauschwirtschaft-
lichen Vorgänge auf subjektive Bedarfsempfindungen zurückgehen.
Jene Verwechslung der wirtschaftlichen Probleme mit solchen
der Gesellschaftslehre ist nun offenbar für die Entwicklung beider
Wissenschaften sehr hinderlich. Aber da sie in dem „sozialen“ Zuge
unserer Zeit liegt, wird schwer gegen sie anzukämpfen sein. Vielleicht
wird sie erst völlig verschwinden, wenn man anfangen wird, zu er-
kennen, daß der Kulturfortschritt nicht in zunehmender Sozialisierung,
wie man heute anzunehmen pflegt und unter der Einwirkung des
Krieges sich vielleicht noch mehr anzunehmen gedrängt fühlt, als
vielmehr in zunehmender Individualisierung der Menschen, ihrer Er-
ziehung zu Individuen zu liegen scheint !)!
3.} Die juristisch-soziologische Richtung.
Es hat Jahrzehnte gedauert, bis die gesellschaftliche Betrachtungs-
weise von Marx in der ökonomischen Wissenschaft Nachfolger fand.
Erst im Jahre 1896 traten gleichzeitig zwei Schriftsteller auf, die,
offenbar von Marx beeinflußt, die soziale Betrachtungsweise vertraten
1) Vgl. über diese Frage meine Schrift: „Bringt uns der Krieg dem Sozialismus
näher?“ Der deutsche Krieg, Politische Flugschriften, H. 54, 1915.
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 19
und damit die Wirtschaftswissenschaft auf eine andere Grundlage
stellen wollten, Rudolf Stammler und Rudolf Stolzmann,
Ersterer ist anscheinend mehr durch Marx beeinflußt, aber gleich-
zeitig hat er doch seiner Lehre durch Hereinziehung der Rechts-
ordnung originalere Züge verliehen. Die Rechtsordnung spielt nun
bei fast allen heutigen Methodologen zur Bestimmung des Sozialen die
entscheidende Rolle und deswegen können wir die daran anknüpfenden
Anschauungen der sozialen Betrachtungsweise als juristisch-
soziologische Richtungen bezeichnen. Von Stolzmanns
Auffassung werden wir unten bei Besprechung des Objekts der öko-
nomischen Wissenschaft (Kap. II, 3) ausführlieh zu reden haben. Den
größten Einfluß auf die Entwicklung der juristisch - soziologischen
Richtung hat Rudolf Stammler gehabt, der in seinem Buche:
Recht und Wirtschaft nach der materialistischen Ge-
schichtsauffassung, 1896, 2. Aufl. 1906, 3. Aufl. 1913, die Un-
zulänglichkeit der bisherigen ökonomischen Theorie in vielen Punkten
kritisierte und die modernen Verbesserungsbestrebungen in die ju-
ristisch-soziologische Bahn, Heranziehung der Rechtsordnung für die
Abgrenzung des Gegenstandes der „Sozialwirtschaftslehre“ zu bringen
versuchte. Er hat keine neue wirtschaftliche Theorie auf der Grund-
lage seiner Anschauungen aufgestellt, aber er hat zweifellos alle die-
jenigen beeinflußt, welche neuerdings den „sozialen“ Charakter der
Wirtschaftswissenschaft schärfer betonen.
Nach Stammler wären als wirtschaftliche Erscheinungen über-
haupt nur die anzusehen, die unter dem Einfluß von der Gesell-
schaft gegebener Regeln, also in letzter Linie der Rechts-
ordnung erfolgen. Er grenzt das wirtschaftliche Handeln dadurch von
jedem anderen menschlichen Handeln ab, daß etwas Außerwirt-
schaftliches, die gesellschaftliche, rechtliche Ordnung, nach der das
Handeln erfolgt, zum Unterscheidungsmerkmal gemacht wird. Die Be-
gründung dafür versucht er damit zu geben, daß selbst für die Erklärung
der Privatwirtschaft, vor allem aber für diedertauschwirtschaft-
lichen Erscheinungen, gewisse „soziale“ Voraussetzungen,
der Staat, die Gesellschaft, besonders aber das Privateigentum,
gemacht werden müßten, ohne die es den Tauschverkehr und
das ganze heutige Wirtschaftsleben nicht gäbe. „Eine kritische Be-
sinnung auf die Eigentümlichkeit der sozialen Betrachtung“, sagt
Stammler in seinem Artikel: Materialistische Geschichts-
auffassung im Handwörterbuch der Staatswisssenschaften, „lehrt,
daß sie eine solche von äußerlich geregeltem Zusammenleben von
Menschen ist. Der Grund ist der, daß nur bei der Betrachtung des
Zusammenlebens als eines äußerlich geregelten wir einen selbständigen
Gegenstand wissenschaftlicher Erwägung erhalten. In allen anderen
Weisen der Betrachtung menschlichen Zusammenseins und Einwirkens
aufeinander haben wir immer nur die Grundsätze der Natur-
wissenschaft anzuwenden. () Erst durch die Richtung der Ge-
danken auf ein äußerlich geregeltes Zusammenwirken
tritt neben die Wissenschaft von der den Menschen umgebenden
PA
20 Robert Liefmann,
Natur, in die er selbst als Erkenntnisobjekt sich einfügt, eine mög-
liche Wissenschaft von ‚der Gesellschaft‘, als einem neuen eigenen
Gegenstande.“
„Ueberall sonst, beispielsweise bei der psychologischen Erwägung
der Einwirkung von Menschen auf andere, haben wir den Menschen
als Objekt der Betrachtung. Jetzt tritt er ganz zurück; nicht mehr
die Menschen sind es, die erörtert werden, sondern die unter
ihnen bestehenden Beziehungen, in denen das Zusammen-
wirken sich vollzieht. Indem in aller uns bekannter Geschichte die
Konstituierung dieser Beziehungen maßgeblich nur durch rechtliche
Normen und nicht durch andere äußere Regeln geschieht, so werden
zum Gegenstand der spezifisch sozialen Betrachtung die Rechts-
verhältnisse. Nur durch sie besteht der Begriff der ökonomischen
Phänomene als einer sozialen Vorstellung!“
Also nur des Gegensatzes von Naturwissenschaft und Kultur-
oder Sozialwissenschaft wegen will Stammler die ökonomischen
Phänomene nur unter dem Einfluß der Rechtsordnung betrachten.
Nur dann seien sie „eine soziale Vorstellung“, sonst müsse man
auf die „Betrachtung menschlichen Zusammenwirkens die Grund-
sätze der Naturwissenschaft anwenden“. Ich glaube, daß man besser
tut, sich nicht darüber den Kopf zu zerbrechen, ob das richtig ist,
ob die ökonomische Wissenschaft, wenn man nicht das Moment der
rechtlichen Regelung heranzieht, eine Naturwissenschaft wäre, ob
überhaupt dieser Gegensatz von Natur- und Sozialwissenschaft gerade
den wirtschaftlichen Erscheinungen gegenüber ein scharfer ist. Es
ist unter allen Umständen verkehrt, das Erkenntnisobjekt einer
Wissenschaft sich durch solche allgemeine philosophische Abgren-
zungen, also von der Philosophie her, statt durch die Erfahrung
bestimmen zu lassen. Auch Stammler muß zugeben, daß es wirt-
schaftliche Phänomene auch ohne die rechtliche Regelung gibt, aber
seiner Sozialwissenschaft zuliebe!) sollen sie Gegenstand wissenschaft-
licher Betrachtung nur unter jener Bedingung sein. Gegenstand welcher
Wissenschaft dann die anderen wirtschaftlichen Erscheinungen sind,
wird nicht gesagt. Wir haben in dem früheren Aufsatz gezeigt,
daß eine klare Abgrenzung des Wirtschaftlichen auch ohne jene
Verquickung mit der Rechtsordnung denkbar ist, und daß sie es er-
möglicht, die tauschwirtschaftlichen Erscheinungen, vor allem die
Preis- und Einkommensbildung sehr viel „sozialer“ d.h. in ihrer all-
seitigen, aber wirtschaftlichen, nicht gesellschaftlichen und recht-
lichen Bedingtheit darzustellen als das der bisherigen Theorie, auch
der von Stamnler beeinflußten, z. B. Stolzmanns oder Diehls, möglich
war.
Es geht aus den zitierten Sätzen Stammlers klar hervor, daß
seine Heranziehung der Rechtsordnung zur Bestimmung des Inhalts
der Wirtschaftswissenschaft nur eine Verlegenheitsmaßregel ist, weil
es nach seiner Meinung anders nicht möglich sei, „bei der Betrach-
1) Siehe auch Recht und Wirtschaft, 2. Aufl., besonders S. 144 u. 151.
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 21
tung des Zusammenwirkens der Menschen einen selbständigen Gegen-
stand wissenschaftlicher Erkenntnis zu erhalten“. Er sieht nicht,
daß er durch die Unterstellung alles Wirtschaftlichen unter einen
rechtlichen Gesichtspunkt den Charakter der Nationalökonomie als
selbständiger Wissenschaft gerade beseitigt. Wenn die Wirtschafts-
wissenschaft auch eine Sozialwissenschaft ist, so gibt es doch zweifel-
los Sozialwissenschaften ohne die Beziehung zur und ohne Bestimmung
durch die rechtliche Ordnung, und es ist gar nicht einzusehen, weshalb
nun gerade die Wirtschaftswissenschaft ihren Inhalt durch die Rechts-
wissenschaft bestimmt erhalten soll, ganz abgesehen von dem logischen
Kuriosum, das dadurch geschaffen wird. Vom Standpunkt des
Juristen ist ja Stammlers Vorgehen erklärlich und bewundernswert
konsequent. Er erkannte, daß mit der überlieferten technisch-materia-
listischen Auffassung der Wirtschaft nichts anzufangen war, weil
sie zu naturwissenschaftlich war. Aber wie alle Nationalökonomen seit
100 Jahren nahm er sie als gegeben hin, kam gar nicht auf den Ge-
danken, ob man nicht unter Wirtschaften auch etwas ganz anderes
verstehen könne, was weniger naturwissenschaftlichen Charakter hat
und besser das wirtschaftliche Zusammenwirken der Menschen er-
kennen läßt. Als Jurist war es für ihn das Nächstliegende, das
soziale Moment, das er in dem „naturwissenschaftlichen“ Begriff
der Wirtschaft vermißte, in der Rechtsordnung zu finden, und
so pfropfte er sie einfach auf den überlieferten Begriff der Wirt-
schaft auf, um sein „soziales“ Objekt zu konstruieren. Er, der aus-
zog, um den Drachen der „materialistischen Geschichtsauffassung“
zu töten, ist in den Klauen einer viel gefährlicheren „materia-
listischen Wirtschaftsauffassung* hängen geblieben. Sie ist viel
gefährlicher, weil das, womit der Sozialismus politisch wirkt, nicht
so sehr seine Geschichtsauffassung als seine auf der technisch-
materialistischen Auffassung beruhende Wirtschaftstheorie, Mehr-
wertlehre, Ausbeutungstheorie usw. ist.
Wenn man dem Juristen, der jenen Gedanken zuerst gehabt hat,
den darin liegenden Irrtum verzeihen kann, so ist es doch ein
Beweis für den Tiefstand der ökonomischen Theorie, daß er auch von
Nationalökonomen übernommen wird, die doch viel eher Veranlassung
hätten, die Richtigkeit der Stammlerschen Voraussetzungen zu prüfen.
Sie müßten doch erkennen, daß zahllose wirtschaftliche Probleme,
nicht nur privatwirtschaftliche, sondern auch z.B. weltwirtschaftliche,
unabhängig von der Rechtsordnung sind. Glaubt man etwa, daß man
zu einer besseren Theorie des Preises oder der Kosten kommt, als
sie heute zu verzeichnen sind, wenn man die Untersuchung auch
noch mit dem Moment der rechtlichen Regelung belastet? Im Gegen-
teil, daß manche Preise staatlich vorgeschrieben sind, dürfte nichts
zur Förderung der allgemeinen Preistheorie beitragen. Die Wirt-
schaftswissenschaft hat nun einmal die Aufgabe, die Preisbildung
usw. aus wirtschaftlichen Gründen zu erklären, und daran
‚kann nichts dadurch geändert werden, daß man sie zu irgend-
welchen Zwecken als Sozialwissenschaft bezeichnet. Ich erinnere
22 Robert Liefmann,
auch an die Kartelle, die sich ganz ohne rechtliche Regelung aus
wirtschaftlichen Gründen entwickelt haben. Denn die freie
Konkurrenz ist kein Rechtsprinzip, wie sie so vielfach aufgefaßt
wird — dann gäbe es eben keine Kartelle — sondern eine wirt-
schaftliche Erscheinung. Wer Konkurrenz und Monopol nur als
Rechtsprinzipien auffaßt, dürfte in der Wirtschaftstheorie nur Tax-
preise und Verwaltungsmonopole erörtern.
Es ist eine gewaltige Verkennung der wirtschaftlichen Er-
scheinungen, als solche nur diejenigen anzusehen, die unter von
der Rechtsordnung gegebenen Regeln erfolgen. Das bedeutet
doch nichts anderes, als daß der Staat, die Rechtsordnung den
ganzen Tauschverkehr organisiert, weshalb ihn die Anhänger
Stammlers, Diehl, Stolzmann usw. in der Tat als ein „einheit-
liches soziales Zweckgebilde“ ansehen. Dabei aber ist doch bekannt
und es zeigt die einfachste Beobachtung, daß der Tauschverkehr
im großen und ganzen sich selbst überlassen ist, daß kein Mensch
ihn organisiert. Und es ist auch schon oft gelegentlich hervor-
gehoben, daß das private Gewinnstreben es ist, welches den
Tauschverkehr organisiert. Dies im einzelnen und systematisch
nachzuweisen, den ganzen tauschwirtschaftlichen Mechanismus aus
dem privaten Gewinnstreben zu erklären, ist Aufgabe der Wirtschafts-
theorie, und man wird einsehen, wie fundamental diejenigen Theorien
von vornherein ihren Gegenstand und ihre Aufgabe verkennen,
die erklären, die wirtschaftlichen Erscheinungen nur unter dem
Einfluß der rechtlichen Regelung betrachten zu wollen.
Auch müßte man die Frage aufwerfen, was denn in einer solchen
durch die rechtliche Regelung bestimmten Wirtschaftswissenschaft
Erörterungen über den Wert, das Kapital, den Preis usw. sollen. Ja,
auch das Einkommen, Kredit, Monopol usw., kurz alle ökonomischen
Begriffe müßten dann auch als Rechtsbegriffe aufgefaßt werden. Die
Beobachtung allein aber zeigt schon, daß, wenn beide Wissenschaften
dasselbe Erfahrungsobjekt und dieselben Begriffe haben, sie regel-
mäßig im Rechtssinn und im wirtschaftlichen Sinn etwas durchaus
Verschiedenes bedeuten. Das ist schon ein äußeres Zeichen für die
an sich selbstverständliche Tatsache, daß das Objekt der National-
ökonomie nicht von der Rechtswissenschaft her und durch die
Beziehung zur rechtlichen Regelung bestimmt werden kann.
Daher ist es auch charakteristisch, daß die wenigen National-
ökonomen, die stark von der Stammlerschen Lehre beeinflußt worden
sind, vor allem Diehl, sie immer nur am Anfang ihrer Ausführungen
vertreten, wenn es gilt, ganz allgemein den Inhalt der Wirtschafts-
wissenschaft prinzipiell abzugrenzen. Wenn sie dann aber sich
positiv mit ökonomischer Theorie beschäftigen, erörtern sie ganz
ebenso wie alle anderen ökonomischen Theoretiker den wirtschaft-
lichen Wert, das Kapital, den Preis, ohne daß von der Rechts-
ordnung noch die Rede ist. Der einzige Unterschied ist höchstens,
daß sie sich ihre Aufgabe bequem machen, indem sie nicht mehr
das Bestreben haben, den Preis und die Einkommensbildung auf die
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 23
subjektiven Bedarfsempfindungen der Menschen zurückzuführen,
sondern sie begnügen sich mit einer unklaren Betonung des „sozialen“
Charakters dieser wirtschaftlichen Erscheinungen. Ihre Wirtschafts-
theorie hört also da auf, wo die eigentlichsten schwierigsten Probleme
für uns erst anfangen. Und das Wort „sozial“ wird bei diesen
Nationalökonomen überall da verwendet, wo die übliche materia-
listische Theorie ihnen nicht weiterhilft.
Ein Hauptvertreter der Stammlerschen Auffassung von der Not-
wendigkeit einer sozialen Betrachtungsweise ist unter den National-
ökonomen C. Diehl, der seinen Standpunkt verschiedentlich und
besonders in seinem Aufsatze: Privatwirtschaftslehre, Volks-
wirtschaftslehre, Weltwirtschaftslehre in diesen Jahr-
büchern, III. Folge, Bd. 46, S. 441ff. zum Ausdruck gebracht hat.
Er wirft die Frage auf, ob es „wirklich die erste Aufgabe sei, die
man zu erfüllen hat, wenn man die Erkenntnis der Sozialwirtschaft
vermitteln will, die Einzelwirtschaft und nicht die Gesamtwirtschaft (!)
zu betrachten“. „Wir dürfen doch nicht vergessen, daß jede einzelne
Wirtschaft, jeder einzelne Betrieb, jedes einzelne Wirtschaftssubjekt
gerade für die sozialwirtschaftliche Betrachtung immer nur Glied
eines großen Ganzen ist und nur dadurch, daß der einzelne Betrieb
im Zusammenhang mit einer gesamten Organisation steht, für uns
wissenschaftliches Interesse haben kann. Die Arbeit, die in einem
einzelnen Betrieb geleistet wird, ist für uns nur Teil einer großen
sozialen Arbeitsteilung, und ehe ich nicht das Verständnis für die
Bedeutung der Arbeit und der Arbeitsteilung im ganzen volkswirt-
schaftlichen Organismus gewonnen habe, kann ich unmöglich die Be-
deutung dieser Arbeitsteilung innerhalb eines Betriebes würdigen.
Das ‚Kapital‘ im Besitz und Betrieb eines Wirtschaftssubjekts und
eines einzelnen Betriebes gewinnt für die sozialwirtschaftliche Be-
trachtung erst Bedeutung, wenn man es betrachtet als Teil des ganzen
sozialen Wirtschaftsprozesses. Erst muß die Bedeutung, die über-
haupt das Kapital innerhalb der ganzen sozialen Wirtschaft (!) spielt,
festgestellt werden, ehe wir das Einzelkapital in einem einzelnen Be-
triebe betrachten.“ „Wir können diese Privatwirtschaften nur richtig
für die sozialwirtschaftliche Betrachtung erfassen, wenn wir sie als
dienende Glieder der Gesamtheit, als Funktionäre wichtiger
sozialer Dienste auffassen. Man gelangt sonst notwendig zu atomistisch-
individualistischer Auffassung des sozialen Lebens.“ „Die ganze sozial-
wirtschaftliche Auffassung hat davon auszugehen, daß die Einzel-
wirtschaft als solche überhaupt keine Bedeutung hat(!), sondern daß
sie für den Sozialökonomen erst Bedeutung gewinnt durch den Zu-
sammenschluß und durch den Zusammenhang mit den anderen Einzel-
wirtschaften. Nur wenn wir diese Gemeinschaftsbeziehungen beachten
und die sozialrechtliche Ordnung, welche die Einzelnen zusammen-
schließen, kommen wir zu einer richtigen Einsicht über die Be-
deutung der einzelnen Privatwirtschaften.“ j
Die Vertreter dieser sozialen Betrachtungsweise haben niemals
erkannt, daß, wenn sie alle diese sozialen Schlagworte einmal de-
24 Robert Liefmann,
finieren und auf ihrer Grundlage ein theoretisches System auf-
stellen wollten, sie doch immer wieder auf die Einzelwirtschaft
zurückgreifen müßten. Das Verhalten jedes Einzelnen zu den anderen
Wirtschaftssubjekten, das ist ja eben der Tauschverkehr, die „soziale
Wirtschaft“. Der Fehler der sozialen Betrachtungsweise ist immer,
daß man glaubt, es würde durch die tauschwirtschaftlichen Beziehungen
ein neuer Organismus geschaffen, der selbst eine Wirtschaft, „Ge-
samtwirtschaft*, oder doch eine Art von Wirtschaft sei. Für die
ökonomische Theorie gibt es aber — für die Wirtschaftspolitik mag
das anders sein — keine „Gesamtwirtschaft“, kein „großes soziales
Ganzes, von dem der Einzelne nur ein dienendes Glied ist“, es gibt
keine „soziale Wirtschaft“ und keinen „sozialen Wirtschaftsprozeß“,
sondern es gibt nur Einzelwirtschaften und deren Beziehungen. Wie
diese Einzelwirtschaften auf Grund des Geldtausches tätig werden, das
muß man allerdings zuerst erkennen, hat aber damit zugleich auch
schon die Grundlage des „sozialen Wirtschaftsprozesses“ erkannt. Wie
die in den Tauschverkehr verflochtenen Einzelwirtschaften handeln,
das und nichts anderes ist der sogenannte „soziale“ Wirtschafts-
prozeß, und die allgemeinsten Grundlagen dieses Handelns, die für alle
so sehr verschiedenen Arten von Einzelwirtschaften identisch sind,
die gilt es zuerst herauszufinden. Gerade hier aber haben die bis-
herigen Theorien versagt, indem sie das Wesen des Wirtschaftlichen
vollkommen verkannt haben, und sie hätten sich noch weiter von der
richtigen Erkenntnis entfernt, wenn diese „soziale“ Betrachtungs-
weise größere Ausbreitung erlangt hätte Finzelwirtschaft und
Sozialwirtschaft stehen also zueinander in keinem Gegensatz, sie
lassen sich überhaupt nicht trennen, das Handeln der Einzelwirt-
schaften das ist die „Sozialwirtschaft“. Eine besondere Sozial-
wirtschaft neben der Einzelwirtschaft als besonderes Objekt
ökonomischer Betrachtung gibt es nicht. Es beruht dies, wie wir
noch sehen werden, auf Verwechslung der Nationalökonomie mit
der Soziologie, von wirtschaftlich und gesellschaftlich,
die möglich war, weil man ja überhaupt über das eigentliche Wesen
des Wirtschaftlichen keine richtige Vorstellung hatte. Bloß des-
wegen, um es überhaupt von dem großen Bereich des Technischen,
Materiellen abgrenzen zu können, hat ja Stammler den Gedanken
der äußeren Regelung in die alte materialistische, Vorstellung des
Wirtschaftlichen hineingetragen.
Es ist daher auch durchaus unzutreffend, wenn Diehl gegen
Harms — auch ich habe übrigens den Ausdruck schon öfters gebraucht
— es beanstandet, daß dieser „die Privatwirtschaft als die Zelle der
ganzen Volkswirtschaft bezeichnet“. Gerade im Gegenteil, die Einzel-
wirtschaften in der Volkswirtschaft sind noch weit mehr selbständige
Einheiten als die einzelnen Zellen beispielsweise im menschlichen Orga-
nismus. Denn während diese kein eigenes Leben haben, wenigstens
kein geistiges, und nur der ganze Organismus lebt und Zwecke ver-
folgt, sind dort die einzelnen Zellen, die Einzelwirtschaften, das
allein Lebendige, und in ihren Betätigungen, in der Verfolgung
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 25
ihrer Zwecke besteht überhaupt nur der sogenannte volkswirt-
schaftliche Organismus. Dieser ist aber kein Organismus wie die
Einzelwirtschaft mit eigenem Willen und eigenen Zielen, die Volks-
wirtschaft ist keine Wirtschaft, und daher ist es besser und zu-
treffender, wo es gilt, diese leider immer noch verbreitete falsche Auf-
fassung zu vermeiden, vom tauschwirtschaftlichen Mecha-
nismus zu sprechen. Die Einzelwirtschaften schaffen ihn un-
bewußt durch ihre Betätigung, die Verfolgung ihrer Zwecke, durch
ihr Ertragstreben, aus dem heraus er daher auch zu erklären ist;
daher kann man von der Betrachtung der Einzelwirtschaft nicht
abst rahieren, sonderm muß vielmehr von ihr ausgehen.
Auch die „Arbeitsteilung im einzelnen Betriebe“, sofern sie nicht
nur eine technische Erscheinung ist, ist dasselbe wie die „Arbeits-
teilung im ganzen volkswirtschaftlichen Organismus“, beide beruhen
auf dm Tausch. Man erkennt aber weder ihr Gemeinsames noch
ihre Verschiedenheiten, d. h. die Zusammenfassung verschiedener
Arbeitskräfte in einer fremden Wirtschaft, einer Unternehmung,
wenn man den ganzen tauschwirtschaftlichen Mechanismus, die
„Volkswirtschaft“, so falsch, als eine „Gesamtwirtschaft“ auffaßt,
wie Diehl dies tut.
Nicht „zur Einsicht über die Bedeutung der einzelnen Privat-
wirtschaften zu kommen“, ist unser Ziel, die Aufgabe bleibt, die so
mannigfachen Beziehungen der Einzelwirtschaften zu erfassen, wo-
durch man auch von selbst auf deren Verschiedenheiten kommt, die
eben in der Verschiedenheit ihrer tauschwirtschaftlichen Beziehungen
begründet sind. Es ist aber ein fundamentaler Fehler der ganzen
sozialen Betrachtungsweise, zu glauben, daß es sich dabei um „Ge-
meinschaftsbeziehungen“ handle, zu denen „die sozialrecht-
liche Ordnung die Einzelnen zusammenschließt“. Keine „Gemein-
schaftsbeziehungen“ oder, etwas weniger unklar ausgedrückt, keine
gleichgerichteten Zwecke, sondern im Gegenteil gegen-
sätzliche, widerstreitende Beziehungen der Einzelnen führen
zum Tauschverkehr, und diese werden daher auch nicht durch die
sozialrechtliche Ordnung, insbesondere das Privateigentum, zu einer
wirtschaftlichen Einheit, einer „Gesamtwirtschaft zusammenge-
schlossen, sondern im Gegenteil, dieses grenzt sie voneinander
ab, es sichert die Geltendmachung widerstreitender Interessen. Die
Hunderte von Wirtschaftspersonen, die in der ganzen Welt für meinen
Bedarf tätig werden, treten mit mir nicht in „Gemeinschafts-
beziehungen“, sondern sie treten mit mirin Tauschverkehr, der
nichts weniger als Gemeinschaftsbeziehungen, klarer ausgedrückt
gemeinsame Zwecke, sondern im Gegenteil entgegengesetzte
Interessen darstellt.
Jetzt wird man vielleicht allmählich einsehen, wie sehr die Ver-
treter der sozialen Betrachtungsweise das Wesen des ganzen Tausch-
verkehrs und die Bedeutung der Rechtsordnung für ihn verkennen.
Es ist ein ungeheurer Irrtum, zu glauben, daß die Rechtsordnung
den ganzen Tauschverkehr organisiere. Sie schafft niemals wirt-
26 Robert Liefmann,
schaftliche Beziehungen, sondern sie gibt nur manchen von ihnen
größere Sicherheit. Sie ist aber für die wirtschaftliche Betrachtung
etwas durchaus Sekundäres, das, wie gesagt, den wirtschaftlichen
Erscheinungen erst nachfolgt. Diese entwickeln sich ohne ihr Zutun
und werden erst nachträglich und längst nicht alle von ihr geregelt.
Jedenfalls ist es ein fundamentaler logischer Fehler, ihr Kriterium
in der rechtlichen Regelung finden zu wollen.
Weder ist die rechtliche Ordnung selbst eine Wirtschaft, noch
ist sie die Ursache der wirtschaftlichen Vorgänge, und daher können
diese auch niemals durch das Moment der rechtlichen Regelung be-
stimmt werden. Diese schafft kein Erkenntnisobjekt der Wirtschafts-
wissenschaft. Dies wäre nur möglich, wenn nachgewiesen würde, daß
die rechtliche Regelung die wirtschaftlichen Erscheinungen herbei-
führt, die zu erklären Hauptaufgabe der ökonomischen Theorie ist.
Es genügt nicht, einfach zu behaupten, ohne die rechtliche Regelung
und das Privateigentum gäbe es nicht den heutigen Tauschverkehr
— den gäbe es auch nicht ohne die Technik und ohne die Natur-
wissenschaften, und ebensogut könnte man sie zur Abgrenzung der
Tauschverkehrsvorgänge verwenden —, sondern man müßte nach-
weisen, daß die Haupterscheinungen des Tauschverkehrs, Preis- und
Einkommensbildung, in der Weise der rechtlichen Ordnung ihr Ent-
stehen verdanken, daß kein Preis und kein Einkommen ohne sie
zustande kommen könnte. Daß das nicht zutrifft, wird einfach
dadurch gezeigt, daß man die Preis- und die Einkommensbildung
sehr wohl allein durch wirtschaftliche Momente, ohne Bezugnahme
auf die Rechtsordnung, erklären kann.
Wenn behauptet wird, daß doch das Privateigentum, also eine
rechtliche Regelung, Voraussetzung jeden Tausches sei, so ist darauf
aufmerksam zu machen, daß wirtschaftlich nur das bloße Inne-
haben und nicht seine rechtliche Regelung in Betracht kommt. So
gibt es auch einen Tausch mit staaten- und rechtslosen Wilden, und
auch mit den Angehörigen eines sozialistischen Staates wäre ein
Tauschverkehr denkbar.
Die Besprechung der Anschauungen von Stammler und Diehl
mag zur Kennzeichnung der juristisch-soziologischen Richtung ge-
nügen. Im folgenden Kapitel haben wir noch auf die Anschauungen
von Amonn und Stolzmann einzugehen, die uns allmählich tiefer
in den Kern des methodologischen Problems hineinführen.
Allen diesen Auffassungen, wozu noch ähnliche von Oppen-
heimer, Spann u. a. gezählt werden könnten, ist also gemeinsam,
daß sie die Wirtschaftswissenschaft in enge Beziehung zur Sozio-
logie, zur Gesellschaftslehre bringen. Das war notwendig,
weil für eine Wissenschaft, die ausschließlich die Tauschverkehrs-
vorgänge oder die sozialen Verkehrsbeziehungen betrachten wollte, von
dem Inhalt der früheren Wirtschaftstheorie doch gar zu wenig
übrigblieb. Vor allem aber, man brauchte diese Beziehung, weil auf
Grund der herrschenden technisch-materialistischen Auffassung der
Wirtschaft diese von der Technik nicht zu unterscheiden war. Wie
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 27
esv.Schulze-Gävernitz (s. unten Kap. III) mit bemerkenswerter
Offenheit, wenn auch nicht ganz mit diesen Worten, ausspricht:
Wirtschaft ist Technik, nur Volkswirtschaft ist Wirtschaft. Er
versteht unter Volkswirtschaft den Kampf der Menschen mit der
Natur, „soweit er mit gesellschaftlichen (!) Mitteln geführt wird“.
Für alles das gibt der Begriff sozial und der Gedanke der Sozial-
wissenschaft die Grundlage. Es wäre aber an der Zeit, daß die
Vertreter der sozialen Betrachtungsweise, wenn sie wirklich die
ökonomische Wissenschaft fördern wollen, jene unklaren gesellschaft-
lichen und Sozialbegriffe einmal scharf definieren und dann auf ihrer
Grundlage aber auch wirkliche „sozialökonomische“ Theorie treiben.
Das ist bisher, mit alleiniger Ausnahme von Stolzmann, nie ge-
schehen (s. darüber unten Kap. II). Dann würde sich bald heraus-
stellen, daß eine solche Theorie vielleicht eine soziologische, jeden-
falls aber keine ökonomische ist. Ihre Befürworter tun daher
besser, sich Soziologen zu nennen. Es ist gar nicht einzusehen, wes-
halb alles, was sie wollen, zur Wirtschaftswissenschaft gehören soll.
Jedenfalls aber geht es nicht an, daß Leute, die sich nun einmal auf
die soziale Betrachtungsweise festgelegt haben und davon nicht mehr
loskommen, meine Theorie, die das Wirtschaftliche ganz überein-
siimmend mit der Erfahrung definiert, einfach mit dem Schlagwort
„Individualistisch-atomistisch“ ablehnen zu können glauben, ohne
selbst imstande zu sein, auf ihrer eigenen Grundlage etwas an ihre
Stelle zu setzen.
Kapitel II. Das Objekt der Wirtschaftswissenschaft.
l. Allgemeines über die Objektsbestimmung in der Wirtschafts-
wissenschaft.
Wir sind nun der Meinung, daß alles, was wir über den Gegen-
satz von individualistischer und sozialer Betrachtungsweise gesagt
haben, auf einer verschiedenen Auffassung des Objekts der Wirt-
schaftswissenschaft beruht. Nämlich in der Weise, daß die individua-
listische Betrachtungsweise nur den Einzelwirtschaften Zwecke
zuschreibt, während die sog. soziale Betrachtungsweise darauf
hinausläuft, in ihren Sozialbegriffen: Volkswirtschaft, soziale
Gesamtwirtschaftu.dgl. Gebilde mit eigenen Zwecken
zu sehen. Man ist sich also offenbar über den logischen Charakter
der verschiedenen „Betrachtungsweisen“ oder „Gesichtspunkte“ nicht
klar geworden, die man in der Nationalökonomie geglaubt hat neben-
einander stellen zu können. Wir müssen daher, in möglichster
Kürze, auf diese logische bzw. philosophische Frage der Objekts-
bestimmung in der Nationalökonomie etwas eingehen. Erst die
moderne Logik, besonders unter dem Einfluß von Windelband
und Rickert, dann in spezieller Anwendung auf die National-
ökonomie vor allem durch Max Weber, ist dazu gelangt, über die
Art und Weise, wie sich die Bestimmung des Objekts einer Wissen-
schaft vollzieht, Klarheit zu schaffen. Während ich in anderen
28 Robert Liefmann,
Punkten der heute so beliebten Anwendung der Philosophie auf die
Nationalökonomie mit Mißtrauen gegenüberstehe, weil ihre Ergebnisse
und Anwendungen auf sie nicht so gesichert scheinen, wie es ihre
Vertreter gern behaupten, ist in jenem Punkte die moderne Logik
zu meines Erachtens unanfechtbaren und abschließenden Resultaten
gelangt‘). In möglichster Kürze sei hier das Wichtigste darüber
unseren Untersuchungen vorausgeschickt.
Wir betonten oben schon, daß man niemals ein Objekt für eine
erst zu schaffende Wissenschaft bestimmen kann, sondern vorhandene
Probleme müssen schon in erheblichem Umfange als einheitlich
erkannt sein, wenn man daran gehen kann, sie als Objekt einer
Wissenschaft scharf begrifflich zusammenzufassen. So geht dem
eigentlichen „Erkenntnisobjekt“ der Wissenschaft ein „Er-
fahrungsobjekt“ voraus, auf das sich durch Erfahrung gegebene
Probleme beziehen, die erst später durch unser Denken als einheit-
lich erkannt werden. Dieses Erfahrungsobjekt bilden, um sogleich auf
unser Gebiet zu kommen, gewisse Erscheinungen, die der gewöhn-
liche Sprachgebrauch von jeher als wirtschaftlich bezeichnet,
z. B. Vorgänge des Tauschverkehrs, der Preis- und Einkommens-
bildung, des Geldwesens. Sie gelten als wirtschaftliche, ganz gleich-
gültig, was später die Wissenschaft als das Einheitliche in ihnen
erkennt. Schon das alltägliche Denken knüpft also an die an sich
ganz individuellen Erfahrungsobjekte an und indem es sie, wenn auch
oft recht ungenau benennt, beginnt es schon, sie zu klassifizieren,
aus der unübersehbaren Mannigfaltigkeit des Erfahrungsobjekts einen
übersehbaren Komplex einheitlicher Gedankengebilde mit einer be-
grenzten Zahl von Merkmalen herauszuheben. Diese Heraushebung
eines „Denkobjekts“, wie Rickert es genannt hat, geschieht zu
praktischen Zwecken, vor allem für die Zwecke sprachlicher Ver-
ständigung. So hat das praktische Denken den Begriffen Wirtschaft,
Preis, Einkommen, Kapital usw. einen mehr oder weniger deutlich
bestimmten Inhalt gegeben, der, wenn auch oft recht ungenau, so
doch für die praktischen Zwecke mit genügender Deutlichkeit, die
Erfahrungsobjekte unzähliger einzelner Menschen zusammenfaßt.
Diese Denkobjekte des Alltags werden dann zum wissenschaft-
lichen Denkobjekt oder „Erkenntnisobjekt“, indem sie unter
einem einheitlichen, für sie alle gültigen, der wissenschaftlichen Er-
kenntnis dienenden Gesichtspunkt zusammengefaßt werden, unter
einem Identitätsprinzip, wie es neuere Logiker (Münster-
berg) nennen. Dieser Gesichtspunkt, das einheitliche Merkmal, ist
1) Sie hat ausgiebig verwertet A. Amonn in seinem deswegen sehr dankens-
werten Buche: Objekt und Grundbegriffe der theoretischen National-
ökonomie, 1911. So sehr ich mit seinen logischen Grundlagen und kritischen Er-
örterungen übereinstimme — den technischen Charakter der bisherigen Nationalökonomie
habe ich aber schon längst vor ihm betont — so sehr muß ich seine positiven Schluß-
folgerungen ablehnen. Denn er gelangt nicht dazu, das Wesen des Wirtschaftlichen
anders aufzufassen als bisher, und sucht deshalb als Sozialwirtschaftslehre unter
Heranziehung rechtlicher und gesellschaftlicher Voraussetzungen ein engeres Gebiet der
„sozialen Verkehrsbeziehungen‘ abzugrenzen.
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 29
an und für sich auch willkürlich gewählt, und daher können aus den-
selben Erfahrungsobjekten ganz verschiedene Erkenntnisobjekte ge-
wonnen werden, die dann auch Gegenstand verschiedener Wissen-
schaften sein können. Aber immer muß das Erkenntnisobjekt ein-
heitlich und allgemein bestimmt sein. Der ausgewählte Gesichts-
punkt greift zwar nur eine beliebige Seite aus dem Erfahrungs-
objekt heraus, isoliert sie, abstrahiert von allen sonstigen Seiten —
denn auch das wissenschaftliche Denken kann nicht alle die zahl-
reichen Seiten eines Erfahrungsobjekts erfassen —, aber diese Merk-
male des Erkenntnisobjekts müssen dann auf alle vorgestellten Er-
fahrungsobjekte zutreffen. So ist es an sich durchaus möglich, in
dem Erfahrungsobjekt: wirtschaftliche Erscheinungen das Identitäts-
prinzip: „Sachgüterbeschaffung“, Ueberwindung der Ab-
hängigkeit des Menschen von den Gegenständen der äußeren Natur
zu sehen und dadurch das Erkenntnisobjekt der Wirtschaftswissen-
schaft zu bestimmen. Aber wenn man dieses Erkenntnisobjekt nicht
so kritiklos übernommen, sondern es auf Grund besserer Beobachtung
schärfer geprüft hätte, hätte man längst finden müssen — also ohne
alle logischen und methodologischen Studien —, daß es zahllose,
zweifellos überall als wirtschaftliche Erscheinungen geltende Vor-
gänge gibt, welche mit Sachgüterbeschaffung nichts zu tun haben.
Man hätte erkennen müssen, daß sich das Wirtschaften keineswegs
nur auf Sachgüter, Gegenstände der äußeren Natur bezieht, sondern
in gleicher Weise auf zahllose persönliche Leistungen. Das schließt
nun nicht aus, daß trotzdem der Gesichtspunkt: Sachgüterbeschaffung
ein Identitätsprinzip darstellt, das Grundlage einer eigenen Wissen-
schaft sein könnte, z. B. der materiellen Technik oder Technologie im
Gegensatz zur Technik oder Technologie im weiteren Sinne, welche
auch nicht auf die Produktion beschränkt ist. Aber es zeigt sich
bald und hat sich in der ökonomischen Wissenschaft in erschreckender
Weise gezeigt, daß mit diesem Auswahlprinzip Sachgüterbeschaffung
die wichtigsten tauschwirtschaftlichen Erscheinungen nicht zu er-
klären sind. Denn — und damit kommen wir vom Objekt zu der
Aufgabe der Wissenschaft — aus dem als wesentlich für das wissen-
schaftliche Objekt Erkannten sind nun auch die es bildenden Er-
scheinungen, die vorgestellten Erscheinungstatsachen kausal und syste-
matisch zu erklären. Das vermag die materialistische Auffassung
der Wirtschaft nicht, kein einheitliches logisches Identitätssystem
umfaßt die Tatsache der Produktion, der Beziehung der Produkte
zu den Produktionsmitteln, und gleichzeitig die Geldpreise und Ein-
ommen.
Wenn wir als das Identitätsprinzip aller wirtschaftlichen Er-
scheinungen Sachgüterbeschaffung erkennen, wären aus dieser Tätig-
keit der Sachgüterbeschaffung heraus auch alle wirtschaftlichen Er-
scheinungen zu erklären. Das hat man mehr als ein Jahrhundert
lang auch versucht, am konsequentesten die Klassiker und neuerdings
enge extreme Materialisten, „Quantitätsnational-
ökonomen“ wie Clark und Schumpeter, die die wirtschaft-
30 Robert Liefmann,
lichen Probleme in dem Verhältnis sehen, in dem die Güter-
quantitäten zueinander stehen. Abgesehen davon ist aber
die ganze Entwicklung der Wissenschaft seit bald einem halben Jahr-
hundert, seit dem Aufkommen der „subjektiven Wertlehre“, ja genau
genommen schon seit Gossen, immer mehr in die Richtung zu
einer psychischen, „subjektiven“ Auffassung der Wirtschaft ge-
drängt worden. Die ganze „subjektive Wertlehre“ ist von unserem
Standpunkt einer konsequenten psychischen Auffassung des Wirt-
schaftlichen aus nichts anderes als der erste schüchterne Versuch, in
den ziemlich konsequenten objektiv -materialistischen Aufbau der
klassischen Lehre, die nur für die Erklärung der tauschwirtschaft-
lichen Erscheinungen gänzlich versagte, subjektive, psychische
Elemente hineinzutragen. Daß das zu einem völlig unlogischen com-
positum mixtum führte, als welches die heutige Grenznutzenlehre
sich darstellt, habe ich schon in der verschiedensten Weise gezeigt.
Der Fehler war eben der, um es im Sinne der Logik auszudrücken,
daß man an dem Identitätsprinzip Sachgüterbeschaffung fest-
hielt, in ihm nach wie vor das logisch Einheitliche erblickte, was
aus dem Erfahrungsobjekt wirtschaftlicher Erscheinungen ein wissen-
schaftliches Erkenntnisobjekt machen sollte. Man führte also die
Beobachtung und Analyse wirtschaftlicher Vorgänge nicht weit genug
durch, um zu erkennen, daß aus dem Moment Sachgüterbeschaffung
niemals die Einheitlichkeit der wirtschaftlichen Erscheinungen ab-
geleitet und eine Erklärung der geldwirtschaftlichen Vorgänge, ins-
besondere der Preis- und Einkommensbildung, gegeben werden kann.
Für die ökonomische Wissenschaft gilt nun ganz besonders, daß
ihr Objekt durch die Erfahrung und deren Sprachgebrauch ge-
gegeben ist. Wirtschaftserscheinungen und -vorgänge als Erfahrungs-
objekt und als Denkobjekt des täglichen Lebens stehen ziemlich genau
fest. Woran man denkt, wenn man von wirtschaftlichen Handlungen,
wirtschaftlichen Vorgängen, wirtschaftlichen Einrichtungen spricht,
das weiß, ganz im allgemeinen betrachtet, jedermann. Und zwar des-
wegen, weil eben jedermann wirtschaftet, weil jedermann in wirt-
schaftliche Vorgänge verflochten ist, wirtschaftliche Handlungen für
die meisten Menschen den größten Teil, den überwiegenden Inhalt
ihres ganzen Lebens umfassen. Bei einem so allgemein vorliegenden
Denkobjekt mußte sich ohne Zweifel für einen weiten Kreis von Er-
scheinungen allgemeine Uebereinstimmung im Sprachgebrauch ergeben.
Das schließt aber nicht aus, daß es daneben zahlreiche Handlungen,
Vorgänge und Einrichtungen gibt, über deren wirtschaftlichen Cha-
rakter man zweifelhaft sein kann. Denn dem Denkobjekt liegt eben
kein scharf bestimmtes Identitätsprinzip zugrunde. Immerhin gilt
gerade für die ökonomische Wissenschaft, deren Objekt im täglichen
Leben eine so große Rolle spielt, daß dasjenige wissenschaftlich aus-
gewählte Identitätsprinzip das richtigste sein wird, welches die Er-
scheinungen am besten begreift, die im gewöhnlichen Sprachgebrauch
als wirtschaftlich bezeichnet werden. Nichts anderes bedeutet die
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 31
vielfach erhobene Forderung, daß sich die wissenschaftliche Begriffs-
bestimmung möglichst eng an den Sprachgebrauch anschließen’ solle.
Sie findet darin ihre Begründung, daß ein im alltäglichen Leben
eine solche Rolle spielendes Denkobjekt wie die wirtschaftlichen
Erscheinungen schon für dessen Bedürfnisse so klassifiziert, in Typen
zerlegt und unterschieden wird, daß die wissenschaftliche Betrachtung,
wenn sie auch viel systematischer vorgeht, davon nicht völlig abstra-
hieren kann.
In dieser Hinsicht versagt, wie leicht zu erkennen ist, die sozio-
logische Richtung vollkommen, sie setzt sich offensichtlich mit dem
als Inhalt der wirtschaftlichen Erscheinungen im alltäglichen Den-
ken Erfaßten in Widerspruch. Denn dazu gehören zweifellos nicht
nur die „sozialen Verkehrsbeziehungen“, sondern auch, und dem Wesen
der Wirtschaft entsprechend sogar in erster Linie, die Erwägungen
des einzelnen Menschen; und man denkt bei allen wirtschaftlichen
Erscheinungen nicht in erster Linie an ihre Eingliederung in einen
großen sozialen Organismus, der als eine wirtschaftliche Einheit auf-
zufassen wäre — wenn das geschieht, ist es höchstens die Volks-
wirtschaft eines bestimmten Staates, also keine wirtschaftliche,
sondern eine rechtlich, staatlich bestimmte Einheit — sondern man
denkt, mit einem Wort gesagt, in erster Linie privatwirtschaftlich,
d.h. man sieht Einzelwirtschaften, die in verschiedener Weise in Ver-
kehr miteinander treten und denen verschiedene gemeinsame Einrich-
tungen und Veranstaltungen dienen). Von diesem Erfahrungsobjekt und
Denkobjekt: den Einzelwirtschaften und wirtschaftlichen Handlungen,
Konsumwirtschaften und Erwerbstätigkeiten, den Tauschverkehrsbe-
ziehungen zwischen ihnen und ihren gemeinsamen Einrichtungen und
Veranstaltnngen sollte man bei der Bestimmung des wissenschaft-
lichen Denkobjekts nicht ohne zwingenden Grund abgehen.
Unsere soziologischen Nationalökonomen sind aber, wie wir
unten an zahlreichen Beispielen zeigen werden, geradezu blind gegen
alle Vorgänge, bei denen einzelne Wirtschaften und ihre Handlungen
in Betracht kommen oder isoliert werden können, suchen dabei
immer deren soziale Bedingtheit hervorzuheben und sie nur als Teiler-
scheinungen eines äußerst unklar bestimmten „sozialen Gesamtkörpers“
oder als Ausfluß ebenso unklarer „gesellschaftlicher Zwecke“ hinzu-
stellen. Statt zu isolieren und zu abstrahieren, wie es Aufgabe der
Wissenschaft wäre, belastet die soziale Betrachtungsweise die Er-
kenntnis der wirtschaftlichen Erscheinungen gleich von vornherein
mit einer Anzahl rechtlicher und gesellschaftlicher Voraussetzungen,
die die Wirtschaftswissenschaft als Sozialwissenschaft dokumentieren
sollen, die aber gar nicht nötig wären, wenn man das Wesen der
Wirtschaft richtiger erkannt hätte.
Wir glauben nun, daß man nicht ohne Not das seit einem Jahr-
hundert erörterte Problem, wie die tauschwirtschaftlichen Erscheinungen
1) Deshalb ist es so außerordentlich unwirklich und künstlich konstruiert, wenn
v. Schulze-Gävernitz, Stolzmann u. a. immer von „gesellschaftlichen Zwecken“ der wirt-
schaftlichen Tätigkeit sprechen; siehe darüber unten.
32 Robert Liefmann,
auf die Bedarfsempfindungen der einzelnen Menschen zurückzuführen
und aus ihnen zu erklären sind, über Bord werfen und durch Ver-
senkung in das trübe Meer der Soziologie oder Sozialwissenschaft
hoffnungslos ertränken sollte. Uns scheint vielmehr, daß dem wirt-
schaftlichen Erfahrungsobjekt des gewöhnlichen Lebens und seinem
Sprachgebrauch, der auch Vorgänge innerhalb der einzelnen Wirt-
schaft als wirtschaftliche bezeichnet und von wirtschaften nicht
ausschließlich in Verbindung mit dem Tauschverkehr spricht, in der
Tat etwas Einheitliches zugrunde liegt. Wir glauben daher, daß
man nicht zu dem Verlegenheitsmittel der soziologischen Richtungen
zu greifen braucht, das Objekt der „Sozialökonomik“ anders als durch
das Oekonomische, nämlich durch einen ad hoc konstruierten Begriff
der sozialen Regelung zu bestimmen. Und erst recht nicht ist es
nötig, zu diesem Verlegenheitsmittel noch den logischen Fehler hin-
zuzufügen, das Objekt der Volkswirtschaftslehre von dem allgemeinen
Begriff der Sozialwissenschaft aus bestimmen zu wollen.
Jenes Einheitliche in allen wirtschaftlichen Erscheinungen und
damit die Lösung der hergebrachten wirtschaftlichen Probleme
glaube ich nun in einer neuen Auffassung des Wirtschaftlichen ge-
funden zu haben, die ich im Gegensatz zu der auch von den sozio-
logischen Richtungen immer festgehaltenen technisch-materialistischen
die psychische nenne Denn wir erblicken das Einheitliche, was
den wirtschaftlichen Handlungen und Beziehungen der Menschen und
den Einrichtungen und Veranstaltungen, die sie dafür geschaffen
haben, zugrunde liegt, also das Identitätsprinzip der ökonomischen
Wissenschaft nicht in der Sachgüterbeschaffung, sondern in einer
besonderen Art von Erwägungen, die auf einem Gegenüber-
stellen und Vergleichen von Nutzen und Kosten, rein
psychisch aufgefaßt, mit dem Ziel eines möglichst großen
Nutzenüberschusses, Genusses, beruhen. Hier genügt diese
Feststellung, im übrigen verweise ich auf meine beiden früheren Aufsätze
in dieser Zeitschrift. Jedenfalls sind Ausgangspunkt aller wirtschaft-
lichen Vorgänge und darum auch aller wirtschaftswissenschaftlichen
Betrachtung die wirtschaftlichen Erwägungen. Wirtschaft-
liche Handlungen sind also die, die von solchen Erwägungen geleitet
sind, wirtschaftliche Beziehungen die, die zwischen den Menschen
auf Grund solcher Erwägungen und Handlungen entstehen, wirtschaft-
liche Einrichtungen und Veranstaltungen die, welche die Menschen
auf Grund ihrer wirtschaftlichen Erwägungen und für ihre wirt-
schaftlichen Handlungen und Beziehungen geschaffen haben.
Es könnte sonderbar erscheinen, daß, wenn etwas Psychisches,
eine besondere Art von Erwägungen das Wesen der Wirtschaft
und den Inhalt der Wirtschaftslehre bildet, wir die Wirtschafts-
wissenschaft nicht als Lehre von den wirtschaftlichen Erwägungen
in dem oben angedeuteten Sinne bezeichnen, sondern als Lehre von
den wirtschaftlichen Beziehungen der Menschen und den Ein-
richtungen und Veranstaltungen, aie dafür geschaffen werden. Aber
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 33
wir gewinnen ja die wirtschaftlichen Probleme und damit den Inhalt
der Wirtschaftswissenschaft aus der Erfahrung, und da wissen wir,
daß nicht oder doch nicht in erster Linie die wirtschaftlichen
Erwägungen uns als Problem entgegentreten, sondern, wenn wir nach
dem urteilen, was seit mehr als einem Jahrhundert am meisten
Gegenstand des Streites in der Wirtschaftswissenschaft gewesen ist,
vor allem die wirtschaftlichen Beziehungen der Menschen, kurz
gesagt, die Erscheinungen des Tauschverkehrs. Diese Beziehungen,
z. B. die Preis- und Einkommensbildung, und die Einrichtungen
dafür, z. B. das Geld, stehen im Mittelpunkt des wissenschaftlichen
Interesses. Sie müssen vor allem geklärt sein, wenn man andere
speziellere Erscheinungen des Wirtschaftslebens untersuchen will. Hier
lag eben der Fehler der bisherigen Entwicklung der Wirtschafts-
wissenschaft, daß die allgemeinsten Erscheinungen des Tauschver-
kehrs noch ungenügend erklärt und in ihrem Funktionieren erkannt
waren und daß man daher auch bei der Betrachtung speziellerer Vor-
gänge oft zu falschen Ergebnissen kam, daß es wenigstens nicht
gelang, was die letzte Aufgabe jeder Wissenschaft ist, die wirtschaft-
lichen Vorgänge systematisch von den allgemeinsten Erscheinungen
aus aufbauend zur Darstellung zu bringen.
Wir könnten daher die Begriffsbestimmung der Wirtschafts-
wissenschaft sehr wohl in der Weise vornehmen, daß wir einfach
sagen, es sei die Lehre von den wirtschaftlichen Be-
ziehungen der Menschen und den Einrichtungen und
Veranstaltungen, die sie sich dafür geschaffen haben.
Die Bezugnahme auf die wirtschaftlichen Handlungen würde dann
in der Begriffsbestimmung ebenfalls fehlen, ebenso wie die auf die
wirtschaftlichen Erwägungen. In der Tat sind die Hauptprobleme,
die uns entgegentreten, die Vorgänge des Tauschverkehrs, also die
wirtschaftlichen Beziehungen. Deshalb sprechen wir im folgenden
immer davon,- daß den Mechanismus des Tauschverkehrs
zu erklären, die Hauptaufgabe der ökonomischen Wissenschaft ist.
Erst durch den Tauschverkehr entwickelt sich eine solche Mannig-
faltigkeit der wirtschaftlichen Handlungen, Beziehungen und Ein-
richtungen, daß sie zu ordnen, das Typische in ihnen herauszufinden
und sie dadurch dem menschlichen Geist begreifbar zu machen, Auf-
gabe einer besonderen Wissenschaft wird.
Die Probleme der Wirtschaftswissenschaft knüpfen sich also, wie
allgemein zugegeben wird, vor allem an die wirtschaftlichen Be-
ziehungen und Einrichtungen, also an die Erscheinungen des Tausch-
verkehrs. Wenn wir trotzdem auch die wirtschaftlichen Hand-
lungen in die Begriffsbestimmung mitaufgenommen haben, so
geschah das deswegen, um die Einheit der gesamten Wirtschafts-
wissenhaft zu betonen. Auf der Grundlage unserer Definition des
Wirtschaftlichen bilden alle Erörterungen, die sich mit dem dadurch
abgegrenzten Gegenstand beschäftigen, eine einheitliche Wissen-
schaft. Deshalb definieren wir weder, wie die bisherige Theorie,
sei es die Wirtschaft oder gar die Volkswirtschaft oder das wirt-
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 3
34 Robert Liefmann,
schaftliche Gut oder die wirtschaftliche Handlung, sondern wir
definieren das Wirtschaftliche, das Adjektivum, das sich mit
den verschiedensten Substantiven verbinden kann, und als Ausgangs-
punkt für unsere Betrachtung nehmen wir dann die Verknüpfung
mit dem allgemeinsten Substantivum, das möglich war, d. h. gehen
aus von den wirtschaftlichen Erwägungen.
Es wäre daher nicht im mindesten falsch, wenn wir auch die
Lehre von den wirtschaftlichen Erwägungen ebenfalls mit in unsere
Begriffsbestimmung der Wirtschaftswissenschaft hineinnähmen. In
der Tat muß sich jedes theoretische System auch mit psychischen
Erörterungen, der Untersuchung der wirtschaftlichen Erwägungen
beschäftigen. Aber wir haben nur deswegen darauf näher einzugehen,
weil diese allgemeinen Erwägungen, die der einzelne wirschaftende
Mensch anstellt, noch keineswegs klargestellt sind. Wir können
deswegen doch betonen, daß sie eigentlich in die Psychologie ge-
hörten, und daß die Hauptprobleme der Wirtschaftswissenschaft nicht
in der Frage liegen: wie handelt der einzelne wirtschaftende Mensch ?
sondern: wie sind die so unendlich verschiedenartigen Beziehungen
zwischen den wirtschaftenden Menschen, die der heutige Tausch-
verkehr aufweist, zu erklären ?
Nur daran müssen wir festhalten, daß das Einheitliche in dem
Erfahrungsobjekt, das der ökonomischen Wissenschaft vorliegt,
und damit das Identitätsprinzip, das ihr Erkenntnisobjekt bestimmt,
in diesem psychischen Moment, einer besonderen Art von Erwägungen,
die an das Ziel Bedarfsbefriedigung, Genuß anknüpfen, zu finden ist.
Wir dürfen also nicht an dem äußerlichen, technischen Charakter
der Handlungen, dem Produzieren, hängen bleiben, wie die bisherige
Theorie das tat, sondern müssen in die Psyche der wirtschaftenden
Menschen zurückgehen. Das ist auch von der neueren Theorie, die
ja mit der subjektiven Wertlehre schon auf dem Wege zu meiner
Auffassung war, immer anerkannt worden, indem man als das Ziel
der Wirtschaft Bedarfsbefriedigung bezeichnet hat. Aber
wegen des überlieferten Aufbaues der ökonomischen Theorie auf
technisch-materialistischer Grundlage ist an dieser nur im Eingang
der Lehrbücher betonten Beobachtung nie festgehalten worden.
Wir gewinnen dagegen mit unserer psychischen Auffassung des
Wirtschaftlichen die klare Abgrenzung von der Technik, die allen
bisherigen Theorien fehlte, was die neueren Untersuchungen dazu ver-
anlaßte, überhaupt nicht im Wirtschaftlichen, sondern in dersozialen
Regelung das Identitätsprinzip der Volkswirtschaftslehre zu sehen.
Alle die damit zusammenhängenden künstlichen Konstruktionen haben
wir auf Grund der psychischen Auffassung der Wirtschaft nicht
nötig.
Diese Beschränkung der ökonomischen Wissenschaft auf ein
ökonomisches Auswahlprinzip, das sonderbarerweise — infolge
der falschen Auffassung des Oekonomischen — heute als ganz un-
brauchbar gilt und das man durch ein „soziales“ Auswahlprinzip zu
ersetzen sucht, hindert natürlich keineswegs, späterhin die Beziehung
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 35
der wirtschaftlichen Erscheinungen zu allen möglichen gesellschaft-
lichen, staatlichen usw. ebenfalls zu betrachten. Sie ermöglicht nur,
zunächst einmal das Oekonomische klar zu erkennen, woran es bisher
fehlte. Alle bisherigen Theorien sind zu einem guten Teil auch
daran gescheitert, daß sie, mangels richtiger Erfassung der Wirtschaft
und der Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft, diese von Anfang mit
Problemen belasteten, welche den zahlreichen Beziehungen des Wirt-
schaftlichen zu anderen Erscheinungen des menschlichen Zusammen-
lebens angehören und die ohne vorausgegangene Klarstellung der Wirt-
schaft und des tauschwirtschaftlichen Mechanismus nicht untersucht
werden können.
2. Versuche einer „sozialen“ Objektsbestimmung
in der Wirtschaftswissenschaft.
Unsere Objektsbestimmung, die auf ein psychisches Moment
als Identitätsprinzip der ökonomischen Wissenschaft zurückführt, ist
nun der herrschenden durchaus entgegengesetzt. Im Prinzip ist sie
zwar schon vertreten worden durch H. H. Gossen, der die National-
ökonomie zu einer „Genußlehre“ machen wollte; aber er ist auf
dieser Grundlage nicht zu einer Erklärung der Tauschvorgänge gelangt
(und zwar, wie wir in dem Aufsatz über Gossen in dieser Zeitschrift,
Ill. Folge, Bd. 40, 1910 gesehen haben, wegen des Fehlens des Kosten-
begriffes), hat darin auch keine Nachfolger gefunden, sondern alle neueren
Theoretiker halten an der materialistischen Auffassung der Wirtschaft
als einem Axiom fest. Aber dieses materialistische Identitätsprinzip
und diese materialistische Objektsbestimmung erwies sich immer mehr
als unmöglich, um auf ihrer Grundlage die tauschwirtschaftlichen
Vorgänge, insbesondere Preis- und Einkommensbildung erklären zu
können, und deshalb ist man in neuester Zeit bestrebt, nicht die
materialistische Auffassung zu beseitigen, aber sie durch ein weiteres
Merkmal zu ergänzen und damit das Objekt der ökonomischen
Wissenschaft einzuschränken und näher zu begrenzen. Es ist also
das Charakteristikum aller dieser neuen Bestrebungen, daß sie an
der materialistischen Grundlage der Wirtschaft, die, weil von
alters her überliefert, als Axiom gilt, festhalten, daß sie aber durch
Hineintragung eines anderen Gesichtspunktes und Identitätsprinzips
das Objekt der „Sozialökonomik“ enger abzugrenzen trachten. Alle
diese Versuche "können wir unter der Bezeichnung Versuche
einer sozialen Objektsbestimmung zusammenfassen.
Die Vertreter der soziologischen Richtungen sprechen allerdings
meist nicht von einem sozialen Objekt der Wirtschaftswissen-
schaft, sondern von einer „sozialen Betrachtungsweise“.
Diese wird gewöhnlich als selbstverständlich angesehen, und die Ver-
treter der Privatwirtschaftslehre haben es dann leicht, das Vor-
handensein einer besonderen privatwirtschaftlichen Be-
trachtungsweise zu begründen. Wir werden aber zeigen, daß die
Unterscheidung dieser beiden sogenannten „Betrachtungsweisen“,
3*
36 Robert Liefmann,
deren logische Natur man niemals näher untersucht hat, in der
Hauptsache nichts anderes ist als die Frage nach dem Objekt
der Wirtschaftswissenschaft. Die Privatwirtschaftslehre untersucht
ein Teilobjekt der allgemeinen Wirtschaftswissenschaft, die „soziale
Betrachtungsweise“ aber, wie sie heute vielfach gefordert wird, be-
ruht, wie wir unten sehen werden, auf Unklarheiten und falschen
Anschauungen über den Zweck der Wirtschaft.
Wir haben als Vertreter der sozialen Betrachtungsweise im
vorigen Kapitel schon Stammler und Diehl kennen gelernt und
haben uns jetzt noch mit anderen Anhängern dieser Richtung zu
beschäftigen, mit Amonn und Stolzmann, die mit ihren methodo-
logischen Erörterungen dem eigentlichen logischen Kern des Problems
schon näher kommen, weshalb wir unsere Anschauung darüber an
ihrer Besprechung erläutern können.
Alfred Amonn, dem wir uns zuerst zuwenden, ist in seinem
Buche: Objekte und Grundbegriffe der theoretischen
Nationalökonomie, 1911, in Vertretung des sozialen Charakters
der Volkswirtschaftslehre und in der Ablehnung der individualistischen
Betrachtungsweise mit seinen positiven Ergebnissen nicht über
Stammler hinausgekommen, den er aber — eine wissenschaftliche
Nachlässigkeit, die er einmal klarstellen müßte — mit keinem
Worte erwähnt. Ich habe von Amonns Auffassung schon in dem
Aufsatz über das Wesen der Wirtschaft gesprochen. Er will das
Objekt der Nationalökonomie, die „sozialen Verkehrsbeziehungen“,
nur da erblicken, wo mehrere Personen auf Grund des
Privateigentums und des Geldes miteinander in Tausch-
verkehr treten. Er glaubt überall besondere „Sozial“-Begriffe
konstruieren zu können und bemüht sich auch, sie zu definieren.
Diese Definitionen und Voraussetzungen, mit denen er arbeitet, sind
aber so künstlich und kompliziert, daß schon dadurch allein eine
Erklärung der wirtschaftlichen Probleme, geschweige denn eine
bessere Erklärung als durch die individualistische Betrachtung, die
diese Voraussetzungen nicht braucht, sehr in Frage gestellt erscheint.
So entstehen nach Amonn alle spezifisch sozialökonomischen Probleme
„nur bei einem sozialen(!) Tausch, d. h. bei einem zwischen
mehreren Personen auf Grund eines sich gegenseitig bedingenden
und miteinander korrespondierenden (?) Willens sich vollziehenden
Tausche“. Daß das klar sei, wird man nicht behaupten können,
ebensowenig was nun das Wesen eines „nicht-sozialen“ Tausches ist.
Der soziale Tausch setzt weiter „eine bestimmte Form des Tausches
oder sozialen Verkehrs“ — statt Tausch wird gern der unklare Aus-
druck „sozialer Verkehr“ verwendet — voraus, „d. h. eine unabhängig
vom Willen des Tauschenden geltende soziale Ordnung der
Organisation des sozialen Tauschverkehrs“. „Diese wird charak-
terisiert durch die folgenden vier wesentlichen Momente: 1) die
Anerkennung eines in gewisser Hinsicht ausschließlichen (d.h.
von allen anderen zu respektierenden, aber nicht notwendig unbe-
schränkten) individuellen Verfügungsrechts über äußere, d. h.
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 37
außerhalb der Person eines der Tauschenden befindliche Objekte
(als Voraussetzung des Tausches); 2) die Anerkennung eines freien,
d. h. ganz von dem individuellen Willen der sozialen Verkehrs-
subjekte abhängigen Wechsels dieses Verfügungsrechts (als Zweck
des Tausches) zugleich mit der dauernden Bindung an die einmal
getroffene Verfügung; 3) Freiheit (d. h. lediglich vom indivi-
duellen Willen der Tauschenden abhängige Möglichkeit) der Be-
stimmung des quantitativen Verhältnisses der auszu-
tauschenden Verkehrsobjekte! (weil darin alle nationalökonomischen
Probleme, speziell das Preisproblem, wurzeln!); 4) die Anerkennung
eines allgemeinen sozialen Wertmaßes (!) und Tauschmittels (als
Bedingung der Vergleichungsmöglichkeit dieser sozialen Tausch-
oder Verkehrsakte).“
Man sieht, daß auch hier, wenn auch stark verklausuliert und
umschrieben, in den Punkten 1, 2 und 3 die Rechtsordnung
eine entscheidende Rolle spielt. Denn auch für Amonn ist die
materialistische Auffassung der Wirtschaft Dogma, und wenn man
einmal darin festgefahren ist, gibt es kein anderes Mittel als
die „soziale Regelung“, um die wirtschaftlichen Erscheinungen von
der Technik zu unterscheiden. Sehr charakteristisch dafür ist auch
unter 3 die „Freiheit der Bestimmung des quantitativen Verhältnisses
der auszutauschenden Verkehrsobjekte“, als ob es beim Tausch auf
Quantitätsverhältnisse ankäme!l Aber allerdings das ist die Kon-
sequenz der materialistischen Auffassung, und hier haben offenbar die
„mathematischen Nationalökonomen“ mit ihren Quantitätsgleichungen
auf Amonn eingewirkt. Einen Grundfehler seiner Auffassung, den
Amonn allerdings mit allen bisherigen Theorien teilt, enthält dann,
um nur das Wichtigste zu erwähnen, die 4. Voraussetzung: das Geld
gibt keine „Vergleichungsmöglichkeit sozialer Tauschakte“ d. h. doch
offenbar eine soziale Vergleichungsmöglichkeit, Vergleichungsmöglich-
keit für eine „soziale Betrachtungsweise“. Denn das Geld und die
Geldausdrücke, die Preise, bieten noch nicht einmal eine indivi-
duelle Vergleichungsmöglichkeit, eine solche innerhalb der einzelnen
Wirtschaft. Daß ein Paar Stiefel und eine Reise von Berlin nach
Frankfurt beide 20 M. kosten, bedeutet keinerlei soziale Gleich-
artigkeit, sondern diese Preise bedeuten trotz ihrer Gleichheit für
jeden etwas Verschiedenes, sind daher zwischen mehreren Personen
nicht vergleichbar. Sie können daher auch nur aus ihrer individuellen
Bedeutung erklärt werden. Aber auch für das Individuum be-
deuten sie nur gleiche Kosten, nicht aber gleichen Nutzen. Mit
anderen Worten, die Preise sind niemals, auch nicht für dasselbe
Individuum der Ausdruck eines subjektiven Wertes. Das betone ich
Jetzt seit 10 Jahren, leider noch immer ohne Erfolg. Mit der Er-
kenntnis jenes Grundirrtums über das Wesen und die Bedeutung
des Geldes erweist sich aller Objektivismus und alle soziale Be-
trachtungsweise als unmöglich. Sie führt mit logischer Notwendig-
keit zur psychischen Auffassung der Wirtschaft. Wann werden
unsere Nationalökonomen das einsehen ?
38 Robert Liefmann,
Es ist klar, daß diese Beschränkung der Wirtschaftswissen-
schaft auf ausschließlich tauschwirtschaftliche Vorgänge, wobei
also deren letzte Ursache, die wirtschaftlichen Erwägungen der ein-
zelnen Menschen ganz außerhalb ihres Gebietes bleiben sollen, eine
reine Verlegenheitsmaßregel, eine bloße Ausflucht ist. Man nahm
sie vor, bezw. glaubte sich zu ihr gezwungen, weil es bisher, wie
u. a. Amonn offen eingesteht, nicht gelungen war, das Wesen der
Wirtschaft so zu erfassen, daß ihre Einheitlichkeit, die Gleich-
artigkeit der sie leitenden Prinzipien sowohl in der Einzelwirtschaft
als auch beim Tauschverkehr hervortrat. Das hat seinen Grund in
der falschen technisch-materialistischen Auffassung des Inhaltes der
Wirtschaft, wonach sie eine Beziehung des Menschen zu den Gütern
der Außenwelt bedeutet. Von dieser Auffassung aus hatte man
trotz unendlichen Bemühens die Erscheinungen des Tauschverkehrs
nicht erklären können.
Man verfiel nun aber nie darauf, zu erörtern, ob nicht das
Wesen der Wirtschaft anders gefaßt werden müsse — und daß das
nie geschah, ist zweifellos ein gewaltiges Armutszeugnis für die
heutige Wissenschaft — sondern nahm in der geschilderten Weise
eine einschränkende Abgrenzung vor, welche dadurch, daß man einen
fremden Gesichtspunkt, Rechtsordnung, gesellschaftliche Erschei-
nungen, hineintrug, die ökonomischen Probleme mit denen anderer
Wissenschaften, insbesondere der Soziologie, vermischte.
Als Folge dieser Abgrenzung ergibt sich die Merkwürdigkeit,
daß die Wirtschaftswissenschaft oder Sozialökonomik ihrem Wesen
nach nicht etwa durch das Oekonomische, sondern eben durch die
soziale Regelung oder durch Amonns verschiedene „Voraussetzungen
sozialer Verkehrsbeziehungen“ bestimmt werden würde. Da es aber
außer der Sozialökonomik auch noch andere Sozialwissenschaften
gibt, so ist die Bezugnahme auf die Rechtsordnung oder auf die
sozialen Verkehrsbeziehungen keine Begriffsbestimmung des Sozialen.
Man weiß daher nicht, welches der Kreis der Erscheinungen ist,
die das Hineintragen des in der üblichen Weise materialistisch auf-
gefaßten Oekonomischen auf einmal zum Gegenstand der Sozial-
ökonomik machen soll. Und endlich bleibt vollkommen unklar, was
denn aus denjenigen ökonomischen Vorgängen wird, die nun nicht
Gegenstand der Sozialökonomik sein sollen. Es ist kein Zweifel,
daß diese ganze künstliche Bestimmung des Objekts der Sozial-
ökonomik dem, was man von jeher als wirtschaftliche Probleme
angesehen hat und was man im täglichen Leben wirtschaftliche
Vorgänge nennt, nicht gerecht wird.
Alledem gegenüber hätte es wahrhaftig nahegelegen, einmal zu
untersuchen, ob nicht das Wesen der Wirtschaft ganz anders
aufgefaßt werden müsse. Sonst hätte man längst zur psychischen
Auffassung kommen müssen. Man begnügte sich damit, in der
geschilderten Weise eine einschränkende Abgrenzung vorzunehmen,
welche dadurch, daß man einen fremden Gesichtspunkt, Rechts-
ordnung, gesellschaftliche Erscheinungen u. dgl. hineinzog, zu-
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 39
gleich auch wieder eine Erweiterung und Verbreiterung, also eine
Vermischung des Objekts der Wirtschaftswissenschaft mit anderen
bedeutete.
Sehen wir nun aber zu, wie die Vertreter dieser Richtung ihr
soziales Objekt oder ihre soziale Betrachtungsweise begründen. Was
wird als Begründung dafür angegeben, daß in der Wirtschafts-
wissenschaft nicht das Wirtschaftliche als das logisch Ein-
heitliche angesehen, sondern aus dem Wirtschaftlichen alles das
abgetrennt wird, was nicht sozial bedingtundsozial bedeut-
sam ist? Denn es bedarf doch wohl einer besonderen Begründung,
daß die Sozialökonomik gar nichts mit der Oekonomik zu tun haben
solle, daß ihr Inhalt jedenfalls nicht durch das Oekonomische,
sondern allein durch den doch zweifellos recht unklaren Begriff
sozial bestimmt werden, und daß analog wohl auch die Sozial-
psychologie nichts mit Psychologie, die Sozialethik nichts mit Ethik
zu tun haben soll!). Diese Begründung findet man, abgesehen von
dem negativen Umstande, daß es eben auf Grund der bisherigen
Auffassung des Wirtschaftlichen nicht gelang, die Tauschvorgänge
befriedigend zu erklären, einzig und allein in einem methodologischen
Begriffe, dem der Sozialwissenschaft. Die Nationalökonomie
sei, so argumentiert z. B. Amonn, eine Sozialwissenschaft, und daher
sei es unmöglich, das Wirtschaftliche zu ihrem Identitätsprinzip zu
machen. Es gäbe auch soziale Erscheinungen weit über den Kreis
des Wirtschaftlichen hinaus. Diese müsse man also ausschalten,
wenn die Nationalökonomie eine Sozialwissenschaft sei. Wirtschaft-
lich und sozial seien zwei ganz heterogene Begriffe, und es käme
darauf an, die wirtschaftliche Sozialwissenschaft von anderen Sozial-
wissenschaften zu unterscheiden. Man hätte daher das Kriterium
zu finden, durch das aus den allgemeinen sozialen Beziehungen
sozialökonomische Beziehungen entstehen. Das ist durchaus
folgerichtig, aber man erkennt, daß diese ganze Beweisführung
allein an dem Satze hängt, daß die Volkswirtschaftslehre eine
Sozialwissenschaft sei. Wir werden unten zeigen, daß von einem
derart allgemeinen und dazu noch durchaus unklaren Begriff der
Inhalt einer Wissenschaft nicht bestimmt werden kann, deren Probleme
und Aufgabe durch die Beobachtung und Erfahrung klar vorliegen.
Das Problem, wie die tauschwirtschaftlichen Vorgänge auf subjektive
Bedarfsempfindungen zurückzuführen seien, läßt sich nun einmal
nicht durch Statuierung einer Sozialökonomik als Zweig der Sozial-
wissenschaft hinwegdisputieren. Daher hat auch Amonn zugeben
müssen, daß man schließlich doch auf individualistische Begriffe
komme, daß die kausale Erklärung des Preises auf den subjektiven
Wertbegriff (richtiger gesagt: auf individuelle Bedürfnisse) zurück-
führe (a. a. O. S. 366). Das ist ja nun eine Binsenwahrheit, eine
1) Worauf E. Heimann mit Recht aufmerksam macht: Methodologisches zu
den Problemen des Wertes und des wirtschaftlichen Prinzips. Archiv für Sozialwissen-
schaft u. Sozialpolitik, Bd. 37, S. 758 ft.
40 Robert Liefmann,
Selbstverständlichkeit, aber sie wird von den Vertretern der sozialen
Betrachtungsweise, die für alle individuellen wirtschaftlichen Vor-
gänge blind sind, vollkommen übersehen. Was bleibt aber von der
ganzen mühsamen Begründung der Sozialökonomik durch Amonn
übrig, wenn er selbst zugeben muß, daß „die Nationalökonomie hier
zum Zwecke der vollständigen Auflösung eines ihr eigentümlichen
Problems über ihre methodologischen Grenzen hinausgeht“? Mit
Recht wendet E. Heimann dagegen ein!), daß damit die National-
ökonomie als selbständige Wissenschaft abdanke, und daß der Preis,
da er zweifellos das Hauptproblem der Sozialökonomik ist, nicht
ihr Grundbegriff sein könne Wenn Amonn aber zugibt, daß für
die Erklärung der Preisbildung „die nationalökonomische Betrachtung
zum Zwecke der vollständigen Auflösung eines ihr eigentümlichen
Problems über ihre methodologischen Grenzen“ hinausgehen muß,
so dürfte es doch wohl richtiger sein, diese „methodologischen
Grenzen“ zu revidieren, und es dürfte naheliegend sein, daß jene
vier recht unklaren und künstlich konstruierten Voraussetzungen
oder „Bedingungen des sozialen Verkehrs“, welche die spezifisch
sozialökonomischen Probleme, das Erkenntnisobjekt der National-
ökonomie bestimmen sollen, zweckmäßiger durch andere ersetzt
werden, die das Erkenntnisobjekt in einer Weise bestimmen, daß
man für die Erklärung der Hauptprobleme nicht alsbald über seine
Grenzen hinausgehen muß.
So zeigt sich auch methodologisch, daß die soziale Betrachtungs-
weise die Untersuchung der Einzelwirtschaften nicht entbehren kann,
und es würde sich noch viel mehr zeigen, wenn sie mehr über das
Stadium methodologischer Erörterungen hinaus zu einer positiven
Theorie gekommen wäre. Denn ganz abgesehen von aller Methodologie,
ist doch schon für den einfachen Menschenverstand klar, daß das,
was alle Welt als wirtschaftliche Erscheinungen und Probleme kennt,
nur auf der Grundlage der Kenntnis der Einzelwirtschaften und
ihrer Handlungen und Erwägungen erklärt werden kann. Denn es
ist selbstverständlich, daß alle Erscheinungen des Tauschverkehrs,
auch die kompliziertesten, wie die Preisbildung, ja selbst das Geld in
seiner wirtschaftlichen Funktion, letzten Endes auf die Bedürfnisse
der Einzelwirtschaften zurückgehen und aus ihnen erklärt werden
müssen.
Da das die Aufgabe der Wirtschaftstheorie ist und, auch wenn
die Volkswirtschaft ein noch so geschlossener, einheitlicher Gesam t-
körper wäre, sie von dieser Aufgabe, den Tauschverkehr auf die Be-
dürfnisse der Individuen zurückzuführen, nicht entlastet werden
könnte, so haben alle jene Konstruktionen einer sozialen Betrachtungs-
weise oder eines sozialen Objekts auch als Hilfsmittel des Denkens
oder Erkennens keinerlei Berechtigung. Sie sind, wie schon gesagt,
nichts weiter als ein Verlegenheitsmittel, um überhaupt ein wirt-
schaftliches Objekt von der Teehnik, die man mit der Wirtschaft
verwechselte, abtrennen zu können.
1) a. a. O. S 764.
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 41
Dabei kam ihr, außer der Bedeutung, die der Staat und seine
Politik für die wirtschaftlichen Verhältnisse hat und von der wir
später noch sprechen werden, vor allem auch der Ausdruck Volks-
wirtschaft entgegen. Denn es ist offenbar: im Hintergrund der
ganzen sozialen Betrachtungsweise steht immer der Irrtum, als ob die
„Volkswirtschaft“, „Sozialwirtschaft“, „Gesamtwirtschaft“, und wie
die von den Anhängern dieser Richtung beliebten Ausdrücke alle
heißen, selbst eine Wirtschaft sei, Das ist ja durch die Ge-
schichte der Wissenschaft, ihre Verwechslung mit der Volkswirt-
schaftspolitik, den heute noch herrschenden Gedanken der Ver-
tlungslehre u. dgl. erklärlich. Wären die tauschwirtschaftlichen
Beziehungen eine Einheit, eine Wirtschaft oder etwas Aehnliches, so
wire der „soziale Körper“, von dem man auszugehen hätte, allein die
„Weltwirtschaft“. Sie ist im Gegensatz zur Volkswirtschaft ein
rein wirtschaftlicher Begriff. Volkswirtschaft ist, wie wir
unten zeigen werden, ein politisch-wirtschaftlicher Begriff, der
einen nicht-wirtschaftlichen Gesichtspunkt, den Staat, mitherein-
zieht; daß man von ihm aus die tauschwirtschaftlichen Vorgänge
nicht erklären kann, erkennt man aber erst deutlich vom Standpunkt
derpsychischen Auffassung der Wirtschaft aus. Nach der herrschenden
Auffassung, für die Wirtschaft = Technik, wirtschaften = pro-
duzieren ist, kann man schließlich ebensogut sagen, die Volkswirt-
schaft produziert, wie die Einzelwirtschaft produziert. Erst wenn man
erkennt, daß Wirtschaften überhaupt nicht Produzieren, nicht der
technische Akt der Güterbeschaffung, sondern etwas Psychisches, ein
Disponieren ist, wird auch klar, daß der Tauschverkehr, der
tauschwirtschaftliche Mechanismus keine Wirtschaft ist, überhaupt
nichts von einem einheitlichen Willen Geleitetes und durch einen
einheitlichen Zweck Geschaffenes. Sondern er ist nichts weiter als
Beziehungen zwischen Einzelnen, von denen jeder formal dieselben
Zwecke verfolgt, aber im Widerstreit mit denen der anderen. Daraus
ergeben sich von selbst, ohne bewußtes Eingreifen, die tauschwirt-
schaftlichen Erscheinungen und Vorgänge, wie Preis, Einkommen,
Kapital, Kredit, Krisen usw., die in ihrer Entstehung und in ihrem
Zusammenhang zu erklären Aufgabe der ökonomischen Theorie ist.
Daher ist die Frage, die Diehl aufwirft, ganz falsch gestellt,
ob es „die erste Aufgabe sei, die Einzelwirtschaft und nicht die
Gesamtwirtschaft zu betrachten“, denn es gibt eben keine Gesamt-
wirtschaft. Der Vorstellung von der Gesamtwirtschaft liegt
immer der Gedanke der Volkswirtschaft zugrunde, der wirtschaft-
lichen Verhältnisse und Beziehungen in einem bestimmten Staate.
Für die Wirtschaftstheorie, für die allgemeine Erklärung der tausch-
wirtschaftlichen Vorgänge aber gibt es eben keine Volkswirtschaft
— sonst müßte man auch angeben, welche Volkswirtschaft gemeint
ist —, da gibt es nur Beziehungen zwischen Einzelwirtschaften,
wobei es ganz gleich ist, ob diese nur der deutschen Volkswirtschaft
oder zum Teil auch der französischen, amerikanischen, chinesischen
angehören. Ich will ein Beispiel anführen, das anscheinend geeignet
ist, den Vertretern der sozialen Betrachtungsweise recht zu geben,
42 Robert Liefmann,
weil es den wirtschaftlichen Faktor heranzieht, bei dem am we-
nigsten von der rechtlichen Regelung abstrahiert werden kann, das
Geld. Wenn ein deutscher Kaufmann mit einem ausländischen in
Tauschverkehr tritt, vollzieht sich die Preisbildung wegen der Ver-
schiedenheit der Währung und der Valutaverhältnisse, die von den
gesamten internationalen Beziehungen der beiden „Volkswirtschaften“,
hier im wahren Sinne, abhängig sind, zweifellos”in vieler Hinsicht
anders, als wenn zwei deutsche Kaufleute in Tauschverkehr treten.
Und dennoch: die allgemeine Erklärung der Preisbildung, die
Preistheorie, ignoriert die Verschiedenheit des Geldes, die staat-
lichen und die volkswirtschaftlichen Einwirkungen darauf, den Stand
der Wechselkurse vollkommen. Sie nimmt einfach ein allgemeines
Tauschmittel, einerlei welcher Art, als gegeben an, und ihre Er-
klärung gilt für jeden Preis, ohne Rücksicht auf das Geld, in
dem er ausgedrückt wird, ohne Rücksicht darauf, ob er in einer Volks-
wirtschaft entsteht oder zwischen Angehörigen verschiedener Volks-
wirtschaften. Von einer „Gesamtwirtschaft“, die dadurch zwischen
den Tauschenden gebildet würde, einem „sozialen Körper“ mit eigenen
Zweckplan kann keine Rede sein. Gerade die „soziale“ Erfassung
des Preises, d. h. die Erkenntnis und Erklärung der gegenseitigen
Bedingtheit, des Zusammenhangs aller Preise, die allen bis-
herigen Theorien fehlt, erfolgt, ohne daß die Tauschenden dabei zu
einer Gesamtwirtschaft, zu „Gemeinschaftsbeziehungen“ „zusammen-
geschlossen“ gedacht werden. Was sie tatsächlich oft Gemeinsames
haben können, eine gewisse Gleichartigkeit der Bedürfnisse, die bei
Deutschen oft anders gerichtet sind als bei Franzosen, bei Arbeitern
oft anders als bei den besitzenden Klassen, die Berücksichtigung
solcher soziologischer Momente, die bei den einzelnen
Güterarten sehr verschieden auf ihre Preise einwirken, das ge-
hört nicht in die allgemeine Preistheorie, die für alle Preise gilt.
Wohl kann die Wirtschaftswissenschaft weiterhin auch den Einfluß
soziologischer Momente, Sitte, Gewöhnung u. dgl. auf die Bildung
einzelner Preise untersuchen, aber es ist klar, daß auch alle solche
Momente die tauschwirtschaftlichen Beziehungen niemals zu einer
Einheit, einer Gesamtwirtschaft machen.
Diese falsche Auffassung spielt heute in den verschiedensten
Formen eine Rolle, so z. B. neuestens bei v. Wieser im Grundriß
für Sozialökonomik (Bd. I $ 2). Er legt seinem ganzen theoretischen
System eine völlig falsche und unklare Auffassung zugrunde, wenn
er sagt, „die Theorie der einfachen Wirtschaft geht von der ideali-
sierenden Annahme aus, daß das Subjekt der Wirtschaft eine einzige
Person sei; doch ist es keineswegs die dürftige Wirtschaft eines
isolierten Robinson, sondern die Verhältnisse der Gütererzeugung sind
in der ganzen großen Ausdehnung gedacht, die nur durch die Tätigkeit
eines Volkes erreicht werden kann, dabei ist aber die millionenköpfige
Volksmenge als eine Einheit zusammengefaßt, so wie man die Mensch-
heit als eine Einheit der Natur gegenüberzustellen pflegt“ ($ 2).
Das ist eine logische Unmöglichkeit. Wirtschaften tun nur die ein-
zelnen Menschen, und man kann den einzelnen wirtschaftenden Men-
Ueber Objekt, Wesen nnd Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 43
schen in den Tauschverkehr hineingestellt betrachten oder natural-
wirtschaftlich, etwas anderes gibt es nicht. Beim Wirtschaften wird
aber nicht „die ganze Menschheit als Eins gedacht der Natur gegen-
übergestellt“ (ebenda), das ist die alte Verwechslung von Wirtschaft
und Technik, wirtschaften und produzieren, während Wirtschaften
einDisponieren, also eine psychische Erscheinung und in seinen
Wirkungen im Tauschverkehr ein Verhältnis von Mensch zu Men-
schen ist.
Denselben Fehler bedeutet es auch, wenn Diehl und andere die
Einzelwirtschaften als „dienende Glieder“ der sozialen Gesamt-
heit, als „Funktionäre wichtiger sozialer Dienste“ hinstellen, oder wenn
es heute bei vielen Vertretern dieser Richtung üblich wird, von der
„gesellschaftlichen Funktion“ der Einzelwirtschaften zu
sprechen. Es ist das ein sehr naheliegender Ausweg aus einem Di-
lemma, in das die technisch-materialistische Auffassung der Wirt-
schaft unsere Theoretiker bringt, und aus dem sie sich eben nur
mit der Sozialökonomik, der sozialen Betrachtungsweise retten
können. Fragt man nämlich, welches der Zweck einer Erwerbs-
wirtschaft, beispielsweise einer Schuhfabrik sei, so wird man regel-
mäßig die Antwort erhalten: natürlich Schuhe zu produzieren. Das
ist die Konsequenz der technisch-materialistischen Auffassung. Wenn
man darauf hinweist, daß das doch sicher nicht der Zweck des Schuh-
fabrikanten sei, der ihn offenbar mit der Herstellung der Schuhe
keineswegs als erfüllt ansehe, so wird geantwortet: „Ja, Gewinn-
erzielung ist der privatwirtschaftliche Zweck, Schuhe herzu-
stellen aber „selbstverständlich“ der volkswirtschaftliche Zweck“.
In diesem kleinen Beispiele ist in nuce die einzigste Begründung
der sozialen Betrachtungsweise enthalten. Sie liegt in der herge-
brachten materialistischen Auffassung, der Verwechslung von Wirt-
schaft und Technik. Und man erkennt daraus, daß sie darauf
hinausläuft, in der Volkswirtschaft, im Tauschverkehr ein Gebilde
mit eigenem, von dem der Einzelwirtschaften verschiedenem Zweck
zu sehen. Auch der Ausdruck „gesellschaftliche Funktion“, der,
von der Mathematfk hergenommen, an sich eine ganz unbestimmte
„Beziehung“ bedeutet, dient in der ökonomischen Theorie meist dazu,
die klare logische Kategorie Zweck und Mittel zu verschleiern.
Daher ist derartigen Ausdrücken, die leider heute sehr häufig sind,
mit dem größten Mißtrauen zu begegnen.
Wir erkennen jetzt aber: Die ganze Frage der sozialen Be-
trachtungsweise oder des sozialen Objekts läuft hinaus auf die Be-
stimmung der Zwecke im Wirtschaftsleben und ihrer Subjekte.
Vondem Zweck der Volkswirtschaft soll daher im folgenden
Paragraphen noch die Rede sein.
3. Der Zweck in der Volkswirtschaft.
Eine soziale Betrachtungsweise ist mit mehr oder weniger Klar-
heit von manchen gefordert worden, Stammler, Diehl, Amonn
sind hier vor allem zu nennen, v. Zwiedineck scheint von einem
44 Robert Liefmann,
Eklektizismus zwischen individualistischer und sozialer Betrachtungs-
weise zu träumen und auch bei v. Wieser zeigen sich Anklänge
in dieser Richtung, die aber sicher eher geneigt sind, abschreckend
zu wirken. Ein wirklicher Versuch, mit der sozialen Betrachtungs-
weise die wirtschaftlichen Erscheinungen zu erklären, obgleich man
von einem theoretischen System auf dieser Grundlage kaum reden
kann, ist bisher nur von R. Stolzmann mit seinen beiden Werken:
Die soziale Kategorie in der Volkswirtschaft, 1896,
und Der Zweck in der Volkswirtschaft, 1909, gemacht
worden. Wenn er auch als verfehlt zu bezeichnen ist, weil er die
Lösung der Probleme des Tauschverkehrs, insbesondere die Erklärung
der Preis- und Einkommensbildung nicht fördert, da er trotz anderen
Ausgangspunktes auf dem gleichen Grundfehler wie die bisherige
Theorie, auf der materialistischen Auffassung der Wirtschaft beruht,
so ist er doch sehr viel anerkennenswerter als die Worte der Nur-
Methodologen, denen die Taten nicht folgen.
Neuestens hat Stolzmann in den beiden schon erwähnten
Aufsätzen: Die Kritik des Subjektivismus an der Hand
der sozialorganischen Methode und Die Kritik des Ob-
jektivismus und seine Verschmelzung mit dem Sub-
jektivismus zursozialorganischen Einheit (Bd. 103 u. 104)
seinen Standpunkt auch methodologisch sehr viel schärfer formuliert
und für die von ihm behauptete Notwendigkeit der sozialen Be-
trachtungsweise, der „sozialorganischen Methode“, wie er es nennt,
eine sehr viel tiefer gehende und klarere Begründung gegeben als die
angeführten, einer wirklichen Begründung entbehrenden Forde-
rungen Diehls. Stolzmann argumentiert, möglichst kurz gefaßt,
folgendermaßen (Die Kritik des Subjektivismus, S. 145): Er will den
„Dualismus der objektivistischen und subjektivistischen
Schulen, deren hartnäckiger Streit die Wissenschaft seit einem halben
Jahrhundert erschüttert, überwinden“, indem „die streitenden Prin-
zipien sich der Einheit eineshöheren Prinzips unterzuordnen
haben“. „Das ist das Sozialprinzip, der soziale Gedanke, der
in der Lehre vom wirtschaftlichen Seinsollen und auf dem Gebiete
der praktischen Politik schon heute gesiegt hat. Wie dort die ‚soziale
Frage‘ als ein Problem der Organisation erkannt wird, so muß in
der Lehre vom wirtschaftlichen Sein die bestehende Volkswirtschaft
als ein ‚Organismus‘ erfaßt werden; aber, um alle materialistische
Mißdeutung schon an der Schwelle abzuweisen, nicht als ein Or-
ganismus im Sinne eines Naturgebildes, das man seinem Gange zu
überlassen hat, sondern als ein historisch-variables Zweckgebilde, als
eine geistige Schöpfung, die, trotz aller ihrer naturgegebenen Be-
dingungen, ein Menschenwerk bleibt, und deshalb auch von den
Menschen geändert und gebessert werden kann.“
Auch für Stolzmann sind nicht bloße Beziehungen, Tauschver-
kehrsvorgänge zwischen zahlreichen, dadurch miteinander ver-
flochtenen Einzelwirtschaften das Objekt der „Sozialökonomik“,
sondern er kann sie sich — das ist ihm nun einmal ebenso wie bei
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 45
Diehl Glaubenssatz — nur als eine Einheit, als einen Organismus, als
einen „sozialen Gesamtkörper“ vorstellen. Diese Einheit soll durch
die Rechtsordnung geschaffen werden. Daß diese Einheit eine Fiktion
ist, daß der nicht durch das Dogma und den Glauben getrübte Blick
bei der Beobachtung der wirtschaftlichen Erscheinungen in der ganzen
Welt — natürlich kann man die wirtschaftlichen Vorgänge auch vom
national-politischen, vom gesellschaftlichen, vom ethischen usw. Stand-
punkt aus betrachten, aber das ist eben nicht der wirtschafts-
wissenschaftlicke — nur Tauschvorgänge zwischen Einzelwirt-
schaften sieht und daß daraus sich die Preise und Einkommen er-
geben und daher auch so erklärt werden müssen, das will eben
Stolzmann nicht wahr haben. Es ist geradezu drollig, zu sehen, wie
bei ihm, wenn er einmal zugeben muß, daß schließlich auch! (wie er
behauptet) die individuellen Bedürfnisse den Tauschverkehr organi-
sieren, doch alsbald immer wieder ein neues soziales Schlagwort
auftaucht.
Ich hätte keine Veranlassung, auf diese durch die zahllosen
fiktiven Sozialbegriffe gänzlich abwegigen Gedankengänge einzugehen,
wenn nicht trotz alledem Stolzmanns Begründung seiner Betrach-
tungsweise sehr viel tiefer griffe als die Diehls und die Kritik
daher hier vor allem einzusetzen hat und dabei auch schlagend die
Unmöglichkeit dieser ganzen Betrachtungsweise nachweisen kann.
Stolzmann geht nämlich insofern über Diehl hinaus, als er — eine
Konsequenz, die dieser natürlich auch ziehen müßte — seiner „Volks-
wirtschaft“, seinem „sozialen Gesamtkörper“, seiner „Gesamtwirt-
schaft“ auch einen eigenen Zweck zuschreibt. Das ergibt
sich schon aus dem Titel seines Hauptwerks: „Der Zweck in der
Volkswirtschaft, die Volkswirtschaft als ethisch-soziales Zweck-
gebilde* und aus Dutzenden von Stellen in seinen Werken. Ich
führe nur zwei Stellen aus seinen beiden letzten Aufsätzen an,
in denen er von dem „Zweckplan der Volkswirtschaft“ (S. 175),
von der „planmäßigen Organisation des sozialen Körpers“ (S. 176),
vom „sozialen Produktionsplan“ (S. 181), vom „Zweck des über-
geordneten sozialen Ganzen“ (S. 184) u. dgl. spricht. S. 183 heißt
es unter anderem: „Ueber diesen beiden Zwecken (der Produzenten
und der Konsumenten!) steht ein dritter Zweck, ein Zweck
höherer Ordnung, der organische ‚Zweck der Volkswirtschaft‘, der
jene beiden Zwecke erst einheitlich zusammenfaßt.“ Alle solche
Phrasen sind um so willkürlicher, als nun niemals untersucht wird,
worin denn dieser angebliche soziale „Zweckplan“ besteht. Fragt
man Stolzmann danach, so kommt er immer nur wieder auf die
Zwecke von Individuen. „Der gesellschaftliche Körper — so glaubt
Stolzmann auf meine Kritik erwidern zu können, daß es keine
Sozialwirtschaft und keinen sozialen Gesamtkörper gäbe — schwebt
nicht als abstrakter Astralleib über den Individuen, sie sind sein
Zweck und Inhalt, das Gesellschafts- und das Individualinteresse
sind solidarisch und komplementär.“ „Was ich mit dem Begriffe
des ‚Zwecks in der Volkswirtschaft‘ anstrebte, ist gerade die Er-
46 Robert Liefmann,
kenntnis der ‚Beziehungen‘ zwischen den Einzelwirts Chaften,
nur daß ich lehre, sie iori
wird ganz einfach mit einer neuen sozialen Phrase, dem „Sozialen
Gesetze“ geantwortet! Wenn Stolzmann wirklich die wirtschaft-
„Sozialorganische Zweckbetrachtung“ wahrscheinlich aufgegeben.
Schließlich wären alle solche Konstruktionen nicht unzulässig, wenn
es damit gelänge, wirklich die Tatsachen des wirtschaftlichen Lebens
stehen nicht mehr am Ende wie bei der kausalen Betrachtung,
sondern sie werden als der erste Zweck des sozialen Körpers an-
gesehen. Hier kam nun — das muß zur Entschuldigung von Stolz-
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 47
in jeder anderen Wissenschaft unmöglich wäre. An diese Ver-
teilungslehre konnte Stolzmann mit seiner Erklärung der Einkommen
als sozialer Zweck in gewisser Hinsicht anknüpfen. Und während
die bisherige materialistische Theorie das Umschlagen in die soziale
Betrachtung bei der Einkommenslehre, also die Aufstellung einer Vertei-
lungslehre deshalb machen mußte, weil man mit der materialistischen
Auffassung eben nicht zur Erklärung der Geldeinkommen gelangen
konnte, konnte Stolzmann von seinem Standpunkt aus mit etwas
größerem Rechte an der materialistischen Auffassung der Einkommen
festhalten. Seine „Nahrungseinheit“, die nach ihm, aber in sehr un-
klarer Weise, das die „Verteilung“ Bestimmende ist, kommt, alles
natürlich vom materialistischen Standpunkt, in der Konzeption meinem
Begriff des tauschwirtschaftlichen Grenzertrags in gewisser Hin-
sicht nahe.
Wenn Stolzmann trotzdem mit seiner Theorie gar keinen Ein-
fluß gehabt und von Befürwortern der sozialen Betrachtungsweise,
wie Amonn und Zwiedineck, nicht einmal erwähnt wird — des
ersteren Ignorierung Stammlers und Stolzmanns ist allerdings in
keiner Weise zu rechtfertigen —, so liegt das an zwei Gründen.
Einmal an der Unmöglichkeit seiner Voraussetzungen. Diese soziale
Gesamtwirtschaft mit ihrem sozialen Zweckplan, die ganze Auffassung
des Tauschverkehrs als soziales Zweckgebilde steht doch mit den
Tatsachen der einfachsten Beobachtung in so fundamentalem Wider-
spruch, daß man eben nicht darüber hinwegkann und bei der Lektüre
von Stolzmanns Schriften an den unklaren und falschen Sozial-
begriffen, die darauf basiert werden, immer wieder von neuem An-
sto nimmt. Zweitens aber und vor allem kann seine Lehre des-
wegen keinen Anklang finden, weil sie trotz ihrer Umkrempelung
der ganzen bisherigen Betrachtungsweise die nun einmal vorhandenen
Probleme, um deren Lösung man sich seit einem Jahrhundert bemüht,
nicht im geringsten ihrer Lösung näher bringt. Mit seiner Auf-
fassung der Einkommen als „sozialnotwendiger Abfindungen“ erfahren
wir nicht im geringsten, wie durch den tauschwirtschaftlichen Prozeß
die Einkommen zustande kommen. Das ein Jahrhundert alte Problem
des Verhältnisses von Preis und Kosten, ob die Kosten den Preis,
oder der Preis die Kosten bestimmt, ebenso die Frage, ob Angebot
und Nachfrage den Preis, oder der Preis Angebot und Nachfrage
bestimmt, überhaupt die Erklärung der Preisbildung werden durch ihn
keinen Schritt weiter gefördert. Es ist auch ganz klar, daß die
Hauptprobleme der Wirtschaftstheorie nun einmal Kausalitätsprobleme
sind, und daß man diese Probleme nicht einfach hinwegdekretieren
kann, indem man an Stelle der Kausalbetrachtung die Zweckbetrach-
tung setzen zu wollen erklärt. Natürlich kann auch Stolzmann
schließlich an den Kausalproblemen nicht vorbeigehen und kommt
letzten Endes doch auf die Individuen und den subjektiven Wert.
Aber im Rahmen seiner den Tauschverkehr als ein Zweckgebilde auf-
fassenden „sozialorganischen Methode“ sind klare Erkenntnisse nicht
möglich, und auch seine scharfsinnige Kritik der bisherigen Theorien,
48 Robert Liefmann,
insbesondere der Lehre Böhm-Bawerks, denen er mehr Raum und
Zeit gewidmet hat, als sie verdienen, leidet gewaltig unter dem
falschen Gesichtswinkel, unter den sie gestellt ist.
Trotzdem möchte ich nicht verfehlen, zu betonen — gerade gegen-
über der kritiklosen Bewunderung, die seinem Gegner Böhm-Bawerk
zu teil wird, ist das angebracht — daß Stolzmann in bezug auf Ori-
ginalität seiner Ideen und ihre konsequente Durchführung Böhm-
Bawerk erheblich überragt.
Die Anhänger der sozialen Betrachtungsweise operieren, ohne
sich darüber recht klar zu werden, mit einem eigenen „Zweck der
Volkswirtschaft“, der von den Zwecken der Einzelwirtschaft ver-
schieden ist oder sie doch zu einem höheren „dritten Zweck“ zu-
sammenfaßt. Aber die „Volkswirtschaft“ ist nun einmal kein Zweck-
gebilde, sie ist nur ein schlechter Ausdruck für die tauschwirtschaft-
lichen Beziehungen, die weit über die Grenze eines Volkes oder
Staates hinausgehen. Aber auch diese Beziehungen sind kein Zweck-
gebilde, weder in dem Sinne, daß es einen eigenen Zweck verfolgt,
noch in dem, daß es gemeinsamen gleichgerichteten Zwecken, also
einem gemeinsamen Willen sein Entstehen verdankt. Sondern die
tauschwirtschaftlichen Beziehungen sind ein sozusagen naturwissen-
schaftliches Ergebnis zahlloser, ihrer formalen Natur nach gleich-
artiger, aber gegeneinander gerichteter Zwecke und Willen von
Einzelwirtschaften, niemals aber eines gemeinsamen Willens und
gemeinsamer Zwecke.
Welche tauschwirtschaftlichen Erscheinungen sind denn nun
Zweck? Vor allem die gemeinsamen Wirtschaften, die Gesellschafts-
unternehmungen, Vereine, Kartelle, Genossenschaften usw. Sie alle
aber sind nur gemeinsame gleichgerichtete Zwecke mehrerer Indivi-
duen. Der Tauschverkehr selbst aber ist kein Zweck, weder ein
mit denen der einzelnen Wirtschafter identischer — das ist nicht
möglich, denn die Zwecke der Tauschenden sind verschieden — noch
ein von ihnen verschiedener besonderer Zweck. Der Tauschverkehr
ist überhaupt kein Zweck. Er ist auch keine „geistige Schöpfung“,
man muß ihn allerdings „seinem Gange überlassen“, man kann
wohl in manche Einzelheiten regelnd eingreifen, hier und da durch
die Wirtschaftspolitik zu fördern und zu hemmen suchen. Aber die
heutige Wirtschaftsordnung ist ebensowenig durch bewußtes mensch-
liches Eingreifen geschaffen worden !!), wie es möglich sein wird,
durch solches eine neue Wirtschaftsordnung, etwa den Sozialismus,
herbeizuführen.
Auch die wichtigsten tauschwirtschaftlichen Erscheinungen, der
Preis und das Geld als solches, sind keine Zwecke und keine
geistigen Schöpfungen. Das Phänomen des Preises ist, um einmal
paradox zu sprechen, mindestens ebenso sehr eine Naturtatsache wie
z. B. das übermangansaure Kali, das in der Natur gar nicht vor-
1) Es ist daher durchaus verkehrt, wenn man die Konkurrenz in der Wirt-
schaftswissenschaft heute noch immer als ein Rechtsprinzip auffaßt.
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 49
kommt, oder die Elektronen oder Ionen. Gewiß sind Zwecke Ur-
sache alles Wirtschaftens, aber nur individuelle Zwecke, Streben
nach Bedarfsbefriedigung. Diese Zwecke sind aber etwas Vor-
wirtschaftliches, und die Wirtschaftswissenschaft nimmt diese
individuellen Zwecke (natürlich nicht quantitativ) als gegeben an.
Sie nimmt die Tatsache als gegeben an, daß der Mensch nach Be-
darfsbefriedigung und zwar möglichst vollkommener Bedarfsbefriedi-
gung (nicht nur materieller) strebt und untersucht auf Grund dieser
vorausgesetzten Zwecke kausal die wirtschaftlichen Erscheinungen.
Diese sind aber nicht selbst wieder Zwecke, insbesondere nicht
Zwecke einer gedachten sozialen Einheit, kein „übergeordneter dritter
Zweck“, sondern sind nur auf individuelle Zwecke zurückzuführen,
der Preis und das Geld z. B. auf Einkommenserzielung, d. h. auf
das Streben nach Bedarfsbefriedigung, den einzigen Zweck, den es
im Wirtschaftsleben gibt. Bei der Verfolgung dieses Zweckes treten
die Wirtschaftssubjekte zueinander in Beziehung, und die sich daraus
ergebenden komplizierten Erscheinungen des Tauschverkehrs sind
vor allem die Probleme der Wirtschaftswissenschaft, wobei man aber
nicht, wie Diehl es tut, Einzelwirtschaft und wirtschaftliche Be-
ziehungen trennen kann. Denn indem man letztere betrachtet, wo-
fern man sie nur nicht als Einheit, als Gebilde mit eigenem „Zweck-
plan“ auffaßt, betrachtet man auch gleichzeitig die Einzelwirtschaft.
So sehr es der deutschen Wissenschaft und dem deutschen Staats-
empfinden entspricht, im Staate einen selbständigen Organismus
mit eigenem Willen und eigenen Zwecken zu sehen, so sehr bleibt
es unter allen Umständen irreführend, die „organische Staatsidee“
auf das Wirtschaftsleben, die „Volkswirtschaft“ zu übertragen, wie
das namentlich durch Stolzmann geschieht, der seine Lehre die
„sozialorganische Methode“ in der Wirtschaftswissenschaft nennt.
Die tauschwirtschaftlichen Vorgänge sind eben nicht Zwecke und
Wirkungen eines einheitlichen Organismus, sondern Wirkungen von
Einzelzwecken, den Bedürfnissen der einzelnen Menschen, und müssen
aus ihnen erklärt werden
Diese Erörterung, ob die „Volkswirtschaft“ oder der „soziale
Gesamtkörper“ ein Zweckgebilde sei, trifft in Wahrheit den Kern
des ganzen Problems der Objektsbestimmung in unserer Wissenschaft.
Stolzmann kommt merkwürdigerweise nur gelegentlich auf ihn, in-
dem er bei Gelegenheit von Spezialerörterungen und Auseinander-
setzungen mit Böhm-Bawerk (Kritik des Subjektivismus S. 172)
auch die Frage: Kausalität oder Teleologie? anschneidet.
Er geht dabei einfach davon aus, daß die Kausalbetrachtung bei der
Erklärung der wirtschaftlichen Erscheinungen versagt habe, also will
er sie durch die Zweckbetrachtung ersetzen. Man könne den
„Streit um die Priorität von Nutzen und Kosten“ nicht früher er-
ledigen, ehe man nicht die methodische Vorfrage wegen der Priorität
der Kausal- und der Zweckbetrachtung beantwortet hat. Beant-
worten tut sie Stolzmann aber nur insofern, als er eben, nach langer
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 4
50 Robert Liefmann,
Polemik gegen den hier wieder völlig konfusen Böhm-Bawerk, die
Notwendigkeit des Zweckgesichtspunktes behauptet. Er sagt u. a.
S. 175: „Welcher „Zweck“ kommt für die Erklärung der sozialen
Wirklichkeit in Betracht? Hier scheiden sich die Wege des „Sub-
jektivismus“ und der sozialorganischen Betrachtung für immer. Jener
würde dann die Zwecke eines isoliert gedachten, diese dagegen die
des sozialen Individuums, als eines Gliedes der volkswirtschaft-
lichen Gemeinschaft zum Ausgangspunkt haben“. Stolzmann weiß
sehr gut, daß das falsch ist, daß auch der Subjektivismus nicht ein
isoliert gedachtes Wirtschaftsobjekt zum Gegenstand hat, wenn auch
die vermeintlichen Subjektivisten, gegen die er hauptsächlich pole-
misiert, hier und da mit dem Robinson operieren. Aber eine „volks-
wirtschaftliche Gemeinschaft“ gibt es nur für die Volkswirtschafts-
politik, die immer national ist. „Nicht innerhalb des Rahmens der
Naturgesetze — heißt es dann — vollzieht sich das Produzieren,
Verteilen und Werten, sondern innerhalb des sozialorganischen,
durch den Zweckplan der Volkswirtschaft bedingten Wertrahmens
lenkt der Mensch die Naturkräfte als deren beseelter Beherrscher
zu seinen Zwecken.“ „Das Individuum ist in die planmäßige Organi-
sation des sozialen Körpers, seine Zwecke sind in die des letzteren
eingebettet. Er kann seine Zwecke, die allerdings schließlich auf
Bedürfnisbefriedigung gehen, nur auf einem Umwege (!) erreichen
nämlich innerhalb des großen Planes, der ihm seine Rolle zuweist !).
Alle Wertung geht zwar von Individuen aus, darin behält die Grenz-
nutzenlehre und alle Theoretiker, die ihre Analyse vom subjektiven
Standpunkt aus beginnen, volles Recht. Die große Frage bleibt
nur, woher das Subjekt die Motive seiner Wertungen bezieht;
„organisieren“ diese von sich aus die Volkswirtschaft, entnehmen
die „subjektiven“ Wertschätzungen von innen her, aus den höchst-
persönlichen Beziehungen der isoliert gedachten Binnenwirtschaft
heraus, ihren autarkischen Ursprung, oder aber auch (!) — und
zwar im entscheidenden Punkte — aus den Zweckbeziehungen des
sozialen Gefüges, das vor ihm da ist und ihm nur die Funktion
eines Gliedes übrig läßt.“ Man sieht, hier zieht sich Stolzmann
schon auf ein „auch“ zurück und kann für die soziale Betrachtungs-
weise nichts weiter anführen, als daß die Wertungen der einzelnen
Wirtschaften sozial bedingt seien. Also Vermischung mit der Sozio-
logie und völlige Verkennung der Aufgabe einer selbständigen Wirt-
schaftswissenschaft, die die gesellschaftliche Bedingtheit vieler wirt-
schaftlichen Erscheinungen nicht leugnet, sie in der Erklärung von
Einzelheiten auch berücksichtigen kann, aber bei der Erklärung der
1) Gewiß gehört zur Aufstellung einer wissenschaftlichen Theorie und Systematik
auch Phantasie. Aber zu viel davon ist von Uebel und mit dem „großen Plan“ und
allen sonstigen Sozialbegriffen Stolzmanns hört das zuläßige Maß von Phantasie auf. Das
muß einmal offen ausgesprochen werden, da Stolzmann jede Kritik seiner Auffassung
mit einer neuen und unklaren Sozialphrase totzuschlagen sucht, statt sie sachlich zu
widerlegen. Worin besteht denn der „soziale Zweckplan“ und das „soziale Gesetz‘?
Darüber sagt Stolzmann nicht ein Wort!
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschatt. 51
allgemeinsten wirtschaftlichen Erscheinungen und Begriffe von ihnen
abstrahieren muß.
Alles das wird nur möglich auf Grund völliger Verkennung des
Wesens der Wirtschaft. So ist es natürlich ein fundamentaler Irr-
tum, wenn Stolzmann meint, „daß es die ‚große Frage‘ sei, woher das
Subjekt die Motive seiner Wertungen bezieht“. Alles dieses und
die Frage: „Wieweit dem Individuum die Maßstäbe seiner Wertungen
von außen kommen“, eine Frage, die nach Stolzmann durch die sub-
jektive Theorie ungelöst bleibt, interessiert die Wirtschaftstheorie
auch gar nicht, weil ihr das Objekt und die Art der individuellen
Wertungen, d. h. welcher Art Güter begehrt werden, ganz gleich-
gültig ist. Stolzmann muß denn auch zugeben, daß „von den In-
dividuen allerdings eine kausale Wirkung ausgeht“ (S. 179), und
gibt schließlich als Begründung für die Notwendigkeit der „sozio-
logischen Betrachtung“ nur ein paar Phrasen: „Diese Autonomie des
Individuums bleibt doch nureine formale Wahrheit, und das Indivi-
duum selbst ein unbeschriebenes Blatt Papier, ein leerer Formalbe-
griff), der seinen Inhalt, seine Füllung und seine Aufgabe erst aus den
psychologischen und technischen Faktoren, dann (!) aber — was für
die Sozialökonomie entscheidet — aus den sozialen Bedingungen und
Aufgaben empfängt. Dem hat die Theorie nachzugehen, und ihr
Programm muß darin bestehen, den wirtschaftlichen Phänomenen und
ihren Gesetzen aus der sozialen Kategorie heraus näher zu kommen.“
Also, das ist die einzigste Begründung: die soziale Betrachtungs-
weise ist notwendig, weil die Nationalökonomie halt eine Sozial-
wissenschaft ist!
Das ist das einzige, was als Begründung der sozialen Betrach-
tungsweise noch übrigbleibt, und wir kommen gleich darauf noch
näher zu sprechen. Aus dieser Erörterung über den Zweck in der
Volkswirtschaft ergibt sich aber, daß, wenn es verschiedene Be-
trachtungsweisen in der Wirtschaftswissenschaft gibt, diese nicht
privatwirtschaftliche und volkswirtschaftliche oder soziale sind, sondern
essind kausale und teleologische. Das hat insbesondere Stolz-
mann erkannt und mit an sich anerkennenswerter Konsequenz die
Schlußfolgerung gezogen, die auch vor dem größten Widerspruch mit
den zu beobachtenden Tatsachen des wirtschaftlichen Lebens nicht Halt
machte. Da nach seiner Meinung die kausale Betrachtungsweise ver-
sagt hat — was aber, wie wir wissen, nicht die Folge der Kausalbe-
trachtung, sondern einer falschen, materialistischen Auffassung des
Erkenntnisobjekts ist — versucht er es mit der teleologischen. Dazu
muĝ er die „Volkswirtschaft“, den „sozialen Gesamtkörper“, als ein
„soziales Zweckgebilde“ auffassen. Daher die schönen Redensarten von
dem „großen Plan“, der dem einzelnen „seine Rolle zuweist“, von der
„volkswirtschaftlichen Gemeinschaft“, dem „sozialen Körper“, in
1) Das soll ja auch so sein, weil unsere individualistische Theorie eben in Wirk-
lichkeit viel sozialer ist, wirklich die tauschwirtschaftlichen Vorgänge und nicht den
einzelnen Menschen betrachtet, daher wohl homines oeconomici, aber nicht einen
Robinson zugrunde legt.
4*
52 Robert Liefmann,
„dessen Zwecke die des einzelnen eingebettet sind“ usw. Daß diese
Zwecke nicht existieren, darf sich Stolzmann nicht ausreden lassen,
obgleich er selbst unmöglich an sie glauben kann und es schließlich
für eine Wissenschaft ja nicht auf den Glauben, sondern auf den
Nachweis ihrer Existenz ankommt, der von Stolzmann auch nicht
einmal versucht ist.
Der soziale Zweckgedanke ist es auch, der unklar zugrunde liegt,
wenn man heute vielfach glaubt, zur Erklärung der wirtschaftlichen
Erscheinungen etwas beitragen zu können, indem man sie als „ge-
sellschaftliche Funktion“ auffaßt (Hilferding u. a). Insbesondere
durch die „mathematische“ Nationalökonomie ist es neuerdings viel-
fach üblich geworden, diesen Ausdruck zu gebrauchen, der nichts
weiter als Beziehung bedeutet und daher logisch durchaus unklar
ist. Die logische Kategorie ist Zweck und Mittel, an sie
denkt man, wenn man die Einzelwirtschaft als dienendes Glied, als
Funktionär gesellschaftlicher Zwecke bezeichnet. Es gibt aber keinen
gesellschaftlichen Zweck im Wirtschaftsleben, ebensowenig wie es
einen gesellschaftlichen Willen in ihm gibt. Wohin die Auffassung
vom „gesellschaftlichen Zweck“ und der Funktion der Einzelwirt-
schaft führt, ersieht man wieder deutlich aus Stolzmann, der auch
hier vor den letzten Konsequenzen seines Zweckgedankens in der
Volkswirtschaft nicht zurückscheut. Er sagt in einer Polemik gegen
allerdings ebenso falsche und nichtssagende Phrasen Böhm-Bawerks
(Kritik des Subjektivismus, S. 164): „Will man den Händler mit
einem Geschäftsführer ohne Auftrag vergleichen, so kann er es nur
in höherem Sinne, der den Funktionen des Handels mehr gerecht
wird, sein, im Sinne eines Beauftragten im sozialen Auftrage(!),
er ist der richtig kalkulierende Exekutor des objektiv sozialen Wirt-
schaftsplans . . .!“ „Die Volkswirtschaft — schließt Stolzmann seine
schon die Erfahrungen des Krieges berücksichtigende Abhandlung —
ist in Krieg und Frieden ein ethisches Zweckgebilde“. Welch
eine Verstiegenheit der Ansichten! Gehört der Opiumhandel Eng-
lands, der Munitionshandel Amerikas im Kriege nicht auch zur
„Volkswirtschaft“ ?
Wir müssen allen diesen Konstruktionen vom sozialen und ethi-
schen Zweckgebilde gegenüber an der Erfahrungstatsache festhalten,
daß Zwecke im Wirtschaftsleben nur die einzelnen Wirtschaften ver-
folgen, nämlich nach größter Bedarfsbefriedigung, und daß aus diesem
Zwecke der tauschwirtschaftliche Mechanismus erklärt werden muß.
Die Vertreter jener Anschauung verkennen, daß, wenn die „Volkswirt-
schaft“, „Sozialwirtschaft“, der „soziale Gesamtkörper“ eine „Arbeits-
gemeinschaft“, überhaupt ein einheitliches „Zweckgebilde“ wäre, sie
eben nur eine Wirtschaft sein könnte. Das ist sie aber nicht.
Und wenn v. Schulze-Gävernitz (s. unten Kap. III, 3) sich zu der Be-
hauptung versteigt: „Nur die Volkswirtschaft ist Wirtschaft, Wirtschaft
im engeren Sinne“!, so zeigt das, zu welchen mit allen Tatsachen
im Widerspruch stehenden Behauptungen die Vertreter der sozio-
logischen Richtungen sich schließlich gedrängt sehen. Nur In-
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft, 53
dividuen wirtschaften, einzeln oder mehrere gemeinsam in den Ge-
sellschaftsunternehmungen, und wer diese fundamentale Tatsache schon
verkennt, der wird natürlich nie die Erscheinungen des Tauschver-
kehrs erklären können.
Die „soziale Betrachtungsweise“ ist wertlos, solange sie nur als
eine Forderung von Methodologen vertreten wird, die an die Aus-
führung eines theoretischen Systems auf dieser Grundlage nicht
denken. Sie ist lächerlich, wenn die ihr folgende positive Theorie
geradeso „individualistisch-atomistisch“ ist wie die bisherigen. Sie
hätte eine gewisse Berechtigung, wenn es ihr gelänge, die tausch-
wirtschaftliche gegenseitige Bedingtheit aller Preise und Einkommen
gegenüber dem Versagen der bisherigen Theorien aufzuzeigen, was
aber auch Stolzmann nicht gelungen ist. Sie muß aber verschwinden,
wenn es gelingt, die alte Aufgabe zu lösen und die tauschwirtschaft-
lichen Erscheinungen auf ihre letzte Ursache, die individuellen Be-
dürfnisse zurückzuführen, sie gleichzeitig aber auch in ihrem gegen-
sitigen Bedingtsein zu erklären. Das ist bisher daran gescheitert,
daB man hinter dem Geldschleier Vorgänge der Produktion statt
psychische Erwägungen gesehen hat.
4. Die Einheit des Objekts der Wirtschaftswissenschaft.
Nach dieser Darstellung und Kritik der Hauptvertreter einer
sozialen Betrachtungsweise glauben wir über sie und ihren behaupteten
Gegensatz, die individualistische oder privatwirtschaftliche Betrach-
tungsweise, zur Klarheit und zu einem abschließenden Urteil ge-
langen zu können. Die hergebrachte Betrachtungsweise war die in-
dividualistische. Man sah, daß es die einzelnen Menschen sind,
die wirtschaften, und suchte ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu
anderen Menschen im Wege einer isolierenden Abstraktion zu er-
fassen. Dabei brachte es das Streben nach dem Phantom Wert und
der Glaube, einen allgemeinen Bestimmungsgrund des Güterwerts
feststellen zu können, mit sich, daß man in der Abstraktion vielfach
zu weit ging und besonders die Gelderscheinungen des Tausches,
die Preise und die Geldeinkommen, glaubte aus den bloßen Be-
ziehungen zweier Tauschenden erklären zu können.
Neuere Nationalökonomen haben dann, ohne übrigens jenen Fehler
wirklich zu erkennen, das Unbefriedigende der bisherigen Theorien
empfunden und haben, teils durch die Volkswirtschaftspolitik, teils
durch die Rechtswissenschaft, teils durch die neu aufkommende
Soziologie verleitet, geglaubt, die Erscheinungen des Tauschverkehrs
ganz anders auffassen zu müssen, als einen einheitlichen Organismus,
eine „Volks“- oder „Gesamtwirtschaft“, einen „sozialen Gesamt-
körper“, oder wie alle diese Sozialbegriffe heißen, mit denen sie
den Gegenstand ihrer Betrachtung zu bezeichnen versuchten.
Die individualistische Betrachtungsweise hat demgegenüber von
vornherein den großen Vorzug, daß sie alles, was das tägliche Leben
unzweifelhaft als Wirtschaft und als wirtschaftliche Erscheinungen
54 Robert Liefmann,
ansieht, einheitlich erfaßt. Ihr Objekt sind nicht nur die Er-
scheinungen des Tauschverkehrs, die Beziehungen zwischen Einzelnen,
sondern auch die Vorgänge innerhalb der Einzelwirtschaft selbst.
Das entspricht zweifellos der allgemeinen Erfahrung des täglichen
Lebens, welche beobachtet, daß die Vorgänge bei einer nicht in den
Tauschverkehr verflochtenen Wirtschaft und bei den tauschwirt-
schaftlichen Beziehungen doch sehr vielfach die gleichen sind, und
die schon selbst den Versuch macht, sie mit den Begriffen Wirt-
schaft und wirtschaftlich als etwas Einheitliches zu erfassen.
Allerdings ist diese individualistische Betrachtungsweise bisher
nie konsequent festgehalten worden, und daß das nicht geschehen
ist, ist letzten Endes wieder die Folge der technisch-mate-
rialistischen Auffasssung der Wirtschaft und der auf ihrer
Grundlage hergebrachten Problemstellungen. Daher ist z. B. der
heutige Wertbegriff, der Grundbegriff der ökonomischen Theorie nach
der bisherigen individualistischen Betrachtungsweise, zwar etwas sub-
jektiver als der Wertbegriff der Klassiker, aber der durch den Grenz-
nutzen bestimmte wirtschaftliche Wert ist keineswegs rein sub-
jektiv und individualistisch, sondern ein Gemisch von Nutzen und
Seltenheit. Eine wirklich individualistische Betrachtung hätte
nicht vom Wert, sondern von rein subjektivem Nutzen, Genuß
auszugehen. Damit wäre man aber, konsequent festgehalten, zu einer
psychischen Auffassung der Wirtschaft gekommen und das paßte
nicht in die überlieferte technisch-materialistische „Güterlehre“. Der
einzigste Versuch, wirklich an den subjektiven Nutzen, den Genuß
anzuknüpfen, Gossens, scheiterte an dem Mangel des entsprechenden
Kostenbegriffs, und seitdem ist niemand mehr kühn genug gewesen,
den ganzen technisch-materialistischen Inhalt der bisherigen Theorien
über Bord zu werfen.
Andererseits wurde von allen bisherigen Theorien die indivi-
dualistische Betrachtungsweise gewaltig übertrieben, vor allem in
der Preistheorie, wo man — von Smith bis zur heutigen Grenz-
nutzenlehre — glaubte, den Preis, also einen Geldausdruck, aus den
subjektiven Wertschätzungen der zwei Tauschenden für die beider-
seitigen Tauschgüter und für das materielle Tauschmittel erklären
zu können, eine Naivität sondergleichen, die allein schon genügte,
der Grenznutzenlehre ihren Anspruch zu nehmen, einen Fortschritt
in der Wirtschaftstheorie herbeigeführt zu haben. An diesen un-
erhörten Fehler knüpfen auch die neusten und einsichtigsten Vertreter
der sozialen Betrachtungsweise vor allem an.
Dann aber ist es wieder äußerst charakteristisch, daß alle
bisherigen Theorien ihre individualistische Betrachtungsweise, wenig-
stens teilweise, aufgeben, wenn es sich um die Einkommens-
bildung handelt. Denn hier wird nie vom Individuum aus-
gegangen und die Einkommensbildung nicht durch die Preisbildung
erklärt, sondern von der Gesamtheit, der Volkswirtschaft. Hier
herrscht die „Verteilungslehre“, wonach ein „Volkseinkommen“,
die Gesamtheit der in der „Volkswirtschaft“ hergestellten Produkte,
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 55
verteilt wird. Wir wissen, daß diese Lehre auf den alten wirt-
schaftspolitischen Ursprung unserer Wissenschaft, das Streben nach
dem Volksreichtum, zurückgeht. Daß man aber immer daran
festhielt, hat, wie wir ebenfalls schon betonten, in der technisch-
materialistischen Auffassung seinen Grund, die eben den Geld-
einkommen gegenüber versagen mußte und nur in Form der Verteilung
einer Gütermenge durchführbar war. Aber trotz dieses „sozialen“
Ausgangspunktes von einem Gesamteinkommen, Volkseinkommen, `
das verteilt wird, ist die Erklärung der Einkommensbildung dann
doch mehr oder weniger individualistisch. Jeder erhält nämlich
sein Einkommen (wobei Geld- oder Gütermenge durcheinander gehen)
auf Grund einer Zurechnung für die Mitwirkung seiner spe-
ziellen Produktionsfaktoren an der Beschaffung des Pro-
duktes oder seines „Wertes“ (der regelmäßig in der Geldsumme, die
das Einkommen darstellt, ausgedrückt sein soll).
So ist jedenfalls alle bisherige Theorie schon ein Gemisch
individualistischer und sozialer Betrachtungsweise, und die letztere
taucht insbesondere überall da auf, wo die erstere infolge der
materialistischen Auffassung doch gar zu deutlich versagt. Da
erscheint dann plötzlich neben den üblichen individualistischen, d. h.
regelmäßig materialistischen, Begriffen ein „volkswirtschaftlicher“,
z. B. „Kapital im volkswirtschaftlichen Sinne“, „National- oder
Sozialkapital“, „Volkseinkommen“, „gesellschaftliche Arbeit“, „soziale
Produktion“ usw., kurz alle die beliebten Verbindungen mit „sozial“,
die immer beweisen, daß die bisherige Theorie am Ende ihrer Wissen-
schaft angelangt ist. Diese „volkswirtschaftlichen“ Begriffe sind
nach unserer Auffassung überhaupt erst die wirtschaftlichen, während,
was die bisherige materialistische Auffassung wirtschaftliche Begriffe
und wirtschaftliche Kategorie nennt, einfach Technik ist. So
ist z. B. die sogenannte „ökonomische Kategorie“ bei
Wagner, Stolzmann u. a. nichts anderes als eine technische
Kategorie, während ihre „soziale Kategorie“ erst die nach unserer
Auffassung eigentlich wirtschaftlichen Momente enthält, sie aber
auch nicht richtig auffaßt und ihnen noch rechtliche Gesichtspunkte
aufpfropft, die mit dem Wesen des Wirtschaftlichen nichts zu tun
haben. Infolgedessen ist es sehr begreiflich, daß die „soziale Be-
trachtungsweise“ jene „ökonomische Kategorie“ ganz auszuschalten
sucht. Da sie aber nicht erkennt, daß sie nur eine technische ist
und da sie von der technisch-materialistischen Auffassung des
Wirtschaftlichen nicht loskommen kann, war es naheliegend, das
Wesen der Volkswirtschaftslehre mehr im Sozialen als im Oeko-
nomischen zu sehen.
Man kann aber mit gutem Grund daran zweifeln, ob es richtig
war, das wirtschaftliche Erfahrungsobjekt in erster Linie durch das
unklare Moment des Sozialen zu bestimmen und das falsch, mate-
rialistisch aufgefaßte Wirtschaftliche nur zur engeren Abgrenzung
eines Teils aus dem weiten Gebiet des Sozialen heranzuziehen. Es
ist auch gar nicht einzusehen, weshalb ein rein technisches Moment,
56 Robert Liefmann,
Ueberwindung der Abhängigkeit von den Gegenständen der äußeren
Natur, gerade verschiedene Sozialwissenschaften voneinander ab-
grenzen soll, da dieses technische Moment doch auch unzweifelhaft
schon isoliert wirtschaftende Menschen beschäftigt, während an-
dererseits die „sozialen“ Wirtschaftsvorgänge, die Tauschvorgänge,
oft mit Sachgüterbeschaffung gar nichts zu tun haben. Es liegt
daher nahe, anzunehmen, daß man das Auswahlprinzip, daß die
Wirtschaftswissenschaft als Sozialwissenschaft von anderen Sozial-
wissenschaften unterscheiden soll, falsch aufgefaßt habe. Und wenn
man nun zeigen kann, daß man mit einer richtigen Erkenntnis des
Wirtschaftlichen die Auffassung der Wirtschaftswissenschaft als
Sozialwissenschaft gar nicht gebraucht, sondern mit einem einheit-
lichen Identitätsprinzip der ganzen Wirtschaftswissenschaft die
Tauschverkehrsvorgänge sehr viel „sozialer“ erklären kann, als die
soziale Betrachtungsweise das vermochte, so ist zum mindesten die
Ueberflüssigkeit aller dieser künstlichen Konstruktionen dargetan.
Aus den Erörterungen des vorigen Kapitels ergibt sich nun
schon, daß, wenn es diesem einheitlichen Objekt der Wirtschafts-
wissenschaft gegenüber verschiedene Betrachtungsweisen gibt,
sie nur in Hinsicht auf den Zweck der Wirtschaft geschehen
können. Daher ziehen denn auch Stolzmann und Stammler, die
überhaupt in diese Dinge viel tiefer eingedrungen sind als die
meisten philosophierenden Nationalökonomen, mit Recht den Schluß,
daß die Auffassung eines sozialen Objektes der Wirtschaftswissen-
schaft nur bei teleologischer Betrachtungsweise möglich ist.
Wir haben aber schon betont und kommen unten noch darauf zu-
rück, daß bei unserer Auffassung des Wirtschaftlichen eine teleo-
logische Betrachtungsweise vollkommen entfällt. Denn Wirtschaften
ist zwar ein Zweckstreben, aber dieser Zweck ist ein einheitlicher,
höchste Bedarfsbefriedigung; er wird als gegeben vorausgesetzt, sein
Inhalt geht die Wirtschaftswissenschaft nichts an. Sondern diese be-
trachtet rein kausal die Wirkungen der als gegeben angenommenen
Zwecke in der Struktur der Einzelwirtschaften und insbesondere in
ihren tauschwirtschaftlichen Beziehungen, betrachtet also die grund-
legenden wirtschaftlichen Vorgänge als Wirkungen des allgemeinen
Zweckes aller Einzelwirtschaften, des Strebens nach möglichst voll-
kommener Bedarfsbefriedigung.
Nun gibt es aber, wie jedermann durch Beobachtung weiß,
neben diesem wirtschaftlichen Zwecke der Einzelwirtschaften, aus denen
der tauschwirtschaftliche Mechanismus erklärt werden muß, noch andere
Zwecke, die im Wirtschaftsleben eine große Rolle spielen. Das sind
die Zwecke des Staates, die in vieler Hinsicht auf die wirt-
schaftlichen Vorgänge einwirken. Der Staat ist eine Organisation
mit eigenen Zwecken, die von denen seiner Untertanen verschieden
sind. Auf nähere Bestimmung des Charakters dieser Organisation
kommt es hier nicht an. Sofern diese Zwecke des Staates wirt-
schaftlich sind, d. h. in wirtschaftlicher Weise verfolgt werden,
ist der Staat auch eine Wirtschaft und hat als solche einen
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 57
bestimmten Namen, Fiskus. Auch die Bedürfnisse des Staates sind
weit überwiegend immaterieller Natur!), man darf hier ebensowenig
wie bei der privaten Wirtschaft bei der bloßen Erzielung eines
Geldeinkommens stehenbleiben. Wir werden im Kapitel über die
Aufgaben der Wirtschaftswissenschaft noch näher über die Wirt-
schaft des Staates und ihre Besonderheiten und die Spezialwissen-
schaft, die sich damit beschäftigt, zu sprechen haben.
Aber neben seinen wirtschaftlichen Zwecken hat der Staat noch
sonstige Zwecke, die vielfach in das Wirtschaftsleben eingreifen.
Die Verfolgung aller Staatszwecke nennt man Politik, und soweit
sie in das Wirtschaftsleben eingreifen, spricht man von Wirt-
schaftspolitik. Die Finanzwissenschaft, soweit sie die staatlichen
Maßregeln betrachtet, die in die wirtschaftlichen Verhältnisse der
privaten Wirtschaftssubjekte eingreifen, ist daher gleichzeitig auch
Wirtschaftspolitik. Die Wirtschaftspolitik ist nun ein Zweig der
Politik als Lehre von den Zwecken des Staates, insofern sie
aber Wirkungen auf die wirtschaftlichen Vorgänge und Beziehungen
der Einzelwirtschaften ausübt, kann sie auch in der Wirtschafts-
wissenschaft behandelt werden. Und soweit sich über diese Wir-
kungen selbständige allgemeine Sätze aufstellen lassen, kann sie auch
als eine Teilwissenschaft der allgemeinen Wirtschaftswissenschaft
angesehen werden.
Die Politik des Staates hat nun heute den größten Einfluß auf
alle wirtschaftlichen Verhältnisse, und ihre engere Beziehung zur
Wirtschaftswissenschaft ist der Hauptgrund, weshalb die soziale
Betrachtungsweise viele Anhänger findet und ihre extremsten Ver-
treter sogar so weit gehen, außerhalb der staatlichen Regelung
überhaupt kein Objekt der ökonomischen Wissenschaft anzuerkennen.
Hier nun, mit der Einführung des Staates, erhalten wir in
der Tat einen eigenen, von den Zwecken der Einzelwirtschaften ver-
schiedenen Zweck. Aber der Tauschverkehr selbst, die wirtschaftlichen
Beziehungen der Einzelwirtschaften sind nicht selbst wieder eine
Wirtschaft und haben daher auch keinen eigenen wirtschaftlichen
Zweck; und auch wenn man sich die Wirtschaften eines Staates als
eine Einheit darstellt, so ist das keine wirtschaftliche Einheit,
sondern höchstens eine wirtschaftspolitische, eine staatliche. Die
sogenannte „Volkswirtschaft“ ist als wirtschaftlicher Organis-
mus nicht von den über ein Volk hinausreichenden wirtschaftlichen
Beziehungen verschieden, sie ist eine Einheit nur unter dem Be-
griff des Staates, also vom Standpunkt der Wirtschaftspolitik.
Das ist eigentlich selbstverständlich, aber schon immer war, in-
folge der geschichtlichen Entwicklung der Nationalökonomie und
ihrer engen Beziehungen zur Wirtschaftspolitik, die Neigung vor-
handen, in der „Volkswirtschaft“, d. h. im Tauschverkehr innerhalb
1) Hier ist wieder ein Punkt, wo die herrschende materialistische Auffassung des
Wirtschaftlichen zu einer ganz falschen Auffassung der Wirtschaft des Staates ver-
leiten würde.
58 Robert Liefmann,
eines Staates, eine eigene Wirtschaft, ein ‚einheitl
liches Zweckgebilde zu sehen. Das war, wie wir Jetzt wissen, nur
Und damit haben wir nun auch die Lösung der Frage nach ver-
schiedenen „Betrachtungsweisen“ in der ökonomischen Wissenschaft
den beiden Zwecken der Produzenten und Konsumenten steht“ {
(Stolzmann a. a. O. $. 183), existiert also höchstens für die Wirt-
1) Inwieweit man noch von einem Gesamtinteresse aller Einzelwirtschaften, näm-
lich an der zweckmäßigsten Organisation des Tauschverkehrs reden kann, das kann
erst nach der Darstellung unseres ganzen theoretischen Systems im Anschluß an das
Produktivitätsproblem erörtert werden; s, darüber einstweilen meinen Aufsatz: Grund-
lagen einer ökonomischen Produktivitätstheorie in diesen Jahrbüchern Bd. 98, S. 273 fg.
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 59
schaftspolitik, weil es hier im Staate einen eigenen Willensträger
gibt, dessen Zwecke auch in wirtschaftlicher Hinsicht von denen
seiner Untertanen verschieden sein können. Aber auch die Zwecke
des Staates als Träger der Volkswirtschaftspolitik sind deswegen
wirtschaftlich kein „Zweck höherer Ordnung“, keine „organischen
Zwecke der Volkswirtschaft“, wie der Zweckphantast Stolzmann
meint. Der Zweck der „Volkswirtschaft“ ist auch kein anderer als
der der Einzelwirtschaften, nämlich Bedarfsbefriedigung, aber nicht
etwa Bedarfsbefriedigung des „Volkes“, sondern auch wieder nur
Bedarfsbefriedigung der Einzelwirtschaften. Anders ausgedrückt:
der Tauschverkehr ist kein Gebilde mit eigenem „sozialen“ Zweck,
er ist nicht das Ergebnis eines „großen Zweckplans“, „der dem
Einzelnen seine Rolle zuweist“, die alle nur „dienende Glieder“ der
„sozialen Gesamtwirtschaft“ sind. Sondern er entsteht gewisser-
maßen naturgesetzlich, nicht als bewußte „Schöpfung“ aus den formal
gleichartigen, aber in ihrem Inhalt ganz verschiedenen, nicht gleich-
gerichteten, sondern einander widerstreitenden Zwecken der Individuen.
Natürlich können sich die Individuen auch zu Vereinigungen ver-
schiedener Art zusammenschließen und auch gemeinsame Wirtschaften
bilden, aber deren Zweck ist dann doch immer wieder Bedarfs-
befriedigung der Einzelnen.
„Betrachtungsweise“ ist also immer Zweckbetrachtung und
die sogenannte volkswirtschaftliche Betrachtungsweise ist, da es einen
eigenen Zweck des Tauschverkehrs, der Volkswirtschaft in diesem
Sinne nicht gibt, Zweckbetrachtung vom Standpunkte des Staates,
der mit seinen Zwecken weitreichend das Wirtschaftsleben beein-
flußt. Und die ‚soziale‘ Betrachtungsweise ist, wie man jetzt wohl
klar erkennen wird, nichts anderes als der Versuch, zu dem die
materialistische Auffassung der Wirtschaft zwang, nun doch mit allen
Mitteln ein besonderes, von den Einzelwirtschaften verschiedenes
„soziales“ Zwecksubjekt zu schaffen. Das ist unmöglich, beruht auf
unklaren Begriffen, widerspricht dem Erfahrungsobjekt und wird bei
richtiger Auffassung des Wirtschaftlichen auch als ganz unnötig zur
Erklärung der tauschwirtschaftlichen Erscheinungen erwiesen.
Durchaus zutreffend und sehr charakteristisch sind die Aus-
führungen von J. Pesch zu diesen Fragen, die deutlich zeigen, was
die sozialen Richtungen wollen (Lehrbuch der Nationalökonomie,
Bd. 3, Einleitung, S. 6—7). Pesch erkennt, daß der Tauschverkehr,
das „Oekonomische“ keinen einheitlichen Zweckorganismus bildet;
er erblickt das Soziale, das ihm so wichtig ist, daß er das Oeko-
nomische darüber ganz zurücktreten lassen will, vor allem im Staate,
in der Wirtschaft eines staatlich geeinten Volkes. Er sagt: „Nennt
man die entsprechende Gesellschaftswirtschaft ‚So zialökonomie‘,
so wird zwar damit der quasi verkehrslose Zustand geleugnet, die
dadurch bezeichnete Verkehrswirtschaft oder entwickelte Marktwirt-
schaft aber kann gleichwohl als bloßer Summenbegriff einer Vielheit
sich berührender Wirtschaften ganz und gar individualistisch auf-
60 Robert Liefmann,
gefaßt werden. Es handelt sich dann bei einer solchen ‚Gesell-
schaftswirtschaft‘ nicht um soziale Aufgaben, die aus einer
sozialen Gemeinschaft herauswachsen, um keinen sozialen
Zweck, der zu der Aufgabe, dem Zweck der staatlichen Gesell-
schaft in Beziehung stände oder von demselben sich herleitete ...
Eine von den Gedanken der allen Gliedern der staatlichen Gesell-
schaft gemeinsamen Wohlfahrt beherrschte Ordnung des Wirt-
schaftslebens jedoch bleibt der Sozialökonomie in jenem rein ver-
kehrs wirtschaftlichen Sinne völlig fremd. Der Gesichtspunkt, unter
welchem die Wirtschaftswissenschaft solche ‚Gesellschaftswirtschaft‘
betrachtet, wäre dann ein ‚ökonomischer‘, die Rücksicht der Wirt-
schaftlichkeit, des ökonomischen Prinzips: Beschaffung der Güter
mit möglichst geringem Aufwande, Verwaltung derselben zum mög-
lichst großen Erfolg einer Bedürfnissättigung u. dgl. Gewinnung und
Verteilung der Güter aber blieben dabei lediglich wirtschaftliche
‚Phänomene‘, kein volkswirtschaftliches praktisches ‚Problem‘, das vom
Standpunkt der allgemeinen Wohlfahrt einer staatlich geeinten Volks-
wirtschaft aus theoretisch zu beurteilen wäre. Kurz, wir können in
einer solchen ‚Sozialökonomie‘ recht viel erfahren von den Gütern,
wie diese ‚ökonomisch‘ erzeugt, verwaltet, verwendet werden, und wie
jeder sich im freien Wettkampf einen Teil dieser Güter anzueignen
sucht. Von der Wohlfahrt des ‚Volkes’ aber hören wir da wenig
oder nichts.“
Darauf ist zu sagen: Wir sind eben als Theoretiker so be-
scheiden, nur Phänomene erklären zu wollen, wir wollen in der
ökonomischen Theorie nicht „soziale Aufgaben“ lösen und kein Re-
zept für die „Wohlfahrt des Volkes“ aufstellen. Wir begnügen uns
mit der Untersuchung des „Oekonomischen*, weil wir glauben, daß
es auf diesem Gebiete noch genug zu tun gibt. Wir fassen es aber
nicht so materialistisch wie die bisherige Theorie und können des-
wegen auch immaterielle Güter, deren Berücksichtigung in der Sozial-
ökonomik Pesch, teilweise mit Recht, vermißt, insoweit sich wirt-
schaftliche Erwägungen an sie knüpfen, in den Kreis unserer Be-
trachtungen hineinziehen. Wir glauben aber, daß, wenn es überhaupt
Aufgabe einer Wissenschaft sein kann, „volkswirtschaftlich-praktische
Probleme vom Standpunkt der allgemeinen Wohlfahrt aus zu beur-
teilen“ — und das ist nur bei kausaler Betrachtung der Fall -— es
nur möglich ist nach richtiger Erkenntnis des „Oekonomischen“, der
Verkehrswirtschaft. Es scheint mir recht anmaßend, soziale Auf-
gaben hinsichtlich der Wohlfahrt des Volkes in einer Wissenschaft
erörtern zu wollen, deren grundlegende Erscheinungen noch so wenig
geklärt sind, in der, um nur ein Beispiel anzuführen, über die Preis-
bildung und die Einkommen, z. B. den Kapitalzins, die lächerlichsten
Kontroversen bestehen. Wir halten es für wissenschaftlich höchst
bedenklich, wenn Ethiker und Politiker einer in einem solchen Zu-
stand befindlichen, noch nicht einmal über ihr Objekt zur Klarheit
gekommenen Wissenschaft die schwierigsten Probleme des Seinsollens
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe aer Wirtschaftswissenschaft. 61
als Aufgabe zuweisen und die Soziologen sie mit der Aufdeckung
aller möglichen gesellschaftlichen Beziehungen belasten wollen. Damit
fördert man nur den wissenschaftlichen Dilettantismus und die Be-
nutzung der Wissenschaft mit ihren noch so wenig gesicherten Er-
gebnissen zu politischen Zwecken. Am schlimmsten ist es aber,
wenn diejenigen, die die undankbare Aufgabe auf sich nehmen, öko-
nomische Theorie zu treiben, und versuchen, ein Jahrhundert alte
Probleme zu lösen und dadurch eine längst existierende Wissenschaft
aus ihrem gegenwärtigen trostlosen Zustand herauszubringen, von
Politikern und Soziologen noch angegriffen werden, weil ihre Theorie
nicht alles erkläre, was diese in ihrer Unklarheit über Inhalt und
Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft an politischen und gesellschaft-
lichen Problemen mit ihr vermengen.
Wir behaupten also, daß wir mit dem lIdentitätsprinzip des
Wirtschaftlichen, so wie wir es auffassen, als etwas Psychisches,
eine Gegenüberstellung von Nutzen und Kosten, ein
einheitliches Erkenntnisobjekt der gesamten Wirt-
schaftswissenschaft und aller ihrer Zweige abgrenzen, welches
dem Erfahrungsobjekt, das man als wirtschaftliche Erscheinungen
bezeichnet, vollkommen kongruent ist und alle regelmäßig als wirt-
schaftlich bezeichneten Probleme umfaßt. Der allgemeinste Begriff, an
den sich das so bestimmte Adjektivum wirtschaftlich anknüpft,
sind die wirtschaftlichen Erwägungen. Wirtschaftliche Hand-
lungen sind dann diejenigen, die unter dem Einfluß solcher
Erwägungen erfolgen, wirtschaftliche Beziehungen, Ein-
richtungen und Veranstaltungen die, welche auf Grund
solcher wirtschaftlichen Erwägungen und Handlungen
entstehen. Sie aus den wirtschaftlichen Erwägungen, bzw. noch
weiter zurückgehend, aus den Bedarfsempfindungen, jedoch ohne
Eingehen auf deren Inhalt, abzuleiten, ist die Aufgabe der Wirtschafts-
theorie.
Man erkennt, daß auf diese Abgrenzung des Objekts der Wirt-
schaftswissenschaft der bisher als fundamental angesehene Gegensatz
von individualistischer und sozialer Betrachtungsweise nicht paßt.
Unsere Theorie zeigt die gegenseitige Verknüpfung aller Einzelwirt-
schaften im Tauschverkehr sehr viel klarer als jede Bestimmung
eines sozialen Objekts, aber sie zeigt natürlich nur die wirtschaft-
liche Verknüpfung und nicht die gesellschaftlichen Beziehungen,
welche durch Sitte, staatliche Zusammengehörigkeit, Besonderheiten
der Rechtsordnung herbeigeführt werden können. Doch kann man,
wenn man einmal die wirtschaftlichen Grundlagen des Tausch-
verkehrs, das Wesen des tauschwirtschaftlichen Mechanismus richtig
erkannt hat, auch die Berücksichtigung aller dieser nichtwirtschaft-
lichen Momente noch heranziehen und die Einflüsse untersuchen,
die von ihnen in einzelnen Fällen auf die Preisbildung, die Ein-
kommensbildung usw. ausgehen. Das werden aber immer spezielle
Erscheinungen sein; gesellschaftliche Einflüsse beeinflussen den Preis
62 Robert Liefmann,
einzelner Güter sehr verschieden, in Deutschland wieder anders als
in Amerika oder China, usw. Mit der allgemeinen Aufgabe der
Wirtschaftstheorie, den tauschwirtschaftlichen Organismus zu er-
einheitliche Wirtschaftswissenschaft auf Grund eines einheitlichen
Identitätsprinzips ermöglichen. Aber wir sahen, daß auch nach der
ersteren zahlreiche zweifellos als Wirtschaftlich bezeichnete Erschei-
sellschaftlichen Problemen abgrenzt.
Mit dem Gesagten glaube ich das Objekt der Wirtschafts-
wissenschaft eindeutig festgestellt, d. h. das althergebrachte Objekt,
die tauschwirtschaftlichen Beziehungen, ihre Einrichtungen und
Veranstaltungen, wenn auch deren Wesen anders aufgefaßt, gegen
kennen vielmehr, daß diese Verwechslung, die Materialistisch-tech-
nische Auffassung der Wirtschaft überhaupt nur das Streben nach
einem sozialen Objekt veranlaßt hat. Wir brauchen die dazu
nötigen künstlichen Konstruktionen, die aus dem Tauschverkehr, aus
bloßen Beziehungen yon Einzelnen, einen „sozialen Organismus“,
eine „Gesamtwirtschaft“, kurzum, ein einheitliches Zweckgebilde
machen wollen und die sich damit von einem klaren Einblick in
die wirtschaftlichen Erscheinungen vollständig entfernen, nicht mit-
zumachen und vermögen trotzdem die durch das Geld herbeigeführte
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 63
enge „soziale“ Verflechtung aller im Tauschverkehr stehenden Ein-
zelwirtschaften, den Zusammenhang aller Preise und Einkommen sehr
viel deutlicher zu zeigen und aus den individuellen Bedarfsempfindun-
gen zu erklären, als das den Vertretern irgendeiner Theorie bisher
möglich war. Wir behalten dabei zugleich die Einheit alles Wirt-
schaftlichen bei und bewirken, daß unser Erkenntnisobjekt sehr
viel mehr mit dem als wirtschaftliches Erfahrungsobjekt bekannten
Problemkomplexe übereinstimmt, als das bei jeder anderen Theorie,
insbesondere der sogenannten sozialen Betrachtungsweise der Fall
war.
Mit dieser Festlegung des Objekts der Wirtschaftswissenschaft
haben wir nun auch schon den Grund gewonnen für weitere Er-
örterungen über das Wesen der Wirtschaftswissenschaft überhaupt
und über die Aufgaben, die sie zu erfüllen hat. Davon im zweiten
Aufsatze.
(Der zweite Teil dieses Aufsatzes folgt im Februar-Heft.)
64 Arthur Dix,
II.
| Vom bulgarischen Wirtschaftsleben
und seinen Aussichten,
ERT
Inhalt: I. Einleitung. II. Der Agrarstaat Bulgarien. III. Bulgariens Industrie,
Handel und Verkehr. IV. Finanzen und Ausblicke.
I. Einleitung.
Die Rührigkeit und Zielsicherheit, die Bulgarien während des
ersten Balkankri i i A i `
das Ausbreitungstempo wollen hier eben mit nicht gewöhnlichen
rungen ebensowenig berücksichtigt, wie die mit ihnen gewonnene
Verbindung zum Weltmarkt durch die nunmehr bulgarischen Küsten-
orte am Aegäischen Meer.
Vom bulgarischen Wirtschaftsleben und seinen Aussichten. 65
Das letzte Jahr, in dem das bulgarische Wirtschaftsleben sich
normal entwickeln konnte, war das Jahr 1911. Die auch noch für
1912 vollständig vorliegende bulgarische Statistik kann naturgemäß
für Vergleichszwecke nur sehr bedingt benutzt werden, da die Bal-
kankriege anormale Verhältnisse schufen. Weiter erstreckt sich die
für den Zeitraum eines ganzen Jahres abgeschlossene bulgarische
Statistik nicht, so daß der Oeffentlichkeit bisher für Neu-Bulgarien
keine amtlichen Ausweise zur Verfügung stehen. [Im folgenden ent-
stammen die statistischen Angaben, soweit nichts anderes vermerkt,
dem bulgarischen Statistischen Jahrbuch für 1912!),] Dem Verf.
standen jedoch durch die Freundlichkeit des Generaldirektors der
Statistik, Herrn Kir. G. Popoff, und des Universitätsprofessors Ge-
orges Th. Danaillow während eines längeren Studienaufenthalts in
Sofia weitere Auskünfte und Aufklärungen reichlich zu Gebote, wo-
für auch an dieser Stelle diesen Herren ebenso der herzliche Dank
abgestattet sei, wie den Herren Konsul Graf v. Podewils und Di-
rektor Glum. —
Eine Betrachtung des bulgarischen Wirtschaftslebens und seiner
Entwicklung während des letzten Menschenalters ist von ganz
eigenem Reiz, weil innerhalb dieser kurzen Zeitspanne sozusagen ein
vollständiger Neubau aufgerichtet ist und sich an diesem Bau Schul-
beispiele ökonomischer Gesetze studieren lassen. Die „Befreiung“,
wie man in Bulgarien kurzweg die Aufrichtung des Fürstentums
Bulgarien und das Ende der türkischen Herrschaft nennt, hat auch
wirtschaftlich von Grund auf neue Verhältnisse entstehen lassen
und eine so gründliche ökonomische Revolution gezeitigt, daß in ge-
wissen Beziehungen die Dinge gegenüber der früheren Zeit geradezu
auf den Kopf gestellt erscheinen.
Um das Wesentlichste mit einem Wort kurz vorwegzunehmen:
Bulgarien ist aus einem Lande blühenden städtischen
Handwerks zu einem blühenden Agrarstaat mit stagnie-
rendem Leben der Städte geworden. Es steht nunmehr vielleicht
vor einer Periode des Ausgleichs zwischen fortdauerndem Aufschwung
der bulgarischen Landwirtschaft und neuer Entwicklung der städti-
schen Gewerbe.
II. Der Agrarstaat Bulgarien.
Bei einer Einwohnerzahl (1910) von 4,34 Millionen Köpfe auf
96000 Quadratkilometer Bodenfläche ist Bulgarien ein Agrarland, in
dem reichlich 80 v. H. der Gesamtbevölkerung auf dem platten Lande
leben und kaum 20 v. H. in den mehr oder weniger kleinen und
vielfach mit dem Ackerbau eng zusammenhängenden Städten. Die
einzige Stadt von mehr als 100000 Einwohnern ist (seit wenigen
Jahren) die Hauptstadt Sofia (1910: 102812; 1900: 67789). Selbst
in dieser Stadt aber trifft man noch auf den Hauptplätzen und
‚.. _ 1) Annuaire Statistique du Royaume de Bulgarie 1912. Sofia, Imprimerie de
"Etat, 1915.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 5
66 Arthur Dix,
-straßen Schaf- und Rinderherden und die Außenviertel tragen großen-
teils ländliche Signatur. Weiter gibt es 7 Städte mit 20—50 000
Einwohnern, 19 mit 10—20000 und 25 mit 5—10000. Dabei ist zu
bemerken, daß der Anteil der städtischen Bevölkerung an der Ge-
samtbevölkerung nicht wächst, sondern im Laufe der zehnjährigen
Spanne zwischen den drei letzten Volkszählungen sich sogar noch
etwas vermindert hat. Es wohnten v. H. der Gesamtbevölkerung
in den Städten auf dem Lande
1900 19,91 80,09
1905 19,57 80,43
1910 . 19,112 80,88
Zur türkischen Zeit blühten in den für balkanische Verhältnisse
ungewöhnlich zahlreichen bulgarischen Städten die Zünfte; bulga-
rische Handwerker versorgten den ganzen Markt der europäischen
und asiatischen Türkei mit Textil- und Lederwaren. Der Boden
des platten Landes befand sich in der Hand der türkischen Feu-
dalen. Diese hatten jedoch große Lasten der Kriegführung zu tragen
und gerieten mehr und mehr in Schulden. Sie gaben ihr Land nicht
nur den fleißigen Bulgaren, die in den Gebirgen der Viehzucht ob-
gelegen, in Bearbeitung, sondern (zur Aufbesserung der eigenen
Finanzen) auch in Pacht bzw. zu Eigentum, seitdem um die Mitte
des 19. Jahrhunderts die türkische Herrschaft durch eine Agrarreform
auch den Bulgaren die Erwerbung von Grundbesitz gestattet hatte.
So wurden aus den Knechten Grundbesitzer und der türkische Groß-
grundbesitzer wurde durch die bulgarischen Bauern ersetzt.
& Der größte Teil des Bodens blieb zunächst freilich Allmende,
und diese Allmende vergrößerte sich noch dadurch, daß nach der
Befreiung die bisherigen Herren des Landes, die sich nicht in die
Rolle des Beherrschten finden mochten, das Land verließen und ihren
Besitz an die Dörfer veräußerten. So finden wir in Bulgarien die
folgende, auffällige Verteilung des Grundbesitzes:
1897 1908
v. H. v. H.
Staat 10,55 7,89
Gemeinden 23,78 25,09
Private 41,28 48,01
nicht exploitiertf 23,05 17,15
Der Rest entfällt auf die tote Hand.
Wenn der Gemeindebesitz sich nach dieser Statistik auch noch
bis 1908 vermehrt hat, so zeigt die Allmende jetzt doch eher eine
abnehmende Tendenz, da der landhungrige Bauer durch „Abpflügen“
auf Kosten der Gemeindeweide seinen Ackerboden zu vergrößern
bestrebt ist, auch mit dem Uebergang zu rationellerer Wirtschaft die
von der Gemeindeweide lebenden Schafherden sich verringern und
Allmende zu Bebauungszwecken veräußert wird. Auch die tür-
kischen Bauern aus der früheren Zeit haben ihre Wirtschaften nach
der Befreiung an bulgarische Bauern verkauft, um selbst nach tür-
kisch gebliebenen Gebieten auszuwandern. Die Landtransaktionen
Vom bulgarischen Wirtschaftsleben und seinen Aussichten. 67
haben sich großenteils mit Hilfe der bulgarischen Bauernbank voll-
zogen.
Der Landhunger der bulgarischen Bauern konnte in der Zeit des
großen Besitzüberganges ein starkes Sinken der Bodenpreise nicht
hindern, da den Agrarprodukten der Absatzmarkt fehlte, die Bauern
sich überkauften, dadurch in Schulden und zur Zeit der allgemein
niedrigen Getreidepreise in eine große Krisis verfielen.
Die Absatzmöglichkeiten für die bulgarischen Agrarpro-
dukte waren naturgemäß durchaus abhängig von den Verkehrs-
möglichkeiten. So lange der Grundbesitzer den kaufkräftigen
Markt blühender Handwerkerstädte vor der Tür gehabt hatte, vollzog
das volkswirtschaftliche Leben sich glatt und eben in den Bahnen des
alten, unmittelbaren Tauschhandels. Als aber der raschen Vermehrung
bulgarischer Bauernwirtschaften ein Rückgang der Städte infolge be-
ginnender industrieller Konkurrenz des Auslandes folgte, war das
ganze Wirtschaftsleben schwer gestört und vollständigen Umwäl-
zungen ausgesetzt.
In früheren Zeiten — d. h. immer bis über die Mitte des vorigen
Jahrhunderts hinaus — war Bulgarien vom Weltverkehr höchst ab-
geschieden. Auf der Donau, der natürlichen Hauptverkehrsstraße des
Landes, fand nur ein ganz beschränkter Verkehr von Segelschiffen
statt. Das änderte sich, als der Pariser Vertrag die Freiheit der
Donauschiffahrt brachte und daraufhin Oesterreich den Dampferver-
kehr einzuführen und zu organisieren begann. Nun rückte Bulgarien
plötzlich an den Weltmarkt heran, dem es bald auch noch durch die
sogenannten Hirsch-Bahnen weiter erschlossen wurde. Plötzlich
stand dem Lande der Weltmarkt offen.
Nun kam die bulgarische Produktion in ganz neue Bahnen:
Der Agrarproduktion öffnete sich die Ausfuhrmöglichkeit und da-
durch eine ungeahnte Möglichkeit der Produktionssteige-
rung. Der offene Weltmarkt aber beeinflußte Bulgarien nicht nur
empfangend, sondern auch gebend — und gebend nahm er der bulga-
rischen Volkswirtschaft die Grundlage ihrer alten Blüte: die Einfuhr
industrieller Erzeugnisse tötete das bulgarische Handwerk.
Für den unter diesen doppelten Einwirkungen des
Weltmarkts sich herausbildenden Agrarstaat Bul-
garien war die Steigerung der Produktion durch die Erschließung
der Ausfuhrmöglichkeiten entscheidend. Freilich ist im Auge zu
halten, daß zunächst das Landgebiet, das von den Ausfuhrmöglich-
keiten zu profitieren vermochte, recht begrenzt blieb: Der landes-
übliche Transport auf kleinen Büffelwagen gestattete nicht auf weite
Entfernungen die Zufuhr großer Getreidemengen zur Donau, und
nur die der Donau bezw. später auch der Eisenbahn nächstgelegenen
Landstriche konnten sich zunächst an den Lieferungen für den
Weltmarkt beteiligen. Weiter im Innern blieb die Schaf-, Ziegen-
und Büffelzucht noch vorherrschend. In dieser Uebergangsperiode
war das Land mit groben Strichen in zwei Hauptgebiete zu teilen:
das Ackerbaugebiet der Donau und das Viehzuchtgebiet des Balkan.
5*
68 Arthur Dix,
In der Periode von etwa 1881—95 dringt der Ackerbau von
der Donau aus langsam südwärts vor. Hatte die Erschließung der
Ausfuhr aber bis dahin die Produktion gesteigert, so stieß in der
Folgezeit die ausfuhrbedürftig gewordene Produktion draußen auf
so schlechte Weltmarktpreise, daß die Verschuldung der Bauern, die
sich im Landhunger überkauft hatten, nun zur vollen Geltung kam
und eine schwere Krisis über das Land zog. Sie währte etwa von
1897—1900 bezw. 1902. Die Hebung der internationalen Marktlage
und die weitere Eisenbahnerschließung gaben der Ausfuhr und der
Produktion dann wiederum neue Impulse, und seit 1903 setzte der
Aufschwung so lebhaft ein, daß der bulgarische Bauer sein Interesse
auch intensiveren Wirtschaftsformen zuzuwenden begann.
In dieser Hinsicht verdient bemerkt zu werden, daß das bulga-
rische Ackerbauministerium zwar bereits seit seiner im Jahre 1894
vollzogenen Gründung die Einführung von Maschinen in die land-
wirtschaftlichen Betriebe Bulgariens zu begünstigen suchte, damit
aber während des ersten Jahrzehnts keinerlei Erfolg hatte. Als
aber die Gestaltung der Weltmarktpreise eine intensivere Wirtschaft
rentabel erscheinen ließ, begann der bulgarische Bauer von selbst,
der Maschine lebhaftes Interesse zuzuwenden.
War nun auf der einen Seite die Intensivierung der Wirtschaft
mit einer gesteigerten Besitzteilung verbunden, indem die bis dahin
sehr großen bulgarischen Familienverbände sich unter Individuali-
sierung der Besitzverhältnisse in ihre Bestandteile auflösten, so
zeitigte andererseits die Benutzung der landwirtschaftlichen Maschine
wiederum einen Zusammenschluß der Betriebe, und zwar auf dem
Wege der Genossenschaft. Es bildeten sich zahlreiche Genossen-
schaften zum Erwerb landwirtschaftlicher Maschinen, und zwar vor-
wiegend deutscher Fabrikate.
Nach diesen allgemeinen Bemerkungen über die Bodennutzung
in der bulgarischen Landwirtschaft mögen die statistischen Belege
für Benutzung und Besitzverteilung des Bodens sowie für den
Umfang der Maschinenbenutzung und des genossenschaftlichen Zu-
sammenschlusses zu diesem Zweck am Platze sein. Die bulgarische
Statistik hat als Hauptmaß für Bodenfläche 1 Decar (= 10 ar).
Die bulgarische Agrarstatistik von 1908 zählt rund 10 Millionen
Grundstücke mit zusammen 80 Mill. Decar. Davon waren 36 Mill.
Decar Ackerboden, 9 Mill. Weide und 28 Mill. Forst. Gegen 1897
hatte der Ackerboden sich um 22 v. H. vermehrt, der überhaupt
land- und forstwirtschaftlich genutzte Boden um 8 v. H. und die
Zahl der Grundstücke um 24 v. H
Die Besitzverteilung ist gekennzeichnet durch das Ueber--
wiegen der Grundstücke von 50—150 Decar, und zwar entfielen
von der genutzten Gesamtfläche im Jahre 1908 auf die Größenklasse
v. H. v. H. der
der Fläche Besitzungen
50—75 Decar 14,3 19
75-10 „ 12,6 14
100—150 „ 17,7 16
Uom bulgarischen Wirtschaftsleben und seinen Aussichten. 69
Die bulgarische Agrarwirtschaft ist durchaus als Bauern-
wirtschaft gekennzeichnet und trägt den Stempel einer sehr
gleichmäßigen Besitzverteilung. Der gesamte Bodenwert wird
von der amtlichen Statistik für die verschiedenen Perioden, wie
folgt, beziffert !):
1895 1570 Mill. fres.
1900 ZOLI “a
1908 4838 u» vi
1912 6629 „
Davon:
Ackerwert 1895 692 Mill? fres. Forsten 1895 686 Mill. fres.
er 1912 3597 » » „ 1912 2353 » w
Weide 1895 IO 5 2:5 Obst- u. Gemüse-f 1895 Te u es
zn 1912 264: 350 gärten ae 46 0.»
Weinland 1895 82 ur Rosarien 1895 Sie 1409. im
3 1912 iga mo vr 1912 25 un
Auffallend ist in dieser Schätzung, daß nicht nur der Boden
der durch Landwirtschaft und Gartenbau genutzten Fläche gewaltige
Preisvermehrungen verzeichnet, sondern auch die Forsten in einem
Maße höher bewertet werden, wie es normalerweise kaum erklärlich
wäre. Neben der Verkehrserschließung und allgemeinen Hebung
der Konjunktur ist zur Erklärung der scharfen Forstschutzgesetz-
gebung Bulgariens zu gedenken, die dem Raubbau Einhalt getan und
rationeller Forstwirtschaft die Wege geöffnet hat.
Was die Preisentwicklung von Grund und Boden
im einzelnen anbelangt, so mögen hier verschiedene Beispiele für
dieBewegung der durchschnittlichen Ackerpreise in einzelnen Kreisen
angeführt sein (für den Decar):
1880 1905 1912
Kreis Varna 6 14 53 fres.
„ Vidin 20 90 149 »
» Küstendil 25 127 226 „
„ Plewna 6 67 118 „
„ Sofia 18 102 ET M
Ferner für Rosarien:
Kreis Stara Zagora 80 400 600 „
„ Strajitza 50 200 535
Die Einfuhr landwirtschaftlicher Maschinen und
Geräte bezifferte sich dem Werte nach
1890 auf 200 000 fres. 1905 auf 1700000 fres,
1895 „ 550000 „ 1910 „ 3700000 „
1900 „ 600000 „„, 1912 „ 6800000 ,
Für die Bedürfnisse des landwirtschaftlichen Kredit-
wesens sorgt in erster Linie die Banque Agricole de Bulgarie,
die mit folgenden Kapitalien arbeitete:
1881 6,3 Mill. fres.
1886 14,2 ,„ i
1898 30,7 „ »
1912 523 > n
1) Nach neuesten Mitteilungen des Statistischen Amts.
70 Arthur Dix,
Die Zentral-Genossenschaftsbank, die insbesondere die genossen-
schaftliche Maschinenbeschaffung und -benutzung fördert, ist ge-
gründet mit je 2,5 Mill. der Nationalbank und der Agrarbank
und zählt 1117 ordentliche Mitglieder. Ihre Umsätze beliefen sich
1912 auf rund 76 Mill. frcs., ihre Mitglieder sind in erster Linie
Agrargenossenschaften, deren Zahl in Bulgarien mehr als
500 beträgt. Sie haben gegen 35000 Mitglieder, vorwiegend
natürlich Bauern. Daß auch Gelehrte, Geistliche und Beamte an
führenden Stellen der Förderung dieser Agrargenossenschaften leb-
haftes Interesse zuwenden, dafür spricht die Tatsache, daß gegen
7 Proz. der Mitglieder (vorwiegend aus den eben bezeichneten
Kreisen) keinen Grundbesitz haben. Bemerkt zu werden verdient
ferner, daß über 70 Proz. der Mitglieder schriftkundig und kaum
30 Proz. Analphabeten sind. Aus der bulgarischen Landwirtschaft
verschwinden in raschem Tempo die Bauern, die keinerlei Schul-
bildung genossen haben, und machen einer neuen, jeder Belehrung
leichter zugänglichen und auch wirtschaftlich beweglicheren Gene-
ration Platz. Präsident der bulgarischen Ackerbau-Genossenschaften
ist Professor Danaillow, der Nationalökonom der Universität Sofia.
Um noch einen Augenblick bei dem eben erwähnten Bildungs-
wesen zu verweilen, dessen Entwicklung für die Produktions-
steigerung in der bulgarischen Landwirtschaft von erheblicher Be-
deutung ist, so muß die nach italienischem Muster geschaffene
Einrichtung der Wanderschulen Erwähnung finden. Bulgarien hat
nicht die deutsche Methode der landwirtschaftlichen Wanderlehrer
übernommen, sondern die Methode ganzer Wanderschulen („Kreis-
Ackerbau-Katheder“), die, in Zahl von etwa einem halben Dutzend
existierend, von Ort zu Ort ziehen, bei den Bauern großes Interesse
finden und überall begehrt sind.
Was die bulgarische Viehzucht anbetrifft, so sahen wir bereits,
daß in früherer Zeit das Balkangebiet ganz überwiegend Viehzucht-
gebiet war. Eine Fahrt durch das Land zeigt heute noch überall
großen Viehreichtum, doch macht das Vieh einen sehr unscheinbaren
Eindruck. Rinder und Pferde zumal sind außerordentlich klein.
Diesen kleinen Tieren aber wird eine sehr große Zähigkeit nach-
gesagt, die seitens der Pferde auch in den letzten Kriegen sich
überraschend bewährt haben soll. Bis vor kurzer Zeit kannte der
bulgarische Bauer überhaupt keine Pferde, sondern arbeitete nur mit
dem in bezug auf Futter und Pflege viel anspruchsloseren Büffel.
Erst die agrarische Blüte der Gegenwart hat auch bei den bulga-
rischen Bauern das Bedürfnis nach dem früher als Luxus betrach-
teten Pferd entwickelt.
Die Statistik der Haustiere in Bulgarien weist folgende Ziffern
auf (1910):
Pferde 478 000 Schafe 8 669 000
Maultiere 12 000 Ziegen I 465 000
Esel 118 000 Schweine 527 000
Rindvieh 1 606 000 Geflügel 8 689 000
Büffel 413 000
Vom bulgarischen Wirtschaftsleben und seinen Aussichten. 71
Interessant ist, daß selbst in den Städten neben 45000 Pferden
noch 21000 Büffel gezählt wurden, was den agrarischen Charakter
des ganzen Landes scharf kennzeichnet.
Die Viehpreise haben in Bulgarien eine starke Aufwärtsbe-
wegung zu verzeichnen, die jedoch nicht entfernt Schritt gehalten hat
mit der gewaltigen Steigerung der Ackerpreise. Der Ackerbau über-
ragt in der bulgarischen Landwirtschaft an Bedeutung mehr und
mehr die Viehzucht, zumal den Erzeugnissen des bulgarischen Acker-
baus der ganze Weltmarkt offensteht, bulgarisches Vieh aber in der
Hauptsache nur in der Türkei Absatz findet und die Verwertung
tierischer Produkte für Ausfuhrzwecke kaum in den Anfangsgründen
steckt.
Die Ausfuhr der Agrarprodukte aus Bulgarien zeigt die
nachstehende Entwicklung (in Mill. kg bzw. Mill. frecs.):
1895 1905 1911)
kg fres. kg fros. kg fres.
Cerealien (Getreide, Mais, Reis) 505 59 723 95 824 107
Hülsenfrüchte 0,8 0,2 10 2,4 24 6,2
Obst und Nüsse 0,3 0,08 3,2 0,4 1,3 0,5
Gemüse 03 0,1 1,1 0,16 0,4 0,05
Industriepflanzen 3,6 0,8 35 8,5 18 5,7
Futtermittel — — 6 0,6 14 2
Der Wert der Ausfuhr an lebenden Tieren bezifferte sich 1911
auf 8 Mill. frcs., an Fleisch- und Viehprodukten auf 18 Mill. fres.
An verarbeiteten Feldfrüchten wird Mehl in erheblichen Mengen
ausgeführt. Dagegen ist die Ausfuhr von zu Konserven und dergl.
verarbeiteten Früchten und Gemüse minimal.
Insgesamt zogen die bulgarischen Bauern vor der Periode der
Kriege über 150 Mill. frcs. für die Ausfuhr von Erzeugnissen der
Landwirtschaft und Viehzucht im Jahre aus dem Auslande an sich.
Dieser Geldzufluß hat das bulgarische Dorf reich gemacht in einer
Zeit, in der die bulgarische Stadt zurückblieb. Er hat dem Gebiet
ehemals blühenden städtischen Zunftwesens den Stempel des blühenden
Agrarstaates aufgeprägt.
Unter dem Einfluß dieses Geldzuflusses hat der früher unend-
lich bedürfnislose bulgarische Bauer Kulturbedürfnisse zu entwickeln
begonnen. Das einfachste Gerät, das früher auf seinem Tische un-
bekannt war — Glas, Messer, Löffel — hat erst in dieser Zeit Ein-
gang in das Bauernhaus gefunden. Die früher denkbar primitiven
Hütten der Bauerndörfer weichen neuen, ansehnlicheren Bauten. Die
steigenden Bedürfnisse verbinden den Bauern enger mit dem ihre
Befriedigung liefernden Weltmarkt und geben dadurch neuen Impuls
zu weiterer Steigerung seiner Produktion und Ausfuhr.
. Noch steht, trotz der im letzten Jahrzehnt erzielten Fortschritte,
die rationelle Entwicklung der bulgarischen Land-
1) Die für 1912 gleichfalls vorliegenden Zahlen bieten wegen der damaligen
Kriegszustände keinerlei normale Vergleichsmöglichkeit. Für die spätere Zeit liegen
bisher nur Teilangaben vor.
72 Arthur Dix,
wirtschaft in ihren Anfängen, noch ist eine Vervielfachung
der Produktion möglich. Erst die durch die Schule gegangene neue
Generation ist befähigt, den Fortschritten der Agrarkultur in raschen
Schritten nachzustreben. Der Ausnutzung der technischen Verbesse-
rungen und ihrer Früchte öffnen sich sowohl durch industrielle
Weiterverarbeitung im Lande, wie durch neue Ausfuhrverbindungen
wesentlich erweiterte Möglichkeiten. Ihre Betrachtung führt uns
hinüber zu:
III. Bulgariens Industrie, Handel und Verkehr.
Bulgarien war, wie mehrfach hervorgehoben, vor der Befreiung
ein Land blühenden städtischen Handwerks. Der bulgarische Hand-
werker und Händler in der Stadt wuchs an Reichtum hinaus über
den verschuldeten türkischen Feudalen auf dem Lande — ein Um-
stand, der nach dem Urteil mancher bulgarischen Gelehrten und
Politiker das Befreiungswerk sehr förderlich beeinflußt hat. Nach
der Befreiung büßte die bulgarische Stadt den türkischen Absatz-
markt teilweise ein; das bulgarische Handwerk bekam die er-
drückende Konkurrenz der fremden Industrie zu spüren;
der Städter mußte fortfahren, Nahrungsmittel zu kaufen, indessen
die Gelegenheit, seiner Hände Erzeugnis zu verkaufen, wesentlich
eingeschränkt war — kurz, eine tiefgehende Krisis ergriff
das Wirtschaftsleben der bulgarischen Städte, die bis in unsere Tage
fortdauert.
Wohl hat auch das platte Land seine Krisenzeiten durchgemacht,
aber dank der Entwicklung der Weltmarktsverhältnisse für die Agrar-
produkte hat es sie überwunden und seither einen großen Aufschwung
genommen. Jetzt ist es an der Zeit, daß dieser ländliche Aufschwung
auch befruchtend einwirkt auf Produktion und Handel in den Städten
und daß auf diese Art ein neues Gieichgewichtin die bul-
garische Volkswirtschaft kommt. Den bulgarischen Städten
scheint ein neues Heil zu winken aus der zweckmäßigeren Verar-
beitung der Agrarprodukte für den Weltmarkt und der Förderung
ihres erweiterten Absatzes.
Die industrielle Entwicklung Bulgariens hält sich
bisher in bescheidenen Grenzen. Der Staat sucht die industriellen
Unternehmungen durch Unterstützungen verschiedener Art zu er-
mutigen und zu fördern, und zwar insbesondere durch Steuer- und
Zollermäßigungen bzw. -vergütungen'). Die Zahl der in dieser Art
1) Das „Gesetz zur Hebung der inländischen Industrie“ besagt, daß Fabrikunter-
nehmungen mit mindestens 25000 Lewa Kapital folgende Begünstigungen erhalten
können: Befreiung von den Grund- und Stenıpelsteuern für mehrere Jahre; 35 Proz.
Frachtermäßigung auf den bulgarischen Bahnen; zollfreie Einfuhr aller Maschinen und
Rohmaterialien; vorgängige Berücksichtigung bei Vergebung aller Aufträge von öffent-
lichen Körperschaften, selbst wenn die Preisforderung des bulgarischen Unternehmens
diejenige ausländischer Wettbewerber bis zu 5 Proz., in gewissen Fällen auch bis zu
15 Proz. übersteigt. Diese Vergünstigungen genießen auch mit fremdem Kapital in
Bulgarien arbeitende Fabriken für ibre in Bulgarien produzierten Erzeugnisse,
Vom bulgarischen Wirtschaftsleben und seinen Aussichten. 73
staatlich subventionierten Privatbetriebe war im Jahre 1912 auf 381
(1909: 261) gestiegen. Außerdem gab es 8 Industrieunternehmungen
des Staates selbst. Von den industriellen Privatunternehmungen ent-
fallen auf:
Anzahl Kapital!) Motorische PS. Arbeiter
Bergwerke 4 2,6 655 436
Metallindustrie 31 3,9 796 1035
Keramische Industrie 24 7,6 1612 1703
Chemische Ps 30 3,8 586 602
Nahrungsmittel und Getränke 158 36,8 11 107 3 202
Textil-Industrie 76 17,4 5 981 4408
Holz- m 22 3,7 1 090 657
Leder- ” 28 3,1 754 533
Papier- „ 6 1,7 446 201
Elektrische Industrie 2 7,0 8720 5o
zusammen 381 87,6 31747 12 827
Sowohl nach der Zahl der Etablissements wie nach dem Umfang
des angelegten Kapitals und der Maschinenkräfte steht also die In-
dustrie der Nahrungs- und Genußmittel weitaus an der
Spitze, wogegen in bezug auf die Zahl der beschäftigten Arbeiter
die Textilindustrie den Vortritt hat. Insgesamt beschäftigt die
Fabrikindustrie in Bulgarien nur rund 13000 Arbeiter, indes die
bulgarische Berufsstatistik als überhaupt industriell erwerbstätig für
1905: 146388 Personen verzeichnete (Gesamtbevölkerung 4337 513
Köpfe, davon erwerbstätig 51,8 Proz., in der Landwirtschaft 1739181,
im Handel 82 284, in freien Berufen 45587, Dienstboten 16 329).
Auch die Art der fabrikmäßig betriebenen Industrien verrät
durchaus den agrarischen Charakter des Landes: Unter den oben
as 381 Etablissements befinden sich nicht weniger als 110
ühlen.
Von besonderem Interesse ist ein Ueberblick darüber, wie weit
die Fabrikbetriebe unmittelbar in bulgarischem Boden
wurzeln und wie weit sie auf die Weltmarkt-Verbindungen
angewiesen sind. Die amtliche bulgarische Statistik ermittelt sowohl
die Verwendung heimischer und fremder Rohmaterialien wie den
Absatz der Fertigfabrikate in Bulgarien und im Auslande. Ohne
hier alle Einzelheiten dieser bemerkenswerten Statistik wiederzugeben
(die leider nur für das Kriegs-, also wirtschaftlich anormale Jahr 1912
vorliegt), mögen doch einige besonders hervortretende Daten ange-
tt werden.
. Die größte, d. i. die Nahrungsmittel-Industrie, wurzelt
mit ihrer Produktion ganz im heimischen Boden, ist mit ihrem Ab-
Satz aber sehr wesentlich auch auf den Weltmarkt angewiesen. Von
dem verarbeiteten Rohmaterial stammen dem Werte nach 47 Mill. frcs.
aus dem Inland und nur 2,6 aus dem Ausland. Die verkauften Pro-
m
F 1) In Grundstücken, Gebäuden und Maschinen angelegtes Kapital in Millionen
ranes,
74 Arthur Dix,
dukte haben einen Wert von 58,7 Millionen, wovon 14,5 ins Ausland
ehen.
$ In gewissem Sinne, hinsichtlich der Herkunft der Rohstoffe, den
„agrarischen“ Industrien zugerechnet ist ferner die Lederindustrie.
Sie verarbeitet in Bulgarien, wo sie ehedem auf Grund heimischer
Rohstoffproduktion blühte, zurzeit nur für 0,7 Millionen Landes-
produkte, und 3,8 Millionen ausländischer Herkunft. Ihr Absatz in
Höhe von 5,6 Millionen ist ganz auf das Inland beschränkt.
Die Holzindustrie arbeitet ausschließlich für den heimischen
Markt (Absatz 0,9 Millionen) und zum größten Teil mit heimischem
Rohmaterial (0,3 von insgesamt 0,5 Millionen).
Die an die Holzindustrie angrenzende Papierindustrie ar-
beitet ebenfalls ausschließlich für den Inlandmarkt (Absatz 0,6 Mill.),
ist aber zum größeren Teil auf ausländische Rohstoffe angewiesen
(0,24 von insgesamt 0,45 Millionen).
Auch die keramische Industrie arbeitet restlos für den
bulgarischen Markt (Absatz 3,4 Millionen). Von 1,5 Millionen ver-
arbeiteter Rohstoffe entfallen bei ihr 0,5 auf die Einfuhr.
Sehr stark auf die ausländische Rohstoffeinfuhr angewiesen sind
die Metallindustrie und die chemische Industrie.
Die Metallindustrie führt bei einer Gesamtverarbeitung
von 1,46 Millionen nicht weniger als 1,28 aus dem Auslande ein
setzt dagegen von den 2,7 Millionen ihrer Erzeugnisse nur für
12000 frcs. im Auslande ab.
Die chemische Industrie verarbeitet für 0,6 Millionen
heimische und für 1,7 Millionen fremde Rohstoffe; sie setzt im In-
lande für 2,5, im Auslande für 0,4 Millionen ab.
Endlich die Textilindustrie. Bei einer Gesamtverarbeitung
von 13,7 Millionen stellt sich ihr Einfuhrbedarf auf 8,9 Millionen.
Von ihren Verkäufen im Werte von 18,8 Millionen fanden 1,3 Mill.
ihren Weg auf fremde Märkte.
Das Gesamtbild ist folgendes:
I. Rohstoffverbrauch: E bulgarischer Herkunft 56,3 Mill. fres.
2) fremder Herkunft 20,7 en
II. Absatz: 1) in Bulgarien 86,0 „ Pr
2) im Ausland 175 » DD
Sehr geringfügig ist die Gewinnung mineralischer Roh-
stoffe aus dem bulgarischen Boden. Sie beschränkte sich 1912 auf
20000 Tonnen Kupfer
5 000 EN Blei
312 000 i Erdöl
Im Jahre 1912 wurden 172 Erlaubnisscheine für Bergwerks-
Prospektoren ausgegeben (1892—1912 zusammen 2392), wobei die
Erdölmutung die Hauptrolle spielt, daneben Eisen und Kupfer.
Bergwerks-Konzessionen wurden erteilt:
1892—1909: 38
1910: 7
1911: 4
1912: —
Vom bulgarischen Wirtschaftsleben und seinen Aussichten. 75
In Kraft waren Ende 1912: 40 Bergwerks-Konzessionen,
wiederum in der Mehrzahl gültig für Oelgewinnung. In der Metall-
gewinnung spielt nur eine sehr reiche Kupfermine bei Vratza eine
Rolle. Ob in Alt-Bulgarien weitere Bodenschätze ausbeutungsfähig
sind, entzieht sich der Beurteilung. Sicher aber ist, daß reiche
Mineralschätze in jenen Gebieten Mazedoniens vorhanden sind, die
durch den zweiten Balkankrieg Serbien zugefallen waren, im Oktober-
November 1915 aber von den Bulgaren in der Absicht besetzt wurden,
sie nicht wieder aus der Hand zu geben.
Faßt man dienatürlichen Grundlagen ins Auge, auf denen
die bulgarische Industrie entwicklungsfähig ist, so sind wiederum in
erster Linie diejenigen Industrien in Betracht zu ziehen, die sich auf
der Agrarproduktion aufbauen. Es wurde schon erwähnt, daß zurzeit
die Mühlenindustrie Bulgariens Hauptindustrie bildet. Mit bulga-
rischem Kapital waren hervorragende, mit allen Hilfsmitteln modernster
Technik ausgestattete Mühlen, namentlich auch in jenen Donaustädten
der Sid-Dobrudscha, angelegt worden, auf die im zweiten Balkan-
krieg Rumänien seine Hand legte').
In den Anfängen begriffen ist ferner die bulgarische Zucker-
und Spiritusindustrie. Auch Teigwaren (Makkaroni) werden fabrik-
mäßig hergestellt. Entwicklungsfähig ist weiter die Pflanzenöl-
(Rüböl-)Fabrikation. Noch nicht vorhanden, aber offenbar recht aus-
sichtsreich ist für Bulgarien die Fabrikation von Obst- und
Gemüsekonserven. Der Bulgare steht als Gärtner in hohem
Ruf; alljährlich gehen viele bulgarische Gärtner nach der Türkei,
Rumänien, Ungarn, Rußland, auch Amerika. Der Boden liefert aus-
gezeichnete Früchte; große Zuckermelonen sind für ungemein billige
Preise in großen Mengen erhältlich; der bulgarischen Tomate wird
besondere Güte nachgesagt. Die Bewässerung durch die Gebirgs-
bäche ist für die Gemüsezucht ebenso wertvoll wie die bis in die
späte Jahreszeit hinein heiße bulgarische Sonne. Die Bedingungen
für die Schaffung einer ausgedehnten bulgarischen Konservenfabri-
kation sind auf dieser Grundlage um so günstigere, als ja auch die
Zuckerindustrie bereits in der Entwicklung begriffen ist. Was fehlt,
sind die Verpackungen (Weißblech!). Ob hier die Einfuhr oder aber
die keramische Industrie Bulgariens, der reiche Tonerden-Lager zur
Verfügung stehen, einzugreifen hätte, muß dem Urteil der Praktiker
überlassen bleiben.
Bulgarien liefert fernerhin reichliche Wolle für die Textilindustrie.
Mit Intensivierung der Bodennutzung geht allerdings die Schafzucht
zurück; dafür aber dehnt sich anderseits die Baumwollkultur aus,
deren Pflege vor seinen Toren für Mitteleuropa von besonderem
Interesse ist.
1) Vgl. „Les Pretentions de la Roumanie sur le territoire bulgare et la ville de
Silistrie“. Conference tenue le 10./23. Mars 1913 par le Professeur Georges Th. Da-
naillow, Sofia, Imprimerie de l’Etat, 1913.
76 Arthur Dix,
Der handwerksmäßigen Lederverarbeitung, die früher in Bulgarien
in so hoher Blüte stand, ist eine bulgarische Lederindustrie nach
der Vernichtung des Handwerks noch nicht gefolgt.
Vernichtet ist das alte bulgarische Handwerk vornehmlich durch
die Konkurrenz der billigen österreichischen Industrieerzeugnisse
nach dem Bau der Eisenbahnen und Einführung der türkischen
Wertzölle.e Auf den früher vom Handwerk beherrschten Gebieten
entwickelte sich eine eigene bulgarische Industrie nur langsam, aber
bemerkenswerterweise fast ganz mit bulgarischem Kapital.
Seit 1885 beginnt die Entwicklung der Textil-(Woll-)Industrie. Aus-
ländisches Kapital hat sich erst bei Schaffung der bulgarischen
Zuckerindustrie betätigt, wogegen die in größerer Zahl entstandenen
Brauereien gleich den vielen Mühlen aus dem Gelde der bulgarischen
Bauernkapitalisten hervorgegangen sind.
Soweit fremdes Kapital in die bulgarische Industrie
Eingang gesucht und gefunden, war es in erster Linie belgischen
Ursprungs. Auch die Straßenbahn und die elektrische Beleuchtung
von Sofia hat das belgische Kapital geschaffen; die Einrichtungen
sind indessen geliefert von der Deutschen A.E.G. Deutsches oder
österreichisches Kapital steckt bisher fast garnicht in der jungen bulga-
rischen Industrie. Vorteilhafte Verwendung würde ihm wohl in
erster Linie winken in der Konservenindustrie sowie in der Seiden-
industrie, die konkurrenzfähig nur mit größeren Kapitalien zu ent-
wickeln ist.
Während das deutsche Kapital mit der bulgarischen Industrie
noch keine direkte Fühlung genommen hat, ist es im bulgarischen
Handel hervorragend tätig. An der Regelung des bulgarischen
Kreditwesens hat sich das deutsche Kapital nicht nur zeitlich zu-
erst, sondern auch dem Umfange nach am bedeutendsten beteiligt —
war doch die letzte bulgarische 500 Millionen -Anleihe, die durch
die Diskonto - Gesellschaft übernommen wurde, die größte Finanz-
Transaktion, die Bulgarien bisher jemals durchgeführt hat.
Die erste mit ausländischem Kapital in Bulgarien gegründete
Bank war 1905 die durch die deutsche Diskonto-Gesellschaft ge-
schaffene Kreditbank. Ihr folgte 1906 die österreichische Balkan-
bank, später die Banque Générale, die mit französischem und unga-
rischem Kapital ins Leben gerufen wurde, und neuerdings eine „Banque
Franco-bulgare d’hypotheque“. Die öffentlichen Anleihen Bulgariens
wurden ursprünglich in Frankreich untergebracht, die private Kredit-
organisation aber vorwiegend durch deutsches Kapital geregelt.
Unter den bulgarischen Aktienbanken verfügt die obengenannte
französisch-bulgarische mit 20 Millionen über das größte Grund-
kapital. Die staatliche Nationalbank arbeitet mit 11 Millionen Ka-
pital und 7 Millionen Reserven (1907: 10 +5, 1886: 6 +0, 1880:
1,78 + 0,18). Bei den 16 Bankstellen und den Agenturen der Na-
tionalbank wurden im Jahre 1912 1,5 Millionen Operationen mit
6,7 Milliarden frcs. Umsatz vollzogen. —
Vom bulgarischen Wirtschaftsleben und seinen Aussichten. 77
Der bulgarische Außenhandel hatte zur handelspolitischen,
vertragsmäßig geregelten Grundlage bei der Befreiung die Bedin-
gungen zu übernehmen, die seit 1862 in den ersten türkischen Handels-
verträgen festgelegt waren — d. h. die Bindung an einen 8-proz.
Wertzoll. Dieser Satz ermöglichte in erster Linie die für das
städtische Wirtschaftsleben im selbständigen Bulgarien ruinöse Kon-
kurrenz der österreichischen Industrieerzeugnisse mit den Produkten
des bulgarischen Handwerks. Erst im Jahre 1896 kam ein eigener
Vertrag Bulgariens mit Oesterreich-Ungarn über die Erhöhung der
Wertzölle bis auf 14 v. H. zustande, dem entsprechende Verträge
mit Deutschland, Italien, Frankreich und den anderen Mächten
folgten.
Die Folgezeit brachte in Bulgarien eine schutzzöllnerische Be-
wegung. Im Jahre 1902 wurde eine Kommission zum Studium der
handelspolitischen Fragen und zur Vorbereitung eines bulgari-
schen Zolltarifs eingesetzt. Der Zolltarifentwurf wurde bis zum
Jahre 1905 fertiggestellt. Wiederum begannen die handelspolitischen
Verhandlungen auf dieser neuen Grundlage zunächst mit derjenigen
europäischen Macht, die für Bulgarien wirtschaftlich am wichtigsten
war: Oesterreich-Ungarn. Diese Verhandlungen führten zunächst
jedoch zu keinem Ergebnis. Der erste neue Vertrag kam mit Ruß-
land zustande, doch war und ist der russisch-bulgarische Handel be-
langlos.
Im März 1905 sandte die bulgarische Regierung Delegierte nach
Berlin zur Aufnahme von Handelsvertragsverhandlungen zwischen
Bulgarien und Deutschland. Erster Delegierter war Prof. Danaillow,
ein ausgezeichneter Kenner des bulgarischen Wirtschaftslebens, der
auf deutschen Hochschulen Nationalökonomie studiert hat und in der
Leitung des bulgarischen Genossenschaftswesens nach deutschem
Muster einen führenden Platz einnimmt. Diese handelspolitische Sonder-
gesandtschaft pflog in Berlin vier Monate lang die Beratungen, bis
sie zum erstrebten Abschluß des deutsch-bulgarischen Handelsver-
trages kam, der dann das Muster abgab für die Verträge mit Italien,
Frankreich und England.
Inzwischen wurden 1905 auch Verhandlungen mit Serbien über
eine bulgarisch-serbische Zollunion geführt. Ein entsprechender Ver-
trag wurde geschlossen und von der Sobranje einstimmig angenommen
— aber Oesterreich begann daraufhin mit Serbien einen heftigen
Zollkrieg, durch den es Serbien schließlich zwang, den Vertrag mit
Bulgarien zu lösen. Erst im Jahre 1907 kam dann auch ein Handels-
vertrag zwischen Bulgarien und Oesterreich-Ungarn auf der Grund-
lage der Meistbegünstigung zustande. —
Ueber den Umfang des bulgarischen Außenhandels
seit 1886 (der Vereinigung von Nordbulgarien und Ostrumelien) gibt
die nachstehende Tabelle Auskunft:
78 Arthur Dix,
Br Einfuhr Ausfuhr
Fünfähriger in Millionen
Durchschnitt kg Fi kg fies;
1886—1890 144 7I 446 62
1891—1895 207 84 604 7
1896—1900 223 68 481 69
1901—1905 238 95 793 120
1906—1910 414 140 610 119
Jahr
1908 447 130 545 112
1909 474 160 469 III
1910 503 177 632 129
1911 564 199 1036 185
1912 573 213 757 156
Nach Ländern verteilte sich der bulgarische Außenhandel fol-
gendermaßen (in Mill. frcs.):
1886 1896 1906 1911 1912
Einf. Ausf. Einf. Ausf. Einf. Ausf. Einf. Ausf. Einf. Ausf
Oesterreich-Ungarn 17,1 2,5 228 2,7 27,8 82 48,3 10,6 5I, 15,5
England 18,3 14,6 18,23 32,9 19,6 15,0 30,0 24,2 31,8 16,4
Belgien o6 — 2,2 85 31 20,1 5,0 53,8 5,9 41,8
Deutschland 21 — 8,6 20,5 16,2 15,4 39,8 22,9 43,5 24,8
Griechenland 05 06 04 03 02 97 05 1237 08 84
Italien 14 16 26 19 55 39 91 39 132 87
Rumänien 33 13 238 04 34 11 87 12 134 1%
Rußland 35 035 43 — 4,6 03 70 083 98 03
Vereinigte Staaten 05 — 083 — 05 14 17 I2 45 18
Serbien 08 03 10 — I4 06 I8 086 18 05
Türkei 11,2 29,2 9,9 221 181 21,7 16,0 29,3 13,6 17,0
Frankreich 38 96 33 14,0 53 90 249 ILı 150 7,5
Niederlande — — — 05 06 = 23 22 25 1,5
Schweiz o7 — oTt — 1,1 0,6 N 03 23 0,3
Schweden u. Norwegen — — — — ol — o6 — 16 —
Unter Zugrundelegen der Ziffern für 1911 — da 1912 als Kriegs-
jahr ein schiefes Bild gibt — seien aus den einzelnen Posten der
bulgarischen Handelsstatistik besonders erwähnt:
I. Ausfuhr von Agrarprodukten:
Lebendes Vieh. Gesamtausfuhr 8,3 Mill.
Davon nach: der Türkei 6T 5
Oesterreich-Ungarn 08 „
Griechenland 08 »
Fleischwaren. Gesamtausfuhr 18:1: u
Davon nach: Deutschland 10,8 „
der Türkei ZIT p
Oesterreich-Ungarn 19 v»
Getreide und Mehl. Gesamtausfuhr 1208 a
Davon nach: Belgien 50,5 »
England 22%: m
der Türkei 14,0,
Griechenland 116 OT
Deutschland Zi 9
Frankreich 68 a
Oesterreich-Ungan 4,2 „
Obst und Gemüse. Gesamtausfuhr DT.
Davon nach: Belgien 2,0.
Vom bulgarischen Wirtschaftsleben und seinen Aussichten.
II. Einfuhr von Industrieprodukten:
Chemische Industrie.
Davon aus:
Farbstoffe.
Davon aus:
Drogen und Medikamente.
Davon aus:
Metalle und Metallwaren.
Davon aus:
Papier.
Davon aus:
Leder und Lederwaren.
Davon aus:
Textilwaren.
Davon aus:
Waggons und Wagen.
Davon aus:
Maschinen.
Davon aus:
Bücher und Kunstwerke.
Davon aus:
Gesamteinfuhr
Oesterreich-Ungarn
England
Deutschland
Gesamteinfuhr
Deutschland
Oesterreich-Ungarn
Gesamteinfuhr
Deutschland
Oesterreich-Ungarn
Gesamteinfuhr
Deutschland
Oesterreich-Ungarn
England
Frankreich
Belgien
Gesamteinfuhr
Oesterreich-Ungarn
Deutschland
Gesamteinfuhr
Frankreich
Oesterreich-Ungarn
Deutschland
Gesamteinfuhr
England
Oesterreich-Ungarn
Deutschland
Italien
Frankreich
der Türkei
Belgien
Gesamteinfuhr
Deutschland
Gesamteinfuhr
Deutschland
Frankreich
Oesterreich-Ungarn
England
Vereinigte Staaten
Gesamteinfuhr
Deutschland
Oesterreich-Ungarn
2,3 Mill.
09 »
06
0,4 ”
30 »
1,2 FF}
09 n
1,8 »
O5 »
0,4 LAJ
23,8 [23
82 »
7,5 ”
29 »
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2,6 »
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133 »
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17,0 »
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25,6 ”
10,4 FF}
46 »
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35 »
I,4 ”
e
0,3 „
03 »
79
Prozentual waren im Jahre 1911 beteiligt an Bulgariens:
Deutschland
Öesterreich-Ungarn
Bel gi en
Türkei
Griechenland
Rumänien
Gesamt-
einfuhr
Proz.
20,0
24,2
2,5
8,0
0,2
4,4
Gesamt-
ausfuhr
Proz.
12,4
5,7
29,1
15,8
6,8
0,7
Serbien
England
Frankreich
Rußland
Italien
Gesamt-
einfuhr
Proz.
0,9
15.1
12,5
3,5
4,6
Gesamt-
ausfuhr
Proz.
0,8
13,1
6,0
0,2
2,1
80 Arthur Dix,
Unter politischen Gesichtspunkten lassen sich diese Staaten zur-
zeit (d. h. nach dem Stande von Anfang November 1915) in fol-
gende Gruppen teilen:
Anteil an der bulgarischen
Einfuhr Ausfuhr
I. Verbündete: Proz. Proz.
Deutschland 20,0 12,4
Oesterreich-Ungarn 24,2 5,7
Türkei . 8,0 15.8
52,2 33,9
II. Gegner, deren Gebiet durch die
Verbündeten überwiegend er-
obert ist:
Belgien 2,5 29,1
Serbien 0,9 0,3
5 3,4 294
I+II 55,6 633
III. Vierverband:
England 15,1 13,1
Frankreich 12,5 6,0
Rußland 3,5 0,2
Italien 46 2,1
357 21,4
IV. Neutrale Nachbarn:
Griechenland 0,2 6,8
Rumänien Sa 0.7
4,5 7,5
Diese Abwägung der bulgarischen Wirtschaftsinteressen hat eine
bedeutende Rolle gespielt in den Flugschriften, deren Verbreitung
durch das Land seinem Eingreifen in den Weltkrieg unmittelbar
voranging.
Endlich gibt die amtliche bulgarische Handelsstatistik über die
Wege des bulgarischen Außenhandels folgende Auskunft:
Es gingen 1911 von Bulgariens
Einfuhr Ausfuhr
Proz. Proz.
über das Schwarze Meer 42,81 49,03
die Donau 23,13 29,09
Land 34,06 21,88
Ging der größere Teil des Verkehrs bisher durch das Schwarze
Meer und Donau-abwärts, so erwarten bulgarische Volkswirte auf
der Grundlage der neu geschaffenen politischen und geographischen
Verbindungen für die Zukunft eine bedeutende Steigerung des
Verkehrs Donau-aufwärts. Sie erinnern daran, daß schon in
ganz alten Zeiten ein erheblicher Handel Bulgariens bis Passau statt-
gefunden, und verweisen weiter auf den Umstand, daß agrarische
Konkurrenzrücksichten Oesterreichs und Ungarns je länger je mehr
mit dem steigenden agrarischen Eigenbedarf dieser Länder zurück-
treten dürften. Wesentliche Verbesserungen der Donauhäfen sind
Vom bulgarischen Wirtschaftsleben und seinen Aussichten. 8
im Gange, und das Streben der Wittelsbacher, die Donauschiffahrt
zu fördern, begegnet sich mit den Wünschen der Bulgaren. Auch
die kaufmännische Fühlung zwischen bulgarischen, österreichischen
und deutschen Handelshäusern wird fördernd beeinflußt durch die
Tatsache, daß die Söhne der bulgarischen Kaufleute mit Vorliebe auf
den Handelshochschulen in Wien, Frankfurt, Köln studieren.
Hochwertige Landprodukte, wie Reis und Baumwolle, können,
zumal nach der erwarteten Erweiterung des bulgarischen Bodens, auf
dem Wasserwege nach Mitteleuropa verfrachtet werden, und die
Vorbedingungen für Ersatz der italienischen Obst- und Gemüse-
ausfuhr durch Bulgarien sind günstig, da, wie oben dargelegt, die
klimatischen Verhältnisse Bulgariens dem Gartenbau sehr günstig
sind und der ruhige Flußtransport das Obst besser schont als der
Eisenbahntransport.
Der reiche Viehstand Bulgariens würde beispielsweise auch eine
umfangreiche Käseausfuhr begünstigen. Die Bulgaren selbst sind
allerdings der Ansicht, daß ihre Käseerzeugnisse nur den balkanischen
und türkischen Ansprüchen genügen, doch kann aus eigener Erfahrung
festgestellt werden, daß auch die Deutschen in Sofia dem bulga-
rischen Käse durchaus Geschmack abgewonnen haben.
Mit weiter wachsendem Wohlstand Bulgariens wird der Einfuhr-
bedarf an besseren Textilerzeugnissen, ferner an Metallwaren, Ma-
schinen, chemischen Produkten, Papier u. dgl. sich beständig heben.
Je mehr sich aber der bulgarische Bedarf in der Richtung der Nach-
frage nach Qualitätserzeugnissen zu entwickeln vermag, um so
günstiger werden vor allen Dingen die Aussichten der deutschen
Ausfuhr nach Bulgarien. Die bulgarische Handelsstatistik dürfte
übrigens schon jetzt kein genaues Bild von dem Anteil der Einfuhr
deutscher Erzeugnisse geben, da die kaufmännischen Verbindungen
von Sofia überwiegend nach Budapest und Wien tendierten und
aus Oesterreich viele deutsche Produkte unter österreichischer Flagge
eingeführt wurden. Das durch die politische Entwicklung gesteigerte
Interesse Berlins für Sofia und umgekehrt dürfte auch hierin einen
Wandel bringen.
Bulgarien verzeichnete im Jahre 1911 in 8 Häfen am Schwarzen
Meer einen Verkehr von 2825 eingehenden Dampfern und 3631 Segel-
schiffen mit zusammen 2,1 Mill. t Raumgehalt, 321000 t Ladung
und 67000 Passagieren; in 10 Donauhäfen 9080 einkommende Dampfer
und 695 Segelschiffe mit zusammen 1,9 Mill. t Raumgehalt, 237 000%t
Ladung und 182000 Passagieren.
Das bulgarische Eisenbahnnetz hatte 1912 eine Gesamtlänge
von 2000 km Schienen (1888: 0,7, 1898‘ 1,0, 1900: 1,5 Tausend), fast
ausschließlich in Staatsbesitz übergegangen. Das rollende Material
hatte einen Wert von 45 Mill. fres. Befördert wurden 3,3 Mill.
Passagiere und 2 Mill. t Güter.
‚Unter bulgarischer Flagge standen 1912 nur 196 Handels-
schiffe mit 17 000 Brutto-Tonnen, darunter nur 16 Dampfschiffe mit
Jahrb. t. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 6
82 Arthur Dix,
5100 t. Eine bulgarische Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft ist
dem Vernehmen nach in der Gründung begriffen und soll nach dem
Kriege ins Leben treten.
Die Zukunft des bulgarischen Außenverkehrs ist einerseits ab-
hängig von der neuen Gestaltung der Donaugrenze, anderseits von
der künftigen Stellung Salonikis (internationaler Freihafen ?).
IV. Finanzen und Ausblicke.
Die wirtschaftlichen Möglichkeiten für die Zukunft Bulgariens
in Landwirtschaft, Industrie, Handel und Verkehr sind in den vor-
stehenden Betrachtungen bereits auseinandergesetzt worden, soweit
eine Prüfung der natürlichen Entwicklungsgrundlagen auf dem bul-
garischen Boden und der Verbindungen mit dem Weltmarkt die
Handhaben hierzu bietet. Abschließende Urteile über die wirtschaft-
lichen Aussichten des Landes sind naturgemäß zu einer Zeit un-
möglich, in der die Begrenzung Neu-Bulgariens noch unsicher ist.
Gleichwohl reizt eben jetzt beim Anbruch einer neuen Zeit für
dieses, durch die große Wendung in seiner Politik Mitteleuropa
merklich näher gerückte Land der Versuch besonders, auf der Basis
der bisherigen Entwicklungsgeschichte die weiteren Aussichten ab-
zuschätzen und Ausblicke auf die neu sich öffnenden Wege zu tun.
Neben den Bodenbedingungen und den Verkehrsbedingungen der
bisherigen und der möglichen Entwicklung, die wir betrachtet haben,
sind nun aber auch noch die finanziellen Bedingungen besonders
zu berücksichtigen.
Es wurde schon dargelegt, daß die bisherige Schaffung in-
dustrieller Anlagen in Bulgarien sich ganz überwiegend mit bul-
garischem Kapital vollzogen hat; ferner, daß das bulgarische Dorf
in der letzten Wirtschaftsperiode reich geworden ist, die bulgarische
Stadt aber sich in weniger günstiger Lage befand.
Wäre ohne kriegerische Unterbrechung das bulgarische Wirt-
schaftsleben seinen normalen Gang weiter fortgeschritten, so hätte
das platte Land für eine industrielle Ausdehnung in bescheidenem
Umfange auch noch weitere Kapitalien liefern können; größere
Industrieunternehmungen aber würden auf ausländisches Kapital
zurückzugreifen wohl veranlaßt sein.
Hat der Krieg die bulgarischen Privatfinanzen erschüttert ?
Oder sind die kapitalistischen Grundlagen für den weiteren Aufbau
der bulgarischen Wirtschaft eher erweitert?
Bei dem vorsichtigen Versuch, zur Beantwortung dieser Frage
nur einige Fingerzeige zu geben, stütze ich mich auf die Aus-
lassungen als regierungsseitig inspiriert betrachteter Flugblätter, die
bei Eintritt des Staates in den Krieg 1915 verbreitet wurden, sowie
auf eingehende Unterrichtung durch bulgarische und deutsche prak-
tische und theoretische Volkswirte, deren alte Landes-, Geschäfts-
und Menschenkunde ein möglichst sicheres Urteil verbürgt.
Vom bulgarischen Wirtschaftsleben und seinen Aussichten. 83
Der bulgarische Bauer, der unter stockenden Absatzgelegenheiten
während des Weltkriegs gelitten, bekam gerade durch Bulgariens
kriegerisches Eingreifen Gelegenheit, seine Produkte zu außerordent-
lich vorteilhaften Preisen abzusetzen. Die Regierung selbst stellte
sich auf den Standpunkt, daß die auf diese Art erzielten Gewinne
für das Land mittelbar die Kriegskosten ausgleichen würden !
Der städtische Handel hat in der Zeit des infolge abgeschnittener
Zufuhr herrschenden Warenmangels hohe Konjunkturgewinne erzielt.
Das ausgedehnte Geschäft der Heereslieferungen hat auch in den
bulgarischen Städten beträchtliche Reichtümer sich anhäufen lassen.
Wohl sind anderseits namentlich die weniger kapitalkräftigen
Konsumenten in den Städten durch den Krieg schwer betroffen
worden, und die lange Folge der Moratorien durch drei aufeinander
folgende Kriege hat Erschütterungen in das Wirtschaftsleben ge-
bracht, die ohne eine partielle Krisis schwerlich auslaufen dürften.
Aber abgesehen von der „Aussortierung“ schwacher Kräfte, erwarten
Kenner der bulgarischen Wirtschaft keine tiefere Wirkung der
Krise, da eben auf der anderen Seite sowohl auf dem Lande wie in
den Städten reichliche Kriegsgewinne gemacht worden sind. Das
auf diese Weise angehäufte Privatkapital war im November 1915 so
flüssig, daß die Sofioter Banken Depositenverzinsungen ablehnten.
Auch der Umstand, daß Bulgarien Kriegsbestellungen nur bei
Deutschland und Oesterreich-Ungarn gemacht hat, andererseits aber
durch die Lieferung von Agrarprodukten zu hohen Preisen sich das
Ausland verpflichten konnte, verspricht nach dem Kriege günstige
Wirkungen auf den bulgarischen Geldstand bzw. die Valuta.
Anders als das Bild der Privatfinanzen zeigt sich das der
Staatsfinanzen. Bulgariens Staatsschuld bezifferte sich am
l. Januar 1913 auf 597 Mill. frcs. Der zweite Balkankrieg aber ver-
setzte das Land vor die Notwendigkeit, späterhin mit der Diskonto-
Gesellschaft die 500 Millionen-Anleihe — Bulgariens bisher größte
Finanzoperation — abzuschließen. Dabei blieben 300 Mill. fres.
Schulden aus dem zweiten Balkankrieg ungedeckt (von der National-
bank vorgeschossen). Neue, große Anforderungen stellte das aber-
malige Eingreifen des Landes in den Krieg; über ihre Deckung
kann hier naturgemäß noch nichts Abschließendes gesagt werden.
Das bulgarische Budget arbeitete im letzten Jahre ohne kriege-
rische Störung, d. i. 1911 mit 204 Mill. fres. Einnahmen und
203 Mill. fres. Ausgaben. Seit 1879 hatte sich beiläufig die Gesamt-
summe der bulgarischen Staatseinnahmen belaufen auf 3554 Mill,
die der Staatsausgaben bis Ende 1911 auf 3531 Mill. frcs.
Gegenüber den Staatsschulden ist zu erinnern an den Staats-
besitz: Der Wert der Staatsbahnen beziffert sich auf 260 Mill. frcs.
(dazu 45 Mill. frcs. in rollendem Material). Im Staatsbesitz befinden
sich 7,9 Proz. des auf insgesamt 6,6 Milliarden Wert bezifferten
bulgarischen Landareals.
6*
84 Arthur Dix,
Das Urteil bulgarischer Volkswirte geht dahin, daß nach dem
Kriege beträchtlich gestiegenem Staatsbedarf eine (trotz nach
den ausgedehnten Moratorien kaum vermeidbaren partiellen Krisen)
im ganzen beträchtlich gesteigerte Finanz- und Steuerkraft
in Stadt und Land gegenüberstehen werde. Geschickte Finanz- und
Wirtschaftspolitik aber würde unseres Erachtens das Wort: „Ein
armer Staat — ein reiches Volk“ — insofern es zeitweise zutreffen
sollte — nicht lange in Geltung lassen. (In gewisser Weise aller-
dings hätte man geraume Zeit hindurch wohl versucht sein können,
dieses Wort auch auf das Deutsche Reich in seinen Steuernöten
und das reiche deutsche Volk anzuwenden!)
Wie immer aber sich unmittelbar nach dem Kriege das bul-
garische Wirtschaftsleben auch durch Zeiten weniger oder mehr
ausgedehnter, krisenhafter Erschütterungen zu bewegen haben mag —
der Endeffekt des tatkräftigen politisch-militärischen Eingreifens
Bulgariens kann sich schwerlich anders als in einer neuen Periode
ebenso tatkräftigen wirtschaftlichen Aufstrebens äußern. Die realen
Grundlagen sind hierzu durchaus gegeben:
Sie beruhen in einer Landwirtschaft, der die Boden- und Klima-
verhältnisse eine noch. sehr wesentliche Mehrung ihrer Jahres-
produktion gestatten;
in einem Boden, der die verschiedenartigsten Produkte bis zu
ganz hochwertigen Kulturen und Industriepflanzen zu tragen vermag
und sich über so verschiedene Klimata verteilt, daß fast nie eine
wirklich allgemeine Mißernte das Land bedrohen könnte;
in den Möglichkeiten, die Agrarprodukte in großem Umfange
industriell zu verwerten und auch eine Reihe anderer Industrien —
wenn dem Lande größerer Kohlenreichtum versagt ist, unter Zuhilfe-
nahme seiner sehr reichen Wasserkräfte — zu entwickeln;
in dem großen Fleiß und der kulturellen Strebsamkeit seiner
noch in der Jugend einer neuen, staatlich-selbständigen Entwicklung
stehenden Bewohner;
in der engen Knüpfung der politischen Verbindungen gerade
mit jenen Mächten, die wirtschaftlich als Abnehmer und als Liefe-
ranten weitaus am wichtigsten für Bulgarien sind;
in dem Hineinwachsen des Landes in jene große Staatenkette,
die für die Zukunft den großen mitteleuropäisch-vorderasiatischen
Verkehr zu kontrollieren und zu pflegen und, wie politisch-militärisch,
so auch in wechselseitiger wirtschaftlicher Ergänzung zusammen-
zustehen bestimmt ist.
Bulgarien hat sich mit dem 12. Oktober 1915 für die „deut-
sche Gruppe“ der Mächte entschieden. Es hat schon vordem in
der Statistik seines gesamten Außenhandels Deutschland an erster
Stelle zu verzeichnen gehabt — zumal wenn in Betracht gezogen
wird, daß auch der bulgarische Handel über Belgien (in gewissem
Umfange auch über Konstantinopel, über griechische und englische
Häfen und über Oesterreich) seine Ausläufer nach Deutschland
sandte. Es sieht für die Zukunft einer weiteren Verengung und
Vom bulgarischen Wirtschaftsleben und seinen Aussichten. 85
einer direkteren Ausgestaltung seiner wirtschaftlichen Beziehungen
ganz besonders mit Deutschland entgegen — dem Lande, mit dem
Bulgarien den ersten modernen Handelsvertrag abgeschlossen, das
ihm die bisher größte bulgarische Anleihe verschafft hat, das die
erste Stelle in der Organisation des bulgarischen Kreditwesens ein-
genommen, und auf dessen Hochschulen viele Bulgaren ihre ideelle
und ihre praktisch-volkswirtschaftliche Ausbildung genossen haben.
Deutschland war der Vorkämpfer auf dem Wege, auf dem
Bulgariens Zukunft liegt — jenem Wege, von dem der bulgarische
Gesandte in Berlin, Herr Rizow, im August 1915 sagte:
„Bulgarien wird in Zukunft an der großen Wirtschaftsstraße
liegen, die von Berlin bis Bagdad führt und für alle am Wege
befindlichen Nationen Kraft und Größe, Reichtum und Blüte
bedeutet.“
Sofia, 12. November 1915.
86 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
l.
Das Gesetz über vorbereitende Maßnahmen
zur Besteuerung der Kriegsgewinne.
Von dem Wirklichen Geheimen Oberregierungsrat und Senatspräsidenten des preußischen
Oberverwaltungsgerichts Dr. jur. G. Strutz.
Die in Aussicht stehende Besteuerung der Kriegsgewinne ver-
spricht nach den verschiedensten Richtungen hin ein höchst eigenartiges
Glied des Reichssteuersystems zu werden. Damit will ich durchaus
keinen, Vorwurf verbinden. Ich habe im Gegenteil bereits wiederholt
ausgesprochen, daß ich mit einer geschickt gestalteten, in der Höhe der
Sätze den Bogen nicht überspannenden Kriegsgewinnsteuer durchaus
einverstanden bin.
Eigenartig ist schon der erste Anstoß zu einer besonderen Be-
steuerung der Kriegsgewinne. Neue Steuern pflegen dem Wesen der
Steuer entsprechend geboren zu werden entweder aus dem Bedürfnis
eines Deckung heischenden Finanzbedarfs oder aus der Erkenntnis
von der Ungerechtigkeit oder Unzweckmäfßigkeit bestehender Steuern.
Weder das eine noch das andere hat den eigentlichen, ersten Aus-
gangspunkt des Gedankens der Kriegsgewinnsteuer gebildet. Dieser
war vielmehr der Eindruck der öffentlichen Meinung, daß in der Zeit
der wirtschaftlichen Kriegsnöte eine Minderheit insbesondere durch
Kriegslieferungen oder Vermittelung solcher und bei der Volksversorgung
mit Lebensmitteln unverhältnismäßig hohe Gewinne erziele. Dieser
Eindruck und die Ansicht, daß es Aufgabe der Besteuerung sei, solche
Gewinne mindestens zum sehr großen Teile „wegzusteuern“, hat dann
immer weitere Kreise gezogen. Die Finanzverwaltung mußte gegenüber
dem Rufe nach der „Kriegsgewinnsteuer“ eine gewisse Zurückhaltung
beobachten. Denn die Aussicht, das Verdiente zu einem noch nicht
zu übersehenden großen Teile wieder einzubüßen, konnte und kann
leicht die Neigung zu Kriegslieferungen und insbesondere zu kost-
spieligen Einrichtungen industrieller Anlagen zur Herstellung von Kriegs-
bedarf wie unter Umständen auch diejenige zur Steigerung der land-
wirtschaftlichen Produktion beeinträchtigen. In der öffentlichen Meinung,
soweit auf diese unter der Herrschaft der Zensur geschlossen werden
kann, hat aber der Gedanke der Kriegsgewinnsteuer nachgerade eine
Volkstümlichkeit in breiten und politisch, wirtschaftlich und sozial ganz
verschiedenartigen Schichten erlangt, wie kaum je eine Steuer. Bei
denen, die von ihnen nicht getroffen werden, populäre Steuern sind
freilich nicht immer die besten und gerechtesten. Das schlagendste
Nationalökonomische Gesetzgebung. 87
Beispiel dafür ist aus jüngster Zeit die Reichszuwachssteuer nach dem
Gesetze vom 14. Februar 1911: unter dem Eindruck einer von den
Wahrnehmungen auf dem städtischen Grundstücksmarkt beherrschten
vermeintlichen „Popularität“ der Steuer haben Reichsleitung und Reichs-
tagsmehrheit alle meine und anderer Sachverständigen Warnungen in
den Wind geschlagen, obwohl schon während der Beratungen ihnen
vor ihrem eigenen Werke mehr und mehr bange zu werden schien.
Der Erfolg ist bekannt! Heut gibt es wohl wenige unbefangene Sach-
verständige, die uns nicht recht geben und es nicht bedauern, daß man
nicht auf uns gehört hat.
Ebenso eigenartig wie der Anstoß zur Kriegsgewinnsteuer ist ihre
Vorbereitung. Es ist, soviel mir gegenwärtig ist, ohne Vorgang, daß
man, ehe man noch weiß, ob, wann und wie eine Steuer künftig ver-
abschiedet werden wird, einen Teil derjenigen, von denen man annimmt,
dab sie später unter die wahrscheinlich kommende, in ihrer schließlichen
Gestaltung noch ganz ungewisse Steuer fallen werden, durch ein Gesetz
zwingt, bereits einen unter Umständen sehr bedeutenden Teil ihres Ein-
kommens für die Entrichtung der künftigen Steuer zurückzulegen. Das
aber ist Zweck und Inhalt des Reichsgesetzes vom 24. Dezember
1915 über „vorbereitende Maßnahmen zur Besteuerung
der Kriegsgewinne“. Daneben mag es — wenigstens war dies
mein erster Gedanke, als ich nach Einbringung dieses Gesetzentwurfs
von dem Kommen der inzwischen verabschiedeten neuen Kreditvorlage
hörte — den unausgesprochenen Zweck verfolgen, neue Kapitalreserven
sicherzustellen, auf deren Anlage in Kriegsanleihe zu rechnen ist. In
Friedenszeiten hätte man wohl den Gedanken, ehe noch das Steuergesetz
selbst verabschiedet, ja auch nur vorgelegt ist, die möglicherweise das
Steuerobjekt bildenden Werte der freien Verfügung ihrer Eigentümer
zu entziehen, als eine Ungeheuerlichkeit zurückgewiesen. Der Krieg
mit seinen Beschlagnahmen und Enteignungen, seinen Höchstpreisfest-
setzungen und Verbrauchsbeschränkungen, der Ueberfülle von Ver-
boten aller Art, der Auslegung der Begriffe „wirtschaftlicher“ Maß-
nahmen im Sinne des Reichsgesetzes vom 4. August 1914 und „Inter-
esse der öffentlichen Sicherheit“ im $ 9b des Belagerungszustands-
gesetzes sowie der Diktatur des Bundesrats hat uns andere, wenn auch
nicht erfreulichere Begriffe von dem Werte gesetzlicher Schranken der
Staatsgewalt und von demjenigen verfassungsmäßiger Grundrechte, wie
der durch den Belagerungszustand nicht suspendierten Verfassungsartikel
über die Unverletzlichkeit des Eigentums, beigebracht. Immerhin han-
delt es sich da um Maßnahmen, die im großen und ganzen — mögen
auch manche von ihnen überflüssig oder im einzelnen unzweckmäßig
angelegt sein — so sehr und so offenbar unabweislich sind, um das
Durchhalten im Kriege zu ermöglichen, daß dieser Notlage gegenüber
alle Rücksichten und Bedenken schweigen müssen, wenn sich die Maß-
nahme nur als zweckdienlich und leidlich gerecht im Sinne gleich-
mäßiger Behandlung aller von ihr Betroffenen erweist. Bei dem Vor-
bereitungsgesetz für die Kriegsgewinnsteuer liegt die Sache immerhin
wesentlich anders.
88 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Mag die Kriegsgewinnsteuer an sich auch noch so gerecht sein —
ob sie es in der künftigen Gestalt sein wird, wissen wir noch nicht —
und mag es noch so sehr ein Gebot der Gerechtigkeit sein, dann
niemandem das Durchschlüpfen zu ermöglichen, so handelt es sich doch
um solche Lebensinteressen des Reiches wie bei der Sicherstellung des
Heeresbedarfs und der Volksernährung dabei nicht. Andererseits hat
man viel zu viel und viel zu früh von der Kriegsgewinnsteuer ge-
sprochen und von vornherein für sie enorme Steuersätze genannt, so
daß allerdings die Gefahr vorlag, daß die von ihr Bedrohten schon jetzt
nach Mitteln und. Wegen suchen würden, um ihr künftig ganz oder
teilweise zu entgehen. Bei der augenblicklichen, fast bis zur Unmöglich-
keit gehenden Erschwerung der Auswanderung von Kapital oder In-
dustrien ist jene Gefahr bei den natürlichen Personen immerhin nicht
so groß, daß es nicht möglich erschiene, noch in dem künftigen Steuer-
gesetze gegen Umgehungen Vorkehrungen mit hinreichender Rückwirkung
in die nächste Vergangenheit zu treffen. Jedenfalls würde es gerade
in der jetzigen Zeit mehr wirtschaftlichen Schaden als fiskalischen
Nutzen stiften, wollte man auch die natürlichen Personen in der Ver-
fügung über ihr Einkommen und Vermögen bloß um der Sicherung des
Aufkommens einer künftigen, in ihrer Gestalt und Höhe noch gar nicht
feststehenden Steuer willen beschränken. Bei den Erwerbsgesell-
schaften liegen die Dinge insofern anders, als nach dem Wesen der
Gesellschaften ihre Gewinne nach den nötigen Abschreibungen in
erster Linie zur Verteilung an die Gesellschafter bestimmt sind. Wenn
dies auch mit den während des Krieges gegen die Friedensjahre er-
zielten Mehrgewinnen geschieht, so ist das also durchaus nichts, was
an sich nach Steuerumgehung schmeckt. Hat aber die Verteilung
einmal stattgefunden, dann würde es in vielen Fällen für das Reich
unmöglich sein, eine Steuer, die einen sehr erheblichen Bruchteil des
ausgeschütteten Gewinnes und oft des ganzen Stammkapitals ausmacht,
von der Gesellschaft einzuziehen. In anderen Fällen würde es zwar
nicht unmöglich sein, aber die Wirtschaftsführung der Gesellschaft viel
mehr stören, als wenn man sie von vornherein an der Ausschüttung
hindert und zur Reservestellung zwingt. Es ist daher zu billigen, wenn
das Sperrgesetz — denn als solches charakterisiert es sich — sich auf
die Erwerbsgesellschaften mit juristischer Persönlichkeit beschränkt.
Erst recht gutzuheißen ist es, wenn der Gesetzgeber hiermit seinen
Willen bekundet, die an die Besitz- (Vermögenszuwachs-)Steuer anzu-
lehnende Kriegsgewinnsteuer im Gegensatz zu jener auch auf nicht-
physische Personen zu erstrecken. Schon die Beschränkung der Besitz-
steuer auf natürliche Personen war, wie ich im Bd. 47, III. Folge,
S. 596 dieser Jahrbücher ausgeführt habe, ein ebensolcher Fehler, wie
die der preußischen Ergänzungssteuer neben einer Einkommensteuer-
pflicht juristischer Personen. Die Herauslassung der Erwerbsgesellschaft
aus einer auf Erfassung der Kriegsgewinne abgestellten Steuer wäre
schlechthin unverständlich gewesen und könnte mich als Reichstags-
abgeordneten ohne weiteres zur Ablehnung des ganzes Gesetzes be-
stimmen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. sg
Die Sperre für jene Gesellschaften besteht ($ 1) in der Verpflichtung,
die Hälfte des in jedem „Kriegsgeschäftsjahr“ erzielten „Mehrgewinnes“
in eine zu bildende, der freien Verfügung der Gesellschaft entzogene,
getrennt von dem sonstigen Vermögen zu verwaltende und in deutschen
Reichs- oder Staatsanleihen anzulegende Sonderrücklage einzu-
stellen. Der Begriff des „Kriegsgeschäftsjahres“ wird im $ 2,
der des „Geschäftsgewinnes“ im $ 3 bestimmt. Wenn dort von
vornherein die „Kriegsgeschäftsjahre“ auf drei beschränkt werden,
ohne daß man weiß, ob bis zu ihrem Ablauf der Krieg beendet, und
umgekehrt, ob er etwa schon längere Zeit vorher beendet sein wird,
so findet dies seine Rechtfertigung in der Anknüpfung an die Besitz-
steuer, die ja den innerhalb dreier Jahre entstandenen Vermögens-
zuwachs erfaßt.
Vom Standpunkt einer Erfassung der Kriegsgewinne wird es
natürlich zu Ungleichmäßigkeiten führen, daß maßgebend die Geschäfts-
fahre der Gesellschaften sind. Denn ein Geschäftsjahr, das z. B. vom
1. September 1913 bis 31. August 1914 läuft, also einen Kriegsmonat
umfaßt, gilt ebenso als Kriegsgeschäftsjahr wie ein am 1. August 1914 be-
gonnenes, also voll in die Kriegszeit fallendes. Aber ein Absehen von
den individuellen Geschäftsjahren wäre nicht nur wegen der Anknüpfung
an den Bilanzgewinn, sondern auch wegen der ganzen Natur der Er-
werbsgesellschaften untunlich.
Selbstredend kann andererseits nicht schlechthin der sich aus der
Bilanz ergebende Gewinn maßgebend sein, sondern muß Vorkehrung
gegen eine willkürliche Herabdrückung durch stille Reserven getroffen
werden. Freilich liegt hierin wie bei der Ermittelung des Einkommens
oder Ertrags aus Handel und Gewerbe für andere direkte Steuern so
auch bei dem Sperrgesetze die Hauptschwierigkeit. Die Vereinigung
der steuerlichen Gesichtspunkte mit denen einer vorsichtigen kauf-
männischen Gebarung bei den- Bilanzen und die steuerliche Beurteilung
der in letzteren vorgenommenen Abschreibungen ist wohl das schwierigste
Problem der Einkommensteuergesetze. Wie groß die Schwierigkeiten
sind, beweisen die umfangreichen Erläuterungen zu den $$ 13 und 15
des preußischen Einkommensteuergesetzes in meiner Neubearbeitung des
großen Fuistingschen Kommentars. Bestehen doch selbst über die
Grundfragen des Begriffs des „Bilanzwertes“, des Kreises der ab-
schreibungsfähigen Werte und der berücksichtigungsfähigen Wert-
minderungen grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten. An der Hand
des Sperrgesetzes können sie zu recht unerwünschtem Ausdruck kommen,
wenn es sich um die Anwendung der Strafbestimmungen seines
$ 9 handelt. Denn die Voraussetzungen dieses Paragraphen können
schon vor Einführung der Steuer selbst gegeben sein, und es kann da-
her dahin kommen, daß ein Vorstandsmitglied wegen Gefährdung der
Kriegsgewinnsteuer bestraft wird, weil er bei der Bilanzaufstellung
und der darauf fußenden Bemessung der Sonderrücklage nach Grund-
sätzen verfahren ist, die dann später bei der wirklichen Veran-
lagung die Steuerbehörde bzw. der Verwaltungsrichter als durchaus
richtig und zulässig anerkennt. Die Straftaten des $ 9 stellen sich
90 Nationalökonomische Gesetzgebung.
eben ihrem Wesen nach als Steuerdelikte dar, und es liegt eine ge-
wisse Folgewidrigkeit darin, ein Steuerdelikt zu konstruieren, ehe
noch die Steuer selbst geschaffen und veranlagt ist. Es wäre daher
zu erwägen gewesen, ob man nicht auf die Strafvorschrift in dem
bloßen Vorbereitungsgesetze hätte verzichten und die Sicherstellung
auf dem Wege des $ 9 Abs. 2 und von Zwangsmalregeln hätte er-
reichen können. Wir haben uns während dieses Krieges zu sehr daran
gewöhnt, leichthin mit drakonischen Strafbestimmungen für bisher als
völlig straflos geltende Handlungen umzuspringen. Wo es sich um
vitale Interessen des Ganzen handelt, kann darauf nicht verzichtet
werden. Aber um solche handelt es sich hier nicht, und fiskalisch ist,
wo es sich um große Summen handelt, der Schutz des Abs. 2 doch
wirksamer als die auf 30 000 M. beschränkte Strafvorschrift des Abs. 1
des § 9.
Der behufs Feststellung des „Mehrgewinnes“, von dem 50 v. H. in
Sonderrücklage zu stellen sind, mit dem Geschäftsgewinne der Kriegs-
geschäftsjahre zu vergleichende „durchschnittliche frühere Ge-
schäftsgewinn“ ist ($ 5) nach den Ergebnissen der fünf letzten den
„Kriegsgeschäftsjahren“ vorangegangenen Geschäftsjahre zu berechnen,
jedoch unter Ausscheidung des besten und des schlechtesten Geschäfts-
jahres. Da es von Wichtigkeit ist, nur den anormalen Gewinn mit
dem völlig anormal hohen Satze der künftigen Kriegsgewinnsteuer zu
bel®&en, ist der Zeitraum, aus dessen Durchschnitt der normale Ge-
schäftsgewinn konstruiert wird, möglichst lang zu bemessen. Es lag
daher kein Anlaß vor, bei Herbeiziehung der fünf — statt, wie die
Regierung wollte, drei — letzten Friedensjahre das beste und das
schlechteste auszuscheiden. Daß nur drei Kriegsgeschäftsjahre in Be-
tracht kommen, ist kein Grund, auch nur drei Friedensjahre dem
Durchschnittsgewinn zugrunde zu legen. Denn die dreijährige Frist
bezüglich der Kriegsgeschäftsjahre hat, wie oben erwähnt, ihren Grund
in dem Besitzsteuergesetz, und dieser hat mit der Durchschnittsfrist
für den normalen Geschäftsgewinn nichts zu tun.
Von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung ist bei der Höhe des
in Sonderrücklage zu stellenden Prozentsatzes des „Mehrgewinnes“
die Vorschrift im Abs. 3 des $ 5, wonach mindestens 5 v. H. des ein-
gezahlten Grund- oder Stammkapitals zuzüglich der dort bezeichneten
Vorzugsdividende als früherer Durchschnittsgewinn anzunehmen sind,
gleichviel, wie hoch dieser tatsächlich gewesen ist. Denn es würde für
bisher notleidende Gesellschaften ein großes Hemmnis ihrer namentlich
während und nach dem Kriege im allgemeinen Interesse zu befördernden
Lebensfähigkeit und Weiterentwicklung bedeuten, wollte man auch
ihrer Verfügung die Hälfte des gegen die Jahre einer unternormalen
Verzinsung des Grund- oder Stammkapitals erzielten Mehrgewinnes
entziehen.
Was nun schließlich diesen Satz von 50 v. H. anlangt, so ergibt
sich aus ihm in Verbindung mit der Begründung und den Reichstags-
verhandlungen, daß ins Auge gefaßt ist, die Sätze der Kriegsgewinn-
steuer progressiv bis zu 50 v. H. ansteigen zu lassen. Beabsichtigte
Nationalökonomische Gesetzgebung. 91
man aber dies, so mußte man freilich, wollte und konnte man nicht
schon einen vollkommenen Steuertarif festlegen, die Sperre ausnahmslos
auf den in Aussicht genommenen Höchstbetrag erstrecken. Man wird
aber die Augen davor nicht verschließen dürfen, daß den Erwerbs-
gesellschaften damit ein gerade in der gegenwärtigen Zeit unter Um-
ständen sehr störender Hemmschuh angelegt wird, der insbesondere mit
Rücksicht auf die Notwendigkeit umfangreichster Rohstoffbeschaffungen
unmittelbar nach Wiederöffnung des internationalen Handelsverkehrs
bedenklich werden kann.
Noch bedenklicher wird natürlich die Aussicht, 50 v. H. des Mehr-
gewinnes nicht nur in Reserve stellen, sondern als Steuer abgeben zu
müssen. Ich habe, als ich mich Anfangs des vorigen Sommers in der
„Deutschen Juristen-Zeitung“ für eine Kriegsgewinnsteuer durch Aus-
bau der Besitzsteuer aussprach, nicht entfernt an die Erreichung eines
solchen Steuersatzes gedacht, sondern höchstens an 25 bis 30 v. H.
Ich würde diese beschränktere Höhe auch für angebrachter halten.
Denn wir dürfen uns darüber keinen Illusionen hingeben, daß es ver-
hängnisvoll wäre, Industrie, Handel und mobiles Kapital nach dem
Kriege zu sehr als die melkende Steuerkuh zu betrachten. Wenn wir
wieder im Weltverkehr zur alten Geltung kommen, unsere Auslands-
märkte wiedererobern wollen, dann werden wir reichlich Kapital
brauchen. Die dauernden Steuerlasten, denen wir gleichwohl nicht ent-
gehen können, werden schon so ungeheuer sein, daß aus ihnen sich
die — von mir bei leidlich normalen Steuerverhältnissen stets be-
spöttelte — durchaus ernst zu nehmende Gefahr einer Kapitalauswande-
rung ergibt. Ein Steuersatz von 50 v. H. aber ist schon kein Steuer-
satz mehr, sondern eine Konfiskation, der auf alle erdenkliche Weise
entgehen zu suchen man niemandem übelnehmen kann. Daß man mit
dieser Ueberspannung des Bogens finanziell wunder was erreichen
wird, darauf möge man nicht zu sicher rechnen. Das Aufkommen
der Kriegsgewinnsteuer wird unter allen Umständen nur ein außer-
ordentlich bescheidener Beitrag zu den Kriegskosten sein, und ich
fürchte, daß in dieser Beziehung der Reichsschatzsekretär durch seine
Aeußerungen die Erwartungen zu hoch gespannt hat, wenn er nicht
eine 80 rigorose Steuer plant, daß ihr wirtschaftlicher Schaden und ihr
Eintiuß auf die politische Stimmung von Kreisen, mit denen nach dem
Kriege ganz besonders zu rechnen sein wird, den finanziellen Mehr-
ertrag reichlich aufwiegt. Auf den „deutschen Patriotismus“ möge man
— entgegen der Hoffnung des Staatssekretärs Helfferich (Sitzung des
Reichstags vom 20. Dezember 1915) — beim Steuerzahlen nach
dem Kriege doch ja nicht zu sehr bauen!
Daß das gleichzeitig mit dem Vorbereitungsgesetze für die Kriegs-
gewinnsteuer vorgelegte und verabschiedete Gesetz über die Kriegs-
abgaben der Reichsbank, das nicht bloß vorbereitenden Charakter
trägt, sondern für die Reichsbank schon jetzt die Kriegsgewinnsteuer
selbst schafft, und zwar im Grunde genommen eine dreifache, nach
Art. 1, nach Art. 2 $ 1 und nach Art. 2 $ 2, noch viel weiter geht, mag
bei der Eigenart der Reichsbank minder bedenklich sein. Immerhin
92 Nationalökonomische Gesetzgebung.
hat der Reichsbankpräsident die Erhöhung der Abgabe im Art. 2 § 2
von 50 auf 75 Proz. mit guten Gründen bekämpft. Daß sie gleichwohl
angenommen worden ist, eröffnet keine günstigen Aussichten für ein
vernünftiges Maßhalten bei der künftigen allgemeinen Kriegsgewinn-
steuer.
Gesetz über vorbereitende Maßnahmen zur Besteuerung
der Kriegsgewinne.
Vom 24. Dezember, 1915. t(RGBl. 1915, No. 187, S. 837 fg.)
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen usw.
verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und
des Reichstags, was folgt:
& 1. Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Berggewerk-
schaften und andere Bergbau treibende Vereinigungen, letztere, sofern sie die
Rechte juristischer Personen haben, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und
eingetragene Genossenschaften, die im Deutschen Reiche ihren Sitz haben, sind
verpflichtet, fünfzig vom Hundert des in einem Kriegsgeschäftsjahr erzielten
Mehrgewinns ($ 4) in eine zu bildende Sonderrücklage einzustellen.
st der Gewinn aus einem beim Inkrafttreten dieses Gesetzes abgelaufenen
Kriegsgeschäftsjahre bereits verteilt, so sind etwaige freiwillige Rückstellungen
dieses Jahres bis zum Betrage von fünfzig vom Hundert des Mehrgewinns der
Sonderrücklage zuzuführen. Sind freiwillige Rückstellungen nicht gemacht worden
oder erreichen sie diese Höhe nicht, so ist ein Betrag von fünfzig vom Hundert
des Mehrgewinns oder der noch fehlende Betrag aus dam Mehrgewinne der näch-
sten Kriegsgeschäftsjahre jedesmal vorweg zu entnehmen und der Sonderrückl
zuzuführen. Außerdem ist daneben die Hälfte des restlichen Mehrgewinns in dis
Sonderrücklage einzustellen. Rücklagen für Wohlfahrtszwecke sind nicht als frei-
willige Rückstellungen im Sinne dieser Vorschrift anzusehen.
Im Falle des Abs. 2 dürfen Gewinnbeträge, die zu ausschließlich gemein-
nützigen Zwecken bestimmt worden sind und deren dauernde Verwendung zu
solchen Zwecken gesichert ist, von dem Geschäftsgewinne des beim Inkrafttreten
dieses Gesetzes abgelaufenen Kriegsgeschäftsjahrs abgesetzt werden.
$ 2. Als Kriegsgeschäftsjahre im Sinne dieses Gesetzes gelten die drei auf-
einanderfolgenden Geschäftsjahre, deren erstes noċh den Monat August 1914 mit-
umfaßt oder bei einer später gegründeten Gesellschaft mitumfassen würde, wenn
sie damals schon bestanden hätte.
§ 3. Geschäftsgewinn im Sinne dieses Gesetzes ist der in einem Geschäfts-
jahr erzielte, nach den gesetzlichen Vorschriften und den Grundsätzen ordnungs-
mäßiger kaufmännischer Buchführung berechnete Bilanzgewinn. Abschreibungen
sind insoweit zu berücksichtigen, als sie einen angemessenen Ausgleich der Wert-
verminderung darstellen.
3 4. Als Mehrgewinn im Sinne dieses Gesetzes gilt der Unterschied zwischen
dem durchschnittlichen früheren Geschäftsgewinn ($5) und dem jeweils in einem
Kriegsgeschäftsjahr erzielten Geschäftsgewinne.
Die Unterschiedsbeträge werden auf volle Tausende nach unten abgerundet.
Beträge unter fünftausend Mark bleiben außer Betracht.
85. Der durchschnittliche frühere Geschäftsgewinn ($ 4) ist nach den Er-
gebnissen der fünf den Kriegsgeschäftsjahren vorangegangenen Geschäftsjahre
oder, wenn eine Gesellschaft noch nicht so lange besteht, nach den Ergebnissen
der kürzeren Zeit, für welche Jahresabschlüsse vorliegen, zu berechnen. Besteht
eine Gesellschaft schon fünf Jahre, so haben für die Berechnung des Durch-
schnittsgewinns die beiden Geschäftsjahre mit den besten und den schlechtesten
Geschäftsergebnissen auszuscheiden.
Hat innerhalb der fünf den Kriegsgeschäftsjahren vorangegangenen Geschäfts-
jahre eine Vermehrung des eingezahlten Grund- oder Stammkapitals stattgefunden,
so wird dem Geschäftsgewinne für die vor der Vermehrung liegende Zeit ein Betrag
von fünf vom Hundert jährlich des der Gesellschaft durch die Neueinzahlungen
tatsächlich zugeflossenen Kapitalbetrags zugerechnet.
Nationalökonomische Gesetzgebung, 93
Als früherer en rk wird mindestens ein Betrag von fünf vom
Hundert des eingezahlten Grund- oder Stammkapitals angenommen zuzüglich des
Mehrbetrags, der zur Verteilung einer etwaigen Tiöheren festen Vorzugsdividende
für Palit Aktien notwendig gewesen wäre. Das Grundkapital einer
Berggewerkschaft oder einer Bergbau treibenden Vereinigung ist aus dem Erwerbs-
preis und den Anlage- und Erweiterungskosten abzüglich des durch Schuld-
aufnahme gedeckten Aufwandes hierfür zu berechnen. An Stelle des Grund-
kapitals tritt bei eingetragenen Genossenschaften die Summe der eingezahlten
Geschäftsanteile der Genossen.
Der im Abs. 3 vorgesehene Betrag wird als Mindestbetrag auch zugrunde
elegt, wenn ein volles Geschäftsjahr vor den Kriegsgeschäftsjahren nicht vorliegt.
fn iesem Falle werden jedoch für Aktien oder Anteile, die zu einem den Nenn-
wert übersteigenden Preise ausgegeben worden sind, die fünf Hundertstel von
dem Kapitale berechnet, das der Gesellschaft als Einzahlung auf ihre Aktien oder
Anteile tatsächlich zugeflossen ist.
Hat sich das eingezahlte Grund- oder Stammkapital einer Gesellschaft
während der Kriegsgeschäftsjahre vermehrt, so ist für die Zeit nach der Ver-
mehrung dem durchschnittlichen früheren Geschäftsgewinn ein Betrag von fünf
vom Hundert jährlich des der Gesellschaft durch die Neueinzahlungen tatsächlich
zugeflossenen Kapitalbetrags hinzuzurechnen.
£6. Gesellschaften der im $ 1 bezeichneten Art, die ihren Sitz im Ausland
haben, aber im Inland einen Geschäftsbetrieb unterhalten, sind gleichfalls zur
Bildung einer Sonderrücklage verpflichtet. Die Pflicht beschränkt sich auf den
Mehrgewinn, der auf den inländischen Geschäftsbetrieb entfällt. Die Grundsätze,
die bei einer bundesstaatlichen Einkommensteuerveranlagung für die Ausscheidung
des auf den inländischen Geschäftsbetrieb entfallenden Teiles des steuerbaren
(Gesamteinkommens maßgebend waren, sind auch bei der Berechnung des auf
den inländischen Betrieb entfallenden Teiles des Mehrgewinns anzuwenden. Wo
eine Einkommensteuer nicht eingeführt ist, hat die Landesregierung entsprechende
Vorschriften zu erlassen.
Die Ausführung der durch dieses Gesetz begründeten Verpflichtungen liegt
den Vorstehern der inländischen Niederlassungen ob.
87. Von der Verpflichtung zur Bildung einer Sonderrücklage befreit sind
inländische Gesellschaften, die nach der Entscheidung des Bundesrats ausschließ-
lich gemeinnützigen Zwecken dienen.
$8. Die Sonderrücklage ist der freien Verfügung der Gesellschaften ent-
zogen, getrennt von dem sonstigen Vermögen zu verwalten und in Schuld-
verschreibungen des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaats anzulegen. Die
OR und Verwaltung erfolgt, auch bei ausländischen Gesellschaften, im
nland.
Der Reichskanzler kann Ausnahmen von den Vorschriften des Abs. 1 be-
willigen.
Die Zinsen der Sonderrücklage fließen den sonstigen Einnahmen zu.
Bleibt der Geschäftsgewinn eines Kriegsgeschäftsjahrs hinter dem durch-
schnittlichen früheren Geschäftsgewinne ($ 5) zurück, so ist die Gesellschaft be-
rechtigt, aus der Sonderrücklage den Betrag zu entnehmen, um den etwa die
Sonderrücklage die Hälfte des im Gesamtergebnisse der abgelaufenen Kriegs-
geschäftsjahre erzielten Mehrgewinns en ;
Die Sonderrücklage ist auch im Falle der Auflösung einer Gesellschaft der
freien Verfügung der Liquidatoren so lange entzogen, als nicht durch das künftige
RE: über die Besteuerung der Kriegsgewinne über ihre Verwendung Bestimmung
getroffen ist.
89. Die a des Vorstandes, persönlich haftenden Gesellschafter, Re-
präsentanten, Geschäftsführer oder Liquidatoren der pflichtigen Gesellschaften
($ 1), bei ausländischen Gesellschaften die Vorsteher der inländischen Nieder-
lassungen (8 dr die den Vorschriften dieses Gesetzes über die Bildung oder Ver-
waltung der Sonderrücklage vorsätzlich oder fahrlässig zuwiderhandeln und da-
durch die Erhebung der Kriegsgewinnsteuer gefährden, werden mit Geldstrafe bis
zu dreißigtausend Mark bestraft.
94 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Sie haften für den Schaden, der durch ihr Verschulden dem Fiskus aus der
Nichterfüllung der durch dieses Gesetz vegriadaton Verpflichtungen erwächst ;
sind für den Schaden mehrere verantwortlich, so haften sie als Gesamtschuldner.
$ 10. Der Bundesrat ist ermächtigt, die Vorschriften dieses Gesetzes auf
andere als die im § 1 bezeichneten juristischen Personen auszudehnen.
Er ist ferner befugt, Ausführungsbestimmungen zu erlassen und Zuwider-
handlungen mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark zu bedrohen.
$ 11. Dieses Gesetz tritt am Tage seiner Verkündung in Kraft.
rkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beige-
drucktem Kaiserlichen Insiegel.
Gegeben Großes Hauptquartier, den 24. Dezember 1915.
(L. S.) Wilhelm.
von Bethmann-Hollweg.
Gesetz über die Kriegsabgaben der Reichsbank.
Vom 24. Dezember 1915. (RGBl. 1915, No. 187, S. 840 fg.)
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen usw.
verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und
des Reichstags, was folgt:
Artikel 1.
Von dem Gewinne der Reichsbank für das Jahr 1915 wird vorweg ein Be-
trag von 100 Millionen Mark dem Reiche überwiesen.
Artikel 2.
$ 1. Die Reichsbank hat ferner aus den Gewinnen für die Jahre 1915 und
1916 je einen Betrag von 14,3 Millionen Mark an das Reich abzuführen.
. § 2. Soweit der für das Jahr 1915 und der für das Jahr 1916 nach Abzug
der sämtlichen Ausgaben sich ergebende Reingewinn den durchschnittlichen Rein-
ewinn der Jahre 1911, 1912 und 1913 übersteigt, fällt er je zu drei Vierteln an
as Reich.
Die Verteilung des hiernach verbleibenden Gewinns regelt sich nach § 24
des Bankgesetzes in der Fassung des Gesetzes vom 1. Juni 1909 (RGBl. 8. 515
Artikel 3.
Die für die Jahre 1914, 1915 und 1916 von der Reichsbank als Reserve für
zweifelhafte Forderungen bilanzmäßig zurückgestellten Beträge dürfen bis zum
Schlusse des der Beendigung des Krieges folgenden Jahres nur zur Deckung von
Verlusten verwendet werden.
Soweit sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht Verwendung gefunden haben.
werden sie nach Abzug desjenigen Betrags, den die Reichsbank bis zur Höhe
von 6!/, Millionen Mark als Reserve für zweifelhafte Forderungen in die Bilanz
des vorbezeichneten Jahres einstellt, zur Hälfte an das Reich abgeführt.
Ueber die andere Hälfte ist, soweit sie nicht bis zum 31. Dezember 1920 zur
Deckung von Verlusten in Anspruch genommen sein wird, durch das nächste,
pe 8 41 des Bankgesetzes zu erlassende Gesetz endgültige Bestimmung zu
treffen.
Artikel 4.
‚Die nach Artikel 2 $ 2 an das Reich zu zahlenden und die im Artikel 3
bezeichneten Beträge sind der Kommunalbesteuerung nicht unterworfen.
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beige-
drucktem Kaiserlichen Insiegel.
Gegeben Großes Hauptquartier, den 24. Dezember 1915.
(L. 8.) Wilhelm.
von Bethmann-Hollweg.
Miszellen. 95
Miszellen.
I.
Die amtliche Statistik und der Krieg.
Von Ministerialrat Professor Dr. Friedrich Zahn,
Direktor des Bayer. Statistischen Landesamts (München).
In der bisherigen Geschichte der amtlichen Statistik fielen die
groben Arbeitsjahre der Statistik jeweils mit den Perioden einer ge-
steigerten Tätigkeit der Verwaltung zusammen. Diese Erfahrung der
Friedenszeit bestätigt auch der jetzige Krieg. Seit Ausbruch desselben
hat die amtliche Statistik, die zunächst alle ihre bisherigen nicht vor-
dringlichen Arbeiten zurückstellte, ein so gewaltiges Pensum zu erfüllen,
wie wohl in keinem früheren Stadium der Geschichte. Es bestehen
eben sehr vielseitige Beziehungen zwischen Statistik und
Krieg. Ihre allgemeine Kenntnis liegt im Interesse einer richtigen
Würdigung der Gesamtbedeutung der Statistik und auch im Interesse
einer zweckentsprechenden Fortbildung der Statistik nach dem Krieg.
Sowohl vom Standpunkt unserer Kriegsbereitschaft
wie bei der seitherigen Führung des uns aufgezwungenen Kriegs
erwies sich die amtliche Statistik in Deutschland hochbedeutsam. Sie
wirdauch beim Friedensschluß, bei Ueberleitung der Kriegs-
in die Friedenszeit und bei den künftigen Kriegs- und
Friedensaufgaben noch mehr als in den letzten Jahrzehnten zu tun
bekommen.
Für die Kriegsbereitschaft war von Belang, was im Laufe
der Friedenszeit die Statistik über Wachstum und Tauglichkeit der Be-
völkerung, über deren gesundheitliche Verhältnisse, über die Haupt-
schädlinge der Gesundheit und den Erfolg ihrer Bekämpfung, über die
Leistungen von Landwirtschaft, Viehzucht, Gewerbe, Handel, Verkehr,
über Bedarf und Verbrauch, über Kapitalbildung und Steuerkraft, über
körperliche, geistige Bildung, über sozialen Aufstieg und sonstigen kul-
turellen Fortschritt feststellte. Auf diesen Grundlagen konnte die mili-
tärische, wirtschaftliche, finanzielle und moralische Kriegsrüstung ihre
speziellen Zwecke weiter verfolgen. Vermutlich hätte sie auch für die
wirtschaftliche Kriegsvorsorge noch mehr leisten können, wenn die Vor-
schläge von Dix, Rießer etc. auf Einrichtung eines wirtschaftlichen
Generalstabs in irgendeiner Weise verwirklicht worden wären.
Ebenso leistete die Statistik während des bisherigen Kriegs
viel benützte Hilfe, die um so notwendiger war, als das Riesenhafte der
96 Miszellen.
Verhältnisse des jetzigen Weltkriegs riesengroße Aufgaben im Gefolge
hatte, deren Bewältigung der deutschen Organisationskraft gerade vom
Boden der ziffernmäßig ermittelten Tatsachen aus gelang. Schon sonst
war das Bedürfnis nach Statistik desto größer, je zentraler die Verwal-
tung, je ausgedehnter das Staatsgebiet war. Der jetzige Weltkrieg und
Weltwirtschaftskrieg erhöhte dieses Bedürfnis natürlich ganz gewaltig.
Daß die Mobilmachung der Millionen für unsere Heere, ihre Aushebung,
Beförderung, Ausbildung und Verwendung, ihre Verpflegung, ärztliche
Behandlung ete. so vorzüglich vonstatten ging und geht, wie wir alle
wissen, war nur möglich dank der zahlenmäßigen Ordnung, mit der diese
sonst unübersehbaren Aufgaben in Angriff genommen wurden. Aber
neben dieser militärischen Statistik haben auch die anderen
Zweige der Statistik, die Bevölkerungs-, Wirtschafts-, Sozial-
und politische Statistik ihre besonderen Kriegsaufgaben bekommen.
Sie halfen bei Vorbereitung von Kriegsmaßnahmen und bei Feststellung
des Erfolgs derselben.
In Vordergrund ist namentlich die Wirtschaftsstatistik ge-
treten. Der Weltwirtschaftskrieg, wie ihn England gegen uns versuchte,
machte eine straffe Konzentration unseres Wirtschaftslebens erforderlich
und bedingte daher eine Fülle kriegswirtschaftlicher Regelungen seitens
der öffentlichen Gewalt. Zu dem Zweck hatte die Statistik — abge-
sehen von zahlreichen Gutachten für die verschiedenen Zivil- und Mili-
tärbehörden — durch eine große Zahl von Erhebungen Aufschluß über
Bedarf und Vorräte an gewissen Lebensmitteln und Rohstoffen zu er-
bringen und hatte zu zeigen, in welcher Richtung Maßnahmen zur ge-
nügenden Versorgung von Heer und Volk mit den erforderlichen Waren
zu ergreifen waren.
Solche Erhebungen !) wurden teils vom Bundesrat ($ 3 des Gesetzes
über die Ermächtigung des Bundesrats zu wirtschaftlichen Maßnahmen
vom 4. August 1914) für das gesamte Reich, teils von den Landes-
behörden im Vollzug von Bundesratsbeschlüssen oder aus eigener Zu-
ständigkeit, teils von den Organen der Militärverwaltung und der Kom-
munen angeordnet. Die statistischen Stellen waren Vollzugsorgane; aus
eigener Initiative veranlaßten sie nur ausnahmsweise weitere Erhebungen,
zumal die Durchführung der von der Zentralstelle angeordneten Auf-
nahmen ohnehin sowohl die Statistischen Aemter wie die Außenstellen
und die Bevölkerung stark in Anspruch nahmen und die Arbeit über-
dies durch die erhebliche Einschränkung des Personals wegen der mili-
tärıschen Einberufungen und durch die kurzen Fristen, die zur Vor-
bereitung, Durchführung und Bearbeitung der Aufnahmen gelassen waren,
wesentlich erschwert war.
Besonders zahlreiche Erhebungen beziehen sich auf Getreide und
Mehl, also auf diejenigen Lebensmittel, mit deren Mangel im Inland der
Feind bei dem von ihm geplanten Aushungerungskrieg gerechnet hatte,
1) Eine ausführliche Darstellung dieser Kriegserhebungen mit Angabe der maß-
»ebenden Verordnungen enthält die Zeitschrift des Bayer. Statistischen Landesamts,
1915, 8. 383 ff.
Miszellen. 97
deren tatsächliche Vorräte und deren vernünftige Regelung aber den
feindlichen Plan völlig zuschanden werden ließen. Noch in den Friedens-
monaten 1914 wurde eine statistische Aufnahme der Vorräte von Ge-
treide und Erzeugnissen der Getreidemüllerei vorbereitet, sie fand am
1. Juli 1914 statt. Ihre Ergebnisse und die bei der Aufnahme ge-
machten Erfahrungen waren für die weiteren Vorratserhebungen sehr
von Vorteil. Solche erfolgten am 1. Dezember 1914, 1. Februar, 9. Mai,
16. November 1915. Die Resultate dieser Vorratserhebungen, die noch
durch Erhebungen über den Ausfall der neuen Ernte sowie durch ge-
wisse Bedarfserhebungen einzelner Staaten und Städte Ergänzung fanden,
schufen die hauptsächlichsten Unterlagen für die weiteren Maßnahmen
zur Streckung unserer Vorräte und zur Sicherstellung der Volksernährung
und Viehfütterung.
Freilich waren die Unterlagen nicht so einwandfrei, als man ge-
wünscht hätte. Zum Teil lag dies an einer gewissen im Krieg nicht
vermeidbaren Ueberstürzung bei Vorbereitung und Ausführung der Er-
hebungen. Mehr noch wirkte beeinträchtigend auf die Angaben die
sachliche und persönliche Schwierigkeit einer zuverlässigen gewicht-
mäßigen Feststellung der eigenen Vorräte, ferner der Gedanke an eine
Beschlagnahme der angegebenen Vorräte. Manche ließen ihre Vor-
räte niedriger in den Erhebungsformularen erscheinen, als sie tat-
sächlich waren; sie waren schuld, daß dann strengere Sparsamkeits-
vorschriften, als an sich nötig gewesen, ergingen, daß die Brot- und
Mehlration verringert wurde und auch die Kleieabgabe spärlicher aus-
fiel. Auch die jüngste Novemberaufnahme lieferte kein nach der Zu-
verlässigkeit hin befriedigendes Ergebnis. Die Besitzer von Getreide
haben ihren Angaben vielfach Schätzungen zugrunde gelegt anstatt zu
messen und zu wiegen und sich dabei namentlich bezüglich der großen
unausgedroschenen Getreidevorräte trotz Probedrusche und sonstiger
Bemühungen geirrt, oder aber sie haben absichtlich falsche Angaben
gemacht, um das Getreide aus Selbst- und Gewinnsucht für die eigene
Wirtschaft zurückzuhalten. Deshalb hat die Reichsgetreidestelle wie ver-
schiedene Landesregierungen und Landesvermittlungsämter (für Getreide
und Mehl) Nachprüfungen veranlaßt. Das Schaumburgisch-Lippesche
Ministerium gewährte den Besitzern von Brotgetreide und Hafer eine Nach-
frist, es forderte sie auf, ihre Bestände sofort genau nachzuprüfen und bis
zum 17. Dezember 1915 dem Vorsteher die Berichtigung anzuzeigen, nach
diesem Tage würden in allen Ortschaften Boden- und Wirtschaftsprü-
fungen durch besondere Beauftragte stattfinden und dann die schuldig
Betroffenen strafrechtlich verfolgt werden. Die Handhabe hierzu bietet
abgesehen von weitergehenden landesrechtlichen Bestimmungen die Vor-
schrift des Bundesrats: Wer die Anzeige, zu der er verpflichtet ist,
nicht in der gesetzten Frist erstattet oder wissentlich unrichtige oder
unvollständige Angaben macht, wird mit Gefängnis bis zu 6 Monaten
oder mit Geldstrafe bis zu 10000 M. bestraft. Aus dem Gesagten er-
hellt, daß, wenn gewisse statistische Erhebungen unbefriedigend waren,
der Vorwurf nicht die amtliche Statistik und die deren Ergebnisse ver-
wertenden Stellen trifft, sondern jene Einzelpersonen, die mit ihrer
Jahrb. f. Nationalök, u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). wi
baa
98 Miszellen.
zurückhaltenden Kriegsvorsicht mehr ihr privates als das Gesamtinteresse
im Auge hatten.
In diesem Zusammenhang ist auch der Ernteflächenerhebung an-
fangs Juli 1915 und der Ernteschätzung Ende Juli 1915 Erwähnung zu
tun. Beide sollten in die bisherigen unbefriedigenden Anbau- und Ernte-
erhebungen eine Besserung bringen. Darum wurde die für den 1. bis
4. Juli 1915 angeordnete Ernteflächenerhebung im Gegensatz zu der auf
Schätzungen (der in den Gemeindebezirken gebildeten Erhebungskom-
missionen) beruhenden Anbauermittlungen mittels Individualangaben der
Betriebsinhaber durchgeführt. Das Prinzip war zweifellos technisch
besser, aber die Erhebung litt unter der starken Inanspruchnahme der
ländlichen Bevölkerung zum Erhebungstermin, unter der durch die vielen
Einberufungen veranlaßten Abwesenheit männlicher, erfahrener Betriebs-
leiter und sonstiger sachkundigen Personen zur Ausfüllung der Formu-
lare. Ebensowenig vermochte die Ernteschätzung Ende Juli 1915
brauchbare Resultate herbeizuführen, der Termin war für eine gute
Schätzung der kommenden Ernte zu früh angesetzt, außerdem wirkte
auf die Schätzung ungünstig die Zugrundelegung der — wie erwähnt —
unvollständigen Juli-Flächenangaben und noch obendrein die in den Ent-
schließungen der einzelnen Regierungen befindliche Mahnung, unter
keinen Umständen zu hoch zu schätzen — eine Mahnung, die nur zu
gern befolgt wurde und zwar so, daß die geschätzten Zahlen unglaub-
lich weit hinter den richtigen zurückblieben. In den genannten Ent-
schließungen an die äußeren Aemter hieß es nämlich: „Für das ge-
samte Ergebnis der Ernteschätzung ist es von größter Bedeutung, mög-
lichst zuverlässige, aber unter keinen Umständen zu hohe Zahlen zu
erzielen. Die Ertragsschätzung wird namentlich für Berechnung der für
die Brotversorgung der Bevölkerung verfügbaren Getreidemenge ver-
wendet werden. Es liegt auf der Hand, daß Ueberschätzungen dabei
von schädlichster Wirkung sein könnten.“ Dieser Wink war an sich
zweckmäßig, wurde aber mißbraucht. Deshalb werden wohl künftig
derlei Richtlinien besser unterlassen.
Neben der erwähnten allgemeinen Aufnahme, die noch durch Er-
hebungen vom 10. Juli 1915 über Leistungsfähigkeit der Getreidemühlen
(auch Kundenmühlen) und über die größeren Lagerhäuser und Lager-
räume ergänzt wurde, fanden — ebenfalls zur Sicherung der Volks-
ernährung und des Heeresbedarfs — immer wieder Ermittlungen der
Vorräte an Gerste, Malz, Hafer, Verbrauchszucker usw. statt.
Außerdem wurden Vieh- und Futtermittelzählungen wiederholt im
Interesse ausreichender Fleischversorgung veranstaltet. So erfolgten
Viehzählungen mit abwechselnd größerem oder kleinerem Umfang am
1. Dezember 1914, 15. März, 15. April, 1. Oktober, 1. Dezember 1915.
Zumeist beziehen sie sich auf Pferde, Rindvieh, Schafe, Schweine, Ziegen,
in einigen Fällen waren sie lediglich Schweinezählungen. Mehrfache
Futterermittlungen bezweckten die Feststellung der Vorräte an zucker-
haltigen Futtermitteln.
Endlich verdienen die Aufnahmen der Kartoffelvorräte vom 15. März,
15. Mai und Ende November Erwähnung. Sie hatten Unterlagen für
Miszellen. à 99
die weiteren Fragen der Kartoffelversorgung der Bevölkerung zu liefern.
Von diesen Vorratserhebungen gilt ähnliches wie von den oben geschil-
derten Getreide- und Mehlbestandsaufnahmen. Namentlich erwies sich
die vom 15. März sehr irreführend. Unter der Furcht, daß die Vor-
räte an Kartoffeln beschlagnahmt würden, wie es für Hafer, Brotgetreide,
Mehl bereits geschehen, wurden möglichst niedrige Schätzungen vor-
genommen, außerdem war es unmöglich, die in den damals zumeist nicht
erschließbaren Mieten aufgestapelten Vorräte annähernd richtig festzu-
stellen. Darum hatte die Reichskartoffelstelle, die sich eine Zeitlang
von den viel zu niedrigen Ergebnissen der Kartoffelaufnahme vom
15. März bestimmen ließ, und auch eine Reihe von Kommunalverbänden
nachher Schwierigkeiten, als erfreulicherweise viel größere Bestände
zum Vorschein kamen.
Ergänzt wurden die geschilderten Aufnahmen durch eine besondere
Erhebung der Erzeugnisse der Kartoffeltrocknerei und ferner durch eine
Reihe von Feststellungen des Kartoffelverbrauchs städtischer Familien.
Bei letzteren ergab sich, daß soziale Stellung und Einkommen im um-
gekehrten Verhältnis zum Kartoffelverbrauch stehen, weshalb der
ärmeren Bevölkerung ein besonderes Entgegenkommen hinsichtlich der
Kartoffelversorgung seitens der Kommunen zuteil wurde.
Manche städtischen Statistischen Aemter, z. B. in München, haben
neben dem Kartoffelverbrauch auch den Verbrauch anderer Nahrungs-
mittel (Mehl, Teigwaren, Rollgerste, Grieß, Butter, Fett, Fleischdauer-
waren, Milch) durch Befragung einer großen Zahl Privathaushaltungen
für kommunale Maßnahmen auf dem gesamten Gebiet der Lebensmittel-
versorgung ermittelt. Diese Verbrauchserhebungen bewährten sich,
während man im Frieden sich gegenüber solchen Konsumaufnahmen zu
kritisch verhielt und nur mit der Methode von Jahreshaushaltsrech-
nungen zum Ziel zu kommen glaubte.
Auch von Reichs wegen fanden noch Vorratserhebungen für eine
Reihe anderer Lebensmittel als der bereits aufgezählten statt, z. B. für
Kaffee, Kakao, Tee, Reis, Zucker, Hülsenfrüchte, Sojabohnen, Rotwein ;
neuerlich auch für Butter größerer Molkereien, die allmonatliche An-
zeigen über ihre Bestände an die Zentraleinkaufsgesellschaft in Berlin
zu erstatten haben.
Außerdem hatte die amtliche Statistik hervorragend mitzuwirken
bei Sicherung des Kriegsbedarfs. Zu dem Behuf wurde eine große
Zahl von Erhebungen von stellvertretenden Generalkommandos, zum
Teil auch von den Zivilbehörden veranlaßt. So erfolgten Feststellungen
von Chilesalpeter, Kraftwagen, Kraftwagenreifen, Tabak, Kupfer, Nickel,
Gummi, Jute, Verbandstoffen, Häuten, Fellen, Leder, Fetten, Oelen,
Chemikalien, Schafwolle, Baumwolle, Butter, Speisefetten ete.
Alle diese Kriegserhebungen haben die Tätigkeit der verschiedenen
Kriegsorganisationen wesentlich erleichtert, stellenweise erst ermöglicht.
Vielfach wurden den Kriegsorganisationen eigene statistische Abtei-
lungen angegliedert, da auch der laufende Betrieb ohne Berücksich-
tigung der Statistik nicht auskommen kann.
7*
100 Miszellen.
Aber auch die schon seit Friedenszeiten bestehende, während des
Kriegs nur zum Teil — soweit nicht vordringlich — eingestellte
Statistik leistete wertvolle Kriegsdienste. Besonders gilt dies für die
Statistik des Arbeitsmarkts, des Wohnungsmarkts, der Löhne, der
Arbeiterfürsorge, dann für die Statistik des Saaten- und Erntestands,
der Eisenbahnen, der Sparkassen, des Geld- und Bankverkehrs (Reichs-
bank), ferner für die Statistik der Preise, die die hauptsächlichsten
Unterlagen für die amtliche Preisregelung, die Normierung von Höchst-
preisen, die Tätigkeit der Preisprüfungsstellen etc. liefert.
Uebrigens bekam nicht bloß die Wirtschafts-, sondern auch die
Sozial-, Bevölkerungs- und politische Statistik durch den
Krieg neue Aufgaben. Ohne auf die Einzelheiten hier weiter einzu-
gehen, sei beispielsweise auf die statistisch zu erfassende Kriegsfürsorge
sowohl für die Kriegsteilnehmer und deren Angehörige wie für andere
durch den Krieg hilfsbedürftig gewordene Personen verwiesen, sodann
auf die Erweiterung der Bevölkerungsstatistik durch Feststellung der
Kriegseheschließungen, Einwirkung des Kriegs auf Geburten, Säuglings-
sterblichkeit, durch Ermittlung der Sterbefälle von deutschen Militär-
personen und deren Ursachen, durch Feststellung (seitens der Militärver-
waltung) der Heilerfolge der erkrankten und verwundeten Soldaten, durch
Feststellung von Krankheits- und Sterbefällen an anzeigepflichtigen
Krankheiten auch bei den feindlichen Kriegsgefangenen, endlich auf
die statistischen Ermittlungen von Land und Leuten in den von uns
besetzten Gebieten.
Eine Veröffentlichung der Kriegsarbeit der amtlichen Statistik
geschieht aus kriegstaktischen Erwägungen natürlich nur in beschränktem
Umfang. Ein einheitliches Vorgehen seitens der verschiedenen statisti-
schen Stellen ist gewahrt durch entsprechende Mitteilungen seitens des
Kaiserlichen Statistischen Amts, oder seitens des Reichsamts des Innern
an die Bundesregierungen. Die Einzelergebnisse dienten also in der
Hauptsache für internen Gebrauch seitens der Zivil- und der Militär-
verwaltung. Immerhin fließen auch die statistischen Veröffentlichungen
noch reichlich weiter, wie ein Blick in die Jahrbücher, Zeitschriften etc.
der Statistischen Aemter, in die Denkschriften der Reichsregierung und
der Bundesregierungen für Reichstag und Landtage, in die Tagespresse
besagt.
Die Verwertung der Statistik erfolgte, wie im Frieden, so
auch während des Kriegs nicht durchweg sachverständig. Mitunter
wurden aus den Nachweisen zu weitgehende, irrige Schlüsse gezogen,
die dann die Praxis ungünstig beeinflußten. Es geschah dies von
Leuten, die des Glaubens sind, in der Statistik sei jeder sachverständig.
In Wirklichkeit sind Sachkenntnis und Gewissenhaftigkeit bei Benutzung
statistischer Quellen nicht weniger entbehrlich als bei Benutzung
anderen wissenschaftlichen Materials. Nur in der Hand des sach-
kundigen, nüchternen, wahrheitssuchenden Forschers ist die Statistik
ein Schlüssel zu tieferer Erkenntnis und eine sichere Beraterin und
Führerin. In der Hand des Dilettanten ist sie ein Mittel des Miß-
brauchs und Irrtums, das Schaden und Verwirrung schafft. Nur eine
Miszellen. 101
Sachkunde, die die Tatmomente erkennt, die bei Entstehung von Zahlen-
reihen mitgewirkt haben, bewahrt vor Ueber- und Unterschätzung des
inneren Werts der Statistik. — Soweit auch Ausländer aus der deutschen
Statistik irrige Schlüsse zogen, erlebten sie regelmäßig Enttäuschungen.
Sie berechneten den finanziellen Zusammenbruch Deutschlands, die ein-
tretende Aushungerung, die Erschöpfung durch Mangel an Rohstoffen etc.
Die aus diesen Berechnungen geschöpfte vorübergehende Aufmunterung
des feindlichen Auslands mußte gewöhnlich einer für dieses um so
bittereren Enttäuschung hinterher Platz machen.
Mit ihrer umfassenden und verantwortungsvollen Tätigkeit seit
Ausbruch des Kriegs sind die Statistischen Aemter zweifellos noch
erheblich über ihre bisherige Bedeutung für die öffent-
liche Verwaltung hinausgewachsen. Selbst manche Ver-
treter der Verwaltung, die der Einschränkung der Statistik lebhaft im
Frieden das Wort redeten, mußten während des Kriegs durch ihre
eigenen Anordnungen bekennen, daß wir bisher eher zu wenig als zu
vie] Statistik hatten.
Ueberdies haben die Statistischen Aemter vielfach selber ein Stück
der aktiven kriegswirtschaftlichen Verwaltung mit zu
übernehmen gehabt. Es wurden die für die Mehl- und Getreide-
versorgung, auch für die Butter, die Reiskartenausgabe, für die Futter-
mittelversorgung geschaffenen Verteilungsstellen sowie die zur Vor-
bereitung der Preismaßnahmen eingerichteten Preisprüfungsstellen ent-
weder den Statistischen Aemtern des Reichs und der Bundesstaaten
unmittelbar angegliedert, oder unter ihrer wesentlichen Mitwirkung
durchgeführt. Auch die Kriegsfürsorge wurde mehrfach mit Statistischen
Aemtern verbunden. Analog wurden in den Städten die städtestati-
stiichen Aemter in umfassenden Kriegsdienst eingestellt, mitunter ist
ihnen sogar die ganze kommunale Lebensmittelversorgung angegliedert
oder ist sie aus ihnen als selbständige Organisation (z. B. Münchener
Lebensmittelversorgungsgesellschaft) hervorgewachsen.
Mit vorstehendem ist die kriegsmäßige Tätigkeit der amtlichen
Statistik keineswegs erschöpft!. Noch auf wichtigeren weiteren Ge-
bieten, vor allem der Heeresverwaltung, des militärischen Gesundheits-
dienstes, dann des Eisenbahnwesens etc. bedient man zur zielsicheren
Erledigung der gegenwärtigen großen Aufgaben sich der Statistik. Das
gleiche ist der Fall seitens der verschiedenen wirtschaftlichen, sozialen
und kirchlichen Verbände. Ich erinnere nur an die statistischen Auf-
nahmen, die der Bund der Landwirte, der Verein für Stahl und Eisen,
die deutschen Gewerkschaften, die Lehrervereine, das Rote Kreuz, der
Caritasverband für das katholische Deutschland, der deutsche evan-
gelische Kirchenausschuß über die Kriegsarbeit dieser Organisationen
in den letzten Monaten vorgenommen hat.
1) Eine genauere Ermittlung der Kriegsaufgaben der Statistischen Aemter und
der amtlichen Statistiker wird eben durch eine besondere Umfrage der Schriftleitung
des Deutschen Statistischen Zentralblattes versucht.
102 Miszellen,
Außerdem werden die kriegsmäßigen Aufgaben der amtlichen
Statistik noch bei der Vorbereitung des Friedensschlusses
und nach Friedensschluß eine beachtenswerte Rolle spielen. Es
harrt ihrer dann die statistische Feststellung der verschiedensten,
während des Kriegs vollbrachten militärischen, wirtschaftlichen, finan-
ziellen und sozialen Leistungen sowie der mannigfaltigen Einflüsse, die
unser Öffentlicher und privater Haushalt, unser gesamtes Gesellschafts-
leben durch den Krieg erfahren hat. Die hierbei gewonnenen Ergeb-
nisse werden wichtige Fingerzeige abgeben für den Wiederaufbau unserer
Bevölkerung, für die weitere Entwicklung des aus dem Krieg hervor-
gehenden neuen Deutschlands, für die künftige militärische Sicherung
unseres Vaterlands.
Natürlich macht auch die amtliche Statistik im jetzigen Feuer des
Weltkriegs und Weltwirtschaftskriegs ihre besonderen Erfah-
rungen und sammelt manche Lehren. Diese Lehren gehen aber
nicht bloß die Träger der Statistik selber an, sie wenden sich auch
an den Staat vom Standpunkt der richtigen Einschätzung und sach-
gemäßen Fortbildung der Statistik, vom Standpunkt einer richtigen stati-
stischen Schulung des zur befriedigenden Durchführung amtlicher Er-
hebungen unentbehrlichen Vollzugspersonals, und sie wenden sich an die
Gesamtheit vom Standpunkt ihrer größeren Politisierung (durch breiteres
und tieferes Wissen vom Staat und durch werktätigere Mitarbeit am
Staat).
Schon jetzt nähere Schlußfolgerungen !) aufzustellen, wäre wohl
verfrüht.
Aber die eine Frage sei wenigstens zum Schluß unserer Aus-
führungen berührt: Wie gestaltet sich wohl die weitere Mitarbeit
der deutschenStatistik an der internationalenStatistik?
Schon in den letzten Jahrzehnten war diese Mitarbeit nicht ein bloßer
Wunsch von Theoretikern oder Kosmopolitikern, sondern war eine
Forderung des nationalen Staatsinteresses’). Die Seele der Statistik ist
der Vergleich, der räumliche wie der zeitliche. Deswegen bedarf die
nationale Statistik zur richtigen Würdigung der Bedeutung ihrer Zahlen
notwendig noch vergleichbarer Daten des Auslands. Dieses Bedürfnis
nach statistischen Vergleichen mit dem Auslande ist auch während des
Kriegs nicht erloschen, es wird fortlaufend weiter befriedigt, bei uns
ebenso wie bei den anderen Staaten. Es finden immer wieder inter-
nationale Vergleiche statt, z. B. über den Arbeitsmarkt, die Teuerung,
die Finanzen, den Goldstand der Banken. Das ständige Amt des
Internationalen Statistischen Instituts hat durch seinen Generalsekretär
Methorst trotz der Schwierigkeiten des Kriegs eifrig am Ausbau der
international vergleichbaren Statistik gearbeitet. Das Internationale
Landwirtschaftliche Institut in Rom hat sogar ein besonderes Jahrbuch
Annuaire internationale de Statistique agricole) mitten im Krieg auch
1) In bezug auf Verbesserung der Bestands-, Ernte-, Verbrauchs-, Preisstatistik
macht H. Silbergleit bemerkenswerte Vorschläge im Bankarchiv vom 15. November 1915.
2) Vgl. darüber meine Jubiläumsbetrachtung „Das Reich und die Kriegsstatistik‘“.
Annalen des Deutschen Reichs, 1913, S. 892 fg.
Miszellen. 103
mit Daten, die sich auf das abgelaufene Kriegsjahr beziehen, zustande
gebracht. Gewiß werden die Folgen der Zersetzung der Internatio-
nalität nach dem Krieg auch bei der Statistik zu spüren sein; ange-
sichts mancher gehässigen Auslassungen von Mitgliedern des Inter-
nationalen Statistischen Instituts im Lauf des Kriegs ist bei anderen
Mitgliedern die bisherige Freude an der internationalen Zusammen-
arbeit einer starken Zurückhaltung gewichen. Aber mit der Wieder-
aufnahme des internationalen Verkehrs und Handels nach dem Krieg
wird auch die internationale Statistik stark benötigt und zu Leben
kommen. Ob gern oder ungern, die einzelnen Staaten werden an deren
Zustandekommen und ferneren Pflege im wohlverstandenen Eigeninteresse
weiterarbeiten. Die internationale statistische Zusammenarbeit wird
so mitberufen sein, die jetzt feindlich gegenüberstehenden Völker all-
mählich einer neuen, hoffentlich besseren Kulturgemeinschaft entgegen-
zuführen. (8. €.)
104 Miszellen.
Il.
Die Fürsorge für die Kriegsbeschädigten.
Von Dr. Herbst, Halle (Saale).
Inhalt: I. Volkswirtschaftliche Bedeutung, System und Recht. — II. Organi-
sation. A. Bundesstaaten. B. Großstädte. — III. Zusammenfassung und Ausblick. —
IV. Ergänzungen und neueste Entwicklung.
Es ist fast selbstverständlich, daß in einem Lande mit so vorbild-
lichen sozialen Einrichtungen wie in Deutschland auch die Kriegs-
wohlfahrtspflege in umfassender Weise ausgeübt wird. Schon in den
unvergleichlichen Mobilmachungstagen des August 1914 konnte das
überall im Reiche beobachtet werden. Und als die Opfer der ersten
blutigen Kämpfe die Lazarette zu füllen begannen, wurde mit richtigem
Verständnis erkannt, daß besonders für die verwundeten und verstüm-
melten Krieger eine ausgedehnte und weite Fürsorgetätigkeit zur rechten
Zeit einsetzen müsse. Mit dem den Deutschen eigenen Organisations-
sinne gelang es dann auch binnen kurzem, im ganzen Deutschen Reiche
die Kriegsbeschädigtenfürsorge ins Leben zu rufen und fort-
gesetzt so zu fördern, daß gegenwärtig wohl in fast allen größeren
Städten Einrichtungen bestehen zur sachgemäßen Durchführung aller
praktischen Maßnahmen auf diesem neuen, durch den Krieg geschaffenen
Gebiete volkswirtschaftlicher und sozialer Arbeit.
I. Volkswirtschaftliche Bedeutung, System und Recht.
Die Bedeutung der Kriegsbeschädigtenfürsorge ist besonders in
und nach diesem gewaltigen Ringen mit den Millionen der Massenheere,
die sich aus Soldaten aller Berufsschichten und Bevölkerungsklassen
zusammensetzen, volkswirtschaftlich sehr groß. Gerade in Deutschland
aber, das den Krieg mit einem Volksheer im ausgesprochenen Sinne des
Wortes führt, erscheint sie vor allem tief ausgeprägt, und es ist daher
erklärlich, daß hier die ersten Bestrebungen in dieser Beziehung ein-
setzten, und zwar in richtiger Erkenntnis ihrer Wichtigkeit möglichst
frühzeitig; schon seit den ersten Kriegsmonaten erörtern Behörden,
Vereinigungen wissenschaftlicher und praktischer Kreise sowie die Presse
gleich lebhaft die Frage der Fürsorge für unsere Kriegsbeschädigten !).
Es ist davon gesprochen worden, daß das deutsche Volk eine unermeß-
liche Dankesschuld an ihnen abzutragen habe; die Bilder der Kriegs-
1) Vgl. unsere Ausführungen über die Literatur zur Kriegsbeschädigten-
frage in der Zeitschr. f. Sozialwissenschaft, 1915, Heft 7, S. 482.
Miszellen. 105
invaliden mit Leierkasten und Drehorgel aus den 70er und 80er Jahren
dürften sich nicht wiederholen. Dieser Auffassung kann wohl bei-
gestimmt werden, sie allein darf aber nicht zum Träger des Gedankens
werden, auf dessen Grundlage die Lösung des Problems basiert. Nicht
Mitleid oder ein bloßes Gefühl der Dankbarkeit sollen hier bestimmend
sein, sondern die Leberzeugung muß sich überall durchsetzen, daß die
Fürsorge für die Kriegsbeschädigten eine volkswirtschaftliche
und soziale Aufgabe ist, die höchste Beachtung verdient und an
deren Erfüllung weite Kreise nach verschiedenen Richtungen hin be-
teiligt und interessiert sind!). Schon ein bloßer vorläufiger Vergleich
der Zahlen der Kriegsbeschädigten aus dem deutsch-französischen Kriege
1870/71 und der aus dem gegenwärtigen Völkerkampfe zeigt das ab-
solute Ueberwiegen der letzteren, die zweifellos noch bis zum Ende des
Krieges wachsen werden, was ja schließlich bei der modernen Waffen-
technik zur gegenseitigen Massenvernichtung der Kämpfenden nicht ver-
wunderlich ist. Heutzutage ist es daher schon aus diesem Grunde ganz
unmöglich, allen den zahlreichen Kriegsbeschädigten — wir geben dieser
nunmehr fast überall anerkannten und gebrauchten Bezeichnung den
Vorzug vor den veralteten Ausdrücken wie Kriegskrüppel usw.?) —
nur eine Versorgung bzw. Unterstützung in Gestalt bestimmter Renten
zu gewähren, sondern es muß versucht werden, sie der Volkswirtschaft
zu erhalten, damit diese durch den Ausfall so vieler Kräfte in allen
Phasen des Berufslebens nicht zu sehr geschwächt werde. Denn Deutsch-
1) Hierüber und insbesondere über die Fürsorge für kriegsverletzte gewerbliche
Arbeiter handelt auch Syrup in diesen „Jahrbüchern“, Bd. 105, Heft 3 (Sept. 1915),
8. 339. Ueber das wirtschaftliche Ziel der Kriegsbeschädigtenfürsorge cf. die Zusammen-
stellung des Reichsamts des Innern (s. S. 12) in der Vorbemerkung.
2) Der Ausdruck Kriegsbeschädigte wird in diesem Zusammenhang wohl am
meisten angewandt. Es gibt aber auch nicht wenige, welche Kriegsverletzte oder Kriegs-
verwundete vorziehen. Hierzu sei bemerkt, daß begrifflich das Wort Kriegsbeschädigte
zweifellos das beste und erschöpfende ist. Der Kriegsteilnehmer wird im Kriege be-
sonders schwer verwundet, als Verwundeter bleibt er im Lazarett bis zu seiner Heilung ;
diese ist in jedem Falle eingetreten, auch wenn der Betreffende das Lazarett, sprechen
wir es einmal aus, als Krüppel, mit dem Verlust der Füße, der Hände oder mit anderen
Schäden verläßt. Dann erst ist der Verwundete ein Beschädigter, und zwar ein Kriegs-
beschädigter, weil er die Beschädigung im Kriegsdienste erlitten hat. Das Mannschafts-
versorgungsgesetz von 1906 wendet bekanntlich auch die Bezeichnung Kriegsdienst-
beschädigung an. Ganz richtig wäre es vielleicht, zu sagen, Kriegsdienstbeschädigte.
Mit dem Worte Kriegsbeschädigte ist der Sinn jedoch auch voll erfaßt und ausgedrückt,
denn es bezeichnet den Abschluß einer bestimmten Zeitspanne von der Verwundung
bis zur Entlassung aus dem Lazarett. Der Kriegsbeschädigte ist im allgemeinen eine
endgültig wegen einer schwereren körperlichen Beschädigung im Kriege militärdienstlich
nicht mehr brauchbare, heeresentlassene Person, die auf Grund dieser Tatsache eine staat-
liche Rente empfängt. Der Sprachgebrauch bezeichnet daneben auch solche, die voraussicht-
lich körperlich nicht ganz wiederhergestellt werden können, solange sie noch im Laza-
rett liegen oder das Rentenverfahren noch nicht abgeschlossen ist, als Kriegsbeschädigte.
Allenfalls kann noch das Wort Kriegsverletzte zugelassen werden, da es den Begriff
noch eher deckt als Kriegsverwundete. Und eine Fürsorge in wirtschaftlicher und
sozialer Beziehung, wie sie nach den geltenden Grundsätzen die Kriegsbeschädigtenfür-
sorge sein soll und muß, kann erklärlicherweise mit Erfolg erst dann einsetzen, wenn
die Kriegsverwundeten als geheilt entlassen sind, ihrem körperlichen Zustand nach
aber als Kriegsbeschädigte angesprochen werden müssen.
106 Miszellen.
land ist nicht mehr der Agrarstaat der 70er Jahre, sondern braucht
gegenwärtig zahlreiche Arbeitskräfte in seiner hochentwickelten In-
dustrie, ganz abgesehen davon, daß auch schwere psychische Bedenken
vorliegen, wenn das Staatsrentnerwesen gefördert wird. Es ist darauf
hinzuzielen, daß die Kriegsbeschädigten nicht bloß als Konsumenten
weiterleben, indem sie ihre Renten verzehren, sondern wieder zu pro-
duzierenden, arbeitenden, ihrem veränderten physischen Zustand ent-
sprechend und angemessen tätigen Gliedern des Volksganzen gemacht
werden. Das ist die vornehme Aufgabe der Kriegsbeschädigtenfürsorge,
ein weites und großes Ziel, zum Wohle der zahlreichen aus dem gegen-
wärtigen gewaltigen Völkerkampfe kommenden Kriegsbeschädigten, zum
Segen der ganzen zukünftigen deutschen Volkswirtschaft.
Zur Erfüllung ihrer großen Aufgaben bedient sich die Kriegs-
beschädigtenfürsorge verschiedener Mittel und Wege. Dank einer um-
sichtigen wissenschaftlichen Vorarbeit ist eine eigene Methode der
Kriegsbeschädigtenfürsorge geschaffen worden, die auch allgemeine An-
erkennung gefunden hat und die grundsätzlichen Richtlinien angibt, in
welcher Weise die praktischen Maßnahmen auf diesem Gebiete vor sich
gehen sollen. Die Kriegsbeschädigtenfürsorge hat damit ihr bestimmtes
System erhalten, das nach folgenden Hauptgesichtspunkten festgelegt
ist: Den Kriegsbeschädigten wird zuerst eine gediegene allgemeine
Berufsberatung erteilt, die sich sowohl in erster Linie auf die ent-
lassenen als auch auf die noch in den Lazaretten oder Kranken-(Ver-
wundeten-)kompagnien befindlichen Kriegsbeschädigten erstreckt, d.. h.
soweit sie bereits einigermaßen körperlich wiederhergestellt sind!). Es ist
auch angeregt worden, mit der Erteilung der erstmaligen Berufsberatung
bereits in den Lazaretten selbst zu beginnen, was hier und da auch
durchgeführt worden ist; die Meinungen über den Wert solcher Vor-
nahmen gehen aber auseinander, und es erheben sich mehr Stimmen
dagegen als dafür. Zweckmäßiger als die Erteilung der Berufsberatung
in den Lazaretten dürfte es dann schon sein, dort die Aufmerksamkeit
auf die Bestrebungen und Einrichtungen der Kriegsbeschädigtenfürsorge
zu lenken, damit die Kriegsbeschädigten nach ihrer Entlassung sogleich
wissen, wohin sie sich zu wenden haben, oder zu veranlassen, daß
die soweit wiederhergestellten Kriegsbeschädigten zu den Berufsbe-
ratungen beurlaubt werden, was auch für den Kriegsbeschädigtenunter-
richt gilt. Von der Berufsberatung hängen dann alle weiteren Maß-
nahmen ab, die sich letzten Endes auch nicht wenig nach dem
körperlichen Zustand der Kriegsbeschädigten und nach Art und
Schwere der Verstümmelung richten müssen. Von Wichtigkeit ist
unter Umständen die Frage der orthopädischen Nachbehand-
lung bei manchen Kriegsbeschädigten. Hier tritt dann der Arzt
noch einmal in Tätigkeit, nachdem er vielleicht schon vorher in
den Lazaretten versucht hat, moralisch auf seine Kriegsbeschädigten
einzuwirken und sie mit einem Hinweis auf die Bestrebungen der
Kriegsbeschädigtenfürsorge davon zu überzeugen, daß sie nach ihrer
1) Ueber die Einrichtung der Berufsberatung vgl. Hellmuth Wolff im „Lehr-
gang der Kriegsbeschädigtenfürsorge in der Provinz Sachsen“, Halle 1915, S. 17 ff.
Miszellen. 10?
Heilung wieder zu vollwertigen Menschen gemacht werden sollen, und
somit die Rentenpsychose bekämpft. Der allgemeinen Berufsberatung
seitens der Volkswirtschafter als Berufsberater, die einen umfassenden
allgemeinen Ueberblick über das gesamte Wirtschaftsleben haben, kann
nötigenfalls eine spezielle oder endgültige folgen, die gewöhnlich
der Berufslehrer gibt, für den der Kriegsbeschädigte sich entschieden
hat, wenn es angemessen erscheint, ihm eine Berufsausbildung
zuteil werden zu lassen. Diese erfolgt an den fachlichen Fortbildungs-
schulen, die den Zwecken der Berufsausbildung der Kriegsbeschädigten
im Verein mit den Handwerkerschulen und dem direkten Werkstätten-
unterricht dienstbar gemacht werden. Nachteilig wird aber immer der
Lazarettunterricht sein. Die eigentlichen unterrichtlichen Maßnahmen
dürfen vor allem nicht zu zeitig einsetzen. Leichter Lazarettunterricht
als Zeitvertreib und Unterhaltung für die Verwundeten im Schnitzen
und kleinen Handfertigkeiten ist zu empfehlen. Dadurch werden auch
die späteren Fürsorgemaßnahmen nicht gestört und beeinflußt. Mitunter
wird es auch genügen, eine bloße Berufsumbildung vorzunehmen,
wenn nicht gar selbst eine solche unnötig ist und der Kriegsbeschädigte
wieder seinem alten Beruf nachgehen kann. Ueberhaupt sucht die Kriegs-
beschädigtenfürsorge möglichst die Anpassung an die früheren
Verhältnisse der Kriegsbeschädigten, was vor allem in der
Unterbringung beim ehemaligen Arbeitgeber zum Ausdruck kommt.
Läßt sich das nicht durchführen, dann muß eine regelrechte Arbeits-
bzw. Stellenvermittlung bis zur festen Unterbringung der Kriegs-
beschädigten in geeigneten Stellen einsetzen, womit die volkswirtschatft-
liche Fürsorgetätigkeit für die Kriegsbeschädigten in den meisten Fällen
zu einem gewissen Abschluß gelangt sein dürfte. Handelt es sich aber
um besonders arg verstümmelte Kriegsbeschädigte, denen beide Arme
und Beine fehlen oder die erblindet sind, dann wird es das Beste sein,
Heime oder Siedelungen zu gründen, in denen sie immerhin noch
angemessen beschäftigt werden können, vor allem aber durchaus ge-
borgen sind.
Die Ansiedlungsfrage wird in einer binnen kurzem erstaunlich
schnell entstandenen Spezialliteratur behandelt, die sich besonders der
Tagespresse bedient. In allen größeren Zeitungen lesen wir Aufsätze,
in denen diese Frage erörtert wird. Aber auch wissenschaftliche Zeit-
schriften und Monographien beschäftigen sich mit diesem wichtigen
Teilthema der ganzen Kriegsbeschädigtenfrage. Es wird übereinstim-
mend festgestellt, daß es durchaus ratsam ist, Kriegerheimstätten, Helden-
kolonion und sonstige Ansiedlungsmöglichkeiten auf dem Wege der
inneren Kolonisation für die besonders schwerbeschädigten Kriegsteil-
nehmer zu schaffen, daneben aber auch Kriegsbeschädigte mit weniger
schweren Beschädigungen für diese Zwecke heranzuziehen, wenn sie ge-
eignet dazu sind und Neigung zur Garten- und Feldarbeit haben !).
1) Darüber u. a. ausführlich eine Artikelserie in No. 139, 145, 151 und 157 des
„Tag“ ; die prächtige Denkschrift der Deutschen Gartenstadt-Gesellschaft: „Unseren Kriegs-
invaliden Heim und Werkstatt in Gartensiedlungen“, Leipzig, Ostern 1915, und eine
Beihe beachtenswerter Aufsätze im Archiv für innere’Kolonisation, Bd. 7, 1915, Heft 8/9
(Sonderheft Invalidenfürsorge) u. ff.
108 Miszellen.
Mit solchen Zielen sind eine Reihe von Siedlungsgesellschaften gegründet
worden, um im Verein mit den bestehenden Organen der Kriegs-
beschädigtenfürsorge in den Bundesstaaten und preußischen Provinzen,
den in Betracht kommenden Kriegsbeschädigten die Wege zur Ansied-
lung zu ebnen.
Nicht geringe Beachtung verdient in diesem Zusammenhang das
Recht der Kriegsbeschädigten auf die staatliche Unter-
stützung, soweit sie bis jetzt gesetzlich geregelt ist. Es ist erforder-
lich, hier ausführlicher auch auf die Rentenfrage!') einzugehen,
während es als selbstverständlich nur erwähnt sei, daß die noch nicht ent-
lassenen Kriegsbeschädigten freie ärztliche Behandlung und kostenlose
orthopädische Nachbehandlung durch die Heeresverwaltung haben.
In älterer Zeit bestand die Fürsorge für die Kriegsinvaliden nur aus
Gnadenunterstützungen. Der Große Kurfürst gewährte seinen
beschädigten Soldaten Schmerzensgelder und Gnadentaler. Auch war
die Einrichtung von Militärkolonien beliebt. Also damals schenkte
man schon der heute wieder stark hervorgetretenen Frage der An-
siedlung Beachtung. Friedrich der Große baute die Invalidenversorgung
noch etwas weiter aus, allein erst Friedrich Wilhelm II. erkannte
den Invaliden einen Rechtsanspruch auf Versorgung zu. In den
anderen deutschen Bundesstaaten ist die Entwicklung ähnlich lang-
sam fortgeschritten. Die durchgreifende Regelung der Versorgungs-
frage aber blieb der neuen deutschen Reichsgesetzgebung kurz nach
Beendigung des siegreichen Krieges gegen den alten Erbfeind im
Jahre 1871 überlassen. Das Gesetz, betreffend die Pensionierung
und Versorgung der Militärpersonen des Reichsheeres und der Kaiser-
lichen Marine sowie die Bewilligungen für die Hinterbliebenen solcher
Personen, vom 27. Juni 1871 (Reichsgesetzblatt [RGBl.] S. 275) gab
im ersten Teil die näheren Bestimmungen über die Versorgung der
Offiziere und im Offizierrange stehenden Militärärzte, und im zweiten
Teil über die Versorgung der Militärpersonen der Unterklassen sowie
deren Hinterbliebenen. Die Gewährung der Pensionen erfolgte bei er-
littenen Dienstbeschädigungen nach mindestens 8-jähriger Dienstzeit oder
nach einer 18-jährigen ohne Nachweis der Invalidität nach Rangstufen
und nach der Länge der Dienstzeit; daneben wurde außerdem zwischen
Halb- und Ganzinvaliden unterschieden. Beispielsweise sei darauf hin-
gewiesen, daß im Höchstfalle eine monatliche Pension von 14 Talern
für den Feldwebel, von 12 für den Sergeanten, von 11 für den Unter-
offizier, von 10 für den Gemeinen gezahlt wurde nach einer Dienst-
zeit von 36 Jahren ohne Nachweis der Invalidität oder den Ganz-
invaliden, welche nach 25-jähriger Dienstzeit oder durch Dienst-
beschädigung zugleich erwerbsunfähig geworden sind. Im niedrigsten
Falle kamen entsprechende Summen von 5—2 Talern zur Aus-
zahlung an Ganzinvalide nach 8-jähriger Dienstzeit oder Halbinvalide
nach 12-jähriger Dienstzeit. Das Gesetz unterschied auf diese Weise
1) Ueber Kriegsbeschädigtenfürsorge und Rentenfragen gaben wir auch einige
Zusammenstellungen in der „Deutschen Juristenzeitung“, 1915, No. 21/22, S. 1091, und
ausführlicher, auch über das Historische, in „Gesetz und Recht“, 1915, No. 4, S. 73.
Miszellen. 109
5 Klassen. Unteroffiziere oder Soldaten, die nachweislich durch den
Krieg ganzinvalide geworden waren, erhielten eine Pensionszulage
von 2 Talern monatlich neben der Pension ($ 71). Daneben wurde auch
eine Verstümmelungszulage von 6 Talern monatlich gewährt ($ 72). In
den nächsten Jahren wurden einige abändernde und ergänzende Be-
stimmungen zu diesem Gesetze erlassen, die aber das Grundsätzliche
und vor allem die hier besonders in Betracht kommenden Paragraphen
weniger berührten. Es sind das die Gesetze vom 4. April 1874 (RGBl.
S$. 25), 21. April 1886 (RGBl. S. 78) und 22. Mai 1893 (RGBl. S. 171),
die unter der annähernd gleichen Bezeichnung „Gesetz, betr. Abände-
rungen und Ergänzungen des Militärpensionsgesetzes vom 27. Juni 1871*
laufen. In mittelbarem Zusammenhang damit steht das Gesetz wegen
Abänderung des Gesetzes vom 23. Mai 1873 betr. die Gründung und
Verwaltung des Reichsinvalidenfonds, vom 22. Mai 1895 (RGBl. S. 237),
das im Artikel I und III Bestimmungen enthält über die gnadenweise
Bewilligung von Pensionszuschüssen aus den Mitteln des Reichsinvaliden-
fonds nach gewissen im Gesetze ausdrücklich gegebenen Voraussetzungen.
Im Jahre 1901 wurden dann die Pensionen der Unteroffiziere und Ge-
meinen selbst geändert, nachdem die erwähnten Gesetze von 1874, 1886
und 1893 speziell diesen Fragen weniger näher getreten waren. Das
Gesetz, betreffend Versorgung der Kriegsinvaliden und der Kriegshinter-
bliebenen, vom 31. Mai 1901 (RGBl. S. 193) trägt zunächst den ver-
änderten Zeitverhältnissen Rechnung und drückt die Versorgungssätze
nicht mehr in Talern, sondern in Mark aus. Die Gewährung der Pen-
sionen nach Rangstufen ist beibehalten worden, was auch von der
Klasseneinteilung gilt, aber nur insofern, als nicht mehr die Länge der
Dienstzeit maßgebend ist, sondern lediglich der Grad der Erwerbsun-
fähigkeit, während das Gesetz von 1871, wie ausgeführt, von beiden
Voraussetzungen ausging. Danach erhielten im Höchstfalle, also bei
völliger Erwerbsunfähigkeit, der Feldwebel monatlich 100 Mark, der
Sergeant 75, der Unteroffizier 65, der Gemeine 60. Die im Gesetz von
1871 ($ 71) auf 2 Taler monatlich festgesetzte Kriegspensionszulage
wurde als Kriegszulage für die Ganzinvaliden auf 15 Mark, für die
Halbinvaliden auf 10 Mark monatlich erhöht ($ 7), die Verstüämmelungs-
zulage von 6 Talern auf 27 Mark monatlich.
Das Gesetz von 1901 erhielt zwei Ergänzungen durch eine Aller-
höchste Ordre, betreffend Anrechnung von Kriegsjahren aus Anlaß der
Aufstände einmal der Bondelswarts, Hottentotten und der Hereros in
Südwestafrika 1903/04, vom 29. September 1904 (RGBl. S. 381), und
dann im südwestafrikanischen Schutzgebiet, vom 12. Oktober 1905
(RGBl. S. 761). Die Teilnehmer an diesen Kämpfen erhielten dadurch
die gleichen Rechte hinsichtlich der Invalidenversorgung usw. wie die
Veteranen der früheren Kriege. Wenn auch das Militärpensionswesen
somit im großen und ganzen reichsgesetzlich geregelt schien, so ge-
nügten die in den verschiedenen Gesetzen gegebenen Bestimmungen
doch nicht mehr der modernen Entwicklung, schon allein aus dem Grunde,
weil die maßgebenden Vorschriften an zahlreichen Stellen verstreut waren.
Es bedeutete daher die zweckmäßige Erfüllung einer zwingenden Not-
110 Miszellen.
wendigkeit, als das neue Gesetz über die Versorgung der Personen der
Unterklassen des Reichsheeres, der Kaiserlichen Marine und der Kaiser-
lichen Schutztruppen vom 31. Mai 1906 (RGBl. S. 593) — oder, wie
es auch kurz bezeichnet wird, das Mannschaftsversorgungsgesetz von
1906, im Gegensatz zum Offizierspensionsgesetz vom 31. Mai 1906
(RGBI. S. 565) — erlassen wurde. Vervollständigt wurde das Gesetz
durch einige Zusätze, die im Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über
die Friedenspräsenzstärke usw. sowie zur Aenderung des Gesetzes über
die Versorgung der Personen der Unterklassen des Reichsheeres usw.
vom 3. Juli 1913 (RGBl. S. 496) im Artikel III (RGBl. S. 497 u. 498)
gegeben wurden, womit die ganze Mannschaftsversorgungsgesetzgebung
nunmehr endgültig festgelegt ist. Die Rentensätze sind wesentlich verein-
facht, die Rangstufen sind beibehalten, die Klasseneinteilung ist weggefallen ;
dafür erfolgt die Berechnung der Renten in Prozenten der verminderten Er-
werbsfähigkeit. Ganz- und Halbinvaliden werden auch nicht mehr unter-
schieden. Die Grundlage des ganzen Rentenbezuges bildet die allge-
meine Militärrente, die gewährt wird, wenn und solange infolge
einer Dienstbeschädigung sowohl im Kriege als auch im Frieden die
Erwerbsfähigkeit aufgehoben oder um mindestens 10 Prozent gemindert
ist. Sie beträgt bei völliger Erwerbsunfähigkeit für den Feldwebel
900, Sergeanten 720, Unteroffizier 600, Gemeinen 540 M. pro Jahr.
Bei teilweiser Erwerbsunfähigkeit werden nur bestimmte entsprechende
Prozentsätze zuerkannt. Daher die im Gesetz durchgeführte Unterschei-
dung von Voll- und Teilrente. Ausschlaggebend ist also jetzt die Erwerbs-
unfähigkeit und nicht mehr wie früher die Dienstunfähigkeit. Im Falle
der Aufhebung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Kriegsdienst-
beschädigung besteht neben dem Anspruch auf die volle oder teilweise
Militärrente für Unteroffiziere und Gemeine noch ein solcher auf die
Kriegszulage im Betrage von 15 M. monatlich in jedem Falle.
Dieser Anspruch besteht aber nur, wenn auch ein Anspruch auf die
Militärrente gegeben ist, was aus dem Wortlaut des Gesetzes hervor-
geht ($ 14). Ist das nicht der Fall, so kann auch keine Kriegszulage
verlangt werden, denn diese besteht mit der Militärrente und fällt mit
ihr weg. In weiteren Kreisen war man davon in der ersten Zeit gar nicht
so recht überzeugt und hielt vielfach die Kriegszulage für die Kriegs-
rente, wie es öfter betont wurde. Es ist daher die Aufgabe des Juristen
und Volkswirtschaftlers, auch in dieser Richtung aufklärend zu wirken.
Schließlich ist noch die Verstümmelungszulage zu erwähnen, die
bei Verlust einer Hand, eines Fußes, der Sprache, des Gehörs auf beiden
Ohren monatlich je 27 M., bei Verlust oder Erblindung beider Augen
monatlich je 54 M. beträgt; sie wird ferner unter weiteren, im Gesetz
näher ausgeführten Voraussetzungen zuerkannt, die als besonders schwere
Beschädigungen anzusehen sind ($ 13). Die Verstümmelungszulage kann
sowohl im Frieden als auch im Kriege gewährt werden, aber auch nur,
wie die Kriegszulage, wenn die Militärrente zuerkannt worden ist ($ 13);
sie kommt ebenfalls nur für Unteroffiziere und Gemeine in Betracht.
Gegenwärtig erhält sie natürlich erhöhte Bedeutung, denn die schweren
Beschädigungen und die Verstümmelungen der Menschenleiber treten in
Miszellen. 111
diesem Kriege mit der hundertfach verfeinerten modernen Waffen- und
furchtbaren Vernichtungstechnik ganz besonders in die Erscheinung.
Letzten Endes kommt noch in bestimmten Fällen die Altersrente in
Betracht ($ 26). Ablösungen der Renten bzw. einmalige Geldabfindungen,
wie es vielfach irrtümlich geglaubt wird, sieht das Gesetz, abgesehen
von der Ausnahme des $ 21, der Abfindung für Zivilversorgungsscheine,
nicht vor. Diese Einrichtung ist ihrerseits wieder durch besondere Vor-
schriften geregelt, die in den $$ 15 ff. gegeben sind. Danach erwerben
einmal Kapitulanten durch zwölfjährige Dienstzeit oder durch kürzere,
wenn sie wegen körperlicher Gebrechen entlassen werden müssen, den Zivil-
versorgungsschein und dann die nicht zu den Kapitulanten gehörenden
Unteroffiziere und Gemeine auf Antrag den Anstellungsschein für den
Unterbeamtendienst. Letzteres ist besonders gegenwärtig für viele
Kriegsbeschädigte von Wichtigkeit. Was die Frage der Rentenkürzung
im allgemeinen anlangt, so sind die Bestimmungen der $$ 30 und 31
maßgebend, nach denen die Möglichkeit besteht, den Rentenbetrag zu
erhöhen oder zu ermäßigen, je nach der Zunahme oder Verminderung
der Erwerbsunfähigkeit im Laufe der Jahre. Bessert sich der körper-
liche Zustand des Rentenempfängers derart, daß er wieder erwerbs-
fähiger wird, so findet eine entsprechende Herabsetzung der Rente statt.
Dementgegen ist die Rente zu erhöhen, wenn der Zustand des Renten-
empfängers sich verschlimmern sollte. Das betrifft aber immer nur die
Militärrente, die Kriegszulage und die Verstümmelungszulage kann
niemals herabgesetzt werden, es sei denn, daß der Rentenempfänger
vollständig wiederhergestellt und weniger als 10 Proz. erwerbsunfähig
wird, was aber wohl nur ganz selten der Fall sein dürfte. Und daß
etwa die Rente herabgesetzt werden würde, wenn der Kriegsbeschädigte
daneben noch durch seine Arbeit einen mehr oder weniger hohen Lohn
bezieht, ist vollkommen ausgeschlossen, denn, so äußert sich das
preußische Kriegsministerium und ein Erlaß des Ministers des Innern
vom 8. September 1915 zu dieser Frage, die Tatsache der lohnbringen-
den Beschäftigung oder die Höhe des Verdienstes kann allein keine
Veränderung oder Entziehung der Rente begründen. Eine Anrechnung
des Verdienstes auf die Versorgungsgebührnisse ist unzulässig. Eine
Minderung oder Entziehung der Rente könnte nur bei einer wesentlichen
Steigerung der Erwerbsfähigkeit eintreten; inwieweit dabei eine Be-
schäftigung in lohnbringender Stellung einen Rückschluß auf eine solche
Steigerung gestatte, könnte nicht allgemein entschieden werden. Auf
der anderen Seite dürfen dann aber auch die Arbeitgeber bei den
Kriegsbeschädigten, wenn ihre Leistungen normalen Anforderungen an-
nähernd entsprechen, in Anbetracht ihrer Rente keine Lohn- oder Ge-
haltskürzungen vornehmen, wogegen vom volkswirtschaftlichen und
sozialen Standpunkt entschieden Einspruch zu erheben ist. Die Bestre-
bungen der Kriegsbeschädigtenfürsorge haben auch in dieser Beziehung
schon vielfach überzeugend gewirkt. Nicht zu verwechseln ist mit der
Frage der Herabsetzung der Renten der Kriegsbeschädigten die Be-
stimmung über das Ruhen der Rente während einer Beschäftigung im
staatlichen oder kommunalen Dienste. § 36 Ziff. 3 des Mannschafts-
112 Miszellen.
versorgungsgesetzes bestimmt, daß das Recht auf den Bezug der Rente
während einer Anstellung oder Beschäftigung im Zivildienste — und als
solche gilt nach Abs. 2 des gleichen Paragraphen der Reichs-, Staats-
oder Kommunaldienst — ruht, und zwar betrifft das alle unter ?!/ ọọ der
Vollrente zuerkannten Rententeile, und von höheren Renten ruhen außer-
dem alle °/,,.„ der Vollrente übersteigenden Rententeile. Endlich sei
darauf hingewiesen, daß auf die Rentenansprüche nicht verzichtet
werden kann. Es ist nämlich, da das Gesetz hierüber nichts ausführt,
abgesehen von dem Verzicht auf die Zivilversorgungsentschädigung des
&§ 21, durch eine aus Interessentenkreisen an eine Reihe von stell-
vertretenden Korpskommandos gerichtete Anfrage übereinstimmend fest-
gestellt worden, daß es nach den geltenden Pensionierungsvorschriften
der einzelnen Kontingente, die nach $ 29 Abs. 2 des Mannschafts-
versorgungsgesetzes maßgebend sind, keinen Verzicht auf Rente gibt,
auch dann nicht, wenn die Betreffenden aus eigenem Antriebe einen
diesbezüglichen Antrag stellen.
Von Bedeutung ist die Stellung der Kriegsbeschädigten zu der
reichsgesetzlichen Sozialversicherung, denn die meisten von ihnen
dürften der Arbeiter- und zahlreiche der Angestelltenversicherung an-
gehören. Was die Krankenversicherung anlangt, so werden viele Kriegs-
beschädigte kaum Vorteile davon haben, denn bekanntlich endigt hier
durch den Eintritt der Kassenmitglieder ins Heer das Arbeitsverhältnis,
und damit erlischt auch die Pflichtmitgliedschaft zur Krankenkasse und
die Ansprüche gegen diese werden hinfällig. Es ist zu beachten, daß
bei der Krankenversicherung das Arbeitsverhältnis als solches maß-
gebend ist, und es spielt keine Rolle, wenn etwa der Arbeitgeber den
Lohn des einberufenen Arbeitnehmers weiterzahlt.e. Nur in ganz be-
sonderen Fällen, wenn vielleicht letzterer kurze Zeit nach seiner Ein-
berufung verwundet wird oder erkrankt, sich diese also gewissermaßen
mit dem Aufhören des Arbeitsverhältnisses deckt, kann die Kranken-
kasse in Anspruch genommen werden — vgl. $ 214 der Reichsversiche-
rungsordnung. Solche Fälle werden aber wohl selten sein und höch-
stens die Teilnehmer der ersten Gefechte betreffen. Den Krankenkassen-
versicherten ist es aber unbenommen, sich im Einverständnis mit ihren
Arbeitgebern freiwillig weiterzuversichern, solange sie im Kriege in
militärischen Diensten stehen, was sie ohne weiteres können, auch wenn
kein versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis mehr vorliegt. Dann
stehen ihnen natürlich auch Ansprüche gegen die Kasse zu, voraus-
gesetzt sie haben die Beiträge immer richtig und vor allem pünktlich
entrichtet oder entrichten lassen, denn bekanntlich erlischt die frei-
willige Mitgliedschaft zur Krankenversicherung sofort, wenn nur zwei-
mal die Beiträge nicht rechtzeitig gezahlt worden sind. Und wie leicht
sind solchen Zufällen besonders die freiwillig versicherten Kriegsteil-
nehmer ausgesetzt. Anders und wesentlich günstiger für die Ver-
sicherten liegen aber die Verhältnisse bei der Invalidenversicherung.
Hier endet das Versicherungsverhältnis nicht mit der Einberufung, und
die Versicherten bleiben solche auch als Kriegsteilnehmer — vgl. die
wichtigen §§ 1281 und 1393 der Reichsversicherungsordnung — und,
Miszellen. 113
was die Hauptsache dabei ist, genießen die Vorteile der Versicherung
ohne Beitragsleistungen, denn als Wochenbeiträge zählen nach $ 1281
die Militärdienstzeiten und nach $ 1393 besonders die Kriegsdienstzeit,
im Gegensatz zur Krankenversicherung, wo die Vorteile der Versiche-
rung nur durch die freiwillige Weiterentrichtung der Beiträge bedingt
sind, während man bei der Invalidenversicherung ohne jede weitere Bei-
tragsleistung im Militär- bzw. Kriegsdienst gesetzlichen Anspruch auf
die Vorteile der Versicherung hat. Voraussetzung ist natürlich die Er-
füllung der vorgeschriebenen Wartezeit, die nach $ 1278 der Reichs-
versicherungsordnung 200 Beitragswochen umfaßt. Zwischen Kriegs-
dient und Unfallversicherung bestehen erklärlicherweise keine der
hier in Betracht kommenden Beziehungen, was bis vor kurzem auch
für die Angestelltenversicherung galt. Hier herrschte der gleiche Zu-
stand wie bei der Krankenversicherung. Es war nicht gegeben, daß
die zum Heere Eingezogenen ohne Zahlung der Beiträge Ansprüche aus
der Versicherung hatten. Erst die Bekanntmachung, betreffend die An-
gestelltenversicherung während des Kriegs, vom 26. August 1915 (RGBl.
S. 531), bestimmte entsprechend der Invalidenversicherung, daß die gegen-
wärtigen Kriegsdienstzeiten auf die Wartezeiten angerechnet werden,
ohne daß Beiträge entrichtet zu werden brauchen. Das bedeutet einen
großen Vorteil für die kriegsbeschädigten Angehörigen der Angestellten-
versicherung, denen daraufhin wenigstens das Heilverfahren gewährt
werden kann. Rentenleistungen kommen hierbei aber nicht in Betracht,
denn die vorgeschriebene Wartezeit, 120 Beitragsmonate nach $ 48 des
Versicherungsgesetzes für Angestellte, kann noch niemand erfüllt haben,
da dieses Gesetz erst seit dem Beginn des Jahres 1913 in Kraft ist.
Die Invalidenversicherung gewährt aber Heilverfahren und bewilligt
nach Erfüllung der erforderlichen Voraussetzungen Renten. Im großen
und ganzen sind also die Vorteile der reichsgesetzlichen Sozialversiche-
rung für die Kriegsbeschädigten recht beachtenswert und werden in
vielen Fällen eine wesentliche Erhöhung der Renteneinkommen der
Kriegsbeschädigten zur Folge haben, mit der, wenn die Erwerbsfähig-
keit erheblich vermindert ist, gerechnet werden kann, ganz abgesehen
von der nach dem Kriege zweifellos einsetzenden Aufbesserung der all-
gemeinen Rentensätze.
Das neue deutsche Offizierspensionsgesetz, das in diesem Zusam-
menhange weniger Interesse beansprucht, da die moderne volkswirt-
schaftliche Kriegsbeschädigtenfürsorge als soziale Einrichtung im wahr-
sten Sinne des Wortes es in erster Linie mit den Kriegsbeschädigten
zu tun hat, die der breiten Masse der unteren Bevölkerungsschichten an-
gehören, ist einstmals im Reichstage als ein hervorragend soziales, aber
auch als ein ebenso eminent nationales Werk bezeichnet worden. Das
Gleiche darf zweifellos vom Mannschaftsversorgungsgesetz von 1906 ge-
sagt werden, wenn auch in neuerer Zeit Stimmen laut geworden sind,
die seine Bestimmungen namentlich hinsichtlich der Gewährung der
Militärrente als zu einseitig und der Gegenwart nicht mehr ganz ent-
sprechend bezeichnen. Es ist vorgeschlagen worden, das Mannschafts-
versorgungsgesetz einer neuen Durcharbeitung nach sozialen Gesichts-
Jahrb f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge.Bd. 51). 8
114 Miszellen.
punkten zu unterziehen und die Bemessung der Renten mit besonderer
Rücksicht auf die früheren Einkommensverhältnisse der Kriegsbeschä-
digten vorzunehmen. Die Reichsregierung hat sich dagegen nicht ab-
lehnend verhalten und die Prüfung der Angelegenheit einem Ausschuß
übergeben, der in der Sitzung des Deutschen Reichstags am 29. Mai
1915 nachstehende Anträge vorgelegt hat, die nach einer kurzen Aus-
sprache zur allgemeinen Kenntnis genommen worden sind: „Der Reichs-
tag nimmt Kenntnis von der vom Reichsschatzsekretär im Namen der
verbündeten Regierungen abgegebenen Erklärung, daß die verbündeten
Regierungen einer Berücksichtigung der Arbeitseinkommen bei der Ver-
sorgung von Teilnehmern an dem jetzigen Kriege und ihrer Hinter-
bliebenen neben den ihnen nach der geltenden Versorgungsgesetzgebung
zustehenden Bezügen grundsätzlich zustimmt. Der Reichstag nimmt
weiter Kenntnis von der Erklärung des Schatzsekretärs, daß die sich
aus der Beratung des Ausschusses ergebenden Gesichtspunkte für
die Durchführung der Maßnahmen bei der Ausarbeitung des Gesetz-
entwurfes eingehend erwogen und nach Möglichkeit berücksichtigt werden
sollen, und ferner daß die grundsätzliche Zustimmung der verbündeten
Regierungen zur Gewährung von Zusatzrenten für Kriegsteilnehmer und
Hinterbliebene von Kriegsteilnehmern ihren praktischen Ausdruck darin
finden werde, daß dem Reichstag ein diesen Gegenstand ordnender
Gesetzentwurf zu dem frühestmöglichen Zeitpunkt zugehen werde, und
der Schatzsekretär sich dafür einsetzen werde, daß die Vorlage des Ge-
setzentwurfes in der ersten Tagung des Reichstags nach Friedensschluß
erfolgt.“ Im Anschluß daran stellte der Reichsschatzsekretär fest, daß
die verbündeten Regierungen mit dem Reichstag in der Anerkennung
der Ehrenpflicht, nach bestem Können für die Kriegsinvaliden und
Kriegshinterbliebenen zu sorgen, durchaus einig sind.
I. Organisation.
Die einheitlichen Züge, wie sie das System der Kriegsbeschädigten-
fürsorge, das überall nach allgemein anerkannten Grundsätzen gehand-
habt wird, und das Recht der Kriegsbeschädigten auf die staatliche
Unterstützung, soweit sie bis jetzt gesetzlich festgelegt ist, aufweisen,
fehlen vorläufig noch der Organisation der Kriegsbeschädigtenfür-
sorge. Diese zeigt ein recht buntes Bild und ist charakterisiert durch
eine ausgesprochene Verschiedenheit der Formen, in denen diese wichtige
und neue Aufgabe sozialer Hilfs- und wirtschaftlicher Fürsorgetätigkeit
für die große Masse der Kriegsbeschädigten in lokaler Beziehung zu
lösen versucht wird. Im Laufe der Zeit sind dank der umfassenden
und zielbewußten Bestrebungen, wie sie hier besonders schnell und um-
sichtig einsetzten, im ganzen Deutschen Reiche und namentlich in den
größeren Städten, wo überhaupt die ersten Ansätze auf dem Gebiete
der Kriegsbeschädigtenfürsorge zu finden sind, praktische Maßnahmen
für die Kriegsbeschädigten ergriffen worden, deren systematische Durch-
führung allenthalben wohl im allgemeinen übereinstimmen dürfte, bei
denen aber die Frage der Organisation in der gleichen Weise noch nicht
durchgängig geregelt ist.
Miszellen. 115
Die Träger der Kriegsbeschädigtenfürsorge sind die Landes-, Pro-
vinz- und Kreis- bzw. Stadtausschüsse. In Preußen haben auch einige
Provinzen diese Fürsorge bereits selbst übernommen. Landesausschüsse
haben sich bisher nur in den anderen Bundesstaaten gebildet. Zwischen
der Reichsregierung und den Regierungen der Einzelstaaten sind Ueber-
einstimmungen erzielt worden, daß letztere die Fürsorgemaßnahmen in
die Wege leiten sollen. Einesteils haben sie daraufhin die Einrich-
tungen der Kriegsbeschädigtenfürsorge selbst unmittelbar durchgeführt,
andererseits nur die ersten Anregungen dazu gegeben und vielleicht
auch hier und da bisweilen fördernd und helfend eingegriffen, sonst
aber die Entwicklung im großen und ganzen freier Vereins- bzw. Aus-
schußtätigkeit besonders interessierter Kreise oder Persönlichkeiten
überlassen, wie das vor allem meist auch in den größeren Städten
in die Erscheinung getreten ist, abgesehen von den wenigen Fällen, in
denen die Stadtverwaltungen die Kriegsbeschädigtenfürsorge in ihren
Geschäftskreis miteinbezogen haben. Eine Zentralstelle für das Reich
ist vor kurzem geschaffen worden, vgl. darüber unsere späteren Aus-
führungen. Die Organisation der Kriegsbeschädigtenfürsorge beruht
somit gegenwärtig in der Hauptsache auf der opferwilligen, vater-
ländischen und dankbar anzuerkennenden freiwilligen Tätigkeit der zahl-
reichen Ausschüsse, die sich überall gebildet haben. An einigen Stellen
sind aber auch Ansätze vorhanden, die Durchführung der praktischen
Fürsorgemaßnahmen für die Kriegsbeschädigten auf eine öffentlich-
rechtliche Grundlage zu stellen.
Ausführliche textliche Bearbeitungen über die Organisation der
Kriegsbeschädigtenfürsorge sind bis jetzt nicht vorhanden, da es infolge
der zahlreichen Veränderungen, die gerade hier immer wieder eintraten,
technisch unmöglich gewesen wäre, eine solche Darstellung überhaupt
zu einem gewissen Abschluß zu bringen. So enthalten die beachtens-
werten Ausführungen von Kraus über den gegenwärtigen Stand und
die nächsten Aufgaben der Kriegsbeschädigtenfürsorge (Annalen für
soziale Politik nnd Gesetzgebung, Bd. 4, 1915, Heft 3 u. 4, S. 217 £f.),
auf die wir gelegentlich unserer in diesen Jahrbüchern demnächst zur
Veröffentlichung gelangenden Besprechung der Literatur zur Kriegs-
beschädigtenfrage zurückkommen werden, nur ganz kurze Hinweise auf
die Organisation der Kriegsbeschädigtenfürsorge. Horion beschränkt
sich im Preußischen Verwaltungsblatt (36. Jahrg., No. 35, S. 561) auf
die Organisation der Kriegsbeschädigtenfürsorge in Preußen. Im übrigen
sind entsprechende Darstellungen für ganz Deutschland nur in schema-
tischer, wenngleich übersichtlicher Weise, aber in größerer Zahl vor-
handen in den Anstellungsnachrichten (41. Jahrg., No. 36), einigen Laza-
rettzeitungen, in den Deutschen Blättern für Kriegsverletzte, in einer be-
sonderen, vom Reichsamt des Innern herausgegebenen Zusammenstellung
der für die soziale Kriegsinvalidenfürsorge geschaffenen Einrichtungen
siehe auch Zentralblatt für das Deutsche Reich, 43. Jahrg., 1915, No. 35)
usw. Unsere vorliegende Zusammenfassung über die Organisation der
Kriegsbeschädigtenfürsorge stellt somit den ersten Versuch dar, von
dem Gegenstand in Anbetracht der auch jetzt noch nicht ganz ab-
gt
116 Miszellen.
geschlossenen Frage der Organisation der Kriegsbeschädigtenfürsorge
in Deutschland ein soweit wie möglich einigermaßen vollständiges Bild
zu geben.
A. Bundesstaaten.
Von den deutschen Bundesstaaten hat Bayern!) wohl die durch-
greifendste Organisation der Kriegsbeschädigtenfürsorge geschaffen. Die
Grundsätze für die einheitliche Regelung sind in der Bekanntmachung
des Kgl. Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 28. Februar
1915 gegeben Danach ist die Kriegsbeschädigtenfürsorge zu einer
staatlichen Einrichtung geworden, deren Oberleitung das Staatsministe-
rium des Innern im Einvernehmen mit dem Kriegsministerium über-
nommen hat. Daneben besteht der Landesbeirat für Kriegsbeschädigten-
fürsorge. Unter diesem arbeiten in den Regierungsbezirken die Regie-
rungspräsidenten an der Spitze der Kreisausschüsse für Kriegsbeschä-
digtenfürsorge. In den Kreisausschüssen sitzen Vertreter der Heeres-
verwaltung, der Landesversicherungsanstalt und des Kreiskomitees des
bayerischen Landeshilfsvereins vom Roten Kreuz sowie vom Regie-
rungspräsidenten berufene Vertreter der Kriegervereine, Aerzte, Ge-
meinden, Arbeitsnachweise, Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die un-
mittelbare praktische Durchführung aller Fürsorgemaßnahmen besorgen
die Ortsausschüsse, die vom Vorstand der Distriktsverwaltungsbehörde,
die in Preußen etwa dem Bürgermeister oder dem Landrat entspricht,
eingerichtet werden. Zur Zusammenfassung der Arbeitsvermittlung ist
in jedem Kreis dem bestehenden öffentlichen Arbeitsnachweis ein be-
sonderer Stellennachweis für Kriegsbeschädigte als Hauptvermittlungs-
stelle des Kreises angegliedert.
In Sachsen?) hat die Regierung die Kriegsbeschädigtenfürsorge
bis jetzt selbst nicht übernommen, sondern nur die Bildung eines Lan-
desausschusses begünstigt. Mit Genehmigung des Ministeriums des
Innern haben unter Führung des Landesausschusses für Krüppelfürsorge
die diesem angeschlossenen Krüppelfürsorgevereine in Dresden, Leipzig
und Zwickau sich der Fürsorge für die Kriegsbeschädigten gewidmet
und bilden eine einheitliche Organisation, deren Schaffung schon am
10. April 1915 bei einer Besprechung im Ministerium des Innern über
die Einrichtung der Fürsorge für die Kriegsteilnehmer als zweckmäßig
und wünschenswert bezeichnet wurde.
Inzwischen ist die Kriegsbeschädigtenfürsorge in Sachsen weiter
ausgebaut worden. Am 11. Juni 1915 wurde die Stiftung Heimat-
1) Der Arbeitsnachweis in Deutschland, 2. Jahrg. (1915), No. 6, S. 104, 122,
123; Reichs-Arbeitsblatt, 13. Jahrg. (1915), No. 4, S. 322; Korrespondenz für Kriegs-
wohlfahrtspflege, herausgeg. von der Zentralstelle für Volkswohlfahrt, 1915, No. 9;
Bayerische Staatszeitung, No. 25, 21. Januar 1915; Soziale Praxis, 24. Jahrg. (1915),
No. 24, S. 562; Anstellungs-Nachrichten, herausgeg. vom Preußischen Kriegsministerium,
41. Jahrg. (1915), No. 16, S. 249.
2) Der Arbeitsnachweis in Deutschland, 2. Jahrg. (1915), No. 7, S. 145; Reichs-
Arbeitsblatt, 13. Jahrg. (1915), No. 4, S. 322; Korrespondenz für Kriegswohlfahrts-
pflege, a. a. O.; Sächsische Staatszeitung, No. 82, 12. April 1915; Soziale Praxis,
24. Jahrg. (1915), No. 17, 8. 385.
Miszellen. 117
dank gegründet, um in Sachsen die reichsgesetzliche Versorgung der
Kriegsbeschädigten durch soziale Fürsorge zu ergänzen !). Die Stiftung
wird durch einen Vorstand vertreten, welcher der Minister des Innern
ist. Die Organe der Stiftung ist der Landesrat, die Kreisverbände und
endlich die Vereine. Wo schon örtliche Organe des Landesausschusses
für Krüppelfürsorge bestehen, fügen diese ihre Tätigkeit in die Gesamt-
arbeit des Heimatdanks ein.
Das Verhältnis des Landesausschusses für Krüppelfürsorge in seiner
erweiterten Zusammensetzung für die „Kriegskrüppelfürsorge“ zu der
Organisation der Stiftung „Heimatdank“ und den ihr angeschlossenen
Vereinen „Heimatdank“ beruht auf der Entwicklung, die die Fürsorge
an Kriegsinvaliden im Königreich Sachsen genommen hat. Wenn auch
in der neuen Organisation des „Heimatdank“ die darin einzugliedernde
Kriegskrüppelfürsorge nach außen hin gleichsam verschwindet, so ist
doch besonderer Wert darauf gelegt worden, daß die Mehrzahl ihrer
bisherigen Mitglieder jetzt dem Heimatdank ihre wertvollen Dienste
weiter widmen wird.
Bis zur vollständigen Durchführung der neuen Organisation bleibt
übrigens der Landesausschuß in seiner Erweiterung zum Landesausschuß
für Kriegskrüppelfürsorge fortbestehen, um dann in der ursprünglichen
Beschränkung auf die „Krüppelfürsorge“ im allgemeinen sich weiter
zu betätigen.
In Württemberg?) liegen die Dinge ähnlich wie in Sachsen.
Auch hier hat die Regierung vorläufig darauf verzichtet, die Kriegs-
beschädigtenfürsorge zu einer staatlichen Einrichtung zu machen. Auf
ihre Anregung wurde nur der „Württembergische Landesausschuß für
Kriegsinvalidenfürsorge“ gegründet, dem alle weiteren Maßnahmen hin-
sichtlich der Organisation, wie die Errichtung von Bezirksausschüssen
in den Oberamtsbezirken in Angliederung an die Bezirkswohlfahrts-
vereine und Ortsausschüsse in den größeren Gemeinden oder die Ver-
pflichtung von Vertrauensmännern in kleineren Ortschaften, sowie alle
sonstigen praktischen Arbeiten obliegen.
Aehnlich wie in Sachsen und Württemberg ist die Kriegs-
beschädigtenfürsorge in Baden eingerichtet®). Die Vorarbeiten nahmen
schon im Dezember 1914 seitens des badischen Landesvereins des Roten
Kreuzes ihren Anfang, der in Heidelberg und Karlsruhe eingehende Be-
sprechungen abhielt. Auch das Ministerium des Innern zeigte großes
1) Ausführliche Mitteilungen über die Satzungen des Heimatdanks sowie über
Organisation und Arbeit der Kriegsbeschädigtenfürsorge in Sachsen enthalten die An-
stellungs-Nachrichten, 41. Jahrg. (1915), No. 33, S. 625, No. 34, 8. 657, No. 35,
8. 689, und der Arbeitsnachweis in Deutschland, 2. Jahrg. (1915), No. 11, S. 242, so-
wie die ersten Nummern des Heimatdanks, Nachrichten über die soziale Kriegsteil-
nebmerfürsorge im Königreiche Sachsen, die uns freundlichst direkt zur Verfügung ge-
stellt wurden.
2) Soziale Praxis, 24. Jahrg. (1915), No. 17, S. 386; Der Arbeitsnachweis in
Deutschland, 2. Jahrg. (1915), No. 7, 8. 143; Korrespondenz für Kriegswohlfahrts-
pflege, a. a. O.
3) Richtlinien für die Kriegsinvalidenfürsorge im Großherzogtum Baden, Karlsruhe
(G. Braun) 1915.
118 Miszellen.
Entgegenkommen. Mit seinem Einverständnis und dem des Sanitäts-
amtes des 14. Armeekorps haben der genannte Landesverein und der
badische Fürsorgeverein für bildungsfähige Krüppel einen Badischen
Landesausschuß für Kriegsinvalidenfürsorge gebildet. Im Anschluß an
die örtlichen Organisationen des Roten Kreuzes und des Fürsorgevereins
für bildungsfähige Krüppel sind in den einzelnen Amtsbezirken Orts-
und Bezirksausschüsse errichtet worden, die zur Erfüllung der Auf-
gaben der wirtschaftlichen Fürsorge für die Kriegsinvaliden dienen
sollen. Sie bestehen in allen Amtsstädten und einzelnen anderen Ge-
meinden. Die oberste Leitung der Fürsorgetätigkeit liegt dem Ministe-
rium des Innern ob. Der Landesausschuß hat sich auch mit dem Ver
band badischer Arbeitsnachweise ins Einvernehmen gesetzt und ein Ab-
kommen getroffen, nach dem in jeder Amtsstadt für den Amtsbezirk ein
Arbeitsnachweis für Kriegsinvaliden eingerichtet ist. In Karlsruhe be-
steht dann ein Landesarbeitsnachweis für Kriegsinvaliden für das Groß-
herzogtum, welcher der Geschäftsstelle des Verbandes badischer Arbeits-
nachweise angegliedert ist.
Was die schulischen Maßnahmen anlangt, so sei darauf hingewiesen,
daß man in Baden besonders Berufsvorschulen und eigentliche Berufs-
schulen unterscheidet. Die Berufsvorschulen sind die Lazarettschulen,
in denen Lazarettinsassen der verschiedensten Berufsklassen unterrichtet
werden, eine Einrichtung, die viele Vorteile in mancher Hinsicht bietet.
In den Berufsschulen erfolgt dann der planmäßige Unterricht in be-
stimmten Berufsarten unter fachmännischer Anleitung.
Von großem Nutzen wird für die Ausübung der ganzen Fürsorge-
tätigkeit für die Kriegsbeschädigten in Baden noch der Umstand sein,
daß in Heidelberg eine Schule für Einarmige nach dem Wiener Vorbilde
eröffnet wurde, die sich dann später dem Landesausschuß zur Verfügung
gestellt hat, sowie die bereitwillige Hergabe der Kuranstalten Baden-
Baden und Badenweiler durch den Staat für die Zwecke der Kriegs-
beschädigtenfürsorge.
Das Großherzogtum Hessen hat auf eine selbständige Arbeit in
der Fürsorge für die Kriegsbeschädigten verzichtet und wirkt mit der
preußischen Provinz Hessen-Nassau und dem Fürstentum Waldeck
gemeinsam!). Es ist ein Gesamtausschuß für die Kriegsbeschädigten-
fürsorge in Hessen-Nassau, Hessen und Waldeck gebildet worden, dem
die leitenden Organe der Selbstverwaltung und der Provinzialverwaltung
angehören, also die Landes- und Provinzialdirektionen, der Mitteldeutsche
Arbeitsnachweisverband, sowie Vertreter der Landesversicherungs-
anstalten, des Roten Kreuzes, der Aerzte, Arbeitgeber, Arbeitnehmer
usw. Die Geschäftsstelle des Ausschusses hat ihren Sitz in Frank-
furt a. M., sie ist dem Mitteldeutschen Arbeitsnachweisverband an-
gegliedert worden.
1) Der Arbeitsnachweis in Deutschland, 2. Jahrg. (1915), No. 7, S. 142; Reichs-
Arbeitsblatt, a. a. O.; Korrespondenz für Kriegswohlfahrtspflege, a. a. O.; Anstellungs-
Nachrichten, 41. Jahrg. (1915), No. 14, 8. 217. Siehe auch unten Ausführliches bei
der Darstellung der Kriegsbeschädigtenfürsorge in Frankfurt a. M., S. 124.
Miszellen. s 119
In Mecklenburg-Schwerin hat der am 17. März 1915 unter
Leitung der Regierung gebildete Landesausschuß für Kriegs-
beschädigte in Mecklenburg-Schwerin!) die Fürsorge für alle
in den Lazaretten des Landes befindlichen, infolge von Verwundung
oder sonstiger Gesundheitsschädigung in ihrer Arbeitsfähigkeit beein-
trächtigten Kriegsteilnehmer übernommen ohne Rücksicht darauf, ob sie
in Mecklenburg-Schwerin oder in einem anderen Bundesstaat zu Hause
sind. Zur Unterstützung des geschäftsführenden Ausschusses und zur
Durchführung der besonderen Fürsorge für den Einzelnen sind zunächst
in den Städten, in denen Lazarette sich befinden, „Beratungsstellen
für Kriegsbeschädigte“ eingerichtet, nämlich in Güstrow, Greves-
mühlen, Teterow, Ludwigslust, Neustadt, Rostock, Schwerin, Sternberg
und Wismar. Den Beratungsstellen gehören außer einem Leiter Ver-
treter aus den beteiligten Kreisen, wie Arbeitgeber und Arbeitnehmer,
Aerzte usw. an. Durch diese Beratungsstellen will im Einverständnis
mit dem Königlichen Sanitätsamt beim stellvertretenden Generalkommando
des 9. Armeekorps der Landesausschuß schon während der Lazarett-
behandlung an dem Ziele der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit
der Kriegsbeschädigten mitarbeiten, die Lehrstellen, in welchen Kriegs-
invaliden sich in ihren früheren Beruf wieder einlernen, sich in diesem
Berufe weiterbilden oder einen neuen Beruf erlernen können, sowie die
demnächstigen Arbeitsstellen vermitteln.
Die thüringischen Staaten, Sachsen-Weimar, Sachsen-Coburg-Gotha,
Sachsen-Meiningen, die beiden Reuß, sowie Schwarzburg-Rudolstadt und
Schwarzburg-Sondershausen bilden zusammen den Fürsorgeausschuß für
Kriegsbeschädigte in Thüringen, dessen Geschäftsstelle sich in der
Thüringischen Landesversicherungsanstalt in Weimar befindet. Für
Sachsen-Altenburg besteht ein besonderer Ausschuß. In den
übrigen kleinen Bundesstaaten ist die Organisation in ähnlicher Weise
durch Landesausschüsse geregelt, teilweise haben sich die Regierungen
der Kriegsbeschädigtenfürsorge auch direkt angenommen oder führen
wenigstens vorläufig die nötigen Maßnahmen durch, bis die Landes-
ausschüsse sich gebildet haben. In Anhalt besteht ein Landes-
ausschuß, der neun Fürsorgestellen in den einzelnen Kreisen und größeren
Städten umfaßt ?).
Preußen?) ist dem Beispiel der anderen größeren Bundesstaaten
weder nach dieser noch nach jener Seite gefolgt und hat sich zu einem
einheitlichen Vorgehen in der Einrichtung der Kriegsbeschädigten-
fürsorge bis jetzt nicht entschließen können, sondern die Durchführung
dieser Aufgabe nach den Ausführungen des Ministers des Innern in
der Sitzung des Abgeordnetenhauses am 2. März 1915 zunächst den
Provinzen überlassen, wendet ihrer Entwicklung jedoch lebhaftes
Interesse zu. Den gegebenen Anregungen zufolge haben sich dann auch
1) Anstellungs-Nachrichten, 41. Jahrg. (1915), No. 24, S. 397.
2) Anstellungs-Nachrichten, 41. Jahrg. (1915), No. 37, 8. 753.
3) Soziale Praxis, 24. Jahrg. (1915), No. 24, 8. 562; Der Arbeitsnachweis in
Deutschland, 2. Jahrg. (1915), No. 7, 8.139; Preußisches Verwaltungsblatt, 36. Jahrg.
(1915), No. 35, S. 561.
120 Miszellen.
im Laufe der Zeit die einzelnen preußischen Provinzen für den weiteren
Ausbau der Kriegsbeschädigtenfürsorge in entsprechender Weise ein-
esetzt.
5 Es müssen bei der ' Betrachtung der Organisation der Kriegs-
beschädigtenfürsorge in den preußischen Provinzen!) von vornherein
zwei verschiedene Gruppen unterschieden werden, nämlich erstens die-
jenigen Provinzen, in denen diese selbst die Träger der Kriegs-
beschädigtenfürsorge sind, und zweitens die Provinzen, in denen die
Organisation auf der freien Vereins- oder Ausschußtätigkeit beruht,
aber meist unter Leitung von Organen des Provinzialverbandes und mit
seiner finanziellen Unterstützung, deren spätere Rückerstattung vom
Reich, wie man es überall offen ausspricht, bestimmt erwartet wird.
In Brandenburg?) hat der Provinziallandtag mit Billigung des
Ministers des Innern beschlossen, die Kriegsbeschädigtenfürsorge auf
den Provinzialverband zu übernehmen. Es ist ein Landesbeirat gebildet
worden, dem Vertreter aller in Frage kommenden Organisationen und
Kreise angehören; für die Stadt- und Landkreise bestehen ebenfalls
Ausschüsse, sie errichten die Fürsorgestellen, in denen alle unmittel-
bare praktische Arbeit geleistet wird. Die Rheinprovinz3) und
Schleswig-Holstein haben den gleichen Weg beschritten und sich
ebenfalls zu Trägern der Kriegsbeschädigtenfürsorge erklärt, In den
übrigen preußischen Provinzen ist jedoch die direkte Uebernahme seitens
der Provinzialverbände nicht erfolgt, wenn auch nicht außer acht ge-
lassen werden darf, daß die Provinzen, soweit sie überhaupt in Betracht
kommen, ohne Ausnahme die Entwicklung der ganzen Frage in einsichts-
voller Weise sehr gefördert oder zum mindesten wertvolle dankens-
werte Anregungen gegeben haben. So hat sich in Westfalen‘) der
Provinzialverband weitgehenden Einfluß auf die Einrichtung und alle
weiteren Arbeiten vorbehalten und wirkte dadurch auch nicht wenig
für die praktische Lösung der Aufgabe, wie Westfalen überhaupt die
erste preußische Provinz ist, die als solche zuerst an die Frage heran-
getreten ist. In Schlesien) und Posen) sind Fürsorgeausschüsse
begründet worden, die auf freier Organisation beruhen, denen aber die
Provinzialverbände ihre Mitwirkung zugesichert haben. In West-
preußen besteht ein Versorgungsausschuß für die Kriegsbeschädigten-
fürsorge aus den Provinzialbehörden und den beteiligten Körperschaften.
Der Provinziallandtag hat dem Ausschuß finanzielle Unterstützung zu-
gesagt. In den Provinzen Hannover und Sachsen sind Organi-
1) Preußisches Verwaltungsblatt, a. a. O.
2) Korrespondenz für Kriegswohlfahrtspflege, a. a. O.; Reichs-Arbeitsblatt, a. a. O.
(S. 321); Der Arbeitsnachweis in Deutschland, a. a. O. No. 8, S. 170.
3) Korrespondenz usw., a.a. O.; Reichs-Arbeitsblatt dgl.; Der Arbeitsnachweis in
Deutschland, a. a. O. No. 7, 8. 142; Anstellungs-Nachrichten, 41. Jahrg. (1915), No. 21,
S. 347 und No. 43, S. 981.
4) Korrespondenz usw., a. a. O.; Soziale Praxis, 24. Jahrg. (1915), No. 17, S. 386;
Reichs-Arbeitsblatt, a. a. O.; Der Arbeitsnachweis in Deutschland, a. a. O. No. 6, S. 103.
R A Re rena- A THELABIAIE a. a. O. 8.321; Der Arbeitsnachweis in Deutschland, a. a. O.
o. 7, 8. 143.
6) Der Arbeitsnachweis in Deutschland, a. a. O. No. 8, S. 170.
Miszellen. 121
sationen unter dem Vorsitze des Landeshauptmanns gebildet worden,
deren Geschäfte bis auf weiteres durch die öffentlichen Organe und auf
Kosten des Provinzialverbandes ausgeführt werden. Es ist nicht aus-
geschlossen, daß das nur als eine vorläufige Regelung anzusehen ist
und beide Provinzen in absehbarer Zeit dem Beispiel von Brandenburg,
der Rheinprovinz und Schleswig-Holstein folgen und die Kriegs-
beschädigtenfürsorge ebenfalls auf den Provinzialverband übernehmen.
InPommern besteht ein Ausschuß für Kriegsbeschädigtenfürsorge, und
ih Ostpreußen hat, als nach den beiden Russeneinfällen wieder ge-
ordnete Zustände eingekehrt waren, der Provinzialverband diese Für-
sorge selbst übernommen.
Ueber die Hansastädte werden wir weiter unten bei den Städten
berichten. Im Reichsland Elsaß-Lothringen besteht ein Haupt-
ausschuß für Kriegsbeschädigtenfürsorge mit dem Staatssekretär für
Elsaß-Lothringen als Vorsitzendem. Die Landesfürsorgestelle befindet
sich in Straßburg im Ministerium.
B. Großstädte.
Die ersten praktischen Fürsorgemaßnahmen für die Kriegsbeschä-
digten, die in Deutschland überhaupt getroffen wurden, gingen weder
vom Reiche, noch von den Einzelstaaten aus, sondern hatten ihren Ur-
sprung ausnahmslos in den größeren Städten. Es darf dabei aber
nicht in erster Linie an die Stadtverwaltungen gedacht werden, als ob
diese sich mit besonderem Eifer gerade der Kriegsbeschädigtenfürsorge
gewidmet hätten. Das konnte schon darum nicht der Fall sein, da be-
kanntlich den Stadtverwaltungen durch den Krieg eine solche ungeheuere
Fülle von neuen Arbeiten erwachsen war, deren schnelle und umsichtige
Erledigung von weittragender Bedeutung und ungeheuerer Wichtigkeit für
die ganze Bevölkerung war, daß besondere Maßnahmen für einzelne Kreise,
wie sie eben für die Kriegsbeschädigten eines bestimmten Verwaltungs-
gebiets in Betracht kommen würden, vorläufig unterbleiben mußten.
Auf die Anforderungen, die allein die lokale Ausführung der bundes-
ratlichen Beschlagnahmevorschriften der Getreide- und Mehlvorräte so-
wie deren Verteilung an die Bevölkerung mit Hilfe der Mehlscheine und
des Brotkarten- oder -Markensystems und eine Reihe anderer Vorgänge
zur Sicherstellung der Volksernährung hinsichtlich der Fleischdauerwaren,
Kartoffelvorräte u. a. m. an die Stadtverwaltungen, große und kleine
ohne Ausnahme, stellten, braucht nicht besonders hingewiesen zu werden.
Auch erwuchsen, namentlich in den ersten Kriegsmonaten, nicht geringe
Schwierigkeiten in sozialer Beziehung. Die städtischen Kriegshilfen, die
sich überall gebildet hatten, wurden restlos in Anspruch genommen.
Die Gewährung von Unterstützungsgeldern an die Kriegerfamilien bildet
davon wohl den Hauptbestandteil. Ihre Auszahlung bedeutete auch eine
Arbeitslast, die nicht verkannt werden darf. Das alles läßt die Tat-
sache begreiflich erscheinen, daß die Städte als solche gar nicht in der
Lage waren, auch noch die Fürsorge für die Kriegsbeschädigten selbst
zu übernehmen. Es muß aber mit Anerkennung festgestellt werden, daß
in vielen Fällen die Stadtverwaltungen den einsetzenden privaten Be-
122 Miszellen.
strebungen sehr entgegengekommen sind und sie förderten, soweit es
möglich war; hier und da übernahmen sie auch die Kriegsbeschädigten-
fürsorge sogar selbst, was aber, wie wir ausführten, sich nur selten ver-
wirklichen lassen konnte. Die Fürsorgetätigkeit beruht also auch hier
wie in einigen Bundesstaaten vielfach auf der Zusammenarbeit der Be-
hörden mit den privaten Kreisen. Diesen sind ja wohl im allgemeinen
die ersten praktischen Anregungen zu` verdanken, was um so mehr anzu-
erkennen ist, da es auch eine wirkliche Entlastung der Gemeinde- und
Staatsbehörden in den besonderen Zeiten des Krieges bedeutet. Wenn
dann später der Zusammenschluß mit den Behörden oder die Uebernahme
von Amts wegen erfolgt, so ist das nur als zweckmäßig zu begrūßen.
Von einer städtischen Kriegsbeschädigtenfürsorge kann also durch-
gängig noch nicht gesprochen werden, wohl aber von einer solchen in
deutschen Städten bzw. Großstädten, womit ein dem Sinne entsprechender
Ausdruck gefunden sein dürfte. Gegenwärtig wird wohl in fast allen
deutschen Städten die Fürsorge für die Kriegsbeschädigten gepflegt 1).
Sie alle können hier aber erklärlicherweise allein schon aus technischen
Gründen unmöglich aufgeführt werden. Wir beschränken uns daher
vornehmlich auf die Darstellung derjenigen, die besondere Merkmale
aufweisen, in denen diese Fürsorge bemerkenswert zeitig einsetzte oder
Einrichtungen zu ihrer praktischen Durchführung in vorbildlicher, muster-
gültiger Weise geschaffen worden sind.
Berlin.
Im Rathaus der Reichshauptstadt ist am 10. Juni 1915 der Aus-
schuß für die Kriegsbeschädigtenfürsorge in Berlin unter
dem Vorsitz eines Magistratskommissars zusammengetreten. Dem Haupt-
ausschuß gehören Vertreter des Magistrats, der Stadtverordnetenver-
sammlung, des Kriegsministeriums, des Sanitätsamts des Gardekorps,
der Landesversicherungsanstalt, der Reichsversicherungsanstalt für An-
gestellte und des Roten Kreuzes an. Für die weitere Ausübung der
Kriegsbeschädigtenfürsorge wurden zwei Unterausschüsse gebildet, von
denen der eine für die Frage der Nachbehandlung zuständig ist, und
der andere für die Berufsberatung und Umschulung das Erforderliche
durch örtliche und fachliche Dezentralisation, Einsetzung von Berufs-
beratern, Einrichtung von Unterrichtskursen und Arbeitsvermittlung zu
veranlassen hat?). Daneben besteht noch eine Zentralstelle für Ver-
mittlung von Arbeitsgelegenheit an Kriegsbeschädigte beim Zentral-
arbeitsnachweis in Verbindung mit den sonstigen Vermittlungsorgani-
sationen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände und ihrer Arbeits-
gemeinschaften. Zur büromäßigen Erledigung sämtlicher die Kriegs-
1) Nach Abschluß vorliegender Arbeit im Manuskript erschien in den Mitteilungen
der Zentralstelle des deutschen Städtetages, Bd. 5 (1915), No. 7/8, S. 188 ff. eine Dar-
stellung über die Städte im Dienste der Kriegsbeschädigtenfürsorge,
die sich im großen und ganzen mit unseren Ausführungen deckt.
2) Vossische Zeitung, No. 295, 12. Juni 1915. Berliner Tageblatt, No. 471,
15. September 1915.
Miszellen. 123
beschädigtenfürsorge betreffenden Angelegenheiten ist im Rathaus eine
Büro- und Auskunftstelle eingerichtet worden.
Diese Organisation erstreckt sich nur auf den Gemeindezirk Berlin.
Die im Zweckverbande Groß-Berlin vereinigten Gemeinden bilden selb-
ständige Ortsausschüsse, die teilweise nach dem Muster der Berliner
Kriegsbeschädigtenfürsorge zusammengesetzt sind. Dagegen hat sich
eine Ausgleichkommission für Kriegsbeschädigte in Groß-Berlin gebildet,
in der die Groß-Berliner Gemeinden vertreten sind, um einen zweck-
mäßigen Ausgleich des Arbeitsmarkts für die Kriegsbeschädigten in
Groß-Berlin herbeizuführen.
Berlin ist eine der wenigen Städte im Reiche, wo die Gemeinde
von Anfang an nicht nur, wie es anderorts meist der Fall war, bei
der örtlichen Organisation der Kriegsbeschädigtenfürsorge mehr oder
weniger mitgewirkt hat, sondern selbständig dafür eingetreten ist und
die Kriegsbeschädigtenfürsorge vorläufig unter Voraussetzung der Rück-
erstattung der entstehenden Kosten aus Mitteln des Reiches oder Staates
nach den allgemeinen Grundsätzen übernommen hat und durchführt !).
München.
In Bayern hat sich bekanntlich die Staatsregierung der Kriege-
beschädigtenfürsorge in umfassendster Weise angenommen und sie zu
einer staatlichen Einrichtung gemacht. Die unmittelbaren praktischen
Maßnahmen liegen den Ortsausschüssen ob, die vor allem in den größeren
Städten und in sonstigen geeigneten Orten mit Lazaretten eingerichtet
worden sind. In der königlichen Haupt- und Residenzstadt hat man
damit natürlich den Anfang gemacht und eine Beratungsstelle für
Kriegsverletzte geschaffen, die bereits Ende Januar 1915 der
Oeffentlichkeit übergeben werden konnte?) Auch hier wird die Für-
sorge nach den allgemeinen Grundsätzen ausgeübt, nur hinsichtlich der
Maßnahmen für die Ausbildung der Kriegsbeschädigten ist auf eine Be-
sonderheit aufmerksam zu machen. Die Ausbildung ist nämlich nach
zwei Richtungen gegliedert. Die Direktoren der Gewerbeschulen und
der kaufmännischen Fortbildungsschule haben die berufliche Ausbildung
übernommen, während die studentischen Arbeiterfortbildungskurse eine
Vertiefung des Elementarunterrichts (Rechnen, Rechtschreiben, Sprach-
lehre usw.) durchführen. Diese Teilung erscheint ganz zweckmäßig;
auf der einen Seite beugt sie einer Ueberlastung der Berufsbildner bzw.
der Lehrkräfte vor, auf der anderen Seite vermeidet sie, daß sich die
Kriegsbeschädigten an der einen Schule, falls dort praktischer und
theoretischer Unterricht geboten würde, zu gleicher Zeit an mehreren,
schließlich zu vielen Kursen beteiligen und dadurch auch unnötig be-
lastet werden.
1) Vgl. die Ausführungen einer uns gefälligst überlassenen Drucksache über eine
Vorlage zur Beschlußfassung betreffend die Kriegsbeschädigtenfürsorge der Stadt Berlin
vom 29. Oktober 1915.
2) Münchener Neueste Nachrichten, 5. Febr. 1915; Der Arbeitsnachweis in Deutsch-
land, 2. Jahrg. (1915), No. 6, S. 122.
124 Miszellen.
Leipzig.
Mit Genehmigung des Königlich Sächsischen Ministeriums des In-
nern haben unter Führung des Landesausschusses für Krüppelfürsorge
die diesem angeschlossenen Krüppelfürsorgevereine in Dresden, Zwickau
und Leipzig die Fürsorge für die Kriegsbeschädigten übernommen. Da
der für Leipzig in Betracht kommende Verein „Leipziger Heim für ge-
brechliche Kinder“ ohne Aenderung seiner Satzungen sich dieser neuen
Tätigkeit nicht widmen durfte, hat er aus seiner Mitte den Leipziger
Ausschuß der Kriegsinvalidenfürsorge gebildet. Sein Ar-
beitsgebiet erstreckt sich nicht nur über das Stadtgebiet, sondern ent-
sprechend demjenigen des Leipziger Vereins für gebrechliche Kinder
über die ganze Kreishauptmannschaft Leipzig. Neben dem Ausschusse
in der Stadt Leipzig sind Unterausschüsse und Vertrauensmänner tätig
in den Orten der Kreishauptmannschaft Borna, Döbeln, Grimma, Leisnig,
Naunhof, Oschatz, Taucha, Wurzen. Sie stehen in enger und steter
Verbindung mit dem Hauptausschuß, dem der vermittelnde Verkehr ob-
liegt !).
Die Berufsberatung, die der Leipziger Ausschuß den Kriegsbe-
schädigten bietet, weicht insofern von den allgemeinen Grundsätzen ab,
als sie bereits während der Heilbehandlung in den Lazaretten beginnt.
Sofern sie, wie es auch hier der Fall ist, seitens der behandelnden
Aerzte erstmalig vorgenommen wird, läßt sich nichts dagegen einwenden.
Daneben sind aber gleichfalls, wenn auch im Einverständnis mit den
Aerzten, Vertrauensmänner der Fürsorgevereine bereits in den Laza-
retten tätig. Wir hatten Gelegenheit, oben darauf hinzuweisen, daß
diese Maßnahmen nicht ganz unbedenklich sind, soweit es sich nicht
bloß um die erste Fühlungnahme mit den Kriegsbeschädigten handelt.
Mit der Errichtung der Stiftung „Heimatdank“ im Königreich
Sachsen, die wir oben (S. 116—117) behandelt haben, ist auch der Leipziger
Ausschuß in ein neues Stadium getreten und wirkt nunmehr als „Verein
Heimatdank“ weiter, in den er aufgegangen ist.
Frankfurt a. M.
Ueber die Kriegsbeschädigtenfürsorge im Großherzogtum Hessen,
in der Provinz Hessen-Nassau und im Fürstentum Waldeck ist bereits
berichtet worden — vgl. S. 118. Im folgenden seien besonders die
Frankfurter vorbildlichen Maßnahmen beleuchtet.
In Frankfurt a. M.?) hat sich am 17. März 1915 im Anschluß an
den Mitteldeutschen Arbeitsnachweisverband ein Ausschuß für die Kriegs-
beschädigtenfürsorge gebildet, der während und nach der Heilbehandlung
durch die Militärverwaltung die soziale Fürsorge für Kriegsbeschädigte
und Kriegsinvaliden übernehmen will. Die Tätigkeit des Ausschusses
ist in erster Linie auf Erhaltung des Kriegsbeschädigten in seinem Be-
1) Der Leipziger Ausschuß der Kriegsinvalidenfürsorge (Leipziger Neueste Nach-
richten, No. 142, 23. Mai 1915. — Der Arbeitsnachweis in Deutschland, 2. Jahrg. (1915),
No. 4, S. 67. — Soziale Praxis, 24. Jahrg. (1915), No. 17. S. 395.
2) Anstellungs-Nachrichten, 41. Jahrg. (1915), No. 14, S. 217.
EEE nn
Miszellen. 125
rufe und in seiner Heimat gerichtet, und umfaßt die Berufsberatung,
Stellenvermittelung und erforderlichenfalls Berufsumbildung aller Kriegs-
teilnehmer, die infolge Verwundung oder Verletzung voraussichtlich als
dienstuntauglich aus den Lazaretten entlassen werden oder bereits ent-
lassen sind, und zwar aller Dienstgrade und aller Berufe. Diese Ziele
sucht der Ausschuß zu erreichen:
durch Einrichtung einer hauptamtlich zu leitenden Geschäftsstelle ;
durch Förderung der Bildung von Ausschüssen für Kriegsbeschä-
digte, soweit solche noch nicht bestehen, im Anschluß an die ge-
eigneten Arbeitsämter und Bereitstellung von Mitteln für diese;
durch planmäßige Förderung aller Einrichtungen, die die allge-
meine und sachliche Weiterbildung sowie Umbildung Kriegsbeschädigter
im Auge haben (Heranziehung der Fortbildungs-, Gewerbe-, Maschinen-
bau-, Baugewerks-, Handelsschulen, Volksbildungsvereine, Einrichtung
von Spezialanstalten, z. B. für Einarmige usw.);
durch eine im weitesten Maße einsetzende Aufklärung der Be-
schädigten selbst, der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der gesamten
Bevölkerung (durch Aushänge, Flugschriften, fachmännische Vorträge,
Zeitungsartikel} über Wesen und Bedeutung der Kriegsbeschädigten-
fürsorge, mit dem Ziel, die Kriegsbeschädigten in der Gesamtheit des
Volkes und des Wirtschaftslebens als gleichberechtigte Glieder aufgehen
und nicht als Gegenstand des Mitleides erscheinen zu lassen;
durch Einwirkung auf Behörden (Eisenbahn-, Postbehörden, Selbst-
verwaltungen) und Private, bestimmte, besonders für Kriegsbeschädigte
geeignete Stellen offen zu halten und schließlich
durch Herausgabe eines besonderen Stellenanzeigers für Kriegs-
beschädigte als Beiblatt des zweimal wöchentlich erscheinenden Vakan-
zenblattes des Mitteldeutschen Arbeitsnachweisverbandes.
Die zur Durchführung dieser Aufgaben gebildeten und noch zu
bildenden örtlichen Ausschüsse behandeln alle in Betracht kommenden
Fälle in Verbindung mit den Lazaretten, den Bezirkskommandos, einem
erfahrenen Arzte, den Spezialanstalten für die Heilbehandlung und Fach-
leuten der verschiedenen Berufe rein individuell und suchen die vor-
handenen Arbeitsmöglichkeiten durch engste Fühlungnahme mit der
Geschäftsstelle des Hauptausschusses, mit Arbeitgebern und den
Organisationen der Arbeits- und Stellenvermittelungen (öffentlichen Arbeits-
nachweisen, Facharbeitsnachweisen, kaufmännischen und technischen
Stellennachweisen) auszuschöpfen.
Der Ausschuß wird im Falle der Uebernahme der Kriegsbeschä-
digtenfürsorge durch das Reich, die Bundesstaaten, die Landesverwal-
tungen die für die Ueberleitung in die neue Organisation notwendigen
Schritte in die Wege leiten.
Der Ausschuß setzt sich zusammen aus den Landesdirektionen und
Provinzialdirektionen zu Cassel, Wiesbaden, Darmstadt, Mainz, Gießen
und Arolsen, den Landesversicherungsanstalten für das Großherzogtum
Hessen und für die Provinz Hessen-Nassau, den Organisationen des
Roten Kreuzes, der Ortskrankenkasse Frankfurt a. M., Vertretern der
Landwirtschaft, des Handwerks, des Handels, der Arbeitgeber, der
126 Miszellen.
Arbeiterschaft, der Krüppelfürsorge und des Mitteldeutschen Arbeits-
nachweisverbandes. Der Ausschuß erstreckt seine Tätigkeit auf alle
im Großherzogtum Hessen, in der Provinz Hessen-Nassau und im Fürsten-
tum Waldeck befindlichen Lazarettinsassen, sowie auch auf diejenigen,
die aus anderen Gegenden in den genannten Bezirk entlassen werden.
Nach Möglichkeit wird versucht, soweit Organisationen in Bundes-
staaten oder Landesteilen bestehen, engste Fühlungnahme mit ihnen
herzustellen.
Der Ausschuß hat auch eine Einrichtung geschaffen, die bisher nur
in wenigen Fällen besteht und besonders geeignet ist, die Kenntnis der
neuen volkswirtschaftlichen und sozialen Fürsorgetätigkeit für die Kriegs-
beschädigten schon den Verwundeten in den Lazaretten zu übermitteln,
nämlich eine Lazarettzeitung, wie es auch in Hamburg und in
einigen anderen Städten der Fall ist.
Vom Ortsausschuß für Kriegsbeschädigte in Frankfurt a. M. wird
eine Lazarettzeitung!) herausgegeben, deren Aufgabe es sein soll, stän-
dig das Interesse für den Lazarettunterricht wachzurufen. Der Laza-
rettunterricht soll ja nicht nur denen dienen, die wieder ins Feld zurück-
kehren, sondern er hat dabei zugleich die Aufgabe, den Kriegsbeschädigten,
die durch die Art ihrer Verwundung aus dem Heere ausscheiden und
nach einem bürgerlichen Berufe sich wieder umsehen müssen, die Rück-
kehr ins Erwerbsleben zu erleichtern. Auch hieraus erwächst der Laza-
rettzeitung eine bedeutungsvolle Aufgabe. Sie wird auch auf diesem
Gebiete eingreifen können, um die Begriffe zu klären -und das für eine
Gesamtheit der Kriegsbeschädigten zu tun, was im einzelnen Falle die
vom Ortsausschuß eingerichtete Berufsberatungsstelle zu tun hat: Auf-
klärung über die Möglichkeiten und Aussichten des Arbeitsmarktes zu
verbreiten. Durch die Lazarettzeitung ist zugleich eine wertvolle Mög-
lichkeit gegeben, der Verwundeten-Neurasthenie entgegenzuwirken oder
Belehrung über mannigfache die Gesundheit bedrohende Gefahren zu
verbreiten. Der Gedanke der Lazarettzeitung hat große Ueberzeugungs-
kraft besessen und rasch bei allen Stellen Unterstützung gefunden. Der
Ortsausschuß für Kriegsbeschädigte hat sofort die nötigen Mittel zur
Verfügung gestellt, und die Arbeitsvermittlungsstelle soll sich der
Zeitung bedienen, um die für Kriegsbeschädigte zur Verfügung stehen-
den offenen Stellen anzuzeigen. Auch die Militärbehörden haben so-
gleich ihre Unterstützung in weitgehendem Maße zugesagt. Ebenso
wird auf die Mitarbeit der Militärärzte zu rechnen sein. Für den
unterhaltenden Teil soll nur wirklich Wertvolles genommen werden:
kurze Erzählungen von künstlerischem Charakter, hier und da vielleicht
ein Gedicht, auch wohl die Reproduktion einer Zeichnung oder Radierung.
Die Lazarettzeitung ist zunächst nur für die Frankfurter Lazarette
gedacht, aber ihre ganze Organisation ist derart, daß sie auch darüber
hinaus sich etwa zeigenden Bedürfnissen genügen kann. Schon haben
sich andere Städte dafür interessiert, und auch der Gedanke, die Zeitung
1) Der Arbeitsnachweis in Deutschland, 2. Jahrg. (1915), No. 8, S. 171; Frank-
furter Zeitung vom 8. Mai 1915.
Miszellen. 127
über alle Lazarette des 18. Armeekorpsbezirks zu verteilen, ist auf-
getaucht. Die Zeitung wird durch die Reservelazarette verteilt und
jedem Verwundeten unentgeltlich in die Hand gegeben.
Nürnberg.
In Nürnberg ist man im Unterschiede zu den in den meisten anderen
deutschen Städten getroffenen Maßnahmen so ziemlich eigene Wege ge-
gangen. Hier erfolgte nicht erst die Gründung des Ortsausschusses,
nachdem die erforderlichen Vorbesprechungen abgehalten waren, und
dann die Inangriffnahme der öffentlichen Tätigkeit, sondern man trat
mit den Verwundeten in den Lazaretten in Verbindung, indem man mit
Erlaubnis des Sanitätsamtes von den Lazarettverwaltungen kurzgehaltene
Fragebogen ausfüllen ließ, und führte gleichzeitig eingehende Be-
sprechungen gesondert je mit den Vertretern der Nürnberger Groß-
industrie, des Nürnberger Handwerks, der Angestellten- und Arbeit-
geberverbände und der Arbeitsnachweise durch. Die Leitung der
Geschäfte liegt bei dem Nürnberger Ortsausschußfür Kriegs-
invalidenfürsorge, der alle beteiligten Kreise umfaßt. Er ist
in einen allgemeinen Vollzugsausschuß, einen Finanzausschuß, einen
Ausschuß für Berufsberatung und Berufsausbildung sowie einen Aus-
schuß für Stellenbeschaffung gegliedert. Von den ärztlichen und schu-
lischen Sondermaßnahmen, über die wie überhaupt über die ganze Organi-
sation der Nürnberger Kriegsbeschädigtenfürsorge bereits eine ein-
gehende Darstellung!) erschienen ist, sei nur auf das orthopädische
Reservelazarett hingewiesen, das für die Angehörigen des 3. bayerischen
Armeekorps zur Verfügung gestellt ist, und in dessen Errichtung eine
besondere praktische Bedeutung für die Bestrebungen liegt, Werkstätten
den Lazaretten anzugliedern, in denen vor allem Verwundete beschäftigt
werden können. In diesem orthopädischen Lazarett befinden sich Werk-
stätten für Buchbinderei, Buchdruckerei, Schreinerei, Schlosserei, Tape-
zierereiÄ, Sattlerei, Schneiderei usw. Es ist erklärlich, daß gerade
Nürnberg mit seiner reichen Industrie und seinem hochentwickelten
Handwerk besonders hierin Vorbildliches geleistet und somit wesentlich
beigetragen hat, die Frage der orthopädischen Nachbehandlung und des
orthopädischen Werkstättenunterrichts in zweckmäßiger Weise zur prak-
tischen Lösung zu bringen.
Lübeck.
Die Organisation der Lübecker Kriegsbeschädigtenfürsorge ?) ist
behördlicherseits sehr gefördert worden. Am 20. Februar 1915 hat
der Senat den Lübecker Landesausschuß für Kriegsver-
letzte eingesetzt und zu Mitgliedern dieses Ausschusses den Vor-
sitzenden des Stadt- und Landesamtes, den Vorsitzenden der Armen-
behörde und der Landesversicherungsanstalt der Hansestädte, den Leiter
1) Kriegsinvalidenfürsorge, Darstellung der in Nürnberg getroffenen Maßnahmen,
Würzburg (Kabitzsch) 1915.
2) Lübeckische Fürsorge für Kriegsverletzte, Anstellungs-Nachrichten, herausgeg.
vom Preußischen Kriegsministerium, 41. Jahrg. (1915), No. 20, 8. 325.
\
128 Miszellen.
des staatlichen öffentlichen Arbeitsnachweises, Vertreter der Lazarett-
verwaltung, der Aerzteschaft, der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie
der Facharbeitsnachweise berufen. Man ist aber bestrebt gewesen,
von vornherein in dem Ausschuß die zur Mitarbeit besonders berufenen
Kräfte zusammenzufassen, dadurch möglichst alle Kräfte der Arbeit des
Ausschusses nutzbar zu machen und jede Zersplitterung der Kräfte zu
vermeiden. Man hat zugleich durch die Art der Einsetzung des Aus-
schusses erreicht, daß diesem die Vorteile einer halbamtlichen Stelle
eigen sind, daß dem Ausschuß aber gleichwohl diejenige Bewegungs-
freiheit geblieben ist, deren eine auf völlig neuem Gebiete arbeitende
Wohlfahrtsstelle bedarf. Den Vorsitz im Ausschuß führt der Vor-
sitzende des Stadt- und Landesamtes; die Geschäftsführung des Aus-
schusses ist dem mit Kriegsausbruch ins Leben gerufenen staatlichen
öffentlichen Arbeitsnachweis übertragen. Auf diese Weise sucht man
zu erreichen, daß die Verbindungen und Erfahrungen des öffentlichen
Arbeitsnachweises unmittelbar der Fürsorge für Kriegsverletzte nutzbar
gemacht werden; daß man daneben auf die Mitarbeit auch der Fach-
arbeitsnachweise der Arbeitgeber- und Arbeitnehmervereinigungen großes
Gewicht legt, zeigt deren besondere Vertretung im Ausschuß.
Zu begrüßen ist die Stellungnahme, die man in Lübeck neben allen
anderen Maßnahmen auch der Ansiedelung der Kriegsbeschädigten
gegenüber einnimmt. Es ist beabsichtigt, den Kriegsbeschädigten in
besonderen Fällen Kleingärten in der Nähe der Stadt zu überweisen
und mit der Landarbeit vertraute Kriegsbeschädigte, namentlich solche
mit schwereren und besonders inneren Beschädigungen, auf dem Lande
anzusiedeln. Zu diesem Zweck hat der Senat schon geeignete Schritte
unternommen. Des weiteren sind Verhandlungen mit der Militärverwal-
tung angebahnt worden, das System der Oekonomiehandwerker (Hand-
werkersoldaten mit Soldatenlöhnung) insoweit zugunsten der kriegs-
beschädigten Handwerker zurücktreten zu lassen, wie diese auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkte nicht unterzubringen sind. Damit würde
auch den Bedenken Rechnung getragen werden, die aus Handwerker-
kreisen laut geworden sind, es könnten die Schwierigkeiten des Hand-
werks durch Kriegsbeschädigte erhöht werden, die wegen ihrer Rente
zu niedrigeren Preisen zu liefern imstande wären.
Hamburg und Bremen.
In den beiden anderen Hansestädten scheint, soweit nach den vor-
liegenden Mitteilungen geurteilt werden kann, die Kriegsbeschädigten-
fürsorge behördlicherseits nicht sehr gefördert worden zu sein, wenig-
stens hat sich der Senat in Hamburg und Bremen an den Bestrebungen
nur indirekt beteiligt und Vertreter in die Ausschüsse entsandt. In
Hamburg!) besteht ein Landesausschuß für Kriegsbeschä-
digte der sich aus 30 Mitgliedern zusammensetzt, die an der Spitze
von Behörden oder großen sozialen Organisationen stehen und nach dem
Maße ihres Einflusses und ihrer Erfahrungen geeignet sind, die Ziele
1) Der Arbeitsnachweis in Deutschland, 2. Jahrg. (1915), No. 8, 8. 171.
Miszellen. 129
des Ausschusses zu fördern. Zu ihnen gesellen sich Vertreter der
Regierung, der Militärverwaltung und der vaterländischen Vereine, wie
des Roten Kreuzes, der Kriegshilfe, des Vaterländischen Frauenvereins
und anderer Vereinigungen. Zu erwähnen ist noch, daß der Ham-
burgische Landesausschuß eine Lazarettzeitung herausgibt, was, wie
wir schon betonten, sehr dankenswert ist. Die Hamburgische Lazarett-
zeitung liegt bereits in mehreren Nummern mit reichem, zum Teil auch
illustriertem Stoff vor. In Bremen hat der Zentral-Hilfsausschuß vom
Roten Kreuz eine besondere Abteilung für Kriegsinvaliden
gebildet, der die Fürsorge für die Kriegsbeschädigten in Bremen obliegt.
Halle.
Zu den ersten Städten, in denen besondere Organisationen der
Kriegsbeschädigtenfürsorge eingerichtet wurden, gehört Halle a. d. S.,
wo bereits seit längerer Zeit eine vorzügliche Berufsberatung besteht
(Heft 28 der Beiträge zur Statistik der Stadt Halle), was besonders dazu
anregte, die Fürsorge für die Kriegsbeschädigten vornehmlich auf dieser,
also volkswirtschaftlicher Grundlage, aufzubauen. Die vorbereitenden
Arbeiten gehen hier bis November 1914 zurück. Mitte Februar 1915
bildete sich, nachdem auch der Mobilmachungsausschuß vom Roten
Kreuz der hallischen Organisation für die Kriegsbeschädigtenfürsorge
seine Mitwirkung zugesagt hatte, der Ausschuß für Kriegs-
beschädigtenfürsorge für Halle und Saalkreis und begann
im März 1915 seine segensreiche Tätigkeit, auf deren Einzelheiten!)
nicht näher eingegangen zu werden braucht, da sie im großen und
ganzen den allgemein anerkannten und überall durchgeführten Grund-
sätzen der systematischen Kriegsbeschädigtenfürsorge entspricht. Es
sei nur kurz das Wesentliche und Interessante hervorgehoben.
Der hallische Ausschuß gliedert sich in einen Hauptausschuß und
mehrere Unterausschüsse, die gebildet werden von den Aerzten, Lehrern,
großen und kleinen Arbeitgebern sowie Arbeitnehmern; auch die Käufer
sind in einem besonderen Ausschuß vertreten, damit vor allem auf das
kaufende Publikum genügend eingewirkt werden kann und ihm seine
scheue Zurückhaltung vor beschädigten Personen, mit denen es in ge-
schäftliche Berührung kommt, genommen wird., Durch die Heranziehung
der Arbeitnehmer ist die Mitarbeit der Facharbeitsnachweise erreicht
worden, was auch sehr wesentlich ist.
Die erstmalige, allgemeine Berufsberatung der Kriegsbeschädigten
erfolgt in einem von der Stadt zur Verfügung gestellten Raum im Roten
Turm auf dem Marktplatz, der von allen Teilen der Stadt bequem mit
Hilfe der dort zusammenlaufenden Straßenbahnen zu erreichen ist. Zum
1) Die Einrichtung und Tätigkeit der Kriegsbeschädigtenfürsorge in Halle, Bei-
lage zum Septemberheft 1914 der Statistischen Monatsberichte der Stadt
Halle; Wolff, Vortrag über die Organisation der Kriegsbeschädigtenfürsorge in Halle
(Bericht über die Versammlung des Provinzausschusses usw. in Halle, Merseburg,
Baltz); Unsere Ausführungen über Methodisehes zur Kriegsbeschädigtenfrage (Deut-
sches Statistisches Zentralblatt, 1915, Heft 6, S. 184) und in den Anstellungs-Nach-
richten, 41. Jahrg. (1915), No. 32.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 9
130 Miszellen.
Zwecke der Berufsausbildung der Kriegsbeschädigten sind in einer Reihe
von hallischen Schulen und Lehrwerkstätten Unterrichtskurse für die
Kriegsbeschädigten eingerichtet. Diese erstrecken sich auf Schön- und
Maschinenschreiben, Schreibunterricht für Einarmige, Kurzschrift nach
Stolze-Schrey und Gabelsberger, Buchführung, Bürgerkunde, Deutsch,
Geschichte, Geographie und einige Handwerke (Klempner-, Tischler-, Uhr-
macher-, Bandagisten- und Gärtnerkurse) sowie landwirtschaftlichen Be-
triebsunterricht. Die in Betracht kommenden Schulen sind die städtische
kaufmännische Fortbildungsschule, „ die städtische gewerbliche Fort-
bildungsschule, die staatlich-städtische Handwerkerschule mit ortho-
pädischer Werkstatt, die Franckeschen Stiftungen, die Hilfsschule und
die Klosterschule, sowie das landwirtschaftliche Institut der Universität.
Für die Kriegsblinden bestehen besondere Kurse in einem der Laza-
rette, wo die Kriegsblinden zusammengelegt sind, und in der Provinzial-
Blindenanstalt; der Ertaubtenunterricht ist durch Zusammenlegung der
Ertaubten ähnlich eingerichtet wie der Erblindetenunterricht. Unter-
richt wird erteilt an Kriegsbeschädigte, die bereits von ihrem Truppen-
teil entlassen sind und an solche, die sich noch in den Lazaretten oder
bei den Truppenteilen (Verwundetenkompagnien) befinden.
Wie in den übrigen preußischen Provinzen, so ist auch in der Pro-
vinz Sachsen die Frage der provinziellen Zusammenfassung der lokalen
Organisationen der Kriegsbeschädigtenfürsorge erörtert worden. Das
geschah vor einem größeren Kreise zum ersten Male am 4. Juni 1915,
nachdem bereits der Oberpräsident einen Provinzausschuß berufen
und die Einrichtung von Kreisfürsorgestellen angebahnt hatte, ge-
legentlich der Tagung des Provinzausschusses, der Kreisfürsorge-
stellen und sonstiger Freunde der Kriegsbeschädigtenfürsorge unter
Vorsitz des Landeshauptmanns in Halle!), die den Abschluß eines
besonderen Lehrganges für Berufsberater und Berufs-
bildner für Kriegsbeschädigte bildete ?). Diese zweckmäßige
Veranstaltung ist als erste und einzige ihrer vollkommenen Art von
großer Bedeutung und darf als zielbewußte Einführung in die hohen
und schweren Aufgaben der Kriegsbeschädigtenfürsorge angesprochen
werden 3).
Düsseldorf.
Ueber die Entstehung der Einrichtungen für die Kriegsbeschädigten-
fürsorge in Düsseldorf liegen besondere Mitteilungen vor, so daß hier
unter Hinweis darauf‘) nur kurz auf die Hauptsache eingegangen zu
werden braucht: Einer Anregung folgend hat die Düsseldorfer Zentral-
1) Siehe den Bericht über die Versammlung usw., Merseburg, Verlag Baltz.
2) Darüber unsere ausführlichen Mitteilungen im Arbeitsnachweis für Deutschland,
1915, No. 11, S. 238.
3) Auch bei der Tagung für Kriegsbeschädigtenfürsorge in Düsseldorf am 26. Juli
1915, welche der Tätigkeitsausschuß für Kriegsbeschädigtenfürsorge in der Rheinprovinz
veranstaltet hat, sind einige einschlägige Vorträge gehalten worden — vgl. Preuß. Ver-
waltungsblatt, 36. Jahrg. (1915), No. 48, S. 779 und später unten IV, 8. 135.
4) Gotter, Fürsorge für Kriegsbeschädigte. Leipzig, Seemann & Co., 1915,
Heft 1, S. 13.
Miszellen. 131
stelle für freiwillige Liebestätigkeit ihre Abteilung 28a „Beschäftigung
der Verwundeten in den Lazaretten“ erweitert und unter der Bezeich-
nung 28b eine besondere Gruppe „Berufsberatung, Ausbildung
und Stellenvermittelung für Kriegsverwundete“ einge-
richtet. Die Organisation dieser Abteilung ist einer besonderen Kom-
mission übertragen worden, die sich zusammensetzt aus Vertretern der
Militärverwaltung, der Königlichen Regierung, der Provinzialverwaltung,
der Landesversicherung, der Lazarettkommission, der Arbeitsnachweise,
der Arbeitgeber, der Handels- und Handwerkskammer, sowie der Kura-
torien der städtischen kaufmännischen und gewerblichen Fortbildungs-
schulen. Eine der ersten Maßnahmen der Kommission war die Einrich-
tung einer besonderen Schule für Kriegsverwundete, die schon Ende
Februar 1915 eröffnet wurde. Ueber diese Schule, die als eine freie
soziale Einrichtung bezeichnet wird, enthält die angeführte Schrift von
Gotter eine ausführliche Darstellung, so daß es erübrigt, an dieser
Stelle weiter hierüber zu handeln. Es sei nur kurz bemerkt, daß sie
bereits kurze Zeit nach der Eröffnung 19 Klassen mit 468 Wochen-
stunden für insgesamt 346 Teilnehmer zählte, von denen jeder im Durch-
schnitt an mehr als 20 Unterrichtsstunden teilnimmt. Unterricht wird
erteilt in den verschiedensten allgemeinen Unterrichtsfächern sowie in
besonderen Spezialfachkursen für eine Reihe bestimmter Berufe.
Die Düsseldorfer Maßnahmen auf dem Gebiete der Kriegsbeschä-
digtenfürsorge erstrecken sich nicht bloß auf die der Kriegsbeschädigten-
fürsorge als solche, sondern finden in weitestem Umfange auch schon
auf die Kriegsverwundeten Anwendung, was rein äußerlich bereits in
der Bezeichnung der Düsseldorfer Kriegsbeschädigtenfürsorge als Für-
sorge für Kriegsverwundete zum Ausdruck kommt. (Vgl. in
diesem Zusammenhang unsere Ausführungen über den Begriff der Kriegs-
beschädigtenfürsorge S. 105 Anm. 2.) Wenn man in Düsseldorf die Be-
zeichnung „Kriegsverwundete“ vorzieht, so hängt das vielleicht auch damit
zusammen, daß die Düsseldorfer Kriegsbeschädigtenfürsorge, wie oben
bemerkt worden ist, sich gewissermaßen aus der Verwundetenfürsorge
heraus entwickelt hat, und die Bezeichnung der betreffenden Abteilung,
die für diese neue Fürsorgetätigkeit abgezweigt worden ist, sich möglichst
eng an diese Abteilung „Beschäftigung der Verwundeten in den Lazaretten“
anschließen sollte. Es ist unbestritten, daß in anderen Städten die
unterrichtlichen und sonstigen Fürsorgemaßnahmen auch mehr oder
weniger für die Verwundeten, da natürlich nur für diejenigen, bei
denen die Heilung schon einigermaßen fortgeschritten ist, geschaffen
worden sind ; im allgemeinen muß dazu aber bemerkt werden, daß die volks-
wirtschaftliche Kriegsbeschädigtenfürsorge mit der Verwundetenfürsorge,
deren Betätigungsfeld in erster Linie die Lazarette sind, in direkten Zu-
sammenhang zweckmäßig nicht gebracht werden darf. So ist vor allem
besonders darauf hinzuweisen, daß der Unterricht im Lazarett an Verwundete
streng genommen immer nur ein Zeitvertreib sein kann. Die Kriegs-
beschädigtenfürsorge hat es vornehmlich mit den aus dem Militärverhält-
nis entlassenen Kriegsbeschädigten zu tun. Wenn sie sich hin und wieder
bereits der Verwundeten annimmt, dann sollte das immer nur in vorbereiten-
9*
132 Miszellen.
der Weise, besonders in unterrichtlicher Beziehung geschehen, denn es
kann nicht oft genug betont werden, daß die eigentlichen Fürsorgemaß-
nahmen für die Kriegsbeschädigten, bei der Berufsberatung angefangen,
mit Erfolg immer nur dann einsetzen können, wenn Gewißheit über den
körperlichen Zustand der Beschädigten vorhanden ist. Vorläufige Berufs-
beratung und daran anschließender Unterricht für die Verwundeten ist
mitunter vielleicht eine ganz nützliche Vorbereitung für die späteren
endgültigen Kriegsbeschädigtenfürsorgemaßnahmen, können aber auch
hindernd und störend in jeder Hinsicht wirken. Es muß deshalb aus-
drücklich darauf geachtet werden, die Kriegsbeschädigtenfürsorge nicht
zu zeitig einsetzen zu lassen und zu versuchen, möglichst immer nach den
allgemeinen, fast überall anerkannten Grundsätzen die Kriegsbeschädigten-
fürsorge auch wirklich für die Kriegsbeschädigten und nicht für die
Verwundeten, wenigstens nicht in vollem Umfange, auszuüben.
III. Zusammenfassung und Ausblick.
Im System der Kriegsbeschädigtenfürsorge ist, wie wir feststellen
konnten, eine größere Einheitlichkeit erreicht worden als hinsichtlich
ihrer Organisation, und es darf ohne Uebertreibung von einer bunten
Verschiedenheit !) in dieser Beziehung gesprochen werden. Einmal be-
ruht die Ausübung der Fürsorgetätigkeit in den Städten lediglich auf
dem freien Vereins- oder Ausschußwesen, dann wirken überwiegend be-
hördliche und private Organe zusammen, vereinzelt finden sich auch
Verwaltungen, welche die Kriegsbeschädigtenfürsorge unmittelbar in ihr
Arbeitsgebiet einbezogen haben. Aehnlich liegen die Verhältnisse in
den Bundesstaaten. Auch hier tragen die meisten Einrichtungen, die
für die Kriegsbeschädigten geschaffen worden sind, weniger einen amt-
lichen, sondern mehr gemischten Charakter und sind im wesentlichen
eine Zusammenfassung privater Bestrebungen und einzelner Behörden.
Staat und freie Vereinstätigkeit wirken gemeinsam. Bisweilen üben
auch in größeren Verwaltungsbezirken die privaten Kreise die Fürsorge
für die Kriegsbeschädigten selbständig aus, was aber nur noch selten
vorkommt. In einigen Fällen endlich ist die Kriegsbeschädigtenfürsorge
zu einer rein staatlichen Einrichtung geworden, der Staat übt sie un-
mittelbar und selbständig aus. Was schließlich die Beteiligung des
Reiches an der praktischen Lösung dieser Frage anlangt, so ist nach
den Besprechungen zwischen der Reichsregierung und den Bundes-
regierungen eine Uebereinstimmung dahin erzielt worden, daß diese die
Kriegsbeschädigtenfürsorge vorläufig wenigstens in die Wege leiten
sollen, dem ja auch fast überall bereits entsprochen worden ist, während
die Reichsregierung sich noch abwartend verhalten will und wahr-
scheinlich erst nach dem Kriege umfassende Maßnahmen treffen wird,
die sich dann zweckmäßig auf der durch die Bundesstaaten und Städte
geschaffenen Grundlage aufbauen werden. Daß das Reich aber für die
Kriegsbeschädigten über die Heilbehandlung und die Rentengewährung
1) Preußisches Verwaltungsblatt, 36. Jahrg. (1915), No. 35, 8. 561.
Miszellen. 133
hinaus überhaupt weiter sorgen wird, dürfte außor Zweifel stehen und
ist auch schon von maßgebender Seite in Aussicht gestellt worden —
man vergleiche die Ausführungen des Ministerialerlasses der Minister
für Handel und Gewerbe, Landwirtschaft, Domänen und Forsten, des
Ministers des Innern und des Kriegsministers über Kriegsinvalidenfür-
sorge vom 10. Mai 1915. Es wird darin betont, daß das Reich gegen-
wärtig noch keine bindenden Entschließungen fassen könne, was auch
durchaus verständlich und erklärlich ist, und dankbar anerkannt, daß
die Provinzialverbände mehrfach, wenn auch unter dem Vorbehalt der
Kostenerstattung 1), die Ausübung der Fürsorge für die Kriegsbeschä-
digten auf sich genommen haben. Und über die Richtigkeit des bisher
eingeschlagenen Weges zur Lösung der organisatorischen Frage der
Kriegsbeschädigtenfürsorge besteht volle Uebereinstimmung. Die Aus-
übung dieser neuen sozialen und wirtschaftlichen Fürsorgetätigkeit kann
zweckmäßig und umfassend nur von Amts wegen erfolgen, wenn auch die
private Tätigkeit auf diesem Gebiete als vorbereitende Arbeit nicht ver-
kannt werden darf. Die Uebernahme der Kriegsbeschädigtenfürsorge
in den Städten durch die Verwaltungen, in den Provinzen durch die
Provinzialverbände und in den Bundesstaaten durch die Regierungen,
soweit es nicht schon der Fall ist, muß als das nächste Ziel aller
weiteren organisatorischen Maßnahmen angesehen werden, damit dann
zu gegebener Zeit die Frage einer Zentralorganisation für das Reich
zur unmittelbaren praktischen Lösung gebracht werden kann.
Von verschiedenen Seiten ist auch schon auf die Notwendigkeit
der Zentralisierung der Kriegsbeschädigtenfürsorge für das ganze Reich
hingewiesen ?) und betont worden, daß, wenn vielleicht die Reichs-
regierung hier noch nicht selbst das Erforderliche tun kann, es ge-
boten erscheint, vorläufig eine Reichszentralstelle für Kriegsbeschädigten-
fürsorge nach dem Beispiel der Landesausschüsse in den Einzelstaaten
ins Leben zu rufen. Dann ist auch in der Budgetkommission des
Reichstags ein Antrag auf Errichtung einer Zentralstelle für soziale
Kriegsfürsorge gestellt worden, in dem besonders bemerkt ist, daß die
Zentralstelle vor allem die Berufsberatung, Berufsvorbildung und
Arbeitsvermittlung der Kriegsbeschädigten organisieren und leiten soll.
Diese Resolution ist bekanntlich in der Sitzung der Budgetkommission
vom 12. Mai 1915 dem Reichskanzler als Material überwiesen worden.
Die Reichsregierung stimmte jedoch dem einstimmigen Beschluß des
Reichstags gelegentlich der fünften Kriegssitzung im August 1915,
eine Zentralstelle für die Kriegsbeschädigtenfürsorge von Reichswegen
zu schaffen, nicht zu, da sie, wie wir bereits oben ausführten, gegen
eine solche Zentralisierung durch das Reich selbst gegenwärtig noch
Bedenken habe.
1) Durch den zweiten Nachtragsetat für das Rechnungsjahr 1914 sind aus den
200 Mill. M., die der Reichstag für die Kriegswohlfahrtspflege bewilligt hat, 5 Mill. M.
zur Verteilung an die Bundesstaaten nach Maßgabe der Matrikularbeiträge für die
Zwecke der Kriegsbeschädigtenfürsorge bereitgestellt worden. Vgl. darüher auch IV,
die Mittel der Kriegsbeschädigtenfürsorge, S. 141 und 142.
2) Der Arbeitsnachweis in Deutschland, 2. Jahrg. (1915), No. 9, S. 197.
134 Miszellen.
Dank den Anregungen ist nun inzwischen am 16. September 1915
der Reichsausschuß für Kriegsbeschädigtenfürsorge gegründet worden,
den die Hauptversammlung der einzelstaatlichen Organisationen der
Kriegsbeschädigtenfürsorge neben einem besonderen Reichsarbeitsausschuß
bildet. Bei der konstituierenden Versammlung kam es zu bedeutungs-
vollen Ausführungen und wichtigen Beschlüssen !).
Was bisher alles in allem für die Kriegsbeschädigten in dem ver-
gangenen ersten Kriegsjahr und den weiteren Kriegsmonaten getan
worden ist und welche hohen Leistungen inbezug auf System und
Organisation der Kriegsbeschädigtenfürsorge erreicht worden sind, das
zeigt deutlich, daß sich alle Kreise der vornehmen Pflichten bewußt
sind, die einem modernen kriegführenden Volke für seine Kriegs-
beschädigten erwachsen, und deren Erfüllung nicht nur die Lösung
einer moralischen Dankespflicht gegenüber denjenigen bedeutet, die mit
ihrem Leben für die Sicherheit und die Erhaltung des Reiches ein-
standen, sondern vor allem darauf beruht, die Kriegsbeschädigten
wirtschaftlich und sozial zu erhalten im Interesse und zum Nutzen
der gesamten deutschen Volkswirtschaft eines zukünftigen dauernden
Friedens.
IV. Ergänzungen und neueste Entwicklung.
Seit der ersten Niederschrift der vorstehenden Ausführungen bis
zu ihrer Drucklegung liegt ein längerer Zeitraum, in dem gerade
auf dem Gebiete der Kriegsbeschädigtenfürsorge eine ganze Reihe
von Fortschritten zu verzeichnen ist und so viele neue praktische
Erfahrungen gesammelt sind, daß es zweckmäßig sein wird, die vor-
liegende Darstellung nicht abzuschließen, ohne auch auf die neuere
und neueste Entwicklung der Frage noch etwas eingegangen zu sein.
Ist es an sich schon schwierig, eine so stark im Flusse befindliche
Materie, wie die hier behandelte ist und naturgemäß eben sein muß, zu
erörtern, so darf doch der Versuch unternommen werden, noch einige
Ergänzungen zu dem Gesagten zu bringen, um die Arbeit, soweit es
eben erfahrungsgemäß bei einem solchen Stoff, der wissenschaftlich und
praktisch immer weiter entwickelt wird und aus natürlichen Gründen
auch noch gar keinen endgültigen Abschluß erlangt haben kann, mög-
lichst zu vervollständigen.
Wenn wir nun im folgenden den Gegenstand nach seinem neuesten
Stand in eine Reihe von Einzelfragen auflösen, so muß vornweg betont
werden, daß nur eine beschränkte Zahl aller überhaupt möglichen und
bestehenden einzelnen Gesichtspunkte zum Vortrag gelangen sollen und
davon wiederum die am wichtigsten erscheinenden, denn die ganze Frage
hat schon so an Ausdehnung gewonnen, daß sie, zumal sie auch noch
nicht abgeschlossen ist, nur teil- und stellenweise gründliche Be-
arbeitungen zuläßt.
Allein ein Blick in die fortwährend anwachsende Literatur zur
Kriegsbeschädigtenfrage redet deutlich das Wort von ihrer noch im steten
1) Vgl. auch Volkswirt. Blätter, 14. Jahrg. (1915), Heft 19—22, S. 274, und die
Vorbemerkung der Zusammenstellung des Reichsamts des Innern (1. Abs.) — vgl.
8. 2 und 12.
Miszellen. 135
Flusse befindlichen Entwicklung. In allen großen und kleinen Tages-
zeitungen wird das Problem nach jeder Richtung hin erörtert, von Tag
zu Tag mehrt sich die Zahl der erscheinenden Monographien auf dem
Gebiete der Kriegsbeschädigtenfürsorge, die auch in den meisten wissen-
schaftlichen Zeitschriften große Beachtung gefunden hat. Und schließ-
lich sind in den letzten Monaten selbständige Zeitschriften für die eigene
Behandlung aller die Kriegsbeschädigtenfürsorge betreffenden Fragen
entstanden und haben den Weg in die Oeffentlichkeit gefunden, gar nicht
zu reden von den Lazarettzeitungen und sonstigen mehr oder weniger
brauchbaren Unterhaltungs- und Aufklärungsblättern für die Kriegs-
beschädigten und ihre Fürsorge. Wertvolles Material bieten dagegen
die amtlichen Druckschriften, die Ministerialerlasse u. a., die zahlreiche
gute Anregungen und Vorschläge enthalten. Neben der literarischen
Arbeit hat man sich auch anderer Mittel, wie Vorträge und Versamm-
lungen bzw. Tagungen, sowie selbst Ausstellungen bedient, um weitere
Kreise von der Bedeutung der Kriegsbeschädigtenfürsorge zu überzeugen.
So wurde die bekannte und sehr interessante, lehrreiche Ausstellung
für Verwundeten- und Krankenfürsorge im Krieg mit einer besonderen
Abteilung für Invalidenfürsorge durch die „Deutsche Vereinigung für
Krüppelfürsorge“, deren Verdienste auch gerade für die Kriegs-
beschädigtenfürsorge hervorragend sind, woran Biesalski, der Leiter des
Oskar-Helene-Heims in Berlin-Zehlendorf, rühmlichen Anteil hat, bis jetzt
in Berlin, Dresden, Budapest, Magdeburg, Cassel, Danzig veranstaltet
und wird gegenwärtig in Barmen abgehalten. Für Ende 1915 war
eine Sonderausstellung von Ersatzgliedern und Arbeitshilfen in den
Räumen der ständigen Ausstellung für Arbeiterwohlfahrt zu Char-
lottenburg geplant. In Anlehnung daran ist eine amtliche Glieder-
ersatzprüfstelle ins Leben gerufen worden, was sehr wertvoll
ist. Und endlich sei noch auf ein weiteres Verbreitungsmittel ganz
besonderer Art hingewiesen, die sogenannten Lehrgänge für Berufs-
berater und Berufsbildner für Kriegsbeschädigte, von denen bis jetzt,
soviel bekannt geworden ist, solche veranstaltet worden sind in
Halle im Mai und November 1915, in Düsseldorf im Juli!) und
November 1915 ?), sowie Ende November 1915 in Berlin®). In diesen
1) Bericht über die Tagung für Kriegsbeschädigtenfürsorge in Düsseldorf am
Montag, den 26. Juli 1915. Veranstaltet vom Tätigkeitsausschuß lür Kriegsbeschädigten-
fürsorge in der Rheinprovinz, unter Vorsitz des Landeshauptmanns Wirkl. Geh. Ober-
regierungsrat Dr. v. Renvers. Der Bericht enthält folgende Vorträge: Prof. Dr. Cramer-
Köln, über „Chirurgie und Orthopädie im Dienste der Kriegsbeschädigtenfürsorge“,
Landesrat Dr. Horion-Düsseldorf über „Die Organisation und die bisherige Tätigkeit der
Kriegsbeschädigtenfürsorge in der Rheinprovinz“, Oekonomierat Dr. Reinhardt-Bonn
über „Die Kriegsbeschädigten in der Landwirtschaft“, Geh. Regierungsrat, Direktor der
Gewerbebeförderungsanstalt Romberg-Köln über „Die Kriegsbeschädigten im Handwerk“,
Kommerzienrat Talbot-Aachen über „Die Kriegsbeschädigten in der Großindustrie‘“.
Der Bericht kann von der Rheinischen Provinzialverwaltung in Düsseldorf bezogen
werden.
2) Der zweite Lehrgang in Düsseldorf hat vom 29. November bis 1. Dezember 1915
stattgefunden. Gedruckte Berichte liegen darüber noch nicht vor.
3) Die Zentrale für private Fürsorge veranstaltete einen Ausbildungskursus für
Kriegsfürsorgehelfer und -helferinnen, bei dem auch die Kriegsbeschädigtenfürsorge aus-
führlich behandelt worden ist (Soziale Praxis, 25. Jahrg., 1915, No. 5, S. 120.)
136 Miszellen.
Lehrgängen treten uns neuartige, aber höchst interessante und vor
allem besonders für die in der Kriegsbeschädigtenfürsorge praktisch
tätigen Personen sehr nützliche Veranstaltungen entgegen, in denen
die Teilnehmer in allen einschlägigen Fragen eingehend unterrichtet
werden können !).
In organisatorischer Beziehung ist darauf hinzuweisen, daß vor
allem die Ortsausschüsse, die in erster Linie für die Ausführung der
erforderlichen Fürsorgemaßnahmen zu sorgen haben, zweckmäßig und
gleichmäßig zusammengesetzt sind. Es empfiehlt sich, möglichst Ver-
treter der im Orte oder im Kreise vorhandenen wichtigen Berufszweige
und insbesondere Arbeitnehmer ?) in die Ausschüsse zu wählen. Auch
die Heranziehung von Aerzten ist erforderlich. Dann muß besonders
darauf geachtet werden, daß eine geeignete Auswahl von Vertretern
der Lehrerschaft getroffen wird. So sind in den meisten Orten mehrere
Fachausschüsse unter einem Hauptausschuß entstanden und bilden zu-
sammen die überall ins Leben gerufenen Ortsausschüsse, in denen sich
endlich auch amtliche Personen befinden müssen, wie Regierungs- und
Gewerberäte, Gewerbeinspektoren, Regierungs- und Gewerbeschulräte
(Preuß. Ministerialerlaß vom 8. Sept. 1915 und Konferenz der Regierungs-
und Gewerbeschulräte vom 19. und 20. Juli 1915 in Berlin).
Was die neueste Entwicklung der Organisation der Kriegs-
beschädigtenfürsorge im ganzen Deutschen Reiche anlangt, so darf fest-
gestellt werden, daß nunmehr in allen Bundesstaaten Organisationen
der Kriegsbeschädigtenfürsorge bestehen, die einerseits auf freier Grund-
lage beruhen, andererseits gewissermaßen halbamtlich durchgeführt sind,
indem den Behörden die Leitung freier Ausschüsse obliegt, die aber
auch finanziell amtliche Unterstützung erfahren. Die Organisationen der
Kriegsbeschädigtenfürsorge gruppieren sich somit in gewisser Beziehung
um die öffentlich-rechtlichen Organe. An dritter Stelle sind Provinzen
oder Staaten die Träger der Kriegsbeschädigtenfürsorge, die in solchen
Fällen einen rein staatlichen Charakter angenommen hat. Ueber den
Reichsausschuß ist schon berichtet worden. Es ist somit auf dem
Gebiete der Kriegsbeschädigtenfürsorge organisatorisch bis jetzt das
erreicht worden, was in der verhältnismäßig kurzen Zeitspanne, die
der Entwicklung dieser neuen Frage zur Verfügung stand, eben erreicht
werden konnte, und unsere Kriegsbeschädigten werden im ganzen deutschen
Vaterlande immer und überall eine Stätte finden, wohin sie sich ver-
trauensvoll wenden können.
Von den praktischen Erfahrungen, die man in letzter Zeit auf
unserem Gebiete gemacht hat, verdienen hier die besonders in der Be-
rufsberatung der Kriegsbeschädigten gewonnenen Beachtung. Es ist
erklärlich, daß die beteiligten Kreise gerade einer der wichtigsten und
grundlegenden Maßnahmen in der volkswirtschaftlichen Fürsorgetätigkeit
1) Lehrgang der Kriegsbeschädigtenfürsorge in der Provinz Sachsen, a. a. O., ent-
hält die Vorträge. Beim 2. Lehrgang war neben den Vorträgen das Hauptgewicht auf
eine sehr ausführliche Aussprache gelegt worden.
2) Ueber die Mitwirkung der Gewerkschaften in der Kriegsbeschädigtenfürsorge
vgl. Leipart, Kriegsinvaliden und Gewerkschaften, Berlin 1915, S. 22 ff.
Miszellen. 137
für unsere Kriegsbeschädigten reges Interesse bekundet haben !). Anfangs
war von Berufsberatung schlechthin die Rede. Die ersten Fälle wurden
noch so einfach wie nur möglich behandelt. Die Tätigkeit der Berufs-
berater wurde mit der Aufnahmeverhandlung der Kriegsbeschädigten
und ihrer Zuweisung zu den Stätten der Berufsaus- oder -umbildung,
wenn eine solche erforderlich war, oder zur Arbeitsvermittlung als ab-
geschlossen betrachtet. Jetzt hat man die Berufsberatung mehr spezia-
lisiert. Es wird unterschieden zwischen allgemeiner Berufsberatung,
d. h. einer solchen, die dem Kriegsbeschädigten unmittelbar nach seiner
Entiassung aus dem Militärverhältnis erteilt wird und auf der sich
dann die weiteren Fürsorgemaßnahmen aufbauen, und spezieller Berufs-
beratung, in welcher schon die beruflichen Einzelfragen zu erörtern sind.
Diese gliedert sich wieder in eine vorläufige und eine endgültige, die
dem Kriegsbeschädigten unmittelbar nach der Beendigung seiner Berufs-
aus- oder Berufsumbildung und vor der Arbeitszuweisung gewährt wird.
Vor der ersten allgemeinen Berufsberatung schiebt man auch hier und
da noch die ärztliche, mehr vorbereitende ein, die aber praktisch mehr
der Bekämpfung der Rentenpsychose entsprechen, als größere wirt-
schaftlich-berufliche Bedeutung haben dürfte. In diesem Zusammenhang
ist auch die Berufsberatung in den Lazaretten durch volkswirtschaftlich
vorgebildete Berufsberater zu erwähnen, für die man sich stark ein-
gesetzt hat. Ihrer allgemeinen Einführung stehen aber zahlreiche Be-
denken entgegen, und es ist vor allem der Arzt, der sich hier mit Recht
widersetzt. Es ist daher vorgeschlagen worden, besondere Räume in den
Lazaretten für die Berufsberatung der schon einigermaßen wiederher-
gestellten Kriegsbeschädigten zur Verfügung zu stellen. Endlich wird
unterschieden zwischen Einzel- und Kollegial-Berufsberatung, bei der ein-
mal Kriegsbeschädigte und Berufsberater einzeln, das andere Mal mehrere
Kriegsbeschädigte mit einem oder mehrere Berufsberater mit einem
Kriegsbeschädigten zusammenkommen in den sogenannten Berufsberatungs-
ausschüssen ?2). Bedeutung erlangt neuerdings mehr und mehr die mili-
tärische Berufsberatung, worauf wir unten noch einmal zurückkommen
werden. So bleibt zum Abschlusse dieser kurzen Ausführungen über
die wichtige Einzelfrage der Kriegsbeschädigtenfürsorge, die Berufs-
beratung, noch ein Hinweis auf die für ihre Ausübung in Betracht
kommenden Personenkreise?.. Das sind einmal die Volkswirte und
Juristen mit ihrem allgemeinen Ueberblick über das Erwerbs- und
Wirtschaftsleben sowie die einschlägigen Rechtsfragen für die allgemeine
Berufsberatung und für die spezielle die Fachlehrer, Handwerksmeister
und alle im Erwerbsleben stehenden gebildeten Berufszugehörigen, die
auch Interesse an der Kriegsbeschädigtenfürsorge haben, Arbeitgeber
und Arbeitnehmer. So weisen die Berufsberatungsausschüsse der Düssel-
1) Vgl. hierüber Wolff, a. a. O. S. 17ff.
2) Vgl. Horion, 50 Einzelfälle aus den ersten 3 Monaten der Tätigkeit der Kriegs-
beschädigtenfürsorge in der Rheinprovinz, Düsseldorf 1915.
3) Auch hierüber Wolff, a. a. O., S. 20 (Wer soll aber Berufsberater sein?),
welcher ebenfalls schon die volkswirtschaftliche Bildung des Berufsberaters betont, und
Berufsbeamte für die Kriegsbeschädigtenfürsorge (Volkswirt. Rlätter, 14. Jahrg. (1915),
Heft 19—22, S. 249).
138 Miszellen.
dorfer Kriegsbeschädigtenfürsorge eine in dieser Beziehung durchaus
praktische und zweckmäßige Zusammensetzung auf.
Die militärische Berufsberatung, die wir oben andeuteten, wird
im Rahmen der militärischen Kriegsbeschädigtenfürsorge ausgeübt.
Hier tritt uns eine, wie wir wohl sagen dürfen, weniger bekannte
militärische Organisation entgegen, die in mehreren Armeekorps
eingerichtet ist. Wie unsere Militärbehörde -bereits in sanitärer Be-
ziehung auf das beste von allen kriegführenden Ländern für die Kriegs-
beschädigten sorgt, so nimmt sie jetzt auch nach und nach eine
tatsächlich militärfürsorgliche Tätigkeit für die Kriegsbeschädigten auf,
so daß die soziale Kriegsinvalidenfürsorge, die moderne volkswirt-
schaftliche Kriegsbeschädigtenfürsorge eine gute Vorbereitung findet
in der neueingerichteten militärischen Kriegsbeschädigtenfürsorge, über
die wir folgendes ausführen dürfen !).
In verschiedenen Armeekorps sind selbständige Verwundeten-
Beratungsstellen eingerichtet, die sich bei jedem Ersatzbataillon mit
Verwundetenkompagnien befinden, um die Kriegsbeschädigten, die aus
den Lazaretten entlassen sind, der Einwirkung der Berufsberatung,
welche ihnen während ihres dortigen Aufenthaltes von den Aerzten
oder seitens der sozialen Kriegsbeschädigtenfürsorge zuteil geworden
ist, nicht zu entziehen. Nachdem sie bei der militärischen Beratungs-
stelle weiter beraten sind, werden sie bei ihrer Beurlaubung bis zur
Entlassung einer Zivilberatungsstelle in der Heimat überwiesen. So
arbeiten Militär- und Zivilberatung Hand in Hand. Der über den
Kriegsbeschädigten aufgenommene Fragebogen geht endlich mit den
Entlassungspapieren nach dem zuständigen Bezirkskommando, wo sich
wieder eine Beratungsstelle befindet. Auf diese Weise wird erreicht,
daß die Kriegsbeschädigten niemals sich selbst überlassen sind.
Seit einigen Monaten hört man von dem gerade auf dem Gebiete
der Kriegsbeschädigtenfürsorge so sehr zweckmäßigen Zusammenarbeiten
der Militär- und Zivilbehörden und der privaten Kreise für unsere
Kriegsbeschädigten. Ueber das Handinhandgehen der Militär- und
Zivilberatungsstellen ist vorstehend schon einiges ausgeführt worden.
Im Allgemeinen haben die lokalen Militärbehörden bereits von Anfang
an Entgegenkommen gezeigt und die sozialen Fürsorgebestrebungen
mittelbar gefördert, indem sie ohne weiteres die Verteilung von
Druckschriften mit Hinweisen auf die Einrichtungen der Kriegsbeschä-
digtenfürsorge und andere über die Renten, die Krüppelhilfe usw. in
den Lazaretten oder Kranken-[Verwundeten-]Kompagnien zuließen. Auch
erteilten sie den Kriegsbeschädigten bereitwillig Urlaub zum Besuch der
Beratungsstellen und der Unterrichtskurse. Neuerdings ist die Mithilfe
der Militärbehörden noch weiter ausgedehnt worden. Besonders wichtig
sind folgende Maßnahmen: In Koblenz?) werden die Kriegsbeschädigten,
welche Unterricht erhalten, von der Militärbehörde zur Teilnahme
1) Nach v. Zengen, Militärische Kriegsbeschädigtenfürsorge, in „Fürsorge für
Kriegsteilnehmer“, Jahrg. 1915, Heft 3, 4 u. 5.
2) Mitteilungen der Zentralstelle des deutschen Städtetags, a. a. O. 8. 198.
Miszellen. 139
daran direkt verpflichtet uud können durch Vermittlung der Truppen-
teile jederzeit von der örtlichen Fürsorgestelle vorgeladen werden,
wodurch das Arbeiten derselben wesentlich erleichtert wird. In Köln!)
und Hamborn !) sowie anderen Städten, wo es bis jetzt aber vielfach
nur bei der Anregung dazu geblieben ist, werden die Kriegsbeschädigten,
welche die Beratungsstelle in Anspruch nehmen sollen, durch die zu-
ständigen Bezirkskommandos, Lazarette und Ersatzbataillone diesen
auf besonderen Anmeldescheinen schon vorher angemeldet oder ver-
anlaßt, das selbst zu tun. Hierin besteht der Vorteil, daß der örtlichen
Fürsorgestelle kein Kriegsbeschädigter entgehen kann, was, wie die Er-
fahrung in anderen Städten gezeigt hat, sonst öfter der Fall sein kann.
Die Art der Ermittlung der Kriegsbeschädigten durch Anfrage der
Ortsausschüsse bei den Lazaretten ist verschiedentlich (Mühlheim u. a.)
auch gebräuchlich.
Wenn nämlich das Bezirkskommando der zuständigen Fürsorge-
stelle die Namen aller der Kriegsbeschädigten, die in seinen Listen
geführt werden, mitteilt, so darf mit Bestimmtheit darauf gerechnet
werden, daß die Kriegsbeschädigtenfürsorge dann auch mit allen in
Frage kommenden Kriegsbeschädigten am Orte Fühlung nehmen und
sie heranziehen kann. Auf diese Weise kann das erreicht werden,
was mit als eine der wichtigsten Aufgaben der Kriegsbeschädigten-
fürsorge angesehen wird, nämlich die Fühlungnahme mit allen Kriegs-
beschädigten, damit die Bestrebungen der Kriegsbeschädigtenfürsorge
auch allen zugute kommen können, die für das Vaterland gelitten haben.
Im Anschluß an den Hinweis auf das Zusammenwirken der
Militär- und Zivilbehörden und der privaten Kreise in der sozialen
Kriegsbeschädigtenfürsorge sei noch kurz auf die Frage der Sammel-
lazarette eingegangen, der man neuerdings auch Aufmerksamkeit zu-
gewendet hat. Die Einrichtung von Sammellazaretten ist für die
größeren Städte vorgesehen, in denen besondere Möglichkeiten für die
Berufsaus- und Berufsumbildung der Kriegsbeschädigten bestehen. Es
soll dadurch vor allem verhindert werden, daß die aus den Lazaretten
entlassenen Kriegsbeschädigten, die bereits am Unterricht teilnahmen
sich zu ihren Ersatztruppenteilen begeben und so den Unterricht unter-
brechen, wenn nicht aufgeben missen. Können sie aber, anstatt zum
Ersatztruppenteil entsandt zu werden, in einem Lazarett gesammelt
werden, {o nehmen die begonnenen Fürsorgemaßnahmen ihren ungestörten
Fortgang und können zum Wohle der Kriegsbeschädigten sach- und
ordnungsgemäß zu Ende geführt werden. Da aber die Erhaltung der
Sammellazarette auch wieder erhebliche Kosten macht, oder um einer
allzu großen Ausdehnung der Sammellazarette zu begegnen, ist man noch
einen Schritt weiter gegangen und hat vorgeschlagen, die lazarett-
entlassenen Kriegsbeschädigten, welchen Unterricht erteilt wird, weder
zum Ersatztruppenteil zu entsenden noch in einem Sammellazarett zu
sammeln, sondern bis zu ihrer endgültigen Entlassung aus dem Heeres-
dienst, den Kranken-[Verwundeten- oder Genesenden-]Kompagnien ihres
1) Mitteilungen der Zentralstelle des deutschen Städtetags, a. a. O. S. 198.
140 Miszellen.
jeweiligen Lazarettaufenthaltsortes zu überweisen. Dadurch werden
gleichzeitig die Fürsorgemaßnahmen durch den Einfluß der militärischen
Disziplin gefördert.
Hinsichtlich der schulischen oder unterrichtlichen Maßnahmen für
die Berufsaus- und Berufsumbildung der Kriegsbeschädigten herrscht
ziemliche Uebereinstimmung, welche aber noch der Frage des Lazarett-
unterrichts ermangelt. Es besteht vielfach die Meinung, daß der
Kriegsbeschädigtenunterricht schon in den Lazaretten einzusetzen habe.
Dieser Auffassung kann nicht beigestimmt werden. Lazarettunterricht
als solcher, wie er am Rheine und in Süddeutschland betrieben wird,
wenn auch in kleineren Städten mit wenigen Lazaretten, wo viel-
leicht auch keine räumlichen Schwierigkeiten vorhanden sind, ist
nicht zu empfehlen. Wir verweisen auf unsere früheren Ausführungen.
Die Kriegsbeschädigten, welche sich noch in den Lazaretten be-
finden, sind einer Reihe von Zufällen ausgesetzt, durch die der Unter-
richt zu oft unterbrochen werden kann. Und dann ist es überhaupt
noch die Frage, ob die Militärbehörden es zulassen würden, daß der
Berufslehrer der Kriegsbeschädigten seine Tätigkeit schon in den
Lazaretten beginnt. Dagegen ist es richtig, was hier aber nicht näher
ausgeführt zu werden braucht, mit dem Unterricht von Kriegsbeschädigten
zu beginnen, deren Genesung schon weiter fortgeschritten ist, die aber
noch im Lazarett weilen. Der Unterricht sollte jedoch niemals in den
Lazeretten stattfinden, sondern muß reiner Fachschulunterricht sein.
Jedenfalls trifft das ganz besonders für die großen Städte schon aus
lokalen Gründen zu, wo zumeist viele Lazarette eingerichtet sind, in denen
alle zur Verfügung stehenden Räume nur für Lazarettzwecke ausgenützt
sind. Etwas anderes als der erwähnte Lazarettunterricht ist freilich die
Beschäftigung der Kriegsbeschädigten in den Lazaretten mit kleinen
Hand- und Fingerfertigkeiten, wie Kerben, Schnitzen, Ausschneiden
u. a. m., wodurch ein doppelter Zweck erfüllt wird, indem den Kriegs-
beschädigten die Langeweile genommen wird und außerdem in einer
ganzen Reihe von Fällen dahin gewirkt werden kann, die infolge von
Verletzungen steif oder schwerbeweglich gewordenen Finger oder Hand-
gelenke wieder langsam an die früheren Bewegungen zu gewöhnen.
Diese Einrichtung verfolgt ein physisches und ein psychisches Ziel und
ist und bleibt von Anfang bis Ende ohne jeden Einfluß auf die spätere
Berufsausbildung der Kriegsbeschädigten. Ihre Zweckmäßigkeit ist
auch schon hier und da anerkannt worden, und man kann in manchen
Lazaretten eine solche für die Kriegsbeschädigten durchaus segens-
reiche Tätigkeit beobachten.
Während sich die ganze großzügige Kriegsbeschädigtenfürsorge von
Anfang an darauf eingestellt hat, für die Massen der beschädigten
Feldzugsteilnehmer eine volkswirtschaftliche Fürsorge auszuüben, so
haben sich nach und nach einige, wie wir sie wohl nennen dürfen,
Spezialeinrichtungen zur Fürsorge für die kriegsbeschädigten Angehörigen
bestimmter Kreise gleichsam zur Ergänzung der allgemeinen sozialen
Kriegsbeschädigtenfürsorge, gewissermaßen um sie zu entlasten, ge-
bildet, was praktisch sehr zweckmäßig und bemerkenswert ist und sich
Miszellen. 14i
zweifellos mit der Zeit bewähren dürfte. So kommt eine besondere
Fürsorge für die kriegsbeschädigten Angehörigen der akademischen
Berufe zum Ausdruck im Akademischen Hilfsbund, dann besteht ein
Deutscher Hilfsbund für kriegsverletzte Offiziere, die Kriegsbeschä-
digtenfürsorge der preußisch-hessischen Staatseisenbahnen und der
Reichseisenbahnen will ihren kriegsbeschädigten Bediensteten und deren
Söhnen eine besondere Fürsorge zuteil werden lassen, eine Kriegshilfe
für technische Berufsstände ist gebildet worden, um bei der Fürsorge
für kriegsbeschädigte Angehörige der technischen Berufe insbesondere
durch Stellenvermittlung mitzuwirken, der Reichsverband für den deut-
schen Gartenbau hat einen Fürsorgeausschuß für kriegsbeschädigte
Gärtner und aus anderen Berufen der Gärtnerei zu überweisende
Invalide geschaffen, die Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände
hat ebenfalls eine besondere Fürsorge für die kriegsbeschädigten
Arbeitnehmer zugesagt, Beachtung verdienen die Leitsätze des deut-
schen Industrieschutzverbandes über die Verwendungsmöglichkeiten von
Kriegsbeschädigten in der Industrie, und an zahlreichen anderen Stellen
sind ähnliche besondere Füürsorgeeinrichtungen entstanden, um im Sinne
unserer großen allgemeinen Kriegsbeschädigtenfürsorge für die An-
gehörigen einzelner Berufsstände eine weitere besonders intensive Für-
sorge ausüben zu können.
Es bleiben noch viele Einzelfragen in diesem Zusammenhange zu
erörtern, denn je mehr man sich mit einem Problem beschäftigt und
je tiefer man bei der Bearbeitung einer wissenschaftlichen und zudem
noch praktischen Materie, wie es eben bei der Kriegsbeschädigtenfür-
sorge nun einmal der Fall ist, ins einzelne geht, um so mehr häufen
sich die Einzelfragen. Es kann und soll aber auch nicht unsere Auf-
gabe sein, hier völlig erschöpfend zu sein, wenn wir auch an einigen
Stellen versucht haben, es in gewisser Beziehung zu sein. So bringen
wir nun unsere Darstellung zum Abschluß, indem wir nur noch kurz
das andeuten, was von besonderem Interesse und größerer Wichtigkeit
sein dürfte.
Da ist vor allem die Beteiligung der deutschen Sozialversicherung
an den Bestrebungen der Kriegsbeschädigtenfürsorge zu nennen. Die
Landesversicherungsanstalten haben in zwei großen Versammlungen Ende
August 1914 und April 1915 mit Zustimmung des Reichsversicherungs-
amts wichtige Entschlüsse in dieser Beziehung gefaßt und ausreichende
Mittel zu Zwecken ‘der Kriegsbeschädigtenfürsorge zur Verfügung ge-
stellt. Sie erblicken fortan in der Berufsberatung und der Berufsaus-
und -umbildung der Kriegsbeschädigten, die Rechte aus ihrer Versiche-
rungspflicht ableiten können, einen Teil des Heilverfahrens zur Ver-
hütung frühzeitiger Invalidität und übernehmen dafür Kosten, sofern
das nicht schon anderweit erfolgt ist. Für den Angehörigen der An-
gestelltenversicherung bestehen entsprechende Vergünstigungen !).
1) Ausführlich über die Mitwirkung der Träger der Sozialversicherung bei der
Krieg<beschädigtenfürsorge ef. Hanauer, Der Krieg und die deutsche Arbeiterversiche-
rung in diesen „Jahrbüchern“ Bd. 105, Heft 4 (Oktober 1915), 8. 521, auch Bäder
und Anstaltsfürsorge,
142 Miszellen.
Die Arbeitsvermittlung der Kriegsbeschädigten erfordert mitunter
nicht wenig Mühe und methodische Behandlung, bei der vor allem dem
besonderen Wesen der zu vermittelnden Personen, Menschen mit be-
stimmten körperlichen Schäden, wie es eben bei unseren Kriegsbeschädigten
der Fall ist, in möglichst individueller Weise Rechnung getragen werden
muß. Darum erscheint es zweckmäßig, wenn in erster Linie die Kriegs-
beschädigtenfürsorge selbst die Arbeitsvermittlung ihrer Kriegsbeschä-
digten betreibt, dann sind die öffentlichen Arbeitsnachweise heran-
zuziehen, und es darf festgestellt werden, daß die 20 deutschen Arbeits-
nachweisverbände übereinstimmend erklärt haben, auch die Arbeitsvermitt-
lung der Kriegsbeschädigten zu übernehmen und zu diesem Zwecke schon
vielfach besondere Stellenlisten herausgegeben haben, und drittens die
Vertretungen der Arbeitgeber und -nehmer in Handel, Industrie und
Gewerbe. Vor allem muß aber ein sachgemäßes Zusammenarbeiten der
Kriegsbeschädigtenfürsorge so zeitig als möglich angestrebt werden.
Von Interesse ist die Frage nach den Mitteln, mit denen die doch
immer noch zum größten Teile private Kriegsbeschädigtenfürsorge der
freien Organisationen arbeitet. In erster Linie kamen hierfür früher
und auch jetzt noch freiwillige Spenden von Verbänden, Vereinen, be-
sondere Stiftungen !), den Landesversicherungsanstalten usw. sowie private
Zuschüsse in Betracht. Seitdem aber die provinzielle und staatliche,
teils mittelbare, teils unmittelbare, Beteiligung an der Kriegsbeschädigten-
fürsorge in die Wege geleitet worden ist, sind eine ganze Reihe von
Beiträgen von Amts wegen geleistet worden, wenn auch unter Vorbehalt
der späteren Wiedererstattung aus den Mitteln des Reichs. Endlich
sind vom Bundesrat am 6. Mai 1915 5 Mill. M. aus Reichsmitteln
für die Zwecke der Kriegsbeschädigtenfürsorge zur Verfügung gestellt,
die den Bundesstaaten nach dem Maßstab der Matrikularbeiträge über-
wiesen worden sind.
Aus den Mitteln der Kriegsbeschädigtenfürsorge müssen die Kosten
der Berufsberatung, der Berufsaus- und Berufsumbildung bestritten
werden, soweit der Kriegsbeschädigtenunterricht nicht ehrenamtlich er-
teilt wird. Dann ist weiter unter Umständen die Uebernahme des Heil-
verfahrens und die Beschaffung künstlicher Glieder oder von Arbeits-
hilfen vorgesehen, soweit hierfür nicht schon von anderer Seite aus
gesorgt sein sollte. Hinsichtlich der Ansiedlung der Kriegsbeschädigten
hat man wegen der eventuellen Uebernahme von größeren Zahlungen
für die Ankäufe der Güter noch keine bestimmten Entscheidungen ge-
troffen. Möglich ist es, daß sich hierbei vielleicht die Städte mitbe-
teiligen oder die provinziellen und staatlichen Träger der Kriegs-
beschädigtenfürsorge größere Mittel dafür bereitstellen. Im übrigen
sei hier anmerkungsweise auf die Entstehung der ersten Rentengüter in
Hannover hingewiesen, die dort im Kreise Fallingbostel in der Kolonie
Cordingen geschaffen worden sind ?). Zu betonen ist aber, daß für ge-
1) Es sei nur erinnert an die Vaterlandsspende zur Errichtung deut-
scher Kriegsbeschädigten-Heime, eine milde Stiftung in Berlin.
2) Die Kriegsbeschädigtenfürsorge, 1. Jahrg. 1915, No. 1, 8. 47,
Miszellen. 143
wöhnlich bare Geldunterstützungen nicht Sache der Kriegsbeschädigten-
fürsorge sind, welche im Gegenteil den Kriegsbeschädigten von der
Notwendigkeit, solcher Unterstützungen zu bedürfen, durch Verschaffung
einer Erwerbstätigkeit befreien will. Im Falle wirklicher Not, die
natürlich eintreten kann, müssen dann eben das Rote Kreuz und andere
wohltätige Vereine helfen zu können bereit sein, wie es ja auch schon
praktisch gehandhabt wird.
Es darf nicht außer acht gelassen werden, daß auch auf dem Ge-
biete der Kriegsbeschädigtenfürsorge das Vorhandensein einer zuver-
lässigen Statistik Bedingung ist. In diesem gewaltigen Kriege, den wir
jetzt und wahrscheinlich auch noch eine geraume Zeit länger führen
müssen, ist der Wert der statistischen Methode auf vielen Gebieten
öffentlicher und privater Tätigkeit öfter zutage getreten. Wir brauchen
nur an die ungeheure Wichtigkeit der Frage der deutschen Volksernäh-
rung im Kriege und ihre zahllosen Begleiterscheinungen wie Vorrats-
aufnahmen u. a. zu denken. So muß es auch eine gute Statistik der
Kriegsbeschädigtenfürsorge geben, worauf besonders hingewiesen und
betont sei, darauf bei der Gründung und Eröffnung neuer Fürsorgestellen
zu achten. Es muß dabei Wert darauf gelegt werden, die Geschäfts-
führung sogleich tei ihrer Einrichtung so zu gestalten, daß die vorhandenen
Unterlagen die Aufstellung einer zuverlässigen Statistik ohne weiteres
ermöglichen. Daß das Verfahren dann zentralisiert werden muß und
die Fürsorgestellen eines Kreises, eines Regierungsbezirks, einer Pro-
vinz oder eines Staates einheitlich berichten, ist wohl selbstverständ-
lich. Nur auf diese Weise wird dann auch auf dem Gebiete der Kriegs-
beschädigtenfürsorge eine gute Statistik geschaffen werden können.
Zum Schlusse seien die Stichworte der Punkte, die im Nachtrag (IV)
berührt worden sind, noch einmal kurz zusammengefaßt: Literatur, Vor-
träge, Versammlungen und Tagungen, Ausstellungen, Lehrgänge; Organi-
sation; Berufsberatung; Militärische Kriegsbeschädigtenfürsorge; Zu-
sammenarbeiten der Militär- und Zivilbehörden und privaten Kreise;
Sammellazarette und -kompagnien; Heranziehung der Bezirkskommandos ;
Lazarettunterricht und Fachschulunterricht; Besondere Kriegsbeschä-
digtenfürsorge-Einrichtungen einzelner Berufe; Beteiligung der Träger
der Sozialversicherung; Arbeitsvermittlung; Geldmittel; Ansiedlung und
endlich die Bedeutung einer zuverlässigen Statistik der Kriegsbeschä-
digtenfürsorge. Schließlich ist noch der sehr beachtenswerte Umstand
zu erwähnen, daß seit einiger Zeit die Kriegsbeschädigten in steigendem
Maße bei den militärischen Bekleidungsämtern beschäftigt werden.
Aus der Fülle des vorliegenden Materials und dem Gesagten er-
gibt sich, daß auf dem Gebiete der Kriegsbeschädigtenfürsorge bereits
unendlich viel geleistet worden ist, aber auch noch sehr viel zu tun
übrigbleibt. Die einschlägigen Fragen werden immer spezialisierter,
die Praxis bringt von Tag zu Tag neue Gesichtspunkte hervor und
gibt den Beteiligten Aufgaben zu lösen, die hohe Anforderungen an sie
stellen. Und darum muß die Kriegsbeschädigtenfürsorge so zeitig wie
möglich einsetzen und schon während des Krieges mit allen Mitteln
betrieben werden. Je länger dieses gewaltige Völkerringen geht, um
144 Miszellen.
so größer wird die Zahl der Kriegsbeschädigten, desto schwerer die
Aufgabe, sie alle der Volkswirtschaft zu erhalten. Es ist eine der ersten
Pflichten der Kriegsbeschädigtenfürsorge, allen Kriegsbeschädigten so-
weit wie möglich noch während des Krieges eine Erwerbstätigkeit zu
verschaffen, denn wenn nach der Beendigung des Krieges etwa 10 Mill.
entlassene gesunde Erwerbstätige den Arbeitsmarkt überschwemmen,
wird es schwer werden, daneben noch die Kriegsbeschädigten unter-
zubringen. Wenn also gesagt wird, die Kriegsbeschädigtenfürsorge muß
schon während des Krieges so stark wie nur möglich gepflegt werden,
so wird damit keine neue Frage des Problems aufgeworfen, sondern eine
Selbstverständlichkeit zum Ausdruck gebracht, in der eine unbedingte
Notwendigkeit für die glatte Durchführung unserer jetzigen Kriegswirt-
schaft begründet ist, in der aber auch gleichzeitig die Bedingung ge-
geben ist für den zweckmäßigen und glatten Uebergang vom wirtschaft-
lichen Kriegszustand zum wirtschaftlichen Friedenszustand, zu einer
neuen, von dauerndem Frieden bewahrten Zeit ausgedehntester wirt-
schaftlicher Weiterentwicklung eines siegreichen Deutschland. (6. €.)
Abgeschlossen Mitte Dezember 1915.
Miszellen. 145
II.
Zur künftigen Entwicklung des Arbeitsnachweises
in Deutschland.
Von Dr. v. Stojentin-Berlin.
Die Frage des Arbeitsnachweises beschäftigt zurzeit weite Kreise
der Bevölkerung, in gleichem Maße die Regierungen des Reiches und
der Bundesstaaten, die Städte, die Arbeitgeber und Arbeiter und deren
Organisationen. Das ist begreiflich, weil nach Beendigung des Krieges
die möglichst glatte Unterbringung der Millionen zur Entlassung
kommender und aus dem Felde zurückkehrender Leute, die Versorgung
aller mit Arbeit, eines der wichtigsten und aktuellsten Probleme dar-
stellt.
Die Lösung dieser Aufgabe hängt grundsätzlich und in erster Linie
vom Vorhandensein genügender Arbeitsgelegenheit für
alle Zurückkehrenden ab. Denn auch die beste und vollkommenste
Organisation der Arbeitsvermittlung vermag etwaiger Arbeitslosigkeit
weder zu steuern noch vorzubeugen. Der Arbeitsnachweis kann seines
Amtes nur dann zufriedenstellend walten, wenn das Bedürfnis an
Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt der Zahl der Arbeitsuchenden
proportional ist. Ob letzteres nach Beendigung des Krieges der Fall
sein wird, hängt aber ausschließlich von dem Umstande ab, ob unser
wirtschaftliches Leben sich nach dem Kriege in aufsteigender Linie be-
wegen, ob das deutsche Gewerbe, Industrie, Landwirtschaft und Hand-
werk, sich in vollem Umfange wird entfalten können. Vorhersagen sind
in dieser Hinsicht kaum möglich, denn der Gang der Entwicklung des
wirtschaftlichen Lebens Deutschlands hängt vom endlichen Ausgang
des Krieges und davon ab, welche Regelung der Dinge uns der Friede
bescheren wird.
Die Voraussicht freilich läßt im Falle eines günstigen Ergebnisses
in letzterer Hinsicht erwarten, daß vor allem die deutsche Industrie
der deutschen Arbeiterbevölkerung in hohem Maße Beschäftigung
bringen wird, weil fast in allen Zweigen des wirtschaftlichen Lebens
der normale Konsum der Bevölkerung nun mehr als 16 Monate hinter
den Ansprüchen für die Heeresverwaltung hat zurücktreten müssen, die
zur Versorgung ihrer Bedürfnisse die wesentlichsten Erzeugnisse der
Metall-, Textil-, chemischen Industrie usw. für sich in Anspruch ge-
nommen und vor allem die für die meisten Industrien benötigten Roh-
stoffe mit Beschlag belegt hat. Deshalb hat sich, wie bei der Nahrungs-
mittelversorgung, ein großer Teil der Bevölkerung auch bei der Ver-
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd.'106 (Dritte Folge Bd. 51). 10
146 Miszellen.
sorgung mit den meisten anderen für das tägliche Leben notwendigen
Gegenständen aus den verschiedensten Gründen seit Monaten die
größte Einschränkung auferlegen müssen. Nicht bloß in der Tuch- und
Baumwollenindustrie, sondern auch in den Produkten der meisten
anderen Industriezweige sind die vorhandenen Lager von Fertigfabrikaten
fast vollständig geräumt und bedürfen von Grund aus neuer Auffüllung.
Ein weiteres beachtliches Moment dafür, daß mit dem Vorhandensein
genügender Arbeitsgelegenheit nach Friedensschluß unter den vorher
bezeichneten Bedingungen gerechnet werden darf, bildet der Umstand,
daß die zur Bewältigung der wirtschaftlichen Produktion in Landwirt-
schaft und Industrie benötigten Arbeitskräfte durch die im Kriege
erlittenen Verluste eine ungeheure Verminderung erfahren haben,
ein Verlust, der sich um so merkbarer fühlbar machen mul, als In-
dustrie und Landwirtschaft vor Ausbruch des Krieges mehr als eine
Million Ausländer heranziehen mußten, um ihre Betriebe aufrecht er-
halten zu können!), Wohl wird nach Beendigung des Krieges der
Mangel an Rohstoffen und Kapital die volle Beschäftigung der In-
dustrie zunächst noch eine kurze Zeit hintanhalten, doch dürften diese
Mängel wohl bald überwunden werden. Dabei ist auch zu berück-
sichtigen, daß die Auflösung des Millionenheeres kaum mit einem Schlage
vor sich gehen, daß nicht mit einem Male die gewaltigen Massen von
Arbeitern zurückfluten werden, sondern daß die Entlassungen Schritt
für Schritt und planmäßig vor sich gehen ?) und daß ansehnliche Truppen-
mengen noch auf längere Zeit hinaus in den okkupierten Gebieten unter
Waffen gehalten werden müssen.
Alle diese Umstände lassen in ihrer Gesamtheit erhoffen, daß eine
allgemeine Arbeitslosigkeit in merklichem Umfange nach dem Kriege
kaum eintreten wird, daß vielmehr eher mit einem Mangel an Arbeitern
zu rechnen ist. Dessenungeachtet ist es aber ein dringendes Ge-
bot, rechtzeitig dafür zu sorgen, daß die planmäßige Regelung des
Rückstromes der zur Entlassung kommenden Arbeitermassen in die
Wege geleitet wird. Mit Recht hat die Reichsregierung die Lösung
dieser Aufgabe nicht aus dem Auge gelassen und im Verein mit den
Vertretern der Gemeinden und der Organisationen der Arbeitgeber
und Arbeiter beraten, was geschehen muß, um dem bezeichneten Er-
fordernis Rechnung zu tragen. Dazu gilt es vor allem, sich darüber
schlüssig zu werden, ob und in welchem Maße die vorhandenen Arbeits-
nachweiseinrichtungen den Anforderungen, die zur Regelung des Arbeits-
marktes gestellt werden müssen, genügen oder etwa aus- bzw. umzu-
gestalten sind.
Der Reichstag hat sich in seiner Tagung vom März v. J. eingehend
mit dieser Frage beschäftigt und sich dabei im wesentlichen den Forde-
1) Bodenstein und v. Stojentin, Der Arbeitsmarkt in Industrie und Landwirtschaft.
v. Stojentin, Bericht über den Stand der landwirtschaftlichen Arbeitsvermittelung, in:
Schriften des Verbandes Deutscher Arbeitsnachweise, No. 8, S. 173—225.
2) Vgl. hierzu die Ausführungen des Grafen Westarp und des Staatssekretärs des
Innern in der Reichstagssitzung vom 19. März 1915. Reichstagsbericht der 7. Sitzung,
13. Legislaturperiode, II. Session, 8. 77 (B) und S. 84 (C).
Miszellen. 147
rungen angeschlossen, welche die Gewerkschaften zur Regelung
des Arbeitsnachweises aufgestellt haben. Die bezüglichen Vorschläge
gipfeln in folgenden Leitsätzen:
„Die Erfahrungen in der Arbeitsvermittlung, besonders bei dem Kriegs-
ausbruch, haben große Mängel des Arbeitsnachweises dargetan, die eine energische
Reform im Interesse unserer gesamten heimischen Volkswirtschaft, auch schon
während des Krieges, notwendig erscheinen lassen. Der Arbeitsnachweis wird seine
Aufgabe nur dann erfüllen, wenn er Angebot und Nachfrage auf dem gesamten
Arbeitsmarkt regelt. Außer dieser seiner wichtigsten a wird er die Unter-
lage schaffen müssen für eine zuverlässige Arbeitslosenzählung und der Arbeits-
losenversicherung durch Staat und Gemeinde als wichtige Kontrolleinrichtung und
Hilfsorganisation zu dienen haben. Die Vorbedingung für eine ersprießliche
Tätigkeit wird eine einheitliche Organisation sein, die unter Berücksichtigung der
Berufsverhältnisse örtlich gegliedert sein muß. Die örtlichen Organisationen
müssen zu Bezirksverbänden zusammengefaßt sein, die wiederum in Verbindung
mit einer Reichszentrale stehen. In einer solchen Organisation läßt sich der
wechselnde Anspruch des Arbeitsmarktes erkennen und lassen sich die in unserem
heutigen Wirtschaftssystem notwendigen Verschiebungen der Arbeitskräfte diri-
gieren.“
Für solche Neuorganisation des Arbeitsnachweises durch ein Reichs-
gesetz wird im wesentlichen gefordert die obligatorische Einrichtung
eines zu gleichen Teilen aus Vertretern der Arbeiter und Unternehmer
auf Grund einer Verhältniswahl zusammengesetzten und unter der
Leitung eines unparteiischen Vorsitzenden stehenden Arbeitsamtes
in jeder größeren Stadt bzw. für jeden Bezirk von Landgemeinden und
kleineren Städten. Dem Arbeitsamt sollen alle Arbeitsnachweise des
Bezirks unterstellt sein. Die Arbeitsämter sollen ihrerseits zusammen-
gefaßt werden durch Bezirks- und Landesämter und schließlich durch
ein Reichsarbeitsamt, dessen Zusammensetzung durch die gleichen
Vorschriften wie für die Arbeitsämter geregelt ist. Die Wahl der Be-
amten der Arbeitsämter usw. soll durch die Verwaltung des Arbeits-
amtes stattfindan. Im Bezirk jedes Arbeitsamtes sollen öffentliche
Arbeitsnachweise, möglichst mit beruflicher Gliederung, errichtet
und von den Gemeinden unterhalten werden.
Die Grundsätze zu einem diese Organisation in die Wege leitenden
Reichsgesetz wurden auf einer von der Generalkommission der freien
Gewerkschaften am 10. Februar 1915 abgehaltenen und von Vertretern
aller Gewerkschaftsrichtungen — die wirtschaftsfriedlichen Werk-
vereine waren dazu allerdings nicht eingeladen — besuchten Versamm-
lung erörtert. Auf dieser waren außerdem die Vertreter der Reichs-
und Staatsregierungen, des Deutschen Städtetages, des Verbandes
Deutscher Arbeitsnachweise, der Gesellschaft für soziale Reform und
der Zentralstelle für Volkswohlfahrt anwesend. Eine durch die Ver-
sammlung berufene, aus Vertretern der 4 Gewerkschaftsrichtungen so-
wie Delegierten der Gesellschaft für Soziale Reform bestehende Kom-
mission verfaßte sodann den Entwurf zu dem vorher erörterten Reichs-
gesetz, das dem Reichstage in seiner Märztagung desselben Jahres
zur Beschlußfassung vorlag 1).
1) Correspondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands,
Jahrg. 20, No. 8, 8. 81 u. f.
10*
148 Miszellen.
Die Budgetkommission des Reichstages, die mit der Vorberatung
des fraglichen Entwurfes sich zu befassen hatte!) hat den von den
Gewerkschaften vorgelegten Antrag unverändert angenommen, wiewohl
der Staatssekretär des Innern warnend auf die entgegenstehenden Be-
denken hingewiesen hatte. Auch in der Reichstagssitzung vom 19. März
fand der in Rede stehende Gesetzentwurf die Zustimmung sämtlicher
Vertreter der bürgerlichen Parteien. Von deren Wortführern, den Ab-
geordneten Bassermann und Weinhausen, erklärte ersterer unter anderem
ausdrücklich: „Den Beschlüssen des Reichstages in der Budgetkommission
liegen die Leitsätze zugrunde, die von den großen Arbeiterorganisationen
— von der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, dem
Gesamtverbande der christlichen Gewerkschaften Deutschlands, dem Ver-
bande der deutschen Gewerkvereine und der polnischen Berufsvereini-
gung — aufgestellt sind. Den organisatorischen Gedanken, der
diesen Leitsätzen zugrunde liegt, möchte ich für meine
Freunde akzeptieren.“ Schließlich befürwortete Bassermann, ent-
sprechend dem Antrage der Kommission, den sofortigen Erlaß des vor-
gelegten Gesetzentwurfes und erklärte, daß, wenn infolge der Weit-
schweifigkeit und Schwierigkeit der Materie es nicht möglich sei, während
des Krieges schon ein Gesetz zum Abschluß zu bringen, die notwendi-
gen dringlichen Bestimmungen im Wege eines Notgesetzes vorgenommen
werden müßten. Dazu sei der Reichstag bereit.
In gleicher Weise äußerte der Abgeordnete Weinhausen: „Diesem
Antrage (d. h. der Budgetkommission) können wir um so mehr zustimmen,
als er aus eingehenden Beratungen derjenigen hervorgegangen ist, die
mit den praktischen Erfordernissen der Arbeitsnachweise am meisten
Bescheid wissen. Alle gewerkschaftlichen Richtungen stimmen darin
überein, daß diese Organisation geschaffen werden muß.“
Die gewerkschaftlichen Vertreter des Gesetzentwurfes, die Abge-
ordneten Schmidt Berlin und Giesberts kennzeichneten in ihren Aus-
führungen die derzeitige Organisation des Arbeitsnachweises als unzu-
reichend, was die Erfahrungen während des Krieges deutlich gezeigt
hätten, und wiesen darauf hin, daß schon um deswillen das Gesetz ge-
schaffen werden müsse, um eine Grundlage für die gesetzliche Regelung
der Arbeitslosenunterstützung abzugeben, die nicht länger mehr hinaus-
geschoben werden dürfe.
Sehr bemerkenswert für die Sache waren die Ausführungen des
Abgeordneten Bauer, die die treibende Ursache des gewerkschaftlichen
Vorgehens, wie nachher des näheren darzulegen sein wird, klar erkennen
lassen. Nachdem Bauer die Unternehmerarbeitsnachweise als „Kampf-
organe“ gekennzeichnet hatte, die zu schweren wirtschaftlichen Kämpfen,
zu großen Erschütterungen des wirtschaftlichen Lebens geführt hätten,
führte er weiter aus, daß die Arbeiter paritätische Arbeitsnach-
weise verlangten, bei denen sie gleichzeitig ein Recht der Mitwirkung
hätten. Sie hätten, um die Einrichtung der einseitigen Unternehmer-
1) Bericht der Budgetkommission des Reichstages vom 15. März 1915. Reichs-
tagsdrucksachen, 13. Legislaturperiode, II. Session 1914/15.
Miszellen, 149
arbeitsnachweise zu verhindern, erbitterte Kämpfe führen müssen, die
große wirtschaftliche Schädigungen hervorgerufen haben. Der Wunsch
aller Gewerkschaftsrichtungen sei — und das ist beachtenswert —
ein vollkommener Neuaufbau des Arbeitsnachweises,
um denselben den wirtschaftlichen politischen Kämpfen zu entziehen;
die wirtschaftlichen Kämpfe zwischen Arbeitgebern und Arbeitern würden
nach dem Kriege nicht zurückgehen, sondern wahrscheinlich zunehmen.
Deshalb sollte der Arbeitsnachweis dem Streite der Parteien entzogen,
neutralisiert werden „durch einen Aufbau des ganzen Arbeits-
nachweiswesens auf paritätischer Grundlage“.
Gegenüber diesen Ausführungen erklärte der Staatssekretär des
Innern, daß allerdings unsere Arbeitsnachweise noch nicht überall auf
der Höhe seien, und daß die Organisation unseres Arbeitsnachweis-
wesens noch der bessernden Hand bedürfte. „Ich habe aber auch dar-
auf hingewiesen“ — so führt er aus — „daß die Schwierigkeit
beider Lösung dieser Aufgabe in allererster Linie in
der Vielgestaltigkeit der leistungsfähigen und lebens-
kräftigen Organisationen liegt, die sich dank der Frei-
heit, die ihnen unsere Gesetzgebung gelassen hat, im
Laufe der Jahrzehnte entwickelt haben.“ Wenn er auch
mit den Vertretern des Gesetzentwurfes verschiedener Meinung über
die Mittel sei, sei er einig mit denselben über das Ziel und er wolle
alles daran setzen, um dieses Ziel mit Hilfe der beteiligten
Organisationen und Berufsstände zu erreichen. Mit einer
gewissen, nicht unberechtigten Schärfe betonte der Staatssekretär,
daß es sehr viel leichter sei, sich über Maßnahmen zu einigen, die für
die Dauer des Krieges gelten sollten, als über Maßnahmen, die über
den Krieg hinaus völlig neue Grundlagen für die Lösung viel um-
strittener Fragen zu schaffen bestimmt seien. Und im Hinblick auf die
Ausführungen des Abgeerdneten Bauer bemerkte er in schätzenswerter
Erkenntnis der wirklichen Sachlage, daß es für die Regierung nicht
angängig sei, eine Materie, in der sich die Interessengegensätze so
schroff wie gerade bei der Frage des Arbeitsnachweises gegenüber-
stünden, in dem Augenblicke gesetzlich zu regeln, „wo man versucht,
eine für die Dauer bestimmte Einrichtung unter dem
Druck der Verhältnisse einzuführen“ 1).
Es ist für die Beurteilung der Verhältnisse und deren weitere
Entwicklung nicht ohne Wert, den eigentlichen Gründen nachzu-
gehen, welche den heutigen Stand der Dinge herbeigeführt haben.
Dazu ist es nötig, einen kurzen Blick auf die verschiedenen Abschnitte
der geschichtlichen Entwicklung des Arbeitsnachweiswesens in Deutsch-
land zu werfen, weil nur so die Absicht und die Gründe, welche die
Gewerkschaften zu dem starken Druck auf reichsgesetzliche Regelung
des Arbeitsnachweises während des Krieges veranlassen, in ihrer vollen
Bedeutung und Tragweite verständlich werden.
1) Beichstagsbericht der 7. Sitzung (15. März 1915), 8. 77 —90.
150 Miszellen.
Sowohl nach der Zahl der bestehenden Arbeitsnachweise wie nach
der Zahl der von ihnen vermittelten Personen steht von den auf dem
Gebiete des Arbeisnachweiswesens in Deutschland tätigen Organisations-
formen an erster Stelle der gemeindliche und öffentliche Arbeitsnach-
weis, wie aus den statistischen Mitteilungen der dem Reichstage in
seiner Dezembersitzung soeben vom Reichsamte des Innern überreichten
„Denkschrift über Maßnahmen auf dem Gebiete des
Arbeitsnach weises“ ziffernmäßig hervorgeht. Erst seit etwa dem
Jahre 1892 von einzelnen Großstädten ins Leben gerufen, haben die
Arbeitsnachweise der Städte an Zahl und Bedeutung zugenommen, so
daß die Summe der gemeindlichen und öffentlich unterstützten Arbeits-
nachweise im Jahre 1914, zufolge der Mitteilungen der vorerwähnten
Denkschrift, 384, die von ihnen betätigte Vermittlung nach ihren Be-
richten mehr als, 2,1 Million Personen betrug.
Der gewaltige Aufschwung, den die Organisation der städtischen
Arbeitsvermittlung in der verhältnismäßig kurzen Zeit ihres Bestehens
genommen hat, ist nicht zum wenigsten auf den Zusammenschluß der
gemeindlichen Arbeitsnachweise zu einer Gesamtorganisation in
dem im Jahre 1898 begründeten Verbande Deutscher Arbeitsnachweise
zurückzuführen, der planmäßig und unermüdlich für die Einrichtung
von Arbeitsnachweisen in möglichst allen deutschen Städten und Bundes-
staaten eingetreten ist, die Zusammenfassung der einzelnen Arbeits-
nachweise in Bezirks-, Provinzial- und Landesverbänden erfolgreich
betrieben, die einheitliche Leitung der Gesamtorganisation und der
Bewegung zugunsten der städtischen Arbeitsnachweise immer aber in
seiner Hand zu behalten gewußt hat.
Das an sich begreifliche Bestreben nach größtmöglichster Aus-
breitung der gemeindlichen Arbeitsnachweise führte den Verband Deut-
scher Arbeitsnachweise dazu, die übrigen Organisationsformen des
Arbeitsnachweises mit recht erheblicher Schägfe zu bekämpfen in der
ausgesprochenen Absicht, diese nach Möglichkeit ganz zu beseitigen
und den öffentlichen Arbeitsnachweisen die Alleinherrschaft zu sichern).
Vornehmlich richtete sich solcher Kampf gegen die Arbeitgeber-
arbeitsnachweise der Industrie, welche schon wenige Jahre
nach ihrer Begründung nicht bloß den Umfang der Vermittlungstätig-
keit der öffentlichen Arbeitsnachweise ziffernmäßig nahezu erreichten,
sondern diese auch auf dem Gebiete des Arbeitsmarktes an Einfluß fast
überflügelteu.
Die inneren Ursachen zu dem feindlichen Verhalten der gemeind-
lichen Arbeitsnachweise gerade gegen die Arbeitgeberarbeitsnachweise
sind im wesentlichen darin zu erblicken, daß von den gemeindlichen
Arbeitsnachweisen und naturgemäß auch vom Verband Deutscher Ar-
beitsnachweise es von Anfang an zu einem Dogma der Arbeitsnachweis-
organisation erhoben wurde, daß die Arbeitsnachweise paritätisch
sein müßten und daß lediglich auf solcher Grundlage die
1) Vgl. hierzu Altenrath, Arbeitsvermittlung und Berufsberatung in der Kriegs-
zeit, in: Concordia, Zeitschrift des Vereins für Volkswohlfahrt, Jahrg. 22, No. 21,
S. 358.
Miszellen. 151
Unparteilichkeit des Arbeitsnachweises gewährleistet sei. Mit der
Anerkennung und Durchführung dieses Prinzips trug der Verband
Deutscher Arbeitsnachweise einer mit besonderem Nachdruck ver-
tretenen Forderung der freien Gewerkschaften Rechnung, welche sich
auf diesem Wege einen ausschlaggebenden Einfluß auf die Verwaltung
der städtischen Arbeitsnachweise und auf die Anstellung der bei diesen
tätigen Beamten zu sichern suchten. Welche Bedeutung das aber in
den wirtschaftlichen Kämpfen der Gewerkschaften gegen die Unter-
nehmer — bei Streik und Boykott — hat, bedarf wohl keiner weiteren
Erörterung; es sei in dieser Hinsicht nur hingewiesen auf die allmäh-
lich immer weiter gehenden Ansprüche der Gewerkschaften an die
städtischen Arbeitsnachweise hinsichtlich der Handhabung der Ver-
mittlung bei Streik, Aussperrung und dergl. mehr, wie sie in voller
Breite auf dem Gewerkschaftskongreß in München im Jahre 1908 offen
zum Ausdruck gebracht worden sind. An der Hand von Tatsachen
kann nicht vereinzelt nachgewiesen werden, wie die von den Arbeiter-
vertretern auf ihre Weise ausgelegte „Parität“ bei dem städtischen
Arbeitsnachweis die Handhabe geboten hat, mit der die Gewerkschaften
stellenweise die regelrechte Beherrschung großstädtischer Arbeitsnach-
weise erlangt haben.
Es ist begreiflich, daß unter solchen Umständen die Arbeiter-
organisationen uneingeschränkt der Einrichtung gemeindlicher Arbeits-
nachweise das Wort redeten und die Betätigung des Verbandes
Deutscher Arbeitsnachweise in jeder Weise förderten und unterstützten.
Dieses irnige Verhältnis, das dem ersten Abschnitt der Entwicklung
jenes Verbandes den Charakter aufdrückt, erfuhr, etwa vom Jahre 1908
beginnend, eine an Schärfe stetig zunehmende Spannung, die schließlich
zu offener Freindschaft führte.
Aehnlich wie zu den industriellen Arbeitgeberarbeitsnachweisen
stand der Verband der deutschen Arbeitsnachweise auch zu den gegen
Ende der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts eingerichteten und
schnell zu kraftvoller Gestaltung emporgeblühten Arbeitsnachweisen der
Landwirtschaftskammern zunächst in einem widerstrebenden Verhältnis.
Die gemeindlichen Arbeitsnachweise sahen die landwirtschaftlichen
Arbeitsnachweise als Arbeitgeberarbeitsnachweise an und traten ihnen
dementsprechend gegenüber. Diese Anschauung lehnten aber die Land-
wirtschaftskammern als eine irrige ab, indem sie darauf hinwiesen,
daß ihre Arbeitsnachweise Einrichtungen öffentlich-rechtlicher Natur
und deshalb ohne weiteres unparteiisch seien, weil die Landwirtschafts-
kammern durch das Gesetz zur Wahrnehmung der Interessen des
landwirtschaftlichen Gewerbes, mithin berufen seien, die
Rechte von Arbeitern und Arbeitgebern gleichmäßig zu vertreten.
Dieser Standpunkt wurde bei Erlaß des Stellenvermittlergesetzes aus-
drücklich durch das Gesetz anerkannt und damit die Landwirtschafts-
kammer-Arbeitsnachweise ebenso als öffentlich-rechtliche Einrichtungen,
wie die Arbeitsnachweise der Städte gesetzlich angesprochen.
Aus der bisherigen Gegnerschaft — denn auch die Arbeitsnach-
weise der Landwirtschaftskammern hatten an dem paritätischen Dogma
152 Miszellen.
der gemeindlichen Arbeitsnachweise, vor allem aber an der praktischen
Handhabung desselben starken Anstoß genommen !) — entwickelte sich
allmählich ein besseres Verhältnis, das schließlich zu einem verständnis-
vollen Zusammenarbeiten des Verbandes Deutscher Arbeitsnachweise
mit den Arbeitsnachweisen der meisten Landwirtschaftskammern, vor
allem der östlichen Provinzen Preußens, führte. Die Landwirtschafts-
kammern sowohl wie der Verband Deutscher Arbeitsnachweise erkannten
den Nutzen, den ein wohlorganisiertes und vor allem freundschaftliches
Zusammenarbeiten der Arbeitsnachweise der Gemeinden und der land-
wirtschaftlichen Korporationen, unbeschadet der vollen Selbständigkeit
und Eigenart der beiden Organisationen, sowohl dem platten Lande
wie den Städten bringen muß. Dadurch, daß die Landwirtschafts-
kammern schließlich selbst die Einrichtung von gemeindlichen Arbeits-
nachweisen in den kleineren Provinzstädten mit großem Eifer und in
ständiger Fühlung mit dem Verbande Deutscher Arbeitsnachweise in
die Hand nahmen und die Begründung der vom letzteren vorgeschla-
genen „Provinzialverbände der Arbeitsnachweise“ sachlich und materiell
nach Möglichkeit unterstützten ?), aber mit demselben Nachdruck den
gewerkschaftlichen Tendenzen auf dem Gebiete der gemeindlichen Ar-
beitsnachweisorganisation entgegentraten, vollzog sich in den Kreisen
der gemeindlichen Arbeitsnachweise eine merkliche Aenderung hin-
sichtlich der grundsätzlichen Anschauungen über die für den Ausbau
der Arbeitsnachweisorganisation notwendigen Maßnahmen; das konnte
auf die Betätigung des Verbandes Deutscher Arbeitsnachweise um so
weniger ohne Wirkung bleiben, als die Forderungen der Gewerk-
schaften immer weitgehender geworden waren und letztere mit Un-
gestüm auf eine völlige Durchsetzung ihrer Wünsche hindrängten ?),
deren Erfüllung unzweifelhaft die gemeindlichen Arbeitsnachweise der
absoluten Willkür der Arbeiterorganisationen ausgeliefert und zum
brauchbaren Instrument im Kampfe gegen die Arbeitgeber gemacht haben
würde. So kam es, daß der in Rede stehende Verband das Dogma von
der unbedingten Parität der gemeindlichen Arbeitsnachweise fallen lieb
und sich dem Standpunkte der öffentlich-rechtlichen landwirtschaftlichen
Arbeitsnachweise. anschloß. Sehr bezeichnend sagt in dieser Beziehung
der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Arbeitsnachweise Dr. Freund
in einem jüngst im Organ dieses Verbandes veröffentlichten Aufsatz,
„daß vielfach die Errichtung von paritätischen Arbeitsnachweisen aus
dem Gesichtspunkte angestrebt wurde, daß diese paritätische Verwaltung
eine unparteiische Handhabung des Arbeitsnachweisbetriebes
gewährleistet. Ich gebe nun durchaus zu, daß auch in einer pari-
1) Verhandlungen der XXIII. Konferenz der Vorstände der Preußischen Land-
wirtschaftskammern am 22. Juni 1908: v. Stojentin, Stellungnahme zu der von Ver-
tretern großstädtischer Arbeitsnachweise vorgeschlagenen reichsgesetzlichen Regelung der
Arbeitsnachweisorganisation, S. 124—147.
2) Beschluß der XXIII. Konferenz der Vorstände der Preußischen Landwirtschafts-
kammern, a. a. O. 8. 147. Jahresberichte der Preußischen Landwirtschaftskammern
seit 1908, vor allem Pommerns, Schlesiens und Ostpreußens.
3) Bericht über die Verhandlungen des Gewerkschaftskongresses in München 1908.
Correspondenzblatt, Jahrg. 14, No. 7.
Miszellen. 153
tätischen Verwaltung die Unparteilickkeit des Arbeitsnachweisbetriebes
gefährdet sein kann, daß andererseits ein Arbeitgeber-
arbeitsnachweis die volle Unparteilichkeit gewähr-
leisten kann. Man braucht also keineswegs grundsätzlich jede
andere als die paritätische Verwaltung abzulehnen. Das wichtigste
Moment bleibt die unparteiliche Handhabung des prak-
tischen Arbeitsnachweisbetriebes. Diese unparteiliche Hand-
habung wird bei den paritätischen Arbeitsnachweisen am besten da-
durch gewahrt werden, daß die Träger des öffentlichen Arbeitsnach-
weises, die Stadtgemeinden, die Kreisverbände, die Anstellung der
Arbeitsnachweisbeamten besorgen, so daß diese Beamten bezüglich
ihrer Geschäftsführung lediglich der Anstellungsbehörde und nicht
den Organisationen der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer verantwortlich
sind“ 1).
Der Richtigkeit dieser Ausführungen kann schwerlich wider-
sprochen werden. Es ist wirklich nicht einzusehen, weshalb gerade
die Verwaltung der gemeindlichen Arbeitsnachweise pari-
tätisch gestaltet sein soll, während dies für die Verwaltung der ge-
meindlichen Krankenhäuser, Schulen und anderen Anstalten nicht als
erforderlich angesehen wird. Die Sorge für eine scharfe und gerechte
Aufsicht über die praktische Handhabung der gemeindlichen Dienst-
betriebe ist Sache der städtischen Verwaltungskörper, der Stadtver-
ordneten-Kollegien, in denen, soweit die Großstädte in Betracht kommen,
wohl alle Parteien, Arbeitgeber und Arbeiter, eine ausreichende Ver-
tretung besitzen.
Hand in Hand mit der vorstehend geschilderten Aenderung der
Dinge hat sich in der Stellung der gemeindlichen Arbeitsnachweise
und ihrer Vertretung, des Verbandes Deutscher Arbeitsnachweise,
gegenüber den industriellen Arbeitgeberarbeitsnachweisen
ebenfalls eine beachtenswerte Wandlung vollzogen, die durch die vor-
erwähnte Aeußerung des Vorsitzenden des Verbandes Deutscher Ar-
beitsnachweise und das Bemühen, eine Verständigung zwischen den
öffentlichen Arbeitsnachweisen und den Unternehmerarbeitsnachweisen
anzubahnen, erkennbar wird.
Naturgemäß hat sich unter den so veränderten Umständen das
Verhältnis der Arbeiterorganisationen, der Gewerkschaften,
zu den gemeindlichen Arbeitsnachweisen und zum Verbande Deutscher
Arbeitsnachweise von Grund aus umgestaltet: Früher rückhaltlose Vor-
kämpfer für eine zwangsweise, reichsgesetzliche Einführung gemeind-
licher Arbeitsnachweise in allen Städten über 10000 Einwohner in
ganz Deutschland, und zwar unter Ausschaltung möglichst aller sonst
bestehenden Arbeitsnachweisorganisationen, verwerfen jetzt die Ge-
werkschaften diese Regelung, und zwar unter ausdrücklichem Hinweis
auf die „vom Verbande Deutscher Arbeitsnachweise neuerdings ver-
1) Ungerechtfertigte Angriffe auf die öffentlichen und paritätischen Arbeitsnachweise
in: Der Arbeitenachweis in Deutschland, Zeitschrift des Verbandes Deutscher Arbeitenach-
weise, Jahrg. 2, No. 10, 8. 202.
154 Miszellen.
tretene paritätsfeindliche Tendenz“ 1). In auffällig scharfer Form haben
die Vertreter der Gewerkschaften diese ihre Anschauung auf der vom
Staatssekretär des Inneren am 30. April 1915 im Reichstage abgehal-
tenen Versammlung, welcher die Abgeordneten sämtlicher deutscher
Arbeitsnachweisorganisationen, sowohl die Vertreter der gemeindlichen
wie der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerarbeitsnachweise, der Gewerk-
schaften und großen wirtschaftlichen industriellen Verbände usw. bei-
wohnten, öffentlich Ausdruck gegeben.
Dieser Wandlung verdankt der von den Gewerkschaften verfaßte,
dem Reichstage vorgelegte Entwurf seinen Ursprung; die schon vor
dem Kriege eingeleitete, durch ihn aber über Erwarten beschleunigte,
natürliche Entwicklung des deutschen Arbeitsnachweises, welche in
einer deutlich erkennbaren Aussöhnung der früheren scharfen Gegen-
sätze und in einem mehr oder weniger engen Zusammenarbeiten der
ehedem sich befehdenden verschiedenen Arbeitsnachweisorganisationen
in Erscheinung tritt, entspricht nicht den Wünschen der Arbeiter-
organisationen, weil sie sich dadurch der Möglichkeit beraubt glauben,
künftighin auf den Arbeitsnachweis einen ausschlaggebenden Einfluß
ausüben zu können. Dies erhellt unzweideutig aus dem Bericht, den
der Vertreter der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands,
Robert Schmidt-Berlin, auf der Konferenz am 10. Februar 1915 er-
stattet hat und in dem diesbezüglich gesagt wird:
„Eine gesetzliche Regelung sei deshalb zu fordern, weil die freie
Organisation sich wenig bewährt habe. Der Verband Deutscher
Arbeitsnachweise habe gewiß eine anerkennenswerte Organisations- und
Propagandaarbeit geleistet, aber auch er umfasse nur einen kleinen Teil der
Arbeitsvermittlung, und die in ihm neuerdings vertretenen Tendenzen entfernen
sich von den paritätischen Auffassungen (!) der Arbeiterschaft. Um die Unter-
nehmerverbandsnachweise zu gewinnen, seien die leitenden Kreise des Verbandes
im Begriff, das Prinzip der Parität fallen zu lassen und eine Art von Neutralität
zu proklamieren, die jede Rücksicht auf die Arbeitsverhältnisse beiseite setzt.
Der Arbeitsnachweis solle nach dieser neuerdings vertretenen Ansicht bloß Arbeit
vermitteln, gleichviel zu welchen Bedingungen. Dagegen wehre sich die Arbeiter-
schaft mit Recht. Weil die tariflichen Facharbeitsnachweise diese Tendenz nicht
mitmachen wollen, sei im Verbande Deutscher Arbeitsnachweise eine feindliche
Stimmung gegen die Facharbeitsnachweise entstanden, die dem Münchener Gewerk-
schaftskongreß Anlaß gab, sich eingehender mit der Frage der Arbeitsvermittlung
zu beschäftigen. Die Verhandlungen des Münchener Kongresses dürften die
Herren vom Arbeitnachweisverband ausreichend über die Stellungnahme der
Arbeiterschaft aufgeklärt haben. Auf freier organisatorischer Basis sei auch die
Frage der Unternehmernachweise nicht zu lösen, da bedarf es schon der gesetz-
lichen Regelung“ °).
Also kein sachliches, sondern ein wesentlichespoli-
tisches Moment gibt bei dieser Entscheidung den Ausschlag, eine
Feststellung, die für die Beurteilung der Sache von ausschlaggebender
Bedeutung ist. Die Unsachlichkeit der gewerkschaftlichen Gründe tritt
um so deutlicher hervor, wenn man die Behauptungen der Arbeiterver-
1) Correspondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands,
Jahrg. 20, No. 8, 8. 83. Poetzsch, Zur Frage des Arbeitsnachweises, Sozialistische
Monatshefte 1914, II, S. 794 u. f.
2) Correspondenzblatt, Jahrg. 20, No. 8, S. 83.
Miszellen. 155
treter nachprüft, daß gerade die Verhältnisse während des Krieges
dargetan hätten, wie es dem Arbeitsnachweis infolge seiner Zersplitte-
rung nicht möglich gewesen sei, die Aufgaben, die ihm gestellt wurden,
zu erfüllen.
Gewiß ist es zutreffend, daß, als der Krieg ausbrach, als alle Ver-
hältnisse völlig umgestellt, zahllose Betriebe stillgelegt und so große
Arbeitermassen mit einem Schlage brotlos gemacht wurden, während
einer kurzen Spanne Zeit eine besorgniserregende allgemeine Arbeits-
losigkeit eintrat, der zu steuern die vorhandenen Arbeitsnachweise
völlig außerstande waren. Aber es heißt die Dinge auf den Kopf
stellen, ja der Wahrheit ins Gesicht schlagen, wenn man diese Un-
möglichkeit, dieses scheinbare Versagen der zersplitterten und unge-
nügenden Organisation des Arbeitsnachweises zur Last legen will.
Noch ist in aller Erinmerung, wie während der Dauer der Mobil-
machung, die die ersten Augustwochen umfaßte, unter dem furchtbaren
Druck der Verhältnisse fast das ganze wirtschaftliche Leben stillstand:
Die Zufuhr von Rohmaterialien und die Ausfuhr von Industrieerzeug-
nissen war unterbunden, der gesamte inländische Verkehr ins Stocken
geraten; Eisenbahn, Post, Telegraph und Telephon waren gesperrt, alle
öffentlichen Arbeiten eingestellt, der Konsum aufs äußerste eingeschränkt
und die Betriebstätigkeit durch Einziehung von Arbeitern aller Kate-
gorien verwirrt und in Frage gestellt. Kein Wunder, wenn unter
solchen Verhältnissen die Arbeitsnachweise den plötzlichen und un-
gemessenen Andrang von Arbeitslosen auch nicht annähernd zu be-
wältigen vermochten.
Daß trotzdem aber das Menschenwmögliche geleistet worden ist,
dafür sprechen am besten folgende Ziffern:
Von den gemeindlichen und öffentlich unterstützten Arbeitsnach-
weisen wurden vermittelt in den Monaten
April Mai Juni August September 1914
170400 160200 ı61 800 180800 207000 Personen
371 376 380 322 342 Arbeitsnachweisen !)
Wenn je auf einem Gebiete, hat sich auf dem des Arbeitsnach-
weiswesens gerade in der ersten schweren Zeit des Krieges die natür-
liche Entwicklung und die fruchtbare Tätigkeit der bestehenden Organi-
sationen in vollem Maße bewährt. Besonders die vom Verbande Deut-
scher Arbeitsnachweise in jahrelanger zäher und unermüdlicher Arbeit
geschaffene Organisation eines Netzes von öffentlichen Arbeitsnachweis-
verbänden und örtlichen Arbeitsnachweisen hat Erhebliches in der
Unterbringung großer Arbeitermassen gerade im kritischsten Augen-
blicke geleistet. Solche Erfolge wurden ermöglicht, weil die Not der
Zeit mit einem Schlage der Erkenntnis Bahn brach, daß einträchtiges
Zusammenarbeiten aller Organisationen notwendig war, wenn die
Arbeitsnachweise imstande sein wollten, die an sie herantretenden
schwierigen Aufgaben zu erfüllen.
1) Amtliche Denkschrift über Maßnahmen auf dem Gebiete des Arbeitsnach-
weises, S. 4.
156 Miszellen.
Diese Erkenntnis wurde unvermittelt Gemeingut aller Beteiligten:
hinweggefegt waren die Gegensätze zwischen den öffentlichen Arbeits-
nachweisen und den Arbeitgeber- und Arbeiterorganisationen; sämtliche
Einrichtungen jeglicher Art schlossen sich unter der Führung der von
der Reichsregierung ins Leben gerufenen „Reichszentrale für
Arbeitsnachweis“ zu gemeinsamer Beratung und Arbeit zusammen.
Dieser Vorgang ist für die Regelung des Arbeitsnachweises von
weittragender Bedeutung, er bezeichnet einen neuen Abschnitt in dessen
Entwicklungsgeschichte und hat die Arbeitsnachweisfrage um einen
gewaltigen Schritt der endlichen Lösung näher gerückt. Um jedoch den
in so schwerer Zeit glücklich eingeleiteten Enwicklungsgang zum Wohle
der gesamten deutschen Volkswirtschaft einem gedeihlichen Abschluß
entgegenführen zu können, gilt es, nach Beendigung des Krieges auf
der einmal beschrittenen Bahn fortzufahren und das in organischem
Wachstum Entstandene in gemeinsamer Arbeit weiter auszubauen.
Der Vorschlag der Gewerkschaften, welcher die
die Billigung des Reichstages gefunden hat, ist am
wenigsten geeignet, diesem Ziele zudienen; seine Durch-
führung würde trennend, nicht einigend wirken. Das
Gegenteil dessen, was die organisierte Arbeiterschaft bezweckt, näm-
lich den Arbeitsnachweis zu neutralisieren und aus dem Kampfe der
Parteien herauszuheben, würde erreicht werden. In stärkerem Maße
als je zuvor würden die Gegensätze aufeinander prallen, würde der
Arbeitsnachweis zum Tummelplatz schärfster wirtschaftlicher Kämpfe
werden, da sich gutwillig weder die Städte noch die Arbeitgeber den
Bedingungen werden unterwerfen können und wollen, welche ihnen nach
dem Willen der Gewerkschaften auferlegt werden sollen 1).
Was bei Verwirklichung des gewerkschaftlichen Vorschlages in
dieser Hinsicht bevorstünde, läßt einigermaßen $ 10 des fraglichen
Gesetzentwurfes ahnen, der bestimmt, daß den Arbeitsämtern nicht allein
die Beaufsichtigung und Kontrolle aller Arbeitsnachweise ohne jede
Ausnahme, sondern auch die Schlichtung von Differenzen, so-
weit solche nicht innerhalb der Verwaltung der ein-
zelnen Nachweise erledigt werden können, obliegen
sollen und daß hierüber entsprechnde Vorschriften
durch das Gesetz zu erlassen seien. Das ist ein sehr weitsich-
tiges Programm, das die unverkennbare Absicht zeigt, einschneidende
Maßregeln zur Fesselung der Arbeitgeber auf dem Umwege über den
Arbeitsnachweis durchzudrücken, die bei dem normalen Gange der
Dinge bisher, trotz der vielfachen dahin zielenden Versuche der Gewerk-
schaften, nicht durchzusetzen waren ?). Ein künstlicher, von Grund
1) Hierfür ist bezeichnend, daß bereits in der Gewerkschaftsversammlung am
10. Februar 1915 der Vertreter des deutschen Städtetages Dr. Luther unumwunden
„das Recht der Gemeinden reklamiert hat, bei der Leitung von Einrichtungen, für die
sie Kosten tragen sollen, auch einen möglichst großen Einfluß zu erhalten“. Correspon-
denzblatt, Jahrg. 20, No. 8, S. 82.
2) Poetzsch, Zur Frage des Arbeitsnachweises in: Sozialistische Monatshefte, 1914,
II, S. 794—800.
Miszellen. 157
aus neuer Bau soll an Stelle des im Laufe von Jahrzehnten organisch
erwachsenen, den natürlichen Bedingungen entsprechenden und in harter
Zeit erprobten Gebildes gesetzt werden, um die Unternehmerarbeits-
nachweise auszutilgen und den Arbeiterorganisationen die Herrschaft
über den Arbeitsnachweis unter gleichzeitiger Erreichung weitgesteckter
anderer Ziele zu überantworten 1).
Im Interesse einer gesunden, dem allgemeinen Ganzen am besten
dienenden Lösung der Arbeitsnachweisfrage muß es deshalb begrüßt
werden, daß der Herr Staatssekretär des Inneren dem starken Drucke
widerstanden, den Erlaß des von den Gewerkschaften vorgeschlagenen
Gesetzentwurfes zunächst verhindert und erklärt hat, daß die Reichs-
regierung das Problem im natürlichen Entwicklungsgange mit Hilfe der
beteiligten Organisationen und Berufsstände zu lösen beabsichtige.
Dieses Bestreben nachhaltig zu unterstützen, muß die ernstliche
Aufgabe aller Arbeitsnachweisorganisationen, vor allem der an der
Spitze marschierenden öffentlichen Arbeitsnachweise und der Arbeits-
nachweise der Arbeitgeber sein. Wie bei allseitigem guten Willen
solches Ziel erreicht werden kann, hat der Geschäftsführer des Schlesi-
schen Arbeitsnachweisverbandes Schindler in einem bemerkenswerten
Aufsatz über die neuerdings eingerichteten „Zentralauskunfts-
stellen“ dargelegt).
Zufolge einer auf Veranlassung des Reichskanzlers (Reichsamt
des Inneren) am 30. April 1915 mit den beteiligten Kreisen absehaltenen
Beratung sollen an allen größeren Orten Zentralauskunftsstellen ge-
schaffen werden, welche die Aufgabe haben, die öffentlichen Arbeits-
nachweise der Gemeinden mit den übrigen, am gleichen Orte bestehen-
den, nicht gewerbsmäßig betriebenen Arbeitsnachweisen, insbesondere
mit den Facharbeitsnachweisen der Arbeitgeber und Arbeiter in tun-
lichst enge Fühlung miteinander zu bringen, damit auf die einfachste
und schnellste Weise im Wege telephonischer Verständigung Ueberschuß
und Mangel an Stellenangeboten und Arbeitsgesuchen ausgeglichen
werden können®). Dabei handelt es sich, wie ausdrücklich betont
werden mag, lediglich um die gemeinschaftliche Betätigung, keines-
wegsaberumeine Verschmelzung der beteiligten Arbeits-
nachweise. Grundsätzlich behält jeder Arbeitsnachweis ohne Ein-
schränkung seine bisherige Selbständigkeit und regelt seinen Geschäfts-
gang, seine Einrichtungen und sonstigen inneren Angelegenheiten nach
völlig eigenem Ermessen.
1) Unzweideutig kommt diese Absicht in den Worten des Abgeordneten Bauer
zum Ausdruck: „Je mehr die gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiter wachsen
und Einfluß auf die Arbeiterschaft gewinnen, desto mehr werden sich die Arbeiter
gegen die einseitigen Unternehmernachweise wehren, weil sie sich diese Kontroll- und
Maßregelungsstationen nicht mehr gefallen lassen wollen.“ Reichstagssitzung vom
19. März 1915. Ebenso fordert Poetzsch „Aufhebung aller einseitig betriebenen Arbeits-
nachweise“,
2) E. Schindler, Zentralauskunftsstellen in: „Der Arbeitsnachweis in Deutsch-
land“, Jahrg. 2, No. 12, S. 2451.
3) Denkschrift, S. 18.
158 Miszellen.
Nach der mehrerwähnten amtlichen Denkschrift sind derartige
Zentral-Auskunftsstellen bereits in den Provinzen Ostpreußen, Branden-
burg, Hannover und in der Rheinprovinz für das Gebiet der in Be-
tracht kommenden Arbeitsnachweisverbände eingerichtet und stehen die
Arbeitsnachweisverbände der anderen Provinzen im Begriff, diesem Bei-
spiele zu folgen. Außerdem haben auch eine größere Reihe von Städten:
Berlin, Cottbus, Luckenwalde, Stettin, Posen, Breslau, Magdeburg und
Frankfurt a. M. unter tatkräftiger Unterstützung aller beteiligten Organi-
sationen entprechende Einrichtungen für ihre Stadtbezirke geschaffen
und zahlreiche andere Städte haben sich inzwischen dem Vorgehen an-
geschlossen.
Eine ähnliche Betätigung war den vom Verbande Deutscher
Arbeitsnachweise in das Leben gerufenen und von der preußischen
Staatsregierung nachdrücklich geförderten Provinzialverbänden der
Arbeitsnachweise schon bei ihrer Begründung zugedacht. Die Pro-
vinzialverbände konnten aber dieser Aufgabe bis dahin nicht genügen,
weil sie den großen Organisationen der Arbeitgeber und Arbeiter
innerhalb ihres Wirkungskreises keinen Platz eingeräumt, ja sie zu
ihrer Arbeit überhaupt nicht mitherangezogen haben. Von den Arbeit-
geberarbeitsnachweisen ist darauf wiederholt hingewiesen und mit Recht
bemängelt worden, daß ihnen auf die provinziale bzw. bundesstaatliche
Organisation der Arbeitsvermittlung kein Einfluß zustünde. Es mag
unerörtert bleiben, inwieweit die Organisationen der Arbeitgeber und
Arbeiter durch ihre grundsätzliche Stellungnahme zur Frage der Arbeits-
vermittlung und zueinander selbst die Ursache zu diesem bedauerlichen
Mangel gewesen sind. Jedenfalls stellen selbst die Freunde der öffent-
lichen Arbeitsnachweise die Tatsache fest, daß innerhalb der Arbeits-
nachweisverbände, zum Teil auch innerhalb der einzelnen Arbeitsnach-
weise, die Mitwirkung der Nächstbeteiligten, nämlich der Arbeitgeber
und Arbeiterschaft, kaum in Betracht gekommen ist, und daß aus
diesem Grunde die Tätigkeit der öffentlichen Arbeitsnachweise nicht
erschöpfend sein konnte, sich ihr vielmehr erhebliche Schwierigkeiten
in den Weg stellen mußten.
Bei der Zusammensetzung der provinziellen Arbeitsnachweisverbände,
wie sie in Preußen wohl überall durchgeführt ist, dürfte sich bis auf
weiteres an solchem Zustande kaum etwas ändern lassen. Den Weg
aber, um aus dieser Zwangslage herauszukommen, bietet die Einrichtung
der Zentral-Auskunftsstellen oder der Arbeitsgemeinschaften, denn sie
gewährt die Möglichkeit, Arbeitsnachweise aller Richtungen zu gemein-
sohaftlicher Arbeit heranzuziehen und die mangelnde Verständigung
zwischen den öffentlichen Arbeitsnachweisen und den Arbeitsnachweisen
der Unternehmer und Arbeiter anzubahnen.
Einen mustergültigen Vorgang hierfür bietet die wenige Wochen
nach Ausbruch des Krieges in der Hauptstadt Schlesiens begründete
„Arbeitsgemeinschaft der Breslauer Arbeitsnachweise“, in welcher sich
mit einer einzigen Ausnahme die 62 in dieser Stadt bestehenden Arbeits-
nachweise der Arbeitgeber, Arbeiter, Innungen, gemeinnützigen Vereine
u. dgl, unter Wahrung ihrer völligen Selbständigkeit, zu-
Miszellen. 159
sammengeschlossen haben. Mittelpunkt und geschäftsführende Stelle
dieser Arbeitsgemeinschaft ist der Städtische Arbeitsnachweis, dem auf
vorgedruckten Karten wöchentlich zweimal die angemeldeten Arheit-
suchenden und offenen Stellen, welche von den Arbeitsnachweisen selbst
nicht erledigt werden können, mitgeteilt werden. Daneben stehen diese
mit dem Städtischen Arbeitsnachweis in dauernder telephonischer Ver-
bindung. Ebenso wird der Ausgleich vom Städtischen Arbeitsnachweis auf
telephonischem Wege herbeigeführt; die Vermittlung selbst bleibt im all-
gemeinen demjenigen Arbeitsnachweise vorbehalten, bei dem die offene
Stelle gemeldet ist. Die Möglichkeit des Verkehrs von und nach aus-
wärts ist in ausreichendem Maße dadurch gegeben, daß die Arbeits-
gemeinschaft bzw. der städtische Arbeitsnachweis in dauernder engster
Fühlaung mit der Geschäftsstelle des Provinzial-Arbeitsnachweisverbandes
steht 1).
Gerade dieser Umstand bedeutete eine sehr erfreuliche Neuerung,
weil dadurch der größtmöglichste Ausgleich der vorhandenen Arbeits-
kräfte zwischen den einzelnen Arbeitsnachweisen Breslaus einerseits
ud diesen sowie den auswärtigen Arbeitsnachweisstellen andererseits
gewährleistet wird. Während es vor dem Zusammenschluß nicht selten
vorkam, daß der Städtische Arbeitsnachweis bzw. der Arbeitsnachweis-
verband Arbeiter nach auswärts schickte, obgleich sie sehr gut hätten
in Breslau selbst untergebracht werden können, ja mitunter von der
dortigen Industrie geradezu dringend benötigt wurden, wird nunmehr
vom städtischen Arbeitsnachweis und dem Arbeitsnachweisverbande bei
allen von auswärts eingehenden Vermittlungsanträgen zunächst der
Ortsbedarf genau festgestellt und erst nach dem Ergebnis dieser Fest-
stellung das Weitere veranlaßt.
Das eben geschilderte, sehr einfache Verfahren hat, wie die Er-
folge bewiesen haben, sich praktisch durchaus bewährt, so daß die
Kriegsgemeinschaft in Breslau zu einer dauernden gemacht, gleiche
Arbeitsgemeinschaften auch auf andere Städte der Provinz Schlesien
und schließlich auf größere wirtschaftliche Bezirke erstreckt werden
sollen. Durch Einsetzung eines Beirates oder Ausschusses, der den
angeschlossenen Arbeitsnachweisen ein ausreichendes Maß von Einfluß
auf die Führung der Geschäfte der Arbeitsgemeinschaft gewährleistet,
soll diese auf eine festere organisatorische Grundlage gestellt werden.
Als Krönung und Abschluß der Organisation wird schließlich beab-
sichtigt, den sämtlichen in der Provinz Schlesien gebildeten Arbeits-
gemeinschaften in Gestalt eines besonderen, gemeinsamen Ausschusses
emne geeignete Vertretung innerhalb der Organisation des Arbeitsnach-
weisverbandes zu geben, wodurch die vorher bemängelte Lücke im der-
zeitigen Aufbau der provinziellen Arbeitsnachweisverbände beseitigt und
ein Bindeglied zwischen den öffentlichen und den übrigen, nicht ge-
werbsmäßigen Arbeitsnachweisen geschaffen werden würde.
Es wäre gewiß als ein sehr bedeutender, in seiner Folgeerscheinung
kaum zu überschätzender Gewinn zu buchen, wenn es auf diese Weise
1) Schindler, a. a. 0.
160 Miszellen.
gelingen würde, die öffentlichen Arbeitsnachweise mit den ihnen bisher
fernstehenden anderen Organisationen der Arbeitsvermittlung, insonder-
heit der Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Arbeitsnachweise, überhaupt zu
gemeinsamer organischer Arbeit zu verbinden. Vor allem würde das
zu einer planmäßigen Ergänzung der besonderen Betäti-
gung der verschiedenen Arbeitsnachweiseinrichtungen
und zur Zurückstellung mancher strittigen Fragen beitragen, was der
Gesamtheit zum größten Nutzen gereichen müßte.
Die Art und Weise, wie die öffentlichen Arbeitsnachweisanstalten,
vor allem der größeren Städte, die Vermittlung für die ungelernten
Arbeiter organisiert haben und betreiben, hat sich, besonders in der
Kriegszeit, gut bewährt; vor allem haben die gemeindlichen Arbeits-
nachweise es mehr und mehr verstanden, sich bei der Regelung des
Arbeitsmarktes auch den Ansprüchen und Bedürfnissen des platten
Landes anzupassen, was die landwirtschaftlichen Interessenvertretungen
unumwunden anerkennen.
Anders liegt die Sache hinsichtlich der Vermittlung gelernter Fach-
arbeiter für zahlreiche Industriezweige, wie z.B. für die Glas-, Papier-,
Eisen- und Stahl-, Hochofenindustrie, für die Bergwerke usw. Gewiß
haben die gemeindlichen Arbeitsnachweise sich nach Kräften bemüht,
auch auf diesem Gebiete ihr Möglichstes zu leisten, aber, wie die amt-
liche Statistik ausweist, verschwinden die in dieser Beziehung erzielten
Ergebnisse nahezu gegenüber den Gesamtleistungen.
Umgekehrt haben die Unternehmer-Arbeitsnachweise gerade in der
Vermittlung gelernter und industrieller Facharbeiter Glänzendes ge-
leistet und ihre Organisationen zum Teil unter Aufwendung grober
Mittel in vollendeter Weise ausgestaltet; und um deswillen haben sie
den Ansprüchen und Bedürfnissen der Industrie in vollstem Maße
Rechnung tragen können. Es soll hier nicht auf die grundsätzliche
und viel erörterte Streitfrage, ob der Arbeitsvermittler ein Fachmann
sein muß oder nicht, eingegangen werden. Das aber kann kaum be-
stritten werden, daß die gemeindlichen Arbeitsnachweise ohne sehr
kostspielige und tiefgreifende Ausdehnung ihrer derzeitigen Einrich-
tungen hinsichtlich der Vermittlung gelernter Arbeiter für viele Industrie-
zweige mit den von den Arbeitgeber- und Arbeiterorganisationen ein-
gerichteten Facharbeitsnachweisen nicht in Wettbewerb treten können.
In bezug auf die Notwendigkeit der Facharbeitsnachweise stimmen auch
trotz aller sonstigen tiefgreifenden Gegensätze die Organisationen der
Arbeitgeber und Arbeiter miteinander überein!)
Was liegt näher, als unter den gegebenen Verhältnissen in gemein-
schaftlicher, sich gegenseitig ergänzender Arbeit auf einen
Ausgleich Bedacht zu nehmen, der für die volllste rationelle Ausnutzung
aller bestehenden Arbeitsnachweis-Einrichtungen größtmöglichste Gewähr
leistet? Der Segen, der hieraus für die deutsche Volkswirtschaft ge-
rade jetzt erfließen würde, muß um so höher veranschlagt werden, als
1) P. Umbreit, Kriegsfürsorge und Arbeitsvermittlung, Sozialistische Monatshefte,
1915, Heft 5, S. 234,
Miszellen. 161
die Arbeitsvermittlung Kriegsverletzter sowie die Arbeitsvermittlung
unmittelbar nach dem Kriege, wie die Verhältnisse nun einmal in
Preußen liegen, sich jedenfalls ohne gemeinschaftliche Arbeit aller an
der Arbeitsvermittlung beteiligten Faktoren kaum zweckentsprechend
durchführen lassen dürfte. Darum ist es von einschneidender Wichtig-
keit, daß der Augenblick zum Handeln nicht verpaßt wird und daß der
Mangel an genügender Einsicht den gesetzgebenden Faktoren nicht die
Handhabe bietet, die organisch erwachsenen Arbeitsnachweis - Organi-
sationen durch ein neues, einseitigen politischen Zwecken dienendes
Zwangsgebilde zu ersetzen t). Mit Recht wirft der Geschäftsführer des
Breslauer Arbeitsnachweisverbandes am Schlusse seines mehrerwähnten
Aufsatzes die Frage auf, ob sich künftig nochmals ein Zeitpunkt er-
geben werde, der für eine Verständigung in Arbeitsgemeinschaften
ebenso geeignet sei wie der jetzige. Aber die Mahnung, die er als
Berufener den provinziellen Arbeitsnachweisverbänden widmet: an ihnen
werde es sein, diese sich bietende, überaus günstige Gelegenheit nicht
unbenutzt vorübergehen zu lassen, sollten gleicherweise auch die übrigen
Arbeitsnachweis - Organisationen beherzigen und sich zur Richtschnur
ihres Handelns dienen lassen.
1) In seinem Aufsatz: „Die Arbeiterfürsorge im Kriege 1914“ bezeichnet H. Wolf
die derzeitige Sachlage treffend dahin, es heiße „entweder Einfügung in einen Reichs-
Arbeitsnachweiszwang oder Zusammenfassen aller freiwilligen Kräfte zu einer Reichs-
Organisation des Arbeitsnachweises“. Vergl. diese „Jahrbücher“ Bd. 104, III. Folge
Bd. 49, 1915, U, S. 655.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 11
162 Literatur.
Literatur.
I
Strieder, Jakob, Studien zur Geschichte kapitalisti-
scher Organisationsformen: Monopole, Kartelle und
Aktiengesellschaften im Mittelalter und zu Beginn
der Neuzeit.
München und Leipzig (Duncker & Humblot) 1914. XXIX u. 486 SS.
Besprochen von Pjaull Rehme, Halle a. d. S.
Mit der Geschichte des Frühkapitalismus hatten sich in der jüngeren
Zeit Forscher wiederholt beschäftigt. Auch Jakob Strieder war
bereits vor einer Reihe von Jahren in deren Kreis getreten (Zur
Genesis des modernen Kapitalismus, 1904; Die Inventur der Firma
Fugger aus dem Jahre 1527, 1905). Seinen älteren Arbeiten läßt er
in dem vorliegenden Werke eine neue folgen, in der er an die
Lösung wirtschafts- und rechtsgeschichtlich gleich wichtiger Probleme
herantritt. „Studien zur Geschichte kapitalistischer Organisations-
formen“ will er liefern, nicht eine zusammenfassende Darstellung der
Geschichte dieser Formen. In der Tat ist zu einer solchen die Zeit
noch nicht gekommen: bis auf weiteres ist der Weg der Einzelunter-
suchung zu beschreiten, und zwar muß sich dieselbe wesentlich auf
archivalischem Material aufbauen. Die Zahl der Archive, in denen
Strieder Nachforschungen angestellt hat, ist nicht gering. Von der
vollständigen Veröffentlichung des massenhaften handschriftlichen Ma-
terials hat er Abstand genommen; aber es sind in einem „Anhang“
(S. 365—475) die wichtigsten Quellen, auf denen seine Ausführungen
fußen, abgedruckt, und erfreulicherweise durchweg in extenso — auch
wenn ein Aktenstück sehr beträchtlichen Umfang aufweist, hat Strieder
nicht den immer und immer wieder zu rügenden Fehler begangen, sich
auf einen Auszug zu beschränken. So ist man in die Lage versetzt,
die Richtigkeit der Auffassung Strieders selbständig nachzuprüfen,
und es wird gewiß nicht ausbleiben, daß man hie und da zu einem
anderen Ergebnis gelangt. Aber ich glaube: auch wer selbst in Grund-
fragen Strieder meint widersprechen zu müssen, wird nicht bestreiten
dürfen, daß unsere Erkenntnis durch die Untersuchungen neue reiche
Förderung erfährt, und man wird den Betrachtungen um so lieber
folgen, als der Verf. offensichtlich auf die Form der Darstellung großen
Wert gelegt hat. Freilich wäre vielleicht manchmal geringere Breite
derselben angebracht gewesen (z. B. S. 95—98), und sehr häufig fällt
Literatur. 163
recht störend der Mißbrauch auf, der mit „usw.“ getrieben wird. Ein
paar Beispiele: „Zubußzahlungen für komplizierte Stollenanlagen, für
Wasserbehebungsvorrichtungen usw.“ (S. 22); „So bliebe also die Ent-
wicklung ... in Spanien, in England usw. ... zu untersuchen“ (S. 15);
„Er durfte exportieren, wohin er wollte usw.“ (S. 304) — was soll man
sich hier unter „usw.“ eigentlich denken, abgesehen von dem ersten
Falle, wo offenbar Betriebsverbesserungen gemeint sind, von denen zwei
Arten erwähnt werden? „Z. B. Ulrich Lintacher, Wolfgang Wiedemann,
Lucas Straub, Ulrich Rauscher usw.“ (S. 33 Anm. 2) — hier soll offenbar
durch „usw.“ zum Ausdrucke gebracht werden, daß die Aufzählung nicht
erschöpfend ist; das liegt ja aber schon in „z. B.“! Wenig angenehm
berührt auch die sehr große Zahl entbehrlicher Fremdwörter.
Das in dem Titel genauer bezeichnete Thema wird erst in dem
dritten „Buche“ behandelt („Monopole, Kartelle und Aktiengesellschaften
im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit“, S. 983—363). Vorangeschickt
sind in zwei „Büchern“ „grundlegende Ausführungen“, wie der Verf. sie
mit Recht im Hinblick auf die Bedeutung der behandelten Fragen nennt
(S. VI): „Montanindustrie und Frühkapitalismus“ (S. 1—52), „Kirche,
Staat und Frühkapitalismus“ (S. 53—92).
Das erste Buch zerfällt in drei Kapitel: „Die quantitative Be-
deutung des Bergbaues und Erzhandels für die Entwicklung der deutschen
Volkswirtschaft am Ausgang des Mittelalters und zu Beginn der Neu-
zeit“ (S. 3—13), „Bergbau und frühkapitalistische Vermögensbildung“
(S. 13—88), „Bergbau und Entfaltung der frühkapitalistischen Organi-
sationsformen“ (S. 38—52).
Daß der Bergsegen für die gesamte deutsche Wirtschaft des aus-
gehenden Mittelalters und der beginnenden Neuzeit von der größten
Bedeutung war, hatte man längst erkannt. Durch sorgsame Zusammen-
stellung einzelner Daten in dem ersten Kapitel vertieft Strieder die
Erkenntnis. Er scheint uns jedoch zur Ueberschätzung der Bedeutung
des Bergbaues und Erzhandels zu neigen. So hat auch schon v. Below
im Weltwirtschaftlichen Archiv, Bd. 5, S. 455 Bedenken gegen die
Richtigkeit der Auffassung des Verf.s geäußert, daß jene die wichtigsten
Zweige der Wirtschaft des Deutschen Reiches zu Anfang des 16. Jahr-
hunderts gewesen seien, und wenn auch feststeht, daß die großen ober-
deutschen Handlungshäuser stark am Bergbau und Erzhandel beteiligt
waren, so glauben wir doch nicht, daß schlechthin bei ihnen gegenüber
den Metallen die übrigen Waren in den Hintergrund traten — bei
dem einen oder anderen mag es zeitweise der Fall gewesen sein; man
hüte sich auch hier vor dem Verallgemeinern! Allein wie hoch man
auch den Bergbau, die bergmännische Produktion als solche, wirtschafts-
geschichtlich einschätzen mag, so darf man doch in ihm nicht die Keime
des Frühkapitalismus finden wollen, nicht annehmen, die unmittelbare
Edelmetallansammlung („Edelmetallakkumulation“, wie der Verf. sagt)
habe bei der ursprünglichen ersten Vermögensanhäufung („Vermögens-
akkumulation“, wie der Verf. sagt) eine ausschlaggebende Rolle gespielt.
Durch den Handel wurden die ersten großen Vermögen gebildet, und
erst mit Hilfe solcher konnte der Bergbau wirklich ertragreich betrieben
11®
164 Literatur.
werden. Darin ist Strieder — in dem zweiten Kapitel — gewiß zu-
zustimmen. Wenn er übrigens gegenüber Sombart (Der moderne
Kapitalismus, 1902), der bekanntlich den Kapitalismus auf „Grund-
rentenakkumulation“ zurückführen will, betont, diese Theorie in seiner
früheren Arbeit über die Genesis des Kapitalismus widerlegt zu haben,
so ist dem entgegenzuhalten, daß das Verdienst, die Unrichtigkeit der
Theorie zuerst nachgewiesen zu haben, v. Below (Historische Zeit-
schrift, Bd. 91, S. 432 ff., auch Bd. 95, S. 293) gebührt. Schon im
Laufe des Mittelalters hatte sich im Bergbau aus der älteren Pro-
duktionsgenossenschaft, bei der alle Teilnehmer selbst am Berge mit-
arbeiteten, die kapitalistische Gewerkschaft entwickelt, und so ist es
leicht verständlich, daß, nachdem der Handel größere Vermögen hervor-
gebracht hatte, der Kapitalismus in jenen Wirtschaftszweig rasch und
tiefgreifend eindrang. Damit aber traten in den Mittelpunkten der
Montanindustrie frühzeitig die Begleiterscheinungen des modernen Kapi-
talismus zutage, wie Proletariat, Arbeitslosigkeit, Streiks, Antistreik-
verbände; das wird in dem dritten Kapitel des näheren ausgeführt.
Zeige sich in den berührten Organisationsformen die Montanindustrie
des 16. Jahrhunderts als ein Vorbild des späteren Hochkapitalismus im
kleinen, so erhebe sich die Frage: liegen vielleicht auch noch die An-
fänge anderer Erscheinungen der hochkapitalistischen Wirtschaft im
kleinen schon in der Montanindustrie des 16. Jahrhunderts verborgen —
die Anfänge der Aktiengesellschaft, der Ursprung des Kartellwesens, die
ersten Versuche großer internationaler Monopole? So meint Strieder
am Schlusse dieser Erörterungen, indem er sogleich darauf hinweist,
man könne auf den Gedanken kommen, die Frage ohne weiteres aus
den mittelalterlichen wirtschaftsethischen Anschauungen zu verneinen,
insbesondere die Bildung von „Kapitalassoziationen“ als im Wider-
spruche mit dem kanonischen Zinsverbote stehend zu erklären, was
denn auch von verschiedenen Seiten geschehen sei. Durchaus zutreffend
hebt er demgegenüber hervor: „Die methodische Geschichtsforschung
hat gelehrt, daß man mit Urteilen aus Gesetzesvorschriften aller Art
auf die Realität der Dinge sehr vorsichtig sein muß“ (S. 51f.) In der
Tat: vermag man schon aus den heute in Kraft befindlichen Gesetzes-
paragraphen nicht die wirkliche Gestaltung des Rechtslebens deutlich
zu erkennen (dazu neuestens vortrefflich Pappenheim, Die Ver-
tragsfreiheit und die moderne Entwicklung des Verkehrsrechts, in der
Festschrift für Georg Cohn, Zürich 1915), geschweige denn die wirk-
liche Gestaltung des Wirtschaftslebens, so gilt dies in noch höherem
Grade für die Vergangenheit — ja, die Gesetzgebung des Mittelalters
und der ersten Jahrhunderte der Neuzeit gibt in Anbetracht ihrer weit-
gehenden Lückenhaftigkeit und des Ueberragens des Gewohnheitsrechtes
nicht einmal ein einigermaßen klares Bild des damals geltenden Rechtes
selbst. Infolgedessen ist für den Rechts- und den Wirtschaftshistoriker
eindringendste Urkundenforschung unerläßlich, was immer noch nicht
allgemein voll gewürdigt wird. Mit jenen Schlußbemerkungen schlägt
der Verf. die Brücke zu dem zweiten Buche.
In diesem wird die Antwort auf die Frage gesucht: wie konnte
sich der kapitalistische Geist, der wirtschaftliche Individualismus, der
Literatur, 165
zuerst im Italien der Renaissancezeit in einem größeren Maßstab in die
Erscheinung trat und am Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts
über eine ansehnliche Oberschicht der wirtschaftlich Tätigen im ganzen
Europa verbreitet war, durchsetzen gegen die entgegenstehende Wirt-
schaftsethik der mittelalterlichen Kirche und gegen den Staat, welcher
der Kirche seinen Arm lieh? Es ist bekannt, daß sich schon im späteren
Mittelalter ein Zwiespalt zwischen Theorie und Praxis entwickelte, in-
dem die theologisch-juristische Doktrin an dem Wucherdogma der rö-
mischen Kirche festhielt, das Leben sich aber über dasselbe hinweg-
setzte — die wirklichen wirtschaftlichen Interessen hatten den Sieg er-
rungen. Den Grund hierfür erblickt Strieder in der Finanzpolitik von
Kirche und Staat selbst: während diese theoretisch den antikapitalisti-
schen Standpunkt vertraten, förderten und schufen sie auf der anderen
Seite im eigenen Interesse kapitalistische Betriebe; ja, das Geldbedürfnis
beider für Verwaltungs-, Kriegs- und weltmachtspolitische Zwecke brachte
nicht selten im mittelalterlichen Italien bedeutungsvolle neue Organi-
sationsformen hervor (die Aktiengesellschaften seien ins Leben getreten,
um öffentliche Anleihen aufzubringen, aber auch bei der Entstehung
von Monopolen und Kartellen lasse sich der Zusammenhang zwischen
Fiskalismus und Kapitalismus erkennen). Daß dieses Vorgehen von
Kirche und Staat von erheblichem Einflusse war, kann nicht geleugnet
werden. Allein man darf hier das Volk nicht mit Strieder völlig
in den Hintergrund treten lassen. Kirche und Staat hätten nicht wagen
können, sich über die Theorie hinwegzusetzen, wenn nicht bereits in
den Kreisen der Bürger, zumal der Kaufleute, die Unbeachtlichkeit des
Wucherdogmas durchgedrungen gewesen, ja, das Zinsverbot mindestens
in den bedeutenderen Städten durch Gewohnheit außer Kraft gesetzt
worden wäre (Rehme, Geschichte des Handelsrechtes, in V. Ehren-
bergs Handbuch des gesamten Handelsrechts, Bd. 1, 1913, selbständige
Sonderausgabe 1914, S. 83, 97, 131; auch v. Below im Weltwirt-
schaftlichen Archiv, Bd. 5, S. 455f.).
Das dritte Buch ist gegliedert in sechs Kapitel: „Deutsche Aktien-
gesellschaften vornehmlich des 16. Jahrhunderts“ (S. 95—156), „Kar-
telle des 14.—18. Jahrhunderts“ (S. 156—212), „Monopole, Kartelle
(nicht: Kartellbestrebungen, wie es in dem „Inhaltsverzeichnis“ S. XIV
heißt) und Aktiengesellschaften im sächsischen Zinnhandel des 15. und
16. Jahrhunderts“ (S. 212—257), „Monopol- und Kartellbestrebungen
im böhmischen und sächsischen Zinngroßhandel seit der Mitte des
16. Jahrhunderts“ (S. 258—292), „Monopole und Kartelle im Idrianer
Quecksilberhandel des 16. Jahrhunderts“ (S. 292—359), „Einige sonstige
Monopole besonders unter Ferdinand I., Schlußwort“ (S. 359—363).
Strieder glaubt, eine große Zahl Monopole und Kartelle für
Deutschland nachweisen zu können, und, was die Kartelle anlangt, so
hat er in dem zweiten Kapitel auch deren Vorkommen in verschiedenen
anderen Ländern nachgespürt. Abschließendes will er, wie er selbst
am Ende seiner Betrachtungen bescheiden betont, nicht bringen, meint
vielmehr, seine Forschungen seien nach allen Richtungen der Erweite-
rung aus archivalischem Quellenmaterial und der Vertiefung bedürftig.
Immerhin ist gerade den Ausführungen des dritten Buches über Mono-
166 Literatur.
pole und Kartelle besonderer Wert beizumessen — sie bringen zum
großen Teile völlig Neues. Hoffentlich findet Strieder bald Nach-
folger, die den von ihm betretenen Weg mit gleich schönem Erfolge
beschreiten. Sehr beachtenswert ist im Hinblick auf früher gemachte
methodische Fehler, was er über die Verwertung handschriftlichen Ma-
terials sagt (S. 360f.). In Betracht kommen, wie er hervorhebt, einmal
Schriftstücke, die Beschwerden über die mit Monopolen begabten und
die zu Kartellen zusammengeschlossenen („kartellierten“) Unterneh-
mungen oder deren Verteidigung gegen Beschwerden enthalten, sodann
„Handelspapiere“ der betreffenden Unternehmer. Eine durchaus zuver-
lässige Quelle seien die Schriftstücke der ersten Art nicht, enthalten sie
doch Aeußerungen der einander feindlich gegenüberstehenden Parteien
und legen sie doch infolgedessen nicht immer Zeugnis von reinen Tat-
sachen ab. Auf der anderen Seite dürften die „Handelspapiere“, so
wichtig sie auch für die Erforschung vieler Kapitel der Wirtschafts-
geschichte (wir fügen hinzu: und der Rechtsgeschichte) seien, im all-
gemeinen wenig „direktes Material“ zur Geschichte der Monopole und
Kartelle liefern; denn man pflegte sie so bald wie möglich zu vernichten.
Es sei also verfehlt, lediglich die eine oder die andere Gruppe der
Handschriften sprechen zu lassen. Ohne Zweifel ist dies richtig; wie
in den anderen Zweigen historischer Forschung hat man alles Quellen-
material, das sich darbietet, heranzuziehen, aber jede einzelne Hand-
schrift kritisch zu würdigen. Abgesehen davon, daß man in der Lage
ist, selbständig unmittelbar aus reich fließender Quelle zu schöpfen,
besteht eben darin der Reiz archivalischer Forschung, daß man in dem
Wust des Geschriebenen mit scharfem Blicke die Spreu von dem Weizen
sondert, und nur so gehandhabt hat sie wahrhaft wissenschaftlichen
Charakter. Gerade mit Rücksicht auf jüngere wirtschafts- und rechts-
geschichtliche Arbeiten „auf Grund archivalischer Forschungen“, wie
sie sich stolz einführen, kann nicht oft genug betont werden: wenn
auch die Beschränkung auf das gedruckte Quellenmaterial bei vielen,
man kann wohl sagen den meisten wirtschafts- wie rechtsgeschichtlichen
Untersuchungen nach den strengeren Anforderungen der Gegenwart
nicht angängig ist, so ist doch nicht alles, was in den Archiven ruht,
wert, ans Tageslicht gezogen zu werden (dazu auch z. B. Rehme in
der Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Bd. 36, Ger-
manistische Abteilung S. 586). Strieder ist hier überall nach richtiger
Methode verfahren, und so wird wohl jeder Leser den Eindruck ge-
winnen, einem sicheren Führer zu folgen, und zugeben, daß es diesem
gelungen ist, namentlich Kartelle in einer früheren Zeit häufig vor-
kommend aufzudecken, als bisher gewöhnlich angenommen wurde. Frei-
lich kann man zweifelhaft sein, ob Strieder bei seinem „Fahnden“
(S. 361) nach Monopolen und Kartellen nicht manchmal gar zu arg-
wöhnisch gewesen ist und jene Gebilde zu sehen meint, wo sie in Wirk-
lichkeit nicht vorlagen. Der Leser möge selbst prüfen; die Prüfung
an dieser Stelle würde den Rahmen des Referats überschreiten, um s0
mehr, als wir es uns nicht versagen können, mit Rücksicht auf die
ganz besondere Wichtigkeit des Punktes auf das etwas näher einzu-
Literatur. 167
gehen, was der Verf. über die Aktiengesellschaften und damit im Zu-
sammenhange Stehendes bringt.
Die Betrachtungen über die Aktiengesellschaften zerfallen in zwei
Gruppen. Auf der einen Seite stehen solche über „die Entstehung der
Aktiengesellschaft“ im allgemeinen (drittes Buch, erstes Kapitel, zweiter
Abschnitt, S. 110—125), auf der anderen solche über einzelne bestimmte
Verbände, in denen der Verf. Aktiengesellschaften erblickt, nämlich
„Aktiengesellschaften im steiermärkischen und oberösterreichischen Eisen-
erzhandel“, „die Iglauer Tuchhandelskompagnie“, „die Gesellschaft des
Amberger Zinnblechhandels“ (ebenda dritter, vierter und fünfter Ab-
schnitt, S. 125—156), sowie „Aktiengesellschaften im sächsischen Zinn-
handel des 15. und 16. Jahrhunderts“ (die in Verbindung mit den in
diesem auftretenden Monopolen und Kartellen im dritten Kapitel des
dritten Buches vorgeführt werden).
Den Erörterungen über die Entstehung der Aktiengesellschaft im
allgemeinen sind in einem eigenen Abschnitt Ausführungen über „die
führende Form der Unternehmung im frühkapitalistischen deutschen
Handel“ (S. 95—110) vorangeschickt. Hier stellt Strieder die These
auf: „Im 16. Jahrhundert... sind aus Familienwirtschaften hervor-
gegangene offene Handelsgesellschaften die Führer im großen Handels-,
Industrie- und im Finanzgeschäft“ (S. 95) — gemeint sind die großen
oberdeutschen Unternehmungen der Fugger und anderer. Damit sagt
er nichts Neues, auch nicht, wenn er sogleich auf den folgenden Seiten
fortgesetzt ohne Vermittlung jenen Satz von dem ‚15. und 16. Jahr-
hundert“ gelten läßt; daß der Familienverband schlechthin die Wurzel
der offenen Handelsgesellschaft ist, wird allerdings nicht allgemein als
sicher angenommen (Rehme, Geschichte des Handelsrechtes, S. 168;
auch v. Below a. O. S. 457). Strieder findet in jener Erscheinung
einen bedeutsamen Gegensatz zum Wirtschaftsgebiete der hansischen
Seestädte: während in Süddeutschland die Konzentration des Kapitals
herrsche, herrsche in den Seestädten dessen Zersplitterung, in der Art,
daß der hansische Kaufmann sein Kapital in einzelnen, voneinander
unabhängigen Unternehmungen auf dem Wege der Vergesellschaftung
unterbringe, wobei der Verf. offenbar die unter den Namen wedderle-
ginge und sendeve-Geschäft bekannten Gebilde, die Urformen der Kom-
mandit- und der stillen Gesellschaft, im Auge hat.
Ueber diese beiden Gebilde ist in der jüngeren Zeit viel geschrieben
worden. Der Verf. stützt sich ganz auf die Aufsätze Keutgens in
der Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 4,
S. 278 ff., 461 ff., 567 ff., die zwar sehr verdienstlich, aber keineswegs
einwandsfrei sind und auch mannigfachen Widerspruch gefunden haben.
Den Ausgangspunkt für die neuere Forschung bilden Eintragungen des
Lübecker Nieder-Stadtbuches unter der Ueberschrift „Societates“ (ver-
öffentlicht und juristisch gewürdigt von Rehme in der Zeitschrift für
Handelsrecht, Bd. 42, S. 367 ff., eine Publikation, die Strieder S. 98
Anm. 1 bei Erwähnung jener Eintragungen so zitieren zu sollen glaubt:
„Ueber das Lübecker Niederstadtbuch vgl. auch Paul Rehme, Die
Lübecker Handelsgesellschaften in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts,
168 Literatur.
Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht 42, 1894“ — Strieder hat
wohl von der Publikation ebensowenig Kenntnis genommen wie von
der Schrift Max Webers, Zur Geschichte der Handelsgesellschaften
nach südeuropäischen Quellen, 1889, die er S. 99 Anm. 2 als „zitiert
bei Keutgen a. a. O.“ nennt). Obgleich es für sein Thema ohne jeden
Belang ist, ob jene Stadtbuchsrubrik als Handelsregister zu gelten hat
oder nicht, berührt er die Frage; er meint, man habe es nicht, wie
man leicht glauben könnnte, mit einer Art Handelsregister mit Ein-
tragungspflicht zu tun, indem er sich darin doch wohl Mollwo, Das
Handlungsbuch von Hermann und Johann Wittenborg (1901), S. XLVII
anschließt (dazy Strieder S. 98 Anm. 2), welcher einer früher auf-
gestellten Behauptung (Rehme, a. O. S. 376), es liege ein Handels-
register, und zwar ein reines Gesellschaftsregister vor, mit der Be-
gründung widerspricht, die Eintragung sei nicht vorgeschrieben gewesen.
Hierzu bemerken wir: daß Anmeldungszwang wie nach heutigem deutschen
Handelsregisterrechte bestand, hat niemand behauptet (bei Rehme,
a. O. S. 367, 379 wird sogar das Gegenteil betont); im übrigen ist
es für den Begriff des Handelsregisters an sich wie auch für den Begriff
des Grundbuches an sich vollkommen unwesentlich, ob die Eintragungen
vorgeschrieben waren oder nicht (Rehme, Geschichte des Handels-
rechtes, S. 158 Anm. 81). Die neuere Literatur, die weit über die ge-
nannten Abhandlungen hinausgelangt ist, namentlich mehrere Arbeiten
von Silberschmidt und ein Buch des Dänen Arup, ist dem Verf.
unbekannt geblieben (die Literatur ist angeführt bei Rehme, a. O.
S. 162 ff., 217 £.; dazu sind inzwischen gekommen Schmidt-Rimpler,
Geschichte des Kommissionsgeschäfts in Deutschland, Bd. 1, 1915, und
Silberschmidt, Beteiligung und Teilhaberschaft, /ein Beitrag zum
Rechte der Gesellschaft, 1915).
Aber noch ein weiterer Vorwurf ist dem Verf. zu machen. Die
Quellen, aus denen bisher im wesentlichen die Kenntnis von den Zu-
ständen in den hansischen Seestädten geschöpft worden ist und auf die
er selbst Bezug nimmt (S. 98), gehören dem 14. Jahrhundert an; er
nimmt ohne weiteres an, was damals galt, habe auch noch im 16. Jahr-
hundert gegolten. Wir sind über die niederdeutschen Verhältnisse dieser
Zeit noch nicht auch nur einigermaßen hinlänglich unterrichtet, um ein
Urteil fällen zu können — auch Strieder hat keine entsprechenden
Forschungen angestellt. Fest steht, daß im Mittelalter die offene Handels-
gesellschaft nicht im entferntesten praktisch die Rolle spielte wie die
Wedderleginge und die Sendevegesellschaft; daß jene aber schon gegen
Ende des Mittelalters in Oberdeutschland größere Bedeutung erlangte,
wenn sie diese auch durchaus nicht zu verdrängen vermochte; daß jene
später allmählich eine weitere Verbreitung fand — wann und wie dies,
zumal im Norden, geschehen ist, wissen wir nicht (Rehme, a. O.
S. 167, 218), und es kann nicht als ausgeschlossen gelten, daß die
„Konzentration des Kapitals“ in der Rechtsform der offenen Handels-
gesellschaft (oben S. 167) im Norden bereits im 16. Jahrhundert die
Herrschaft erlangt oder doch bedeutende Fortschritte auf dem Wege
dahin gemacht hatte. (Die Verschiebung des zeitliches Standpunktes
Literatur. 169
bei der Verwertung von Quellen in umgekehrter Richtung fällt in
Strieders älterem Werke „Zur Genesis des modernen Kapitalismus“
auf, wo er sich auf jüngere Quellen stützt, um ältere Zustände
zu erweisen; darüber v. Below in der Historischen Zeitschrift,
Bd. 95, S. 293, und im Weltwirtschaftlichen Archiv, Bd. 5, S. 455
Anm. 1.)
Auch die sich anschließenden Erörterungen über „die Entstehung
der Aktiengesellschaft“ geben zu Ausstellungen Anlaß, was um so
schwerer ins Gewicht fällt, als sie die Grundlage der ihnen folgenden
Sonderuntersuchungen bilden. Auch bei ihnen ist die Literatur nicht
in genügendem Umfange herangezogen (über dieselbe Rehme, a. O.
8. 219 Anm. 103, 105; inzwischen auch van Brakel in der Viertel-
jahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 10, S. 491 ff.).
Vor allem aber lassen sie die richtige Problemstellung und die nötige
Klarheit vermissen. Wer sich mit der Entstehung der Aktiengesell-
schaft im modernen Sinne beschäftigt — nur auf diese richtet der Verf.
sein Augenmerk —, der hat sich zwei Fragen vorzulegen: erstens, welches
sind die wirtschaftlichen Unternehmungen, die zuerst in die neue Rechts-
form der Aktiengesellschaft gekleidet auftreten; zweitens, wie ist dieses
neue Rechtsgebilde erwachsen — beruht es auf völlig neuen Rechts-
gedanken oder haben bei seiner Gestaltung ältere Gedanken Verwendung
gefunden? Die Fragen sind zum Teil juristischer Natur; allein auch der
Wirtschaftshistoriker darf ihnen nicht insoweit aus dem Wege gehen,
mag er auch das wirtschaftliche Moment in den Vordergrund treten
lassen — die Aktiengesellschaft ist eben ein Rechtsgebilde.
In der Beantwortung der ersten jener beiden Fragen war man sich
wohl einig geworden: die Verbände, die als die ältesten Aktiengesell-
schaften im modernen Sinne zu gelten haben, seien die großen Handels-
kompagnien,’ die im westlichen und nördlichen Europa, zuerst in den
Niederlanden, seit dem Anfange des 17. Jahrhunderts für den über-
seeischen Handel gegründet wurden. Strieder will nun zwar zugeben,
daß zuerst das 17. Jahrhundert in diesen Kolonialhandelsgesellschaften
Aktiengesellschaften in größerer Zahl hervorgebracht habe, Bildungen, von
denen aus sich die Entwicklung in ununterbrochener Ueberlieferung bis
zu den Aktiengesellschaften unserer Tage verfolgen lasse (S. 111); er
glaubt jedoch, in Deutschland bereits für das 15. und 16. Jahrhundert
einzelne „Aktiengesellschaften“ nachweisen zu können, die er aber ge-
legentlich auch weniger bestimmt bezeichnet als „aktiengesellschaftliche
Bildungen“ (S. 361), „aktiengesellschaftliche Organisationsformen“ (S. 111),
„Arten der Handelsvergesellschaftung, die über die älteren Formen der
Handelsgesellschaft hinaus auf die moderne Aktiengesellschaft hin-
weisen“ (8. V), „faktische Kapitalassoziationen, die auf dem Aktien-
gesellschaftsprinzip aufgebaut sind“ (S. 122). Es ist offenbar die eigent-
liche Aufgabe des Abschnittes, dem er die Ueberschrift: „Die Entstehung
der Aktiengesellschaft“ gegeben hat, den er den Ausführungen über die
von ihm vermeintlich in dem steiermärkischen und oberösterreichischen
Eisenerzhandel, dem Iglauer Tuchhandel, dem Amberger Zinnblechhandel.
dem sächsischen Zinnhandel gefundenen Aktiengesellschaften (oben S. 167
170 Literatur.
voranschickt, den Weg zu zeigen, den er gegangen ist, um zu seinem
Ziele zu gelangen.
Er sucht dabei zunächst (S. 112 ff.) zwei Argumente hinfällig zu
machen, die ein Vertreter der älteren Theorie, Karl Lehmann, Die
geschichtliche Entwicklung des Aktienrechts bis zum Code de Commerce
(1895), für sich ins Feld geführt habe. Gegen Lehmanns Bemerkung
a. O. S. 9, es liege in dem Namen der Aktiengesellschaft des 17. Jahr-
hunderts etwas ganz Neues vor, weist er darauf hin, daß das Wort Aktie
(actio) in Deutschland schon Mitte des 16. Jahrhunderts für Inhaber-
papiere vorkomme, und er schließt diese Betrachtung ab: „So könnte
also... ‚actio‘ auch für die Urkunden, die wir heute Aktien nennen,
anstandslos gebraucht worden sein. Ob es tatsächlich dafür gebraucht
worden ist, das müssen noch nähere Studien lehren“ (S. 115). Wir
fragen: ist diese Erörterung wirklich geeignet, irgendwie die ältere
Ansicht auch nur ins Schwanken zu bringen? Ferner betont Strieder,
Lehmann dränge das Spekulationsmoment zu sehr in den Vordergrund,
wogegen zu bemerken sei, daß es Aktiengesellschaften ohne Spekulation
gebe und gegeben habe. Diese Bemerkung ist zweifellos richtig. Wenn
jedoch Lehmann die Eigenschaft der Aktie als Dividendenpapier als
das Entscheidende ansieht — das ist der Sinn seiner betreffenden Aus-
führungen (a. O. S. 24ff.) —, so ist diesem durchaus zuzustimmen;
denn daß tatsächlich ausnahmsweise die Mitglieder einer konkreten
Aktiengesellschaft nicht auf den Bezug von Dividenden rechnen, ist
unerheblich, wie es beispielsweise für den Charakter eines konkreten
Geschäftes als Kauf ohne Belang ist, daß der Käufer sich von vornherein
sagt, Zahlung des gestundeten Preises werde voraussichtlich nicht er-
folgen. So ist den beiden Einwendungen Strieders gegen Leh-
mann Bedeutung nicht beizumessen.
Unternimmt man es zu untersuchen, ob ein gewisser älterer Verein
als Aktiengesellschaft zu gelten hat, so hat man zuvörderst das von
dem Wandel der Zeiten unabhängige Charakteristische der Aktien-
gesellschaft festzustellen; man darf nicht von der heute maßgebenden
Definition ausgehen, können sich doch allmählich Begriffsmerkmale ent-
wickelt haben, die in der Jugend des Instituts noch nicht vorhanden
waren — man hat sozusagen einen geschichtlichen Begriff der Aktien-
gesellschaft zu bilden, der sich mit dem dogmatischen nicht zu decken
braucht (zu der methodischen Frage überhaupt auch Rehme, a. O.
S. 103 Anm. 53, S. 164 Anm. 143; Schmidt-Rimpler, a. O. S. 1 ff.,
1lf; Stutz in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechts-
geschichte, Bd. 36, Germanistische Abteilung, S. 570). Sodann hat
man zu prüfen, ob das so als charakteristisch erkannte Moment
(oder deren etwaige Mehrheit) bei dem in Frage stehenden Ver-
eine vorliegt; ist dies der Fall, so hat: er als Aktiengesellschaft
zu gelten, anderenfalls nicht. Strieder scheint die Notwendigkeit
solchen Verfahrens gefühlt zu haben; allein es ist ihm nicht gelungen,
den richtigen Weg zu finden. Schon insofern geht er fehl, als er
nicht die begrifflichen Merkmale von den kraft positiver Regelung
jeweilig geltenden Rechtssätzen scheidet; so betrachtet er als „Kenn-
Literatur. 171
zeichen, Merkmale unserer Aktiengesellschaften des 19. und 20. Jahr-
hunderts“ (S. 122 ff.) die leichte Uebertragbarkeit der Aktie, die be-
liebige Uebertragbarkeit derselben auf jedermann, das Erfordernis einer
jährlichen Generalversammlung, der jährlichen Gewinnausschüttung.
Immerhin beeinflußt dieser Fehler die weiteren Auseinandersetzungen
nicht; denn Strieder sagt ganz zutreffend, ein Verband der Vorzeit
könne als Aktiengesellschaft angesprochen werden, auch wenn jene
Regeln für ihn nicht gelten.
Wie bestimmt nun aber Strieder das für die Aktiengesellschaft
Charakteristische? Er erklärt S. 117f.: „Das wesentlich Neue bei der
Aktiengesellschaft war die neue Art der Kapitalassoziation.... In
der Aktiengesellschaft wird, wenn ich mich so ausdrücken darf, die
Form der Kapitalbeschaffung demokratisiert, verallgemeinert, populari-
siert. Was schon bei der Ausbildung der kapitalistischen Gewerkschaft
im Bergbau ... geschehen war: die Hereinziehung weiterer vermögender
Kreise ... in die kapitalistische Produktion und in den kapitalistischen
Handel, die fortschreitende Erfüllung der Gesellschaft mit kapitalistischem
Geiste, dasselbe vollzog sich auch bei der Verbreitung der neuen Form
der Erwerbsgesellschaft. Und zwar wurden die neuen Kapitalisten
nicht zur ‚risikofreien‘ Anteilnahme in der Form von festverzinslichen
Einlagen herangezogen, sondern zur Beteiligung zu Gewinn und Ver-
lust (des eingeschossenen Kapitals)“ Hieraus wird nicht klar, worin
eigentlich die neue Art der Kapitalbeschaffung bei der Aktiengesellschaft
gegenüber der Gewerkschaft bestehen soll. In Wahrheit besteht das
Wesen der Aktiengesellschaft darin: sie hat ein in Aktien (Dividenden-
papiere) zerlegtes Grundkapital. Die Aktie ist die malßgebende Er-
scheinung (dazu auch Lehmann, a. O. S. 24) — daher eben der Name
Aktiengesellschaft. Liegt ein in Aktien zerlegtes Grundkapital vor?
Diese Frage hat man zu beantworten, will man feststellen, ob ein
Verband Aktiengesellschaft ist oder nicht. Auf nicht mehr und nicht
weniger hat man die Untersuchung zu erstrecken; insbesondere braucht
der Charakter als Körperschaft, der erst allmählich schärfere Aus-
prägung erfahren hat, und damit der (mindestens grundsätzliche) Aus-
schluß der Haftung der Mitglieder für Schulden der Gesellschaft nicht
nachgewiesen zu werden — die Haftungsfrage spielte im Gesellschafts-
rechte der früheren Zeit nicht die Rolle wie heute (Rehme, a. O.
S. 167 Anm. 163; Lehmann, a. O. S. 23 f.).
Zur Aufhellung der Entstehung der Aktiengesellschaft gehört, wie
vorhin (S. 169) betont wurde, auch die Aufdeckung der Wurzel oder
der Wurzeln, aus denen das neue Rechtsgebilde erwachsen ist. Hier
haben wir es mit einer Streitfrage zu tun. Die einen — früher die
herrschende Ansicht — führen die moderne Aktiengesellschaft auf die
italienischen montes (maonae) und Aktienbanken zurück; die anderen
leugnen jeden geschichtlichen Zusammenhang mit Italien: die Aktien-
gesellschaft sei aus der germanischen Reederei entstanden; eine dritte
Ansicht geht dahin: jene italienischen Bildungen haben nicht als die
Wurzel des Instituts schlechthin zu gelten, es seien vorwiegend Ele-
mente der Reederei, die bei dessen erster juristischen Ausgestaltung
172 Literatur.
Verwendung gefunden haben, möglicherweise sei aber auch die genu-
esische Georgsbank von Einfluß gewesen (dazu Rehme, a. O. S. 219,
namentlich ebenda Anm. 105 mit Hinweis auf frühere Aeußerungen
Rehmes). Hier versagen die Ausführungen Strieders vollständig.
Der Reederei wird mit keinem Worte gedacht. Was den italienischen
Einfluß anlangt, so bemerkt Strieder zwar gelegentlich in dem zweiten
Buch, er halte daran fest, „daß die Wiege der modernen Aktiengesell-
schaft in Italien stand“, unter Verweisung auf „Näheres darüber unten
in dem dritten Buch Kapitel I Abschnitt 2“ (S. 68 Anm. 2). Allein
der erwartungsvolle Leser sieht sich arg enttäuscht: in diesem ange-
zogenen Abschnitt, eben demjenigen, welcher nach der ihm gegebenen
Ueberschrift „die Entstehung der Aktiengesellschaft“ behandeln soll,
weist Strieder wohl kurz auf die frühere „opinio communis, daß die
Heimat der modernen Aktiengesellschaft Italien sei“, hin (S. 111), sagt
aber kein Wort darüber, wie er sich den Zusammenhang zwischen der
neuen Aktiengesellschaft und den italienischen Bildungen denkt; er
nimmt hier überhaupt zu der Theorie keine Stellung, begnügt sich
vielmehr mit den vorhin (S. 170) besprochenen Einwendungen gegen
Lehmann und der vorhin (S. 170 f.) kritisierten Auseinandersetzung, wie
er dazu gekommen sei, schon im 15. und 16. Jahrhundert in Deutsch-
land Aktiengesellschaften im heutigen Sinne zu finden.
Sonach ist zu sagen: der Abschnitt ist weit davon entfernt, das
in seiner Ueberschrift bezeichnete Thema, „die Entstehung der Aktien-
gesellschaft“, in einigermaßen befriedigender Weise zu behandeln.
Angesichts solcher Beurteilung muß man von vornherein den auf seiner
Grundlage aufgebauten Sonderuntersuchungen (oben S. 167) mit einem
gewissen Mißtrauen entgegentreten. Prüft man dieselben genauer, so
vermißtt man in der Tat bezüglich der sämtlichen Verbände, die
Strieder für Aktiengesellschaften hält, den Nachweis, daß bei ihnen
ein in Aktien zerlegtes Grundkapital vorhanden war. Es ist ja nicht
ausgeschlossen, daß neue zielbewußte Betrachtungen dieser Unter-
nehmungen den Charakter der einen oder der anderen als Aktiengesell-
schaft darzutun vermögen. Das vorliegende Werk ist jedoch nicht
imstande, die bisherige Meinung, daß die ältesten modernen Aktien-
gesellschaften die großen Kolonialgesellschaften des 17. Jahrhunderts
sind, zu erschüttern. Trotzdem sind, wie wir gern zugeben wollen,
auch jene Sonderuntersuchungen Strieders dankenswert; sie bieten
viel Neues und Interessantes, und auch sie fördern ohne Zweifel unsere
Kenntnis des deutschen Handels des 15. und 16. Jahrhunderts in keines-
wegs unerheblichem Maße.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 173
Uebersicht über die neuesten Publikationen
Deutschlands und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Hobson, C. K., The Export of Capital. Studies in economic and
political science. London 1914. XXV u. 264 SS.
Der Verfasser, der mit dem bekannten Nationalökonomen J. A.
Hobson nicht zu verwechseln ist, hat die Arbeit als eine Doktordisser-
tation der Londoner Universität geschrieben. Als solche verdient sie
sicherlich Anerkennung. Auch ist zu berücksichtigen, daß über das so
wichtige Problem des Kapitalexports gerade für England noch sehr
wenige eingehende Untersuchungen vorliegen. Obgleich der Verf. mehr-
fach deutsche Literatur heranzieht, scheint er das für die Frage des
Kapitalexports grundlegende Werk von Sartorius v. Walters-
hausen, Das volkswirtschaftliche System der Kapital-
anlage im Auslande, Berlin 1907, nicht zu kennen. Der Unter-
schied zwischen diesen beiden Schriften ist aber, weit über das Gebiet
der Wissenschaft hinaus, ganz außerordentlich bezeichnend für den
Gegensatz zwischen den beiden Ländern, das vertiefte Staatsbewußtsein
in Deutschland, das die Engländer jetzt als „Militarismus“ zu be-
kämpfen vorgeben, und das Fehlen solcher Gedanken in England, wo-
durch es jetzt auf allen Gebieten ins Hintertreffen zu geraten droht.
Hobsons Schrift behandelt das Thema, das ein eminent national-
wirtschaftliches ist, mit einem Worte gesagt: rein privat-
wirtschaftlich. Export aber ist ein Begriff, der ohne Beziehung
auf den Staat und die nationalen Wirtschaftsverhältnisse gar nicht
gedacht werden kann, und so ist auch das Werk von Sartorius v.
Waltershausen ganz überwiegend national-politisch. Hobson be-
trachtet den Kapitalexport zwar auch vom englischen Standpunkt, aber
ausschließlich vom Standpunkt des englischen Kapitalisten,
der Anlagen sucht und erwägt, ob er sie besser im Inlande oder im
Auslande findet. So werden in den ersten 3 Kapiteln: Methoden, Ur-
sachen und Wirkungen von ausländischen Kapitalanlagen erörtert.
Dabei wird aber nicht genügend betont, daß es sich doch nur um den
Geldkapital-Export handelt, also um die Kapitalform, bei der noch
zwischen ausländischer und inländischer Kapitalanlage gewählt werden
kann. Das Hauptproblem des Verf. ist, inwiefern der Kapitalexport
dem inländischen Kapitalbedürfnis solches entzieht und den inländischen
Zinsfuß beeinflußt; doch kommt er in dieser Hinsicht und ebenso in
der Frage nach den Wirkungen auf die Auswanderung nicht zu klaren
Resultaten.
174 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Die Frage der Einwirkung des Staates auf den Kapitalexport wird
auch nur ganz unzureichend und ausschließlich privatwirtschaftlich be-
leuchtet.
Am wertvollsten scheinen mir die Kapitel IV—VI zu sein: Die
Entwicklung der ausländischen Kapitalanlagen, Die Periode britischer
Ueberlegenheit, Britische und kontinentale Kapitalanlagen, die mancherlei
historisches Material enthalten.
Das VII. Kapitel behandelt die Statistik der englischen Kapital-
anlagen im Auslande, welche 1912 auf 3°/, Milliarden £ geschätzt wurde
gegen 1,5 Milliarden £ französischer Anlagen, während für Deutschland,
aber für 1905 und jetzt sicher erheblich zu niedrig, nur 800 Mill. £
angegeben werden. Im letzten Kapitel wird die Frage der Wirkungen
des Kapitalexports auf die Auswanderung noch einmal kurz beleuchtet.
Durch seine privatwirtschaftliche Behandlung des Problems ist das
Buch von Hobson in vieler Hinsicht eine Ergänzung zu dem von Sar-
torius v. Waltershausen. Es macht auch Ansätze zu einer theoretischen
Behandlung des Problems, welche das Verhältnis des Kapitalexports
zu dem Kapitalbedürfnis im Inlande betreffen und in der Richtung der
von mir in diesen Jahrbüchern entwickelten Produktivitätstheorie und
des „Ausgleichs der Grenzerträge“ liegen, welche den Zufluß von Kapi-
talien und Arbeitskräften zu den einzelnen Erwerbszweigen regeln und
damit die Preis- und Einkommensbildung bestimmen. In dieser Hinsicht
sei ein Satz angeführt (S. 233): „Generally speaking, individuals will
so distribute their capital between home and foreign investments that
the economic advantages, which they expect to derive from the last
unit of capital invested abroad, are equal to the economic advantages
which they expect to derive from the last unit of capital invested at.
home.“ Der Verf. kommt aber, wie gesagt, nicht zu klaren Resultaten.
Immerhin erkennt man, daß die Schrift Anregungen zu geben vermag.
Denn die Erscheinungen des Kapitalexports und überhaupt der Kapital-
bildung sind, insbesondere nach der theoretischen Seite hin, auch bei
uns längst noch nicht genügend behandelt.
Freiburg i. B. Robert Liefmann.
Biermann, Prof. Dr. W. Ed., Volkswirtschaftliche Lehren des Weltkrieges. Ein
Vortrag. Berlin-Wilmersdorf, Dr. Walther Rothschild, 1915. gr. 8. IV—34 SS. M. 1.—.
Köppe, Prof. Dr. Hans, Kriegswirtschaft und Sozialismus. Marburg, N. G.
Elwertsche Verlagsbuchh., 1915. Lex.-8. 38 SS. M. 1,50.
Mitscherlich, Prof. Waldemar, Nationalstaat und Nationalwirtschaft und
ihre Zukunft. Leipzig, C. L. Hirschfeld, 1916. gr. 8. 51 SS. M. 1.—.
Pistor (Handelsk.-Sekr.), Dr. Erich, Die Volkswirtschaft Oesterreich-Ungarns
und die Verständigung mit Deutschland. Berlin, Georg Reimer, 1915. gr. 8. IX—
175 SS. M. 3.—.
Schiff (Sachverständ.), Emil, Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft und Berliner
Elektrizitäts-Werke. Eine volkswirtschaftliche und privatwirtschaftliche Untersuchung.
Berlin, Franz Siemenroth, 1915. 8. IV—82 88. M. 2.—.
Schumpeter, Prof. Dr. Jos., Wie studiert man Sozialwissenschaft? 2. Aufl.
(Schriften des Sozialwissenschaftlichen akademischen Vereins in Czernowitz, Heft 2.)
1915. gr. 8 5489. M.1.—. — Vergangenheit und Zukunft der Sozialwissenschaften.
(Schriften des Sozialwissenschaftlichen akademischen Vereins in Czernowitz, Heft 7.)
München u. Leipzig, Duncker u. Humblot, 1915. gr. 8. 140 88. M. 3.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 175
Hamilton, Walton Hale, Current economic problems; a series of readings in
the control of industrial development. Chicago, Univ. of Chicago, 1915. 8. 39 + 789 pp.
(Materials for the study of economics.) $ 2,75.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
König, Erich, Peutingerstudien [Studien und Darstellungen aus
dem Gebiete der Geschichte, herausgeg. von H. Grauert, Bd. 9,
Heft 1 u. 2]. Freiburg i. B. 1914. 178 SS. 4,50 M.
Für Leser dieser Zeitschrift kommen von Königs auf dem umfang-
reichen handschriftlichem Nachlaß des Augsburger Stadtschreibers Konrad
Peutinger beruhenden Studien vornehmlich zwei Punkte in Betracht:
ein bisher unbekanntes Edikt Kaiser Karls V. vom 10. März 1525 über
die „Monopole und Handelsgesellschaften“ (mitgeteilt nach einer Ab-
schrift Peutingers S. 169—173), welches unsere Kenntnis über des
Kaisers Stellung zu dieser Frage zwar nicht wesentlich vertieft, das
jedoch als eine neue Bestätigung der Gebundenheit der kaiserlichen
Politik gegenüber dem deutschen Großkapital nicht ohne Interesse ist.
Bemerkenswert an dieser Verfügung ist noch, daß sie niemals Gesetzes-
kraft erlangt hat, da das Reichsregiment — wenige Wochen nach der
Schlacht bei Pavia! — wegen mangelnder Uebereinstimmung ihre Ver-
öffentlichung zu hintertreiben wußte.
Wichtiger noch scheint mir der zweite Punkt zu sein, die genaue
Inhaltsangabe von Peutingers großem Gutachten zur Monopolienfrage
vom Jahre 1530. Freilich wenn man sich an das Urteil eines aus-
gezeichneten Kenners von Peutingers humanistischen Arbeiten erinnert
— „ein trockener Gelehrter, der in seinem Studierzimmer die Stimmen
vergangener Jahrhunderte um sich versammelte, und der über dem
Zitieren fremder Worte die eigene Sprache verloren hat“ —, so er-
staunt man über den beredten und persönlich lebhaften Ton, in welchem
Peutinger hier seine Aufgabe behandelt. Zur Erklärung könnte man
anführen, daß der Augsburger Stadtschreiber bei der Verteidigung des
Großhandels für seine eigene Sache ficht, denn als Schwager Bartolome
Welsers war er, wie König als sehr wahrscheinlich hinstellt, mit eigenem
Kapital an der Welserschen Handlung beteiligt. Richtiger dürfte jedoch
wohl die Annahme sein, daß Peutinger hier lediglich der Wortführer der
Augsburger Großkaufmannschaft gewesen ist, welcher das ihm von
seinen Auftraggebern zur Verfügung gestellte Material sowie deren
handels- und finanzpolitische Ideen ziemlich kritiklos in die für eine
offizielle Eingabe passende stilistische Form gegossen hat. Schon
König hat auf einige bedenkliche Punkte dieses Gutachtens hingewiesen,
den meines Erachtens bedenklichsten jedoch nicht hervorgehoben, daß
es „nach Handelsbrauch nicht möglich ist!), nicht bloß jedes Jahr,
sondern selbst alle 2 Jahre genügende Abrechnung zu halten, er müßte
denn seine Geschäfte unterbrechen und um solcher unbequemer Rech-
1) Daß das auch damals wohl möglich war, geht aus den uns erhaltenen Bilanzen
der Augsburger Firma „Antoni Haug d. Ae., Hans Langenauer, Ulrich Link und Mit-
verwandte“ aus den Jahren 1533—1562 hervor; vgl. Jacob Strieder, Die Inventur der
Firma Fugger aus dem Jahre 1527 (Tübingen 1905), S. 3 f., auch 8. 3, Anm. 5
176 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
nungsablegung willen aussetzen“ 1). Trotz dieser Bedenken würde ich
es für wünschenswert halten, wenn Peutingers lateinisch abgefaßtes
Gutachten in seinem vollen Wortlaut veröffentlicht würde: wir kennen
so mannigfache Angriffe aus damaliger Zeit auf den Großkapitalismus
— ich erinnere nur unter anderem an die harten, oft recht einseitigen
Urteile von Hutten und besonders von Luther —; es ist deshalb nicht
mehr als billig, daß auch einmal die Gegenseite mit ihren aus großer
Sachkenntnis geschöpften und mit großem und weitem kaufmännischen
Blick vorgetragenen Gegengründen zu Worte kommt.
Halle a. S. Adolf Hasenclever.
Eberstadt (Doz.), Prof. Dr. Rud., Der Ursprung des Zunftwesens und die älteren
Handwerker-Verbände des Mittelalters. 2. erweit. u. umgearb. Aufl. München u. Leipzig,
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Gras, Norman Scott Brien, The evolution of the English corn market, from
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Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 177
Kruschwitz (Geschäftsführ. Reg.-Baumeister), Dr. ing., Erfolge und Aussichten
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Jahrb. f. Nationalök, u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 12
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karten und Lageplänen. Frankfurt a. M., Heinrich Keller, 1916. Lex.-8. VI—251 SS.
M. 5,20.
Hagedorn, Dr. Kurt, Der Handelskauf „auf Abruf“ und die Handelsbräuche
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Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 179
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Ludewig, Hans, Geldmarkt und Hypothekenbank-Obligationen.
(Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen, Heft 181.) München
und Leipzig, 1915. 148 SS.
In den letzten Jahren ist ein dankenswertes wachsendes Interesse
zu beobachten, in die Geheimnisse des Geld- und Kapitalmarktes mit
seinen mannigfachen und komplizierten Beziehungen zu dem gesamten
Wirtschaftskörper einzudringen. In die Reihe dieser Untersuchungen
gehört das Buch des Verf., der einen Teil des Kapitalmarktes, die
Hypothekenbank-Obligationen umfassend, unter die Lupe nimmt. Es
handelt sich überwiegend um eine statistische Detailarbeit, der man,
soweit der Fleiß der Materialsammlung in Betracht kommt, die An-
erkennung nicht versagen kann, deren Endeffekt jedoch — wenn man
sich die Frage vorlegt, ob die Arbeit eine Förderung unserer wissen-
schaftlichen Erkenntnis bedeutet — leider nicht ganz mit dem Auf-
wande an Arbeit im Einklang steht. Denn das Resultat, daß den
Kursen der Hypothekenbank-Obligationen durch die Interventionskäufe
der Banken eine größere Stabilität gegentiber den Staatsanleihen z. B.
verliehen wird, ist eine bekannt erwiesene Tatsache (es braucht dabei
nur auf die reichhaltige Literatur über die Frage der Stabilisierung
der Staatsanleihekurse hingewiesen zu werden). Die sonst in die Hy-
pothekenbankfrage hineinspielenden Probleme sind so kurz gestreift,
daß sie eine Bereicherung der Stoffbehandlung nicht bedeuten. Zu be-
dauern ist, daß Verf. nicht die Beziehungen zwischen Hypothekenmarkt
einerseits und Obligationen- und Geldmarkt andererseits mit in das
Bereich seiner Untersuchungen gezogen hat. Hier hätte er wirklich
Neuland finden können.
Berlin. H. Hilbert.
Christen, Dr. Th., Die absolute Währung des Geldes. Denkschrift, zuhanden
des eidgenössischen Finanzdepartements eingereicht. Bern, A. Francke, vorm. Schmid u.
Francke, 1915. 8. 22 SS. M. 0,50.
Grundriß der Sozialökonomik. Bearb. von S. Altmann, Th. Brinkmann, K. Bücher
ua V. Abtlg. Die einzelnen Erwerbsgebiete in der kapitalistischen Wirtschaft und die
ökonomische Binnenpolitik im modernen Staate. 2. Teil. Bankwesen. Bearb. von
G. v. Schulze-Gaevernitz, E. Jaffe. Tübingen, J. C. B. Mohr, 1915. Lex.-8. X—231 SS.
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Marcuse (Rechtsanw.), Dr. Paul, Die Bankreform in den Vereinigten Staaten
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12*
180 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Del Mar, Wa., Rules of Russian bank. New York, E. V. Brokaw and Bro.
16. 20 pp. $ 1,50.
Standard Publishing Co. Fire insurance in New England for ten years,
December 31, 1905 — December 31, 1914, inclusive; comp. from statements filed with the
various New England insurance departments. Boston. 8. 234 pp. $ 5.—.
9. Soziale Frage.
Weber, Adolf, Die Lohnbewegungen der Gewerkschaftsdemo-
kratie. Ein antikritischer Beitrag zum Gewerkschaftsproblem. Bonn
(A. Marcus und E. Weber) 1914. 8°. 71 SS.
Die Schrift ist hauptsächlich entstanden zur Rechtfertigung der
Ansichten über die Erfolgsmöglichkeiten der Lohnbewegungen, die der
Verfasser in seinem Buche „Der Kampf zwischen Kapital und Arbeit“
entwickelt hat. Namentlich von Herkner und von Kefßler sind diese
Ansichten scharf kritisiert worden. Insofern liegt hier eine Art Anti-
kritik vor, die aber zugleich eine weitere Aussprache über dieses Thema
in die Wege leiten soll. Besonders die beiden Fragen, ob die in der
Form höherer Löhne erscheinenden Erfolge auch wirklich Folge der
Lohnbewegung sind, und ob die höheren Löhne nicht auch ohne solche
Bewegung, nur infolge der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung,
erreicht worden wären, werden erörtert. Dem Verfasser liegt daran,
zu zeigen, dab er kein grundsätzlicher Gegner der Gewerkschafts-
bewegung ist, und daß die Kritik wie die Zweifel, die er ihr gegenüber
ausgesprochen hat, nur Ausfluß eines hohen Grades von Objektivität
seien, den er bei seinen wissenschaftlichen Gegnern vermißt. Er beruft
sich darauf, daß die Praktiker der Gewerkschaftsbewegung sich weit
weniger über ihn entrüstet hätten, weil ihnen die harte Praxis täglich
die inneren Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen habe, vor Augen
führe. Die Theoretiker sähen dagegen meistens nur deren allerdings
glänzende äußere Seite.
Daß jene beiden Fragen zuungunsten der Gewerkschaftsbewegung
zu beantworten seien, sucht W. an der Hand einer Reihe von zahlen-
mäßigen und anderen Belegen zu erweisen. Vor allem nach der
Richtung hin, daß starke Lohnsteigerungen ohne jede gewerkschaftliche
Tätigkeit, auch ohne „Fernwirkung“ einer solchen, in Menge vor-
gekommen seien. Er behauptet sogar, „für den denkenden Sozial-
ökonomen“ sei die dadurch erhärtete These, daß fortschreitende Ver-
besserung der wirtschaftlichen Konjunktur die Unternehmer auch ohne
gewerkschaftlichen Zwang zu höheren Löhnen zwinge, selbstverständlich.
An bestimmten Fällen des Wirtschaftslebens wird sodann der Nachweis
unternommen, daß der „statistische“ Erfolg der Lohnbewegung kein
Erfolg im gewerkschaftlichen Sinne sei. Der Hauptgrund hierfür ist
ihm das Steigen der Preise, durch das die Kaufkraft des gestiegenen
Nominallohnes sinke. Auch werde der Auslandskonkurrenz gegenüber
die heimische Produktionsmöglichkeit durch die erzwungene Nominal-
lohnsteigerung ungünstig beeinflußt. Jedenfalls müsse infolge des Streiks
mindestens in der Höhe der Lohnsteigerungen mehr an volkswirt-
schaftlichen Werten geschaffen werden, wenn die Arbeiterschaft wirk-
lichen und dauernden Erfolg von ihnen haben solle. Die Gewerkschafts-
freunde richteten daher ihre Hoffnungen größtenteils auf die durch die
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 181
Gewerkschaften veranlaßten technischen und organisatorischen Fort-
schritte. Die in dieser Hinsicht möglichen Wege werden untersucht.
Aber das Ergebnis ist, daß solche Fortschritte gemacht werden trotz,
nicht wegen der ständigen Beunruhigungen der Gewerbe durch Lohn-
bewegungen. Ebenso ungünstig fällt die weitere Untersuchung aus,
ob Steigerungen des Reallohnes durch Reduktion des Kapitalzinses
erzielt werden können. Nur so viel gibt W. zu, daß Koalitionen bei
vorsichtigem Vorgehen eine durch die wirtschaftliche Lage bedingte,
aber durch die vis inertiae aufgehaltene Lohnerhöhung beschleunigen
können.
Dieses Zugeständnis des Autors legt die Frage nahe, welche
Garantien denn dem Arbeiter dafür zur Verfügung stehen, daß diese
vis inertiae nicht zur Kraft eines dauernden und erfolgreichen Hinder-
nisses gegen Lohnsteigerungen wird, die nach den wirtschaftlichen
Verhältnissen, insbesondere nach der gestiegenen Ergiebigkeit der Arbeit,
berechtigt erscheinen. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung mit dem
Lohnsystem im Herzen ihres Organismus bietet an und für sich eine
solche Sicherheit jedenfalls nicht. Daß ihr Apparat in dieser Hinsicht
eine Lücke aufweist, ist für den beobachtenden und auf Grund seiner
Beobachtungsergebnisse denkenden Sozialökonomen leicht zu erkennen.
Die vis inertiae muß also durch eine stärkere und jederzeit verfügbare
Kraft überwunden werden können, soll die auch von W. als berechtigt
zugegebene Anteilnahme der Arbeiterschaft an der gesteigerten Er-
giebigkeit der nationalen Wirtschaft dieselbe Sicherheit haben, mit der
Grundrente und Kapitalzins auf ihren Anteil an dieser Steigerung
rechnen dürfen. Nach W. soll „die fortschreitende Verbesserung der
wirtschaftlichen Konjunktur“ von selbst die Unternehmer zu höheren
Löhnen zwingen. Den Vorwurf einer manchesterlich-automatisch vor-
gestellten Selbstregulierung von Lohn- und Produktionssteigerung lehnt
er gleichwohl entschieden ab. Es wäre dann aber zu zeigen gewesen,
wie beispielsweise die fortgesetzte Steigerung des Jahresreinertrages
einer Aktienunternehmung deren Leiter veranlaßt, den Aktionären eine
Lohnerhöhung (der Arbeiter, nicht der Direktoren) auf Kosten der Höhe
ihrer Dividende vorzuschlagen, und welche Kräfte stets und voll wirksam
werden, um die Aktionäre zur Zurücksetzung ihrer Dividendenansprüche
gegen die Lohnansprüche der Arbeiter zu bestimmen. Welches sind
diese Kräfte, woher stammen sie, und welcher Hebel setzt sie in
Bewegung, wie ist ihre psychologische Verursachung zu erklären’?
Daß Unternehmer in irgendeiner Anzahl von Fällen Lohnerhöhungen
bei guten Konjunkturen ohne gewerkschaftlichen Zwang gewährt haben,
beweist (sofern darin nicht etwa eine vorbeugende Maßnahme lag)
höchstens eine Abhängigkeit der Arbeiter vom guten Willen der Unter-
nehmungsleiter, liegt also eher in der der Beweisführung entgegen-
gesetzten Richtung. Es beweisen insbesondere die keineswegs seltenen
Fälle von freiwilligen Lohnzulagen wegen Steigerung der Lebens-
haltungskosten zwar ein erfreuliches soziales Verständnis für die
Existenzmöglichkeiten und Kulturbedürfnisse der Arbeiter, doch nichts
für die Sicherheit der Arbeiter, an der steigenden Ergiebigkeit der
Arbeit einen Anteil zu erlangen. Solange diese Sicherheit ihnen nicht
182 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
anderweit gewährt ist, werden die Arbeiter auf den Gebrauch ihres
Koalitionsrechtes niemals verzichten wollen.
Im dritten Abschnitt zeigt W., daß. weder bei den Führern noch
bei den Mitgliedern der Gewerkschaften die Theorie der Lohn-
bewegung gegenüber der Praxis die genügende Würdigung finde. Es
würden die Fragen der Wirkungen erfolgreicher Lohnbewegungen auf
die Preise, auf die Kapitalbildung, auf die Unternehmertätigkeit, auf
den technischen und organisatorischen Fortschritt der Unternehmung
bei einem Streik kaum je geprüft. Die Mitglieder seien überhaupt
nicht genügend geschult, um den einsichtigen Führern zu folgen. Wenn
W. im Anschluß daran mehr Einsicht und Disziplin der Mitglieder
verlangt, so berührt das eigentümlich, da diese Eigenschaften doch
gerade für die von ihm als zwecklos erklärten Lohnbewegungen in
Betracht kommen. Er weist ferner an Einzelheiten eine qualitative
Rückständigkeit der Gewerkschaftsbewegung nach, die im mangelnden
Versammlungsbesuch, schwachen Gebrauch von den gewerkschaftlichen
Bildungsmitteln, überhaupt im Rückgang des gewerkschaftlichen Inter-
esses zutage trete, und folgert daraus, daß dauernde materielle Ge-
werkschaftserfolge ausgeschlossen seien. Denn solche seien abhängig
von der Lösung sehr komplizierter Probleme, nicht von Mehrheits-
beschlüssen. Die großen, aus der Massenpsyche und aus dem Neben-
einander von politischer Partei und Gewerkschaft sich ergebenden
Schwierigkeiten für die Gewerkschaftsführer werden in diesem Zusammen-
hange näher gewürdigt.
Das Ergebnis der Untersuchungen läuft darauf hinaus, daß er-
zwungene Lohnerhöhungen meistens nicht Minderung des Unternehmer-
gewinnes, sondern Preissteigerung bewirken. Die Teuerung trifft die
Arbeiter aber doppelt hart: einmal als Hauptmasse der Konsumenten,
sodann wegen ihrer geringeren Widerstandskraft gegen Abwälzungen
der Lohnerhöhungen auf die Konsumenten. Aber auch soweit solche
Lohnerhöhungen die Besitzenden treffen, als Profiteinbuße oder Konsum-
verteuerung, leiden die Arbeiter, denn jene schränken eher die Kapital-
bildung als den Konsum ein, wodurch die Arbeitsmöglichkeit geringer
wird. Auch die kapitalschwachen Kategorien der unteren und mittleren
Stände werden betroffen, sofern die Befriedigung ihres Bedarfs mit
der fortschreitenden wirtschaftlichen Entwicklung nicht standhält.
Endlich ist aus den die Qualität der Gewerkschaftler betreffenden
Gründen auch keine günstige Wirkung auf die Fortbildung der Unter-
nehmung zu erwarten.
Die unausgesprochene Konsequenz dieser Anschauungen ist, dab
durch Ausschaltung der Lohnbewegungen, mit denen auch die Regelung
der Arbeitszeit eng zusammenhängt, die Gewerkschaften im wesent-
lichen auf die Tätigkeit von Unterstützungsvereinen für Notfälle be-
schränkt werden. Der Arbeiterbewegung würde mit ihrem Hauptziele
ihr Rückgrat genommen. Wie es mit den Arbeitgeberverbänden und
ihrer Betätigung dann werden soll, bleibt fraglich. Für die Stellung-
nahme zu dem vom Verfasser behandelten Problem bleibt diese Folge
jedenfalls stets zu beachten.
Marburg (Lahn). H, Köppe.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 183
Kaufmann, Arthur, Vergleichende Untersuchungen über den
Schutz der Arbeiter und Angestellten der Großherzogl. Badischen Staats-
eisenbahnen und der Schweizerischen Bundesbahnen. (Heft 175 der
Staats- u. sozialwissenschaftlichen Forschungen, herausg. von Schmoller
u. Sering). Leipzig (Duncker & Humblot) 1914. 8°. 158 SS.
Die Frage, in welchem Maße der Staat als Musterarbeitgeber wirkt,
und ob insbesondere ohne zu starke Belastung seiner Einkommens-
quellen der staatliche Verkehrsarbeiterschutz durchführbar ist, wird hier
an dem Beispiele des badischen Staatsbahnbetriebs und durch einen
Vergleich der badischen mit der schweizerischen Sozialpolitik auf dem
Gebiete des Eisenbahnwesens untersucht. Die badischen Bahnen eignen
sich dazu besonders, da sie von Anfang an (1838) als Staatsbahnen
gegründet und ausgebaut wurden. Im einzelnen werden die Arbeiter-
kategorien und ihre Rekrutierung, der Schutz von Leben und Gesund-
heit, Arbeitszeit und Arbeitslohn, endlich Arbeitsordnung, Arbeiter-
ausschüsse und Koalitionsrecht vergleichend dargestellt. Außer zahl-
reichen Texttabellen sind eine Anzahl graphischer Darstellungen zur
Veranschaulichung beigegeben, ebenso ein ausführliches Literatur-
verzeichnis.
Im ganzen erscheint der Schutz der badischen Eisenbahner auf
einer hohen Stufe, sowohl im Verhältnis der gleichartigen Leistungen
aller deutschen Staatsbahnen als auch namentlich gegenüber den sozial-
politischen Leistungen der schweizerischen Bundesbahnen, denen sie
ganz erheblich überlegen sind. Im besonderen sind es namentlich die
Durchführung der Unfallverhütung, die Ausgestaltung der Einrichtungen
der Bahnärzte und des Rettungswesens, die Verhütung und die Be-
kämpfung von Krankheiten sowie des Alkoholmißbrauchs, die Durch-
führung der Arbeiterversicherung, die Regelung der Arbeitszeit- und
Ruhezeitbestimmungen, die Ausgestaltung der Arbeiterausschüsse, die
Fortbildung des Arbeitslohnes und die ständige Ueberführung einer
großen Arbeiterzahl in das Beamtenverhältnis, wodurch Baden vor der
Schweiz sich auszeichnet. Die dadurch verursachte Belastung des
badischen Staatseinkommens ist erheblich, macht sich aber reichlich
bezahlt, vor allem durch eine große Steigerung der Betriebssicherheit.
So nahmen auf den badischen Bahnen die Unfälle der Bahnbeamten
und -arbeiter von 1900—1910 um 46 v. H. ab, indem sie auf 3,83
vom Tausend aller Dienstpersonen sanken. Sie blieben damit gegen
die gleichartigen Unfälle auf den Schweizer Bundesbahnen, trotz viel
stärkerer Zugdichte Badens, ganz bedeutend (0,07 gegen 1,08 auf
1 Million Wagenachskilometer) zurück. Auch für die Reisenden ist die
Unfallhäufigkeit in Baden erheblich günstiger. Mit dem Ausbau des
Sicherungswesens in modernem Stile hat die Schweiz überhaupt erst
in bescheidenem Maße begonnen, während es auf den deutschen Bahnen
sich in unausgesetzter Vervollkommnung befindet. Die Einzelheiten
bieten, wie z. B. die dabei erörterte Frage der Einführung selbsttätiger
Kuppelungen, die sich in Amerika, nicht aber auch bei uns bewährt
haben, auch in technischer Hinsicht viel Interessantes.
Hinsichtlich der Arbeitszeit ist beachtenswert, daß die gesetz-
liche Einführung einer allgemeinen Höchstarbeitszeit für alle Ar-
184 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
beiter, wie die Schweiz sie in Höhe von elf Stunden hat, keineswegs
einen unbedingten Vorzug bedeutet, vielmehr speziell auf dem hier in
Betracht kommenden Gebiete empfindliche Nachteile aufweist gegenüber
der badischen Regelung, die weder die Zahl der Dienststunden noch
die Länge der Ruhepausen in schematischer Weise nach einer allge-
meinen Norm festsetzt, sondern differenzierend und spezialisierend zu
Werke geht. Das Schweizer Personal klagt denn auch beständig über
anormale Ausnutzung seiner Arbeitskraft, während anderseits häufige
Uebertretungen des Arbeitszeitgesetzes dort vorkommen. In Baden
dagegen sinkt die Dauer der wirklichen Arbeitsleistung erheblich
unter die schweizerische „Arbeitszeit“ herab. Was den Arbeitslohn
betrifft, so haben schon die Untersuchungen von Lotz ergeben, daß die
Aufwendungen für das Gesamtpersonal, ohne die Pensionen und Hinter-
bliebenen-Unterstützungen, bei fast allen deutschen Staatsbahnen bereits
i. J. 1903 mehr als die Hälfte der gesamten Betriebsausgaben sowie
32—41!/, v. H. der gesamten Betriebseinnahmen ausmachten. In Baden
sind sie sowohl pro Kilometer Betriebslänge als auch pro Kopf des
Personals die höchsten. Die Schweizer Personalausgaben bleiben
dagegen, auf die Einheit bezogen, sehr hinter den badischen zurück,
wenn auch ihre Zunahme von 1903—09 eine größere war. Dabei
kommt das um 900 km größere schweizerische Bundesbahnnetz mit
einem geringeren Verwaltungspersonal pro Kilometer aus. Speziell
hinsichtlich der Löhne der im Arbeitsverhältnis stehenden Bediensteten
nimmt Baden innerhalb Deutschlands die erste Stelle ein. Von be-
sonderem Interesse sind die Darlegungen, warum der Arbeitstarifvertrag
in diesem und überhaupt im Staatsbetriebe nicht angebracht erscheint.
Doch erfolgt die Vergebung von Stücklohnarbeiten zu Preisen, die
unter Zuziehung von Vertrauensleuten der Arbeiter durch einen stän-
digen Stücklohnausschuß berechnet und danach von der Generaldirektion
endgültig festgesetzt werden. In der Bildung und inneren Einrichtung
von Arbeiterausschüssen erscheint die Schweiz sowohl überhaupt
als speziell gegenüber Baden ganz besonders rückständig.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung stellen ein vorzüglich geeig-
netes Vergleichsmaterial hinsichtlich der sozialen Betätigung sowohl in
Staatsbahnbetrieben als in öffentlichen Betrieben überhaupt, aber auch
gegenüber den sozialpolitischen Leistungen der großen privaten
Verkehrsunternehmungen zur Verfügung. Ob von schweizerischer Seite
ein Rechtfertigungsversuch gemacht werden wird, bleibt abzuwarten.
Marburg a. d, Lahn, H. Köppe.
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buch. Hrsg. von Wilh. Jansson. Berlin-Karlshorst, Verlag der Internationalen Korre-
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Pöll, Wolfg., Das Unterstützungswohnsitzgesetz vom 6. 6. 1871/30. 5. 1908
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Wagner (Wirkl. Geh.-Rat), Adolph, Exz., Staatsbürgerliche Bildung. Vortrag.
Mit einem Anhang: Die staatsbürgerliche Aufgabe nach dem Siege, von A. Damaschke.
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Weiser (Bez.-Richt.), Dr. Max, Preistreiberei und ähnliche Delikte nach den
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Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 187
Decentralisatie-wetgeving. ’s Gravenhage, Martin Nijhoff. roy 8. 8 en
464 blz. fl. 3.—.
Krabbe, H., De moderne staatsidee. ’s Gravenhage, Martin Nijhoff. gr. 8.
12 en 221 blz. fl. 3,50.
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12. Statistik.
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Statistik des Unterrichts- und Erziehungswesens im Königreich Württemberg
für 1914. Veröffentlicht von dem Kgl. Ministerium des Kirchen- und Schulwesens.
Stuttgart, Carl Grüninger, 1915. 8. 62 SS. M. 1.—.
Textil-Industrie, Die deutsche, im Besitze von Aktien-Gesellschaften. Statisti-
sches Jahrbuch über die Vermögensverhältnisse und Geschäftsergebnisse derselben im
Betriebsjahre 1914/15. 18. vollständ. umgearb. Aufl. 18. Jahrg. Berlin, Verlag für
Börsen- und Finanzliteratur, 1915. gr. 8 XII—265 SS. M. 6.—.
Oesterreich.
Statistik, Oesterreichische. Neue Folge. Hrsg. von der k. k. Statistischen
Zentralkommission. 8. Bd., 3. Heft. Bewegung der Bevölkerung der im Reichsrate
vertretenen Königreiche und Länder im Jahre 1912. Bearb. von dem Bureau der k. k.
Statistischen Zentralkommission. Wien, Carl Gerolds Sohn, 1915. 32,5%X25 cm. II, 42
u. 159 SS. mit 4 farbigen Karten. M. 7.—.
Schweiz.
Jahresübersicht, Statistische, über die Bevölkerungsbewegung im Kanton
Basel-Stadt 1911. Neue Folge, 1. Jahrg. 42. Bericht über die Zivilstandsbewegung,
die Todesursachen und die ansteckenden Krankheiten im Kanton Basel-Stadt 1911.
Bearb. vom statistischen Amte in Verbindung mit dem Gesundheitsamt. Basel, C. F. Len-
dorff, 1915. Lex.-8. VIII—70 SS. mit 1 eingedruckten Plan. M. 2,40.
Jenny, Dr. O. H., Bautätigkeit und Wohnungsmarkt im Kanton Basel-Stadt 1912.
(Mitteilungen des statistischen Amtes des Kantons Basel-Stadt, No. 29.) Basel, C. F. Len-
dorff, 1915. 8. VIII—24 SS. M. 1,20.
Frankreich.
Chervin, Arthur, L’Autriche et la Hongrie de demain. Les differentes
nationalités d’apr&s les langues parlées. Avec de nombreux tableaux statistiques et six
cartes éthniques. Paris, Berger-Levrault, 1915. 8. VII—119 pag. fr. 3,50.
Statistiques de Pindustrie minière dans les colonies françaises pendant les
années 1912—1913, publi&es sous administration de M. Gaston Doumergue, ministre
des colonies. Paris, Bureau de vente des publications coloniales officielles, 1915. 8.
447 pag. fr. 3.—.
Holland.
Instructie omtrent de samenstelling der statistiek van den handel en de ont-
vangen in- en uitvoerrechten, Weltevreden, Filiaal Albrecht en Co. (’s Gravenhage, Mart.
Nijhoff). gr. 8. 125 blz. fl. 1,25.
"18. Verschiedenes.’
Geiger (Geh. Reg.-Rat), Prof. Dr. Ludwig, Die deutschen Juden und der Krieg.
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Henning, Dr. Karl L., Die Wahrheit über Amerika. Eine zeitgemäße Be-
trachtung. Leipzig, Julius Klinkhardt, 1915. gr. 8. VIII—142 SS. M. 1,80.
Junker (Doz. Red.), S. Carlheinz, Grundriß der Journalistik. München,
J. Lindauer, 1915. 8. 48 SS. M. 0,80.
A Köhler, Prof. Dr. F., Kulturwege und Erkenntnisse. Eine kritische Umschau
in den Problemen des religiösen und geistigen Lebens. 2 Bde. Leipzig, Johann
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188 Die periodische Presse des Auslandes.
Lambrechts (Minist.-Dir.), Dr. Hect., Grundursachen und Grundlehren des
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Lindenberg (Kriegsberichterstatter), Paul, Das heutige Bulgarien. Stuttgart,
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Luschan, Prof. Dr. v., Rassen und Völker. (Deutsche Reden in schwerer Zeit.
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Rost (Schriftsteller), Dr. Hans, Die Kulturkraft des Katholizismus. (Katholische
Lebenswerte. Monographien über die Bedeutung des Katholizismus für Welt und Leben.
Bd. 2.) Paderborn, Bonifacius-Druckerei, 1916. 8. XXI—503 SS. M. 5.—.
Schian, Prof. D. Dr. Mart., Das deutsche Christentum im Kriege. Leipzig,
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Century, The Nineteenth. November 1915, No. 465: True national service,
by A. Carson Roberts. — The real Austria — and her relations with Germany, by the
Countess Zanardi Landi. — Japanese policy in China, by J. O. P. Bland. — etc.
Review, The Contemporary. November 1915, No. 599: Italy and England, by
Romolo Murri. — Serbia’s need and Britain’s danger, by Rev. Seton-Watson. — Pan-
Germanic education and French „decadence“, by A. W. G. Randall. — Norway and
Germanism, by M. M. Mjeerde. — The significance of monarchical movement in China,
by K. C. Lim. — etc.
Review, The Fortnightly. November 1915: Greece and Europe, by Politicus. —
The relevations of the budget, by Archibald Hurd. — Mr. Lloyd George as minister
of a democracy, by Beriah G. Evans. — Labour, conscription and finance, by J. M.
Kennedy. — The British association and the finance of the war, by J. E. Allen. — etc.
Review, The National. November 1915: German military ethics, by the Earl
of Cromer. — Women’s national service, by the Countess of Selborne. — Greater Britain:
Australians and the war. — ete.
C. Oesterreich-Ungarn.
Handelsmuseum, Das. Hrsg. von der Direktion des k. k. österreichischen
Handelsmuseums. Bd. 30, 1915, No. 44: Wirtschaftliche Verhältnisse in den neu-
bulgarischen Provinzen. — Das Radiumvorkommen in den Vereinigten Staaten. —
Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen (Oesterreich, Ungarn, Deutschland, Niederlande,
Dänemark, Schweden, Norwegen, Rumänien, Rußland). — ete. — No. 45: Kriegsmaß-
nahmen und Kriegswirkungen (Oesterreich, Deutschland, Italien, Schweiz, Niederlande,
Schweden, Bulgarien). — Die Lage des internationalen Milch- und Molkereiprodukten-
marktes. — Das Seidenjahr 1914/15. — Kupferproduktion in Schweden. — Der inter-
nationale Frachtenmarkt. — ete. — No. 46: Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen
(Oesterreich, Bosnien und Herzegowina, Deutschland, Schweden, Norwegen). — Zucker-
rübenindustrie in den Vereinigten Staaten. — ete. — No. 47: Schutzzöllnerische Vor-
Die periodische Presse Deutschlands. 189
stöße in Großbritannien, von Dr. Sigmund Schilder. — Das Moratorium in Polen. —
Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen (Oesterreich, Ungarn, Deutschland, Italien,
Bulgarien, Niederlande, Dänemark, Schweden). — Neuregelung des gesamten Zoll- und
Steuerwesens in den Niederlanden. — Oesterreich-Ungarns Außenhandel. — Schweize-
rische Maschinen- und Automobilindustrie. — ete.
Monatsschrift, Statistische. Hrsg. von der k. k. Statistischen Zentralkom-
mission. Jahrg. 20, Juli-August 1915, Heft 7/8: Berufsverschiebungen in Niederöster-
reich, von Dr. Wilhelm Hecke. — Der Wert des landwirtschaftlichen Grundbesitzes in
Ungarn und Oesterreich, von Karl Pfibram. — Die bosnisch-herzegowinischen Eisen-
bahnen in den Jahren 1909—1913 im Vergleich mit dem Jahre 1909, von J. Tänzer.
G. Holland.
Economist, De, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. 64. jaarg., October 1915,
No. 10: Bijdrage tot de theorie der belasting, door W. P. Thijsen. — Landprijzen, door
D. R. Mansholt. — Belasting op oorlogswinsten. — The Engelsche Trade Unions. —
Handelskroniek: De Nederlandsche overzee trust-maatschappij. — ete. — November 1915,
No. 11: Boerenerfrecht (met name in Gelderland en Utrecht), door D. van Blom. —
De nieuwe belastingontwerpen. — ete.
H. Schweiz.
Bibliothèque universelle et Revue Suisse. Tome LXXX, November 1915,
No. 239: Les conséquences de la guerre sur léconomie suisse (II), par M. A. — La
Pologne: le sol et l’État (II), par J. Sarynsz. — L’Amérique latine et la guerre, par
Alfred Theulot. — etc.
Die periodische Presse Deutschlands.
Annalen des Deutschen Reichs. Jahrg. 48, 1915, No. 8/9: Das Problem der
Veranlagungstechnik im Hinblick auf die Besteuerung der Kriegsgewinne, von (Reg.-R.)
L. Buck. — Die Besteuerung der Kriegsgewinne, von (Rechtsanw.) Dr. jur. et rer. Ludwig
Ebert. — Gärtnerei und Gewerberecht, von Otto Albrecht. — Zur Lehre des inter-
nationalen Wasserrechts, von (Gerichtsassess.) Dr. Lederle. — Die jüngsten Fusionierungen
im Kohlenkontor, von Johann Kempkens. — Bevölkerungsprobleme, von Dr. Heinrich
Pudor. — Der Außenhandel Deutschlands mit Frankreich einschließlich Andorras und
des Fürstentums Monako, von (Ober-Reg.-R.) Karl Wiesinger. — Zur Statistik der deut-
schen Aktiengesellschaften, von Dr. Alfred Goldschmidt. — ete.
Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahrg. 15,
November 1915, No. 11: Der Außenhandel Deutschlands nach dem Kriege, von
O. Sperber. — Die Unabhängigkeitsbewegung in der amerikanischen Chemikalien- und
Farbstoffindustrie, von Dr. N. Hansen. — Die Rechtslage der italienischen Schuldner
gegenüber deutschen Gläubigern. — etc.
Bank, Die. November 1915, Heft 11: Die großen Notenbanken im Dienste der
kriegführenden Staaten (VI), von Alfred Lansburgh. — Der Disagio-Gewinn der Hypo-
thekenbanken, von Ludwig Eschwege. — Betrachtungen über den Scheckverkehr in Eng-
land und Deutschland, von Hero Moeller. — Zur Frage des Börsenmoratoriums (Schluß),
von A. L. — „Europas Bankerott“. — Die Reserve als Bewertungs-Maßstab. — etc.
Bank-Archiv. Jahrg. 15, 1915, No. 4: Die englisch-französische Anleihe in
den Vereinigten Staaten, von (Geh. Ober-Finanzrat) H. Hartung. — Staatsgläubiger und
staatliche Gebietsveränderungen, von (Geh. Justizr.) Prof. Dr. Niemeyer. — Die Tätigkeit
der Privatbankiers während des Krieges und nachher, von (Bankier) Barthold Arons. —
Die Wirtschaftsstatistik und der Krieg, von (Direktor des Statist. Amts) Dr. Heinrich
Silbergleit. — ete. — No. 5: Rußlands Volkswirtschaft und Staatshaushalt im zweiten
Kriegsjahr, von Prof. Dr. E. Ballod. — Der Gesetzentwurf über die Vorbereitung
der Kriegsgewinnsteuer, von (Synd.) Dr. Gustav Sintenis. — Kriegskontribution und
Domänenbeleihung in Preußen zu Anfang des 19. Jahrhunderts, von Dr. Hermann Mauer.
— Schutz des Gläubigers rückständiger Hypothekenzinsen gegen Rangverlust infolge
des Krieges. — etc.
190 Die periodische Presse Deutschlands.
Blätter für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre. Jahr. 11,
Oktober u. November 1915, No. 4 u. 5: Die wirtschaftliche Annäherung zwischen Deutsch-
land und Oesterreich-Ungarn, von (Rechtsanw.) Dr. Eugen Zergenyi. — Völkerrechtliche
Grundlagen der Staatsgewalt gegenüber Kriegsgefangenen (Schluß), von Dr. Mario Ghiron.
— Die strafrechtliche Behandlung feindlicher Ausländer in dem von den Deutschen be-
setzten Gebiet, von Dr. jur. Spier. — Die Beamtengehälter in England, von Dr. Ernst
Schultze. — Die Wiederanknüpfung internationaler Beziehungen nach dem Friedens-
schluß (Vortrag), von Geh. Justizrat Heinrich Dove. — ete.
Blätter, Kommunalpolitische. Jahrg. 6, November 1915, No. 11: Gedanken über
die Kriegsaufgaben der Zentrumsvertreter in den Gemeindekollegien, von (Stadtverordn.)
Thomas Esser. — Die Zentrumspartei und die Fragen der Lebensmittelversorgung. —
Welche Aufgaben erhalten die Gemeinden durch die neuesten Bundesratsverordnungen
betr. Lebensmittelversorgung? — Zur Kartoffelversorgung der westlichen Städte. — Ge-
meinsames Vorgehen südwestdeutscher Städte beim Lebensmitteleinkauf. — Erfahrungen
mit den Mietseinigungsämtern. — Zentralisation der Arbeitsvermittlung. — etc.
Blätter, Volkswirtschaftliche. Jahrg. 14, 1915, No. 19—22: Die Mobilmachung
der Vereine und Kammern (Merktafel für vaterländische Mitarbeit). — Arbeiter-Produktiv-
genossenschaften in der Schweiz, von Dr. Johannes Böhm. — Arbeits- und Pachtgenossen-
schaften in Italien, von Dr. Fritz Elsas. — etc.
Concordia, Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Jahrg. 22, 1915,
No. 22: Tagung für Erhaltung und Mehrung der deutschen Volkskraft. Konferenz der
Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Berlin, 26.—28. X. (Forts.). — Die 6. Jugendkonferenz
der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. — Teuerungszulagen, von Dr. Kaethe Kalisky. —
etc. — No. 23: Handwerkerfürsorge im Kriege, von Dr. Josef Wilden. — Die Tuber-
kulose und der Krieg, von Dr. F. Kohler. — Warum ist die Bekämpfung der Gewerbe-
krankheiten für die Erhaltung der Volkskraft besonders bedeutungsvoll?, von Prof.
Dr. med. et pol. J. Rambousek. — Die Technik der gemeindlichen Kriegshilfe im Boden-
kredit, von Dr. Walter Leiske. — etc.
Export. Jahrg. 37, Dezember 1915, No. 51—52: Was tut dem deutschen Export-
handel nach dem Kriege not?, Vortrag von Prof. Dr. R. Jannasch. — Der neue Osten,
von Dr. Frhr. v. Mackay. — Die Lage in Rußland, von Dr. R. Jannasch. — Zur Welt-
wirtschaft hinauf! (Forts.), von Dr. R. Jannasch. — Der Welthandel während des Krieges.
— Die Wirtschaftslage in der Türkei (Forts.). — Zur Wirtschaftslage in der Schweiz. —
Zur Geschäftslage in Konstantinopel. — Nordamerikanischer Bericht. — Südamerikanische
Rundschau. — etc.
Gegenwart, Die. Jahrg. 44, 1915, No. 47: Zwei Könige, von Dr. Erich Everth.
— ete. — No. 48: Kriegslehren der Wirtschaft, von Dr. Erich Everth. — ete. — No. 49:
Oesterreichs Südosten, von Dr. Hans Wantoch. — ete. — No. 50: Nordamerikanische
Stimmen, von Kurd v. Strantz. — etc.
Jahrbücher, Preußische. Bd. 162, Dezember 1915, Heft 3: Die Gestaltung
der gewerblichen Arbeitsverhältnisse in Deutschland nach dem Kriege, von Prof. Dr.
Ernst Francke. — Vom jüdisch-deutschen Geist, von Dr. Max Hildebert Boehm. — Die
moderne Arbeitslosigkeit und ihre Bekämpfung, von Hans Ostwald. — Zum polnisch-
jüdischen Problem. Eine Erwiderung, von Nachum Goldmann. — Belgiens auswärtige
Politik und der Kongo. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Krieges nach belgischen
Quellen, von (Direktor des Seminars für Nationale Oekonomie u. Kolonialpolitik) Prof.
Dr. Karl Rathgen. — etc.
Kartell-Rundschau. Jahrg. 13, 1915, Heft 8/9: Das deutsche Kartellwesen
im Kriege, von Dr. S. Tschierschky. — etc.
Kultur, Soziale. Jahrg. 35, Dezember 1915, Heft 12: Gold als Wertmaß und
das englische Goldmonopol, von Prof. Dr. Adolf Mayer. — Das Bankwesen, von (Hofrat)
Prof. Dr. E. Schwiedland. — Sozialdemokratische Kriegsliteratur, von Dr. R. Berger.
— etc.
Monatsschrift, Politisch-Anthropologische. Jahrg. 14, Dezember 1915, No. 9:
Deutsche Freiheit, deutsche Kraft, deutsche Einheit (Forts.), von Armand Crommelin. —
Bildung, von Dr. chem. Franz Haiser. — Moderne Geheimdiplomatie und ihre Ge-
schichte, von Dr. Frhr. v. Mackay. — ete.
Monatshefte, Sozialistische. 1915, Heft 23: Carl Legien und die Gewerk-
schaftsbewegung, von Theodor Leipart. — Die deutschen Gewerkschaften, von Wolfgang
Heine. — Die Kriegsarbeit der Generalkommission, von Dr. Hugo Heinemann. —
Die periodische Presse Deutschlands. 191
Kolonien, die nichts wert waren, von Max Schippel. — Die politische Bedeutung der
Gewerkschaftsbewegung, von Karl Severing. — Die geistige Bedeutung der Gewerkschafts-
bewegung, von Edmund Fischer. — Die internationalen Verbindungen der Gewerk-
schaften, von Paul Kampffmeyer. — etc. — Heft 24: Arbeitsgemeinschaften, von
Dr. Hugo Lindemann. — Friedrich Engels als militärpolitischer Führer, von Max
Schippel. — Die Gewerkschaften in der Arbeiterbewegung, von Paul Umbreit. — Die
deutschen Interessen in Ostasien, von Dr. Ludwig Quessel. — Produktionssicherung und
Konsumentenfürsorge in der Volksernährung, von Julius Kaliski. — ete. — Heft 25:
Die Konsequenz des Reformismus, von Hugo Poetzsch. — Deutschasiatische Weltpolitik,
England und Rußland, von Max Schippel. — Sind die Angriffe gegen die deutsche Land-
wirtschaft berechtigt?, von Dr. Arthur Schulz. — Bedeutung und Tätigkeit der Arbeiter-
sekretariate während der Kriegszeit, von Albert Bilian. — etc.
Oekonomist, Der Deutsche. Jahrg. 33, 1915, No. 1716: Hypothekenbank- und
Versicherungswesen in Bulgarien, von W. K. Weiß-Bartenstein. — Die deutschen Banken
im Jahre 1914 (XIV), von Dr. jur. Willy Baecker. — Der Abbau der schwebenden
Börsenverpflichtungen. — ete. — No. 1717: Hypothekenbank- und Versicherungswesen
in Bulgarien (Schluß), von W. K. Weiß-Bartenstein. — Die deutschen Banken im Jahre
1914 (XV), von Dr. jur. Willy Baecker. — Die Kriegsgewinnsteuer. — Zum 7'/,-proz.
Kurssturz der englischen Konsols. — Zur Politik der Lebensversicherungsgesellschaften
im Kriege. — Die Hypothekenbewegung in Preußen in den Jahren 1909—1913. — etc.
— No. 1718: Die Kriegsgewinnbesteuerung der Reichsbank. — Die deutschen Banken
im Jahre 1914 (X VI), von Dr. jur. Willy Baecker. — ete. — No. 1719: Die deutschen
Banken im Jahre 1914 (XVII), von Dr. jur. Willy Baecker. — etc.
Plutus. Jahrg. 12, 1915, Heft 47/48: Mitteleuropa. — Höchstpreis und Wucher-
preis, von Dr. Heinz Potthoff. — Die französischen Banken im Kriege, von Hermes. —
etc. — Heft 49/50: Aktienkriegsteuer. — Hypothekenbank-Fragen, von (Geh. Finanzrat)
Bastian. — Die entschwundene Milliarde, von Myson. — etc.
Recht und Wirtschaft. Jahrg. 4, Dezember 1915, No. 12: Britisches Völker-
recht. Recht zur Festhaltung aller Deutschen!, von (Priv.-Doz.) Dr. v. Zahn. — Die
Tätigkeit der deutschen Landes-Versicherungsanstalten während des Krieges, von (Vor-
sitzendem der Landes-Versicherungsanst. Berlin) Dr. Richard Freund. — Die Rechts-
pflege im Generalgouvernement Warschau, von (Bezirksrichter) Dr. Fiege. — Zur Frage
der Staatsmonopole, von Max Schinckel. — Ehelosigkeit und Familienlasten, von
(1. Staatsanw.) A. Zeiler. — Nochmals die Junggesellensteuer, von (Landgerichtspräs.)
v. Gohren. — ete.
Revue, Deutsche. Jahrg. 40, Dezember 1915: Zur Entstehungsgeschichte des
Dreibundvertrags, von (Titularbischof) Dr. Wilhelm Fraknöi. — Amerikas Stellung zum
Weltkrieg, von John L. Stoddard. — Die Zukunft des Völkerrechts, von Karl v. Stengel.
— Eine Charakteristik unserer Gegner und die sich ergebenden Folgerungen, von (Feld-
marschalleutnant a. D.) Wilhelm v. Wannisch. — etc.
Revue, Soziale. Jahrg. 15, 1915, Heft 6: Die Versorgung der Kriegswitwe,
von Klara Philipp. — Die Interessengemeinschaft zwischen Industrie und Landwirtschaft
im Licbte des Weltkriegs, von Dr. Zitzen. — Die Volksernährung in deutschen Städten
während des Krieges. Ein Beitrag zum Problem der Lebensmittelversorgung der Stadt-
berölkerung (Schluß), von Dr. Claus v. Bichtlingen. — Neuartige Institute für Volks-
and Arbeiterwohl, von Leopold Katschner. — Die Gerechtigkeit im wirtschaftlichen Ver-
kehr, von Dr. A. Retzbach. — etc.
Rundschau, Deutsche. Jahrg. 42, Dezember 1915: Entwicklung und Ziele
Mitteleuropas, von Graf Julius Andrassy. — etc.
Sozial-Technik. Jahrg. 14, 1915, Heft 22: Kriegsbeschädigtenfürsorge, von
(Dipl.-Ing) Dr. Gustav Stöckle. — ete. — Heft 23: Arbeiterschutz und Gewerbe-
inspektion, von Dr. A. Bender. — Die Verwendung selbsttätig arbeitender Maschinen
bei der Kalkulation und Statistik in der Industrie, von Prof. Dr. G. Kühne. — etc.
Verwaltung und Statistik (Monatsschrift für deutsche Beamte). Jahrg. 5, De-
zember 1915, Heft 12: Die Zahl der versicherten Personen in der Invaliditäts-- und
Hinterbliebenenversicherung (Schluß), von (Reg.-R.) Dr. Aurin. — Einkommengliederung
ın Preußen. — etc. z
Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Hrsg. vom Kaiserlichen
Statistischen Amte. Jahrg. 24, 1915, Heft 3: Dampfkessel-Explosionen 1914. — Zur
Statistik der Preise (Viehpreise in 10 deutschen Städten im 2. Vierteljahr 1911—1915 ;
192 Die periodische Presse Deutschlands.
Viehpreise im Auslande im 2. Vierteljahr 1911—1915; Viehpreise auf dem deutschen
Markt 1911—1914, nach Monaten; Börsenpreise’ von Kartoffeln an 4 deutschen Plätzen
1905—1914). — Streiks und Aussperrungen. Vorläufige Uebersicht, 2. Vierteljahr 1915.
— Bestands- und Kapitaländerungen der deutschen Aktiengesellschaften, 2. Vierteljahr
1915. — Bestands- und Kapitaländerungen der deutschen Gesellschaften mit beschränkter
Haftung, 2. Vierteljahr 1915. (Vorläufige Mitteilung über neue Konkurse.) — Tabakbau
und Tabakernte 1914. — Die Viehhaltung im Deutschen Reiche nach der Zählung vom
1. Dezember 1914. — etc.
Weltwirtschaft. Zeitschrift für Weltwirtschaft und Weltverkehr. Jahrg. 5,
November 1915, No. 8: Die staatsrechtlichen Bedenken einer deutsch-österreichisch-
ungarischen Zollunion, von (Geh. Bergrat) Georg Gothein. — Die türkische Industrie
und ihre Zukunftsaufgaben, von Fritz Kohler. — Die großen Wirtschaftsgebiete Afrikas,
von Prof. Dr. Karl Dove. — Baumwolle als Bannware, von Wilhelm L. Ehlers. — Der
Einfluß des Weltkriegs auf die Schiffahrt Schwedens (Bericht aus Stockholm). — etc.
Wirtschafts-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 11, 1915, No. 22: Die Neugestaltung
der städtischen Lebensmittelversorgung, von (Doz.) Dr. Jul. Hirsch. — Krieg und Wirt-
schaft, von E. Fitger. — Mitteilungen des Deutsch-Amerikanischen Wirtschaftsverbandes:
Die Zukunft der deutschen Handelsschiffahrt. — Ansprache des Herrn Generaldirektors
Ballin gelegentlich der Generalversammlung des Vereins Hamburger Reeder. — etc. —
No. 23: Bulgariens Außenhandel und seine Bedeutung für Deutschland, von W. K. Weiß-
Bartenstein. — Mitteilungen des Deutsch-Amerikanischen Wirtschaftsverbandes: Wirt-
schaftliches aus den Vereinigten Staaten von Amerika. — ete.
Zeit, Die Neue. Jahrg. 34, 1915, No. 8: Politisches Gewerbe oder weltgeschicht-
liche Bewegung, von Friedrich Adler. — Der Krieg und der Sozialismus, von Gustav
Eckstein. — Brauchen wir eine andere Internationale?, von Ed. Bernstein. — Der Ein-
fluß des Krieges auf die Entwicklung der Tarifverträge im Holzgewerbe, von A. Neu-
mann. — etc. — No. 9: Die Theorie der Parteispaltung, von Otto Braun. — Fraktion
und Partei, von K. Kautsky. — Brauchen wir eine andere Interationale? (Schluß), von
Ed. Bernstein. — ete. — No. 10: Die landwirtschaftlichen Produktionskosten und die
Teuerung, von A. Hofer. — Der Krieg und der Sozialismus (Forts.), von Gustav Eck-
stein. — Reformistischer Neusozialismus, von H. Beyschwang. — Hemmungen und
Hoffnungen, von H. Schneider. — Zur Theorie der Parteispaltung, von Otto Braun. —
ete. — No. 11: Bismarck und der Imperialismus, von K. Kautsky. — Der Parteitag der
schweizerischen Sozialdemokratie, von Dionys Zinner. — Der Krieg und der Sozialismus
(Forts. u. Schluß), von Gustav Eckstein. — etc.
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Bd. 37, 1915, Heft 2: Dieb-
stahl oder Unterschlagung?, von Prof. Dr. Rosenfeld. — Zur Kritik der Strafbarkeit der
Nachdrucksvergehen, von Dr. jur. Alexander Elster. — Der politische Mord in der
britischen Geschichte, von Dr. Ernst Schultze. — Die Vereinfachung des Strafverfahrens
durch die Bundesratsverordnung vom 7. X. 1915, von Prof. Dr. v. Beling. — etc.
Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis. Jahrg. 8, Dezember
1915, Heft 9: Die Ersetzung von „u. Co.“ durch „u. G.“, von Prof. Hermann Rehm.
— Handelsgebräuche beim Ein- und Ausfuhrhandel mit Bulgarien, von (Synd.) W. K.
Weiß-Bartenstein. — etc. — Beiblatt: Die Schiffahrt auf der Schelde, von (Red.)
Tony Kellen. — Die Vereinigten Staaten und ihre neue Kundschaft, von Ludwig W.
Schmidt. — Eine Annäherung von Produzent und Konsument (Kaufmann und Kon-
sument) in Oesterreich, von Robert Schloesser. — ete.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. 6, 1915, Heft 12: Die Verschiebungen
auf dem Arbeitsmarkt während des Krieges, von Dr. J. Silbermann. — Besonderheiten
der Kapitalanlage in Frankreich (II, Schluß), von Prof. Dr. A. Calmes. — Die irische
Auswanderung bis zum 18. Jahrhundert, von Dr. Ernst Schultze. — Aus der Praxis
der Arbeitsordnungen, von Dr. P. Martell. — Das neue Kohlensyndikat. — Anwerbung
und Heereskosten in den Vereinigten Staaten, von Dr. Ernst Schultze. — etc.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena.
R. Liefmann, Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 193
II.
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der
Wirtschaftswissenschaft.
Zweiter Teil.
Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft.
Von
Robert Liefmann,
Inhalt: Kap. III. Das Wesen der ökonomischen Wissenschaft.
1. Die Volkswirtschaftslehre als Staatswissenschaft. 2. Die Volkswirtschaftslehre als
Sozialwissenschaft. 3. Die Volkswirtschaftslehre als Kulturwissenschaft. Kap. IV.
Die Aufgaben der ökonomischen Wissenschaft. 1. Die Aufgabe der Wirt-
schaftstheorie. 2. Ueber die Allgemeingültigkeit der Sätze der Wirtschaftstheorie.
3. Andere Zweige der Wirtschaftswissenschaft, insbesondere die Privatwirtschaftslehre.
Kapitel III. Das Wesen der ökonomischen Wissenschaft.
1. Die Volkswirtschaftslehre als Staatswissenschaft.
Nachdem wir festgestellt haben, daß das Objekt der einheitlichen
Wirtschaftswissenschaft nicht ein durch außerwirtschaftliche, künst-
lich hineingetragene Momente bestimmter „sozialer Gesamtkörper“,
kein „soziales Zweckgebilde“, sondern ganz einfach die Erscheinungen
des Tauschverkehrs, die Beziehungen zwischen tauschwirt-
schaftlichen Subjekten und die dafür geschaffenen Einrichtungen und
Veranstaltungen sind, können wir uns auch der Frage nach dem
Wesen der ökonomischen Wissenschaft zuwenden. Das
ist nun eine Frage, die eigentlich nur die Philosophie interessiert.
Denn es handelt sich dabei immer um die Abgrenzung dieser Wissen-
schaft von anderen, also um eine Frage der allgemeinen Wissenschafts-
lehre. Da aber so viele unter den philosophierenden Nationalöko-
nomen heute den Fehler begehen, den Inhalt und das Objekt der
Volkswirtschaftslehre von der Philosophie her statt aus dem ge-
gebenen Erfahrungskomplex bestimmen zu wollen, sei auch hier
der Vollständigkeit halber auf diese Argumentation eingegangen.
Man hat die Wirtschaftswissenschaft in dreifacher Art in einen
größeren Kreis von Wissenschaften einzureihen versucht, indem
man sie als Staatswissenschaft, als Sozialwissenschaft
und als Kulturwissenschaft bezeichnete Alle drei Gesamt-
begriffe haben Versuchen dienen müssen, das Wesen der Volks-
wirtschaftslehre näher zu bestimmen. Am wenigsten ist das merk-
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd 51). 13
194 Robert Liefmann,
würdigerweise mit dem Begriff der Staatswissenschaften der
Fall gewesen. Das ist merkwürdig, weil die Beziehungen der Wirt-
schaft zum Staate zweifellos viel enger sind als zu jeder anderen
sozialen Erscheinung. Deshalb soll hier auch der Charakter der
Wirtschaftswissenschaft als Staatswissenschaft untersucht werden.
Es ist in der Tat sonderbar, daß keine der vielen Forderungen
einer „sozialen Betrachtungsweise*“ sie mit der engen Beziehung
der wirtschaftlichen Erscheinungen, insbesondere des Tauschverkehrs,
zum Staate und seiner Politik begründet. Am nächsten kommt
diesem Gedanken, außer dem oben erwähnten J. Pesch, noch der
Jurist Stammler und ihm folgend Diehl. Aber auch sie er-
blicken doch nicht allgemein in der Beziehung der Wirtschaft zum
Staat und insbesondere nicht in der Beziehung zur Staatspolitik,
sondern viel spezieller in dem Einfluß der Rechtsordnung das
Moment, welches die Sozialökonomik bestimmen soll. Die übrigen
Richtungen rücken den Staat und seine Politik noch viel weniger
in den Vordergrund zur Bestimmung des „Sozialökonomischen“,
sondern Stolzmann, Amonn u. a. umschreiben es in der bekannten,
oben geschilderten Weise, wonach auch hauptsächlich die Rechts-
ordnung entscheidend sein soll. Wohl hat der Sozialismus (Rod-
bertus)!) und ihm folgend namentlich A. Wagner die enge Be-
ziehung der Wirtschaft zum Staate in den Vordergrund gestellt und in
vieler Hinsicht stark übertrieben betont. Aber als ökonomische Theo-
retiker stehen doch die Vertreter dieser Richtung, wie die Klassiker,
im wesentlichen auf dem Standpunkt der Einheit der Wirtschafts-
wissenschaft; A. Wagner denkt jedenfalls nicht daran, eine besondere
Sozialökonomik mit eigenem Identitätsprinzip durch die Beziehung
der Wirtschaft zum Staate enger abzugrenzen.
Bei den beliebten Ausdrücken: von volkswirtschaftlichem
Standpunkt oder Gesichtspunkt aus, volkswirtschaftliche
Betrachtungsweise und ähnlichen wie National- oder Sozial-
kapital hat man jedenfalls nicht die Zusammenfassung der in einem
Staate zusammengeschlossenen Wirtschaften im Auge, sondern man
geht von der unklaren Vorstellung aus, den Tauschverkehr als
solchen als eine wirtschaftliche Einheit auffassen zu können, wie
es sich am deutlichsten in den früher zitierten Ausführungen
v. Wiesers oder in dem Satze von v. Schulze-Gävernitz:
nur die Volkswirtschaft ist Wirtschaft im engern Sinn“ (s. unten
g 3) ausspricht.
Daß bei dem verbreiteten Streben nach einem sozialen Objekt
der Wirtschaftswissenschaft niemals der Versuch gemacht wurde,
sie durch die Beziehung zum Staate abzugrenzen, ist um so merk-
würdiger, als doch die ganze ökonomische Wissenschaft aus der
Betrachtung des Staates und seiner Politik entstanden ist. Daran
erinnern heute die üblichen deutschen und ausländischen Ausdrücke
1) Rodbertus ist daher der Begründer des typischen deutschen „Staats-
sozialismus“,
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 195
für die Wirtschaftswissenschaft: Volkswirtschaftslehre,
Nationalökonomie, politische Oekonomie usw., kurz alle,
die bis zu dem erst neuerdings geprägten Worte Sozialökonomik für
unsere Wissenschaft gebräuchlich waren. Daran erinnert auch der
Ausdruck Staatswissenschaften, der noch heute (z. B. in den
rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultäten) eine erhebliche
Rolle spielt und nach allgemeiner Anschauung neben anderen auch
die ökonomische Wissenschaft umfaßt. In der Tat läßt sich die
Frage aufwerfen, ob denn die Volkswirtschaftslehre weniger Staats-
wissenschaft als z. B. Sozialwissenschaft sei; und wenn die Bezie-
hungen wirtschaftlicher Erscheinungen zum Staate die engsten sind,
was zweifellos der Fall ist, zumal wenn man auch die ganze recht-
liche Regelung heranzieht, wie es Stammler und seine Anhänger
tun, warum stellt man dann die Wirtschaftswissenschaft oder die
Sozialökonomik nicht lieber in die engere Gruppe Staatswissenschaft,
statt sie mit dem ganz unklaren Begriff Sozialwissenschaft zu be-
zeichnen ?
Darüber ist kein Zweifel, daß die Beziehung der Wirtschaft
zum Staate die engste ist, und vor allem, daß von ihr sehr viel
weniger bei der Erklärung der tauschwirtschaftlichen
Vorgänge abstrahiert werdenkannals von den gesellschaft-
lichen Bedingtheiten wirtschaftlicher Erscheinungen, Sitten, Klassen
u. dgl. Am offensichtlichsten ist die Beziehung zum Staate natürlich
bei der Wirtschaftspolitik. Als Wirtschaftspolitik bezeichnen
wir dabei das direkte Zweckstreben des Staates, in die wirtschaft-
lichen Verhältnisse regelnd und ordnend einzugreifen. Wir ver-
stehen darunter also nicht den größten Teil des Privatrechts und
einen erheblichen Teil des öffentlichen und Strafrechts. Es ist
richtig, daß die Abgrenzung von Rechtsordnung und Wirtschafts-
politik keine scharfe sein kann. Manche staatlichen Maßregeln, die,
als sie eingeführt wurden, zugleich den Charakter der Wirtschafts-
politik hatten, weil sie die wirtschaftlichen Erscheinungen fördernd
oder hemmend bessern und regeln sollten, sind allmählich feste Be-
standteile der Rechtsordnung geworden, ich erinnere an Wucher-
gesetze im Strafrecht, Schadenersatzbestimmungen im Privatrecht
und ähnliches. Auf eine Abgrenzung von Rechtsordnung und Wirt-
schaftspolitik kommt es hier aber gar nicht an, da wir gerade zeigen
wollen, daß auch, von beiden abgesehen, der Staat die wirtschaft-
lichen Vorgänge weitgehend beeinflußt.
Das wird am einfachsten dadurch bewiesen, daß wir auf das
Vorhandensein wirtschaftlicher Begriffe aufmerksam machen,
die ohne Beziehung auf den Staat überhaupt nicht
gedacht werden können. Es ergibt sich daraus, daß die Be-
ziehung mancher wirtschaftlichen Erscheinungen zum Staate viel
weniger außer Berücksichtigung bleiben kann, als die Beziehungen
zur Rechtsordnung. Zu solchen wirtschaftlichen Erscheinungen
gehört nun nicht das Geld, an das man vielleicht am ersten denken
würde. Denn wenn auch das Geld ein „Geschöpf der Rechtsord-
13*
196 Robert Liefmann,
nung“ genannt werden kann, so kann es doch nur wirtschaftlich
definiert werden. Allgemeines Tauschmittel drückt seine
wirtschaftlichen Funktionen völlig genügend aus, um das Haupt-
problem der Wirtschaftstheorie, die Preisbildung, damit zu erklären.
Es kann auch rein wirtschaftstheoretisch untersucht werden, ohne
jede Beziehung zum Staat, und seine ökonomische Entstehung und
grundlegenden Funktionen sind so zu untersuchen. Man kann also
beim Gelde von der tatsächlichen rechtlichen Regelung abstrahieren,
ebenso wie beim Privateigentum, das man für den Zweck der öko-
nomischen Theorie als bloßes Innehaben auffassen kann.
Aber merkwürdigerweise ist man nie darauf aufmerksam ge-
worden, daß es wirtschaftliche Begriffe gibt, keineswegs nur wirt-
schaftspolitische, sondern solche, die auch bei wichtigen theo-
retischen Betrachtungen eine Rolle spielen, die ohne den
Staat nicht gedacht werden können. Solche Begriffe sind
z. B. Export und Import. Es ist ohne weiteres klar, daß diese
Begriffe, was bei den vielen schon erwähnten wirtschaftlichen Be-
griffen nie der Fall war, unter allen Umständen eine Volkswirt-
schaft, richtiger den Staat voraussetzen. Man kann diese Worte
nicht gebrauchen, nichts über Export und Import aussagen, ohne
wirtschaftliche Vorgänge dabei mit dem Staate zu verknüpfen, nicht
mit einem bestimmten Staate, aber doch mit einem Staate schlechthin,
und zwar nicht etwa mit dem Staate als Träger der Wirtschafts-
politik, überhaupt nicht mit dem Staate im wirtschaftlichen Sinne,
sondern mit dem Staate im nationalen Sinne, als Herrn des
Staatsgebiets und als übergeordnete Einheit aller in ihm lebenden
Personen. Und doch ist anscheinend der Begriff Export ein rein
wirtschaftlicher Begriff, der an sich mit Wirtschafts-
politik noch nichts zu tun hat, vielmehr auch bei wichtigen rein
ökonomischen Theorien eine Rolle spielt, z. B. nach den Wirkungen
des Exports auf die Preise, den Wirkungen des Kapitalexports
auf die Kapitalbildung im Inlande und zahlreichen anderen rein
kausalen wirtschaftstheoretischen Problemen.
Was ergibt sich daraus? Ist hier vielleicht ein Fingerzeig
für die so viel gesuchte „soziale Betrachtungsweise“ gefunden?
Mit nichten. Es ergibt sich zunächst nur, daß die Einwirkung
des Staates auf die wirtschaftlichen Erscheinungen, auch ganz ab-
gesehen von der Wirtschaftspolitik, so bedeutend ist, daß wichtige
wirtschaftliche Begriffe und Probleme nicht ohne Beziehung auf ihn
gedacht werden können. Was diese Beziehungen aber bedeuten, dar-
über wird man sich erst klar, wenn man sich überlegt — denn man
kann sich über solche Fragen nur an der Hand von Beispielen klar
werden — ob denn die Bezeichnungen Export und Import und
manche ähnliche, wie Devise, Valuta, Handelsbilanz u. dgl., wirklich
rein ökonomische Begriffe sind. Wir haben die Antwort eigentlich
schon gegeben. Export ist kein rein wirtschaftlicher Begriff, sondern
durch seine notwendige Beziehung zum Staat, also einem nicht-
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 197
wirtschaftlichen Begriff, ein nationalwirtschaftlicher, wie
man vielleicht sagen könnte — das Wort nationalüökonomisch
ist eben schon vergeben und nicht anwendbar — oder politisch-
wirtschaftlicher Begriff, wie man vielleicht am besten sagt
(aber nicht zu verwechseln mit wirtschaftspolitisch). Daß es kein
rein wirtschaftlicher Begriff ist, d. h. allein durch wirtschaft-
liche Oberbegriffe bestimmt, ergibt sich daraus, daß man z. B.
auch innerhalb des deutschen Zollvereins als einer wirtschaftlichen
Einheit von Deutschland nach Luxemburg exportieren kann und daß
auch zwischen England und den Kolonien, zwischen denen völliger
Freihandel herrscht, Export und Import möglich sind. Diese Be-
griffe setzen also nicht eine wirtschaftliche oder auch selbst eine
wirtschaftlich-politische Beziehung voraus, sondern eine natio-
nale. staatliche, sie stellen unter allen Umständen die inländische
sog. Volkswirtschaft, d.h. die durch das Staatsgebiet
räumlichbestimmten Wirtschaften in Gegensatz zu anderen.
Und zwar enthalten die Begriffe Export und Import immer den
Gedanken, daß die Wirtschaften eines Staatsgebietes eine Einheit
bilden, aber nicht etwa eine wirtschaftliche Einheit, wie sie
die „soziale Betrachtungsweise“ fingieren will, sondern eine natio-
nale, staatliche, politische, also eine Einheit unter einem der
Wirtschaftswissenschaft fremden, nicht-wirtschaftlichen
Gesichtspunkte.
Daher wäre es falsch, anzunehmen — auch ich habe diese Auf-
fassung lange gehabt — daß diese Begriffe nun immer wirtschafts-
politische seien, d. h. daß sie immer nur mit dem Gedanken an
wirtschaftliche Zwecke des Staates zu verbinden seien. Sie
können auch mit sonstigen Zwecken des Staates, vor allem mit
nationalen, militärischen u. a. verknüpft werden. Wohl aber erkennt
man, daß diese Begriffe immer mit einem Zweckgedanken
verbunden sind. Man kann von Export und Import überhaupt nichts
Wirtschaftliches aussagen, ohne daß dabei nicht an eine Beziehung zu
Zwecken des Staates oder zu Zwecken wirtschaftlicher Individuen
innerhalb des Staates gedacht sei. Das gilt aber nicht für die rein
wirtschaftlichen Ausdrücke, wie Kosten, Kapital, Preis, Einkommen.
Zwar stehen alle diese Begriffe auch in Beziehung zu Zwecken von
Wirtschaftspersonen, da eben Wirtschaften Erwägungen bedeutet,
die immer an Zwecke anknüpfen, aber bei der Untersuchung der
wirtschaftlichen Erscheinungen wird von diesen Zwecken vollkommen
abstrahiert. Auch Kosten, Kapital, Preis, Einkommen sind Begriffe,
die mit Zwecken in Beziehung stehen; Kosten und Kapital fallen
unter den Begriff Mittel (natürlich nicht im materialistisch-quanti-
tativen Sinne genommen), Preis ist Zweck der Erwerbswirtschaften,
Mittel der Konsumwirtschaften. In der Wirtschaftstheorie wird
diese Beziehung als logische Kategorie wohl festgestellt '), aber von
1) bzw. sollte festgestellt werden, doch hat man sie häufig nicht richtig erkannt.
198 Robert Liefmann,
der Art der Zwecke und der Mittel, von der Art ihres Erfolges
wird vollkommen abstrahiert. Bei dem homo oeconomicus, den die
Wirtschaftstheorie braucht, wird der Erfolg immer vorausgesetzt.
Ganz anders aber bei den Begriffen Export und Import. Man
kann sie in keinem allgemeinen Satze anwenden, in dem nicht irgend
ein Werturteil, wenn auch versteckt, enthalten ist, ein bestimmtes Ziel
des Staates oder der Einzelwirtschaften innerhalb des Staates. Bei dem
Satz: diese Industrie bringt die Hälfte ihrer Produktion zum Ex-
port, wird zwar bloß eine Tatsache konstatiert, aber durch den Be-
griff Export wird die inländische Volkswirtschaft der ausländischen
gegenübergestellt, und das involviert ein Werturteil, hier die Ab-
hängigkeit jener Industrie vom Auslande. Oder: der Export von
Kriegsmaterial von Japan nach Rußland hat im Weltkriege großen
Umfang angenommen, ist eine bloße Konstatierung einer Tatsache,
die gar nicht wirtschaftlich gemeint zu sein braucht. Ist sie es aber,
so betrachtet sie stillschweigend die Vorteile der japanischen Volks-
wirtschaft dabei oder die Benachteiligung der russischen Finanzen,
oder den Umstand, daß die Vereinigten Staaten infolge dessen weniger
an Rußland verkauften oder dgl. Sie setzen aber unter allen Um-
ständen zwei Volkswirtschaften bzw. Staaten in Gegensatz.
Was ergibt sich daraus? Derartige Begriffe bedeuten sicherlich
keine besondere „Betrachtungsweise“, sondern sie bedeuten das
Hineinziehen des nicht-wirtschaftlichen Moments Staat in das Er-
kenntnisobjekt: wirtschaftliche Beziehungen. Die betrachteten Expor-
teure erscheinen immer als Teil einer „Volkswirtschaft“, d. h. einer
staatlich zusammengeschlossenen Einheit, und die Beziehung zu den
Zwecken des Staates, zu wirtschaftspolitischen: Förderung des Einzel-
nen, oder zu allgemein national-politischen: Förderung des Staates und
der ihm zugehörigen Individuen ist immer das Entscheidende Die
Anwendung dieser Begriffe bedeutet also, bei durchaus kausaler Be-
trachtung, die Abgrenzung eines Teilobjekts aus dem gesamten
Erkenntnisobjekt der Wirtschaftswissenschaft durch Heranziehung
des Begriffes Staat und seiner Politik. Der Einfluß des Staates
und seiner Politik, welche die inländischen Wirtschaften, sei es
einzeln, sei es in ihrer Gesamtheit, in Gegensatz zu ausländischen
stellt, ist so groß, daß aus dem Rahmen der gesamten Wirtschafts-
wissenschaft sich dadurch ein Teilobjekt für wissenschaftliche Be-
trachtungen ausscheiden läßt. Wir können also aus der gesamten
Wirtschaftstheorie eine nationale Wirtschaftstheorie aus-
scheiden, welche die Vorgänge umfaßt, die ohne Beziehung auf einen
Staat und die staatliche Zusammenfassung der Wirtschaften nicht
gedacht werden können. Der reinen ökonomischen Theorie wäre
also eine politisch-ökonomische Theorie gegenüberzustellen
(das Wort „nationalökonomisch“* sollte in diesem speziellen Sinne
vermieden werden. Am besten spricht man von reiner Wirt--
schaftstheorie und nationaler Wirtschaftstheorie.
Es braucht kaum näher ausgeführt zu werden, daß dieser Gegen-
satz nicht mit der individualistischen und sozialen Betrachtungsweise
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 199
und auch nicht mit der Gegenüberstellung von Privatwirtschaftslehre
und Volkswirtschaftslehre identisch ist. Wir gebrauchen den Aus-
druck Volkswirtschaftslehre, der sich einmal eingebürgert hat, im
selben Sinne wie Wirtschaftswissenschaft. Wo es auf begriffliche
Klarheit bei diesem Ausdrucke ankommt, vermeiden wir aber den
Ausdruck Volkswirtschaft und sprechen dafür von Tauschverkehr,
tauschwirtschaftlichem Organismus oder Mechanismus. Dieser ist
uns keine Einheit, kein „sozialer Gesamtkörper“, keine „Gesamt-
wirtschaft“, kein einheitliches Zweckgebilde im Sinne der sozialen
Betrachtungsweise, sondern eine solche Einheit ist nur der Staat
und die Summe der einzelnen Wirtschaften nur als Glieder eines
bestimmten Staates. Von dieser Zusammenfassung der Wirtschaften
im Staate abstrahiert aber die Theorie der wirtschaftlichen Grund-
lagen, die wir daher reine Theorie nennen und die den weitaus
größten Teil der Wirtschaftstheorie ausmacht. Doch ist die Zu-
sammenfassung der Wirtschaften im Staat, auch ganz abgesehen von
ihrer rechtlichen Regelung durch ihn, von so großer Bedeu-
tung, daß mancherlei wirtschaftliche Erscheinungen nur unter diesem
einschränkenden Moment, also als ein Teilobjekt des allgemeinen
Objekts der Wirtschaftswissenschaft zu betrachten sind, und deren
theoretische wie kausale Untersuchung nennen wir national-
wirtschaftliche oder politisch-ökonomische Theorie. Ein
Teil von dieser wiederum ist die wirtschaftspolitische Theo-
rie, die das staatliche Eingreifen in die wirtschaftlichen Verhält-
nisse auch wiederum rein kausal und allgemein theoretisch zu unter-
suchen hat.
Alle diese Beziehungen der Wirtschaftswissenschaft zum Staate
sind natürlich auch wiederum ein Teil der Staatswissenschaf-
ten, und daraus ergeben sich die engen Beziehungen dieser zur
Wirtschaftswissenschaft. Aber selbstverständlich geht sie in den
Staatswissenschaften nicht auf, und dahin gehende ältere Bezeichnungen
unserer Wissenschaft, welche auf der früher im Vordergrund des
Interesses stehenden Wirtschaftspolitik fußen, sind abzulehnen.
Der größte Teil der Wirtschaftstheorie abstrahiert vom Staate. Er
negiert ihn damit nicht, er betrachtet nicht etwa den Austausch
zwischen staatenlosen Individuen, aber die Wirtschaften, zusammen-
gefaßt unter dem Staate, sind nicht Objekte der reinen Wirtschafts-
theorie,
Die Ausdrücke rein und politisch-wirtschaftlich oder national-
wirtschaftlich beziehen sich nun nicht nur auf die Wirtschafts-
theorie. Sie sind auch auf die gesamte Wirtschaftswissenschaft
anwendbar. So gibt es eine reine Wirtschaftsgeschichte,
welche die Entwicklung wirtschaftlicher Erscheinungen ohne Rück-
sicht auf ihre Beziehungen zum Staate überhaupt oder zu bestimmten
Staaten umfaßt, z. B. die Geschichte der modernen Unternehmung,
welche zwar die Entwicklung in verschiedenen Ländern, z. B. Italien,
England, Deutschland, trennen und einzeln betrachten kann, aber
nicht den verschiedenen Einfluß des Staates, z. B. bei der recht-
200 Robert Liefmann,
lichen Regelung der Gesellschaftsunternehmungen, mithineinzieht.
Und es gibt politische Wirtschaftsgeschichte, welche auch
den Einfluß des Staates, seine Politik und seine besondere Regelung
behandelt und dabei immer die Verhältnisse eines bestimmten Staates
oder vergleichend die verschiedener Staaten betrachten wird. Die
politische Wirtschaftsgeschichte ist nach dem Gesagten nicht gleich-
bedeutend mit Geschichte der Wirtschaftspolitik, kann z. B. auch
die Geschichte der Außenhandelsbeziehungen eines Landes schildern,
auch wenn und soweit sie nicht Gegenstand der Wirtschaftspolitik
waren.
Es sei schließlich noch mit ein paar Worten auf den Staat bzw-
die öffentlichen Körperschaften als Wirtschaftssubjekte eingegangen.
Die Wirtschaft der öffentlichen Körperschaften ist ebenso eine
Wirtschaft wie die physischer Personen. Ihr Ziel ist Bedarfs-
befriedigung, Erreichung ihrer eigenen Zwecke nach dem wirtschaft-
lichen Prinzip. Diese Zwecke sind meist immaterieller Art, vor
allem Sicherheit nach innen und nach außen, Hebung der Kultur
des Volkes in allen ihren Zweigen, Erziehung, Unterricht, allgemeine
Wohlfahrt, dabei auch Förderung ihrer wirtschaftlichen Interessen.
Insoweit entsprechen die öffentlichen Körperschaften durchaus den
privaten Konsumwirtschaften. Aber wie die meisten Inhaber von
Konsumwirtschaften auch erwerbstätig sind, sehr viele eine eigene
Erwerbswirtschaft haben oder mit anderen zusammen an solchen be-
teiligt sind, so auch die öffentlichen Körperschaften. Die Staats-
eisenbahnen z. B., die Unternehmungen der Gemeinden, wie Gas-
und Elektrizitätswerke bilden ihre Erwerbswirtschaften. Mit ihren
Konsumwirtschaften sowohl wie mit ihren Erwerbswirtschaften fügen
sich die öffentlichen Körperschaften dem tauschwirtschaftlichen Me-
chanismus ebenso ein wie die Privatwirtschaften. Daß gleichzeitig
vom Staate eine weitreichende Regelung wirtschaftlicher Vorgänge
ausgeht, darf man mit seiner eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit nicht
verwechseln. Diese Regelung ist nicht Wirtschaft, sondern Politik.
Sie kann, soweit sie Erscheinungen regelt, die nach unserer Definition
als wirtschaftliche zu bezeichnen sind, Wirtschaftspolitik ge-
nannt werden. Man kann in der Wirtschaftspolitik vielleicht, bei
rein kausaler Betrachtung, ein System von Lehrsätzen aufstellen und
damit aus ihr eine eigene Wissenschaft machen. Diese kann sowohl
als ein Zweig der allgemeinen Wissenschaft vom Eingreifen des
Staates in das menschliche Zusammenleben, der Politik, bezeichnet
werden als auch als ein Teil der allgemeinen Wirtschaftswissenschaft.
Deswegen bleibt diese als solche doch von den speziellen Wissen-
schaften vom Staate vollkommen getrennt.
2. Die Volkswirtschaftslehre als Sozialwissenschaft.
Wir haben gesehen, daß das einzigste Argument, mit welchem
die soziale Betrachtungsweise in der Volkswirtschaftslehre begründet
wird, das ist, sie sei eine Sozialwissenschaft. Nur dieser Be-
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 201
griff ist es, der Stammler und Amonn zu der Merkwürdigkeit ver-
anlassen kann, daß sie das logisch Einheitliche, das Identitätsprinzip
der Wirtschaftswissenschaft nicht im Wirtschaftlichen, sondern
in der rechtlichen oder sozialen Regelung, einerlei, wie man sie
umschreibt, erblicken. Wir haben aber auch schon bei ihnen sowie
bei Diehl und Stolzmann die Konsequenzen dieser sozialen Betrach-
tungsweise kennen gelernt und gesehen, daß es sich nicht um eine
besondere Betrachtungsweise, sondern um ein anderes Erkenntnis-
objekt handelt. Nach dieser Lehre ist Erkenntnisobjekt nicht die
tauschwirtschaftlichen Beziehungen zwischen Einzelnen, sondern ein
„sozialer Gesamtkörper“, eine „soziale Gesamtwirtschaft“, in der der
Einzelne nur eine Funktion hat, ein dienendes Glied ist. Wir haben
endlich aus den Arbeiten Stolzmanns, des Einzigen, der versucht hat,
auf dieser Grundlage eine ökonomische Theorie zu entwerfen, ge-
sehen, daß diese Auffassung der wirtschaftlichen Erscheinungen ge-
zwungen ist, in dem Tauschverkehr ein einheitliches Zweckgebilde
zu erblicken, einen „sozialen Gesamtzweck“, und haben diese Auffas-
sung, die aller Erfahrung und Beobachtung der wirtschaftlichen Er-
scheinungen widerspricht, zurückgewiesen. Stolzmann hat dann selbst
die Konsequenz gezogen und gezeigt, daß mit dieser Auffassung
eine kausale Betrachtungsweise nichtmehr möglich sei.
Diese könne nur vom Individuum ausgehen. Das ist dann überzeugend
von Heimann gegen Amonn nachgewiesen worden, dessen mühsam
gewonnenes „soziales“ Objekt durch die Erkenntnis wieder zum
Scheitern gebracht wurde, daß die kausale Betrachtung immer auf
die Einzelwirtschaft zurück- und damit über das so schön abgegrenzte
soziale Objekt hinaus führe. Stolzmann ist daher auch für eine teleo-
logische Betrachtungsweise eingetreten, zeigt aber mit seinem dahin
gehenden Versuche auf das deutlichste, daß man damit die einmal
vorliegenden tauschwirtschaftlichen Hauptprobleme nicht erklären
kann.
Wie kam man nun dazu, zu glauben, daß mit der Bezeichnung
der Volkswirtschaftslehre als Sozialwissenschaft etwas für die Er-
kenntnis ihres Wesens gewonnen sei? Dabei haben verschiedene
Gründe mitgewirkt. Einer dieser Gründe ist, daß man von jeher
mit der Nationalökonomie alle möglichen Einwirkungen soziologischer,
ethnologischer Art usw. verband, z. B. über Klassenbildung, gesell-
schaftliche Schichtung, über Rassenfragen, Probleme der Volkspsycho-
logie usw. Insbesondere durch die historische Schule ist das ange-
bahnt worden, mit demselben Recht oder vielmehr Unrecht, mit dem
man immer die wirtschaftlichen Betrachtungen mit technischen
Erörterungen verband. Da die verschiedenen sozialen Wissen-
schaften noch sehr wenig entwickelt und voneinander abgegrenzt
sind, und man sich anderseits auch über das Wesen der Wirtschafts-
wissenschaft nicht klar war, wurde in sie, stets unter dem Einfluß
des Sozialismus und seiner materialistischen Geschichtsauffassung,
alles hineinbezogen, was im Gesellschaftsleben in irgendeiner Be-
ziehung zur Wirtschaft zu stehen schien.
202 Robert Liefmann,
Dazu kam noch ein weiterer Grund, der dazu beitrug, daß man
die Nationalökonomie als eine Sozialwissenschaft ansah. Das Problem
dieser Wissenschaft war ursprünglich nicht, die tauschwirtschaftlichen
Erscheinungen zu erklären, sondern es bestand im Volksreichtum
und seiner Vermehrung, also in praktischen Fragen der Volkswirt-
schaftspolitik. So ging man von der „Volkswirtschaft“, d. h. den
wirtschaftlichen Verhältnissen eines bestimmten Staates aus, die
man unter dem Gesichtspunkt des Staates als eine Einheit auffaßte,
wenn auch nicht gerade als eine Wirtschaft analog der Einzel-
wirtschaft, so doch als einen einheitlichen geschlossenen wirtschaft-
lichen Organismus. Auch hier war es der Sozialismus, der viel dazu
beitrug, daß man sich Wirtschaft nur innerhalb des Staates vor-
stellen konnte. Während die Klassiker noch die wirtschaftlichen
Grundprobleme ohne Rücksicht auf den Staat erörterten, macht
A. Wagner schon immer auf die „historisch-rechtliche Kategorie“
neben der ökonomisch-technichen aufmerksam (wobei freilich nach
unserer Auffassung die eine so wenig ökonomisch ist wie die andere).
Die Neueren halten allerdings nicht mehr so an dem Gedanken
der „Staatswissenschaft“ und „Staatswirtschaftslehre“ fest, sondern
verflüchtigen den Gedanken der Beziehung der Wirtschaft zum
Staate noch, indem sie an seine Stelle die rechtliche Regelung
setzen. Diese geht freilich auch vom Staate aus, und so scheint es,
als ob die Stammler-Stolzmann-Diehlsche Auffassung nur eine engere
Abgrenzung und präzisere Auffassung der Volkswirtschaftslehre als
Staatswissenschaft sei. Das ist aber nicht der Fall, weil, wie wir oben
gezeigt haben ($ 1), wichtige Einflüsse des Staates auf die wirtschaft-
lichen Frscheinungen ganz außerhalb des Moments der rechtlichen Re-
gelung fallen. Daß diese als Mittel, um wirtschaftliche Erscheinungen
als Gegenstand einer besonderen Sozialökonomie abzugrenzen, ganz
ungeeignet ist, haben wir eben gezeigt, ebenso daß auch die Be-
ziehungen zum Staate höchstens ein Teilobjekt aus der allgemeinen
Wirtschaftswissenschaft herausheben und zum Gegenstand einer spe-
ziellen nationalwirtschaftlichen Theorie machen können.
Wieder andere denken bei der Bezeichnung der Volkswirtschafts-
lehre als Sozialwissenschaft mehr an eine Verknüpfung derselben mit
der Gesellschaftslehre. Sie denken daran, daß die Bedürf-
nisse, die letzten Grundlagen aller Wirtschaft, gesellschaftlich be-
dingt, von sozialen Momenten, Sitten, Gewohnheiten u. dgl. abhängig
sind, und daß das auch auf die tauschwirtschaftlichen Vorgänge,
Preise, Einkommen usw. zurückwirkt. Sie denken ferner daran, daß
die Zusammenfassung der Menschen, keineswegs nur der wirt-
schaftlich Tätigen, zu sozialen Klassen, die Fragen der Klassen-
bildung und Klassengegensätze, vielfach auch in der Nationalökonomie
erörtert worden sind, weil ökonomische Gründe dabei eine große
Rolle spielen. Insbesondere durch den Sozialismus, der fast alle
Tauschvorgänge nur als Klassenkämpfe auffaßt, ist diese Vermischung
der wirtschaftlichen Probleme mit denen der Gesellschaftslehre ganz
allgemein geworden und hat sehr viel zur Entwicklung der heutigen
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 203
Forderung nach sozialer Betrachtungsweise beigetragen. Dieser Ein-
fluß des Sozialismus zeigt sich bei vielen Schriftstellern, z. B. bei
Sombart, in der ökonomischen Theorie neuestens besonders deutlich
in einer kleinen Schrift von Tugan-Baranowsky, Soziale
Theorie der Verteilung, Berlin 1913, die, obschon in vielen
Punkten sehr scharfsinnig, doch nicht, wie der Verfasser meint, über
den verschiedenen Richtungen steht, sondern ganz besonders deutlich
die Unmöglichkeit der auch von ihm festgehaltenen materialistischen
Auffassung der Wirtschaft, der Verwechslung von Wirtschaften und
Produzieren zeigt. Tugan erkennt diese Unmöglichkeit nur für die
Einkommenslehre, wo sie, daes sich dabei ja um Geldausdrücke
handelt, auch besonders schlagend hervortritt. Er verlangt deswegen
eine „soziale Theorie der Verteilung“. Er meint (S. 10): „Um die
Gesetze der Preisbildung zu verstehen, muß man sich auf den in-
dividualistischen Ausgangspunkt einstellen. Der Preis beruht ja auf
Schätzungen des Individuums, und der einzig mögliche Ausgangs-
punkt einer wissenschaftlichen Preistheorie kann nur die Analyse
der psychischen Prozesse des Individuums sein, die im Werturteil
zum Ausdruck kommen !). Das Gegenteil gilt für die Verteilungs-
theorie. Ihren Ausgangspunkt können in keinem Falle individua-
listische Werturteile abgeben, denn die Verteilung ist ein soziales
Phänomen, das das Zusammenwirken mehrerer gesellschaftlicher
Gruppen zur Voraussetzung hat.... Zwar ist der Tauschakt auch
ein sozialer Prozeß. Aber das hindert die Preistheorie nicht, einen
individualistischen Charakter zu haben. Zwischen dem Tausch-
phänomen und dem Verteilungsphänomen besteht nämlich folgender
Unterschied: Im Tauschakt begegnen sich zwei Individuen, die nicht
notwendig verschiedenen sozialen Klassen angehören müssen. Darum
gehen die beiden in der heutigen Wissenschaft konkurrierenden Wert-
theorien — Grenznutzen- und Arbeitstheorie von Marx — von der
Voraussetzung der sozialen Gleichheit der im Austausch sich be-
gegnenden Individuen aus.“ Das ist aber ein fundamentaler
Fehler, und auf dieser Grundlage kam Tugan zu der, der heutigen
sog. „Preistheorie* allerdings entsprechenden Behauptung (S. 12):
„Jede Ware hat ihren besonderen Preis, und gerade in der Be-
stimmung dieser individuellen Preisunterschiede besteht die Aufgabe
der Preistheorie!*“ Das ist eben der kindliche Zustand der heutigen
„Preistheorie“, die glaubt, wenn ich mir für 3 Pfg. ein Brot beim
Bäcker kaufe, den Preis aus den beiderseitigen „Wertschätzungen“ für
die Ware und das Preisgut erklären zu können, und den Zusammen-
hang aller Preise nicht erkennt. „Im Akt der Verteilung aber —
nach Tugan — begegnen sich die Vertreter verschiedener sozialer
Klassen“ usw.
Ich kann auf die weiteren Ausführungen von Tugan hier nicht
eingehen. Es ist klar, daß er die Preisbildung zu wenig „sozial“,
1) In der Sache zutreffend, aber in der Begründung falsch wegen des alten Irr-
tums, im Preise ein „zum Ausdruck gekommenes Werturteil‘“ zu sehen.
’ g
204 Robert Liefmann,
die Einkommensbildung, die selbstverständlich durch die Preis-
bildung erklärt werden muß, zu „sozial“ auffaßt, indem bei ihm nur
die bekannten „Klassen“, die der Sozialismus kennt, Kapitalisten
und Arbeiter, Einkommen erzielen. Nach unserer Auffassung ist
der ganze Verteilungsgedanke eine Fiktion, zu der man eben auf
Grund der materjalistischen Wirtschaftsauffassung greifen mußte.
Mit der psychischen Auffassung der Wirtschaft entfällt ihre Not-
wendiekeit und die des merkwürdigen Umspringens aus der
individualistischen Betrachtungsweise in die Soziologie, mit ihr
braucht man nicht mehr sich alle Bezieher von Einkommen als in
Klassen zusammengefaßt zu denken. Damit kann man dann den
Preis „sozialer“ und die Einkommen individualistischer erklären,
braucht sie nicht mehr als eine bloße Klassenvergütung, als eine
„gesellschaftliche“ Erscheinung aufzufassen, kurzum Wirtschaftslehre
und Gesellschaftslehre lassen sich dann trennen.
Denn, man kann nicht leugnen: was die heute beliebte enge
Verknüpfung der Wirtschaftswissenschaft mit der Gesellschaftslehre
verursacht hat, ist, abgesehen von historischen Gründen der Ent-
wicklung der Wissenschaft und von dem Einfluß, den die Tendenzen
des Sozialismus, bewußt oder unbewußt, auf sie gehabt haben, nicht
so sehr der Umstand, daß man die Verschiedenheit ihres Objekts
nicht erkannte. Die Beobachtung zeigte doch schon zur Genüge. daß
die wirtschaftlichen Probleme von denen der Klassenbildung, mochte
man auch mit dem Sozialismus den Einfluß ökonomischer Momente
auf diese noch so sehr überschätzen, doch völlig verschieden sind.
Daß man dennoch beides nicht zu trennen vermochte, hat darin
seinen Grund, daß man mit der materialistischen Auffassung der
Wirtschaft und der Wertlehre die allseitige Verflechtung,
das ganz allgemeine gegenseitige Bedingtsein aller tausch-
wirtschaftlichen Vorgänge nicht zu erklären vermochte. Man hatte
die Empfindung, daß die tauschwirtschaftlichen Vorgänge sehr viel
intensiver miteinander verknüpft sind, als das auf der materialistischen
Grundlage die Wert- und Preislehre darzustellen vermochte. Das geht
aus vielen neueren Schriften, insbesondere auch aus der erwähnten
Tugan-Baranowkys hervor.
Und diese Empfindung ist der Hauptgrund, weshalb
man jetzt immer stärker den Charakter der Wirtschaftswissenschaft
als Sozialwissenschaft betont und in einer stärkeren Anlehnung an
die Soziologie, wie sie sich z. B. im „Grundriß der Sozial-
ökonomik“ ausspricht, einen Fortschritt für jene erblickt. Die
Tatsache, daß alle Preise und alle Einkommen im Zusammenhang
miteinander stehen, der man sich erst neuerdings bewußt zu werden
anfängt, die aber in der ökonomischen Theorie noch keinen Nieder-
schlag gefunden hat und auf ihrer bisherigen Grundlage auch nicht
finden konnte, führte die Nationalökonomen zur Sozialwissenschaft.
Nicht an den Einfluß der Staats- und der Rechtsordnung, nicht an
die Erscheinungen der Klassenbildung und anderer gesellschaftlicher
Momente denkt man in erster Linie, wenn man heute den Cha-
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 205
rakter der Nationalökonomie als Sozialwissenschaft betont, sondern
daran, daß durch das Geld im Tauschverkehralle Preise
und alle Einkommen gegenseitig bedingt sind. Man
denkt daran, daß, wenn auch zu einem ganz verschwindenden Teile,
jeder Kauf, jede Art von Bedarfsbe/riedigung durch den Tausch,
alle Preise aller Güter und damit auch alle Einkommen beeinflußt.
Das ist eine Tatsache, die man bis in die neueste Zeit nicht er-
kannt hat, die ganze österreichische Preistheorie, die heute die herr-
schende ist, ebenso aber die klassische, beruhen darauf, daß man
glaubte, den Preis eines einzelnen Gutes aus den „Wertschätzungen“
auf beiden Seiten erklären zu können, daß man glaubte, eine Preis-
theorie gegeben zu haben, wenn man erörterte, wieviel Güter bei
gegebenen Wertschätzungen auf beiden Seiten und eventuell noch
für das Tauschmittel ihren Besitzer wechseln. Die tatsächliche
gegenseitige Bedingtheit aller Preise haben auch die meisten neueren
Methodologen noch nicht erkannt, und noch viel mehr gilt das von
dem „sozialen“ Charakter aller Einkommen, die immer noch als ein
spezielles Entgelt, das im Verhältnis steht zu der betreffenden
individuellen Leistung, also wie der Preis rein individualistisch auf-
gefaßt werden.
Wenn wir nun zeigen, daß wir mit dem individualistischen, d.h.
dem psychischen Identitätsprinzip, nach dem wir also in den tausch-
wirtschaftlichen Erscheinungen nur Beziehungen zwischen Individuen,
allerdings sehr komplizierte, sehen, diese doch unendlich viel
„sozialer“ erklären, d. h. die gegenseitige Bedingtheit aller Preise
und aller Einkommen in einer Weise aufzeigen können, die auch
die Befürworter eines sozialen Identitätsprinzips nicht für möglich
hielten, so ist nicht einzusehen, was mit der Wirtschaftswissen-
schaft als Sozialwissenschaft gewonnen sein kann. Der Charakter
dieser Wissenschaft oder dieses Wissenschaftskomplexes ist so un-
bestimmt, daß daraus jedenfalls für das Wesen der Wirtschafts-
wissenschaft nichts abgeleitet werden kann.
Heutzutage aber ist es geradezu üblich geworden, mit dem
Schlagwort sozial in den verschiedensten Zusammensetzungen die
wirtschaftlichen Erscheinungen näher zu bestimmen und abzugrenzen.
Je mehr man anfängt, zu erkennen, daß Wirtschaften nach der
materialistischen Auffassung nichts anderes als Technik ist, um so
mehr sucht man für die Abgrenzung des Inhalts der Wirtschaftswissen-
schaft Heil beim Worte sozial. Mit dem Sozialen sucht man das
Sozialökonomische aus dem Wirtschaftlichen schlechthin, mit dem
Wirtschaftlichen dasselbe aus dem Sozialen abzugrenzen. Da aber
beide Begriffe ganz unklar bzw. der des Wirtschaftlichen immer
ganz falsch aufgefaßt ist, kann natürlich nichts dabei herauskommen.
Wie man mit dem Schlagwort sozial alles gesagt zu haben und
auf jede nähere Bestimmung verzichten zu können glaubt, das könnte
an zahlreichen Beispielen dargetan werden. Es sei nur eines an-
geführt, das zeigt, wie bequem es sich manche Nationalökonomen in
dieser Hinsicht machen. v. Zwiedineck erklärt in seiner Aus-
206 Robert Liefmann,
einandersetzung mit meiner Preistheorie (Archiv für Sozialwissen-
schaft und Sozialpolitik, Bd. 38, Heft 1, S. 11) „im Anschluß an
Amonn diese Feststellung des Begriffes des Wirtschaftlichen über-
haupt als überflüssig für die Zwecke der theoretischen National-
ökonomie anzusehen (!), denn diese interessiert als Objekt nicht das
Wirtschaftliche an den Tatsachen (!), sondern eine ganz bestimmte (!)
Form sozialer Erscheinungen, eine eigenartige, in sich einheitliche,
aber von anderen unterschiedene Kategorie von Sozialphänomenen.
Denn das Wirtschaftliche als solches ist nicht faßbar“ !). Punktum !
Warum denn diese Methodologen noch von Wirtschaftswissenschaft
sprechen und nicht von Soziologie, ist mir nicht faßbbar. Es ist
doch wohl anzunehmen, daß jene eigenartige einheitliche Kategorie,
die eine ganz bestimmte Form sozialer Erscheinungen von anderen
unterscheidet, die wirtschaftliche ist. Die Wirtschaftswissen-
schaft kommt also selbstverständlich nie darum herum, das Wesen
des Wirtschaftlichen zu definieren; es ist eben das als Erfahrungs-
objekt Gegebene und es zeigt den Tiefstand der heutigen logischen
Grundlagen, wenn man glaubt, seine Feststellung als überflüssig er-
klären zu können. Mag man noch so sehr das Wirtschaftliche als
einen Unterbegriff des Sozialen auffassen, man kommt nicht darum
herum, erstens dieses zu erklären und dann die differentia specifica,
die eben das Wirtschaftliche ist. Und wenn man, um ein besonderes
sozialökonomisches Gebiet abzustecken, noch so viele be-
schränkende Voraussetzungen macht und insbesondere die Rechts-
ordnung in irgendeiner Form hereinzuziehen versucht, wie Stammler,
Stolzmann und Amonn das tun, immer muß man schließlich auch
das Wirtschaftliche definieren.
Wie das nun aber geschieht, ob man sich der psychischen Auf-
fassung anschließt, oder die technisch-materialistische beizubehalten
sucht: sobald man ein engeres Gebiet einer Sozialökonomik ab-
zugrenzen versucht, das nur die Verkehrsvorgänge umfaßt, setzt man
sich mit der nun einmal nicht wegzuleugnenden Tatsache in Wider-
spruch, daß das Erfahrungsobjekt, das man im täglichen Leben als
das wirtschaftliche bezeichnet, ganz zweifellos auch Erscheinungen
umfaßt, die nicht als soziales Phänomen — ganz einerlei, wie man
diesen allgemeinen und unklaren Ausdruck begreift — bezeichnet
werden können. Schon daß man von jeher auch von einer Natural-
wirtschaft gesprochen hat, sollte nicht einfach ignoriert werden. Und
es ist kein Zweifel, auch der naturalwirtschaftliche Bauer wirt-
schaftet, er wirtschaftet nicht weniger als der, der nur gelegent-
lich mit dem Geldverkehr in Beziehung tritt, und nicht weniger
als der, dessen ganze technische Tätigkeit, „Produktion“, auf den
Gelderwerb gerichtet ist.
Die Vertreter der sozialen Betrachtungsweise gestehen denn
auch zu, daß es außerhalb des von ihnen mehr oder weniger künst-
1) Ich erfasse es aber und zwar durchaus übereinstimmend mit dem Sprach-
gebrauch des wirtschaftlichen Lebens und erkläre damit die wirtschaftlichen Erschei-
nungen sehr viel zutreffender und auch viel „sozialer“ als die bisherigen Theorien.
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 207
lich durch Rechtsordnung u. dgl. abgegrenzten sozialükonomischen
Phänomens auch noch andere wirtschaftliche Phänomene gäbe, von
denen sie nur behaupten können, daß sie die Sozialökonomik als einen
Zweig der Sozialwissenschaft nicht interessieren. Deswegen kommen
ja v. Zwiedineck u. a. zu der grotesken Behauptung, daß das
Wirtschaftliche die Wirtschaftswissenschaft gar nicht interessiere.
So bleibt schließlich als einzige wirkliche Begründung der sozialen
Betrachtungsweise nur der Begriff Sozialwissenschaft. Nur
weil man die Wirtschaftswissenschaft als eine Sozialwissenschaft
betrachtet, konnte man den Versuch machen, aus ihrem Gebiete alles
das herauszuwerfen, was zwar zweifellos wirtschaftlich, aber nach
irgendeinem ad hoc konstruierten Begriffe nicht sozialwirt-
schaftlich ist.
Es ist nun hier wieder darauf aufmerksam zu machen, daß
dieser Versuch, welcher also einen Teil der zweifellos wirtschaft-
lichen Erscheinungen außerhalb des Gebietes der „Sozialökonomik*
fallen läßt, nur gewissermaßen erzwungen wurde auf Grund der
überlieferten materialistischen Auffassung der Wirtschaft. Nur
weil man mit der bisherigen materialistischen Theorie die wirtschaft-
lichen Vorgänge niemals von der Technik abgrenzen und zu einer
richtigen Erklärung der Geldtauschvorgänge, der Einkommen- und
Preisbildung gelangen konnte, hat man die soziale Regelung als
Identitätsprinzip herangezogen. Der Ausdruck Sozialwissenschaft
war dabei nur ein Hilfsmittel, auf das man sich zur Begründung
für die Wahl jenes merkwürdigen Identitätsprinzips stützen konnte.
Es ist aber klar, wenn es gelingt, auf Grund einer anderen Auf-
fassung des Wirtschaftlichen alle wirtschaftlichen Erscheinungen °
einheitlich zu erklären und sie als ein einheitliches Erkenntnisobjekt
zu erfassen, daß diese einheitliche Wirtschaftswissenschaft, mag man
sie nun als Sozialwissenschaft bezeichnen oder nicht, jener mit allen
möglichen gekünstelten Voraussetzungen arbeitenden Sozialökonomik,
deren Hauptbegriffe immer unklare soziale Schlagwörter bleiben
müssen, gewaltig überlegen sein wird.
Trotzdem habe ich keinerlei Bedenken, die Wirtschaftswissen-
schaft als Sozialwissenschaft zu klassifizieren, da zweifellos vor
allem die tauschwirtschaftlichen Probleme ihr Objekt bilden. Wir
werden aber im folgenden Paragraphen sehen, daß sie eine Kultur-
wissenschaft selbst dann wäre, wenn alle Menschen isoliert wirt-
schafteten. Aber durchaus widersprechen müssen wir, wenn man
aus der Bezeichnung der Wirtschaftswissenschaft als Sozialwissen-
schaft Schlüsse für die Bestimmung des Wesens der Wirtschaft
ziehen, ihr Identitätsprinzip damit gewinnen will. Der Begriff der
Sozialwissenschaft kann immer nur ein Hilfsmittel für die Philo-
sophie bilden, für die Erkenntnis ökonomischer Probleme ist er be-
deutungslos.
Es muß energisch verlangt werden, daß alle diejenigen, die
immer das Schlagwort sozial im Munde führen und damit wirt-
schaftliche Erscheinungen abgrenzen wollen — wir haben zahlreiche
208 Robert Liefmann,
Beispiele dafür gegeben — jedesmal klar definieren, was sie darunter
verstehen. Geschieht das nicht, so bleiben die Erörterungen solcher
„Soziologen“ ganz unwissenschaftlich. Wie wir uns die Abgrenzung
der Sozialwissenschaften denken, darüber hier nur wenige Worte.
Der Begriff der Sozialwissenschaft, der alle denkbaren Be-
ziehungen zwischen Menschen umfaßt, ist so allgemein, daß mit ihm
für die Erkenntnis spezieller menschlicher Beziehungen gar nichts
gewonnen ist. Er umfaßt die Gesellschaftslehre, die Rechts- und
Staatswissenschaften ebenso wie die Philologie, die verschiedenen
Zweige der Ethnologie und Ethnographie, Pädagogik usw., eventuell
auch Religion, Kunstwissenschaften u.a. Es kann nicht unsere Auf-
gabe sein, in diesem weiten Sinne des Begriffs Sozialwissenschaft
die Stellung der Wirtschaftswissenschaft in ihm näher zu bestimmen.
Nur über die Abgrenzung der Wirtschaftswissenschaft gegenüber der
Gesellschaftslehre !) und den Rechts- und Staatswissenschaften sei
folgendes gesagt. In dem großen Gebiete der Beziehungen der
Menschen zueinander gibt es eine Gruppe, welche weniger die rein
geistigen Beziehungen der Menschen als die Erscheinungen
ihres Zusammenlebens umfaßt. Die Beziehungen äußern
sich auch oft, aber keineswegs immer, in äußeren Formen des Zu-
sammenlebens, in Einrichtungen und Veranstaltungen, auch in ge-
meinsam vereinbarter oder durch übergeordnete Institutionen ge-
schaffener Regelung. Alle diese Wissenschaften, die sich mit solchen
Formen des Zusammenlebens der Menschen im Gegensatz
zu ihrem geistigen Verkehr (Sprache, auch Religion, Kunst usw.)
beschäftigen, nennen wir Sozialwissenschaften. Es kann
natürlich keine Rede davon sein, daß man die so unter gleichartigen
Bedingungen zusammenlebenden Menschen nun ohne weiteres als
eine Einheit aufzufassen habe, vielmehr ist die individualistische
Betrachtung natürlich zunächst durchaus beizubehalten.
Es gibt nun zwei große Gruppen von Sozialwissenschaften, von
denen die eine die Beziehungen der Individuen zuein-
ander, allein oder in Gruppen, die andere ihre Beziehung zu
übergeordneten Organisationen und eventuell deren Be-
ziehungen zueinander umfaßt. Oder, wie man es auch aus-
drücken kann, die eine Gruppe umfaßt die Erscheinungen, die da-
durch entstehen, daß die einzelnen Menschen selbst
dieZweckeihres Zusammenlebens verwirklichen, die
andere Gruppe umfaßt die Erscheinungen, in denen die Menschen
durch ihnen übergeordnete Organisationen, die sie sich
natürlich dafür geschaffen haben, dieZwecke ihresZusammen-
lebens verwirklichen. Letztere kann man als politische
Wissenschaften bezeichnen, es gehören dahin Rechtswissen-
1) Die wir nicht in dem weiten Sinne fassen wie etwa Spann in seinem neuen
System der Gesellschaftslehre, 1914, gleichbedeutend mit Sozialwissenschaft,
sondern in dem engsten Sinne, in dem man von gesellschaftlichen Erscheinungen
spricht, also vor allem in bezug auf die Probleme der Klassenbildung, einheitliche
Sitten u. dgl.
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 209
schaft, Staatslehre, politische Geschichte usw. Die erste Gruppe
zerfällt wieder, je nach dem Zwecke der Individuen, in zwei Wissen-
schaften: Gesellschaftslehre, welche die aus gleichgerich-
teten Zwecken und Interessen hervorgehenden Bil-
dungen umfaßt, und Wirtschaftslehre, welche die aus
entgegensetzten Zwecken der Individuen hervorgehen-
den Bildungen umfaßt. Zur Gesellschaftslehre gehören also
die Bildungen: Klassen, Stände, Volk, Nationen usw., zur Wirt-
schafslehre die Erscheinungen des Tauschverkehrs !). Man erkennt
leicht, daß, wie es auch durchaus den Problemen der beiden Wissen-
schaften entspricht, die wirtschaftlichen Vereinigungen zu
gemeinsamen Zwecken, die Gesellschaftsunterneh-
mungen, Genossenschaften, Fachvereine, Verbände,
Kartelle usw. beiden Wissenschaften zugehören können. Die
Wirtschaftslehre betrachtet ihre wirtschaftlichen Ursachen und Wir-
kungen, die Gesellschaftslehre die inneren Beziehungen der Inter-
essenten zueinander. Das schließt natürlich nicht aus, daß auch
die übrigen gesellschaftlichen Erscheinungen, Klassen, Volk usw. wirt-
schaftliche Wirkungen haben, wie auch andererseits wirtschaft-
liche Ursachen der gesellschaftlichen Bildungen selbstverständlich
in größtem Umfange vorhanden sind. aber die Selbständigkeit der
beiden Erkenntnisobjekte nicht beeinträchtigen.
Wie einseitig heute oft die soziologische Betrachtung an Stelle
der ökonomischen vorgenommen wird, das kann man z. B. an der
neueren Kartelliteratur gut zeigen. Manche jüngere National-
ökonomen erkennen garnicht mehr den Monopolcharakter als ökono-
mische Haupterscheinung, Zweck und Wirkung dieser Bildungen,
sondern betrachten nur die innere Organisation, die verschiedenen
Beziehungen zwischen den Kontrahenten, die losere oder festere
„Konzentration“, wie der echt soziologische, für die Unklarkeit
der Begriffe dieser Wissenschaft typische Ausdruck lautet, der von
vielen heute mit Vorliebe verwendet wird. Daß in der ökonomischen
Theorie die Kartelle und Trusts in erster Linie als Maßregeln im
Tauschverkehr, also im Anschluß an eine, allerdings bisher noch
fehlende wirkliche Konkurrenz- und Monopoltheorie zu be-
trachten sind, davon haben unsere Soziologen keine Ahnung, weil
man eben bisher Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaft über-
haupt nicht zu unterscheiden wußte.
3. Die Volkswirtschaftslehre als Kulturwissenschaft.
Es ist mit Recht von Max Weber, Amonn und anderen
Methodologen darauf aufmerksam gemacht worden, daß eine Wissen-
1) Der Staat ist also Objekt der Gesellschaftslehre als aus gleichge-
richteten Zwecken der Individuen entstandener Organismus, ebenso wie die anderen
gesellschaftlichen Bildungen. Er ist Objekt der verschiedenen politischen Wissen-
schaften z. B. Staatslehre, Rechtswisseuschaften usw., als eigener Willensträger und den
Einzelnen übergeordneter Organismus.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 14
210 Robert Liefmann,
schaft den ihr eigentümlichen Problemkomplex durch die Erfahrung
und das Denken des alltäglichen Lebens erhält, das auch schon die
wichtigsten Begriffe prägt, mit denen man ein Erfahrungsobjekt,
wenn auch noch unklar, abgrenzt. Die Wissenschaft hat also nur die
Aufgabe, das logisch Einheitliche in ihm zu finden und dadurch
ein scharf umrissenes Erkenntnisobjekt zu gestalten. Anders aus-
gedrückt: von der Philosophie, der allgemeinen Wissenschaftslehre
her läßt sich nicht bestimmen, was Inhalt der Wissenschaft ist oder
sein sollte.
Gegen dieses Ergebnis der neueren Logik fehlen nun charakte-
ristischerweise gerade diejenigen Nationalökonomen, die heute mit
Vorliebe Philosophie treiben. Schon die Bestimmung des Inhalts
der Sozialökonomik aus dem Begriff der Sozialwissenschaft ist ein
Verstoß gegen jene logische Regel. Denn der Inhalt derselben, das
Identitätsprinzip des Sozialen, ist so unbestimmt, daß damit für die
Wirtschaftswissenschaft nichts gewonnen werden kann.
Denselben Fehler aber begehen manche unserer philosophieren-
den Nationalökonomen, wenn sie mit dem Begriff Kulturwissen-
schaft operieren und von ihm aus für den Inhalt und das Wesen
der Wirtschaftswissenschaft Erkenntnisse ableiten wollen. Als ein
Beispiel seien hier nur die Ausführungen von v. Schulze-Gäver-
nitz angeführt (Privatwirtschaftslehre in: Die private Unterneh-
mung und ihre Betätigungsformen, 1914, Heft 1, S. 75, und Wirt-
schaftswissenschaft, 1915, S. 6) Nach ihm ist Wirtschafts-
wissenschaft diejenige Kulturwissenschaft, die „aus der unendlichen
Mannigfaltigkeit der Erscheinungen diejenigen herausliest, welche
wirtschaftlich bedeutsam sind, d. h. wesentlich für die Unter-
werfung der äußeren Natur durch menschliche Tätigkeit unter die
Zwecke der menschlichen Bedürfnisbefriedigung: ‚Sachgüter-
beschaffung‘ im weitesten Sinne (Herstellung, Verteilung, Ver-
brauch), als solche stets eine ‚Form- oder Ortsveränderung‘ des
Stoffes. Objektive Voraussetzung für ein solches Gebiet von Er-
scheinungen ist eine gewisse Beschränktheit der Natur gegenüber
dem sich in das Unbegrenzte entfaltenden Bedürfnis“ usw. Im Gegen-
satz zu v. Zwiedineck erkennt also v. Schulze-Gävernitz, daß auch
die Sozialökonomik als unterscheidendes Merkmal von anderen Zweigen
der Sozialwissenschaft das Wirtschaftliche definieren muß, und
tut das natürlich in Uebereinstimmung mit der bisherigen Theorie,
aber in Widerspruch mit den Tatsachen des wirschaftlichen Lebens mit
dem Gesichtspunkt Sachgüterbeschaffung. Auf der folgenden
Seite heißt es dann aber: „rein individual-wirtschaftliche Tatsachen
als solche scheiden aus dem Bereich der wirtschaftswissenschatt-
lichen Betrachtung aus. Wirtschaftswissenschaft im weitesten Sinne
also ist die Wissenschaft von der Unterwerfung der äußeren Natur
unter die Zwecke der Gesellschaft“!
Und wieder auf der folgenden Seite wird die Unterscheidung
von Wirtschaft und Technik folgendermaßen vorgenommen: „Wirt-
schaft und Technik? Der Mensch kämpft den Kampf mit der
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 211
Natur nicht nur für gesellschaftliche Zwecke (!), sondern weithin
auch im Zusammenwirken mit seinesgleichen, also mit gesellschaft-
lichen Mitteln. Der Mensch tritt als Gruppe über die Schwelle der
Geschichte: hiernach scheidet sich Technik und Wirtschaft im
engeren Sinne: Volkswirtschaft. Unter Technik verstehen
wir die Wege, die der Mensch im unmittelbaren Kampfe mit
der Natur beschreitet — zuerst in roher Empirie, später unter Be-
ratung der Naturwissenschaft im rationellen Verfahren. Unter
Volkswirtschaft dagegen verstehen wir denselben Kampf, so-
weit er mit gesellschaftlichen Mitteln geführt wird, also Beziehungen
von Mensch zu Mensch herstellt.“ Also kurz gesagt: Technik und
Wirtschaft unterscheidet sich gar nicht, nur Technik und Volks-
wirtschaft! Das ist die Konsequenz dieses krassen Materialismus,
der natürlich auch unter Technik nur materielle Technik versteht,
also von dem viel allgemeineren Sinn dieser Begriffe als „Teil-
erscheinungen des allgemeinen Rationalprinzips“ keine Ahnung hat!
Dann heißt es: „Unter Wirtschaftswissenschaft im engeren
Sinne, ‚Volkswirtschaftswissenschaft‘ (Sozial- oder Na-
tionalökonomie), verstehen wir demnach die Wissenschaft von
der Unterwerfung der äußeren Natur unter die Zwecke der Gesell-
schaft mit gesellschaftlichen Mitteln.“
Hier gilt nun alles, was wir im Kapitel über den Zweck in
der Volkswirtschaft gegen Stolzmann gesagt haben. Mit bemerkens-
werter Offenheit ist hier immer von dem Phantasiegebilde der
„gesellschaftlichen Zwecke“ die Rede! Ueber den Inhalt dieses Be-
griffs sagt v. Schulze kein Wort. Während als Zweck der Wirt-
schaft „Bedürfnisbefriedigung“ angegeben wird, die allerdings in der
hergebrachten Weise mit Sachgüterbeschaffung identifiziert wird !),
ist „Wirtschaftswissenschaft im engeren Sinne“, Sozial- oder Na-
tionalökonomie, die Wissenschaft von der Unterwerfung der äußeren
Natur unter die Zwecke der Gesellschaft (!) mit gesellschaftlichen
Mitteln! Dies Umspringen zu den Zwecken der Gesellschaft
braucht natürlich der Verfasser, um die Sozialökonomik von der
Technik zu unterscheiden?2). Wie aber, wenn ich, mit genau so
gutem Recht, auch die Technik als einen Zweck der Gesellschaft
bezeichne? Dann ist Sozialökonomik eben Technik. Was versteht
er aber überhaupt unter gesellschaftlichen Zwecken und gesellschaft-
lichen Mitteln? Nach v. Schulze-Gävernitz wäre z. B. die Her-
stellung von Wasserstoff in einem Universitätslaboratorium Gegen-
1) Man sollte es kaum für möglich halten, daB ein Mann wie Schulze-Gävernitz
so unter dem Bann des überlieferten Dogmas stehen kann, das durch die einfachste
Beobachtung des wirtschaftlichen Lebens hinfällig wird.
2) Es ist dies immerhin schon ein großer Erfolg meiner vor 9 Jahren erschienenen
Schrift: Ertrag und Einkommen, die zum erstenmal jene Verwechslung von Wirtschaft
und Technik betonte. Früher kümmerte sich niemand darum, jetzt fühlt sich jeder
verpflichtet, eine Unterscheidung zu suchen. Doch ist sie, wenn man die materialistische
Auffassung beibehält, nur dadurch möglich, daß man ihr das Moment des Sozialen noch
hinzufügt, eine reine Ausflucht, die niemals ermöglicht, die Geldtauschvorgänge richtig
zu verstehen.
14*
212 Robert Liefmann,
stand der Sozialökonomik, nicht dagegen, wenn ich mir ein Konzert-
billet kaufe. Solange man mit so unklaren Begriffen operiert, ohne
sie auch nur im mindesten zu definieren, ist eigentlich jede Kritik
überflüssig.
v. Schulze-Gävernitz bezeichnet das Moment: Sachgüterbeschaf-
fung als ein richtiges Auswahlprinzip der Sozialökonomik als
Kulturwissenschaft, „insofern als die Verwirklichung der Kultur-
aufgaben ohne sie unmöglich ist“. Ich erlaube mir die Anfrage, ob
das auch für Alkoholbereitung, Herstellung von Geheimmitteln,
Kanonenfabrikation u. dgl. gilt, und ob, soweit das nicht der Fall
ist, die damit in Verbindung stehenden Handlungen keine wirt-
schaftlichen sind? Und ob anderseits ein Konzert, eine wissen-
schaftliche Vorlesung, eine ärztliche Konsultation, ein juristischer
Rat, eine Fahrt auf der Eisenbahn, alles gegen Bezahlung, obwohl
sie zweifellos kulturfördernd sind, deswegen nicht Gegenstand der
Wirtschaftswissenschaft sein können, weil es sich nicht um „Sach-
güterbeschaffung“ handelt? Und was sind sie sonst und Gegenstand
welcher Wissenschaft? Es ist ein starkes Stück, das sich unsere
Soziologen da leisten: auf der einen Seite die Betonung der Wirt-
schaftswissenschaft als Kulturwissenschaft mit dem Auswahlprinzip
allgemeiner Kulturwerte, auf der anderen Seite zugleich Krassester
Materialismus und Verwechslung der Wirtschaft mit der materiellen
Technik, Sachgüterbeschaffung als Auswahlprinzip der Wirtschafts-
wissenschaft!
Die Unmöglichkeit dieser Konstruktionen spricht aus jeder Zeile;
z. B.: „der Mensch kämpft den Kampf mit der Natur nicht nur für
gesellschaftliche Zwecke!“ Daß der Mensch den Kampf mit der
Natur überhaupt nicht für gesellschaftliche Zwecke, sondern für
seine eigenen Zwecke, für seine und seiner Familie Bedarfs-
befriedigung aufnimmt, das scheint unseren Soziologen eine viel zu
selbstverständliche Erscheinung zu sein, als daß sie Gegenstand einer
Wissenschaft sein könnte. Wenn v. Schulze mir jemals einen Bauer
oder Arbeiter zeigen kann, der ihm gesagt hat, daß er „den Kampf
mit der Natur für gesellschaftliche Zwecke“ führe, will ich mich
auch zur sozialen Betrachtungsweise bekennen und die Weiter-
führung der ökonomischen Theorie vertrauensvoll ihren Vertretern
überlassen. Daß ein solcher Mensch, der nicht „gesellschaftliche
Zwecke“ verfolgt, auch wirtschaftet, daß der Begriff Wirtschaft,
ganz einerlei, wie man ihn faßt, schließlich auch auf einen Robinson
anwendbar sein müßte, und daß selbst dann die Wirtschaftswissen-
schaft nicht aufhören würde, eine Kulturwissenschaft zu sein,
obgleich natürlich mit diesem Begriff für wirtschaftswissenschaft-
liche Erkenntnisse gar nichts gewonnen ist, das ist aber nicht schwer
einzusehen. Ebenso ist der Widerspruch mit Händen zu greifen, der
in den obigen Sätzen v. Schulze-Gävernitz’ sich findet und der darin
zum Ausdruck kommt, daß einmal als das Auswahlprinzip der Wirt-
schaftswissenschaft „die Unterwerfung der äußeren Natur unter die
Zwecke menschlicher Bedürfnisbefriedigung“, dann aber „Unter-
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 213
werfung der äußeren Natur unter die Zwecke der Gesellschaft“
angegeben ist. Das auf einem Raum von 3 Seiten! Es ist also gar
nicht wahr, daß nach dieser Auffassung die Wirtschaftswissenschaft
durch diejenigen Erscheinungen bestimmt werde, welche „wirtschaft-
lich bedeutsam“ sind, sondern sie wird durch die „Zwecke der Ge-
sellschaft“ bestimmt, durch „das gesellschaftliche Ganze“, das man
stets in die Begriffsbestimmung der Wirtschaftswissenschaft hinein-
gezogen hat.
Es ist klar: eines von beiden muß fallen. Die Verbindung
dieser beiden Auswahlprinzipe wird durch das Erfahrungsobjekt
als unmöglich erwiesen. Wenn sie etwas mehr das Wirtschafts-
leben beobachtet hätten, hätten unsere Kulturwissenschaftler erkennen
müssen, daß gerade, wer von solchen Kulturwerten ausgehen will, das
Wesen der Wirtschaft nicht nur in Sachgüterbeschaffung sehen
kann. Wirtschaftliche Mittel werden ebensowohl für wissenschaft-
liche und künstlerische Zwecke aufgewendet, welche zu den höchsten
Kulturzwecken gehören. Mit anderen Worten, die materialistische
Auffassung der Wirtschaft scheitert auch hier wieder an den Geld-
ausdrücken, indem die wirtschaftlichen Mittel in Geld genau so
für immaterielle Zwecke wie für Sachgüterbeschaffung verwendet
werden. Mit ein wenig Beobachtungsgabe hätte man sich das schon
längst sagen können.
Diese ganze Auffassung erhält nun dadurch ihren besonderen
Charakter, und es liegt eine gewisse Ironie darin, daß die Kultur-
wissenschaftler ihr gesellschaftliches Moment, die „gesellschaftlichen
Zwecke“ ja gerade deswegen einführen, um über die materialistische
Auffassung hinauszukommen. Deswegen erklärt ja v. Schulze-
Gävernitz ausdrücklich: das Wirtschaften des Einzelnen ist Technik,
nur die Volkswirtschaft ist Wirtschaft, Wirtschaft „im engeren
Sinne“. Aber auch dieses soziale Auswahlprinzip: Volkswirtschaft,
Sozialwirtschaft, gesellschaftliche Zwecke als Gegenstand der Wirt-
schaftswissenschaft, ist falsch, identifiziert die Wirtschaftslehre mit
sonstigen Sozialwissenschaften und umfaßt anderseits zweifellos wirt-
schaftliche Erscheinungen nicht. Gerade die Volkswirtschaft ist
keine Wirtschaft, sondern nur ein unzweckmäßiger Ausdruck für
wirtschaftliche Beziehungen zwischen den Angehörigen eines Volkes.
Es gibt kaum ein größeres Mißverständnis, als wenn v. Schulze-
Gävernitz, nachdem er zuerst betont hat: „Technik z. B. ist die Drei-
felderwirtschaft — ein Verhältnis von Mensch zu Natur“, fort-
fährt: „ein volkswirtschaftliches Verhältnis dagegen ist der Flur-
zwang und die Gemengelage, wobei Mensch zu Mensch in Beziehung
tritt.“ Flurzwang ist die rechtliche Regelung technischer Tätigkeiten,
und Gemengelage ist ein technischer, d. h. von ihren technischen Wir-
kungen hergenommener Ausdruck der rechtlichen Tatsache eines
Streubesitzes an landwirtschaftlichen Parzellen. Dadurch, daß den
landwirtschaftlichen Betrieb mit 3 Feldern auch ein Einzelner betreiben
kann, aber zur Gemengelage mehrere Besitzer gehören, wird die letztere
noch keine sozialwirtschaftliche Erscheinung. Wirtschaftliche Ur-
214 Robert Liefmann,
sachen und wirtschaftliche Wirkungen hat aber diese landwirt-
schaftliche Technik ebenso wie jene Rechtsverhältnisse und ist daher
ebenso wie sie auch für die Wirtschaftswissenschaft bedeutsam.
Das kann man freilich nur mit der psychischen Auffassung der
Wirtschaft erkennen, daß nicht die Tätigkeit der Bestellung von
3 Feldern selbst, sondern die Erwägungen, die dahinter stehen, Wirt-
schaft sind.
Vor allem aber, wenn man den Inhalt der Wirtschaftswissen-
schaft so faßt, sind die grundlegenden Erscheinungen des Tausch-
verkehrs, ist der ganze tauschwirtschaftliche Mechanismus nicht zu
erklären. Was nützt es mir für die wichtigsten Aufgaben der Wirt-
schaftswissenschaft, wenn ich noch so schön den modernen „Ka-
pitalismus“ als gesellschaftliche Erscheinung erörtere und aus dem
„kapitalistischen Geist“ entwickeln kann, wenn ich keine Ahnung
habe, wie der Kapitalzins zu erklären ist. Solange über das Wesen
des Kapitals selbst noch die größten Unklarheiten bestehen, muß
die Erkenntnis des Kapitalismus als einer bestimmten wirtschaftlichen
Epoche sehr mangelhaft sein. Und von allen diesen Soziologen
hatte bisher keiner eine Ahnung, wie der Kapitalzins zu erklären
sei, sonst hätten sie schon längst die Böhm-Bawerksche Theorie
kritisiert. Aber keiner scheut sich, sie in seinen Vorlesungen vor-
zutragen.
Und ich möchte einmal sehen, wenn ich vor Veröffentlichung
meiner Schriften unseren Kulturwissenschaftlern z. B. die Frage
nach dem Verhältnis von Preis und Kosten, ob der Preis die Kosten
oder die Kosten den Preis bestimmen, vorgelegt hätte, was für Ant-
worten ich dann bekommen hätte! Es ist klar, daß sie der Lösung
dieses Grundproblems, ohne die von einem Verständnis des tausch-
wirtschaftlichen Mechanismus nicht die Rede sein kann, mit ihrer
Theorie keinen Schritt näher kommen. Und so ist kein Zweifel, daß
alle die Probleme, die die ökonomische Wissenschaft seit mehr als
100 Jahren beschäftigten, und die darauf hinauslaufen, den Mechanis-
mus des Tauschverkehrs aus seinen Elementen, den wirtschaftlichen
Handlungen der einzelnen Menschen, heraus zu erklären, von den
Kulturwissenschaftlern und Soziologen niemals gelöst werden können.
Niemand aber wird bestreiten können, daß das wissenschaftliche
Probleme sind. Man fördert aber die wissenschaftliche Erkenntnis
nicht dadurch, daß man sie beiseite schiebt und an ihre Stelle so
unklare und mit zahllosen Voraussetzungen belastete Begriffe wie
soziale Verkehrsbeziehungen, Sozialwirtschaft, soziale Gestaltungen,
gesellschaftliche Zwecke, und wie alle diese schönen Phrasen heißen,
setzt. —
Wenn wir nun auch auf die Frage der Wirtschaftswissenschaft
als Kulturwissenschaft zu sprechen kommen, so geschieht es natürlich
nicht, weil wir damit das eigentliche Wesen der Wirtschaft er-
fassen zu können hoffen, sondern nur um zu zeigen, daß, auch von
dieser Seite her betrachtet, die „soziale Betrachtungsweise* unlogisch
ist und den wirtschaftlichen Problemen nicht gerecht werden kann.
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 215
Allerdings erscheint uns die Auffassung der Kulturwissenschaftler
so, wie sie v. Schulze-Gävernitz vertritt, als die Lehre von den Er-
scheinungen, die allgemeine Kulturwerte verwirklichen, unhaltbar
und auch den Anschauungen der Begründer dieses Terminus nicht
zu entsprechen. Mit diesen „Kulturwerten“ kann man ja das vorher
in eine Wissenschaft hineintragen, was man nachher als ihr Ob-
jekt in ihr wiederfinden will. Man bezeichnet irgendeinen Gegen-
stand als einen Kulturwert, nachher ist die Beschäftigung mit ihm
eine Kulturwissenschaft. „Gesellschaft in diesem Sinne — sagt
v. Schulze-Gävernitz (S. 7) im Anschluß an Max Weber — ist ein
teleologischer Begriff: dasjenige Zusammensein von Menschen, welches
bedeutsam ist für die Entstehung und den Fortschritt der Kultur“,
und Sachgüterbeschaffung sei auch bedeutsam für die Kultur, „inso-
fern als die Verwirklichung der menschlichen Kulturaufgaben ohne
sie unmöglich ist“. Hier taucht wieder die schon von Amonn auf-
geworfene Frage auf: Was hat denn Sachgüterbeschaffung mit dem
Zusammensein der Menschen zu tun? Zweifellos ist auch unabhängig
vom „Zusammensein der Menschen“ die Verwirklichung der mensch-
lichen Kultur ohne Sachgüterbeschaffung nicht möglich. Die Betrach-
tung der Naturalwirtschaft wäre also ebensogut Kulturwissenschaft.
Weshalb also noch die Beziehung auf höchst unklare Zwecke der
Gesellschaft ?
Man erkennt aber, daß es mit diesem Begriff der Kulturwissen-
schaft nicht zu stimmen scheint. Ich will nicht näher ausführen,
ohne was alles die Verwirklichung der menschlichen Kulturaufgaben
unmöglich wäre! Wenn das alles Objekte der Kulturwissenschaften
wären! Aber das sei gesagt: wenn die Lehre von der „Sachgüter-
beschaffung“ Kulturwissenschaft ist, und „die Verwirklichung der
menschlichen Kulturaufgaben ohne sie unmöglich ist“, so sind alle
Naturwissenschaften, z. B. Physik und Chemie, Maschinenbaukunde
usw. viel eher Kulturwissenschaften als etwa die Philologie und die
römische Rechtsgeschichte.
Unterscheidet man mit v. Schulze-Gävernitz Natur- oder Seins-
wissenschaft und Wissenschaft der Zwecke, Kulturwissenschaft, so
ist — darauf sei noch besonders aufmerksam gemacht —, gerade wenn
man an dem Gedanken der „Sozialökonomik“ festhält und ihr Ob-
jekt auf die Erklärung der Tauschvorgänge beschränkt, sie
eine Seins- oder Naturwissenschaft, keine Wissenschaft
der Zwecke, Kulturwissenschaft, wofern man nur auf die künst-
liche und überflüssige Konstruktion des „sozialen Zweckgebildes“
verzichtet. Denn wohl verfolgen die einzelnen Menschen mit ihrer
Privatwirtschaft Zwecke, diese Zwecke sind aber niemals das
Objekt der Wirtschaftswissenschaft, auch nicht bei der individua-
listischen Betrachtungsweise. Sondern ihr Objekt sind die daraus
hervorgehenden wirtschaftlichen Beziehungen und Vor-
gänge. Diese sind aber kein Ergebnis gemeinsamer „gesellschaft-
licher“ Zwecke, sie sind nicht Gebilde des Sollens, sondern Seins-
gebilde, sind nicht durch übereinstimmenden „gesellschaftlichen“
216 Robert Liefmann,
Willen geschaffen, sondern sind von selbst entstanden aus den
individuellen Zwecken der Einzelnen, und zwar aus individuellen
Zwecken, die nicht gleich gerichtet, sondern verschieden ge-
richtet waren. Der Tauschverkehr entsteht nicht auf Grund be-
wußten Kollektivwillens, sondern einzig und allein auf Grund indi-
vidueller Zwecke. Anfangs tauschten nur wenige Leute gelegentlich,
allmählich wurden alle für den Tausch tätig, aber der Tauschverkehr,
die Preis- und Einkommensbildung, sind niemals ein Ergebnis ge-
sellschaftlicher Zwecke, sind niemals durch gemeinsamen Willen
„eingerichtet“, sondern sie entstehen gewissermaßen naturgesetz-
lich, weil die einzelnen Menschen ihrem individuellen Zweck, dem
Streben nach höchstem Ertrag, folgen.
Es sei dies hier wiederum an dem gerade für unsere Auffassung
ungünstigsten Beispiele erläutert, am Gelde. Zwar ist das Geld,
das den heutigen Tauschverkehr vermittelt, ein „Geschöpf der Rechts-
ordnung“; das heutige Geldsystem eines bestimmten Staates beruht
aber nicht auf einem gemeinsamen Zwecke, der, wie Stolzmann meint,
mit den Zwecken der Einzelwirtschaften identisch ist. Sondern
ein konkretes Geldsystem beruht auf dem Willen und den Zwecken
eines bestimmten Staates, der den Einzelwirtschaften über-
geordnet ist. Die Erklärung der allgemeinen Tauschvorgänge
abstrahiert aber von der besonderen Art der Regelung, weil sie in
erster Linie das allem Tauschverkehr mit Geld Gemeinsame, die
Bildung von Geldpreisen und Geldeinkommen zu erklären hat,
für welche die besondere Regelung des Geldwesens gleichgültig
ist. Entstanden ist das Geld als ökonomische Erscheinung nie-
mals durch gemeinsamen Willen, sondern durch individuelle Bevor-
zugung gewisser Güter, die man leicht aufbewahren und wieder ab-
setzen konnte, wodurch sie zum Tauschmittel wurden. Und auch
die heutigen Geldsysteme sind keineswegs ganz Geschöpfe der
Rechtsordnung, sondern das Verhältnis der Währungseinheiten zu
den Edelmetallen geht letzten Endes auf die ältesten individuellen
Schätzungen für diese zurück. Jedenfalls kommt bei der allgemeinen
Erklärung der Preis- und Einkommensbildung das Geld nicht als
eine „soziale“, durch die Rechtsordnung geschaffene Tatsache, sondern
als eine sozusagen naturwissenschaftliche Tatsache in Betracht. Die
Preis- und Einkommenslehre legt „das Geld“ als eine vorhandene
Tatsache zugrunde, ihre Sätze gelten ganz allgemein für jeden Tausch-
verkehr mit Geld ohne Rücksicht auf das Geldsystem, einerlei, ob
hundert oder Millionen Menschen eines „Volkes“ oder der ver-
schiedensten Volkswirtschaften daran teilnehmen. Und wenn anderer-
seits in der Geldlehre das Zustandekommen eines allgemeinen Tausch-
mittels zu erklären ist, ist es nicht dadurch erklärt, daß man sagt,
der Staat hat das Geld eben so geschaffen, sondern wirtschaftlich ist
die Entstehung des Geldes erst erklärt, wenn man es mit den Be-
strebungen der einzelnen Wirtschaftssubjekte in Beziehung bringt.
Es ist richtig: die Wirtschaftswissenschaft hat es mit Zwecken
und Mitteln „zu tun“, insofern als ihr Erfahrungsobjekt, die tausch-
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 217
wirtschaftlichen Erscheinungen, auf Vorgänge zurückgehen, die sich
logisch als Zwecke und Mittel klassifizieren lassen. Aber nicht
diese Zwecke und Mittel sind ihr Erkenntnisobjekt, und deswegen
ist sie keine Wissenschaft von den Zwecken, sondern an die Zwecke
knüpft die Kausalitätsbetrachtung an: die Wirkungen als
gegeben angesehener Zwecke, eben die Tauschverkehrsvorgänge
oder auch die Struktur einer in den Tauschverkehr ver-
flochtenen Einzelwirtschaft, die sind das Objekt der
Wirtschaftswissenschaft. Zweck und Mittel ist nur die
logische Kategorie des Objekts, an das die Kausalbetrachtung der
Wirtschaftswissenschaft anknüpft. Deswegen sagten wir in dem
früheren Aufsatz, daß das wirtschaftliche Prinzip: möglichst vollkom-
mene Zweckerreichung mit möglichst geringem Aufwand von Mitteln
in der Wirtschaftswissenschaft nicht seinem Inhalt nach: Art der
Zwecke, Art der Mittel, sondern als rein formales Prinzip in
Betracht kommt. Die Auswirkungen dieses Prinzips im Han-
deln der Menschen, insbesondere in dem Verhältnis mehrerer Per-
sonen, sind wirtschaften und das Objekt der Wirtschaftswissenschaft,
aber nicht der Inhalt der Mittel und Zwecke, nicht das Wesen der
Mittel, das Objekt der Zwecke bestimmt die Wirtschaft.
Diese Handlungen der einzelnen Menschen, diese Tauschvorgänge
und Veranstaltungen, die sich auf Grund des wirtschaftlichen Prinzips
ergeben, sind, trotzdem sie vielfach, längst nicht alle, unter den von
der Rechtsordnung gegebenen Regeln erfolgen, gewissermaßen natur-
gesetzliche, naturwissenschaftliche Vorgänge. Unter den gleichen
wirtschaftlichen Bedingungen — von den nichtwirtschaftlichen ab-
strahiert die Wirtschaftstheorie, wenigstens bei der Erörterung der
allgemeinen Grundlagen — tritt immer die gleiche Wirkung ein.
Wenn B das Gut des A, A das des B höher schätzt, tritt für die
Wirtschaftstheorie, die eben homines oeconomici zugrunde legt, unter
allen Umständen ein Tausch ein, der Preis wird unter allen Um-
ständen durch Grenzkosten plus oder Grenznutzen minus tauschwirt-
schaftlichen Grenzertrag bestimmt; sind die Kosten mehrerer An-
bieter verschieden, so entstehen immer Differentialgewinne; auf
Grund des Ertragsstrebens hat der billigste Anbieter immer die
Tendenz, den ganzen Bedarf zu decken; in der Wirtschaftstheorie
werden Geldsummen immer nur gegen Zins ausgeliehen, weil die
Schenkungen und zinsloses Leihen für die allgemeine Erklärung
des tauschwirtschaftlichen Mechanismus keine Rolle spielen usw.
Wäre danach die Wirtschaftswissenschaft also eine Natur- oder
Seinswissenschaft? Man kann sie zweifellos so auffassen. Wir
überlassen aber die Entscheidung dieser Frage den Philosophen, weil
wir nichts weiter sein wollen als theoretische Nationalökonomen
und für uns daher die Entscheidung jener Frage ganz gleichgültig ist.
Immerhin aber wollen wir auf das merkwürdige Resultat auf-
merksam machen, daß gerade, wenn man die Wirtschaftswissenschaft
als Sozialwissenschaft auffaßt, d. h. nur die tauschwirtschaftlichen
Beziehungen als ihr Objekt ansieht, sie keine Kulturwissenschaft,
218 Robert Liefmann,
sondern eine Seinswissenschaft ist: denn dann ist sie keine Wissen-
schaft von Zwecken, sondern von Erscheinungen, die sich auf Grund
gewisser, aber nicht näher untersuchter Zwecke naturgesetzlich ergeben.
Wie kommt man aus diesem Dilemma heraus? Unbeschadet des
Umstandes, daß ich den Gegensatz von Natur- und Kulturwissen-
schaft nicht als absolut ansehen kann, und daß ja schließlich die
Einreihung der Wirtschaftswissenschaft unter diese oder jene Kate-
gorie für sie ganz gleichgültig ist, glaube ich doch, daß man die
Kulturwissenschaft im Sinne von Rickert und Weber nicht einfach
als das „Reich der Zwecke“ bezeichnen darf. Kulturwissenschaft
ist keine Untersuchung von Zwecken, denn die Beurteilung von
Zwecken, des Seinsollens ist ja eine teleologische Betrachtung, die
überhaupt nicht Wissenschaft sein kann. Sondern soweit sich die
Kulturwissenschaften überhaupt mit Zwecken befassen, sind sie eine
Betrachtung der Wirkung von Zwecken. Sie betrachtet Erschei-
nungen unter einem Wertgesichtspunkt, wozu auch der Begriff
Zweck gehört. Darin liegt der Gegensatz zu den Gesetzes- oder
Naturwissenschaften. „Die empirische Wirklichkeit — sagt Max
Weber!) — ist für uns Kultur, weil und sofern wir sie mit Wert-
ideen in Verbindung setzen, sie umfaßt diejenigen Bestandteile der
Wirklichkeit, welche durch jene Beziehung für uns bedeutsam werden,
und nur diese.“ Und zwar müssen die zu erklärenden Tatsachen
allgemeine Kulturbedeutung haben: „Nur bestimmte Seiten
der stets unendlich mannigfaltigen Einzelerscheinungen: diejenigen,
welchen wir eine allgemeine Kulturbedeutung beimessen, sind daher
wissenswert, sie allein sind Gegenstand der kausalen Erklärung.“
Die Wirtschaftswissenschaft kann also keine Wissenschaft von
Zwecken sein, sondern höchstens von Folgen von Zwecken. Da-
mit entfällt die teleologisch-sozialorganische Betrachtungsweise von
Stammler, Stolzmann und Diehl, die aus dem ‚Tauschverkehr ein
soziales Zweckgebilde macht, als Gegenstand der Wirtschaftswissen-
schaft. Sie könnte nur den Zweck dieses Zweckgebildes untersuchen,
das ja sonst ganz in der Luft schwebte, und das ist keine wissen-
schaftliche Aufgabe.
Was ist denn aber das, was beim Wirtschaften allgemeine Kultur-
bedeutung hat? Die bisherige Auffassung sieht es in der Sach-
güterbeschaffung, die allgemein als das logische Auswahlprinzip
der Wirtschaftswissenschaft gilt. Obgleich für unsere Wissenschaft,
die ja ihr Objekt aus der Erfahrung gewinnt, mit der eben das Aus-
wahlprinzip Sachgüterbeschaffung garnicht übereinstimmt, nichts darauf
ankommt, läßt sich doch auch, wie ich glaube, vom methodologischen
Standpunkt zeigen, daß in der Sachgüterbeschaffung nicht das Prinzip
von allgemeiner Kulturbedeutung stecken kann, welches der Wissen-
schaft als logisches Auswahlprinzip zugrunde liegen muß. Denn
Sachgüterbeschaffung ist immer der Zweck der wirtschaftenden
Menschen und ihrem Inhalt nach bei jedem Menschen
1) a. a. O. S, 50 ff.
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 219
verschieden. Nur die Wirkungen der Sachgüterbeschaffung
könnten also Objekt einer kausal erklärenden Kulturwissenschaft
sein. Die bisherige Wirtschaftstheorie faßt aber die wirtschaftlichen
Erscheinungen nicht als Wirkung der Sachgüterbeschaffung auf,
sondern in der Sachgüterbeschaffung, also in dem Zwecke bestehen,
nach der bisherigen Auffassung, die wirtschaftlichen Er-
scheinungen selbst. Das Produzieren ist Wirtschaft, sei es
nach der sozialen Betrachtungsweise nur, wenn es durch „gemein-
sames Zusammenwirken“ geschieht, sei es nach der individualistischen
Auffassung auch in der Naturalwirtschaft. Sachgüterbeschaffung
könnte aber nur als Folge, als Wirkung eines Zweckes Aus-
wahlprinzip einer Kulturwissenschaft sein. Und damit kommen
wir auf die Bedürfnisse als den Zweck der Wirtschaft. Diese
Feststellung des Zweckes ist ja nun keineswegs neu, aber sie wird
in der bisherigen materialistisch-quantitativen Theorie regelmäßig
nicht festgehalten. Aber auch diesem Zweck gegenüber ergibt sich
wieder, daß Sachgüterbeschaffung als dessen Wirkung zu eng ist,
da die Menschen auch Bedürfnisse nach zahlreichen persönlichen
Leistungen haben. Jedenfalls kommt man mit alledem schon auf
eine psychische Definition des Wirtschaftlichen. Der Zweck, der
nach der bisherigen Auffassung das Auswahlprinzip der Wirtschafts-
wissenschaft bildet, kann nicht materiell, sondern muß psychisch
gefaßt werden. Es wäre demgegenüber leicht, zu zeigen, daß dann
auch die Mittel nicht quantitativ, sondern psychisch aufgefaßt
werden müssen. Aber wir wollen ja hier die Wirtschaftswissen-
schaft nicht auf Grund des Erfahrungsobjektes, sondern vom Stand-
punkt des Begriffes Kulturwissenschaft aus betrachten.
Ohne daß etwas für uns davon abhängt, da wir ja so schon
auch von dieser Seite auf die Notwendigkeit einer psychischen Auf-
fassung des Wirtschaftlichen gekommen sind, möchte ich doch die
Meinung aussprechen, daß Bedürfnis ebensowenig wie Sachgüter-
beschaffung Auswahlprinzip einer Kulturwissenschaft ist, weil es
eben keine allgemeine Wertidee, keine Wertidee von allgemei-
ner Kulturbedeutung ist. Es ist ja klar, daß ohne die Bedarfs-
befriedigung es ebensowenig wie ohne Sachgüterbeschaffung Kultur
gäbe. Aber dennoch scheint mir Bedarfsbefriedigung ebensowenig
wie Sachgüterbeschaffung eine Tatsache von allgemeiner Kultur-
bedeutung, eine „Kulturwertidee“ zu sein, weil ja jeder die Bedarfs-
befriedigung verschieden empfindet. Man darf sich da durch die Ein-
heitsbegriffe Bedürfnis und Sachgüter nicht täuschen lassen. Schließ-
lich sind doch nicht die Begriffe, sondern ihr Inhalt die Wertvor-
stellung. Nicht die Sachgüterbeschaffung, sondern ihre Objekte,
nicht die Bedürfnisse, sondern ihr Substrat, die Befriedigungsmittel,
könnten von allgemeiner Bedeutung sein. Mag sein, daß sie das
für eine andere Wissenschaft sind |Sachgüter, Produkte, z. B. für
die materielle Technik !)], für die Wirtschaftswissenschaft ist, wie
1) Die dann zweifellos und auch mit demselben Rechte Kulturwissenschaft wäre.
220 Robert Liefmann,
wir sahen, die Beziehung auf den Zweck Bedürfnisbefriedigung nicht
zu entbehren, und dieser bedeutet, ganz einerlei, ob man nur an
materielle Bedürfnisse denkt oder nicht, immer nur eine Tatsache
von individueller, nicht von allgemeiner Bedeutung, weil die
Bedürfnisse jedes Menschen eben etwas Verschiedenes sind.
Also nicht der Zweck selbst, der immer etwas Individuelles ist,
muß Kulturbedeutung haben, sondern seine Wirkungen, die Hand-
lungen, zu denen er führt. Das ist nicht bei jedem Zweck der Fall.
Aber nur dann hat die Betrachtung von Zwecken wissenschaftliches
Interesse, ist eine kausale Betrachtung möglich, die allein Wissen-
schaft ist. Das läßt sich deutlich an der Rechtswissenschaft
zeigen. Auch das Recht ist meines Erachtens letzten Endes und im
weitesten Sinne aus individualistischen Zwecken zu erklären, obwohl
die Rechtswissenschaft, wie oben gesagt, als politische Wissenschaft
aufzufassen ist. Das Recht geht hervor aus dem Zweck fast aller
Individuen, sich über die Begrenzung ihrer individuellen Macht-
sphäre durch Vereinbarungen zu verständigen. Daß die Begrenzung
dann einem gemeinsamen Organ, dem Staat, übertragen wird, ändert
an dem individuellen Zweck des Rechts nichts. Das Recht setzt
also, im Gegensatz zur Wirtschaft, schon seinem Begriffe nach Be-
ziehungen der Menschen voraus. Aber nicht die Zwecke der Indi-
viduen, sondern erst ihre Wirkungen, die Rechtssätze, die allgemeine
Regelung, sind von allgemeiner Kulturbedeutung. Wenn ich als Kind
mich mit meinem Bruder zankte und schließlich die Verabredung
traf, daß er vormittags, ich nachmittags mit den Bleisoldaten spielen
sollte, so war das auch eine Ordnung, eine Regelung, aber nicht von
Kulturbedeutung, weil es keine allgemeine „Regel“ war. Ebenso
wäre es bei der Wirtschaft, wenn man überhaupt das Wesen der
Wirtschaft im Zweck und nicht in dem formalen Prinzip, nach dem
die Zweck- und Mittelvergleichung erfolgt, sehen wollte.
Doch lassen wir das dahingestellt. Sicher ist — es ergibt sich
das unzweifelhaft aus dem Erfahrungsobjekt und den Problemen, die
die Wirtschaftstheorie von jeher beschäftigt haben — daß die Wirt-
schaftswissenschaft die Art der Zwecke, die der wirtschaftende
Mensch verfolgt, nicht interessiert. Womit der Mensch seinen Bedarf
befriedigt, ist für sie gleichgültig. Ist die Wirtschaftswissenschaft
deshalb keine Kulturwissenschaft? Man kann sie doch als eine
solche bezeichnen, ohne daß wir, wie gesagt, einen Wert darauf
legen. Kulturwissenschaft ist eben nicht nur das „Reich der Zwecke“,
auch Philologie, klassische Kunstgeschichte u. dgl. sind Kulturwissen-
schaften, obgleich sie keine Zwecke zum Objekt haben, eben weil
ihre Objekte allgemeine Kulturbedeutung haben.
Was ist es nun aber, das in den wirtschaftlichen Erscheinungen
Kulturbedeutung hat. Es ist nicht der Zweck der wirtschaftenden
Menschen, einerlei wie man ihn auffaßt. Denn dieser ist immer
etwas Individuelles. Es ist noch viel weniger ein imaginärer
„sozialer Gesamtzweck“, den es wohl im Staate, aber nicht im
Tauschverkehr gibt. Am nächsten läge es, zu sagen: es ist der
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 221
Tauschverkehr selbst, der Kulturbedeutung hat, die Organi-
sation, die er herbeiführt, und die zwar kein einheitliches Zweck-
gebilde, sondern an sich eine reine Seinserscheinung, aber die Folge
individueller Zwecke ist. Daß der Tauschverkehr allgemeine Kultur-
bedeutung hat, ist zweifellos, weil durch ihn die Bedarfsversorgung
allgemein enorm vermehrt und erleichtert wird.
Das scheint also für die Anschauung derer zu sprechen, die,
wie Max Weber, nur den Tauschverkehr zum Objekt der „Sozial-
ökonomik“ machen wollen. Aber mit Unrecht, denn der Gedanke
der Kulturbedeutung des Tauschverkehrs ist nicht zu Ende gedacht.
Das erkennt man am besten, wenn man sich überlegt, ob man des-
halb der antiken Oikenwirtschaft, selbst wenn man sie sich extrem
durchgeführt und jeden Tauschverkehr ausschließend denkt, oder
insbesondere, ob man einer sozialistischen Wirtschafts-
ordnung die Kulturbedeutung absprechen dürfe. Ich glaube, die
Sozialisten würden sich, und mit Recht, dagegen wehren, wenn
man ihrem Ideal, einer Wirtschaftsordnung, bei welcher die ganze
Bedarfsversorgung einheitlich durch den Staat organisiert wird,
weniger Kulturbedeutung zuerkennen wollte als der heutigen Wirt-
schaftsordnung, und ebenso ist einem Wirtschaftssystem mit sich
selbst genügenden Großwirtschaften, die in sich weitestgehende
Arbeitsteilung durchgeführt haben und komplizierte Organismen dar-
stellen, die Kulturbedeutung nicht abzusprechen.
` Aber was bei alledem und auch im Tauschverkehr allgemeine
Kulturbedeutung hat, scheint mir das Prinzip zu sein, nach dem
sowohl der Tauschverkehr als auch eine sozialistische
Wirtschaftsorganisation als auch isoliert nebenein-
ander stehende große Familien- oder Sklavenwirt-
wirtschaften organisiert sind. Dieses Prinzip ist in allen
Fällen das gleiche, es ist das Prinzip, die Bedarfsver-
sorgung unter allen Umständen mit dem kleinsten
Kraftmaß zu organisieren, es ist, kurz gesagt, das wirt-
schaftliche Prinzip. Das wirtschaftliche Prinzip kann, wie
wir in den beiden früheren Aufsätzen zeigten, in verschiedener
Weise formuliert werden und geht in der allgemeinsten Formulie-
rung als allgemeines Rationalprinzip weit über das Gebiet des
Wirtschaftlichen hinaus. Wir können davon absehen, zu erörtern,
ob es auch als solches, als Maxime für das menschliche Handeln
überhaupt, einen allgemeinen Kulturwert darstellt. Jedenfalls kann
man behaupten, daß seine Wirkungen als allgemeine Richtschnur
für das wirtschaftliche Handeln allgemeine Kulturbedeutung
haben, weil es zu Organisationen, nicht nur denen des Tauschverkehrs,
führt, welche die Bedarfsbefriedigung Aller ganz bedeutend er-
leichtern und vervollkommnen, und denen daher allgemeine Kultur-
bedeutung zukommt. Unzähligen Menschen gibt es die Richtschnur
für ihre Bedarfsversorgung und führt zu dem Streben, sowohl inner-
halb der Einzelwirtschaft als auch in der Organisation der wirt-
schaftlichen Beziehungen sie immer rationeller zu gestalten, d. h.
222 Robert Liefmann,
mit möglichst geringem Aufwand ein möglichst großes Maß von
Bedarfsbefriedigung zu erzielen. So ist es also das wirtschaftliche
Prinzip, das Kulturbedeutung hat, weil es zu Organisationen führt,
die allgemeine Kulturwerte darstellen, und deshalb läßt sich die
Wirtschaftswissenschaft, die sie untersucht, als Kulturwissenschaft
bezeichnen.
Die Wirkungen des wirtschaftlichen Prinzips sind wandelbar,
die einzelnen Wirtschafter und der Staat mit seiner Wirtschafts-
politik erstreben in seiner Durchführung Fortschritte, und daher
können seine Wirkungen auch Gegenstand historischer Betrach-
tung und Vergleichung werden. So werden wir unten noch zeigen,
daß unsere Theorie überhaupt nur eine bestimmte Epoche des Tausch-
verkehrs erklären will, obgleich das Identitätsprinzip der Wissen-
schaft, der Begriff des Wirtschaftlichen an sich nichts mit Tausch-
verkehr und „menschlichem Zusammenleben“ zu tun hat. Wir be-
schränken uns aber auf die heutige Epoche des Tauschverkehrs, die
„kapitalistische Wirtschaftsordnung“, um das Schlagwort einmal zu
gebrauchen, richtiger gesagt, auf die Untersuchung einer Wirtschaft-
ordnung, bei welcher das private Gewinnstreben den ganzen Tausch-
verkehr organisiert. Wir tun das einfach deswegen, weil die Haupt-
probleme, die an dieses Jdentitätsprinzip anknüpfen, Konkurrenz-
preisbildung u. dgl. vor allem in der heutigen Epoche des Tausch-
verkehrs auftreten.
Damit können wir diese Frage der Wirtschaftswissenschaft als
Kulturwissenschaft verlassen. Es sei nochmals betont, daß wir als
nationalökonomische Theoretiker ihr geringe Bedeutung beilegen und
daß wir nicht durch methodologische Erörterungen, sondern durch
Beobachtung des Erfahrungsobjektes zu unserer psychischen
Auffassung des Wirtschaftlichen gekommen sind. Wir glauben aber,
mit dieser dem Erfahrungsobjekt allein adäquaten Auffassung auch
in den methodologischen Fragen, die unsere Wissenschaft betreffen,
zu größerer Klarheit gelangen zu können, als sie auf Grund falscher
Auffassung der Wirtschaft bisher zu verzeichnen war.
Es bleibt jetzt noch übrig, die Aufgabe der Wirtschafts-
wissenschaft zu erörtern.
Kapitel IV. Die Aufgaben der ökonomischen Wissenschaft.
1. Die Aufgabe der Wirtschaftstheorie.
Wir können uns also dem heute empfohlenen Vorgehen nicht
anschließen, durch Hereinziehen des unklaren und künstlichen Ge-
sichtspunktes der sozialen Regelung eine besondere Sozialökonomik
abzugrenzen und die übrigen wirtschaftlichen Erscheinungen sozu-
sagen ihrem Schicksal zu überlassen. Wie die bisherige Theorie
das brauchte, um auf Grund ihrer materialistischen Auffassung ihr
Erkenntnisobjekt von der Technik abgrenzen zu können, so können
umgekehrt wir darauf verzichten, weil wir jene materialistische
Auffassung aufgeben und durch eine andere, die psychische, er-
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 223
setzen. Was wir darunter verstehen, können wir hier als bekannt
voraussetzen.
Die Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft in ihrer Gesamtheit
ist also die Erklärung der wirtschaftlichen Erscheinungen in allen
ihren Beziehungen. Dabei liegt die Schwierigkeit vor allem darin,
daß diese Beziehungen der wirtschaftlichen Vorgänge zu anderen
Erscheinungen des menschlichen Lebens so außerordentlich zahlreich
sind. Dieser Umstand hat einmal die Erkenntnis des wirklichen
Wesens der Wirtschaft bisher verhindert, ihre Verwechselung mit
der Technik verschuldet, andererseits das fortwährende Uebergreifen
der Wirtschaftswissenschaft auf andere Zweige wissenschaftlicher
Erkenntnis, also die schon erwähnten Tendenzen zur Verbreiterung
der ökonomischen Wissenschaft veranlaßt, die in der historischen
Schule und in der sozialen Betrachtungsweise vor allem Ausdruck
gefunden haben.
In der Tat ergeben sich durch die Vielseitigkeit der Beziehungen
der wirtschaftlichen Vorgänge zu anderen Erscheinungen zahlreiche
Berührungspunkte der ökonomischen Wissenschaft mit anderen, z. B.
mit der Technik als ökonomischer Technik oder technischen Oeko-
nomik, mit der Geschichte als Wirtschaftsgeschichte, mit der Sozio-
logie als ökonomischer Soziologie, mit der Rechtswissenschaft oder
der Politik als Wirtschaftspolitik), mit der Psychologie als Wirt-
schaftspsychologie usw. Es sind dies alles Abzweigungen der Wirt-
schaftswissenschaft einerseits, der verschiedenen Nachbarwissen-
schaften andererseits; ihre Erkenntnisobjekte überdecken sich teil-
weise mit den Erkenntnisobjekten beider Wissenschaften, aus denen
sie gebildet sind. Es sind Uebergangsgebiete, denen gegenüber man
die Wissenschaften oder den Teil der Wissenschaften, der ein selb-
ständiges, von allen anderen völlig verschiedenes Erkenntnisobjekt
hat, als „reine“ Wissenschaft bezeichnen kann. So ist reine Volks-
wirtschaftlehre diejenige, welche das wirtschaftliche Identitätsprinzip
allein ohne die Beziehungen ihres Erkenntnisobjektes zu den Identitäts-
prinzipien anderer Wissenschaften untersucht. Das schließt nicht
aus, daß man bei immer weiterem Zurückführen der Kausalverhält-
nisse über das eigentliche Gebiet der eigenen Wissenschaft hinaus
auch in das Erkenntnisobjekt anderer Wissenschaften, bei der Volks-
wirtschaftslehre also vor allem der Psychologie, gelangt.
Die „reine Wirtschaftswissenschaft“ würde sich nun im wesent-
lichen. mit dem decken, was man gewöhnlich als Wirtschaftstheorie
bezeichnet, wenn man Wirtschaftsgeschichte nicht als historische
Methode, sondern als Uebergangsgebiet zur Geschichtswissenschaft
auffassen will. Entsprechend dem Wesen der Geschichte liegt aber
auch kein Grund vor, die Wirtschaftsgeschichte nicht als besonderen
Teil der reinen Wirtschaftswissenschaft neben der Wirtschaftstheorie
1) Im allgemeinsten Sinne ist Politik keine besondere Wissenschaft, sondern kann
als Zweckstreben mit dem Erkenntnisobjekt sehr vieler Wissenschaften verbunden
sein. Aber unter Politik schlechthin versteht man im engeren Sinn die Staatspolitik.
224 Robert Liefmann,
aufzufassen. Was zweckmäßiger ist, kann ich der Philosophie über-
lassen zu entscheiden. Wir müssen nur darauf aufmerksam machen,
daß es neben der reinen Wirtschaftstheorie auch noch eine politi-
sche Wirtschaftstheorie gibt, die theoretische Betrachtung derjenigen
wirtschaftlichen Erscheinungen, die nicht ohne den Staat zu
denken sind. Dazu gehört z. B. die Theorie der auswärtigen Wechsel-
kurse, die Theorie der Kapitalanlage im Auslande und ähnliches. Ferner
gehört dahin natürlich auch die Theorie der Wirtschaftspolitik, die
allgemeine theoretische Behandlung politischer Fragen, z. B. von
Freihandel und Schutzzoll, ferner natürlich auch die Theorie der
Finanzwissenschaft.
Wir müssen nun zunächst erläutern, was wir unter Wirtschafts-
theorie verstehen. Unter Theorie verstehe ich die systema-
tische Erklärung des der Wissenschaft vorliegenden
Erfahrungsobjektesaus ihrem richtig erkannten Iden-
titätsprinzip. Aus dem richtig erkannten Wesen des Wirtschaft-
lichen sind also deduktiv und systematisch durch Hereinnahme immer
weiterer Objekte der Betrachtung die Erscheinungen des Tausch-
verkehrs zu erklären. Die Hauptaufgabe dabei liegt in der richtig
vorgenommenen Vereinfachung und Typenbildung. In einem
Vereinfachen, Generalisieren, einem Herausarbeiten von Typen be-
steht die erste Aufgabe wissenschaftlicher Tätigkeit. Denn die Er-
scheinungen des Tauschverkehrs sind so kompliziert und massenhaft,
die wirtschaftlichen Beziehungen der Menschen und die Einrich-
tungen, die sie für den Tauschverkehr geschaffen haben, sind so ver-
schiedenartig und mannigfaltig, daß ein ordnendes, klassifizierendes,
Kategorien bildendes, systematisches Vorgehen erforderlich ist, um
zu ihrem Verständnis zu gelangen. Die Wissenschaft sucht vor
allem gegenüber der unübersehbaren Mannigfaltigkeit des wirtschaft-
lichen Lebens die Vorgänge zu vereinfachen, sie auf verhältnismäßg
wenige Begriffe und Typen zurückzuführen. Was aber als wesentlich
für einen Begriff und was als typisch anzuschen ist, das kann letzten
Endes nur im Rahmen eines ganzen Systems entschieden werden,
bei dem alle diese Begriffe und Typenbildungen ineinander greifen
und zusammen in vereinfachter Form einen Ueberblick über die
Vielgestaltigkeit tauschwirtschaftlicher Beziehungen und das Ver-
ständnis ihrer Zusammenhänge ermöglichen.
Dieses Herausfinden von Typen, Aufstellen von allgemeinen
Begriffen, durch die ein größerer oder kleinerer Kreis von Er-
scheinungen klassifiziert wird, ist also die erste Aufgabe der Wirt-
schaftstheoriee Der Sprachgebrauch des wirtschaftlichen Lebens
arbeitet ihr dabei schon vor, wenn man von Preis, Einkommen,
Kapital, Kauf, Miete usw. spricht. Aber diese Begriffe des ge-
wöhnlichen Sprachgebrauchs sind oft sehr verschwommen; es besteht
die Tendenz, sie übermäßig zu verallgemeinern. Die Wissenschaft
hat unter den vielen Merkmalen des Objektes, die sich an einen solchen
Begriff anknüpfen lassen, diejenigen auszuwählen, die zur scharfen
Abgrenzung von anderen Erscheinungen wesentlich sind. Das ge-
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 225
schieht nach den Grundsätzen der Logik durch Feststellung der über-
geordneten Kategorie und der spezifischen Unterschiede, kann letzten
Endes aber nur in einem vollständigen System erfolgen, in dem die
zu definierenden Begriffe ihre feste Stelle haben. Das wirtschaft-
liche Leben unterscheidet z. B. schon verschiedene große Gruppen
tauschwirtschaftlicher Tätigkeiten, die aber meist nicht scharf von
einander abgegrenzt sind. Die Wirtschaftstheorie unterscheidet nun,
um überhaupt einen Ueberblick zu gewinnen, und die sonst nicht
vorstellbare unübersehbare Mannigfaltigkeit der tatsächlichen tausch-
wirtschaftlichen Beziehungen zu meistern, rein nach Zweckmäßig-
keitsgründen, aber natürlich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten
verschiedene Kategorien tauschwirtschaftlicher Tätig-
keiten, jede mit genau bestimmten Merkmalen. Schon hier wird
man freilich finden, daß es in der Mannigfaltigkeit des wirtschaft-
lichen Lebens Uebergangserscheinungen gibt, die zwei Kategorien
zugerechnet werden können. Das hat aber nichts zu sagen. Denn
dadurch, daß man sie überhaupt einordnen kann, hat man sie sich
erst vorstellbar und begrifflich klar gemacht.
Eine solche tauschwirtschaftliche Tätigkeit ist z. B. der Handel.
Man kann sehr verschiedene Merkmale als wesentlich für den Begriff
des Handels erklären. Welche Definition man wählt, kann allein im
Rahmen eines ganzen Systems aller tauschwirtschaftlichen Tätig-
keiten entschieden werden. Es ist eine reine Zweckmäßigkeitsfrage.
Diejenige ist die richtige, die in Verbindung mit den Definitionen
aller anderen tauschwirtschaftlichen Tätigkeiten das Erfahrungs-
objekt Handel am besten von allen anderen abgrenzt und damit
sein Wesen am besten klar macht. Das wird sehr häufig nicht die
weiteste Definition sein, die alles, was der gewöhnliche Sprachgebrauch
als Handel, oder z. B. als Gewerbe bezeichnet, begreift. Denn dieser
ist sehr oft zu weit, und ihm folgen würde oft die Berücksichtigung
der anderen tauschwirtschaftlichen Tätigkeiten beschränken und
eine allgemeine systematische Abgrenzung verhindern.
Kommt es für den wissenschaftlichen Zweck nur ganz allgemein
auf die Abgrenzung der tauschwirtschaftlichen Tätigkeiten an, so
wird man sich vielleicht mit dem allgemeinen Begriff des Handels
und der übrigen tauschwirtschaftlichen Tätigkeiten begnügen. Will
man jedoch z. B. das Bankwesen richtig verstehen, so muß man
es auch als eine Art des Handels oder der Leistungen —
beides kann die übergeordnete Kategorie sein — auffassen. Glaubt
man es als eine besondere Art des Handels verstehen zu können,
so wird die Abgrenzung der verschiedenen Arten des Handels,
die bis dahin unwesentlich war, von Bedeutung. Diese Begriffs-
bestimmung des Bankwesens, die demselben also als einer
Unterart des Handels in dem Kreise der tauschwirtschaftlichen
Tätigkeiten seine feste Stelle anweist, hat aber nicht die Aufgabe,
der unklaren Bezeichnung im gewöhnlichen Sprachgebrauch, welcher
gerade den Begriff der Bank ganz unzulässig zu erweitern sucht,
möglichst entgegenzukommen, sondern aus der großen Zahl von Ge-
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 15
926 Robert Liefmann,
schäften, die mit dem Bankwesen verbunden sein können, diejenigen
herauszuheben und in die Definition aufzunehmen, die innerhalb
eines Systems der Handelstätigkeiten oder der Kreditvorgänge für
die Abgrenzung der Banken als einer besonderen Gruppe typisch und
wesentlich erscheinen. Die so vielfach aufgestellte „Definitionen“, die
diese Forderung der Logik, Feststellung der übergeordneten Kategorie,
nicht berücksichtigen, die nur nach einem innerhalb ihres Objekts
liegenden Gesichtspunkt definieren, z. B. um die Effektengeschäfte
mancher Banken noch als typische Bankgeschäfte erscheinen zu
lassen, die also nicht berücksichtigen, daß definieren abgrenzen,
d. h. eine Beziehung zu anderen Begriffen bedeutet, sind wissen-
schaftlich wertlos.
Die theoretische Nationalökonomie geht so von den allgemeinsten
wirtschaftlichen Begriffen, den sogenannten Grundbegriffen, syste-
matisch zu immer engeren, spezielleren vor, und je richtiger und
klarer die Grundbegriffe gefaßt sind, um so mehr wird es möglich
sein, die speziellen Erscheinungen direkt mit ihnen zu verknüpfen.
Gerade hieran fehlte es in den bisherigen Theorien, die eben von
einer falschen Auffassung des Wirtschaftlichen ausgingen und dann
gegenüber den speziellen Erscheinungen des Wirtschaftslebens ein-
fach deswegen versagten, weil ihre materialistisch-quantitative Grund-
lage für diese gar nicht paßte. Je mehr es nun möglich ist, auch
speziellere Erscheinungen des tauschwirtschaftlichen Verkehrs mit
den allgemeinen Grundbegriffen zu verknüpfen und von ihnen aus
zu erklären, um so mehr gelangt die theoretische Nationalökonomie
zu einem geschlossenen Aufbau, einem System, dem letzten Ziel
jeder Wissenschaft. In ihm ist dann in synthetischer Darstellung
alles enthalten, um den heutigen tauschwirtschaftlichen Mechanismus,
ihr Objekt, verstehen zu können, und damit ist die Aufgabe der
Wissenschaft erfüllt.
Nur auf dem Wege der Systematisierung, der Kategorien- und
Typenbildung gelingt es, in dem Chaos wirtschaftlicher Beziehungen
und Einrichtungen, die dem Beobachter heute entgegentreten, Ordnung
zu schaffen und einen Ueberblick und Einblick zu gewinnen. Erst
wenn sie alle so auf eine verhältnismäßig kleine Zahl von Typen
zurückgeführt sind, kann man ihr Zusammenwirken, ihre Ursachen
und Wirkungen erkennen und beschreiben. Diese Begriffs- und
Typenbildung ist also die erste Aufgabe einer Wissenschaft ihrem
Objekt gegenüber, und solange sie nicht befriedigend gelöst ist, haben
andere Aufgaben der Wissenschaft, z. B. die Untersuchung von Ent-
wicklungsvorgängen bei wirtschaftlichen Erscheinungen, wenig Aus-
sicht auf Erfolg, weil eben die klare Abgrenzung der Untersuchungs-
objekte noch fehlt. Daß man trotzdem glaubte, ohne eine solche
Kategorien bildende, Typen feststellende, systematische Behandlung
des Stoffes auskommen zu können und in der Tat auch in der Er-
kenntnis wirtschafts-historischer Zusammenhänge Erfolge zu ver-
zeichnen vermochte, hatte nur darin seinen Grund, daß in der
Wirtschaftswissenschaft das wirtschaftliche Leben selbst,
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 227
weil es ja auch der Begriffsbildung nicht entbehren kann, jener
vorarbeitete, seinen Bedürfnissen entsprechend neue Bezeichnungen für
wirtschaftliche Erscheinungen einführte, z. B. neben den schon
älteren Fachvereinen der Unternehmer eine weitere Form ihrer Ver-
einigung Kartelle nannte, neben der allgemeinen Bezeichnung Bank
Notenbanken, Depositenbanken, Emissionsbanken unterschied u. dgl.
Aber einer eindringenderen wissenschaftlichen Betrachtung der wirt-
schaftlichen Vorgänge konnten diese Klassifizierungen im Sprach-
gebrauch des gewöhnlichen Lebens nicht genügen und zwar um so
weniger, je mehr es sich um die allgemeinsten Begriffe des
Wirtschaftslebens handelt. Hier, beim Begriffe des Wertes, des
Kapitals, des Geldes, des Gewerbes und zahlloser anderer hat der
gewöhnliche Sprachgebrauch die Bezeichnungen viel zu sehr ver-
allgemeinert, als daß man sie ohne weiteres wissenschaftlich als
klar abgegrenzt verwenden könnte. Hier hat man sich daher auch
schon am frühesten bemüht, eine wissenschaftlich strenge Terminologie
einzuführen, während man bei anderen Begriffen, wie Banken, Kar-
telle, Krisen usw. erst in neuerer Zeit dazu gelangte, zum Zwecke
besserer wissenschaftlicher Erkenntnis genauere Abgrenzungen vor-
zunehmen.
Es sei aber, weil es immer wieder übersehen wird, nochmals,
auf das eindringlichste betont, daß diese Klassifizierung, Typen-
bildung und Begriffsbestimmung nur Sinn hat im Rahmen eines
ganzen theoretischen Systems. Das gilt vor allem für die
allgemeinsten, grundlegenden Begriffe. Das Wesen der Genossen-
schaft kann man schließlich so oder so bestimmen und von anderen
Wirtschaftsformen abgrenzen ohne Rücksicht auf die Auffassung
über das Wesen des Wirtschaftlichen und die allgemeinsten Voraus-
setzungen der Wirtschaft — bis zu solchen Spezialerscheinungen
machen sich vielleicht falsche Auffassungen über die Grundlagen
nicht mehr als Fehlerquellen geltend — aber bei den deswegen so ge-
nannten „Grundbegriffen“, z. B. bei Ertrag, Kosten, Wert,
Preis usw., ist das nicht möglich. Die mit diesen Begriffen ver-
knüpften Vorstellungen sind nur abzugrenzen im Rahmen eines die
ganzen wirtschaftlichen Grundlagen erfassenden Systems, und es ist
z. B. der fundamentale Fehler des von Böhm-Bawerk aufgerichteten
Lehrgebäudes, mit einer Auffassung des Kapitals zu beginnen, die
auf einer falschen Anschauung über das Wesen des Wirtschaftlichen,
eben auch der technisch-materialistischen beruht.
Die heute noch vielfach vertretene Auffassung, als ob nur die
Feststellung von Ursachen und Wirkungen Wissenschaft sei,
ist also durchaus verfehlt. Die Begriffs- und Typenbildung ist eine
ganz ebenso wissenschaftliche Aufgabe, sie dient ganz ebenso der
Erkenntnis des Allgemeinen in den Erscheinungen und ihrer inneren
Zusammenhänge. Sie muß der Ursachenerklärung in der Hauptsache
vorausgehen. Das zeigt sich z. B. deutlich bei der wichtigsten
Ursachenerklärung, die die ökonomische Wissenschaft vorzunehmen
hat, bei der Frage, die nach allgemeiner Anschauung im Mittelpunkt
15*
228 Robert Liefmann,
der ökonomischen Theorie steht, nämlich wie aus den subjektiven
Bedarfsempfindungen der einzelnen in den Tauschverkehr verfloch-
tenen Wirtschaftssubjekte ein allgemeiner Preis sich bildet. Hier
ist man auf Grund der bisherigen falschen Auffassung des Wirt-
schaftlichen auch von einem falschen Begriff des Preises, ferner von
Irrtümern über den Kostenbegriff und über das Wesen von Angebot
und Nachfrage ausgegangen und ist infolgedessen mit der Lösung
jenes Problems vollständig gescheitert.
An die begrifflichen Abgrenzungen und aufgefundenen Typen
tritt dann die Wirtschaftstheorie mit der Kausalitätsfrage heran. So
ist man dazu gelangt, die wirtschaftlichen Erscheinungen und Vor-
gänge allmählich immer mehr auf die wirtschaftlichen Handlungen
und Bestrebungen der einzelnen Menschen zurückzuführen, und hat
auch hier dann wieder die Kategorien- und Typenbildung angewendet.
Man würde auf diesem ganz richtigen und selbstverständlichen Wege
wissenschaftlichen Forschens auch wohl schon früher Ergebnisse zu
verzeichnen gehabt haben, wenn sich die bisherige Theorie von der
materialistisch-quantitativen Auffassung des Wirtschaft-
lichen hätte befreien können. Sie aber bewirkte, wie wir oben ge-
zeigt haben und nicht genug als die Ursache allen Uebels betonen
können, daß man statt mit den Erwägungen und dem Handeln der
wirtschaftlichen Menschen sich mit den „Gütern“ und ihrem „Wert“
beschäftigte. Demgegenüber hat die Wirtschaftstheorie die Aufgabe,
die wirtschaftlichen Erscheinungen und Vorgänge aus den wirtschaft-
lichen Handlungen der Menschen und ihren Bestrebungen zu erklären,
mit einem Worte: aus dem Identitätsprinzip der Wirtschafts-
wissenschaft, dem Vergleichen von Nutzen und Kosten.
Auf dieses sind die komplizierten Vorgänge des heutigen Tausch-
verkehrs letzten Endes zurückzuführen. Um es anders auszudrücken,
die Wirtschaftstheorie hat die Aufgabe, zu erklären, wie im heu-
tigen Zustand entwickeltsten Tauschverkehrs die Be-
darfsversorgung der einzelnen Menschen sich voll-
zieht. Es ist das Hauptproblem der ökonomischen Theorie, zu er-
klären, wie im heutigen Zustand entwickeltsten Tauschverkehrs, wo
kein Mensch die Güter herstellt, die er selbst gebraucht, doch die
unendlich vielseitigen Bedürfnisse der einzelnen Menschen den
ganzen tauschwirtschaftlichen Mechanismus organisieren und be-
stimmen. Dieser ganze tauschwirtschaftliche Mechanismus gipfelt in
der Preis- und Einkommensbildung, durch die die Bedarfs-
versorgung im Tauschverkehr sichergestellt ist, und daher sind sie
das Zentralproblem wirtschaftstheoretischer Untersuchung. Sie bleiben
Gegenstand der reinen Wirtschaftstheorie, so sehr auch Preise und
Einkommen im einzelnen durch gesellschaftliche, politische und die
verschiedensten anderen Momente beeinflußt werden. Hat man erst
die allgemeinsten Grundlagen der Preis- und Einkommenslehre er-
kannt, wozu meines Erachtens bisher kaum mehr als Ansätze vorliegen,
weil bei beiden Problemen die bisherige Theorie schon in den Voraus-
setzungen die fundamentalsten Irrtümer mit sich schleppte, so kann
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 229
man auch in zweiter Linie immer mehr die verschiedensten außer-
wirtschaftlichen, die Preis- und Einkommensbildung in einzelnen
Fällen beeinflussenden Momente heranziehen.
Abgesehen davon daß man innerhalb der ökonomischen Theorie
verschiedene Arten, z. B. reine und politisch-ökonomische Theorien,
sowie natürlich beliebig viele Spezialtheorien unterscheiden kann, kann
es neben dieser ökonomischen Theorie, die die Aufgabe hat, die
tauschwirtschaftlichen Erscheinungen aus den subjektiven Bedarfs-
empfindungen heraus zu erklären, keine andere ökonomische Theorie
geben. Insbesondere gibt es nicht noch eine „sozialökono-
mische“ Theorie neben unserer „individualistischen“. Ver-
treter der historischen Schule und der sozialen Betrachtungsweise,
die im übrigen die Richtigkeit unserer Theorie anerkannten, haben das
behauptet. Doch beruht diese Behauptung auf der bisherigen Un-
klarheit über das Wesen des Wirtschaftlichen und der Wirtschafts-
wissenschaft einerseits, der Gesellschaftslehre andererseits, welche
bewirkte, daß man alle möglichen gesellschaftlichen Erscheinungen
in die Wirtschaftstheorie mithineinbezog. So wird behauptet, die
Volkswirtschaftslehre umfasse auch wichtige wirtschaftliche Er-
scheinungen, wie das Kapital, die von einer vom Individuum aus-
gehenden Theorie nicht richtig verstanden werden könnten. Wir
haben diese Auffassung schon in dem Aufsatz: „Das Wesen der
Wirtschaft“ (a. a. O. S. 609—610) zurückgewiesen und gezeigt, daß
eine richtige ökonomische Theorie sehr wohl erklären kann, wie es
zum Gegensatz von Kapitalisten und Arbeitern gekommen ist. Das
Verlangen, solche Erscheinungen, wie Klassenbildung, die in erster
Linie gesellschaftliche, nicht wirtschaftliche Phänomene sind,
allein in der Wirtschaftstheorie zu erklären, war aber nur möglich,
weil die bisherige Wissenschaft in ihrer Unklarheit über das Wesen
des Wirtschaftlichen alle möglichen gesellschaftlichen Erscheinungen
in ihr Gebiet mithineinbezog. Die Folge davon, daß man von der
Wirtschaftstheorie zu viel erwartete, eine Verbreiterung, nicht eine
Vertiefung erstrebte, war, daß man gar nichts erreichte, daß man in
den größten Irrtümern über die allgemeinen Grundlagen des Wirt-
schaftens stecken blieb. Solange man keine klare Unterscheidung
zwischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Phänomenen herbei-
führt, wird man in beiden Wissenschaften Schiffbruch erleiden.
Qui trop embrasse mal étreint. Es berührt sonderbar, daß unsere heu-
tigen Theoretiker, die über die grundlegenden wirtschaftlichen Er-
scheinungen noch die unsinnigsten Theorien vertreten, auch gleich-
zeitig noch alle möglichen gesellschaftlichen Phänomene damit er-
klären wollen.
Für uns ist, nachdem wir das Wesen des Wirtschaftlichen ein-
wandfrei festgestellt und klar definiert haben, was wirtschaftliche
Beziehungen, wirtschaftliche Einrichtungen und Vorstellungen sind,
damit das Objekt der ökonomischen Theorie gegeben. Wenn man
230 Robert Liefmann,
also Klassenbildung und andere gesellschaftliche und soziale Er-
scheinungen untersuchen will, so mag man darüber eine besondere
gesellschaftliche Theorie aufstellen, die dann aber in die Ge-
sellschaftslehre, Soziologie gehört. In die ökonomische
Theorie gehört sie nicht, deren Gebiet ist durch unsere Definition
des Wirtschaftlichen abgegrenzt. Und wer das bestreitet, der muß
mir nachweisen, daß ich das Wesen des Wirtschaftlichen falsch
verstanden habe, muß einen anderen Begriff des Wirtschaftlichen
aufstellen und darauf ein wirtschaftliches System aufbauen, welches
sein Betrachtungsobjekt besser erklärt, als ich das von mir ab-
gegrenzte.
Mögen also die Vertreter der „sozialen Betrachtungsweise* mit
der von ihnen in Aussicht gestellten oder geforderten Theorie die
Soziologie föndern, ich beschränke mich einstweilen darauf, theo-
retischer Nationalökonom zu sein; denn auf dem von mir abgegrenzten
ökonomischen Gebiete gibt es wahrhaftig noch genug zu tun. Wenn
man aber weiterhin sucht, den neuen wirtschaftstheoretischen Bestre-
bungen mit derartigen Einwendungen einen Knüppel in den Weg
zu werfen, so kann ich das nur als ein Bestreben auffassen, die
bisherige Unklarheit zwischen Wirtschafts- und Gesellschaftslehre
aufrecht zu erhalten, und muß, da das jede Förderung der Wissen-
schaft unmöglich macht, der Sache wegen dagegen auf das schärfste
protestieren. —
Es sei jetzt noch die viel erörterte und schon oben mehrfach
gestreifte Frage untersucht, ob die Sätze der Wirtschaftstheorie für
alle Zeiten gelten, oder ob unser theoretisches System nur für eine
bestimmte Wirtschaftsepoche gilt.
2. Ueber die Allgemeingültigskeit der Sätze der Wirtschaftstheorie.
Man hat die beliebte Frage, ob die Volkswirtschaftslehre eine
Natur-. oder Kulturwissenschaft sei, auch damit zu beantworten ge-
sucht, daß man die Frage der Allgemeingültigkeit ihrer Sätze er-
örterte, anders ausgedrückt, untersuchte, in wieweit man von öko-
nomischen Gesetzen sprechen könnte. Daß dabei sehr häufig das
„Gesetz vom abnehmenden Bodenertrag“, also eine rein naturwissen-
schaftlich-technische Konstatierung als ein Ökonomisches Gesetz
figurierte, sei nur nebenbei zur Charakteristik der herrschenden
materialistischen Auffassung erwähnt. Da im allgemeinen ja die
Tendenz herrscht, die Nationalökonomie als Kulturwissenschaft zu
reklamieren, so wird das Vorhandensein ökonomischer Gesetze nach
Art der Naturgesetze in der Regel bestritten.
Wir können hier auf diese Frage, die Stoff zu endlosen Dis-
kussionen gibt, nur ganz kurz eingehen !). Denn ähnlich wie die
1) Eine eingehende logische Untersuchung darüber mit vielen guten Bemerkungen
aber wenig Ergebnissen speziell für die Wirtschaftstheorie findet sich bei F. Eulen-
burg, Naturgesetze und soziale Gesetze, Archiv für Sozialwissenschaft u. Sozialpolitik,
Bd. 31 u. 32,
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschatt. 231
Unterscheidung von Natur- und Kulturwissenschaften scheint uns
auch der Begriff des Gesetzes keineswegs einwandfrei festgestellt
zu sein.
Nur ganz nebenbei sei als ein neuer positiver Beitrag zu dieser
Frage folgendes gesagt. Vom Standpunkt einer allgemeinen Wissen-
schaftslehre scheint uns die Wirtschaftswissenschaft besonders eng
verwandt mit der... . Sprachwissenschaft. Das ist kein Scherz.
Ich weiß nicht, ob alle unsere Soziologen die Sprachwissenschaft
auch unter den Allweltsbegriff der Sozialwissenschaft rechnen, teil-
weise geschieht es. Ebenso wie die Sprache geht der Tauschverkehr
zwar auf Zwecke der einzelnen Menschen zurück, aber beide sind
nicht ein bewußtes Erzeugnis dieser Zwecke, sondern beide ent-
stehen von selbst, naturgesetzlich, aus Bedürfnissen, von denen das,
das zur Sprache führt entschieden viel „sozialer“ ist als das, das
zur Wirtschaft und zum Tauschverkehr führt. Denn nicht die Ab-
hängigkeit von anderen Menschen führt zum Tauschverkehr, wie
unsere Sozialökonomen immer anzunehmen scheinen — Jahrtausende
haben die Menschen ohne den Tauschverkehr gewirtschaftet —
sondern nur der individuelle Vorteil, also ein individuelles, kein
soziales Moment. Wenn der heutige entwickelte Tauschverkehr eine
starke und allseitige wirtschaftliche Abhängigkeit aller in ihn Ver-
flochtenen mit sich bringt, so ist sie in der Wirtschaftstheorie rein
individualistisch, wegen des Vorteils vergrößerter Bedarfsbefriedigung
zu erklären, die jeder durch den Tauschverkehr genießt. Das besagt
natürlich nicht — ich weiß, daß ich auf solchen kindlichen Einwurf
gefaßt sein muß —, daß tatsächlich heute noch jeder Mensch wählen
könne, ob er nicht lieber eine naturalwirtschaftliche Tätigkeit vorziehe.
Es ist selbstverständlich, daß er durch Geburt, Abstammung, Er-
ziehung, Besitz bestimmten Berufen beitreten und damit bestimmten
sozialen Klassen zugerechnet werden wird. Aber die Theorie der
ökonomischen Grundlagen kann und muß von diesen gesellschaftlichen
Verhältnissen abstrahieren. Das hindert aber nicht, daß die öko-
nomische Soziologie alle diese Beziehungen berücksichtigen kann,
aber natürlich ohne alle die Phantasien vom „sozialen Zweckplan“
und ähnlichem.
Sowohl Sprache als auch Tauschverkehr sind also ein Produkt
individueller Zwecke, sie bewirken auch wohl eine gewisse soziale
Verknüpfung der Individuen, sind aber nie ein „soziales Zweck-
gebilde“. Ebenso für die Sprache wie für die Wirtschaft und den
Tauschverkehr lassen sich nun gewisse Sätze aufstellen, die allgemeine
Gültigkeit haben. Außerdem aber gibt es eine wohl noch zahlreichere
Gruppe von Sätzen, die nur für bestimmte Sprachen Gültigkeit haben,
für andere wieder nicht gelten, aber innerhalb des Gebietes, für das
sie gelten, auch immer Gültigkeit haben. Ebenso gibt es neben einigen
wirtschaftlichen Sätzen, die überall gelten, wo eine Wirtschaft vorliegt,
zahlreiche Sätze, die nur für die heutige Wirtschaftsepoche
des sich selbst überlassenen Tauschverkehrs, aber auch hier immer
gelten. Und neben diesen wieder gibt es in Sprache und Wirtschaft
232 Robert Liefmann,
Regeln, welche „Ausnahmen“ zulassen, die freilich in den Sprach-
wissenschaften für die einzelnen Sprachen sehr viel genauer fest-
gestellt sind als für die Wirtschaft.
Inwieweit man die ersten’ Sätze, die unter allen Umständen
gelten, wo von dem Identitätsprinzip der Wirtschaftslehre die Rede
ist, als Gesetze bezeichnen will, wollen wir dahingestellt sein
lassen. Uns kommt es nur darauf an, zu betonen, daß einige wenige
Sätze, die man aber ebensogut der Psychologie zurechnen könnte wie
der Wirtschaftswissenschaft, allgemein gelten, wo überhaupt eine
Wirtschaft in dem von mir definierten Sinne vorliegt, während die
meisten Sätze nur für die Epoche des heutigen freien Tausch-
verkehrs gelten. Darin befinde ich mich durchaus im Gegensatz
zu den bisherigen Theoretikern, besonders auch der Grenznutzenlehre,
die immer glaubte, für alle Zeiten gültige Sätze aufstellen zu können.
Es ist wohl ein Verdienst der historischen Schule, diesen Irrtum
zerstreut zu haben.
Ich beschränke mich also in bewußter Absicht darauf, mit
meiner Theorie den Organismus des heutigen Tauschverkehrs er-
klären zu wollen. Daß die heutigen ökonomischen Zustände das
erste Objekt der Volkswirtschaftslehre sind, ist selbstverständlich.
Aber auch für die theoretische Erfassung müssen wir im allgemeinen
von der heutigen Wirtschaftsordnung ausgehen, obgleich frühere,
z. B. die mittelalterliche regulierte Stadtwirtschaft, augenscheinlich
sehr viel einfacher waren. Doch abgesehen davon, daß gerade die
Kompliziertheit und Vielgestaltigkeit des heutigen wirtschaftlichen
Lebens seine Erklärung zu einem so viel erörterten wissenschaft-
lichen Problem gemacht hat, müssen wir auch deswegen die heutigen
Zustände zugrunde legen, weil wir nur sie wirklich beobachten
können. Denn ohne Beobachtung, ohne die induktive Methode ist
— das behaupte ich im Gegensatz zu allen älteren theoretischen
Richtungen — keine ökonomische Theorie, keine systematische Dar-
stellung und Erklärung des tauschwirtschaftlichen Organismus mög-
lich. Daher mußten die älteren Theorien mit einer Anzahl von
Maximen und Voraussetzungen arbeiten, die selbst schon unzutreffend,
in sich auch den Keim zu all den Fehlern enthielten, in die sich die
früheren theoretischen Konstruktionen verstrickten. Daß dann eine
richtige Erkenntnis und Erklärung des heutigen wirtschaftlichen
Organismus es uns ermöglicht, die Wirtschaftsordnung früherer
Epochen klarer zu verstehen, ist leicht einzusehen.
Darüber kann kein Zweifel sein, daß manche der wichtigsten
ökonomischen Begriffe, wenn auch die Ausdrücke dieselben sind,
heute einen wesentlich anderen Inhalt haben, als in früheren Wirt-
schaftsepochen. So kann man sagen, daß z. B. die Worte Preis und
Einkommen, also die beiden Begriffe, an die sich die Hauptprobleme
der Wirtschaftstheorie anknüpfen, heute etwas anderes bedeuten als
in der regulierten Stadtwirtschaft des Mittelalters: der Preis z. B.
heute überwiegend Konkurrenzpreis, damals durch die Obrigkeit
festgesetzter Taxpreis; das Einkommen heute, selbst bei den Lohn-
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschatt. 233
arbeitern, durch freie Vereinbarungen und die Konkurrenzverhältnisse
bedingter Gewinn, damals reguliertes und begrenztes Entgelt,
Lohn. Auch das Geld hat z. B., trotzdem seine allgemeinste De-
finition für alle Wirtschaftsepochen gilt, in denen es bekannt war,
heute gegenüber den Anfängen seiner Entwicklung seine Funktionen
ausgedehnt (Mittel der Kapitalanlage) und auch seinen Inhalt er-
weitert (Papiergeld).
Die Unklarheit über das Wesen der Wirtschaft und das Orga-
nisationsprinzip des heutigen Tauschverkehrs hat aber dazu geführt,
daß man in der Unterscheidung früherer Wirtschaftsepochen von
der heutigen teilweise wieder zu weit gegangen ist. So, wenn be-
hauptet wird (v. Schmoller, Sombart, v. Philippovich), der mittel-
alterliche Handwerker habe nach ganz anderen Gesichtspunkten ge-
wirtschaftet als der heutige. Das Streben nach Gewinn sei etwas
für die moderne Unternehmung speziell Charakteristisches.
Der mittelalterliche Handwerker habe nur seinen Bedarf decken,
sich seine „Nahrung“ verschaffen, aber nicht einen Gewinn er-
zielen wollen. Es ist keineswegs das Charakteristikum nur der
modernen Erwerbswirtschaften, daß sie einen Gewinn erzielen wollen.
Auf Gewinn oder Ertrag, einen Ueberschuß von Nutzen über die
Kosten geht jede wirtschaftliche Tätigkeit zurück. Nicht allein die
moderne Schuhfabrik ist um des Gewinnes wegen eingerichtet, wie
Sombart meint, auch der mittelalterliche Schuhmacher hat aus keinen
anderen Gründen Schuhe hergestellt. Angesichts des Umstandes,
daß aber überhaupt heute noch Unklarheit darüber herrscht, vb der
Zweck einer Schuhfabrik sei, Schuhe herzustellen, oder dem Besitzer
einen Gewinn zu liefern und seine Bedarfsversorgung zu ermög-
lichen, und ob die Wirtschaft des Arbeiters nicht in seiner tech-
nischen Tätigkeit an der Maschine bestehe, darf man sich über
solche Auffassungen nicht wundern.
Richtig ist aber — und das ist der Hauptgrund, weshalb wir
behaupten, daß unser theoretisches System als Ganzes nur für die
heutige Wirtschaftsepoche gelte —, daß der mittelalterliche
Tauschverkehr ganz anders organisiert war. Wäre
unsere Wirtschaftstheorie nicht so unglaublich zerfahren, so hätte
diese bekannte historische Tatsache schon längst auf sie einwirken
müssen. Man hat wohl gelegentlich erkannt, aber es nie auf die
ökonomische Theorie angewendet, daß die gesamte heutige Bedarfs-
befriedigung durch das Ertragsstreben sowohl in der Konsum- wie
in der Erwerbswirtschaft organisiert wird, während das im Mittel-
alter nicht der Fall war. Daher ließ sich das, was heute Aufgabe
der Wirtschaftstheorie ist, den tauschwirtschaftlichen Mechanismus,
auf die subjektiven Bedarfempfindungen zurückführen, für die mittel-
alterliche Wirtschaftsorganisation nicht als Problem aufstellen. Und
hier ist daher der tiefste Grund, weshalb wir vorher sagten, daß
unsere Theorie nur für die heutige Wirtschaftsepoche gelte. Im
Mittelalter, in der Epoche der regulierten Stadtwirtschaft, ließ
sich die Organisaton der tauschwirtschaftlichen Be-
234 Robert Liefmann,
darfsversorgung nicht auf die wirtschaftlichen Er-
wägungen der einzelnen Konsumwirtschaften zurück-
führen. Deshalb sagte ich vorher schon, daß der Preis zu
damaliger Zeit etwas anderes war. Die Konsumwirtschaften regu-
lierten wohl im Zeitalter des Lohnwerkes den Produktions-
prozeß, den die herrschende Theorie fast ausschließlich betrachtete,
aberihrErtragsstreben organisierte nichtdentausch-
wirtschaftlichen Mechanismus, bestimmte nicht, wie heute
im Zustand der Konkurrenz, direkt den Preis. Zwar handelte auch
damals, wie zu allen Zeiten, der Einzelne nach dem Prinzip des
größten Ertrages, größten Ueberschusses von Nutzen über die
Kosten, aber nicht dieses Prinzip ist es, welches das
Angebot reguliert und damit zur Bildung des Kon-
kurrenzpreises führt, sondern beides geschieht durch
eine obrigkeitliche Regelung.
Nur angesichts der heutigen tauschwirtschaftlichen Organi-
sation konnten wir es also als ein Problem und zwar als das größte
und heute noch so wenig gelöste der ökonomischen Theorie über-
haupt bezeichnen, den tauschwirtschaftlichen Mechanismus auf die
Bedarfsempfindungen der einzelnen Menschen und
ihr wirtschaftliches Handeln zurückzuführen. Die
Lösung dieses Problems glaube ich durch mein theoretisches System
geben zu können und habe damit natürlich auch erst erkannt, wes-
halb und in welchem Umfange unsere theoretischen Erörterungen
für die mittelalterliche Stadtwirtschaft nicht gelten. Ueber den
Gegensatz beider ist also auf diesem Wege auch größere Klarheit
geschaffen worden, und so ist vielleicht unsere Theorie auch in
wirtschafts-historischer Hinsicht nicht ohne Nutzen.
Man darf aber in der Betonung der Verschiedenheiten auch
nicht zu weit gehen und vor allem nicht verkennen, daß die letzten
Grundbegriffe der Wirtschaft zu allen Zeiten die gleichen sein
müssen. Das Wesen des Wirtschaftlichen ist immer das-
selbe gewesen. Gerade so, wie wir es auffassen, psychisch, als
Gegenüberstellung von Nutzen und Kosten, ist es auch in der isolierten
Wirtschaft zu finden, wirtschafteten schon die alten Germanen, die
Aegypter und Babylonier, wirtschaftet auch ein Robinson. Auch ein
Lazzaroni und ein Neger wirtschaften, auch wenn sie den größten
Teil des Tages nichts tun. Mag ihr Wirtschaftsplan sich auch nur
auf einen kurzen Zeitraum erstrecken, mag ihr Leben auch viel
weniger als das der meisten Menschen von wirtschaftlichen Er-
wägungen ausgefüllt werden, zeitweise wirtschaften auch sie, und das
Wesen dieser Wirtschaft ist im letzten Sinne ebenso Vergleichen von
Nutzen und Kosten nach den Maximumprinzip wie bei den großen
Bankiers in Lombard- oder Wall-Street.
Aber diese überall vorliegende Maxime des menschlichen Handelns
ist gar nicht das Objekt der Wirtschaftswissenschaft, sie ist nur
das Auswahlprinzip zur Bestimmung des Objekts. Dieses sind
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 235 ä
die Wirkungen jener Maxime, und sie sind zu verschiedenen
Zeiten außerordentlich verschieden, denn sie sind abhängig von der
gesamten Umwelt der Menschen, von allen ihren Beziehungen zur
Außenwelt und zueinander, kurz von ihrem gesamten Kulturzu-
stande. Von ihm kann die Wirtschaftstheorie abstrahieren nur in
dem Sinne, daß sie ihn eben voraussetzt, als für die Isolierung
ihrer Probleme gegeben annimmt. Aber sie kann ihn nicht negieren,
aus jener Maxime irgendwelche allgemeine Sätze ableiten, die für
alle Zeiten gelten. Und deswegen ist die Wirtschaftswissenschaft
eine Kulturwissenschaft, ganz unabhängig davon, wie man diesen
Begriff philosophisch definiert.
Aus alledem ergibt sich, daß ich mich nicht damit einverstanden
erklären kann, wenn manche glauben, daß neben unserer rein öko-
nomischen Theorie noch eine besondere kapitalistische Theorie
möglich sei. Hier spielt wieder das Schlagwort Kapitalismus und
die dadurch hervorgerufene Vermengung mit soziologischen Problemen
eine große Rolle. Unsere Theorie ist reine und kapitalistische
zugleich, erstere, weil sie von den allgemeinsten Grundbegriffen
ausgeht, letztere, weil die Erklärung des heutigen kapitalistischen
Mechanismus ihre Aufgabe ist. Wir vermeiden aber dieses vom
Sozialismus aufgebrachte Schlagwort und weisen darauf hin, wie
wenig auch die bürgerlichen Nationalökonomen, die es gern an-
wenden, tatsächlich das Wesen das Kapitals richtig erkannt haben.
Zum Beweise braucht man nur zu erwähnen, welche fundamentalen
Irrtümer über den Kapitalbegriff (Verwechslung von Geld- und
Sachkapital) und über das Wesen des Kapitalgewinnes auf Grund
der herrschenden Anschauungen in Sombarts großem Werke, „Der
moderne Kapitalismus“, enthalten sind, trotzdem sich Sombart, und
zum Teil auch mit Erfolg, ganz besonders um die Aufhellung der
Kapitalerscheinungen bemüht hat'!). Allerdings sind in neuester
Zeit Fortschritte in der Kapitalauffassung zu verzeichnen, und man
kommt dem Kern der Sache allmählich eben dadurch näher, daß man
sich mehr auf die ökonomische Untersuchung der Kapitalerschei-
nung, seine Bedeutung im tauschwirtschaftlichen Prozeß beschränkt
und seine sozialistisch-soziologische Auffassung als Ursache der
Klassenbildung zurücktreten läßt. So liegt auch hier der Fort-
schritt deutlich in der Trennung von Oekonomik und Gesellschafts-
lehre. Einstweilen ist aber die Vermengung und sind die Irrtümer
über das Wesen des Kapitals und die Ursache des Kapitalgewinnes
noch so groß und allgemein verbreitet, daß alle wissenschaftlichen
Arbeiten, die viel mit den Schlagworten Kapitalismus und kapita-
listisch operieren — und sie finden sich gerade auch in Werken
gewisser Nationalökonomen, die sonst viel auf wissenschaftliche
„Reinlichkeit“ zu geben behaupten — mit dem größten Mißtrauen
zu betrachten sind.
1) Vgl. meine Kritik in meinem Buche „Beteiligungs- und Finanzierungsgesell-
schaften“, Kap. I, besonders in der ersten Auflage.
236 Robert Liefmann,
Nach unserer Auffassung kann also von Gesetzen im rein
naturwissenschaftlichem Sinne, d. h. im Sinne einer zeitlosen Geltung
im allgemeinen im Wirtschaftsleben nicht die Rede sein. Aber auch
im Sinne absoluter Geltung sind die Ergebnisse der Wirtschafts-
theorie keine wirklichen Gesetze. Denn sie gelten eben nur für die
Wirtschaftstheorie, für den vereinfachten, von allem Nichtwirtschaft-
lichen abstrahierenden Organismus des Tauschverkehrs, dessen Grund-
prinzipien die Wirtschaftstheorie untersucht. Sie gelten nur für die
homines oeconomici, für Menschen, die ausschließlich nach dem
wirtschaftlichen Prinzip handeln, wie sie die Wirtschaftstheorie zu-
grunde legt, um die wirtschaftlichen Vorgänge erklären zu können.
Wirtschaftliche Gesetze sind also ebenso nur ein methodisches Hilfs-
mittel zur Erklärung der wirtschaftlichen Erscheinungen wie die
ganze Wirtschaftstheorie überhaupt.
Wenn wir also von wirtschaftlichen Gesetzen sprechen, so ge-
schieht es nur im Hinblick auf die allgemeinsten Grundlagen des
Wirtschaftens, die an sich mehr in die Psychologie als in die
Nationalökonomie gehörten, aber eben doch von dieser zur Erfüllung
ihrer Aufgaben klargestellt sein müssen. So das Gesetz des ab-
nehmenden Nutzens bei zunehmender Bedarfsbefriedigung (Gossen-
sches Gesetz). Bei dem einzigen Falle, in dem ich in der Theorie des
Tauschverkehrs häufiger von einem Gesetz spreche, bei dem
von mir aufgestellten Gesetz des Ausgleichs der Grenz-
erträge, dient der Ausdruck Gesetz nur dazu, um anzudeuten, dab
sein Inhalt die schärfste theoretische Formulierung des Grundsatzes
ist, welcher alles wirtschaftliche Handeln bestimmt. Es ist daher
auch zunächst nur ein psychisches Gesetz, das innerhalb der
Einzelwirtschaft gilt, aber es ist insofern auch das einzige
tauschwirtschaftliche Gesetz, weil es eben dadurch, daß es
das wirtschaftliche Handeln des Einzelnen bestimmt, in der heutigen
Wirtschaftsordnung auch den ganzen tauschwirtschaft-
lichen Mechanismus regelt. An sich ist es für die Einzel-
wirtschaft nur ein allgemeines Prinzip, die Richtschnur, und
für den Tauschverkehr nur eine Tendenz, die eben mit jenem
Prinzip im Zusammenhang steht. Diesen Zusammenhang nachzu-
weisen, das ist die Aufgabe der Wirtschaftstheorie, es ist dasselbe,
was wir sonst als Erklärung des tauschwirtschaftlichen Mechanismus
aus den Bedarfsempfindungen der einzelnen Wirtschaftssubjekte zu
bezeichnen pflegten.
3. Andere Zweige der Wirtschaftswissenschaft, insbesondere die
Privatwirtschaftslehre.
Ueber die Aufgabe der sonstigen Zweige der Wirtschaftswissen-
schaft wollen wir hier nur das Nötigste sagen. Wirtschafts-
geschichte, in unserem Sinne, ist nichts weiter als die Anwendung
der induktiven Methode auf das Erkenntnisobjekt der Wirtschafts-
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 237
wissenschaft). Durch die Art ihrer Darstellungsweise, Vorgehen vom
Besonderen zum Allgemeinen, Beschreiben, ist sie ein selbständiger
Zweig der Wirtschaftswissenschaft. Sieergänzt sich aber dadurch stetig
mit der Wirtschaftstheorie, daß sie zu einer guten Beschreibung und
richtigen Kausalerklärung, Erkenntnis der Ursachen der historischen
Entwicklung, klarer Begriffsabgrenzungen nicht entbehren kann.
Umgekehrt liefert die Beschreibung der theoretisch-systematischen
Erfassung das Tatsachenmaterial, aus welchem diese das Wesentliche
und Typische herauszufinden sucht, um es ihren begrifflichen Ab-
grenzungen zugrunde zu legen. So sind sich beide Richtungen der
Wirtschaftswissenschaft gegenseitig unentbehrlich. Je mehr die
wissenschaftliche Untersuchung sich speziellen Erscheinungen zu-
wendet, um so mehr wird natürlich die beschreibende Ursachen-
erklärung von Bedeutung. Die Theorie tritt dann zurück, die be-
schreibende Untersuchung arbeitet einfach mit dem von ihr gegebenen
Begriffsmaterial. Immerhin ist aber auch hier eine gewisse Theorie und
Systematik Voraussetzung einer guten beschreibenden Untersuchung,
z. B. war eine Theorie der Beteiligungs- und Finanzierungsgesell-
schaften notwendig, über deren Wesen und Formen, ihre Stellung im
Kreise anderer wirtschaftlicher Erscheinungen, daher auch über ihre
Beurteilung, vor Anstellung einer theoretischen und systematischen
Untersuchung niemand eine rechte Vorstellung hatte. Ich erwähnte
schon, daß solche Theorie spezieller wirtschaftlicher Erscheinungen
unter Umständen von der allgemeinen Theorie ziemlich unabhängig
sein kann, so daß man hier trotz falscher allgemeiner theoretischer
Grundlagen doch oft zu richtigen Ergebnissen kommen kann.
Immerhin ist die Wirtschaftstheorie, wenn sie einmal in rich-
tiger Weise aufgestellt worden ist, etwas Gegebenes, natürlich nicht
ewig Gegebenes, sondern sie ist immer wieder durch neue Erschei-
nungen im Wirtschaftsleben zu ergänzen und auch fast endlos durch
Heranziehung von immer weiteren speziellen Fällen noch zu ver-
vollkommnen. So z. B. kann nach Feststellung der allgemeinsten
Preisbestimmungsgründe die Feststellung besonderer Umstände, welche
in einzelnen Fällen auf den Preis wirken, immer mehr verfeinert
und in ein immer umfassenderes System gebracht werden. Aber für
die allgemeinen theoretischen Grundlagen der Wissenschaft kann
man sich denken, daß darüber einmal völlige Uebereinstimmung er-
zielt und sie damit sozusagen als erledigt betrachtet werden könnte.
Wenn es auch damit noch gute Weile hat, kann man doch sagen,
daß die historische beschreibende Richtung, absolut betrachtet, ein
weiteres Feld ihrer Anwendung vor sich hat.
Heute aber noch und schon seit Jahrzehnten ist die theoretische
Erfassung der wirtschaftlichen Erscheinungen die wichtigste Aufgabe
1) Von der Wirtschaftsgeschichte als Zweig der Geschichtswissenschaft, die nur
eine besonders intensive Berücksichtigung wirtschaftlicher Faktoren in der allgemeinen
Geschichte bedeutet, soll hier nicht die Rede sein.
238 Robert Liefmann,
der Wissenschaft, und zwar zunächst die richtige Erfassung der
allgemeinsten wirtschaftlichen Erscheinungen, in letzter Linie also des
Wesens des Wirtschaftlichen selbst. Denn hier sind noch die größten
Unklarheiten vorhanden, und von ihr hängen alle weiteren Fort-
schritte der Wissenschaft ab. Insbesondere sind auch klare öko-
nomische Begriffe, richtige Einsicht in das Wesen des tauschwirt-
schaftlichen Mechanismus für die Wirtschaftspolitk von der
größten Bedeutung. Ich erwähne nur die Bedeutung einer richtigen
Erkenntnis der Preisbildung für die Besteuerung und die damit zu-
sammenhängende Ueberwälzungsfrage. Aber auch weit über das
wirtschaftliche Leben hinaus haben richtige wirtschaftstheoretische
Erkenntnisse die größte praktische Bedeutung, z. B. eine richtige
Erklärung der Einkommensbildung, die die heutige Zurechnungs-
lehre beseitigt, für die Kritik und Bekämpfung des Sozialismus.
Ich kann daher der Ansicht von Max Weber nicht zu-
stimmen, daß der Erkenntniswert der ökonomischen Theorie gering
sei!). Diese Ansicht beruht wohl einerseits darauf, daß er die
fundamentalen Fehler der bisherigen Theorien, die auf der materia-
listischen Auffassung beruhen, nicht erkannte, andererseits darauf,
daß er, eben auf dieser Grundlage und im Banne des theoretischen
Skeptizismus, der die historische Richtung beseelte, an der Möglich-
keit, aus dem heutigen theoretischen Marasmus herauszukommen,
verzweifelte. In der Tat ist theoretische Forschung nur im Rahmen
eines geschlossenen Systems möglich und nur von einem solchen
aus kann man zu theoretischen Arbeiten Stellung nehmen. Die
Fähigkeit dazu ist eine besondere Anlage, analytische Begabung,
zu deren Anwendung man ganz von selbst kommt. Aber es kann
sich keiner hinsetzen und erklären, ich will jetzt einmal theore-
tisch arbeiten. Dann kommen höchstens jene dogmenhistorischen
und kompilatorischen Arbeiten heraus, die oft mit ökonomischer
Theorie verwechselt werden und die meist einen eigenen klaren
theoretischen Standpunkt des Verfassers vermissen lassen. Aber
selbst die Ergebnisse der Theorie werden subjektiv verschieden
aufgefaßt. Der eine hat mehr das Bedürfnis nach scharfen klaren
Begriffen, nach einer möglichsten Vereinfachung in der Darstellung
des Erkenntnisobjektes, er will eine allgemeine Uebersicht über das
Funktionieren des tauschwirtschaftlichen Mechanismus. Ihm wird
die ökonomische Theorie einen größeren Erkenntniswert besitzen.
Den anderen — und zu ihnen gehört zweifellos Max Weber —
interessieren mehr die speziellen Zusammenhänge wirtschaftlicher
Erscheinungen, ihre historische Entwicklung, er ist aufnahmefähiger
für das Detail, verlangt weniger nach einem Begriffsgerüst, von dem
aus er das Ganze übersehen kann. Ihm wird die historische Be-
trachtung wertvoller erscheinen.
1) Max Weber, Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer
Erkenntnis. Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 19, S. 59ff.
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe aer Wirtschaftswissenschaft. 239
Ein allgemeines Urteil über den Wert oder Unwert der öko-
nomischen Theorie ist aber auch deswegen nicht möglich, weil heute
schon völlig der Maßstab dafür fehlt, was z. B. die Klassiker für
die Erkenntnis der wirtschaftlichen Erscheinungen geleistet haben.
Denn wir arbeiten noch mit ihrem Begriffsmaterial, wenn wir auch
in vielem uns genötigt sehen, ihm einen neuen Sinn zu unterlegen.
Wir können aber längst nicht mehr feststellen, was von diesem Be-
griffsmaterial der damalige Sprachgebrauch schon hatte und was wir
erst der wissenschaftlichen Klarstellung verdanken. Und auch der
heutige Sprachgebrach des wirtschaftlichen Lebens benutzt Begriffe
und Vorstellungen, die ursprünglich von der Wissenschaft geschaffen
oder klarer abgegrenzt worden sind. So werden auch heute von
der ökonomischen Theorie geschaffene Begriffe und Abgrenzungen
oft sehr schnell allgemein gebrauchtes Handwerkszeug der Historiker,
und der Theoretiker, der ein Unterscheidungsmerkmal zuerst er-
kannte und dadurch vielen Historikern vorarbeitete, ist oft schnell als
Urheber einer Begriffsabgrenzung vergessen, die dann Allgemeingut
wird.
In dem gegenwärtigen Zustand der ökonomischen Wissenschaft
halte ich, um sie möglichst zu fördern, den Wert der ökonomischen
Theorie, d. h. nicht etwa jeder theoretischen Untersuchung, sondern
den Wert eines geschlossenen theoretischen Systems, das die
allgemeinsten tauschwirtschaftlichen Vorgänge wirklich analysiert,
vor allem also die Preis- und Einkommensbildung aus den subjektiven
Bedarfsempfindungen erklärt, für unendlich viel größer als jede,
auch die denkbar vollkommenste Lösung irgendeines historisch-
ökonomischen Problems. Denn denken wir uns selbst das größte
derartige Problem, die denkbar vollkommenste Darstellung der Ent-
wicklung des modernen Kapitalismus! Wie unklar und unvoll-
kommen muß sie unter allen Umständen sein, solange noch so un-
klare und falsche Anschauungen über das Wesen des Kapitals, die
Ursache des Kapitalzinses und aller Einkommensarten, kurz über
den ganzen Charakter der heutigen Wirtschaftsordnung und ihr
Organisationsprinzip vorhanden sind, wie das heute der Fall ist!
Allerdings ist es richtig, daß die Theorie, wie eben die Wissen-
schaft überhaupt, nur ein Mittel für die menschliche Erkenntnis ist,
aber eines, das der menschliche Geist unbedingt braucht, um in dem
Chaos der Erscheinungen in seiner Vorstellung Ordnung zu schaffen
und damit über sie Herr zu werden. Und es ist auch richtig, daß,
wenn das System der Betrachtung einmal da ist und allgemein an-
gewendet wird, die theoretische Untersuchungsmethode als solche
ihre Bedeutung verloren hat und die Gewinnung weiterer Erkennt-
nisse für die Wissenschaft dann in der Hauptsache ihren anderen
Zweigen obliegt.
Von diesen soll über die Wirtschaftspolitik hier nur
ganz kurz die Rede sein. Wir stehen hier ausdrücklich auf dem
von Max Weber und anderen vertretenen Standpunkt, den wir
240 Robert Liefmann,
übrigens immer als selbstverständlich angesehen haben, daß die
Frage des Seinsollens nicht Gegenstand der Wissenschaft ist. So
bleibt als solcher von der Wirtschaftspolitik nur die kausale Be-
trachtung wirtschaftspolitischer Maßnahmen, der Ursachen, die zu
ihrer Einführung bzw. zur, Befürwortung einer solchen geführt haben,
und der Wirkungen, welche wirtschaftspolitische Maßregeln ge-
habt haben oder vermutlich haben werden, ferner die beschreibende
und vergleichende Darstellung solcher Maßregeln.
Wirtschaftspolitische Maßregeln sind solche, welche eine Ein-
wirkung auf wirtschaftliche Vorgänge bezwecken, d. h., wie bekannt,
auf Vorgänge, welche der eigenartigen Vergleichung von Zwecken
und Mitteln ihre Entstehung verdanken, in der wir das Wesen der
Wirtschaft erblicken. Der Staat kann, wie schon gesagt, selbst
solche Handlungen vornehmen, bei denen er Mittel und Zwecke nach
dem wirtschaftlichen Prinzip vergleicht. Insofern ist er aber selbst
eine Wirtschaft, Fiskus, und die Wissenschaft von der Wirtschaft
des Staates ist die Finanzwissenschaft. Aber es ist klar, daß
die Bestrebungen und Tätigkeiten des Staates weit über solche
hinausgehen, bei denen nach dem wirtschaftlichen Prinzip ver-
schiedene Zwecke mit den für sie aufzuwendenden Mitteln, Kosten,
verglichen werden. Wirtschaften ist eben die Vergleichung ver-
schiedener Zwecke an ihren Kosten, und gerade bei vielen
Staatszwecken findet eine solche Vergleichung nicht statt. So sind
die meisten nationalen Zwecke des Staates keine wirtschaftlichen,
sondern eben politische: nationalpolitische, ebenso die meisten sozialen
Zwecke, Förderung des ruhigen und geordneten Zusammenlebens der
Untertanen, Verminderung der Klassengegensätze u. dgl.: die sozial-
politischen Zwecke. Aber auch die wirtschaftspolitischen Zwecke und
Aufgaben des Staates, Förderung oder auch Beschränkung der wirt-
schaftlichen Tätigkeit Einzelner oder ganzer Gruppen sind an sich
nicht Wirtschaft. Wie kein Zweck an sich ein Wirtschaften ist,
sondern erst durch die besondere Art seiner Vergleichung mit anderen
Zwecken und mit den dafür aufzuwendenden Mitteln, so gilt das
auch für die Zwecke des Staates. Sie sind nicht Wirtschaft, sondern
Politik.
Die Betrachtung solcher wirtschaftspolitischer Maßregeln in
diesem Sinne ist ein Teilgebiet der allgemeinen Wirtschaftswissen-
schaft, diese Maßregeln sind ein Teilobjekt des allgemeinen Er-
kenntnisobjektes der Wirtschaftswissenschaft. Solche Teilobjekte
lassen sich beliebig viele herausgreifen. Ob man ihre Untersuchung
als eine besondere Teilwissenschaft der allgemeinen Wirtschafts-
wissenschaft bezeichnen will, ist eine reine Zweckmäßigkeitsfrage.
Sie wird natürlich entscheidend bestimmt durch den Umfang und
die verhältnismäßige Selbständigkeit der Lehrsätze,
die sich an ein solches Teilobjekt anknüpfen lassen, in gewisser Hin-
sicht auch durch die Bedeutung, welche diese Lehrsätze und die
Betrachtung des Teilobjektes für die Gesamtheit haben. Dabei wird
auch der Sprachgebrauch einen Einfluß ausüben.
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 241
So wird man z. B. die Genossenschaftslehre nicht als
eine besondere Teilwissenschaft der allgemeinen Wirtschafts-
wissenschaft bezeichnen können. Denn der Umfang der an sie an-
knüpfenden Lehrsätze ist so gering, daß von einem System solcher
nicht die Rede sein kann. Und das wird letzten Endes das Ent-
scheidende sein.
Aus diesem Grunde hat aber den Charakter einer Teilwissen-
schaft der allgemeinen Wirtschaftswissenschaft die Finanzwissen-
schaft. Ihr Erkenntnisobjekt ist zwar nur ein Teilobjekt, es fällt
auch unter das allgemeine Identitätsprinzip des Wirtschaftlichen.
Denn man sollte, wenn irgend möglich, an der Einheit des Identitäts-
prinzips: wirtschaftlich festhalten, und diese Möglichkeit ist der
Finanzwissenschaft gegenüber durchaus vorhanden. Aber die staat-
liche Wirtschaft ist eine Wirtschaft so eigener Art mit so vielen
Besonderheiten, daß sich an sie ein eigenes System von Lehrsätzen
anknüpft, weshalb sie auch schon im Sprachgebrauch einen eigenen
Namen erhalten hat.
Alle diese logischen Erörterungen geben nun auch die Grund-
lage für unsere Stellungnahme zu der heute so viel erörterten Frage
der Privatwirtschaftslehre.
Ueber die Privatwirtschaftslehre ist in den letzten Jahren im
Auschluß an das Buch von Weyermann und Schönitz, Grund-
legung und Systematik der wissenschaftlichen Privat-
wirtschaftslehre, 1912, so viel Methodologisches geschrieben
worden, daß von verschiedenen Seiten die Forderung erhoben wurde,
nicht mehr so viel über eine solche Lehre zu reden, sondern sie zu
schaffen. Hier soll nur über die methodologische Seite der Frage
gesprochen werden. Noch kurz vor seinem allzu früh erfolgten Tode
hat Schönitz in dem Einleitungsheft der neuen Sammlung: Die
private Unternehmung und ihre Betätigungsformen,
1914, in der ersten Abhandlung: Wesen und Bedeutung des
privatwirtschaftlichen Gesichtspunktes in der So-
zialökonomie, zu dieser Frage Stellung genommen. Er macht
sich aber die Sache dadurch leicht, daß er den „sozialökono-
mischen Gesichtspunkt“ einfach als selbstverständlich ansieht und
in dem entscheidenden Abschnitt (IX) dann nur die Frage
aufwirft: „Inwiefern kann es innerhalb der Sozialökonomie
einen privatwirtschaftlichen Gesichtspunkt geben?“ Ueber diesen
sagt er (S. 7): „Der ‚privatwirtschaftliche Gesichtspunkt‘ innerhalb
der Sozialökonomie erfaßt im Gegensatz zur sozialökonomischen
Betrachtung im engeren Sinne (zum „sozialökonomischen Gesichts-
punkt“, wie wir ihn kurz nennen wollen) die sozialökonomischen
Phänomene unter dem Gesichtspunkt der privatwirtschaftlichen
Interessen der beteiligten Wirtschaftsindividuen.*“ Und weiter
heißt es: „Privatwirtschaftslehre ist diejenige Teildisziplin der
Sozialökonomie, die zum Objekt hat die Betätigung privater,
für sich selbst besorgter Wirtschaftssubjekte zur Erzielung eines
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 16
242 Robert Liefmann,
möglichst großen Ertrags bei möglichst geringem Risiko, und die,
im Gegensatz zur sozialökonomischen Betrachtung im engeren Sinne,
diese Betätigung unter dem Gesichtspunkt der Interessen dieser
Privatwirtschaften, gesondert nach ihren einzelnen Typen, betrachtet.“
In dem Abschnitt IX führt er dann die auch oben erwähnten
Vertreter einer sozialen Betrachtungsweise vor, stellt ihnen als
Gegner Heimann und mich entgegen und exemplifiziert dann, ohne
selbst ausdrücklich Stellung zu nehmen, vor allem auf Marx, und
behauptet, daß der erste Band des „Kapital“ eine rein sozialökono-
mische Wesensbestimmung des Kapitalismus geben wolle. Wir haben
schon darüber gesprochen, daß die Auffassung der wirtschaftlichen
Handlungen als „gesellschaftliche Funktion“ statt als Zweck der
Einzelwirtschaft, wenn sie überhaupt möglich ist, jedenfalls mit
Wirtschaftstheorie in deren klar bestimmter Aufgabe nichts zu tun
hat und bestenfalls in die Soziologie gehört.
Daher hätte Schönitz, statt sich um den Nachweis zu be-
mühen, daß in der Sozialökonomie auch ein privatwirtschaftlicher
Gesichtspunkt möglich sei, untersuchen müssen, ob es neben den
zweifellos vorhandenen, nie zu leugnenden privatwirtschaftlichen
Interessen und Zwecken auch noch andere „sozialökonomische“ gibt.
Als Begründung für die letzteren finden sich nur zwei kurze Be-
merkungen: „In der praktischen Nationalökonomie ist der Gegensatz
der Beurteilung volkswirtschaftlicher Vorgänge vom Standpunkt der
Interessen des Individuums und von dem des ‚Gesamtinteresses‘ uns
durchaus geläufig“ (S. 48). Es ist kein Zweifel, daß es sich in der
Volkswirtschaftspolitik um Werturteile handelt. Für die theoretische
Nationalökonomie kann dieses „Gesamtinteresse* einer konkreten
staatlichen Volkswirtschaft nicht in Betracht kommen. Auch wäre
noch eine Untersuchung erforderlich, was denn vom Standpunkte der
Volkswirtschaftspolitik Gesamtinteressen sind.
Die andere Stelle ist eine Bezugnahme auf meine Krisentheorie,
wo ich ausführte, daß bei der zu schnellen Ersetzung alter Kapitalien
durch neue „das Streben der Einzelwirtschaften nach größtem Gewinn
und das volkswirtschaftliche größter W ohlstandsförderung auseinander-
gehen können“. Nun, was ich hier volkswirtschaftliches Interesse
größter Wohlstandsförderung nannte, ist nur ein schlechter Ausdruck,
es ist auch nur ein privatwirtschaftlicher Gesichtspunkt, aber diesmal
nicht der Erwerbswirtschaften, die die Privatwirtschaftslehre
sonst immer im Auge hat, sondern aller Konsumenten. Ein
volkswirtschaftliches Interesse gibt es nur in der Wirtschaftspolitik,
also nur in Beziehung auf einen konkreten Staat. Für die Wirt-
schaftstheorie aber, die nicht die „Volkswirtschaften* der verschie-
denen Staaten einander gegenüberstelll, gibt es nur Interessen der
einzelnen Wirtschaften und ihrer gemeinsamen Veranstaltungen.
Es ist auf das sehärfste daran festzuhalteu, daß es den Einzelnen
übergeordnete „soziale Zwecke“, ein soziales Zweckgebilde, dessen
„dienende Glieder“ die Einzelwirtschaften nur sind, in der Wirt-
schaftstheorie, d. h. für die Erklärung der tauschwirtschaftlichen Er-
scheinungen, nicht gibt.
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 243
Die ganze Unterscheidung von privatwirtschaftlichem und volks-
wirtschaftlichem Gesichtspunkt, die logischerweise nur eine solche
nach verschiedenen Zwecken sein kann, ist also in der Wirtschafts-
theorie unmöglich. Sie ist nur eine solche der Wirtschafts-
politik, wo zu dem im Tauschverkehr selbst allein vorhandenen
Zweckstreben der privaten Wirtschaften, die natürlich letzten Endes
alle Konsum wirtschaften sind, noch das Zweckstreben des Staates,
seine Politik, hinzukommt.
Damit ist aber nur festgestellt, daß es eine Privatwirtschafts-
lehre nicht als selbständige Wissenschaft neben der Sozialökonömie
geben kann, was sie eigentlich nach der Auffassung aller Vertreter
der sozialen Betrachtungsweise sein müßte. Logischerweise müßten
die Vertreter eines „sozialen“ Objekts der Nationalökonomie den
Anspruch der Privatwirtschaftslehre als einer besonderen Wissen-
schaft anerkennen. Denn irgendwohin muß doch die Privatwirtschaft
als Objekt wissenschaftlicher Betrachtung gehören, und sie sollten froh
sein, das Oekonomische, das nicht „sozialökonomisch“ ist, irgendwo
unterbringen zu können. Diehl steht aber nicht auf diesem Stand-
punkt. Es hängt das wohl damit zusammen, daß er, sobald es sich
um positive Theorien handelt, ebenso „Individualist“ und zwar im
ganzen Vertreter der klassischen Schule ist wie alle anderen bis-
herigen Theoretiker.
Ueberhaupt ist ja die Einheit der Wirtschaftswissenschaft, die
man auch bisher immer festgehalten hat, nicht so leicht durch die
Forderung einer besonderen Sozialökonomik abzuweisen, und diese
charakterisiert sich auch dadurch als eine Verlegenheitsmaßregel.
So lehnen auch Weyermann und Schönitz die Selbständigkeit der
Privatwirtschaftslehre ab, bemühen sich aber, als Konzession an die
soziale Betrachtungsweise, sie als Teil der Sozialökonomie unter
einem besonderen Gesichtspunkt, aber mit „sozialökonomischem Wert-
akzent“ (s. darüber unten) aufzufassen. Dieser privatwirtschaftliche
Gesichtspunkt ist nun aber kein besonderer, sondern es ist der all-
gemeine, natürliche, den man bei der Beobachtung im Wirtschafts-
leben allein vorfindet, und von dem aus die Wirtschaftstheorie die
tauschwirtschaftlichen Erscheinungen zu erklären hat. Jener sozial-
ökonomische Gesichtspunkt dagegen ist ein künstlich konstruierter,
der bei logischer Durchführung den Tauschverkehr als eine Wirt-
schaft mit eigenem Zweck auffaßt, was sie höchstens als Gegen-
stand nationalwirtschaftlicher Politik, also vom Standpunkt des Staates
aus ist.
Ist nun, wenn es keinen besonderen sozialökonomischen Gesichts-
punkt in der Wirtschaftswissenschaft gibt, sondern der privatwirt-
schaftliche zugleich das Organisationsprinzip des Tauschverkehrs ist,
die Privatwirtschaftslehre damit überhaupt aus der Welt geschafft?
Selbstverständlich nicht. Sie ist ganz einfach das Herausgreifen
eines besonderen Teilobjektes aus dem allgemeinen Erkenntnis-
objekt der Wirtschaftswissenschaft, wie wir solche Teilobjekte schon
mehrfach kennen gelernt haben und wie sich bei weiterer Ausge-
`16*
244 Robert Liefmann,
staltung der Wissenschaft wahrscheinlich noch mehr ausbilden werden.
Solche abzugrenzen, ist eine bloße Zweckmäßigkeitsfrage,
die von der Beurteilung des Teilobjekts und den von ihm auszusagenden
Lehrsätzen abhängt. Deshalb hat auch jedermannn von vornherein
das Empfinden, daß es wenig Sinn hat, solche Spezialwissenschaften
zu proklamieren, solange nicht schon eine Reihe von Lehrsätzen über
dieses Teilobjekt vorliegen, welche zu einem geschlossenen Ganzen,
einem System ausgestaltet werden können. Wenn es schon für jede
Wissenschaft gilt, daß ihr Objekt und damit ihr Gebiet zunächst
durch die der Beobachtung und Erfahrung aufstoßenden Probleme
gebildet werde, so gilt das noch viel mehr für die Abgrenzung eines
Teilobjekts einer Wissenschaft zu einer besonderen Teildisziplin in
derselben. Es gilt also hier ganz besonders: Schafft eine Anzahl
eigener Lehrsätze über die Privatwirtschaften, so habt ihr die Privat-
wirtschaftslehre!
Der Ausdruck Privatwirtschaftslehre bezeichnet aber keineswegs
treffend das, was die Vertreter dieser Disziplin sich als ihr Objekt
denken. Denn es handelt sich nicht um alle einzelnen Wirtschaften,
insbesondere nicht um die Konsumwirtschaften, auch nicht
um diejenigen Erwerbstätigkeiten, die mit den Konsumwirtschaften
der Wirtschaftssubjekte aufs engste verbunden sind, sondern es
handelt sich um die selbständigen Erwerbswirtschaften,
um die „Privatwirtschaftslehre der Unternehmungen“ (s. Schönitz
a. a. O. S. 9; er meint, daß auch einmal eine besondere Lehre vom
Verbrauchshaushalt zu schaffen außerordentlich wertvoll erscheinen
könnte). Die sog. Privatwirtschaftslehre will also die modernen
Unternehmungen betrachten, die selbst wieder komplizierte wirtschaft-
liche Organismen mit mancherlei tauschwirtschaftlichen Beziehungen
in ihrem Innern, Beschäftigung sehr verschiedenartiger Arbeitskräfte,
sind. Daß man zur Abgrenzung dieses Objektes einen besonderen privat-
wirtschaftlichen Gesichtspunkt innerhalb der „Sozialökonomie“ kon-
struierte, hat letzten Endes zwei Gründe. Einmal wieder die materia-
listische Auffassung der Wirtschaft, die Wirtschaft und Produktion
verwechselte und damit nicht zu klarer Erkenntnis kam, daß hinter dem
„privatwirtschaftlichen Zweck“ der Erwerbswirtschaft der eigent-
liche privatwirtschaftliche Zweck, der der Konsumwirtschaften
steht, der den ganzen Tauschverkehr organisiert. Ebenso wie man
den Begriff der Sozialökonomik braucht, um bei der materialistischen
Auffassung das Objekt der Wirtschaftswissenschaft von der Technik
unterscheiden zu können, ebenso liefe die Privatwirtschaftslehre Ge-
fahr, von der Technik nicht unterschieden werden zu können, wenn
man sie nicht als Zweig der „Sozialökonomik“ proklamiert. Deshalb
lehren Weyermann und Schönitz, daß man „die privatwirtschaftliche
Forschung nur treiben wolle, soweit sie sozialökonomisch einen Wert-
akzent erhält“, oder „soweit sie sozialökonomischen Akzent hat“ 1).
Was die Privatwirtschaftslehre ist, soweit sie keinen „sozialöko-
1) Weyermann-Schönitz, a. a. O. S. 64, und Schönitz, a. a. O. 8. 21.
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 245
nomischen Akzent“ hat, sagen beide ebensowenig, wie die Vertreter
der sozialen Betrachtungsweise das Wesen einer Naturalwirtschaft zu
erläutern vermögen. Mit diesem „sozialökonomischen Wertakzent“
ist das reichhaltige Phrasenregister der soziologischen Nationalöko-
nomen um ein bemerkenswertes Exemplar bereichert worden.
Weyermann und Schönitz müssen diese Beschränkung machen aus dem-
selben Grunde, aus dem überhaupt die „sozialökonomische Betrach-
tungsweise“ erfunden wurde, um bei der materialistischen Auffassung
der Wirtschaft diese von der Technik unterscheiden zu können. In
der Tat ist vieles, was die sog. Privatwirtschaftlehre bisher behan-
delte, Technik, materielle Technik oder immaterielle (kommerzielle),
nach der Unterscheidung von Wirtschaft und Technik, die wir in
dem betreffenden Aufsatz in dieser Zeitschrift gegeben haben. Nach
der dort entwickelten psychischen Auffassung der Wirtschaft ist
aber ganz klar, daß eine wirtschaftliche Betrachtung von Er-
werbswirtschaften, Unternehmungen, immer zugleich „sozial-
ökonomisch“, tauschwirtschaftlich ist. Daß eine solche Betrachtung
einen „sozialökonomischen Wertakzent“ haben müsse, ist also eine
Phrase, welche in dem einzigen Sinne, den sie haben kann, die Be-
ziehung auf den Staat als soziales Zweckgebilde, von ihren Ur-
hebern nicht gewollt ist. Ohne Beziehung auf den Staat gibt es
aber keinen von den Zwecken der Einzelwirtschaften verschiedenen
wirtschaftlichen Zweck und daher auch keinen „sozialökonomischen
Wertakzent“.
Deswegen bleibt die Betrachtung der verschiedenen Organi-
sationen der einzelnen Unternehmungen doch ebenso gut Volkswirt-
schaftslehre oder Wirtschaftswissenschaft oder Sozialökonomik, wie
die allgemeinsten Erörterungen über die Unternehmung, den Unter-
nehmergewinn u. dgl. Jene sind nur eine Weiterführung der wirt-
schaftswissenschaftlichen Untersuchung. Die Berechtigung, sie als
eine besondere Teildisziplin aufzufassen, kann nur durch ihre Ergeb-
nisse gewonnen werden.
Der zweite Grund dafür, weshalb man zur Abgrenzung der
Privatwirtschaftslehre sich bemühte, einen besonderen privatwirt-
schaftlichen und einen volkswirtschaftlichen Gesichtspunkt einander
gegenüberzustellen, liegt in der Unklarheit des Begriffs Wirt-
schaft und daß er der Wissenschaft den Namen gegeben hat. Die
Ausdrücke Wirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre knüpfen sich, statt
an die wirtschaftlichen Vorgänge und Beziehungen, immer an die
Wirtschaft, d.h. also einen komplizierten Organismus, sei es die
Einzelwirtschaft in ihren sehr verschiedenen Formen, sei es
die angenommene oder unter dem Einfluß des Staates gesehene
„Volkswirtschaft“. Weil nun „Wirtschaft“ immer nur als ein
Zwecke verfolgender Organismus gedacht werden kann, kam man
dazu die „Wirtschaftslehre* auch als eine Zweckwissenschaft an-
zusehen, während sie eine reine Seinswissenschaft ist, welche, ganz
ohne Rücksicht auf die Art der Zwecke, nur die Wirkungen unter-
sucht, die aus den Zwecken, einerlei welchen Inhalts, auf Grund
246 Robert Liefmann,
eines rein formalen Prinzips der Zweck- und Mittelvergleichung,
des wirtschaftlichen Prinzips hervorgehen. Diese Wirkungen sind
vor allem die tauschwirtschaftlichen Vorgänge und Beziehungen,
Einrichtungen usw. Das Hauptproblem der Wirtschaftswissenschaft,
der Preis und ebenso das Geld, ist überhaupt kein Zweck, weder ein
„privater“ noch ein „sozialer“ und die Zwecke der Einzelwirtschaften
sind wohl Ursache alles Tauschverkehrs, aber nicht ihrem Inhalt nach
Objekt der Wissenschaft, wozu der Ausdruck Wirtschaftslehre ver-
leiten könnte. Und damit ergibt sich auch, weshalb die Unter-
scheidung von privatwirtschaftlichem und volkswirtschaftlichem oder
sozialem Gesichtspunkt für die Wirtschaftstheorie keine Bedeutung
haben kann. Wir können daher die daran anknüpfenden methodo-
logischen Behauptungen und Forderungen wohl als erledigt betrachten.
Die moderne Unternehmung kann nun zweifellos als ein Teil-
objekt der Wirtschaftswissenschaft Gegenstand besonderer Betrach-
tung sein, und es ist auch sehr wahrscheinlich, daß sich über sie
eine solche Anzahl sie speziell betreffender Sätze aufstellen läßt,
daß man sie zu einem systematischen Ganzen vereinigen kann.
Denn sie ist selbst ein komplizierter Organismus, in dem sehr viele
Wirtschaftssubjekte in sehr verschiedenen Stellungen tätig sind,
ohne daß die Unternehmung ihre Wirtschaft wäre. Diesen Or-
ganismus zu untersuchen und seine verschiedenen Formen und Ein-
richtungen darzustellen, kann in der Tat Gegenstand einer besonderen
Teildisziplin der Wirtschaftswissenschaft werden, indem sich an ihn
so viele allgemeine Sätze anknüpfen lassen, daß man von einem ge-
schlossenen System derselben reden kann. Diese Sätze werden, wie
das auch von Weyermann und Schönitz in ihrem Entwurf ausgeführt
ist, hauptsächlich Typenbildung der Unternehmungen zum Inhalt
haben.
Alle derartigen Untersuchungen aber bleiben vollkommen im
Rahmen der allgemeinen Wirtschaftswissenschaft, sie sind ganz
ebenso „sozialökonomisch“ wie die richtig verstandenen, d. h. von
gesellschaftlichen und politischen Vermengungen befreite „Sozial-
ökonomik“. Darin stimme ich ganz Diehl zu, daß die sogenannte
Privatwirtschaftslehre nur Sinn hat, „unter dem Gesichtspunkt des
volkswirtschaftlichen Zusammenhangs“ !. Aber das kann man auch
nur behaupten, sobald man erkannt hat, daß Wirtschaftswissenschaft
eine Seinswissenschaft und keine Wissenschaft von Zwecken ist.
Dann wird klar, daß man eine Unternehmung, eine besondere in dem
Tauschverkehr verflochtene Wirtschaftsform, wirtschaftlich
überhaupt nicht anders als eben in den Tauschverkehr verflochten
sich vorstellen kann. Das um so mehr, als ja sogar zwischen den
Personen, die eine solche Unternehmung bilden, Tauschverkehrs-
vorgänge eine große Rolle spielen, nämlich die Anstellung von Ar-
1) a. a. O. S. 460. Nur muß man diesen Zusammenhang richtig verstehen als
tauschwirtschaftliche Beziehungen, und nicht, wie Diehl, als ein unklares „soziales
Zweckgebilde‘‘,
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 247
beitern und Beamten. Während aber die allgemeine Wirtschafts-
wissenschaft auf die Besonderheit der einzelnen Unternehmung nicht
näher einzugehen braucht, weil sie in erster Linie die tauschwirt-
schaftlichen Zusammenhänge zwischen zahllosen Wirtschaften auf-
zudecken hat, die man hergebrachter Weise mit dem irreführenden
Namen Volkswirtschaft bezeichnet, soll die sogenannte Privatwirt-
schaftslehrre mehr den inneren Aufbau der einzelnen Unternehmung
und die damit zusammenhängenden Verschiedenheiten herausarbeiten,
die aber natürlich wieder auf ihrer tauschwirtschaftlichen Stellung
beruhen. Daher läßt sich auch selbstverständlich nicht sagen, wo
die allgemeine Wirtschaftswissenschaft aufhört und die sogenannte
Privatwirtschaftslehre anfängt. Denn sie ist eben ein Teil von
jener, und noch so spezialisierte Untersuchungen über eine einzelne
Unternehmung, bleiben immer allgemeine Wirtschaftswissenschaft.
Denn da jede Wissenschaft überhaupt nur das Allgemeine und nicht
der einzelne Fall als solcher interessiert, so hat die Beschreibung
einer einzelnen Unternehmung überhaupt nur wissenschaftlichen
Charakter, insofern sie für etwas Allgemeines typisch ist.
Aus diesem Grunde braucht man bei den sogenannten privat-
wirtschaftlichen Untersuchungen gar nicht erst die Versicherung, daß
man die privatwirtschaftliche Forschung nur treiben wolle, sofern sie
„sozialökonomischen Akzent“ hat. Eine heutige ökonomische Er-
scheinung, die überhaupt irgend wie wissenschaftlich von Belang ist,
hat eben sozialökonomischen Akzent. Mit anderen Worten, es gibt
in der ganzen zivilisierten Welt keine Wirtschaft, die nicht in den
Tauschverkehr verflochten wäre.
Die ganze Unterscheidung von privatwirtschaftlichem und volks-
wirtschaftlichem Gesichtspunkt war nur möglich infolge der Ver-
wechslung von Wirtschaft und Technik. Sogenannte privatwirt-
schaftliche Untersuchungen, die keinen „sozialökonomischen Akzent“
haben, sind in Wirklichkeit technische Betrachtungen. Hier kann
man die Vorgänge in einer Unternehmung, richtiger in einem „Be-
triebe“ — dies der technische Ausdruck — betrachten ohne jede
Beziehung zum Tauschverkehr. Das unterschied man nicht, weil
man eben in der technischen Tätigkeit der Produktion schon das
Wesen des Wirtschaftlichen erblickte. Nach unserer früheren
scharfen Bestimmung des letzteren und seiner Abgrenzung von der
Technik, die auch immaterielle Technik, Handelstechnik u. dgl. von
der Wirtschaft abgrenzt, dürfte diese Unterscheidung klar sein. In
der heutigen Privatwirtschaftslehre steckt noch ebensoviel Technik
wie in der Wirtschaftswissenschaft überhaupt. Was vom wirklich
wirtschaftlichen Inhalt übrig bleibt, kann aber Gegenstand einer
Teildisziplin werden, die man wohl am richtigsten als Erwerbs-
wirtschaftslehre bezeichnen würde. Gegen deren Ausgestaltung
ist natürlich nicht das geringste einzuwenden. Im Gegenteil mag
eine eingehendere Untersuchung der privaten Unternehmungen viel-
leicht dazu beitragen, die noch heute auch in der Wirtschaftstheorie
beliebte, durch den Sozialismus verbreitete Auffassung zu beseitigen,
248 Robert Liefmann,
die in Arbeitern und Unternehmern nichts weiter als zwei soziale
Klassen erblickt, eine Auffassung, die, wie wir oben ausführten,
wesentlich zur Förderung der „sozialen Betrachtungsweise“ und zur
Verwechslung von Wirtschaftswissenschaft und Soziologie beige-
tragen hat.
Das über die Privatwirtschaftslehre Gesagte gilt nun auch im
wesentlichen für die Weltwirtschaftslehre, die man sich
neuerdings bemüht als eine besondere Wissenschaft zu entwickeln.
Ich kann den Ausführungen von Harms in seinem Buche Volks-
wirtschaft und Weltwirtschaft, 1912, in vielen Punkten
beistimmen, wenn ich auch selbstverständlich die materialistische
Auffassung der Wirtschaft, die auch er vertritt, und ebenso die
Unterscheidung von reiner Sozialwirtschaftslehre, Einzelwirtschafts-
lehre, Volkswirtschaftslehre, Weltwirtschaftslehre nicht teile. Die
Begründung dafür liegt in dem früher Gesagten. Auch gegenüber
Harms gilt, daß die Einzelwirtschaftslehre und auch die Weltwirt-
schaftslehre zugleich „Sozialwirtschaftslehre“ sind, die Untersuchung
privater Unternehmungen meist reine Wirtschaftstheorie, die Unter-
suchung weltwirtschaftlicher Beziehungen meist politischwirtschaft-
liche Theorie Für die Weltwirtschaftslehre aber zweifle ich mehr
als für die Erwerbswirtschaftslehre daran, ob man für die internatio-
nalen wirtschaftlichen Beziehungen wirklich zu einem geschlossenen
System von Sätzen kommen kann, das eine eigene Teildisziplin der
Wirtschaftswissenschaft rechtfertigt. In der Hauptsache wird die
Weltwirtschaftslehre doch auf die bisher sogenannte äußere Handels-
politik, und was damit zusammenhängt, hinauslaufen. Damit ist
natürlich nicht gesagt, daß nicht eine vermehrte Berücksichtigung
internationaler wirtschaftlicher Beziehungen und die Pflege solcher
Studien durch besondere Institute und Zeitschriften sehr er-
wünscht sei.
Damit können wir unsere methodologischen Betrachtungen
schließen. Man erkennt, wie alles von der Auffassung vom Wesen
der Wirtschaft, philosophisch ausgedrückt, von der Auffassung des
Identitätsprinzips abhängt. Sieht man in der überlieferten Weise
das Wesen der Wirtschaft in der „Sachgüterbeschaffung“, in der
Ueberwindung der „Abhängigkeit von den Gegenständen der äußeren
Natur“, so kann man Wirtschaft und Technik nicht unterscheiden
und wird dazu gezwungen, statt des Wirtschaftlichen, das dann „nicht
allgemein faßbar ist“, einen besonderen Begriff des Sozialöko-
nomischen zu konstruieren, wobei alles übrige Oekonomische
unter den Tisch fällt. Bei strengerer logischer Betrachtung erkennt
man dann — diese Erkenntnis ist heute erst in den Anfängen —
daß damit alle individualistischen Begriffe verschwinden müßten und
das hergebrachte Hauptproblem der Wirtschaftstheorie, die tausch-
wirtschaftlichen Erscheinungen auf „subjektive Wertschätzungen“
zurückzuführen, aufzugeben sei. Man erkennt — und diese Erkennt-
nis ist, trotzdem sie der Wirtschaftstheorie nichts nützt, ein Ver-
dienst Stolzmanns — daß ein sozialökonomisches Objekt nur als
Ueber Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. 249
Zweckbegriff möglich ist, daß man also einen besonderen sozial-
ökonomischen Zweck im Gegensatz zum Zweck der einzelnen Wirt-
schaft konstruieren müßte. Diese Konstruktion lag nahe, weil es
im Staate eine soziale Organisation mit eigenen Zwecken gibt,
die weitreichend auf das Wirtschaftsleben einwirkt, und da die Be-
trachtung dieses Einwirkens schon Gegenstand eines besonderen
Zweiges der Wirtschaftswissenschaft, der Volkswirtschafts-
politik, ist. Daher lag es nahe, die ganze Volkswirtschafts-
lehre überhaupt als eine teleologische, eine Zweckwissenschaft an-
zusehen.
Dem standen nun aber das überlieferte Erfahrungsobjekt, die
Hauptprobleme der Wirtschaftstheorie, z. B. das Preisproblem, ent-
gegen, deren Erklärung zweifellos nicht an den Staat und seine
Einwirkung gebunden ist. So suchte man den Tauschverkehr selbst,
die sogenannte Volkswirtschaft, als ein eigenes „soziales Zweckgebilde“
aufzufassen, und kam so zu immer künstlicheren Konstruktionen,
denen keine wirtschaftliche Realität zugrunde lag. Sie waren
nur deswegen möglich, weil man immer mehr vom Oekonomischen
absah und unter dem unklaren Begriffe „sozial“ alle möglichen gesell-
schaftlichen Probleme zu den wirklich wirtschaftlichen hinzuzog,
die man eben nicht wirtschaftlich erklären konnte. Stolzmann ist
der einzige gewesen, der auf dieser Grundlage wirtschaftliche Er-
scheinungen zu erklären versucht hat. Es ist aber klar, daß seine
Darstellung nicht in die Tiefe des tauschwirtschaftlichen Mecha-
nismus eindringen konnte, bei dem man nun einmal auf die Be-
rücksichtigung der individuellen Bestrebungen als Ursache alles
Tauschverkehrs nicht verzichten kann. Alle anderen Vertreter der
sozialen Betrachtungsweise, sofern sie sich überhaupt schon in posi-
tiven theoretischen Arbeiten versucht haben, denken garnicht daran,
die überlieferten individualistischen Begriffe und Probleme aufzu-
geben, und so wird die sozialökonomische Betrachtungsweise in der
Wirtschaftstheorie wohl allmählich verschwinden, indem man ihre
logischen Fehler einsehen wird. Die Gesellschaftslehre dagegen wird
bei weiterer Entwicklung vielleicht einiges von dem lösen können,
was man wegen falscher Anschauungen über das Wesen der Wirt-
schaft fälschlich von der Wirtschaftswissenschaft erwartete.
250 Miszellen.
Miszellen.
IV.
Die Wiederaufnahme des Hanfbaues in Deutschland.
Ein Beitrag zur Hebung der deutschen Innenwirtschaft
nach dem Kriege.
Von W. F. Bruck, Gießen.
Der gegenwärtige Krieg hat gezeigt, daß gerade die Faserstoffe
zu den unentbehrlichsten Rohstoffen der deutschen Wirtschaftsführung
gehören. Er hat den Stimmen recht gegeben, die schon in Friedens-
zeiten mahnten, daß sich Deutschland immer mehr von deren Bezuge
aus dem Auslande unabhängig machen müsse. Noch bis zur Mitte des
vergangenen Jahrhunderts deckten im Inlande erzeugte Textilien den
größten Teil des deutschen Bedarfes. Die Steigerung der Erzeugung
an kolonialen Fasern indessen — der Aufschwung der Verkehrsverhält-
nisse, der selbst den Produkten entlegenster Gebiete noch billigere
Marktpreise gestattete als jenen aus dem europäischen Inlande —
sowie weiter ein mangelnder Zollschutz hatten der Wettbewerbsfähig-
keit der einheimischen Fasererzeugnisse fast ganz ein Ende bereitet. Dies
gilt sowohl für Tier- wie Pflanzenfasern. Was die letzteren anbelangt, so
bezieht die deutsche Textilindustrie ihre Rohstoffe nur zu einem ver-
schwindenden Teil von Pflanzen, die in Deutschland selbst angebaut
werden. Hierbei handelt es sich bisher nur um ganz untergeordnete Mengen
an Flachs und noch geringere an Hanf. Die Gesamtheit der übrigen
Fasern kommt vom Auslande her, und zwar zu einem großen Teil aus
kolonialen Ländern, vorzüglich solchen in tropischen Klimaten. Unter
allen Textilrohstoffen der wichtigste, die Baumwolle, zeigt die erwähnte
Abhängigkeit vom Auslande am besten. Im Jahre 1913 wurden nicht
weniger als 477000 t im Werte von 587,3 Mill. M. in Deutschland
eingeführt, von denen 369400 t, das sind 77,3 Proz. der gesamten
Baumwolleinfuhr Deutschlands, den Vereinigten Staaten von Nordamerika
entstammten. Die übrigen Mengen wurden aus den unter britischer Ober-
hoheit stehenden Kolonialländern, Britisch-Indien und Aegypten, mit je
77500 t und 40 600 t bezogen. Von der deutschen Baumwolleinfuhr
bleiben dann nur noch 10000 t übrig, die aus anderen Kolonialländern
herstammen. Die bisherigen deutschen Kolonien (an der Spitze Deutsch-
Ostafrika) lieferten davon nur 3000 t, die jetzt zeitweilig verlorene
Kolonie Togo hiervon nur wenig über 580 t. So sehen wir bei der
Baumwolle eine vollkommene Abhängigkeit vom Auslande.
Miszellen. 251
Der nächst wichtigste Rohstoff der Textilindustrie ist die Tierwolle,
die ebenso wie Seide für den Gegenstand dieser Abhandlung weniger
Interesse hat. An roher Schafwolle führte Deutschland im Jahre 1913
199 300 t im Werte von 368,9 Mill. M. ein; die eigene Wollerzeugung
spielt gar keine Rolle mehr.
Es werden aber noch eine ganze Reihe anderer Rohstoffe einge-
führt, die neben ihrer relativ geringen Bedeutung für die Bekleidungs-
industrie, vorzüglich für die Sack- und Packstoff-, die Tauwerg-, Seiler-
waren-, Bindegarn- und Tapezierindustrien sowie einige andere, auf dem
deutschen Markt eine bedeutende Rolle spielen.
Es sind dies):
Mengen Wert
t Mill. M.
Flachs, roh und gereinigt, 71 204.3 60,9
Flachswerg 22 388,5 15,0
Hanf 45 698,1 35,2
Hanfwerg 15 998,6 9,8
Ramie und Ramieabfälle 2 396,4 2,3
Jute, Jutewerg 162 077,6 76,2
Manilahanf, -werg 3 993,1 2,1
Sisalhanf 3 609,3 1,9
Kapok 3 334,2 4,8
Sonstige Kolonialfasern und Abfälle 22 448,9 9,8
353 148,9 218,0
Wie diese Statistik zeigt, erreichte der Gesamtbedarf an derartigen
Fasern im Jahre 1913 353149 t im Werte von 218 Mill. M. Was
nun die vier erstgenannten Stoffe anlangt, so sind dieselben in erster
Linie Erzeugnisse europäischer Länder. Die größten Mengen von Flachs
und Flachswerg beziehen wir aus Rußland und Oesterreich-Ungarn,
während Hanf und Hanfwerg zum größten Teile aus Rußland und
Italien zu uns gelangen. Alle übrigen Faserstoffe beziehen wir aus
kolonialen Ländern, so die Ramie und die Ramieabfälle fast ausschließlich
aus dem südlichen China; Jute und Jutewerg nur aus Britisch-Indien.
Manilahanf weiter ist ein Produkt der Philippinen. Ebenso ist auch der
Sisalhanf ein rein tropisches Kolonialerzeugnis. Aus unserer eigenen
Kolonie Deutsch-Ostafrika führten wir im Jahre 1913 bereits 20 835 t
in einem Werte von 10,7 Mill. M. aus. Fast zwei Drittel an Kapok
wurden aus Niederländisch-Indien eingeführt. Von den am Schlusse ge-
nannten sonstigen kolonialen Faserstoffen stammt nahezu die Hälfte aus
Mexiko, es handelt sich hierbei zumeist um Produkte von Agaven, Aloe-
arten, Bromeliaceen, Yuccaceen u. a. (hauptsächlich für die Tapezier-
industrie). Die obigen Zahlen lassen unschwer erkennen, daß die einzel-
nen Rohstoffe ganz bestimmte Erzeugungsgebiete zur Herkunft haben,
aus denen sie Deutschland entweder ausschließlich oder doch zum
größten Teil beziehen muß. Man kann daher, ebenso wie bei der
Baumwolle, so auch von dem angeführten Fasermaterial von einer Mono-
polstellung ihrer Herkunftsländer reden. Und diese Herkunftsländer
1) „Unsere Kolonialwirtschaft in ihrer Bedeutung für Industrie, Handel und Land-
wirtschaft“. 3. Aufl., 1914, bearbeitet von Dr. Warnack. Kolonialwirtschaftliches
Komitee, S. 32 ff., 1914.
252 Miszellen.
stehen entweder unter der Herrschaft unserer derzeitigen Feinde oder
unfreundlich gesinnter Neutraler, von deren Zufuhren wir zudem völlig
abgeschlossen sind. Die Nachteile dieser weitgehenden Abhängigkeit
der verarbeitenden deutschen Industrien haben sich daher auch während
dieses Krieges sehr stark geltend gemacht. Aus den vorstehenden
Zahlen läßt sich auch leicht der Bedarf dieser Industrien entnehmen.
Eine Wiederausfuhr findet in größerem Umfange nur bei den Faser-
stoffen niehtkolonialen Ursprungs statt. Wenn wir nach diesem Ge-
sichtspunkt die beiden Gruppen trennen: nichtkoloniale Faserstoiie
(Flachs und Hanf) und koloniale (die Gesamtheit der übrigen), so er-
gibt sich für den Vergleich zwischen Ein- und Ausfuhr im Jahre 1913
das folgende Bild:
Nichtkoloniale Faserstoffe t Mill. M.
Einfuhr 155 289 120,9
Ausfuhr 19 853 30,5
Koloniale Faserstoffe
Einfuhr 197 860 97,1
Ausfuhr 12 598 6,7
Diese Zahlen haben schon in Friedenszeiten unser nationalwirt-
schaftliches Interesse darauf gelenkt, soweit angängig, Faserstoffe nicht-
europäischen Ursprungs, deren Verbrauch jenen von Flachs und Hanf
weit übersteigt, in unseren eigenen Schutzgebieten zu erzeugen. Jetzt
sind diese Fragen für uns noch viel prekärer geworden, wo uns die
Zufuhren vom Auslande abgeschnitten wurden und uns die Zukunft
unserer Kolonien noch verhüllt bleibt. Ein weiterer Gesichtspunkt, die
fehlenden Stoffe zu ergänzen, muß danach in einer Belebung unserer
Innenwirtschaft bestehen, worüber wir in dieser Abhandlung noch ein-
gehend reden werden. An dieser Stelle sei nur die Bemerkung voran-
gesetzt, daß andengenannten Stoffenbereits inFriedens-
zeiten eine sehr große Knappheit bestanden hat.
Die Baumwolle wird uns in dieser Abhandlung nur gelegentlich
beschäftigen. Wir werden vielmehr jene in der obigen Statistik an-
geführten Faserstoffe mehr in Betracht ziehen. Ihnen und ihrem Er-
satz soll diese Abhandlung gewidmet sein. Ein kurzer Ueberblick über
die Lage des Rohstoffmarktes und die Weltproduktion an Rohfasern
bei Ausbruch des Krieges ist hier am Platze.
Im Handel mit Fasern macht man gewöhnlich eine ziemlich rohe
Unterscheidung zwischen Hanfen und sogenannten Fibers. Die ersteren
sind die erwähnten europäischen Hüänfe der Cannabispflanze; unter
ihnen sind besonders der italienische Hanf, der russische Hanf, der
ungarische Hanf und einige andere „echte“ Hanfe mit geringen Produk-
tionsmengen aus verschiedenen anderen Ländern zu nennen. Die Fibers
sind durchweg tropische Fasern, und zwar handelt es sich um solche
von Bananen, wie der Manilahanf, solche von Agaven (Sisalhanf) und
Bromeliaceen, Nesseln und anderen Gewächsen. Dazu gesellen sich noch
die Nebenprodukte einiger anderen tropischen Kulturpflanzen, wie bei-
spielweise die Faser der Kokospalme (Coir). Eine Stellung für sich
hat von jeher die Jute, die Stengelfaser zweier Corochorusarten, einge-
nommen.
Miszellen. 253
An anderer Stelle habe ich die Weltmarktlage in Fibers und Hanfen
kurz gekennzeichnet !). Ich zeigte, daß es in den letzten Jahren eine
Weltproduktion an Hartfasern von ungefähr 350 000 t gab, die sich un-
gefähr folgendermaßen verteilte :
Zunächst ist des Manilahanfes zu gedenken, von dem bereits bis
über 180 000 t in einem der letzten Jahre exportiert worden sind. An
zweiter Stelle muß der mexikanische Sisal genannt werden, dessen
Exportmengen auch schon 150 000 t überschritten haben, von dem im
Durchschnitt der letzten Jahre jedenfalls immer über 100000 t auf
den Markt kamen. Der Rest der erwähnten Gesamtproduktion ver-
teilte sich dann auf den Anbau verschiedener Agaven in Mittelamerika
und Westindien und den afrikanischen Besitzungen, darunter seit einigen
Jahren auch Deutsch-Ostafrika. Erwähnenswerte Produktionen lietern
noch der Mauritiushanf von der Fourcroya, der Neuseelandflachs von
Phormium tenax (rund 20000 t in den letzten Jahren), verschiedene
indische Faserstoffe in wechselnden Mengen zwischen 20000 und
30000 t und schließlich noch einige andere F'aserstoffe, wie die von
der Ananas und anderen Bromeliaceen; ferner sind Ramie, Kokos usw.
zu nennen, die ähnlichen Zwecken dienen. Zu diesen Fibers treten
dann die bereits kurz angeführten echten Hänfe, deren Hauptproduk-
tionsland, Rußland, noch besonders große Mengen liefert?). Italien pro-
duzierte im Durchschnitt der letzten Jahre rund 80—100 000 t. Außer-
dem sind noch Oesterreich-Ungarn, einzelne Balkanstaaten, wie Bulgarien,
Serbien, Rumänien, ferner Schweden und in geringem Maße noch Frank-
reich zu erwähnen. Unbedeutende Mengen liefert die asiatische Türkei,
und auch in Nordamerika, besonders in Kentucky und Wisconsin,
scheint sich der Cannabisanbau ein wenig zu heben. Dienen die bisher
genannten Fasern den verschiedensten Zwecken, die wir noch näher
kennzeichnen werden, und spielen die aus ihnen hergestellten Gewebe
nur eine geringe Rolle, so wird gerade die Jute als wichtigster Sack-
und Packstoff der Welt gebraucht. Die anderen Fasern, die uns in
dieser Abhandlung beschäftigen, finden nämlich ihre hauptsächliche Ver-
wendung als Seile für die verschiedensten Gebrauchszwecke, weiter als
Bindfaden und alle möglichen Geflechte und ferner als Schiffstauwerk-
material. Aus den Abfällen aller kann dann noch Papier hergestellt
werden.
Als qualitativ bestes Material haben sich seit Jahrhunderten der
Flachs (Leinpflanze, Linum usitatissimum) und die echten Cannabis-
hanfe behauptet. Seit ihrem Rückgang im europäischen Landbau sind
dann die angeführten tropischen Fasern immer mehr als Ersatzstoffe
hinzugetreten.
Diese Betrachtungen führen uns dazu, auf die historische Entwick-
lung des Rohfasermarktes und seine gegenwärtige Lage näher einzu-
gehen.
1) Bruck, „Der Faserbau in Holländisch-Indien und auf den Philippinen, Bei-
hefte (5, 6) zum „Tropenpflanzer“, 1912, und in „Die Sisalkultur in Deutsch-Ostafrika“
(„Arbeiten der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft“, Heft 244), 1913, S. 5 ff.
2) Zuverlässige Zahlen über die russischen Produktionsmengen sind nicht zu er-
halten,
254 Miszellen.
Flachsbau und Hanfbau standen früher allgemein in den Ländern
Mitteleuropas in hoher Blüte. Die folgenden Zahlen kennzeichnen die
Abnahme im Ausbau dieser Gewächse:
Im Jahre 1878 betrug in Deutschland die Anbaufläche an Hanf
immerhin noch 21181 ha; sie fiel dann 1883 auf 15 255, 1893 auf
7921, 1900 auf 3583 ha, und in dem Jahre vor Ausbruch des Krieges
kamen keine 100 t Hanf mehr auf den Markt. Ebenso beträchtlich ist
der Rückgang im Flachsbau gewesen: 1878: 133 890, 1883: 108 297,
1893: 60 956 und 1900: nur noch 33 663 ha. Ebenso erging es auch
Frankreich, wo die Hanfbaufläche 1840 noch 176 000 ha betrug, während
sie vor dem Kriege nicht mehr den fünfzehnten Teil davon ausmacht.
Das Zurückgehen der Erzeugung in jenen alten landwirtschaftlichen
Zweigen hatte in der billigeren Erzeugung der tropischen Stoffe in
erster Linie seine Ursache. Diesem Umstande hat das Erzeugnis der
indischen Jutepflanze das Verdrängen aller anderen Faserstoffe in seiner
Eigenschaft als Pack- und Sackstoff zu verdanken. Handelte es sich
bei ihm, wenn auch um einen nicht sonderlich haltbaren, aber doch so
billig — vor allen Dingen der Arbeitskräfte wegen — hergestellten
Stoff, daß mit ihm europäische Erzeugnisse unmöglich in den Wett-
bewerb treten konnten. Spielte ja doch die Arbeiterfrage in dem über-
völkerten bengalischen Erzeugungslande niemals eine Rolle. Wir werden
noch auf die Jute an anderer Stelle näher eingehen.
Aehnlich erging es den alten Flächsen und Hänfen in ihrer Be-
deutung als Rohstoffe der Seilerei-, Tauwerk- und Bindfadenindustrie,
— sie hielten sich nur noch in bestimmten Ländern (s. o. Italien, Ruß-
land, ferner Flachs noch in Belgien). Wie bei Jute nahmen die viel
billiger mit eingeborenen Arbeitskräften in den Tropen erzeugten Roh-
stoffe an Bedeutung zu. Vor allem war es der Manilahanf, von der
Banane Musa textilis herstammend, der das beste Schiffstaumaterial
der Welt aus tropischen Faserstoffen lieferte. Merkwürdigerweise ist
es auch in keinem anderen Lande außer dem Erzeugungslande, den
Philippinen, gelungen, diese Faser in nennenswerten Mengen heranzu-
ziehen. Für ähnliche Zwecke bürgerte sich dann später der Sisalhanf,
das Produkt von Agaven, mehr und mehr ein. Immerhin scheint dieses
besonders günstige Aussichten für die Zukunft zu haben. Aehnlich
haben sich auch die übrigen kolonialen Fasern im Laufe des letzten
Jahrhunderts auf dem europäischen und nordamerikanischen Rohfaser-
markte weiter eingeführt.
Hätten damals, als der geschilderte Verdrängungsprozeß begann,
die am Faserbau beteiligten Regierungen in Deutschland die einst so
blühende Industrie durch Zölle genügend geschützt, so hätte sich Flachs-
und Hanfbau auch bei uns unschwer ruhig weiter fortsetzen lassen.
Gewiß wären auch die damals noch sehr rückständigen Methoden‘ der
Faseraufbereitung im Laufe der Zeit verbessert und damit die Ge-
stehungskosten herabgesetzt worden. Flachs und Hanf sind Weich-
fasern (wie auch die Jute, die ein viel minderwertigeres Produkt dar-
stellt), während ihre überseeischen Konkurrenzfasern Hartfasern
sind, die eigentlich immer nur unvollkommen die Aufgaben der Weich-
Miszellen. 955
fasern ersetzten. Sicher hätten die Weichfasern unter günstigeren Um-
ständen in Deutschland, zum mindesten für bestimmte Zwecke, ihre ehe-
malige Stellung behaupten können, genau wie noch heute der italienische
und russische Hanf und der belgische Flachs. In Preußen war es ins-
besondere während der Aera Delbrück in den 60er Jahren, als man
vollkommen in das Fahrwasser des Freihandels einlenkte, wodurch die
beiden alten Industrien, die zudem auch für Winter- und Heimarbeit in
der Landwirtschaft von größter Bedeutung hätten sein können, eingehen
mußten. Schon vor Ausbruch des Krieges ist aber in der
Bedarfsdeckung auf dem Fasermarkte ein Umschwung
in den Verhältnissen eingetreten.
Betrachten wir zunächst die Jute. Der Weltbedarf ist gewaltig
gestiegen. Mit der großen Vermehrung aller möglichen Güter der Land-
wirtschaft und der Industrie ging auch ein vermehrter Bedarf an Ver-
packungsmaterial, insbesondere Säcken einher. Aber Jute dient auch
noch verschiedenen anderen Zwecken (Matratzen, andere Tapezierer-
zwecke, Teppiche, Linoleum) mit steigendem Bedarf. Kurz vor Aus-
bruch des Krieges hat einer unserer ersten deutschen Jutespinner,
Max Bahr aus Landsberg a.;W., eine vorzügliche Schilderung der
Lage des Jutemarktes gegeben !), die uns als Grundlage unserer Aus-
führungen über diesen Rohstoff dienen soll. Im Jahre 1828 wurden als
erste Ausfuhr 264 englische Zentner aus Indien verzeichnet. Jetzt ist
Jute mit rund 10 Mill. Ballen à 400 Lbs nächst der Baumwolle als
bedeutendste Spinnfaser der Welt anzusehen. Nach Bahr sind in der
Industrie (Gebäude, Maschinen, Vorräte) ungefähr eine Milliarde Mark
an Kapital investiert. Die Arbeiterzahl beträgt 400 000— 500 000 Köpfe.
Die Bedeutung der Pflanze läßt sich weiter daran ermessen, daß die
Seeverfrachtung an Rohstoff und Geweben auf 1!/, bis 2 Mill. t ge-
schätzt wird, was je nach der Preislage einem Geldumsatz von 1!/, bis
2 Milliarden M. entspricht. Wie wir weiter oben bereits ausgeführt
haben, ist der Anbau das ausschließliche Monopol Indiens oder, genauer
gesagt, der Provinz Bengalen und ihrer Nachbargebiete. Besonders
charakteristisch für den Anbau und Verbrauch ist die Preiskurve, die
Schwankungen zeigt, wie sie kaum bei irgendeinem anderen Welt-
handelsartikel vorkommen. Bahr gibt darüber an, daß bis 1904 am
Londoner Markt der Preis für die Standardmarke (Schwarz M) zwischen
10—15 £ geschwankt habe. Eine Ausnahme bilde nur die Ernte des
Jahres 1891, welche infolge eines Ertrages von kaum 60 Proz. der Vor-
jahre den Preis auf 22 £ heraufschnellen ließ, um aber nach einem
halben Jahr wieder auf 91/), £ zurückzugehen. Der Durchschnitts-
preis der 35 Jahre 1870—1904 belief sich auf nahezu 12!/, £. In
dieser Zeit sind daher sehr wechselnde Erntebeträge zu verzeichnen
gewesen: 1882 kamen 2,4 Mill. Ballen zur Ausfuhr, im folgenden Jahr
nur 1,5 Mill. Der niedrigste Preis in den erwähnten Zeiträumen be-
trug ungefähr 12, der höchste ungefähr 16 £. Die Gesamtversorgung
des Weltmarktes hatte immer ausreichende Reserven geschaffen, die mit
1) M. Bahr, „Die Jutenot‘“, Landsberg a./|W. 1914,
256 Miszellen.
Leichtigkeit über ein schlechtes Jahr hinweghalfen. Die Verhältnisse
haben sich aber seit 1890 infolge des steigenden Weltverkehrs, Pro-
duktionssteigerungen jeder Art und Bedarf an Sack- und Packstoffen
durchaus geändert. Selbst die Reserven der Lagerhäuser in London,
Dundee, Hamburg u. a. und der Spinnereien wurden mit der Zeit auf-
gebraucht. „Während in den Monaten Februar/März in den 90er Jahren
sichtbare Vorräte von 600 000—700 000 Ballen die Regel bildeten
(1898 waren am 1. März 980 000 Ballen verzeichnet), weisen die ietzten
Jahre nur noch 200 000—300 000 Ballen auf, und ein glänzendes Welt-
geschäft der Jahre 1905/1906 zeigt plötzlich völlige Erschöpfung der
Vorräte und läßt die Preise auf 20 und 28 £ emporschnellen. 1906
bringt die größte bisheringe Ernte über 9 Mill. Ballen, trotzdem bleiben
die Preise hoch. Erst die Ernte 1907, welche bei fast 4 Mill. Acres
Anbau sicher mehr als 12 Mill. Ballen brachte und mit einer ungün-
stigen Weltkonjunktur zusammentraf, ließ die Preise auf etwa 13 £
zurückgehen, obwohl Indien nur etwa 9!/, Mill. an den Markt brachte
und mit dem Rest die schwachen Ernten 1908, 1909 und 1910 ver-
stärkte.“ (Bahr, S. 2.) Die Annahme, daß die enormen Preise des
Jahres 1906 (25—28 £) sich nicht wiederholen würden, beruhte auf einem
Irrtum. 1909 und 1910 hatten niedrige Preise bei kleinen Ernten, das
Jahr 1911 zeigte trotz einer großen Ernte von 9!), Mill. Ballen einen
raschen Anstieg bis 26 £, wenn der Preis auch schon wieder auf 18 £
zurückging. Von 1912—1913 und 1914 erfolgte dann ein starkes
Steigen bis zu der noch nicht dagewesenen Höhe von 35 £, und dabei
betrug die Ernte 1912 10 und jene von 1913 etwa 9%, Mill. Ballen!
Die Preishöhe hatte einen großen Einfluß auf alle Verbraucher, die
ihren Konsum sofort auf das aller äußerste einschränkten. Nach Bahr
schränkte sich die indische Industrie auf 5 Wochentage ein. Die In-
dustrie von Dundee stellte mehr und mehr Spindeln still, während der
deutsche Juteverband eine Einschränkung von 20 Proz. beschloß. In
diesem Zusammenhang erwägt Bahr in seiner Schrift die Frage, ob
es sich bei der ungenügenden Juteversorgung nur um eine vorüber-
gehende Erscheinung oder um das Ergebnis eines länger bestehenden
und voraussichtlich länger andauernden Mißverhältnisses zwischen Er-
zeugung und Verbrauch handle Die Einwände, daß die Ernte 1913
bei gutem Wetter den Weltbedarf entschieden gedeckt hätte, und daß
die Steigerung des Juteanbaues in Indien mit dem Steigen des Ver-
brauches Schritt halte, so daß zu einem intensiven Eingreifen in den
Entwicklungsgang gar kein Anlaß vorliege, will Bahr nicht gelten
lassen. Er führt vielmehr aus: Es müsse darauf hingewiesen werden,
daß der Verbrauch von Jute für die 5-jährigen Ernteperioden von
1872/76—1907/11 die folgenden Steigerungen gegen die jedesmalige Vor-
periode aufweisen: 16, 24, 24, 17, 19, 22, 21, im Durchschnitt 20,4 Proz.
oder 4 Proz. pro Jahr. Während der Verbrauch an Jute von dem An-
fangsjahr 1872 mit etwa 2,2 Mill. Ballen bis zum Endjahr 1911 auf
9,5 Mill., also auf 435 Proz. gestiegen war, hatten sich in denselben
Zeiträumen die Anbauflächen von 926 000 Acres nur auf 3 106 000, auf
nur 335 Proz., also 100 Proz. weniger, vermehrt. Nun ist allerdings
Miszellen. 257
zu berücksichtigen, daß der Ertrag für einen Acre vielleicht 10—15 Proz.
höher sein mag als 1872, aber diese Tatsache macht das Zurückbleiben
des Anbaues um 100 Proz. doch nicht wett. Die obenerwähnte Steige-
rung des Jutekonsums wird durch das Wachsen der Industrie bedingt
und verbürgt, worüber Bahr einige interessante geschichtliche Angaben
liefert. Danach entwickelte sich eine Juteindustrie außerhalb Indiens
zunächst in Dundee. Weitere Zentren kamen nach und nach in Deutsch-
land, Frankreich, Oesterreich, Belgien, Holland, Italien, Rußland und
Amerika auf. Die Ausfuhrzahlen aus Indien lassen die im Auslande
benötigten Bedarfsmengen erkennen, und zwar stieg der Export in dem
erwähnten Zeitraum von etwa 1,7 Mill. Ballen auf 4,6 Mill. im Jahre
1911. Dabei ist zu befnerken, daß diese gesamte Ausfuhr voll ver-
braucht ist. Aber auch im Produktionslande selbst hat sich die In-
dustrie immer weiter entwickelt. Während die Webstuhlzahl im Jahre
1872 ungefähr 3000 betrug, stieg sie 1877 auf 4763, 1890 auf 7964,
1900 auf 14 278, 1910 auf 31 755. Danach ist die Verbrauchssteigerung
des Auslandes auf etwa 270 Proz. gestiegen, während die indische
Industrie um mehr als 1000 Proz. anwuchs! Bahr sagt: „Es kann
hiernach kein Zweifel sein, daß der Verbrauch von Rohjute von
1872—1911 erheblich stärker gewachsen ist als Anbau und Erzeugung.“
Aber die Erhöhung der Stuhlzahl schreitet noch immer weiter vorwärts,
zu Beginn des Jahres 1914 ist sie bereits auf 39 820 gestiegen; danach
würde Indien heute bei normalem Betrieb rund 5 Mill. Ballen Jute
für seine eigene Industrie verbrauchen. Trotzdem die politischen Ver-
hältnisse in den letzten drei Jahren (vor Ausbruch des Krieges) den
allgemeinen Weltverkehr stark niedergedrückt haben, und trotzdem es
in den Jahren 1911 und 1912 zwei gute Ernten gab, sind alle Ueber-
schüsse verbraucht worden. Nach dieser Schilderung sieht die Zukunft
der Juteindustrie iu der Tat bedenklich aus. Liegen doch die Ver-
hältnisse so, daß „seit 1905 (3181000 Acres) eineSteigerung
der Anbauflächen nicht mehr stattgefunden hat“. Alle
Gründe, die man für die hohen Preise angegeben hat, wie Folgen der
Verbrauchseinschränkung auf Grund fehlender Ernteschätzung, ferner die
überaus lebhafte Spekulation, speziell in Kalkutta, sind nicht stichhaltig
genug, um das gekennzeichnete Mißverhältnis zwischen Produktion und
Konsum zu erklären. Bahr sagt hierzu sehr richtig, daß die wirt-
schaftliche Geschäftslage der Jute die wilde Spekulation geradezu
herausfordere. In Zeiten genügender Rohstoffreserven waren noch die
Preisschwankungen erträglich, Differenzen des niedrigsten und höchsten
Monatsdurchschnittes des Londonpreises gingen über 3—4 £ im Ernte-
jahr selten hinaus. In der Zeit von 1882—1890 erreichten sie meist
kaum 2 £, obwohl die Ausfuhrzahlen (in 1000 Ballen), 2384, 1297,
1848, 1732, 1888, 2073, 2424, 3547, 2788, erhebliche Schwankungen
zeigen. Die Ernte 1891 brachte die erste gefährliche Konjunktur. Bei
einer Ausfuhr von nur | 717 000 Ballen (auf 2 788000 folgend) steigt der
Preis von 13 £ im August auf 20!/, £ im Januar, auf 21'/, £ im Fe-
bruar und stürzt bis Juli auf 11! £! Die darauffolgenden Jahre
1892—1903 können wieder mit etwa 16 £ Höchstpreis und 9 £ nied-
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 17
258 Miszellen.
rigstem Preis als durchaus ruhige Jahre bezeichnet werden. 1904 ist
aber wieder ein Erntejahr mit lebhaft springender Preiskurve. Es er-
öffnet mit einer mäßigen Frnte bei gutem Weltgeschäft die gefährlichen
Preisschwankungen: Von 13 £ im September steigt der Preis auf 18 £
im Januar und auf 20 £ im Juli. Darauf ergibt sich in den nächsten
Jahren das folgende Bild nach Bahr (a. a. O. S. 8): „Die Ernte
1904 steigt von 13 £ September auf 18 £ Januar, 20 £ Juli,
1905 beginnt mit 18!/, £ August, steht April 20 £, Juli 271), £,
1906 beginnt mit 28 £, steht April 25 £ und endet Juli mit 18 £,
1907 beginnt mit 18, sinkt bis 13, endet mit 16 £,
1908 beginnt mit 17!/, und sinkt langsam auf 121/, und 13 £,
1909 bewegt sich zwischen 15 und 13 £,"
1910 beginnt mit 14 £, steht im Januar auf 20, Mai 26, Juli 21!/, £,
1911 beginnt mit 18!/, £, steht März 24!/,, endet mit 20!/, £,
1912 beginnt mit 24 £, steigt langsam und stetig auf 29 £,
1913 beginnt mit 30 £, steigt schnell auf 34—35 £, hält sich auf
31—34 £ und endet mit 31 £.
Wenn man bedenkt, daß die größeren Spinnereien Deutschlands
etwa 1000 t Jute im Monat verbrauchen, und daß 2 £ also 40000M.
für den Monatsbedarf — 480000 M. für das Jahr ausmachen,
daß die Differenz des Jahrespreises von 5 £ = 1200000 M., 10 £
= 2400000 M,,
der Jahresdurchschnitt von 1913 volle 20 £ = 4800000 M. mehr
beträgt als der 35-jährige Durchschnitt von 1870— 1894 für
eine einzelne Spinnerei!!, daß wir folgende große Preissprünge
erfuhren mit folgender Wirkung für einen Monatsbedarf solcher Spin-
nerei (in Klammern):
1905 plus 8 £ in 1 Monat (80000 M.), abermals minus 4 £ in
3 Wochen (80000 M.),
1907 plus 3!/⁄ £ in 2 Monaten (70000 M.), minus 7 £ in 3 Mo-
naten (140000 M.),
1910 plus 4!/, £ in 1 Monat (90000 M.), dann langsam weiter
4'/, £ in 6 Monaten und daran schließend plus 5 £ in
2 Monaten (100000 M.), dem sofort
1911 ein Fall von 8!/, £ (170000 M.) in 2 Monaten folgt, daß
1912 langsam von 20 auf 29 £ (180000 M.),
1913 in 1!/, Monaten vou 29 auf 34 £ (100000 M.) steigt,
dann wird wohl jeder zugestehen, daß hier eine Gefahr liegt, welche
auch vorsichtigen Leuten verhängnisvoll werden kann, und daß so ex-
orbitante Preissteigerungen den Verbrauch einschränken und Substitute
hervorrufen müssen.“
Die Zahlen, die hier ein erster Fachmann gibt, reden eine beredte
Sprache, wie es mit dem Jutemarkt aussieht, und diese Erschei-
nung des Rohstoffmangels zeigtesich schon in Friedens-
zeiten! Eine der wichtigsten Aufgaben ist es daher, an einen zweck-
mäßigen Ersatz zu denken. Tropische Fasern sind nicht billiger als Jute.
Inwieweit andere Weichfasern als Ersatz in Betracht kommen, wollen
wir später zeigen. Man hat ferner versucht, aus Zellstoff und Papier
Miszellen. 259
Garne herzustellen (Textilose u. a.), die für bestimmte Zwecke in Zu-
kunft gewiß als brauchbarer Ersatz für Säcke in Frage kommen können.
Ferner hat man damit begonnen, auch Roggenstroh als Garnlieferer
zu verwenden. Aber alle diese Ersatzstoffe stehen erst im Anfang,
wenn ihre Einführung in den Markt auch gerade durch diesen Krieg
eine besondere Belebung erfahren hat. — Auch Baumwolle ist als Er-
satz verwendet worden, oder wenigstens mit Jute zusammen verarbeitet
worden. Aber auch sie ist kein geeigneter Ersatz, besteht doch für
Baumwolle dieselbe Rohstoffknappheit wie für Jute. Vielleicht hilft
unser später dargelegter Vorschlag; zur Lösung der hier schwebenden
Fragen beizutragen.
Aber auch in der Versorgung des Weltmarktes durch die anderen
tropischen Faserstoffe ist ein großer Umschwung in den letzten Jahren
vor Kriegsausbruch eingetreten. Durch die gewaltige Steigerung an
Fahrzeugen der Handels- und Kriegsmarinen hob sich der Bedarf an
Tauwerk und Seilen jeder Art zusehends. Ein weiterer Zweig trat durch
die Industrie hinzu, welche Bindegarne, insbesonders für Mähmaschinen,
verarbeitet. Die Riesengetreideernten, vornehmlich seit der Erschließung
des amerikanischen Westens, haben wesentlich dazu beigetragen. So
wurden in den letzten Jahren jährlich rund 120000—150000 Tonnen
an Bindegarnen von der nordamerikanischen Landwirtschaft benötigt.
Ebenso trat ein vermehrter Bedarf an Transmissionsseilen aus Faser-
stoffen ein. Ueberall begegnen wir der Erscheinung, daß die Rohfaser-
erzeugung mit dem Rohfaserverbrauch nicht mehr gleichen Schritt ge-
halten hat, und bei diesem Mangel an Stoffen begegnen wir sogar noch,
wie vorher schon bei der Jute gezeigt, einem Rückgang im An-
bau! Das gilt iusbesondere auch für den wichtigen Manilahanf. Im
Fiskaljahr 1906/07 betrug die Ausfuhr an diesem Faserstoff aus den
Philippinen noch 61,70 Proz. der Gesamtproduktion der Inseln, 1910/11
war sie bereits auf 40,7 Proz. gesunken, und 1911/12 ist sie auf
32,36 Proz. herabgegangen, und jetzt ist sie noch weiter im Sinken be-
griffen. Aber nicht nur, daß das Philippinenprodukt in geringeren
Mengen als vor 5 Jahren auf den Markt kommt, ist auch mit der
Qualität der Faser eine große Wandlung vorgegangen. Die früheren
besseren Qualitäten sind fast ganz verschwunden. Es ist eine allgemeine
Erscheinung auf den Inseln, daß die Philippinos auf die Faserzubereitung,
die mit ganz primitiven Apparaten vorgenommen wird, nicht mehr die
Mühe verwenden wie in spanischer Zeit. Auch sind trotz verschiedent-
licher Versuche größere Maschinen, die in zweckmäßiger Weise die
Fasern aus den Blattschäften in großen Massen gewinnen könnten, ohne
zugleich der Güte des Rohstoffes Abbruch zu tun, nicht vorhanden. Ich
habe hierüber meine eigenen Erfahrungen auf den Inseln an anderem
Orte niedergelegt 1).
Von dem Sisalhanf, von dem wir bisher in Deutsch - Ostafrika das
bei weitem beste Qualitätserzeugnis lieferten, ist auch zu bemerken, daß
1) Bruck, In „Beihefte zum Tropenpflanzer“, 1912, S. 161—185, und in
„Preußische Jahrbücher‘, Bd. 148, 1912, 8. 264.
17*
260 Miszellen.
die angebrachten Mengen kaum zur Bedarfsdeckung ausreichen werden.
Immer muß bedacht werden, daß mit Ausnahme von Indien allenthalben
in Kolonialländern die Arbeiterfrage das größte Problem ist. Sie lähmt
die Erzeugung größerer Mengen, während sie zugleich die Gestehungs-
kosten verteuert. Wie bei der Jute, können wir auch bei diesen Fasern
erkennen, daß die Höhe ihrer Preise in einem Mißverhältnis zu jenen
der echten Hanfe steht, da die letzteren ein viel dauerhafteres, für
mehrmaligen Gebrauch geeignetes Material im Gegensatz zu den tro-
pischen Stoffen liefern.
Auch untergeordnete tropische Rohstoffe, wie der Neuseelandflachs
und indische Fasern (Sunhanf von der Crotalaria juncea und Hibiscus
cannabinus), entwickeln sich auch nicht in wünschenswerter Weise. Trotz
eifrigster Bemühungen der englischen Kolonialregierungen, Produktion
und Aufbereitungsmethoden zu heben, sind die Erfolge gering.
Wir kommen jetzt zu den in Europa erzeugten echten Hanfen, von
denen wir erwähnten, daß sie in Italien und Rußland noch in großen
Mengen angebaut werden. Italien liefert das feinste Hanferzeugnis der
Welt. Dort hat sich auch die Produktion in den letzten Jahren etwas
gesteigert, da sich der Hanf gut bezahlt machte. Es gab aber auch
dort schon Jahre, in denen man den Anbau wesentlich einschränkte
und statt Hanf besser bezahlte Feldfrüchte, wie Zuckerrüben, anbaute.
Auch spielt die Arbeiterfrage gerade in den italienischen Hanfbauzentren
eine besondere Rolle. Man ist dort schon dazu übergegangen, den
Arbeitern an Stelle von Lohn Anteil am Erntegewinn nach bestimmten
Regeln zu gewähren. In einer Abhandlung „Studien über den Hanfbau
in Italien“, in „Der Tropenpflanzer“, 1911, habe ich die einschlägigen
Verhältnisse über diesen Gegenstand dargestellt. Er ist im vorigen
Jahr von einem englischen Hanfimporteur Alfred Wiggelsworth!)
in London neuerdings wieder behandelt worden. Dieser Autor sucht in
seiner Schrift ganz besonders die italienischen Hanfbauproduzenten zu
einem weit stärkeren Anbau anzuregen. Es ist fraglich, wie sich nach
Beendigung des Krieges der Hanfimport nach Deutschland stellen wird.
Ebenso unklar liegen die Verhältnisse bezüglich des russischen Hanfes.
Vor dem Kriege hatte der allgemeine Aufschwung des russischen Wirt-
schaftslebens auch einen größeren Bedarf an Hanfstoffen, vor allem in
der Bindegarnindustrie, hervorgerufen. Ein Steigen des russischen Eigen-
bedarfes war deutlich sichtbar, er hätte leicht zu einem Sinken der
Exportziffern führen können. Wohin wir auch bei der Versorgung des
Fasermarktes mit Rohstoff blicken, überall begegnet uns Knappheit an
Material: Gelegentlicher Mehranbau in den einzelnen Erzeugungsländern
kann an diesem Gesamtresultat auch nichts ändern. Eins leuchtet je-
doch ein: Diein Kolonialländern erzeugten Rohstoffe sind
nicht mehr als billige Stoffe zu bezeichnen; im Gegen-
teil, das Preismißverhältnis zu den haltbareren euro-
päischen Rohstoffen ist ein durchaus ungesundes. Die
nachfolgenden Zahlen aus der deutschen Reichsstatistik zeigen, wie
1) The Growth and Preparation of Italian Hemp, London 1914.
Miszellen. 261
gewaltig bei einzelnen Importprodukten für 100 kg die Preise ge-
stiegen sind:
1892 1897 1902 1907 1912 1913 1914
in Mark
Wolle (mittel) 272,0 220,0 255,8 350,0 344,2 369,6 446,3
Baumwolle (midd-
ling upland) 90,4 75,2 91,0 121,5 120,2 129,0 131,1
Leinengarn N 30 — — 195,0 295,0 252,0 255,0 200,0
Hanf 459 545 67,3 69,5 87,5 88,5 94,4
Für Jute führten wir bereits die enormen Preissteigerungen besonders an.
Lassen unsere Darlegungen schon die Rohstoffknappheit in Friedens-
zeiten erkennen, so erwecken sie auch für die Zukunft nach dem Kriege
die Besorgnis, daß bei einer steigenden Verbrauchsentwicklung in Deutsch-
land nicht genügendes Rohstoffmaterial vorhanden sein wird. Gerade
in diesem Kriege mußte sich die Abhängigkeit Deutschlands von aus-
ländischen Faserstoffen sehr stark geltend machen. Immerhin ist es
gelungen, durch alle möglichen Streckungsmaßnahmen den Anforderungen
der Industrie für das Heer und den Zivilbedarf gerecht zu werden.
Auf Grund der Kenntnis der geschilderten Verhältnisse veröffent-
lichte ich im September 1914, im zweiten Kriegsmonat, eine von der
Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft herausgegebene Arbeit: „Jute-
ersatz und Hanfbau. Ein Beitrag zur Organisation unseres inneren
Wirtschaftsmarktes während des Krieges, zugleich ein Vorschlag für
Deutschlands Landwirtschaft und Textilfaserindustrie.“ In dieser
Abhandlung machte ich den Vorschlag, den Hanfbau in
Deutschland in größerem Stile wieder aufzunehmen. Die
Einleitung meiner Abhandlung (S. 5) schloß mit den Worten: „Den
Wünschen des Verfassers würde es entsprechen, wenn im Anschluß an
die von ihm gegebene Anregung die Interessenten der Faser- und Jute-
industrie sich mit den Kreisen der Landwirtschaft, insbesondere den
Interessenten der Zuckerindustrie in Verbindung setzen würden, um der
praktischen Ausführung des behandelten Projektes näherzutreten.“ Es
gelang mir auch später, unter regster Unterstützung eines führenden
Landwirts, des Herrn Dr. Paul Hillmann, Geschäftsführers in der
Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft, und des um Deutschlands Faser-
industrie in jeder Beziehung hochverdienten Herrn Max Bahr in
Landsberg a. W., dahin zu wirken, daß dieser Vorschlag alsbald
in die Tat umgesetzt wurde. Vor dem Verbande der Leinen-
industriellen hielt ich Anfang Dezember 1915 einen Vortrag in Berlin
über meinen Vorschlag, der noch von landwirtschaftlicher Seite, Herrn
Dr. Augstin, ergänzt wurde, und am selben Tage wurde daraufhin
der Hanfbauausschuß des Verbandes der Deutschen Hanf-
industriellen gegründet, der die planmäßige Einführung des Hanf-
baues in Deutschland sofort energisch in die Hand nahm (und ganz
besonders Dank der Tatkraft des zum Vorsitzenden gewählten Max
Bahr), so daß wir jetzt schon imstande sind, über die Erfah-
rungen des ersten Jahres zu berichten. Der Hanfbau hat, wie hier
schon vorweggenommen werden soll, so günstige Resultate gezeitigt,
daß er für die Zukunft vielversprechend geworden ist. Ich will im
262 Miszellen.
einzelnen auf die Vorteile, die für die Einführung dieses Zweiges mit-
sprechen, und die erwähnten Erfahrungen und Zukunftsaussichten in
dieser Abhandlung eingehen.
Vor der Veröffentlichung meiner erwähnten Arbeit hatte ich mit
den maßgebenden Stellen der Hanf- und Jutespinnerei Fühlung genommen
und eine Umfrage veranstaltet, ob und inwieweit in Deutschland er-
bauter Hanf für die Bedarfsdeckung an Hanf und den Ersatz an Jute
in Frage käme. Die Antworten waren zum Teil sehr skeptisch, andere
ermutigten jedoch, mit der Wiederaufnahme des Anbaues in Deutschland
zu beginnen. Für die Verbraucher selbst war ein Punkt von besonderer
Wichtigkeit: Die bessere Haltbarkeit und Dauerhaftigkeit der euro-
päischen Ware wiegt den Vorteil der Billigkeit des Kolonialprodukts
reichlich auf. Ist ja wohl beispielsweise ein aus Jute hergestellter Sack
erheblich billiger als ein solcher aus Hanf, so fällt dagegen der Umstand
ins Gewicht, daß die Güte der aus letzterem Material hergestellten
Säcke durch die mehrmalige Verwendung die Billigkeit der Jutesäcke
vielmals aufwiegt. Man würde sich eben daran gewöhnen müssen, wie
in früherer Zeit, einen Sack anstatt einmal, wie bei der Jute, mehrmals
zu benutzen. Es würde dann unerheblich sein, wenn zur selben Zeit
die Tonne Jute vielleicht 18 £ und gleichzeitig die Tonne Hanf 35 £
kosten würde. —
Der neugegründete Hanfbauausschuß ließ meine Abhandlung noch
einmal als Propogandaschrift herstellen und versandte sie an die wich-
tigsten Interessentenstellen der deutschen Faserindustrie und Landwirt-
schaft. Später gab dann noch Gutsbesitzer Kuhnow aus Wilhelminenhof
bei Genschmar (Oderbruch) und Dr. Augstin einen praktischen
Führer „Anleitung zum Hanfbau“ für den Hanfbauausschuß heraus.
Der Anbau verspricht eine ganze Reihe von Vorteilen. Es ist be-
reits erwähnt worden, daß die Preise der tropischen Fasern enorm
gestiegen sind, zum Teil über 100 Proz., daß also jetzt für die
Wettbewerbsfähigkeit eines in Deutschland erzeugten Rohstoffes gün-
stigere Bedingungen gegeben erscheinen. Es kommt weiter hinzu, daß
sich die Anbau- und Aufbereitungsmethoden gegen früher erheblich
verändert, gebessert haben, daß man eine ausgiebige Rente von dem
Gewächs erhoffen kann. Früher wurde Hanf zumeist in kleinen bäuer-
lichen Betrieben gebaut; besonders in Süddeutschland, in Baden, Württtem-
berg, der Pfalz und dem Elsaß war der Hanfbau ziemlich verbreitet,
ebenso auch in gewissen Gegenden Norddeutschlands. Außer den be-
reits genannten Gründen des Rückganges spielte die Arbeiterfrage eine
wesentliche Rolle, sie machte es dem Anbauer unmöglich, die früheren
Methoden der Aufbereitung (Rösten, Brechen und Schwingen) in der
gewohnten Weise auszuführen. Insbesondere ist eine sofortige Be-
arbeitung, zumal in kleinbäuerlichen Betrieben, nicht mehr möglich, —
ein Erfolg läßt sich daher nur bei Anwendung von Methoden erwarten,
die unter Berücksichtigung der heute gegebenen Arbeiterverhältnisse
die Bearbeitung sowohl für den Klein- wie Großbetrieb möglich machen.
Eine ganze Reihe von Versuchen aus neuerer Zeit lagen bereits
vor, die immerhin oberflächliche Schlüsse fir das Gedeihen des Ge-
Miszellen. 263
lingens liefern konnten. Besondere Verdienste erwarb sich hierbei der
obenerwähnte Gutsbesitzer Kuhnow, der in der Mark Brandenburg
zuerst Versuche mit Hanf angestellt hat. Seine Erfahrungen hat er in
einer kleinen Schrift: „Der Hanfbau in Deutschland, 1913“ niedergelegt.
Dort (S. 12) sagt Kuhnow, daß er den Vorteil des Hanfbaues haupt-
sächlich in der Ersparnis an Arbeitern erblicke. Es käme hinzu, daß
in Deutschland auf vielen Rübenböden Müdigkeit dauernd zunähme und
damit Ertragsminderung bei steigenden Erarbeitungskosten brächte. Es
handelte sich also für ihn darum, Ersatzpflanzen für Zuckerrüben auf
derartigen Böden zu finden. Kuhnow hat damals, bereits vor 9 Jahren,
speziell mit dem Hanf als Ersatz begonnen. Das preußische Landwirt-
schaftsministerium und die brandenburgische Landwirtschaftskammer
(unter Leitung Augstins) haben diese Versuche dauernd unterstützt
und auch zur Errichtung einer kleinen Versuchs - Hanfröstanstalt ihre
finanzielle Hilfe gewährt.
Ebenso sind in Westfalen, im Münsterlande, seit einigen Jahren
Versuche mit Hanfbau im Gange, die ebenso zu guten Erfolgen be-
rechtigten. Dort haben insbesondere die Firma Peter Baumhüter!)
in Batenhorst bei Wiedenbrück und Herr Hugo Brenken in Wieden-
brück mit großem Eifer die Belebung der alten Kultur aufgenommen.
Dort ist auch eine Warmwasserröste, ähnlich der in Wilhelminenhof
vorhandenen, errichtet worden.
Nachdem gezeigt worden war, daß gerade solcher Boden für den
Hanfbau in Betracht käme, auf dem bisher auch Zuckerrübenbau be-
trieben worden war, habe ich in meiner erwähnten Abhandlung (S. 23)
den Hanfbau in Verbindung mit dem Rübenbau besonders empfohlen.
Ich sagte dort: „Es ist noch gar nicht abzusehen, inwieweit die rück-
läufige Bewegung, in der sich diese auf den Export nach England an-
gewiesene Industrie (Zucker) befindet, durch neue handelspolitische Ex-
perimente der Engländer nach dem Kriege sich fortsetzen wird. Daher
kann es den Zuckerrübenbauern nur lieb sein, wenn sie eine lohnende
Pflanze anbauen, die immerhin einen Teil des sonst für Rüben ver-
werteten Areals in Anspruch nimmt, insbesondere da, wo wegen Leute-
mangels oder schlechter Wege die Verhältnisse für den Zuckerrübenbau
ungünstig liegen. Von diesen würden dann, selbst wenn 50000 Tonnen
Hanfes gebaut würden, ungefähr 10 Proz. des bisherigen Anbaues weg-
fallen.“ An dieser Stelle hatte ich auch berechnet, daß eine derartige
Menge nur 0,2 Proz. der landwirtschaftlich bebauten
Bodenfläche Deutschlands ausmachen würde.
Damit entfiele, bei einer derartig geringen benötigten Fläche, auch
der Einwand gewisser Wirtschaftspolitiker, daß man mehr auf die Er-
zeugung von Nährgewächsen Wert legen müßte. Ueber die Verbindung
des Hanfbaues mit dem Rübenbau führte ich (S. 24) an: Wenn Hanf
von einer so wohlorganisierten und technisch auf der Höhe stehenden
1) Baumhüter, „Die neue Methode des Hanfbaues“, 1913; ferner Dr. Maass
in „Illustrierte Landwirtschaftliche Zeitung“, 1913, No. 18, und ebenda Ziehl-
Bochum, No. 29.
264 Miszellen.
Industrie, wie der Zuckerrübenindustrie, aufgenommen werden würde,
so dürfe man wohl darauf rechnen, daß unter Herabsetzung der Ge-
winnungskosten sich auch die Qualität des Hanfes durch modernere Ver-
fahren (insbesondere bei der Aufbereitung der Faser, Warmwasserröste
usw.) würde heben lassen. Da die Hanfaufbereitungsarbeiten gerade in
eine Zeit fallen, in der die Zuckerfabriken nicht beschäftigt sind, so
sind auch Störungen im Betriebe derselben durch den neuhinzutretenden
Nebenbetrieb nicht zu erwarten. Es war anzunehmen, daß sich Zucker-
interessenten dieses neuen Zweiges annehmen würden, da ja die General-
unkosten durch den Einbau gewisser maschineller und anderer Ein-
richtungen in die bestehende Zuckerfabrik nur unwesentlich gesteigert
werden; sind ja doch unsere Zuckerfabriken in gewissem Sinne un-
wirtschaftliche Unternehmungen, da sie ja ihre Kapazität nur in einer
ganz kurzen Arbeitsperiode von 2—3 Monaten in Anspruch nehmen, in der
sie die zum Teil recht hohen Kapitalien verzinsen müssen. Eine ganze
Reihe von Einrichtungen der Zuckerrübenfabriken konnten die Hanf-
bereitung wesentlich verbilligen, wie Gleisanlagen, weiter Schwemm-
einrichtungen, die unschwer in Röstbassins umgewandelt werden könnten.
Ebenso ist ein technisches Personal vorhanden, das außerhalb der Saison
keine richtige Beschäftigung finde. Nach Augstin gehören zur Be-
dienung einer Brechmaschine und eines Schwingstockes ungefähr 8— 10
Personen, also im Vergleich zu der Arbeiterzahl, die die Zuckerfabrik
während der Kampagne beschäftigt, eine verschwindend kleine Zahl.
In einem Vortrag macht Augstin!') einige bemerkenswerte An-
gaben über den Anbau der beiden Gewächse (nach Mentzel und
Lengerke); er zeigt, daß der Arbeiterbedarf pro !/, ha für den Hanf
erheblich geringer ist als bei Zuckerrüben (etwa 1—21/, Arbeitstage
für 1/, ha gegenüber 13'/,—15'/, Arbeitstagen der Zuckerrübenkultur.
Ueberhaupt hält er die Ansprüche des Hanfes an den Bedarf von
menschlichen Arbeitskräften und auch die Anforderungen an die Ge-
spannleistungen für erheblich geringer als bei jenen des Zuckerrüben-
baues. Es kommt hinzu, daß Hanf in der Regel, wenn er auf einiger-
maßen sauberem, unkrautfreiem Boden bestellt wird, gar nicht gehackt
zu werden braucht, im Ausnahmefalle brauche er nur eine Hacke, gegen-
über 3mal Hacken beim Rübenbau. Ein weiterer wesentlicher Gesichts-
punkt, Hanfbau aufzunehmen, ist die Erscheinung der Rübenmüdigkeit,
die für viele Gegenden Deutschlands eine außerordentlich große Be-
deutung gewonnen hat. Mit Recht sagt Augstin, daß es im höchsten
Maße unwirtschaftlich sei, eine Pflanze wie die Zuckerrübe zu bauen,
die so enorme Ansprüche an menschliche und tierische Arbeitskräfte,
sowie Düngemittel und Nährstoffreichtum des Bodens stellt, wenn wir
nicht in der Lage sind, Höchsternten von der Flächeneinheit zu erzielen.
Nach Augstin haben die Erfahrungen gelehrt, daß gerade durch die
Aufnahme des Hanfbaues in die Fruchtfolge die Rübenmüdigkeit, die
zum Teil auf Nematoden zurückzuführen ist, erheblich nachgelassen hat,
1) Augstin, „Die Wiederbelebung des Hanfbaues“, Vortrag. gehalten im Klub
der Landwirte Berlin, am 16. Februar 1915. (Nachrichten aus dem Klub der Land-
wirte zu Berlin, No. 593, S. 5629—5675.)
Miszellen. 265
ja zum Teil direkt verschwunden ist, so daß durch den Hanf nachträg-
licher Anbau von Zuckerrüben nicht nur wieder ermöglicht, sondern
auch die Erträge wesentlich gesteigert werden! Die Ver-
bindung der Aufbereitung der beiden erwähnten Stoffe bietet noch
andere Vorteile. Von jeher galt die Abwässerfrage als Crux des Hanf-
baues. Gerade in Verbindung mit der Rübenfabrikation ließen sich diese
Schwierigkeiten am besten überwinden, ist doch dort die Abwässerfrage
durch Kläranlagen und Rieselanlagen bereits gelöst. Von besonderem
Vorteil für die Arbeiten des neuen Hanfbauausschusses war es, daß sich
Domänenpächter Block aus Scheune bei Stettin, der, durch meine Ab-
handlung angeregt, zu meinem erwähnten Vortrag vor den deutschen
Leinenindustriellen gekommen war, sich für Versuche im Großen, Hanf-
fabrikation mit Zuckerfabrikation zu verbinden, zur Verfügung stellte.
Er verwaltet ein großes Rübengut, und hat bereits in diesem Jahr den
Hanfbau dort aufgenommen. Die Einrichtungen derartiger Anstalten
zur Hanfbereitung im Anschluß an diese Zuckerfabrik, welche in der
Lage ist, den Hanf von 800—1000 Morgen zu verarbeiten, machen nach
Block nur einen Kostenaufwand von 20000 Mark erforderlich.
Aber auch dort, wo Hanfbau nicht in Zusammenhang mit dem
Zuckerrübenbau betrieben werden kann, können außer den bereits ge-
nannten, die geringen erforderlichen Arbeits- und Gespannkräfte, eine
Reihe von weiteren Gründen für die Aufnahme dieses Betriebes maß-
gebend werden. So ist Hanf infolge seines schnellen Wuchses ohne
wesentliche Hackarbeit ein Unkrautvertilger ersten Ranges, der durch
seine Beschattung eine vorzügliche Bodengarre und eine erhebliche
Mehrung der Nachernte schafft. Es hat sich bei den Versuchen des
letzten Jahres herausgestellt, daß der Anbau, insbesondere auch auf
den unkrautwüchsigen Mooren und anmoorigen Humusböden von be-
sonderer Bedeutung ist, da durch die Aufnahme der Hanfkultur auf
diesen Böden der rentable Anbau von Getreide überhaupt erst in
größerem Umfange ermöglicht wird. Die obenerwähnte Besorgnis, die
Nahrungsmittelerzeugung könne durch Ausdehnung der Hanfkultur ein-
geschränkt werden, findet hierdurch eine weitere Widerlegung; macht
doch diese Kultur erst die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit des Getreide-
anbaues auf diesen Bodenarten möglich. Eine Reihe führender Land-
wirte haben die hohe Bedeutung des Hanfbaues für die Kultivierung
der Moorböden anerkannt und treten jetzt für die Förderung der Hanf-
kultur ein. Es ist bereits in Aussicht genommen, weitere Versuche im
Großen auf Moorböden vorzunehmen.
Ferner ist Hanf eine vorzügliche Vorfrucht für jede andere Kultur-
pflanze, da er, wie erwähnt, den Boden rein und mit vorzüglicher
Schattengarre hinterläßt. Nach Berichten ergab Weizen bei Anbau-
versuchen nach Hanf Mehrbeträge von durchschnittlich 2—3 Zentnern
pro !/, ha gegenüber anderen Vorfrüchten. Wie schon erwähnt, macht
ebenso Hanf rübenmüde Böden wieder für den Rübenbau wirt-
schaftlich.
Die wesentlichste Vorbedingung für das Gelingen des Vorschlages,
Hanfbau wieder aufzunehmen, ist eine planmäßige Organisation, durch
266 Miszellen.
welche die Arbeit des Hanfanbauers lediglich auf die Erzeugung und
Lieferung des Hanfstengels beschränkt wird. Die Aufbereitungsarbeiten
zur Gewinnung der Faser sind besonderen Hanf-Röst- und Schwing-
anstalten vorzubehalten.
Der Landwirt muß die feste Garantie haben, daß ihm sein Roh-
stengelhanf vom Felde abgenommen wird. Nur in seltenen Fällen wird
er in der Lage sein, die Arbeiten des Röstens, Brechens und Schwingens
in seinem Betriebe selbst auszuführen. Abgesehen davon, daß für diese
Tätigkeit größere technische Erfahrungen notwendig sind, wird es bei
den meisten an geeigneten Einrichtungen fehlen. Insbesondere klein-
bäuerliche Betriebe werden hierin am meisten versagen. Es kommt
hinzu, daß der unverarbeitete Rohhanf ein viel zu teures Material ist,
um es auf weite Entfernungen zur Aufbereitung zu versenden, enthält
es doch nur rund 20 Proz. Fasern, während ihm 80 Proz. Balaststoff
anhaften, die einen weiten Transport eben schlecht bezahlt machen
würden. Es wird sich also darum handeln, die Gewinnung des reinen
Hanfes in der Nähe des Produktionsortes vorzunehmen. Mit Recht
bemerkt Augstin daher, daß der Hanfbau mit der Abnahme oder
Nichtabnahme der trockenen Hanfstengel stehe und falle. Auch würde
die Faseraufbereitung gerade in die Zeit der dringendsten landwirt-
schaftlichen Herbst-, Frühjahr- und Sommerarbeiten fallen, während es
andererseits nicht möglich ist, aus Witterungsgründen die Röstung
während des Winters vorzunehmen. Im Zusammenhang mit der Rüben-
zuckerfabrikation wären die Schwierigkeiten am einfachsten aus den
weiter oben genannten Gründen gelöst. Für die anderen Hanfanbauer
wird es das Zweckmäßigste sein, selbständige Bearbeitungsanstalten
zu errichten, die für einen kleineren Bezirk, etwa eine Fläche von
200—250 ha, den Hanf aufnehmen und bis zur fertiggeschwungenen
Faser verarbeiten !). Eine derartige Anstalt würde nach Augstin, wenn
sie als vollkommen selbständige Anstalt dasteht, etwa 40—50000 M.
kosten. Die Schwierigkeit bei diesem Betriebe liegt immer noch in
der Abwässerfrage. — Zu den moderneren Einrichtungen der Hanfauf-
bereitung gehören sogenannte Warmwasserrösten. Für einen relativen
Großbetrieb, in dem ungefähr Hanf von einer Fläche von 500 ha ver-
arbeitet werden würde, berechnet der Hanfbauausschuß für Röstbassins,
Kessel- und Maschinenanlage nebst Gebäuden, Brechmaschinen, Schwing-
ständen, Scheunen, Wohnungen für Personal und Grundstück rund
200—230000 M. Hiernach würde ein Betriebskapital, das von den
beteiligten Industriellen und Landwirtschaften aufzubringen wäre, von
rund 100000 M. hinzutreten. Der Hanfbauausschuß hat auch die Wirt-
schaftlichkeit derartiger Röstanstalten berechnet und auf Grund ein-
wandsfreier Darlegungen einen lohnenden Ueberschuß festgestellt. Es
soll hier nicht im einzelnen auf die rein landwirtschaftlichen und tech-
nischen Fragen eingegangen werden. Genaue Angaben befinden sich
in der zitierten Literatur.
Mit einigen Worten soll noch über die Erfahrungen während des
letzten Jahres berichtet werden. Nachdem der Haufbauausschuß ge-
1) Augstin, Klub der Landwirte, S. 5632.
Miszellen. 267
gründet worden war, dem sich auch die Juteindustrie angeschlossen
hatte, wurden von den Spinnereien etwa 145000 M. Mittel zur Ver-
fügung gestellt, die fast vollständig zum Bezuge von Samen aus dem
Auslande verwendet wurden. Im vorigen Jahre gelang es noch, Saat-
gut aus Italien zu beziehen. Trotzdem auch in Ungarn Saatgut be-
reits gekauft war, gelang es nicht, die Ausfuhrbewilligung von dort
zu erhalten. Sonst hätten wir schon in diesem Jahr auf größere Er-
fahrungen zurückblicken können. In diesem Jahre liegen die Verhält-
nisse besser. Immerhin gelang es schon während dieses ersten Kriegs-
jahres, Hanf von 415 ha zu erzielen, der etwa 500 t Fasern erhoffen
läßt. Soweit Gewinnungsergebnisse vorliegen, werden dieselben als
sehr günstig betrachtet. Sie haben dazu angeregt, eine bedeutend
größere Ernte für das Jahr 1916 hervorzurufen. Ein Gutsbesitzer allein,
Herr Schurig in Etzin, will im Jahre 1916 in Havelland 600 ha
Hanf anbauen. Ebenso ist geplant, auf Moorböden in größerem Maß-
stabe die Kultur aufzunehmen. Es kann nach den vorliegenden Be-
richten mit Sicherheit erwartet werden, daß im Jahre 1916 4000 ha
Hanf in Deutschland angebaut werden. Sollte es gelingen, noch mehr
Samen heranzuschaffen und inzwischen auf genossenschaftlichem Wege
oder durch Staatshilfe Röstanstalten zu errichten, so dürfte die Anbau-
menge noch weiter vergrößert werden. Das Interesse am Hanfbau ist
auf Grond der letzten Erfahrungen inzwischen so gewachsen, daß sich
am 3. Februar d. J. eine „Deutsche Hanfbau Gesellschaft“ gegründet
hat, die bald über ein Kapital von annähernd einer Million Mark ver-
fügen wird.
Welche Bedeutung die beteiligten Industrien in Deutschland ge-
wonnen haben, geht daraus hervor, daß sie 50—60 000 Arbeiter be-
schäftigen, welche Ernährer von rund 150—180000 Köpfen sind. —
Ein völliger Ersatz des deutschen Hanfbedarfes durch Eigenerzeugung
dürfte sich nach Berechnung des Hanfbauausschusses natürlich nicht
so schnell erreichen lassen; es würden immerhin 10—12 Jahre dazu
notwendig sein. Schon die Hälfte, also rund 30000 t, würden jeden-
falls genügen, den notwendigsten Bedarf für Heer und Marine und den
dringendsten Bedarf der deutschen Wirtschaft zu decken. Es muß das
nächste Ziel sein, jedenfalls diesen halben deutschen Eigenbedarf für
die Hanfindustrie und ein Viertel des Bedarfes der deutschen Jute-
industrie, die ja nach den vorangegangenen Schilderungen am meisten
notleidend ist, zu erreichen.
Zurzeit werden in Deutschland auch Versuche mit dem Anbau
anderer Pflanzen gemacht, um für Spinnfaserersatz Sorge zu tragen. So
beschäftigt sich eine für diesen Zweck gegründete Kommission mit
Kulturversuchen der Brennessel (Urtica dioica), Hopfen (Humulus
lupulus), Ginster (Sarothamnus scoparius), Weidenröschen (Epilobium sp.),
Rohrkolben (Typha sp.), dem Baste der Korbweide (Salix viminalis) u. a.
Jedoch möchten wir auf Grund unserer eigenen Erfahrungen glauben,
daß alle diese Pflanzen niemals für die Versorgung unserer deutschen
Faserindustrie im Großen eine besondere Rolle spielen werden. Mög-
lich wäre immerhin, daß gewisse Spezialitäten in engen Grenzen aus
den Erzeugnissen dieser Pflanzen erzielt werden könnten. Im Großen
268 Miszellen.
wird sich wahrscheinlich nur Flachs und Hanf zur
Wiederaufnahme im Anbau eignen.
Die Zukunft der deutschen Faserversorgung liegt noch durchaus
verhüll. Vom Friedensschluß und den neuen Handelsverträgen wird
alles Weitere abhängen. Die Annexion besetzten Feindeslandes sowie
Zollbündnisse mit den zurzeit verbündeten Mächten könnten hier wesent-
liche Vorteile bringen. Es ist bekannt, daß in Belgien ein vorzüg-
licher Flachs gedeiht. Die Anbaumengen sind auch relativ beträcht-
lieh!). Ferner wird in den russischen ÖOstseeprovinzen, Polen und
anderen besetzten Gebietsteilen Rußlands Flachs und Hanf in größerem
Maßstabe gewonnen. Ebenso sind Bulgarien und die Türkei Hanf-
länder. Unter den verbündeten Mächten ist zudem die Türkei das einzige
Land, welches imstande ist, Baumwolle in größerem Maßstabe in ihren
asiatischen Besitzungen anzubauen. Während der Kriegszeit hat Baum-
wolle auch als Ersatz für die von uns erhaltenen Faserstoffe, Hanf und
Jute, gedient. Wie weiter oben erwähnt, hat auch die Erzeugung
künstlicher Faserstoffe aus Zellstoff und Papier durch diesen Krieg
eine besondere Anregung erfahren.
Eins ist gewiß: nach diesem Kriege wird sich mit einem in-
tensiveren Betriebe in der Landwirtschaft — vielleicht in neuerworbenen
östlichen Gebieten — ein erheblich größerer Bedarf an Bindegarnen
aus Hanfen herausstellen. Und weiter dürfte ein neubelebter Schiffsbau
für Handels- und Kriegsmarine erhebliche Mengen an Tauwerk und
Seilen notwendig machen. (G. €.)
1) Eine vorzügliche Studie hierüber liegt vor in „Flachsbau und Flachsindustrie
in Holland, Belgien und Frankreich“ von J. Frost. Berichte über Landwirtschaft,
herausgegeben im Reichsamt des Innern, Berlin 1909. Inzwischen ist auch eine Gesell-
schaft gegründet worden, welche die Hebung des Flachsbaues anstrebt.
Miszellen. 269
V
Der Bodenwert im TREE Nordost- und Ost-
frankreich und seine Schwankungen im letzten
halben Jahrhundert.
Von L. Rudloff.
Das Gebiet Nordost- und Ostfrankreichs, das zurzeit von
deutschen Truppen besetzt ist, gehört folgenden 10 Departements an:
Nord, Pas de Calais, Somme, Oise, Aisne; Ardennen, Maas, Marne,
Meurthe und Mosel, Vogesen.
Ihr gegenwärtiger Bodenwert ist einer umfassenden Erhebung
zu entnehmen, die das Finanzministerium in den Jahren 1908—1912
über den Reinertrag oder Pachtwert und den Kaufwert des Grund-
besitzes in Frankreich veranstaltet hat, und deren Ergebnisse in einem
größeren amtlichen Tabellenwerk kürzlich veröffentlicht worden sind !).
A. Ergebnisse der Erhebung von 1908/12.
I. Allgemeine Ergebnisse.
Nach den Erhebungsergebnissen von 1908/12 (Tabelle I) erreicht
die gegenwärtig der Grundsteuer unterworfene Bodenfläche 6 046 960 ha
Nach Abzug einer nicht geschätzten Fläche von 53572 »
entfallend auf die Haus- und Hofräume nebst Zubehör,
bleibt für den geschätzten Grundbesitz eine Gesamtfläche
von 5 993 388 ha
denen ein Gesamtreinertrag von 341 037 477 frcs.
und ein Gesamtkaufwert von 10 225 813 133 „
entsprechen.
Die mittleren Hektarwerte stellen sich also
-für den Reinertrag auf 58 fres.
und für den Kaufwert auf 1732. u
Tabelle I. Die allgemeinen Erhebungsergebnisse.
Geschätzte | Burn | Kaufwer Brig
ä re
Departements Fläche gesamter aD en a gesamter io iR kinne
ha fres. fres. fres. fres. Proz.
Nord 357 318 74308 460| 138 2376 789888| 4423 3:13
Pas de Calais 636 153 58 333 362 92 1 871 806 433| 2942 3,12
Somme 594 543 38 607 288) 65 1075635 538 | 1809 3,59
Oise 565 198 33 892 868 60 843 619 361 | 1493 4,02
Aisne 705 649 38 453 582| 54 1152849 712| 1634 3,34,
Ardennen 505 249 17 050 112 34 501 930 836 993 3,40
Maas 603 163 | 16325949] 27 491552752] 815 3,32
Marne 777 507 22 857 680 29 609 224 590 784 3,75
Meurthe u. Mosel 501 712 19 873 821 40 575563538 | 1147 3,45
Vogesen 566 896 21 334 355 38 726 840483 | 1282 2,94
15 993 388 °) |341 037 477| 58 |ro 225813 131| 1732 | 341
1) Évaluation des propriétés non bâties, Paris 1915, 1. Band, Tabellen X bis
XXXXIII (S. 162—321).
2) Dazu kommen 53572 ha, die auf die Haus- und Hofräume nebst Zubehör
entfallen,
270 Miszellen.
Die Mittel von einem Departement zum anderen zeigen natürlich
erhebliche Abstände.
Den höchsten mittleren Reinertrag und Kaufwert per Hektar finden
wir im Norddepartement, an das sich Pas de Calais und Somme an-
schließen. Folgen Oise, die, was ihren Reinertrag betrifft, noch über
dem Durchschnitt steht, Aisne, Meurthe und Mosel, Vogesen, Ardennen,
Marne und Maas, die den Durchschnitt nicht mehr erreichen.
Diese großen Unterschiede erklären sich durch die verschiedenen
Fruchtbarkeitsgrade des Bodens von einem Departement zum anderen
und mit der mehr oder weniger großen Absatzleichtigkeit der Erzeug-
nisse; sie liegen auch in großem Maße an dem sehr verschiedenen
Verhältnis, in welchem die Bodennutzungsarten die Fläche jedes De-
partements zusammensetzen.
Unter solchen Verhältnissen können die aus der Erhebung sich er-
gebenden allgemeinen Mittel, mag es sich um den Reinertrag oder um
den Kaufwert handeln, nur den Wert einfacher Fingerzeige bean-
spruchen und keineswegs sichere Elemente für die Vergleichung der
Schätzungsergebnisse zweier Departements liefern. Allein in der Dar-
stellung der Ergebnisse nach den Bodennutzungsarten sind diese Ver-
gleichselemente zu finden.
II. Erhebungsergebnisse nach den Bodennutzungsarten.
1) Das Ackerland. [Terres!), cheneviöres, houblonnidres.]
Das Ackerland absorbiert für sich allein schon mehr als drei
Viertel der Fläche in Somme und Pas de Calais, erreicht noch
64 Proz. in Marne, Aisne und Oise, schwankt zwischen 50 und 60 Proz.
in Nord, Meurthe und Mosel und Maas und fällt auf 46 bzw. 36 Proz.
in den gebirgigen Departements der Ardennen und Vogesen. (Tabelle II.)
Tabelle II. Erhebungsergebnisse für das Ackerland.
|
Fläche Reinertrag Kaufwert Mittlere
5 mi - _ _ ‘pgittle Ver-
Departements gesamte un gesamter he‘ gesamter Br zinsung
ha teile fres. fres. fres. fres. Proz.
Nord 327 259| 59,5 |44320452| 135 |1417 591r682/ 4332 3,13
Pas de Calais 487 733| 757 |43 844 9ı4| 90 1408 159 783| 2887 3,11
Somme 470 199| 78,2 |30682275) 65 842 036317| 1791 3,64
Oise 368621) 64,6 |23 246939) 63 540 876 805! 1467 4,30
Aisne 460 645| 64,7 |24969 414| 54 736657 102| 1599 3,38
Ardennen 234 392) 46,2 | 8311 400| 35 232 942048 994 3,57
Maas 309674, 51,2 | 6744 776 22 207 720308 671 3,25
Marne 498 888| 63,8 |12 374 783 25 325 148 238 652 3,81
Meurthe u. Mosel |2602 342| 52,0 | 7 262 236 28 212 192 676 809 3,42
Vogesen 205 513| 36,1 | 4 665 752 23 136 299 249| 663 | 3,42
1) Zum Ackerland werden nicht nur die für den Getreidebau bestimmten
Grundstücke gerechnet, sondern auch die der Gemüsekultur (im großen) und dem In-
dustriepflanzenbau dienenden Flächen. Man zählt dazu auch die Kunstwiesen (prairies
artificielles).
Miszellen. 271
Den höchsten mittleren Hektar-Reinertrag und -Kauf-
wert erreicht mit Recht das Norddepartement. Sein Boden be-
sitzt eine außerordentlich große Fruchtbarkeit, die Betriebs- und Ver-
kehrserleichterungen sind dort größer als in irgendeiner anderen
Gegend Frankreichs; neben einer hochentwickelten Landwirtschaft blüht
eine nicht minder entwickelte Industrie mit bedeutenden Mittelpunkten,
und die Bevölkerung ist nächst der des Seinedepartements die dichteste
in Frankreich.
Alle diese Reichtumsursachen erfahren eine allmähliche Ab-
schwächung vom Norddepartement zum Pas de Calais und vom
Pas de Calais zur Somme. Daraus erklärt es sich, daß die Hektar-
werte von 138 auf 90 und 65 fres., bzw. von 4332 auf 2887 und 1791
frcs. gefallen sind.
Oise und Aisne befinden sich wegen ihrer geringen Entfernung
von Paris in einer Vorzugslage. Man stellt indessen zwischen den
Reinerträgen dieser beiden Departements (63 und 54 fres.) einen ge-
wissen Abstand fest, obschon ihr Boden von gleicher Beschaffenheit ist
und ihre Anbaumethoden dieselben sind. Er erklärt sich damit, daß
die landwirtschaftlichen Erzeugnisse der Oise dank der größeren Nähe
von Paris leichteren und schnelleren Absatz finden. Dagegen fällt der
verhältnismäßig niedrige Kaufwert in der Oise stark in die Augen.
Er hängt wohl damit zusammen, daß das Land in diesem Departement
für den Kauf wenig gesucht wird.
Das Ackerland der 5 östlichen Departements hat im allgemeinen
geringen Wert.
In den Vogesen ist es von verschiedenem Wert, je nachdem es
in der Ebene oder in den Bergen liegt. Es ist gleichartiger und besser
in der Meurthe und Mosel, wo die Ackerkrume in ihrer Gesamt-
heit tiefer ist als in den Nachbardepartements der Vogesen und Maas.
Die Marne besitzt, neben sehr fruchtbaren Gebieten in den Arron-
dissements Reims und Epernay (die Brie Champenoise), in den Arron-
dissements Sainte-Menehould (Argonnenrand) und Vitry große Flächen
undankbaren Bodens, die Kreide-Champagne genannt, die nur bei sorg-
fältiger Bearbeitung und starker Düngung mäßige Erträge liefert.
Dieser Teil der Champagne greift noch in das Ardennendeparte-
ment über, dessen Mittel jedoch steigen, weil der andere Teil dieses
Departements guten Ackerboden enthält.
2) Die Wiesen. [Près, prairies naturels, herbages, päturages,
pätures!).]
Die Wiesen in den untersuchten Departements nehmen zwar ver-
hältnismäßig weit kleinere Flächen ein als in gewissen Departements
der benachbarten Normandie (Calvados, Orne, Manche), aber man kann
doch sagen, daß die Vogesen, die Ardennen und besonders das Nord-
departement zu den wiesenreichen Verwaltungsbezirken Frankreichs ge-
1) Die pätures (schlechte Weiden) werden zu den Wiesen oder zur Heide, den
Hutungen usw. gerechnet je nach der Bedeutung, die das Wort in dem betreffenden
Departement hat.
272 Miszellen.
hörən. In Pas de Calais, Oise, Aisne, Maas und Meurthe und Mosel
variieren ihre Flächen von 10—13 Proz. der Departementsflächen. Die
Somme und noch mehr die Marne sind freilich wiesenarm. (Tabelle III.)
Tabelle III. Die Erhebungsergebnisse für die Wiesen.
Fläche Reinertrag Kaufwert Mittlere
[mi i Ver-
Departements | gesamte Hundert-| gesamter rn gesamter ee zinsung
ha teile |__ fres. fres. fres. | fres. Proz.
Nord 133041| 24,2 lig 931 139| 142 1592482560) 4453 3,20
Pas de Calais 68 451| 10,6 7 803724! 114 |249979461| 3652 3,12
Somme 46 662 7,8 4311208 92 |121 265 556| 2599 3,56
Oise 57 045| 10,0 4197 263 74 1105526716 1850 3,98
Aisne 89 476 | 12,6 6 824 761 76 192595 222) 2152 3,54
Ardennen 101 349 | 20,0 4856 142 48 1139094 681) 1372 3,49
Maas 65 374 | 10,8 4 429 024 68 118 217 838| 1808 3,75
Marne 37 843) 4,8 1649449| 44 | 43154447| 1140 3,82
Meurthe u. Mosel | 67 558 | 13,4 3 982 362 59 |107 683 276 1594 3,70
Vogesen 103 342| 181 | 5668859| 55 |159516983| 1544 | 3,55
Die mittleren Reinerträge und Kaufwerte der 5 nord-
östlichen Departements gehören zu den höchsten des Staates. Sie
erklären sich, wie die des Ackerlandes, mit dem ganz außerordent-
lichen Gedeihen, das diesem Landesteil gesichert wird durch die Qualität
seines Bodens, sein mildes Klima und die Leichtigkeit seiner Ver-
bindungen.
Die Wiesen des Ostens haben mehr Wert als das Ackerland,
weil die Wasserläufe sehr zahlreich sind. Ihre höchsten Mittel er-
reichen sie in der Maas (68 und 1808 frcs.), die auf einer großen
Strecke vom Fluß gleichen Namens durchflossen wird, der die großen
Wiesenflächen an seinen Ufern befruchtet. Das Meurthe- und Mosel-
departement in den Meurthe- und Moseltälern und die Vogesen im
Moseltale besitzen ebenfalls vorzügliche Wiesen, aber sie enthalten da-
neben auch Wiesen minderen Ertrages, der den Durchschnitt herab-
drückt. Die Mittel gehen stark zurück in den Ardennen, wo neben
guten Wiesen im mittleren Teile des Departements schlechte Weiden
vorkommen. Sie erreichen ihren tiefsten Stand in der Marne (44 und
1140 frcs.), deren Wiesen von geringer Qualität sind.
3) Die Obstgärten, Baum- und Strauchobstpflan-
zungen. (Vergers, plantations d’amandiers, de cedratiers, de citron-
niers, de müriers, de noyers, d’oliviers, cerisaies usw.)
Die Obstgärten, Baum- und Strauchobstkulturen, die im Nord, der
Aisne und dem Pas de Calais verhältnismäßig am ausgedehntesten sind,
erreichen ihren durchschnittlichen Höchstwert ebenfalls im Norddeparte-
ment, handele es sich um den Nutzungs- oder um den Kaufwert. Mit
21! und 6665 fres. überschreitet dieser Wert bei weitem den Landes-
durchschnitt von 62 und 1647 fres. Folgen Pas de Calais, Somme,
Aisne und Oise, deren Reinerträge 100 frcs. überschreiten und deren
Kaufwerte von 2393 bis 4880 frcs. variieren. (Tabelle IV.)
Miszellen, 273
Tabelle IV. Die Erhebungsergebnisse für die Obst-
gärten usw.
Fläche Reinertrag Kaufwerte Mittlere
Departements | gesamte |Hundert-| gesamter Be gesamter een Et
teile Pe Pe
ha fres. fres. fres. fres. Proz.
Nord 6661 1,2 | 1402 955 211 l44 393 602| 6665 3,16
Pas de Calais 7751 1,1 1153647 149 |37 825 ı92| 4880 3,05
Somme - 1990 | 0,3 252319 127 | 7376430| 3706 3,42
Oise 1205 0,2 123 899 103 2885 016) 2393 4,29
Aisne 8218 1,2 976 222 119 128 376096| 3453 3,44
Ardennen 2820 0,8 250 332 89 | 6823 232| 2419 3,87
Maas 2365 04 | 205 212 87 | 5608977, 2372 3'686
Marne 2203 0,3 157 225 7ı 4159 486| 1888 3,78
Meurthe u. Mosel 3283 0,7 278 486 85 7509 ı62| 2287 3,71
Vogesen 2826 0,5 159 954 57 | 4204682| 1488 | 3,80
Aber auch die östlichen Departements überschreiten noch, mit
alleiniger Ausnahme der Vogesen, den wegen der gering bewerteten
Kastanienpflanzungen des Südens ziemlich niedrigen Landesdurchschnitt
sowohl was den Reinertrag als auch den Kaufwert betrifft.
4) Das Rebland. (Vignes.)
Die Departements Nord, Pas de Calais und Somme entbehren des
Reblandes. In der Oise und Aisne ist es nahezu verschwunden, in den
Ardennen und Vogesen verschwindet es mehr und mehr, die Maas,
Meurthe und Mosel hingegen und besonders die Marne, die einen Teil
der Champagne enthält, besitzen noch einen erwähnenswerten und, was
die Marne betrifft, weltberühmten Rebenbestand.
Tabelle V. Die Erhobungsergebnisse für das Rebland.
Fläche Reinertrag Kaufwert Mittlere
ittlerer Imi Ver-
Departements gesamte | Hundert-| gesamter paa gesamter he Pc
teile
ha fres. fres. fres. fres. Proz.
Nord — — — — — — —
Pas de Calais — z= = = — == =
Somme — = — = — — —
Oise 2,35 — 156 66 3 292| 1402 4,14
Aisne 771 = 45 557 59 | 1271414| 1649 3,58
Ardennen 37 — 1682 46 48661, 1318 3,46
Maas 2 467 0,4 71656, 29 2040056) 827 3,51
Marne 12 358 1,6 |3 247 946 263 174 871573) 6058 4 34
Meurthe u. Mosel 6 499 1,3 227 924 35 63890560) 983 3,517
Vogesen 1227 023 16 295 13 5062751 413 3,33
Er wird hier in drei „Zonen“ eingeteilt: die Reimser Berge), das
Marneufer?) und die Avizer Berge ?). Die besten Reben finden sich auf
1) Trepail, Villers-Marmery, Verzy, Verzenay, Mailly, Ludes, Chigny, Rilly,
Saint-Thierry, Hermonville, Marzilly.
2) Ay, Mareuil, Avenay, Montigny, Lizy, Champillon, Hautvillers, Cumidres, Eper-
nay, Pierry, Moussy, Monthelon, Saint-Martin-d’Ablois, Vinay, Chauley.
3) Cuis, Cramant, Grauves, Avize, Oger, Le Mesnil, Vertus.
Jahrb. f. Nationalök, u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 18
274 Miszellen.
den Hängen, die die Hochebene der Brie mit der Kreide-Champagne
verbinden; ihre Höhenlage schwankt zwischen 150 und 170 m; die in
geringerer Höhe gepflanzten Reben sind von Frösten stark bedroht.
Die wertvollsten Pflanzungen haben Süd- oder Südwestlage (Ay, Mareuil,
Bouzy); gleichwohl liegen Mailly und Verzenay gegen Südosten, aber
ihr Neigungswinkel erreicht keine 20°, und dieser Umstand mildert die
Nachteile einer weniger günstigen Lage.
Die Reben der Maas und Meurthe und Mosel produzieren an Ort
und Stelle selbst geschätzte Weine, wenn sie auch im allgemeinen von
nebensächlicher Bedeutung sind. Die Vogesen endlich besitzen einen vom
Klima stark mitgenommenen Rebenbestand, dessen mittlerer Hektar-
reinertrag der geringste in ganz Frankreich ist.
5) Das Waldland. [Bois, aulnaies, saussaies, oseraies, boulaies,
ormaies, saulaies, pins, sapins, plantations de peupliers, chätaigne-
raies !).]
Die reichen Küstendepartements des Nordostens sind waldarm.
Oise und Aisne nehmen eine Mittelstellung ein. Dagegen besitzen die
Departements des Ostens große Waldflächen, besonders die Maas und
die Vogesen, wo auch die Staatswaldungen ausgedehnte Flächen
bedecken. (Tabelle VI.)
Tabelle VI. Die Erhebungsergebnisse für das Waldland.
Fläche Reinertrag Kaufwert Mittlere
ge- Hun- |Staats- mittlerer mittlerer) Ver-
samte | dert- [forsten | 8°*amter pro ha gaamter pro ha | zinsung
ha teile ha fres. fres. fres. fres. | Proz.
Nord 45 250| 8,2 | 19091| 2 534757 56 |103 284 191| 2283 2,45
Pas de Calais | 37 877| 5,9 | 6597| 1 098 939 29 40411 089| 1067 2,72
Somme 47 192| 7,9 | 4188| 1 090 658 23 42 713 781 905 2,55
Oise III 197| 19,5 | 36 545| 2716014 24 |113103406| 1017 2,40
Aisne 114248 16,1 | 26 244| 3 063 743 27 |119238 602) 1044 2,67
Ardennen 150 390| 29,6 |22 583| 2 607 666 17 96 262 637 640 2,71
Maas 189 812| 31,4 | 30 889| 4 087 879 22 1135 730 942 715 3,01
Marne 174 471| 22,3 | 13 398| 3 220 293 ı8 [106 252 575 609 3,03
Meurthe und
Mosel 143 331| 28,4 |30658| 4 197 419 29 1144 595017| 1009 2,90
Vogesen 223 008| 39,1 | 56077| 9 765 657 44 |390 631645] 1752 2,50
Wie für das Ackerland und die Wiesen und aus ähnlichen Gründen,
so sind auch für die Holzungen die mittleren Hektarwerte im Nordosten
verhältnismäßig hohe. Das Norddepartement erreicht mit 56 und
2283 frcs. sogar die Höchstzahlen von ganz Frankreich. Folgen Pas
de Calais, Aisne, die vorzügliche Staatsforsten (von Retz, Saint-Gobain,
Saint-Michel, Samoussy, Villers-Cotterets) enthält, Oise und Aisne.
Aber auch der Osten besitzt große und schöne Nadel- und Laub-
Hochwaldungen mit hohem Nutzungswert. Die Mittel in der Marne
sind zwar ziemlich niedrig, weil das Departement neben einigen schönen
Waldungen auch wenig wertvolle Nadelholzbestände enthält, die auf
1) In den Gegenden, wo die Kastanienpflanzungen hauptsächlich der Holzgewin-
nung dienen, zählen sie zu obiger Gruppe; steht dagegen die Gewinnung von Kastanien
im Vordergrund, so werden sie zu den Obstgärten usw. gerechnet.
Miszellen. 275
armem Boden gewachsen sind. Das Gleiche gilt von den Ardennen,
die reiche Waldungen in den Arrondissements Vouziers und Sedan be-
sitzen, aber nur dünn stehendes und schwer zu bewirtschaftendes Busch-
holz in den Arrondissements Mézières und Rocroi. Die Mittel steigen in
der Maas, dann in der Meurthe und Mosel und schließlich in den
Vogesen, wo sie das Maximum des Ostens erreichen. Dieses Departe-
ment enthält auch 56 077 ha Staatsforsten. Schon alten Ursprungs, mit
Methode gepflegt, von gut unterhaltenen Wegen durchschnitten, die ihre
Ausbeute erleichtern, mit Sägewerken versehen, die den Käufern des
geschlagenen Holzes zur Verfügung stehen, sind diese Forsten in einem
Zustand außerordentlichen Gedeihens, der den ansehnlichen Abstand
zwischen ihrem Nutzungswert (70 frcs.) und dem der ebenfalls ertrag-
reichen Privatwaldungen (35 fres.) rechtfertigt.
6) Heide, Hutungen und anderes unangebautes Land.
(Landes, pätis, terres vaines et vagues, ajoncs, bruyères, broussailles,
bussières, buissons, dunes, falaises, friches, genêts, marais, marécages,
palus, päquis, plages, rochers.)
Die Heide, Hutungen usw. fallen unter dem Gesichtspunkt ihrer
Fläche wenig ins Gewicht. Nur die Vogesen, die Maas und besonders
die Marne verdienen Erwähnung, obschon die Gruppe auch hier nicht
einmal 5 Proz. der Departementsfläche überschreitet. (Tabelle VII.)
Tabelle VII. Die Erhebungergebnisse für Heide,
Hutungen usw.
Fläche Reinertrag Kaufwert Mittlere
eg ee er AV:
Departements | gesamte | Hundert-) gesamter RER gesamter sam zinsung
teile P P
ha fres. fres. fres. fres. Proz.
Nord 3379 0,6 59 525 18 |30060617 890 1,98
Pas de Calais 14 331 2,2 88 073 6 |3554I17I 248 2,48
Somme 12 081 2,0 75 557 6 |3248 253 269 2,23
Oise 8 307 1,5 34 048 4 1037 856 125 3,28
Aisne 15 862 2,2 94 890 6 13670943 231 2,58
Ardennen 8784 1,7 27 731 3 |1110678 126 2,50
Maas 26 175 4,3 43 697 2 1587649 61 2,75
Marne 38 889 5,0 114 247 3 3 181 670 82 3,59
Meurthe u. Mosel 7 966 1,6 112 822 14 12755813 346 4,09
Vogesen 23 960 4,2 85 944 4 3272396 | 137 2,63
Auch die mittleren Reinerträge und Kaufwerte sind, wie es in der
Natur der Sache liegt, sehr gering, mit alleiniger Ausnahme des Nord-
departements, dessen relativ hohe Mittel sich mit der Vorzugslage dieses
Departements erklären, und der Meurthe und Mosel, wo ein Teil des
von industriellen Anlagen abhängenden Oedlandes als Ablagerungsstätte
für Schlacke dient.
7) Gemüse- und Blumengärten, Baumschulen. (Jardins
maraichers, jardins potagers, plantations de rosiers, pépinières, cresso-
nières.)
Es ist natürlich, daß die volkreichen Departements des Nordostens,
zu denen noch die Meurthe und Mosel tritt, ansehnliche Gartenlände-
18*
276 Miszellen.
reien besitzen. An erster Stelle steht das Norddepartement mit 2,5 Proz.
seiner Fläche. Es zeigt auch hohe mittlere Reinerträge und Kaufwerte,
aber sie erreichen nicht die Durchschnittswerte der Meurthe und Mosel.
Für diese Departements, die bedeutende Verbrauchsmittelpunkte (Lille,
Roubaix, Tourcoing, Nancy), enthalten, erklärt sich der hohe Stand der
Mittel mit der Intensität des Gemüsebaues.
Tabelle VIII. Die Erhebungsergebnisse für Gemüse-
gärten usw.
Fläche Reinertrag Kaufwert Mittlere
i | i Ver-
Departements | gesamte | Hundert-| gesamter ya gesamter ea d zinsung
teile P P
ha fres. fres. fres. fres. Proz.
Nord 13 501 2,5 3 082 472 | 228 |97 961 114, 7256 3:15
Pas de Calais 12 218 1,9 2 401 OQI 197 74514872| 6099 3,22
Somme 9 140 1,5 1393 293| x152 |36777000) 4024 3,79
Oise 9177 1.6 |1456 568 | 159 32447 907| 3536 4,49
Aisne 9661 la |1397755| 145 139576943) 4097 3,63
Ardennen 4427 0,9 734 108| 166 |15574440) 4196 3,95
Maas 2 930 0,6 479 115 164 |12462553| 4253 3,8%
Marne 4616 0,4 798240 ° 173 |19620327| 4250 4,07
Meurthe u. Mosel 5 862 1,2 1 861078! 317 145352668 7737 4,10
Vogesen 3336| 0,8 531940, 159 |15 534884| 4663 3,42
8) Lustgärten, Parks. (Terrains d’agröment, parcs, pièces
d’eau usw.)
Tabelle IX. Die Erhebungsergebnisse für Lustgärten,
Parks.
Reinertrag | Kaufwert Mittlere
R i ittlerer, Ver-
Departements Fläche gesamter | gesamter ee zinsung
ha fres. fres. fres. fres. Proz.
Nord 2179 | 1164697 | 535 | 38134243 | 17504 | 3,05 |
Pas de Calais 1910 637 469 334 21063 162 11 028 3,08
Somme 1066 197 819 186 5 352 348 5021 3,70
Oise 5445 1273717 234 29 328 028 5 387 4,34 |
Aisne 2189 451007 206 13 927 258 6 362 3.24
Ardennen 478 66 213 139 1 848 676 3 868 3,58 |
Maas 355 82 120 231 2 610 054 7 343 3,15
Marne 2031 738 125 363 18 077 386 8 902 4,08
Meurthe u. Mosel 855 700815 819 18 545 981 21 685 3,78
Vogesen 735 221577 302 9 841 498 13 393 2,25
Die Mittel der Lustgärten, Parks usw. sind gewöhnlich besonders
hohe in den Departements, die sehr besuchte Kurorte enthalten. Das
ist nun nicht der Fall für das Okkupationsgebiet. Hier ist es ihre
Lage in einer Großstadt oder in der Umgebung einer solchen, die den
Lustgärten ihren Wert verleiht (Meurthe und Mosel 819 und 21685 fres.,
Nord 535 und 17504 fres.) Im übrigen stellt man fest, daß diese
Besitzgruppe nicht nur an Wert, sondern auch an Fläche zunimmt, je
mehr man sich Paris nähert (Oise 206 frcs., 5445 ha; Seine und Oise
410 fres., 16005 ha).
Miszellen. 277
9) Wasserstücke; Steinbrüche, Torfmoore, Sand-
gruben, Schieferbrüche; Werk- und Lagerplätze, Bau-
land, Privatwege; Eisenbahngrundstücke.
Die vorgenannten 4 Besitzgruppen, wenig ausgedehnt und meist
nur in einer beschränkten Anzahl von Gemeinden vorkommend, sind
ohne große Bedeutung und geben keinen Anlaß zu einer besonderen
Betrachtung.
III. Der Bodenwertin den Gemeinden.
Die mittleren Nutzungs- und Kaufwerte zeigen von einer Ge-
meinde zur anderen ähnliche Abstände, wie sie- vorstehend von De-
partement zu Departement festgestellt worden sind. Wir können nicht
daran denken, hier im einzelnen alle diese Variationen aufzuführen, die
sich aus ähnlichen Ursachen erklären, wie sie schon bei der Prüfung
der Departementsergebnisse dargelegt worden sind. Es mag genügen,
im folgenden das Maximum und Minimum des mittleren Hektar-
Reinertrages und -Kaufwertes einiger Kulturarten, sowie die Namen
der Gemeinden anzugeben, wo diese extremen Werte ermittelt wor-
den sind.
Le Boisle 84 Ailly-le-Haut-Clocher 2474
Holzung
Driencourt I Driencourt 200
Kulturarten Gemeinde Reinertrag Gemeinde Kaufwert
fres. fres.
1. Nord.
Ackerland | Preux-au-Bois | 2m1 Lambersart 9 386
Willies 5o Willies 1384
Wiesen Saint-André 301 Thumeries 10 700
Sin-le-Noble 26 Sin-le-Noble 797
Obstgärten | Haubourdin und Lomme 380 Preseau 13 500
Villers-Guislain 100 Villers-Guislain 3 400
Holzung Haulchin 250 Pitgam 10 000
10 Gemeinden (Dompierre, 6 Gemeinden (Les Fontai-
Marbaix usw.) 15 nes, Hargines usw.) 450
2. Pas de Calais.
Ackerland; |Saint-Omer 266 Saint-Omer 8053
Hesdin-l’Abbe 28 S.-Nicolas-des-Laitiers 934
Wiesen Achicourt 338 S.-Martin-au-Laert 9445
Thièvres 19 Thièvres 646
Obstgärten | Arques 325 Arques 10 000
Longfossé 5o Longfossé I 500
Holzung Ficheux 130 Quéant 4 500
Guémy 3 Embry 85
3. Somme
Ackerland |Ytres 147 Ytres 4 238
Le Mesge 15 Hallivillers 390
Wiesen Feuquières-en-Vimeu 225 Feuquières-en-Vimeu 9 506
Aubvillers 5 Aubvillers 80
Obstgärten | Abbeville 240 Abbeville 6 200
Becquigny 32 Ainval-Septoutre 600
278 Miszellen.
Kulturarten Gemeinde Reinertrag Gemeinde Kaufwert
fres. fres.
4. Oise.
Ackerland | B£h£ricourt 158 | Beh£ricourt 4456
Saint-Léonard 26 Sauqueuse 385
Wiesen Ercuy 200 Verderonne 8021
Russy 4 Feigneux 100
Obstgärten | Saint-Martin-Longeau 400 Saint-Martin-Longeau 8.000
Fleurines 20 Fleurines 600
Holzung Saint-Jean-au-Bois 75 Abbecourt 4424
Villers-Saint-Paul 5 Villers-Saint-Paul 166
5. Aisne
Ackerland |La Fere 138 Annois 4344
La Chapelle-Monthodon 15 La Chapelle-Monthodon 439
Wiesen Le Nouvion 181 Barzy-sur-Sambre 6 234
Berzy-le-Sec 2 Berzy-le-Sec 70
Obstgärten | Château-Thierry 400 Chäteau-Thierry 8 000
Laffaux 20 Laffaux 400
Holzung Autreppes | 144 Pleine-Selve 4 000
Froidestr&es | 2 Jaulgonne 350
6. Ardennen.
Ackerland | Balan 117 | Nouzon 4152
Aure 2 Aure 292
Wiesen Acy 120 Acy 3750
Saint-Étienne 5 Alincourt 200
Obstgärten | Vouziers 300 Vouziers 8 000
Mouron 8 | Mouron 295
Holzung Vouziers | 200 Vouziers 4 073
Séchault | 3 Séchault 130
7. Maas
Ackerland | Milly-devant Dun 5I Nançois-le-Grand 3 300
Amanty 3 Amanty 110
Wiesen Le Bouchon 166 Le Bouchon 5 210
Senonville 2 Vaux-les-Palameix 553
Obstgärten | Verdun 250 Verdun 6.000
Aulnois-sur-Vertuzey 10 Aulnois-sur- Vertuzey 300
Rebland Buxitres 83 Buxières 2933
Amanty 4 Amanty 100
Holzung Rouvrois-sur-Meuse 100 Rouvrois-sur-Meuse 3 000
Ligny-en-Barrois 3 Saint-Remy 101
8. Marne
Ackerland | Cumitres 80 | Mardeuil 2438
Saint-Jean-sur-Tourbe 4 Connantray 90
Wicsen Reims 150 Moussy 4 000
Courcemain 2 Courcemain 40
Obstgärten | Avize 600 ‘pernay 13 850
Brébant 20 Brébant 500
Rebland Mailly 842 Louvois 20 904
Broussy-le-Grand 6 Broussy-le-Grand 70
Holzung Bignicourt 81 Courbeteaux 2009
Villeseneux I Courcemain 30
Miszellen. 279
Kulturarten Gemeinde Reinertrag Gemeinde Kaufwert
fres. fres.
9. Meurthe und M osel.
Ackerland | Nancy 166 Nancy 5152
Vennezey II Moutrot 249
Wiesen Saint-Max 189 Saint-Max 5 647
Limey 19 Petitmont 520
Obstgärten | Nancy 480 Nancy II 99I
Charey 15 Dom?vre 370
Rebland Malzeville 100 Tomblaine 3 500
Griseourt 10 Rembercourt 247
Holzung Recherrey 149 Fremenil 3 389
Arnaville | 8 Arnaville 253
10. Vogesen.
Ackerland |Saint-Am& 67 Saint-Ame& 3 839
La Vacheresse 6 La Vacheresse 127
Wiesen Neufchäteau 173 Remiremont 4 032
Villoneort 24 La Vacheresse 537
Obstgärten | Vittel 157 Lépanges 6 000
Pallegney 5 Pallegney 125
Rebland Clérey-la-Côte 50 Senaide 2 000
Crainvilliers 5 Romain-aux-Bois 100
Holzung Celles-sur-Plaine 123 Les Poulières 4957
Dommartin-l&®s-Remiremont 9 Renauvoid 200
Da das Verhältnis des Reinertrages zum Kaufwert für jede Kultur-
art von Gemeinde zu Gemeinde ziemlich veränderlich ist, so folgt daraus,
daß sich die Gemeinden nicht immer in der nämlichen Reihenfolge
ordnen, je nachdem man den Reinertrag oder den Kaufwert der ver-
schiedenen Kulturarten ins Auge faßt.
Das Ackerland erreicht sein Maximum in Saint-Omer (Pas de
Calais), was den Reinertrag, und in Lambersart (Nord), was den Kauf-
wert betrifft. Die Wiesen steigen bis 338 fres. in Achicourt (Pas de
Calais) und 10700 fres. in Thumeries (Nord). Die Obstgärten liefern
den höchsten Reinertrag in dem bekannten Weinort Avize (Marne) und
besitzen den höchsten Kapitalwert in Epernay (Marne). Das Rebland
erreicht natürlich seinen Höchstwert ebenfalls in der Marne, in Mailly
(842 fres.) und in Louvois (20904 fres.).. Die Holzungen endlich sind
am höchsten bewertet in Haulchin und Pitgam, zwei Gemeinden des
Norddepartements.
Alles in allem geht aus den vorstehenden Darlegungen hervor, daß
der höchste Reinertrag und Kaufwert in den meisten Fällen im Nord-
departement festgestellt wurde. Ueberhaupt ist dieses Departement,
wie ein Blick auf die Erhebungsergebnisse aller Departements zeigt,
das landwirtschaftlich höchstentwickelte in ganz Frankreich, abgesehen
vom Seinedepartement, das in bezug auf den Grundbesitz eine besondere,
mit keinem anderen Departement vergleichbare Stellung einnimmt. Dem
Norddepartement am nächsten steht Pas de Calais mit sehr gutem
Ackerland, Wiesen und Obstgärten. Auch die Somme, Oise und Aisne
sind noch als landwirtschaftlich gutentwickelte Departements zu be-
zeichnen, wenn sie auch die obengenannten nicht erreichen.
280 Miszellen.
Dagegen schneiden Ardennen, Maas, Meurthe und Mosel und Vo-
gesen, von ihren Obstgärten abgesehen, viel weniger gut ab: ihre Rein-
erträge sind mäßig oder gering, ihre Kaufwerte zuweilen auffallend
niedrig. Dasselbe gilt auch von der Marne, sofern man ihr sehr wert-
volles Rebland nicht in Rechnung stellt.
Mit einem Wort gesagt, haben wir es in dem ÖOkkupationsgebiet
mit zwei scharf unterschiedenen landwirtschaftlichen Bezirken zu tun,
von denen der nordöstliche zu den besten Frankreichs zählt, während
der östliche unter dem Landesdurchschnitt bleibt.
B. Die Schwankungen des Bodenwertes seit 1861.
Die volle Bedeutung der im vorigen Kapitel dargestellten Schätzungs-
ergebnisse von 1908/12 wird erst ersichtlich, wenn man sie mit den
entsprechenden Ergebnissen der Erhebungen von 1851 und 1879 ver-
gleicht, also in ihrer Entwicklung vorführt. Man wird dann nicht
nur die Veränderungen beurteilen können, die seit 1851 die Art der
Bodennutzung erfahren hat, sondern auch die Schwankungen, die seit
jener Zeit im Nutzungs- und Kaufwert des Bodens eingetreten sind.
I. Vergleichung derzallgemeinen Ergebnisse.
Die Angaben der Tabelle X zeigen, daß die Departementsflächen
seit 1851 kleinen Schwankungen unterliegen. Sie erklären sich mit
der Zu- und Abnahme, die die geschätzte Bodenfläche dadurch erfährt,
daß gewisse Grundstücke steuerpflichtig werden oder aufhören, es zu
sein; sie liegen auch in einem gewissen Maße an den der Staatsholzung
einverleibten Grundstücken, die nicht in die Vergleichungsangaben ein-
begriffen sind, weil die Gruppe der Holzungen in den beiden Er-
hebungen von 1851 und 1879 die Staatswaldungen nicht enthielt.
Die Angaben der Tabelle X zeigen ferner, daß die Gesamt- und
Durchschnittsreinerträge und -kaufwerte von 1851—1879 ganz erheb-
lich gestiegen, und daß sie von 1879—1908 wieder gefallen sind, im
Nord und Pas de Calais weniger‘ stark, in den anderen 8 Departements
aber auf oder sogar unter das Niveau von 1851.
Diese Bewegung ist auf Gründe allgemeiner Art zurückzuführen:
die Jahre vor 1879 fielen in eine Prosperitätsperiode, welcher eine
landwirtschaftliche Krisis folgte, deren Wirkungen 1908/12 noch nicht
völlig überwunden waren.
Der Rückgang, den der Bodenwert seit 1879 erfahren hat, ist
übrigens für den Kaufwert verhältnismäßig stärker als für den Nutzungs-
wert oder Reinertrag. Das liegt an den bedeutenden Veränderungen,
die seit 1850 in der Landwirtschaft eingetreten sind, an der Einführung
des Futterbaues und der industriellen Kulturen, der Erweiterung der
Absatzgebiete, der Vermehrung der Verkehrsmittel, der Verwendung
des Kunstdüngers usw., Veränderungen, die einen günstigen Einfluß auf
die Gestaltung der Pachtpreise ausgeübt haben.
Die Kaufwerte hingegen haben nicht ebenso aus diesen günstigen
Umständen Nutzen gezogen; denn der Grundbesitz ist heute viel weniger
begehrt als vor 50 oder 60 Jahren. Gegen 1850 hatten viele Personen
Miszellen. 281
Tabelle X. Vergleichung der allgemeinen Ergebnisse.
Depirtemints Geschätze Reinertrag = Kaufwert -
i mittlerer a mittlerer
Erhebungen RACE geramier pro ha gesamter pro ha.
ha | fres. fres, | fres. fres.
Nord
1851 528 259 56 297 286 107 2 084 341 136 3945
1879 532 006 84 610 592 159 3 001 990 086 5643
1908 531 079 73011717 | Iy 2 319 547 051 4476
Pas de Calais
1851 636 276 49 989 072 79 1 851 468 300 2909
1879 637 630 71750827 113 2582 189 339 4049
1908 637 683 58 168 071 92 1 864 566 117 2902
Somme
1851 595437 | 38982 832 65 1513 451404 2542
1879 597 001 53 678 565 90 1 922 969 059 3221
1908 596 931 38 492 901 65 1 071 877 685 1815
ise
1851 607 750 36 428 987 67 1 365 663 707 2530
1879 609 273 45 172 665 84 1 533 781 900 2842
1908 609 689 32 641 238 62 789 338 398 1493
Aisne
1851 690 199 | 39958 923 58 1414 725 077 2051
1879 690 383 55 667 750 81 1799 116 126 2606
1908 685 347 37 326 589 56 I 111 032 699 1635
Ardennen
1851 486 530 | 18625997 38 677 777 348 1394
1879 487 568 26 446 198 54 877 327 466 1799
1908 485 209 16 532 662 34 482 580 161 1000
Maas
1851 579 399 18 726 225 32 709 622 379 1225
1879 78 848 23 649 896 41 851 199 574 1471
1908 574 401 15 426 147 27 461 305 505 806
Marne |
1851 774319 25 457 527 32 934 782 329 1192
1879 775 882 32 401 483 42 1 058 550 855 1364
1908 768 454 22 346 220 29 593 116436 77
Meurthe und Mosel
1851 476529 | 21 550387 45 797 886546 | 1674
1879 477595 | 24522 528 51 847 011685 | 1773
1908 473949 | 18 664 635 40 533 318 573 1132
Vogesen
1851 503548 | 21754483 43 792 743 002 1571
1879 516 469 23 190 652 45 836 780 195 1620
1908 513 534 17 402 317 34 569 538 697 1115
die Gewohnheit, ihre Ersparnisse zur Erwerbung oder Vergrößerung
eines Landgutes zu verwenden, und zahlreiche Liebhaber stritten sich
um das kleinste Fleckchen Erde. In unserer Zeit widerstrebt es
dem Kapital mehr und mehr, sich in Grund und Boden festzulegen,
wo es keine Realisierungserleichterungen findet. Von zahlreichen Kredit-
anstalten begehrt, wendet es sich vielmehr den Wertpapieren zu, die
ihm mannigfache Vorteile bieten: äußerste Anlagebeweglichkeit unter
den einfachsten und am wenigsten lästigen Bedingungen, angenehme
Erhebung der Zinsen, höhere Zinsen usw. Daraus entsteht für den
Grundbesitz eine ausgesprochene Unterlegenheit, die ihm noiwendiger-
weise einen Teil seines Kaufwertes genommen hat.
282 Miszellen.
II. Vergleichung der Schätzungsergebnisse nach den
Bodennutzungsarten.
Die verschiedenen Bodennutzungsarten fanden sich bei der letzten
Schätzung von 1908/12 auf 13 Gruppen verteilt, während man bei den
beiden früheren Erhebungen nur 7 gebildet hatte. Es ist also uner-
läßlich, will man die Resultate der 3 Erhebungen möglichst ver-
gleichbar gestalten, zunächst einen gleichförmigen Einteilungsmodus
anzunehmen. Die letzte Einteilung in 13 Gruppen kann nicht beibe-
halten werden, weil es an genügenden Unterlagen fehlt, in den Ergeb-
nissen jeder der früheren Erhebungen den Anteil festzustellen, der den
verschiedenen darin begriffenen Kultur- oder Besitzarten zukommt.
Unter diesen Verhältnissen ist es angezeigt, für die Vergleichung die
folgenden 6 Gruppen zu bilden, auf die sich die Kultur- oder Besitzarten
in den 3 Schätzungen von 1851, 1879 und 1908, wie folgt, verteilen:
Bezeichnung der für die Bezeichnung der entsprechenden Gruppen
Vergleichung gebildeten
6 Gruppen
5 in den Erhebungen von
1851 und 1879 in der Erhebung von 1908
1. Gartenländereien und ver-
schiedene Kulturen
2. Ackerland und wie Acker-
land geschätztes Land
a) Land vorzüglicher Qualität
b) Verschiedene Kulturen
a) Ackerland und wie Acker-
land geschätztes Land
a) Obstgärten, Baum- und
Strauchobstpflanzungen
b) Gemüse- und Blumen-
gärten, Baumschulen
a) Ackerland
b) Steinbrüche usw.
c) Wasserstücke
d) Werk- u. Lagerplätze usw.
e) Lustgärten, Parks,
f) Eisenbahngrundst. usw.
g) Haus- und Hofräume
a) Wiesen
a) Rebland
a) Holzung (mit Ausnahme
der Staatsforsten)
3. Wiesen
4. Rebland
5. Holzung
a) Wiesen
b) Rebland
a) Holzung
a) Heide, Hutungen oder
schlechte Weiden und
anderes unbebautes Land
6. Heide, Hutungen oder a) Heide, Hutungen usw.
schlechte Weiden und
anderes unbebautes Land
1) Gartenländereien und verschiedene Kulturen.
Nach den Angaben der Tabelle XI nimmt die Fläche der Ländereien
„vorzüglicher Qualität“, um die es sich hier in der Hauptsache handelt,
seit 1851 in allen Departements, mit Ausnahme des Norddepartements,
ständig ab, im Pas de Calais, der Somme, Maas und Marne sogar recht
erheblich, Es wäre indessen verkehrt, dieser rückläufigen Bewegung
eine bestimmte Bedeutung beizulegen; denn sie kommt zum großen
Teil von einer verschiedenen Klassifizierung der Grundstücke im Laufe
der 3 Erhebungen. Da die Natur der Besitzarten, die sich bei den
„verschiedenen Kulturen“ eingereiht fanden, bei den Erhebungen von 1851
und 1879 nicht genügend definiert worden war, hatte man oft bei dieser
Gruppe Grundstücke untergebracht, die bei der Schätzung von 1908
anderen Gruppen zugeteilt worden sind als den Obst- und Gemüsegärten.
Miszellen, 283
Tabelle XI. Vergleichung der Ergebnisse der Schätzung
des Gartenlandes usw.
Reinertrag Kaufwert
Departement Fläche t mittlerer t mittlerer
Erhebungen Bere pro ha BER pro ha
ha fres, fres. fres. fres.
Nord
1851 19745 3 068 868 155 123 556 200 6258
1879 17 150 4 146 437 242 142 630 264 8317
1908 20 162 4 485 427 222 142 354 716 7056
Pas de Calais
1851 27 771 3 279 636 154 131 732 295 4744
1879 26 628 4 390 529 165 168 058 171 6311
1908 19 970 3 554 738 178 112 340 064 5625
Somme
1851 26 090 2 986 783 114 125 298 828 4803
1879 27 072 4 300 537 159 162 643 542 6008
1908 11 131 1645 612 148 44 153 430 3967
Oise
1851 12 951 1 589 334 123 60 235 860 4651
1879 12 923 1 856 772 144 63 762 700 4934
1908 10 383 1 580 467 152 35 332 923 3403
Aisne
1851 21 371 2 465 359 115 93 589 471 4379
1879 21 604 3 667 911 170 119 371 490 5525
1908 17 879 2 373 977 133 67 953 039 3801
Ardennen
1851 11434 1183 505 104 51 283 216 4485
1879 11 212 1701004 152 55 895 351 4985
1908 7 247 984 440 136 25 397 672 3505
Maas
1851 10 305 901 896 88 39 823 710 3865
1879 9181 1037 822 113 40 492 290 4410
1908 5 295 684 327 129 18 071 530 3413
Marne
1851 137719 1238 371 90 47 978 622 3497
1879 12 162 1338 ı51 110 44 241 700 3638
1908 6 820 955 465 140 23 779813 3487
Meurthe und Mosel
1851 10 002 1 091 669 109 52 382 668 5237
1879 10 653 1 986 124 186 | 64 849 490 6087
1908 9145 2 139 564 234 52 861 830 5780
Vogesen
1851 7415 986 931 133 34 840 087 4699
1879 7 435 1 045 451 141 33 215 150 4467
1908 6 162 691 894 112 19 959 566 3207
Die gesamten Reinerträge und Kaufwerte sind bis 1879 überall
gestiegen, .seit dieser Zeit aber, vom Norddepartement abgesehen, ent-
sprechend dem Rückgang der Anbaufläche, gefallen, die Reinerträge
relativ nicht so stark wie die Kaufwerte. Die mittleren Hektarrein-
erträge hingegen sind in 5 Departements seit 1879 in der Zunahme
begriffen. Das erklärt sich damit, daß die Gruppe von 1908/12 nur
im Betrieb stehende Gemüse- und Obstgärten umfaßt, während bei den
früheren Erhebungen die „verschiedenen Kulturen“ oft Grundstücke viel
geringeren Wertes enthielten, wie schlechte Weiden, Torfmoore, Teiche
usw. Was schließlich die mittleren Hektarkaufwerte betrifft, so vari-
284 Miszellen.
ieren sie nicht immer in dem nämlichen Sinne, wie die entsprechenden
Reinerträge. Es gibt Departements, wo die Reinerträge zunehmen,
während die Kaufwerte abnehmen (Pas de Calais, Oise, Maas, Marne,
Meurthe und Mosel). Der Hauptgrund dafür liegt darin, daß das Garten-
land in der Umgebung der Städte viel leichter Pächter als Käufer findet,
und daß infolgedessen die Steigerung seines Nutzungswertes nicht auch
eine entsprechende Steigerung seines Kaufwertes nach sich ziehen muß.
2) Ackerland und wie Ackerland geschätztes Land.
Die Ergebnisse der drei Schätzungen, was die Fläche, die Rein-
erträge und Kaufwerte betrifft, resümieren sich, wie folgt:
Tabelle XII. VergleichungderErgebnisseder Schätzung
des Ackerlandes usw.
a ; nn Reinertrag Kaufwert
epartemen Fläche n mittlerer | mittlerer
Erhebungen gesamter pro ha BEER: pro ha
ha fres. fres. fres. fres.
|
Nord ?
1851 378707 40 790 202 108 1519 145 300 4011
1879 381 898 61 638 420 161 2 192 973 039 5742
1908 348 339 48 297 612 144 1 535 661 804 4578
Pas de Calais
1851 514 270 41 513 096 81 I 529 940 298 2975
1879 526 761 60 261 415 114 2 154 447 668 4090
1908 503 652 45 787 888 92 1 465 521 648 2958
Somme
1851 485 941 32 541 656 67 1 248 351 261 2569
1879 497 918 45 508 855 91 1 611 526 895 3237
1908 484 052 31484 253 66 864 254 518 1810
Oise
1851 412 333 29 911 578 73 I 120 482 701 2717
1879 413 882 36 876 433 89 ı 242 689 505 3003
1908 383 704 25 364 920 67 588 615 168 1556
Aisne
1851 511122 29 769 063 58 1052 119 108 2058
1879 518 851 41703 971 80 1 337 033 412 2577
1908 473 354 26 050 654 56 768 120 492 1643
Ardennen
1851 297 092 10 176 561 34 398 516 406 1341
1879 294 206 15 241 223 52 545 901 902 1856
1908 239 986 8572451 36 240 016 507 1011
Maas
1851 345 263 8 682 775 25 367 599 937 1065
1879 350 577 11 160 245 32 459 095 985 1310
1908 316 167 7 009 366 22 215 904 687 688
Marne
1851 592 348 15 645 406 26 618 261 980 1044
1879 563 856 | 18759664 33 673 344 850 1194
1908 511471 13 670 280 27 357 984 512 706
Meurthe und Mosel
1851 289 209 11 361 798 39 450 719 995 1555
1879 294 339 12 724 851 43 470 622 975 1599
1908 270 111 9 213 730 34 261 278 546 978
Vogesen
1851 247 105 9 150 974 38 364 369 695 1484
1879 247 820 9 128 820 37 344 284 045 1389
1908 211922 5105706 | 24 153 153 618 732
m na e A
C ER
Miszellen. 285
Die Fläche des Ackerlandes usw. hat also von 1851 bis 1879 zuge-
nommen, was sich mit dem Gedeihen der Landwirtschaft in dieser Periode
erklärt. Sie ist dann von 1879 bis 1908 zurückgegangen. Die Vergleichung
der Ergebnisse von 1851 und 1908 läßt ebenfalls eine Abnahme erkennen.
Ebenso verhält es sich mit der Entwicklung der gesamten und auch
der mittleren Nutzungs- und Kaufwerte: der in 1879 festgestellten bedeu-
tenden Hausse folgt eine scharfe Baisse, diehier und da sogar den Charakter
eines Wertsturzes hat. Das ist um so beachtenswerter, als bekanntlich
der Wert des Ackerlandes die Pachtpreise am besten widerspiegelt.
3) Die Wiesen.
Die Erhebungen von 1851, 1879 und 1908 haben für die Wiesen
zu folgenden Ergebnissen geführt:
Tabelle XIII. Vergleichung der Ergebnisse der
Schätzung der Wiesen.
Reinertrag Kaufwert
Deparioments Fläche mittlerer te mittlerer
Erhebungen BEE pro ha rad pro ha
fres, fres. fres. fres.
Nord
1851 96 458 11027 913 114 393 834 052 4083
1879 106 213 17 466 799 164 597 917 901 5629
1908 133 041 18 931 139 142 592 482 560 4453
Pas de Calais \
1851 43 387 3798 124 88 142 230 389 3278
1879 43 148 5 749 616 133 208 610 444 4835
1908 68 451 7 803 724 114 249 979 461 3652
Somme
1851 25 925 1671 188 64 66 432 438 2563
1879 24 360 2 034 389 84 72856584 2981
1908 46 662 4 311 208 92 121 265 556 2492
Oise
1851 28 472 2 004 916 70 74 528 328 2618
1859 36 670 3 418 828 93 117 879 100 3215
1908 57045 4 197 263 74 105 526 716 1850
Aisne
1851 55 091 3 964 899 72 132 423 609 2404
1879 60 609 6 231 332 103 191 555 078 3161
1908 89 476 6 824 701 76 192 595 222 2152
Ardennen
1851 52 059 3 841 992 74 115 101 476 2211
1879 59 241 5 509 881 93 154 054 828 2600
1908 101 348 4856 142 48 139 094 681 1372
Maas
1851 51309 4778 304 93 153 322 120 2988
1879 50 188 6 338 653 126 187 704 290 3740
1908 65 374 4 429 024 68 118 217 838 1808
Marne
1851 39 720 2809 417 71 86 232 824 2171
1879 38 937 3118 175 80 94 625 845 2430
1908 37 843 1 649 449 44 43 154 447 1140
Meurthe und Mosel
1851 47 934 4 298 457 89 137 698 501 2869
1879 48 121 5058 133 105 160 290 500 3331
1908 67 558 3 982 302 59 107 683 276 1594
Vogesen
1851 81 480 7 691 963 95 240 432 196 2973
1879 84 912 8 375 233 99 259 841 180 3060
1908 103 342 5 668 859 55 159 516 983 1544
286 Miszellen.
Wie man sieht, hat sich die vor 1879 begonnene Zunahme der
Wiesenfläche nach 1879 in noch weit größerem Verhältnis fortgesetzt.
Diesem Zuwachs entsprechen Zunahmen der gesamten Reinerträge und
Kaufwerte. Die mittleren Hektarwerte sind indessen, nachdem sie von
1851 bis 1879 nicht unerheblich zugenommen hatten, von 1879 bis 1908
gefallen, in den östlichen Departements sogar unter das Niveau von
1851.
Diese Wertschwankungen müssen bei oberflächlicher Betrachtung
überraschen, wenn man die große Entwicklung bedenkt, die in den letzten
Jahrzehnten die Viehzucht genommen hat, und die, wie man oben ge-
sehen hat, sich in einer bedeutenden Flächenvermehrung ausdrückt.
Und doch ist sie gerechtfertigt. In der Tat sind die Landwirte infolge
der wachsenden Leutenot und des Steigens der Arbeitslöhne einerseits
und des immer stärkeren Schlachtviehverbrauches andererseits mehr
und mehr dazu übergegangen, ihre Wiesen- und Weideflächen zu ver-
größern. Zu diesem Zwecke haben sie natürlich vorzugsweise geringes
Ackerland, dessen Anbau zu kostspielig war, genommen, was die Wir-
kung hatte, die Wertmittel herabzudrücken, da die so geschaffenen
Wiesen von geringerer Qualität waren. Eine andere Ursache des Falles
der Mittel ist darin zu sehen, daß in der letzten Erhebung der
Gruppe der Wiesen ausgedehnte Weideflächen (pätures) zugeteilt worden
sind, die in den früheren Erhebungen bei der Gruppe der Hutungen,
Heide usw. oder auch bei den „verschiedenen Kulturen“ Aufnahme ge-
funden hatten.
Uebrigens ist sogar der Wert der Naturwiesen gefallen, zweifellos
infolge der Konkurrenz, die ihnen die immer mehr an Fläche ge-
winnenden Kunstwiesen machen. Damit erklärt es sich, daß die Hektar-
mittel von 1908 in den Departements des Ostens sogar unter dem
Niveau von 1851 stehen, obschon in jener Zeit die Gruppe der Wiesen
fast ausschließlich aus vorzüglichen Naturwiesen bestand.
4) Das Rebland.
Die Entwicklung der Fläche, Reinerträge und Kaufwerte des Reb-
landes nimmt folgenden Verlauf: (Siehe Tabelle XIV auf S. 287.)
Das Eindringen der Reblaus in den französischen Rebenbestand,
die kurz vor 1879 im Mittelmeergebiet ihre Verheerungen begann, sich
dann im Bordelais ausbreitete und schließlich alle Weinbaugebiete er-
griff, erklärt zur Genüge die meist überaus großen Flächenverluste
des Reblandes.
Diesen Verlusten entsprechen Verminderungen des gesamten Rein-
ertrages und Kapitalwertes.
Die mittleren Hektarwerte haben von 1851 bis 1879 zugenommen.
(Nur die Vogesen und die Meurthe und Mosel machen eine Ausnahme.)
Das erklärt sich damit, daß der in den Jahren 1879/81 veranstalteten
Erhebung eine Reihe guter Jahre vorausging, sowohl was die Menge
und Güte des Weines als auch die Entwicklung der Eisenbahnen be-
trifft, die schon damals diesem Erzeugnis einen leichten Absatz sicherten.
Ein ganz anderes Resultat liefert die Betrachtung der Periode 1879
Miszellen. 287
Tabelle XIV. Vergleichung der Ergebnisse der
Schätzung des Reblandes.
Depariemèùti m Reinertrag Kauf wert
äche mittlerer mittlerer
Erhebungen gomir pro ha gesamser pro ha
ha fres. fres. fres. fres.
Oise
1851 1145 91826 80 3 344 327 2921
1879 322 32 275 100 1077 200 3345
1908 2 156 66 3 292 1402
Aisne
1851 6147 450 575 73 16 442 873 2675
1879 3622 422 628 117 11 872 185 3278
1908 771 45 557 9 127141 16
Ardennen è ? ER a
1851 1551 124 859 81 4418 931 2849
1879 785 97 298 124 3 021 550 3849
1908 37 1 682 46 48 661 1318
Maas
1851 12 735 1 037 829 81 31985 167 2487
1879 10 162 1437 456 14I 35 041 860 3448
1908 2467 71656 29 2 040 056 827
Marne
1851 16 344 2 516 499 154 73 724 508 4511
1879 14 185 5 602 745 395 117 319 000 8271
1908 12 358 3 247 946 263 74 871573 6058
Meurthe und Mosel
1851 15 198 2 053 492 134 62 889 324 4138
1879 14 913 2 083 323 140 58 796 050 3943
1908 6499 227 924 35 6 389 056 983
Vogesen
1851 4794 494 245 103 15 340 648 3226
1879 5 068 414.057 82 13 244 000 2613
1908 1 227 16 295 13 506 275 413
bis 1908. Die Baisse ist allgemein und kommt, wenn man von der
Marne absieht, einem Zusammenbruch recht nahe. Das ist eben um
1879, seitdem die Reblaus ihre Verheerungen angerichtet hat. Andere
Krankheiten sind dazugekommen, die, wenn sie auch den Weinstock
selbst nicht vernichten, doch die Menge und Güte des Weines ver-
mindern und auf alle Fälle eine kostspielige Behandlung erfordern.
Endlich ist das Rebland gerade in den Jahren, die der Erhebung von
1909 unmittelbar vorausgingen, stark entwertet worden durch die an-
sehnliche Verteuerung der Handarbeit, den starken Fall der Weinpreise
und einige Fehlernten. Alle diese Faktoren haben übrigens den Kauf-
wert noch stärker beeinflußt als den Reinertrag.
5) Das Waldland.
Das Privatpersonen und anderen juristischen Personen als dem
Staat gehörende Waldland hat unter dem Gesichtpunkt seiner Fläche,
Reinerträge und Kapitalwerte seit 1851 die folgenden Erhebungs-
ergebnisse geliefert:
288 Miszellen.
Tabelle XV. Vergleichung der Ergebnisse der
Schätzung des Waldlandes.
5 ; M Reinertrag Kaufwert
epariemen A mittlerer | mittlerer
Erhebungen es gesimter pro ha gesamter pro ha
ha fres. fres. fres. fres.
Nord
1851 29 597 1 385 942 47 46 995 817 1588
1879 23 531 1 325 895 56 67 003 477 2847
1908 26 160 1 238014 47 46 041 354 1760
Pas de Calais
1851 35 408 1 296 781 37 44 367 485 1254
1879 27 627 1 228 154 44 46 004 210 1665
1908 31 279 933 654 30 33 170 773 1060
Somme
1851 44 995 1720959 38 71 098 888 1580
1879 35 183 1743 968 50 72293 471 2055
1908 43 004 976 271 23 38 955 928
Oise
1851 73 IOI 2 693 619 37 IOI 662 474 1391
1879 69 580 2 920 828 42 105 915 150 1522
1908 74 652 1 464 384 20 58 822 443 788
Aisne
1851 83 448 3 193 555 38 115 815 278 1388
1879 75 930 3 477 338 46 133 639 221 1760
1908 88 004 1936 750 22 77 421 589 880
Ardennen
1851 113 007 3 233 818 29 106 048 443 940
1879 115 591 3 850 671 33 116 967 635 1012
1908 127 807 2 090 216 16 76911 962 602
Maas `
1851 150 492 3315 138 22 116 315 355 774
1879 150 088 3 663 536 24 128 222 119 854
1908 158 923 3 188 077 20 105 483 695 664
Marne
1851 113 944 3 214 586 28 107 279 186 941
1879 140 236 3 545 931 25 127 675 880 910
1908 161 073 3 708 833 17 90 144 421 560
Meurthe u. Mosel
1851 105 624 2 687 006 25 91 892 880 870
1879 102 080 2622910 26 90 786 270 889
1908 112673 2 988 233 27 102 350 052 908
Vogesen
1851 132 505 3 265 600 24 131 709 351 1001
1879 151793 4 109 575 27 181 288 395 1194
1908 166 931 5 833 619 35 233 329 859 1398
Die Fläche ist nach diesen Angaben von 1851 bis 1879 zurück-
gegangen. Sie hat dann von 1879 bis 1908 zugenommen. Nur in den
Ardennen, der Marne und den Vogesen hat sie seit 1851 eine ununter-
brochene Zunahme erfahren.
Dagegen sind die gesamten Reinerträge und Kaufwerte von 1851
bis 1879 in fast allen Departements gestiegen und von 1879 bis 1908
trotz der Zunahme der Waldfläche wieder gefallen. Die mittleren
Hektarwerte, bis 1879 in mäßiger Aufwärtsbewegung, sind in der
Miszellen. 289
Periode 1879 bis 1908 in sieben Departements unter den Stand von
1851 gefallen. (Das Norddepartement behauptet im allgemeinen dieses
Niveau, während Meurthe und Mosel und Vogesen Zunahmen verzeichnen.)
Diese Bewegung ist leicht zu erklären. Wie die anderen Boden-
nutzungsarten, so hat auch das Waldland bis 1879 an der damaligen
allgemeinen Wertsteigerung von Grund und Boden teilgenommen und
auch aus den durch den Bau zahlreicher Eisenbahnen geschaffenen
neuen Transporterleichterungen Nutzen gezogen. Alle untersuchten
Departements, mit Ausnahme der Marne, sind dieses Mehrwertes teil-
haftig geworden. Seit 1879 aber hat die Krisis, die den Grundbesitz
überhaupt ergriff, auch die Waldungen nicht verschont. In Wahrheit
hat sie den Hochwald und besonders den Nadelwald verhältnismäßig
wenig betroffen, aber der Buschwald ist stark mitgenommen worden.
Seine Produkte, denen Kohle und Gas sowohl für den industriellen als
auch für den häuslichen Gebrauch starke Konkurrenz machen, haben
eine bedeutende Wertverminderung erfahren, besonders in den Kohlen-
bezirken, andererseits ist seine ehemals für die Ledergerberei benutzte
Rinde nach und nach durch chemische Mittel ersetzt worden. Daraus
erklärt es sich, daß trotz des noch hohen Wertes des Hochwaldes die
Mittel der Holzungen in 1908 doch einen bemerkenswerten Rückgang
verzeichnen.
Man muß übrigens hinzufügen, daß die zahlreichen Neupflanzungen,
da sie zum großen Teil auf schlechtem Boden erfolgt sind, in ihrer
Gesamtheit nur aus Buschholz minderer Qualität bestehen, dessen geringer
Wert noch dazu beiträgt, die Abschwächung der Mittel zu verstärken.
6) Heide, Hutungen oder schlechte Weiden und
anderes unangebautes Land.
Die Ergebnisse der drei Schätzungen von 1851, 1879 und 1908
resümieren sich, wie folgt: (Siehe Tabelle XVI auf S. 290.)
Nach diesen Aufstellungen hat die Fläche des unangebauten Landes
von 1851 bis 1879 abgenommen, und sie hat sich von 1879 bis 1908
wieder vergrößert. Diese Ab- und Zunahmen hängen gewöhnlich aufs
engste mit den Flächenveränderungen zusammen, die man bei anderen
Bodennutzungsarten beobachtet. Man stellt in der Tat fest, daß in den
Departements, wo die Heide, Hutungen usw. an Fläche verloren haben,
starke Steigerungen in der Fläche des Ackerlandes, der Wiesen oder
Holzungen eingetreten sind. Dagegen ist in den Departements, wo das
unangebaute Land seit 60 Jahren am meisten zugenommen hat, diese
Entwicklung darauf zurückzuführen, daß die Verteuerung der Handarbeit
die Aufgabe schlechten Ackerlandes herbeigeführt hat, oder daß infolge
der Reblausverheerungen ein Teil des Reblandes nicht wieder angepflanzt
worden ist.
Den Flächenzunahmen seit 1879 entsprechen nicht immer Zunahmen
an Kapital und Reinertrag. Die mittleren Reinerträge und Kaufwerte
sind von 1879 bis 1908, mit Ausnahme des Nord- und Meurthe und
Moseldepartements, sogar in allen Departements gefallen.
Jahrb. £. Nationalök. u Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 19
290 Miszellen.
Tabelle XVI. Vergleichung der Ergebnisse der
Schätzung der Heide usw.
Departa ra Reinertrag | Kaufwert
ENR PO mittlerer | mittlerer
Erhebungen ai gesamter pro ha goramser pro ha
fres. B
Nord
1851 24 361
1879 33 041
1908 59 525
Pas de Calais
1851 101435 7 3 197 833 207
1879 121 113 9 5 068 846 374
1908 88 073 6 3554 171 248
Somme
1851 62 246 5 2 269 989 182
1879 90 816 7 3 648 567- 293
1908 75 557 6 3 248 253 269
Oise
1851 137 714 12 5410017 460
1879 67 529 II 2458 245 387
1908 34 048 4 1 037 856 125
Aisne
1851 115 472 9 4 334 738 345
1879 164 570 17 5 644 740 578
1908 94 890 6 3 070943 231
Ardennen
1851 65 262 6 2 408 876 212
1879 46 061 7 1 486 200 227
1908 27 731 3 1 110 678 126
Maas
1851 10 283 I 576 090 62
1879 12 184 I 643 030 74
1908 43 697 2 1587 699 61
Marne
1851 33 248 4 1305 209 158
1879 36 817 6 1345 580 207
1908 114 247 3 3 181 670 82
Meurthe u. Mosel
1851 57 965 7 2 303 178 269
1879 47 187 6 1 666 400 223
1908 112 822 14 2755 813 346
Vogesen
1851 164 740 5 6051025 195
1879 117 515 6 4 907 425 252
1908 85 944 4 3 272 396 137
Indessen bietet die Bewegung dieser Werte nur untergeordnetes
Interesse. Erstreckt sie sich doch auf Land, dessen Ertrag immer ein
sehr geringer ist! Und im übrigen erklären sich diese notwendiger-
weise geringen Wertschwankungen weniger aus wirtschaftlichen Verhält-
nissen, die einen Einfluß auf die Entwicklung der Pachtpreise ausüben
könnten, als aus der Art der Grundstücke, die bei jeder Erhebung der
Gruppe zugeteilt worden sind.
Miszellen. 291
Schlußfolgerungen.
Aus den vorstehenden Darlegungen lassen sich gewisse Entwick-
lungstendenzen ableiten, die für die Zukunft der Land- und Forst-
wirtschaft des Okkupationsgebietes von erheblicher Bedeutung sind.
1. Es zeigt sich, daß die Flächen des Ackerlandes, der Garten-
ländereien und des Reblandes seit 1879 in der Abnahme, die der Wiesen,
der Holzungen, der Heide, Hutungen und des anderen unangebauten
Landes in der Zunahme begriffen sind. Dehnt man die Vergleichung
unmittelbar auf die beiden Jahre 1851 und 1908 aus, so stellt man
fest, daß die Flächen des Gartenlandes, des Ackerlandes, des Reblandes,
der Hutungen, Heide usw. (mit einigen Ausnahmen) zurückgegangen,
die der Wiesen und Holzungen aber gewachsen sind. Besonders die
Wiesen, was vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus recht erfreulich
ist, haben ganz bedeutend gewonnen.
2. Es zeigt sich ferner, daß die Reinerträge und Kaufwerte!j'des
Bodens in der Periode 1851 bis 1879 stark gestiegen sind, während in
dem Zeitraum 1879 bis 1908 die Grundbesitzer der untersuchten zehn
Departements eine Rente von 111 Millionen und ein Kapital von
6013 Mill. fres. verloren haben. Ihre gegenwärtige Lage ist schlechter
als die schon 1851 festgestellte: in jener Zeit stellte sich der Gesamt-
reinertrag schon auf 368 Millionen und der Gesamtkapitalwert auf
12142 Mill. fres., während in 1908/12 nur 331 Millionen und 9796
Mill. fres. ermittelt wurden. Also trotz der erheblichen Steigerung der
auf dem Grundbesitz liegenden Steuerlasten, der in die vielen Millionen
gehenden ständigen Meliorationsausgaben und der Erhöhung der Pro-
duktivität der besser angebauten Böden bezieht heute der Grundbesitzer
des Okkupationsgebietes eine geringere Rente als vor 60 Jahren, und
sein Grundkapital hat sich stark vermindert.
3. Und es zeigt sich endlich, daß die Reinerträge verhältnismäßig
bei weitem nicht so stark gefallen sind wie die Kapitalwerte. Das hat
aber keinen anderen Sinn, als daß die in dieser Entwicklung sich aus-
drückende Krisis mehr eine Krisis des Grundeigentums als der land-
wirtschaftlichen Unternehmung ist, mit anderen Worten, daß weniger
der landwirtschaftliche Unternehmer als der Eigentümer der leidtragende
Teil ist.
19*
292 ‚Literatur.
Literatur,
II
Rudolf Eberstadt, Der Ursprung des Zunftwesens
und die älteren Handwerkerverbände des Mittel-
alters.
Zweite, erweiterte und umgearbeitete Auflage. München und Leipzig
(Duncker u. Humblot) 1915. 8°. VI u. 330 SS. Preis 8 M.
Besprochen von G. v. Below, Freiburg i. Br.
In dem Artikel „Zur Geschichte der deutschen Stadtverfassung“,
den ich kürzlich in diesen Jahrbüchern, Bd. 105, S. 651 ff. veröffentlichte,
machte ich die Bemerkung (S. 652, Anm. 1), im Wörterbuch der Volks-
wirtschaft seien unter dem Stichwort „Zünfte“ die kritischen Stimmen
über „die erfolglosen Versuche Eberstadts, die Entstehung des Zunft-
wesens, zu erklären“, verzeichnet. Nun liegt uns ein neuer Versuch
Eberstadts vor, aber, um es sogleich zu sagen, belastet mit dem ganzen
Dilettantismus, der seinen früheren Versuchen eigen war.
Die Absicht E.s war es, die hofrechtliche Theorie zu verteidigen;
damit verband er die Theorie, daß der städtischen Zunft ein soge-
nanntes Magisterium, ein „herrschaftlicher“ Verband, vorausgegangen
sei. Trotz der entschiedenen Ablehnungen, die seine Bemühungen ge-
funden hatten, trägt er jetzt seine Ansichten von neuem vor.
Der Hauptunterschied zwischen der ersten und zweiten Auflage
seines Buches ist der, daß in dieser ein langer literaturgeschichtlicher
Ueberblick vorausgeschickt ist. Man könnte ihn wegen der mancherlei
Notizen, die er bringt, verdienstlich nennen, wenn nicht auch in ihm
schon der ganze Unverstand des Buches hervorträte. E. verzeichnet
hier Arbeiten, die über die Entstehung des Zunftwesens nur gelegent-
liche Bemerkungen bringen oder gar nur über das spätere Zunftwesen
handeln, in einem Atem mit solchen, die der Frage der Entstehung der
Zünfte gründliches Quellenstudium widmen. Er hält sich ferner von
Parteilichkeit nicht fern. Im Jahre 1887 habe ich meine Kritik der
hofrechtlichen Theorie veröffentlicht. Damit beginnt, wie kein Kun-
diger bestreitet, ein neuer Abschnitt in den Erörterungen über die Ent-
stehung des Zunftwesens. Weil ich aber E.s Auslassungen abfällig
beurteilt habe, bringt er es nicht übers Herz, mit meiner Arbeit einen
neuen Abschnitt anfangen zu lassen. Er läßt ihn mit — Lamprechts
Wirtschaftsleben beginnen! Damit würde Lamprecht selbst gar nicht
‚Literatur. 293
zufrieden gewesen sein. Denn er hielt ja an der alten, der hofrecht-
lichen Theorie fest; er wollte über das Handwerk gar nichts Neues
sagen. Außerdem liegt der Schwerpunkt von Lamprechts Wirtschafts-
leben, das hier in Betracht kommt, in der Schilderung der agrarischen
Verhältnisse; vom städtischen Handwerk ist nur nebenbei die Rede.
Nach Lamprecht nennt E. Andreas Heusler (Institutionen des deutschen
Privatrechts). In dessen Darstellung würde man vergeblich nach einer
näheren Erörterung über die Entstehung des Zunftwesens suchen.
Heusler spricht wohl über ständische Verhältnisse im allgemeinen, nicht
besonders aber über das Aufkommen des Zunftwesens. Aus seinem
Buch über den Ursprung der Stadtverfassung weiß man, daß er für
den Handwerkerstand die hofrechtliche Theorie nicht abgelehnt hat.
Soweit er in den „Institutionen“ auf die Zünfte zu sprechen kommt
(mit ein paar Worten), hält er auch noch an der alten Theorie fest.
Indem E. dann zu meinen Arbeiten übergeht, stellt er es so dar, als ob
sie einfach Wildas Studien fortsetzen. Er hätte sich aber leicht davon
überzeugen können, daß bei mir gar keine Anlehnung an Wildas
Studien vorliegt. Ich bin vielmehr von einer Erörterung des Charakters
der Bede, der ältesten deutschen Steuer, ausgegangen. Vgl. über diese
Zusammenhänge meinen „Deutschen Staat des Mittelalters“, Bd. 1,
S. 87 und 92 (Anm. 2). Von Wildas Bemerkungen habe ich erst nach-
träglich Kenntnis genommen. Amüsiert hat es mich, daß E. auf S. 82
meinen Arbeiten vom Jahre 1887, ferner Gotheins Wirtschaftsgeschichte
des Schwarzwaldes und Keutgens Arbeiten je ein paar Zeilen, dagegen
der Leipziger Dissertation von W. Müller über den Ursprung der
mittelalterlichen Zünfte, die ohne selbständige Bedeutung ist, gut zwei
Seiten (S. 98- 100) widmet. Müller wird auf das höchste gelobt. Der
Grund ist: er sucht nach Möglichkeit die hofrechtliche Theorie zu
retten!
S. 102 spricht E. von dem Art. Zünfte von Stieda in der 3. Auf-
lage des Handwörterbuchs der Staatswissenschaften. Wer ahnt bei der
Art, wie E. über diesen Artikel berichtet, wohl, daß sich darin ein
Satz über den reichlichen Widerspruch findet, der gegen E.s Arbeiten
laut geworden ist? E. hätte überhaupt die kritischen Stimmen, die zu
seinen und den von ihm gelobten Arbeiten sich geäußert haben, ver-
zeichnen sollen. Dann wäre dem Leser seines Buches die Nachprüfung
erheblich bequemer geworden. Meinen Artikel „Handwerk und Hof-
recht“, Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 1914,
S. 1ff., hat E. unerwähnt gelassen (bei S. 102f.).. Nach dem, was ich
vorhin bemerkt habe, brauche ich eine Erklärung dafür nicht zu
geben.
Kürzlich las ich den Satz: „Die Stoffgruppierung verrät immer
das Maß an Einsicht, das ein Autor in sein Problem hat.“ Damit ist
eine Kritik für E.s Literaturüberblick wie für die Untersuchung, die
er auf ihn folgen läßt, gegeben. In der Art der Untersuchung zeigt er
keinen Fortschritt gegenüber der ersten Auflage seines Buches. Die
Auswahl der Städte, aus deren Quellen er seine Belege zusammen-
gesucht hat, wirkt geradezu komisch: Pontoise, Hagenau, Doberan,
294 Literatur.
Chälons, Basel usw. Charakteristisch ist auch, daß er in einem „An-
hang“ „gegnerische Einwände und Meinungen“ zu beseitigen sucht.
Und das, was er hier gegen seine Gegner sagt, ist unglaublich
dürftig.
Geh wir indessen einige Proben von der Art, wie E. die Ur-
kunden interpretiert. S. 164ff. spricht er über die Wormser Fischer-
urkunde von 1106. Ich will noch nicht so großes Gewicht darauf
legen, daß er die piscatores Fischhändler nennt. Tatsächlich sind sie
Fischer, nicht Fischhändler.. Wenn in der Urkunde auch von ihrem
Handel die Rede ist, so handelt es sich um die allgemeine Tatsache,
daß im Mittelalter dem Gewerbetreibenden der Handel mit den Artikeln
seiner Branche grundsätzlich zugesprochen wird. Wollte man deshalb,
weil jene Fischer auch Fische verkaufen, sie Fischhändler nennen, so
müßte man auch die Weber Gewebehändler, die Schuster Schuhhändler
nennen. E. erklärt ferner die Urkunde von 1106 für eine „Fischmarkt-
ordnung“ und läßt auf alle, die in ihr eine Zunfturkunde sehen, Pech
und Schwefel regnen. Eine Marktordnung ist sie aber ganz und gar
nicht; denn sie setzt sich zum Zweck nicht eine allgemeine Regelung
der Marktverhältnisse, sondern nimmt ihren Ausgangspunkt ganz
speziell von den Verhältnissen bestimmter 23 Fischer. Diese sind auch
nicht einmal die einzigen Fischer, die für Worms in Betracht kommen.
Diese 23 Fischer haben ihre Stellen erblich. Das ist durchaus kein
Hindernis, ihren Verband als Zunft anzusehen. Denn in der älteren
Zunftgeschichte sind der numerus clausus und die Tendenzen zur Ver-
erbung der Meisterstellen ja eine bekannte (E. unbekannte?) Erschei-
nung. E. dekretiert: „Den piscatores fehlt das absolute Recht der
Selbstergänzung.“ Er hätte sich doch erst fragen sollen, ob denn
nachweislich „das absolute Recht der Selbstergänzung“ zum Wesen der
Zunft gehört. Wenn er sich unbefangen in der Zunftgeschichte um-
gesehen hätte, würde er wissen, daß das nicht der Fall ist, daß ein
Eingreifen der städtischen Gemeinde bzw. ihrer Vertretung bei der
Neuaufnahme der Zunftmitglieder keineswegs ohne Beispiel war. Die
betreffenden Quellenstellen sind so leicht zu finden, daß E. sie sich
selbst suchen mag. Er fährt dann fort: „Die piscatores haben sogar
nicht einmal das relative Recht, bei der Aufnahme eines neuen Ge-
nossen mitzusprechen.“ Das Verhältnis ist indessen tatsächlich dies,
daß die Fischerstellen sich in den betreffenden Familien vererben; das
ist ein so starkes Recht des Verbandes gegenüber dem Stadtherren und
der Gemeinde, wie es kaum stärker gedacht werden kann. Nur in
einem Fall wirkt die Gemeinde mit: nämlich wenn kein Erbe da ist.
Dieser Fall aber darf als Ausnahmefall angesehen werden. E. führt
endlich noch ein, wie er meint, schlagendes Argument gegen die Deu-
tung der Fischerurkunde als Zunfturkunde an: den Fischern fehle sogar
die eigene Gewerbegerichtsbarkeit. Es ist ja aber bekannt (ich habe
es schon 1887 nachgewiesen), daß die Gewerbegerichtsbarkeit nicht
zum Wesen der Zunft gehört, daß sie erst allmählich von den Zünften
erworben worden ist. E. setzt hier mit der ihm eigenen Willkür die
veraltete Ansicht Schmollers, der in der Gewerbegerichtsbarkeit das [!]
Literatur. 295
Wesen der Zunft sah, als richtig voraus. So viel zur Charakteristik
des E.schen Versuchs, die Wormser Urkunde zu interpretieren. Eine
positive Erklärung der Angaben der Urkunde brauche ich hier nicht zu
geben; das Erforderliche findet man ja in der vorhandenen Literatur.
Ein anderes Beispiel. S. 131 ff. erklärt E. alle diejenigen für
unglaublich töricht, die in der Mainzer Urkunde von 1099 und in der
Würzburger Urkunde von 1128 Zunfturkunden sehen. Nun hat die
bisherige Forschung alle wünschenswerte Zurückhaltung geübt; bei der
Urkunde von 1099 hat man betont, daß es schwierig sei, ein bestimmtes
Urteil über sie zu gewinnen. Für E. aber existieren Schwierigkeiten
nicht. Er dekretiert einfach: da die Urkunden eine gegliederte Zunft-
verfassung nicht erwähnen, so ist eine Zunft nicht vorhanden. Während
er sagen durfte, daß die vorhandenen Nachrichten nicht klar erkennen
lassen, ob eine Zunft vorhanden war, erklärt er einfach: der Verband
ist ohne Gliederung, eine Zunft nicht vorhanden usw. Die kritiklose
Verwendung des argumentum ex silentio ist das besondere Kennzeichen
des Dilettanten. Der vorsichtige Forscher fragt, ob denn für eine be-
stimmte Quelle auch ein Anlaß vorlag, bestimmte Dinge zu erwähnen.
Man kann ja nicht von jeder Urkunde die Erwähnung der sämtlichen
Beziehungen, in denen die betreffenden Personen standen, erwarten.
Zumal im Mittelalter kommt eine Urkunde meistens nur aus bestimmten
einzelnen Anlässen zustande. Die kritiklose Anwendung des argumentum
ex silentio würde gerade hier zu wahren Ungeheuerlichkeiten führen.
Die Handwerker z. B. bringen eine bestimmte einzelne Beschwerde vor;
sie erwarten aber gar nicht, daß die Behörde, die dann eine Urkunde
ausstellt, sogleich alle ihre Beziehungen regelt oder erwähnt. Nun
kommt es aber doch oft vor, daß in der Urkunde nebenbei Beziehungen
zur Sprache kommen, die für die Aufdeckung weiterer Verhältnisse sehr
wichtig sind, und solche Nachrichten haben dann die fachwissenschaft-
liche Forschung in den Stand gesetzt, mehr von der Vergangenheit, wie
sie tatsächlich war, zu ermitteln, als es E. bei seinen — um einen
milden Ausdruck zu gebrauchen — nicht sehr fein geschliffenen Werk-
zeugen möglich ist. Ich unterlasse es auch hier, eine positive Er-
klärung jener beiden Urkunden zu geben; das wäre zu viel Ehre für
E.s dilettantischen Versuch. Nur auf einen Umstand möchte ich ihn
noch aufmerksam machen. Er belehrt uns, daß bei den beiden Ur-
kunden von einer Zunft nicht die Rede sein könne, weil sie nichts von
„Organen“ der Zunft, von verfassungsmäßiger Gliederung berichten.
Abgesehen davon, daß E. sich hätte fragen müssen, ob denn ein Anlaß
vorlag, von solchen Dingen zu sprechen, hätte er doch erst nachweisen
sollen, daß das Wesen einer Zunft eine bestimmte Gliederung verlangte.
Wir wissen ja aber, daß alle solche Dinge sich erst allmählich ent-
wickelten.
Indem E. es unterläßt, unbefangen aus den Quellen das Wesen der
Zunft zu bestimmen, kommt er zu dem Resultat: „die Entstehungszeit
des Zunftwesens ist der Abschnitt von ca. 1150—1225.“ Damit setzt
er sie zu spät an. Er ignoriert einfach die neueren Untersuchungen,
z. B. die von H. v. Lösch (in der Einleitung zu den Kölner Zunft-
296 Literatur.
urkunden). E.s Verfahren ist ja aber auch aus Erörterungen auf anderen
Gebieten bekannt. „Ein solches Vorgehen muß den Eindruck erwecken,
als ob es Eberstadt nicht mehr um die Aufklärung eines komplizierten
Tatbestandes, sondern nur um den Sieg seiner Meinungen zu tun wäre.“
So urteilt E. Lederer, Archiv für Sozialwissenschaft, Bd. 32 (1911),
S. 159.
Zum Schluß!) gebe ich noch etwas von der Art der persönlichen
Polemik, wie sie E. eigen ist, zum besten. S. 305 schreibt er: „Wäh-
rend v. Below den Anschein einer durch urkundliche Zeugnisse belegten
Darstellung erweckt, stellt er über deren Wert in einer seiner jüngsten
Veröffentlichungen die neue Lehre auf: das Prinzip, die Quellen reden
zu lassen, ist in jeder Hinsicht ein Unsinn“, und dann läßt er eine Flut
von Schimpfwörtern auf mich niederhageln, in die ich mich übrigens
mit Forschern wie Keutgen und Dopsch teilen muß, weil sie durch ihre
Ablehnung der hofrechtlichen Theorie E. — ebenfalls unbequem sind.
Ich frage: ist E. wirklich so bodenlos ungebildet, daß ihm die von mir
vorgetragene Lehre eine „neue Lehre“ ist? Diese Lehre soll ich erst
vorgetragen haben? In der Zeit, als ich Student war, waren ja schon
aus Anlaß der Kontroverse, die sich an Joh. Janssens Geschichte des
deutschen Volks knüpfte, alle Gassen davon voll. Wenn aber E. „eine
durch urkundliche Zeugnisse belegte Darstellung“ mit „dem Prinzip,
die Quellen reden zu lassen“, gleichstellt, so beweist er damit nur,
daß er entweder ein vollkommener Dilettant oder ein literarischer Klopf-
fechter ist. Ich vermute, er ist beides. So faßt seine Art auch ein
namhafter Jurist in Seeligers Histor. Vierteljahrschrift, 1901, S. 99 f.
auf. Unter diesen Umständen ist es wohl vergebliche Mühe, E. auf-
zufordern, die Stelle im Zusammenhang nachzulesen, an der ich die
angeblich „neue Lehre“ vorgetragen habe (Histor. Ztschr., 91, S. 436).
1) Zu den Kritiken der älteren Versuche E.s, die im Wörterbuch der Volkswirt-
schaft unter dem Artikel ,„Zünfte“ notiert sind, mögen noch verzeichnet werden : Rach-
fahl, Jahresberichte der Geschichtswissenschaft, 20, II, S.273; Des Marez, Revue critique,
Februar 1898, S. 144; Ét. Martin Saint-L&on, Hist. des corporations de métiers, 2. Aufl.
(Paris 1909), S. 57 und 90; K. Bücher, Ztschr. f. d. ges. Staatswissenschaft, 1910,
S. 772; Histor. Vierteljahrschrift, 1898, Bibliographie 8. 81.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 297
Uebersicht über die neuesten Publikationen
Deutschlands und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Asch, Käte, Die Lehre Charles Fouriers. Jena (Gustav
Fischer) 1914. 179 SS.
Diese Darstellung der Lehre Fouriers beruht nicht, wie im Vor-
wort ausdrücklich hervorgehoben, auf neu erschlossenen Quellen, sondern
ist in der Absicht entworfen, das Bleibende und Typische des Fourier-
schen Systems in eine engere Beziehung zu den Problemen der gegen-
wärtigen Sozialpolitik zu bringen, als dies nach der Ansicht der Ver-
fassserin bisher der Fall gewesen ist. Von diesem Gesichtspunkt aus ist
der Inhalt des vorliegenden Werkes, das sich hauptsächlich mit Fouriers
Kritik der bestehenden Gesellschaftsverhältnisse, der Eigenart seiner
philosophischen Grundanschauungen, der Organisation der Gesellschaft
auf genossenschaftlicher Unterlage und der Verwirklichung seiner Ideen
im Familistöre de Guise beschäftigt, aufzunehmen und zu beurteilen.
Fourier wird sicher als Sozialpolitiker dauernde Bedeutung bean-
spruchen können. Er wollte, wie vielfach an anderer Stelle ausführlich
auseinandergesetzt worden ist — vgl. u.a. auch mein Buch „Zur Ent-
wickelungsgeschichte des Sozialismus“, 1909, S. 97 ff. — der Begründer
einer neuen Gesellschaftswissenschaft werden, die sich aus der abge-
schlossenen Erkenntnis der menschlichen Leidenschaften und Triebe zu
bilden habe Er nahm an, daß es eine Gesellschaftsordnung geben
könne, in der das Einzelinteresse mit dem Gesamtinteresse sich ver-
binde, jeder seine Fähigkeiten zum Wohle aller verwerte und keiner
aus Selbsterhaltungstrieb den anderen auszubeuten oder zu schädigen
brauche. Fourier eröffnete den Reigen der Assoziationstheoretiker des
19. Jahrhunderts: er ahnte die großen Vorteile jeder wirtschaftlichen
Assoziation, allerdings ohne die richtigen Mittel zu ihrer Durchführung
namhaft zu machen. Die gesellschaftlichen Mißstände schob er auf
den individuellen Mangel des Besitzes und diesen wollte er mindern,
ohne sich jemals kommunistischen Ansichten zu nähern. Er bezeichnete
das Eigentum als die Vorbedingung jedes sozialen Fortschritts und die
Armut als die Ursache aller Uebel; so wollte er das Privateigentum
weder abschaffen noch umbilden, sondern den Besitz verallgemeinern
und den Unternehmergewinn anderweitig wie bisher verteilt wissen.
Fourier in erster Linie betonte die Notwendigkeit der Gewähr eines
298 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Existenzminimums im Notfalle, und was ursprünglich utopisch geklungen,
hat in der sozialpolitischen Gesetzgebung vieler Staaten später dogma-
tische Kraft erlangt. Vor ihm, der auf die engen und verpesteten
Wohnstätten, die tausende und abertausende von Menschen in sich
bergen, zuerst hinwies, und dem in seinen Phalangen das Ideal der
Gartenstadt vorschwebte, war auch der Lösung der Wohnungsfrage
niemand näher getreten. So haben seine Ideen trotz ihrer Sprödigkeit
und anscheinenden Unverwendbarkeit bedingungsweise auch praktische
Bedeutung für die Gegenwart, und der Grundgedanke, dem das Werk
von Käte Asch entsprungen ist, kann gewiß als berechtigt und lebens-
fähig bezeichnet werden.
Doch der Inhalt ist nicht einwandfrei. Die Verfasserin ist sicher
eine gute Kennerin Fouriers, aber sie gibt keine neue Auslegung seiner
Lehre, und die Breite der durch Fourier hervorgerufenen Bewegung,
namentlich für die Zwecke der Sozialpolitik, ist von ihr nicht genügend
erkannt und gewürdigt. Victor Considérant z. B., der unvergeßliche
Schüler Fouriers, dessen „Destinée sociale“ auch in der Gegenwart
noch vielen höchst lesenswert erscheint, ist nur ganz flüchtig (S. 112)
erwähnt, und der Ecole societaire, die die Lehren Fouriers in zahl-
reichen Schriften zum Gegenstand der verschiedenartigsten sozialpoli-
tischen Untersuchungen gemacht hat, wird garnicht gedacht. Anderer-
seits ist Fouriers geistige Persönlichkeit gut dargestellt (S. 66 ff.).
Die philosophischen Grundlagen seiner Lehre sind klar, vielfach auch
geistvoll auseinandergesetzt und die Betrachtungen über sein Verhältnis
zu Saint-Simon und Owen beachtenswert. Godin, der ausgezeichnete
Sozialpolitiker, der aus der Schule Fouriers hervorgegangen, ist treffend
gekennzeichnet (S. 163 ff.), und die Einrichtungen des von ihm ge-
schaffenen Familistere de Guise sind zuverlässig geschildert. Doch
auch hier ist nichts wesentlich Neues geboten. Die vorliegende Schrift
kann daher zwar als eine genügende Berichterstattung tiber dasjenige,
was in der Wissenschaft bereits bekannt gewesen, bezeichnet werden,
aber das Ziel, das die Verfasserin sich gesteckt und im Vorwort aus-
drücklich namhaft gemacht hat, ist nicht voll erreicht.
Berlin. Otto Warschauer.
Pesl, D., Der Mindestlohn. München und Leipzig (Duncker &
Humblot) 1914. 8%. 403 SS.
Jede erhebliche und dauernde Verbesserung in der Lebenshaltung
der Lohnarbeiter hat zur Voraussetzung, daß der Lohn eine gewisse,
die Innehaltung dieses gehobenen Niveaus verbürgende Höhe hat. In
allen Kulturländern ist heute nur ein verschieden großer Teil der
Arbeiterschaft in der glücklichen Lage, diese Lolınhöhe erreicht zu
haben, und auch er hat keine Sicherheit dieses Besitzes. Auf
manchen Arbeitsgebieten, zumal der Heimarbeit, überhaupt aber der
nicht qualifizierten Arbeit, ist der Lohn sogar beständig so niedrig,
daß er eine umfassende und wirksame Koalition als Mittel sozialer
Selbsthilfe nicht zustande kommen läßt. Da erscheint denn die Hilfe
von außen vielfach als das einzige mögliche Mittel, um zu einer aus-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschiands und des Auslandes. 299
kömmlichen Lohnhöhe und damit auf den zur Hebung der Gesamtlage
führenden Weg zu gelangen. In der rechtssicheren Festsetzung von
Mindestlöhnen wird diese Hilfe nach einer weit verbreiteten Auf-
fassung am wirksamsten, wenn nicht gar allein wirksam geleistet. In
den Tarifverträgen ist ein bedeutsamer Anfang damit gemacht worden,
denn alle Tariflöhne sind Mindestlöhne. Aber die Tarifverträge ent-
behren selbst der rechtlichen Sicherheit. Sie sind nur „sozial verbind-
lich“, d. h. zwar bestenfalls, wie bei uns, an sich rechtsverbindlich,
aber in ihren Einzelwirkungen rechtlich völlig unsicher, weil vom ob-
jektiven Recht fast überall da im Stich gelassen, wo ihre Auslegung,
Erfüllung, Innehaltung oder Verletzung im Einzelfalle in Frage steht.
So ergibt sich denn von selbst das Problem der gesetzlichen Fest-
legung von Mindestlöhnen mitsamt dem ganzen Komplex von Einzel-
fragen, den es in sich schließt: für welche Arbeiterarten, von welchen
Instanzen, in welchem Verfahren, mit welchen durch die große Ver-
schiedenheit der Arbeiterkategorien und der Arbeitsverhältnisse ge-
botenen Differenzierungen, unter welchen Kautelen usw. eine solche
Festsetzung möglich und einer rationellen Ausgestaltung fähig ist?
Das Buch von Pesl will dieses Problem erschöpfend erörtern, nicht
nur in seiner theoretischen Seite, sondern auch durch Betrachtung der
bisher zu seiner Lösung unternommenen gesetzgeberischen Maßnahmen
und ihrer Wirkungen. Der Standpunkt des Verf. ist dabei der, daß
eine gesetzliche Lohnregelung, obwohl zumeist als gefährlicher sozia-
listischer Eingriff in das Prinzip des freien Arbeitsvertrags und damit
in eine der Hauptgrundlagen der bestehenden Wirtschaftsordnung abge-
wiesen, gleichwohl in europäischen Staaten und insbesondere in Deutsch-
land überall möglich sei und segensreich wirken werde. Er gibt daher
zunächst einen Ueberblick über die Lohnlehren von Vertretern der ver-
schiedensten Richtungen und Länder und beschreibt dann die austral-
asiatische Lohngesetzgebung, deren Uebertragbarkeit auf europäische
Staaten, insbesondere durch Gegenüberstellung der verschiedenen Pro-
duktionsbedingungen und sonstigen Verhältnisse in den verschiedenen
Ländern, weiterhin erörtert wird. Daran schließt sich eine Darstellung
der Mindestlohngesetzgebung in Kanada und Massachusetts, der eng-
lischen Gesetzgebung über die Lohnämter und über Mindestlöhne im
Bergbau sowie der deutschen und der französischen Heimarbeitergesetz-
gebung. Die bei Vergebung von öffentlichen Arbeiten in verschiedenen
Ländern vorkommenden Mindestlöhne und — als ein vorgestellter Er-
satz für Mindestlöhne — das System der Gewinnbeteiligung nach
seinem Wesen und in seinen verschiedenen Erscheinungsformen sowie
die Mindestlöhne der Gewerkvereine und in den Tarifverträgen werden
weiterhin besprochen. Es folgt eine Vorführung der wichtigsten Lohn-
theorien (Standardlohn, living wage usw.), die man eigentlich bei den
„Lohnlehren“ erwartet hätte, sowie des Lohnniveaus gewisser Arbeiter-
schichten (Frauen, Lehrlinge, Landarbeiter). Endlich werden die bisher
erhobenen Einwendungen gegen einen gesetzlichen Mindestlohn kritisch
erörtert und daran positive Vorschläge für eine deutsche Mindestlohn-
gesetzgebung geknüpft. In einem Schlußwort wird das Fazit gezogen.
300 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Der Verf. ist durchgängig bemüht, das Thema so gründlich als
möglich nach allen Seiten hin auszuspinnen, und seine Darstellungsweise
ist eine klare und gründliche. Die Tatsachen sind im ganzen zutreffend
geschildert. Unrichtigkeiten finden sich im Abschnitt „Geschichtliche
Lohnlehren“, besonders hinsichtlich Adam Smith. Daß dessen Werk
unter „die Schriften der Volkswirtschaftlehrer zu Beginn des 19. Jahr-
hunderts“ gerechnet wird (es erschien i. J. 1776), mag ein Flüchtigkeits-
fehler sein. Dagegen darf man ihm nicht vorwerfen (S. 9), er habe
ähnlich wie Mandeville gelehrt, der es für das Interesse aller wohl-
habenden Klassen erklärte, daß die große Masse unwissend und arm
bleibe. A. Smith, der ausgesprochene Arbeiterfreund, hat sich niemals
in einem solchen volksfeindlichen Sinne geäußert. Der Verf. widerlegt
sich in dieser Hinsicht auch selbst, indem er bald darauf (S. 21) Smith
sagen läßt: „die reichliche Belohnung der Arbeit ist sowohl die natür-
liche Wirkung als das sicherste Kennzeichen des wachsenden National-
reichtums; der kärgliche Unterhalt des arbeitenden Armen ist ein
natürliches Zeichen des Stillstandes, und wenn der Arbeiter Not leidet,
so ist es ein Beweis, daß die Nation rasch rückwärts gehe.“ Ebenso
weiterhin (S. 22/23): „Wie A. Smith glaubt auch Ricardo, daß der tat-
sächliche Lohn in einem fortschreitenden Staate auf unbestimmte Zeit
hinaus über dem natürlichen Lohn — Mindestlohn — stehen könne;
Smith behauptete diese Erscheinung als praktisch zutreffend für das
18. Jahrhundert in England; mit dem Fortschreiten der bürgerlichen
Gesellschaft habe auch immer der natürliche Preis der Arbeit das
Streben zum Steigen, während der natürliche Preis aller Güter, aus-
genommen der Roherzeugnisse und der Arbeit, fortwährend falle.“ Und
namentlich gegen den Schluß hin (S. 330): „Schon A. Smith betonte,
die Behauptung sei unrichtig, daß ein reichlicher Lohn den Fleiß der
Arbeiter verringere; denn es sei unwahrscheinlich, daß ungenügend ge-
nährte Menschen besser arbeiten als gut genährte, gedrückte besser als
fröhliche, häufig kränkelnde besser als gesunde.“ Unrichtig ist auch,
daß wir „schon vor Quesnay und Turgot, unabhängig von diesen, die
physiokratischen Lehren bei Hume, J. Tucker und Cantillon“ finden
(S. 12).
Seine persönliche Stellungnahme zum Thema gründet der Verf.
vor allem darauf, daß die behauptete Verletzung der Vertragsfreiheit
durch gesetzliche Mindestlöhne überall da illusorisch sei, wo gar keine
solche Freiheit besteht, wo nämlich der Arbeiter nur einen bloß oder
kaum den notdürftigen Lebensunterhalt gewährenden Lohn erhält. Das
„Naturgesetz“ von Angebot und Nachfrage sei in Wirklichkeit nie ein
solches gewesen. Ebenso weist er die Bedenken gegen die praktische
Durchführbarkeit und gegen die behaupteten schädlichen Folgen einer
Mindestlohngesetzgebung als unhaltbar nach. In letzterer Hinsicht
kommt namentlich in Betracht die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmer
gegenüber dem Auslande, welche durch die Steigerung der Arbeits-
intensität, als Folge der im Mindestlohn enthaltenen Lohnerhöhung,
sowie durch Verbesserungen des Arbeitssystems erhalten werden kann.
Ferner der im Mindestlohn angeblich liegende Anreiz zu immer höheren
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 301
Lohnforderungen (zu denen die Arbeiter aber auch ohne Mindestlohn
Veranlassung finden), anderseits die Besorgnis der Arbeiter, daß ein
gesetzlicher Mindestlohn zum Höchstlohn werde. Weiter die Fragen
des Einflusses von Mindestlöhnen auf die Arbeitsleistungen sowie auf
die Lebensweise des Arbeiters, auf Verteuerung der Produktion und
damit Schädigung der Arbeiter selbst als Konsumenten, auf Minderung
der Arbeitsgelegenheit, anderseits auf Vermehrung oder Verminderung
des Arbeiterangebots, endlich auf eine etwaige Ergänzung der Mindest-
löhne durch Höchstlöhne. Die Untersuchung dieser Frageu führt ihn
zur Widerlegung der darin enthaltenen grundsätzlichen und praktischen
Einwendungen gegen Mindestlöhne. Die Verhältnisse der Hausarbeiter
werden dabei besonders berücksichtigt. Nicht zum Schaden, sondern
zum Nutzen für die Einzel- wie für die Volkswirtschaft werde in allen
Fällen die gesetzliche Einführung von Mindestlöhnen ausschlagen.
Freilich würde auch bei vielen jetzt schon über den einzuführenden
Mindestlohn bezahlten Arbeitern eine Lohnerhöhung allmählich eintreten
müssen, um die von diesen verrichtete bessere Arbeit auch besser zu
bezahlen. Das sei aber nur gerecht, da jedem Arbeiter Entlohnung
nach dem Werte seiner Leistung gebühre.
Das Wesentliche dessen, was sich zugunsten gesetzlich regulierter
Mindestlöhne anführen läßt, ist erschöpfend behandelt. Die Objektivität,
die der Verf. sich ausdrücklich zum Vorsatz macht, wird jedoch leider
in bestimmter Richtung von ihm schwer verletzt. Bei Besprechung
der Gewinnbeteiligung greift er nämlich den durch seine systematischen
und erfolgreichen Bemühungen auf diesem Gebiete verdienten Groß-
unternehmer und allgemein geachteten Sozialpolitiker Freese auf das
heftigste an. Die Form, in der diese Polemik an verschiedenen Stellen
des Buches ausgesponnen wird, ist eine nicht nur persönlich verletzende,
sondern stellenweise maßlos gehässige. Ihre schlimmste Seiste ist die
— natürlich beweislose — Verdächtigung sowohl der Motive Freeses
(als „Reklame“ usw.) wie der Lauterkeit seines langjährigen Wirkens
als großindustrieller Arbeitgeber. Diese Vorwürfe wiegen, abgesehen
von ihrer kränkenden Form, um so schwerer, da sie die Uebereinstim-
mung seines Handelns als Arbeitgeber und der in seinen literarischen
Werken vertretenen sozialpolitischen Ueberzeugung im Lichte bewußter
Disharmonie erscheinen lassen. In die Behauptung systematischer Irre-
führung sowohl seiner Arbeiter als der Oeffentlichkeit spitzen sich
ganz unzweideutig die gegen Freese gerichteten Angriffe zu. Ihre
Maßlosigkeit erweckt unwillkürlich den Eindruck, daß sie in einem be-
sonderen Grunde wurzeln. Man geht schwerlich fehl, wenn man an-
nimmt, daß sie hauptsächlich dem Bodenreformer Freese gelten. Denn
das Schlußwort enthält einen vom Zaun gebrochenen Anwurf gegen die
Bodenreformer in ganz demselben, sonst nicht wiederkehrenden Tone.
Es heißt da nämlich: die Erziehung der Arbeiter dürfe „nicht aufge-
bauet sein auf Predisen von Haß und Neid gegen die Besitzenden, wie
es z. B. die Bodenreformer mit ihren sozialistischen Plänen gegen die
Bodeneigentümer, Bergswerkseigentümer usw. tun, indem sie ihre sozia-
listischen Lehren schon in die Volksschule tragen“. Ein an anderer
302 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Stelle gleicherweise künstlich in den Zusammenhang hineingeschobeuer
Ausfall auf die Wertzuwachssteuer bestätigt diese Annahme. Es ist
sehr zu bedauern, daß der Verf., wenn er sich gegen die Bodenreformer
wenden wollte, die Mittel und Wege einer ruhigen, sachlichen Kritik
der Frage bestehender Mißbräuche in der Nutzung des Bodens und
der dagegen zu ergreifenden Maßnahmen vermieden hat. So gut wie
der umwälzende „sozialistische“ Eingriff in die Vertragsfreiheit, eine
der Hauptgrundlagen unserer Gesellschaftsordnung, der in einem ge-
setzlichen Mindestlohnsystem zweifellos liegt, in objektiver Weise in
dieser Arbeit nach allen Seiten hin’ erörtert worden ist, ebensogut hätte
auch das Bodenproblem, wofern es überhaupt, auf eine natürliche Weise,
in den Zusammenhang der vom Thema des Werkes umfaßten Fragen
hineinragte, sine ira et studio behandelt werden können. Dem Buche
wäre alsdann der Charakter und Wert einer im höheren, vornehmen
Sinne des Wortes wissenschaftlichen Arbeit unbedenklich zuzuerkennen
gewesen.
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6. Handel und Verkehr.
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Handelsmarine durch Prämien. Hamburg (L. Friederichsen & Co.
[Dr. L. & R. Friederichsen]) 1914. IV u. 233 SS. gr. 8°. Mit einem
Literaturverzeichnis, Tabellenanhang und 3 Diagrammen. 6 M.
In der äußeren Schiffahrtspolitik stellte die englische Navigations-
akte vom 9. Oktober 1651 das äußerste Extrem dar, das je die un-
gleiche Behandlung der fremden Flaggen angewendet hat. Die hollän-
dische Handelsflotte, auf die 16000 von insgesamt 20000 Fahrzeugen
der Welthandelsflotte nach einer Schätzung Colberts um diese Zeit
kamen, wurde dadurch aus dem Handel und Verkehr mit England und
seinen Kolonien vollständig verdrängt und warf sich nun massenhaft
auf den damals gerade aufblühenden französischen Seehandel. Die
äußere Schiffahrtspolitik Colberts machte es sich zu ihrer Aufgabe,
„die holländische Konkurrenz zurückzudrängen, nach und nach ganz
auszuschalten und auch keine neue mehr aufkommen zu lassen“. Es
wurde ein Tonnengeld von 50 sous (pro Registerton) eingeführt, das
jedes fremde Schiff zu entrichten hatte, so oft es in einem französischen
Hafen landete. Milderungen zugunsten der holländischen Schiffahrt
enthielt der Freundschaftsvertrag mit den Vereinigten Niederlanden
vom 27. April 1662, wonach das Tonnengeld von einem holländischen
Schiff auf einer Reise nur einmal erhoben werden durfte und sich auf
die Hälfte ermäligte, wenn französisches Salz als Rückfracht mit-
genommen wurde. 1667 wurden diese Bestimmungen aber schon wieder
aufgehoben, in dem pacte colonial vom 10. Juni 1670 der Verkehr
zwischen Frankreich und seinen Kolonien und der „koloniale Zwischen-
verkehr“ ausschließlich der französischen Flotte vorbehalten und den
Kolonien alle Märkte, außer dem französischen, in Ein- und Ausfuhr
gesperrt. Colbert schuf aus politischen Gründen eine Kriegsflotte und
war durch Uebertragung der Seepolizei an sie für die Sicherheit auf den
Meeresstraßen besorgt. Colberts System der Seeschiffahrtspolitik blieb
in seinen Grundlagen bis zur großen Revolution bestehen. Am 21. Sep-
tember 1793 erließ Frankreich seine Navigationsakte, die ganz der
englischen nachgebildet war. Das Tonnengeld Colberts wurde darin
beibehalten, die französischen Schiffe aber davon befreit. Zur Zeit
der Restauration war die Navigationsakte, die nie durchgesetzt werden
konnte, seit langem außer Anwendung, der Vorbehalt der Küsten-
schiffahrt, das Monopol des kolonialen Zwischenverkehrs und die
Tonnengelder wurden aber zugunsten der französischen Flagge auf-
recht erhalten. Durch rund 30 bis zum Jahre 1860 abgeschlossene
Handelsverträge wurde allmählich für die direkte Einfuhr die gleiche
Behandlung der Flaggen aller Nationen zur Regel. Die oben genannte
Bevorzugung der französischen Flagge wurde aber erst durch das
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 305
Gesetz vom 19. Mai 1866 vollständig aufgehoben und das System der
gleichen Behandlung der Flaggen eingeführt. Aber bereits das Gesetz
vom 30. Januar 1872 brachte Flaggenzuschläge für die Einfuhr auf
nichtfranzösischen Schiffen sowie Zwischenplatzzuschläge. Die Franzi-
sierungsgebühr für Schiffe ausländischen Ursprungs wurde bedeutend
erhöht. Da das Gesetz aber dem Vertrag mit Oesterreich von 1866
widersprach, wurde es am 28. Juli 1873 wieder aufgehoben. An die
Stelle der ungleichen Behandlung der Flaggen traten die durch die
Gesetze von 1881, 1893, 1902 und 1906 eingeführten Prämien.
In der inneren Schiffahrtspolitik förderte Colbert die französische
Handelsflotte durch Prämien von 100 sous pro Registerton an die
französischen Schiffbauer und durch Zuschüsse von 4 livres pro Ton
für den Ankauf fremder Schiffe je mit mehr als 100 Tons Raumgehalt.
In seiner Ordonnance de la marine löste aber Colbert die Arbeiter-
frage für die Handelsmarine. Für die Küstenbevölkerung wurde näm-
lich zuerst die allgemeine Wehrpflicht eingeführt und ihr dafür wert-
volle Privilegien verliehen. Dies System hatte Erfolg und löste das
der Handelsmarine schädliche System der Schließung der Häfen ab im
Fall des Bedarfs von Leuten für die Kriegsmarine, die dann gepreßt
worden waren.
Hinsichtlich der verwickelten Bestimmungen der vier einzelnen
Prämiengesetze verweise ich auf das Buch selber. Die Gesetze waren
in ihrer Wirkungsdauer beschränkt, galten aber nebeneinander weiter.
So gelten neben dem Gesetz von 1906 noch Bestimmungen der Gesetze
von 1893 und 1902; das zuerst genannte Gesetz gilt 12 Jahre, wird
aber erst 1930 wirkungslos. Es hob die mariage d’enfer zwischen
Reederei und Schiffbau auf, übersah aber, die unsinnige, künstliche
Förderung des Baus von Segelschiffen zu beseitigen. Es führt Bau-
prämien ein, die von Jahr zu Jahr abnehmen, bis sie nach 5 Jahren
dauernd 100 frcs. pro Registerton für Dampfschiffe (65 fres. für Segel-
schiffe, 40 und 30 fres. für Holzschiffe) und 20 fres. für 100 kg Ma-
schinen betragen, und Betriebszuschüsse von 2 cent. für 6000 bis
4 cent. bis zu 3000 Tons für Dampfschiffe und 1 cent. für 1001 und 3 cent.
bis 500 Tons für Segelschiffe. Der Betriebszuschuß wird pro Bruttoton
und Betriebstag gewährt. Auch dieses Gesetz, das die Reeder von
ihrer Zinspflichtigkeit an die Schiffbauer und Geldverleiher befreite,
der sie die früheren Gesetze unterworfen hatten, vermochte den er-
hofften Aufschwung der französischen Handelsschiffahrt nicht herbei-
zuführen. Es wurde auch, namentlich von Caillaux, heftig bekämpft.
Die Gründe der Erfolglosigkeit der französischen Prämienpolitik, die
durch ausführliche Tabellen nachgewiesen wird, sieht der Verf. in der
geographischen Lage Frankreichs und in dem Stande seiner Volks-
wirtschaft, die nur ein Fünftel des Gewichtes der Rohstoffeinfuhr als
Ausfuhrfracht liefert und es daher den diese Einfuhr herbeiführenden
Schiffen ermöglicht, selbst die mit Prämien unterstützten französischen
Reeder in den Frachtsätzen für die französischen Zufallsfrachten zu
unterbieten. Ein weiterer Grund der Erfolglosigkeit kommt auf Rech-
nung der französischen Zentralisation, die die Selbstverwaltung der
Jahrb, f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 20
306 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Hafenstädte lahmlegt, die großen Hafenplätze benachteiligt, ihnen die
Erbauung moderner technischer Einrichtungen unmöglich macht und
dafür Unsummen für kleine, lebensunfähige Zwerghäfen vergeudet.
Das Buch beherrscht die umfangreiche Literatur und Statistik
vollständig, stellt den Stoff klar und übersichtlich dar und begründet
die vertretene Anschauung überzeugend und nach jeder Richtung.
Berlin-Treptow. Cl. Heil.
Barmm, Rudolph, Deutschlands Stellung im Welthandel und
im Weltverkehr. Braunschweig (George Westermann) 1914. 145 SS.
Auf Grund der Hauptergebnisse der amtlichen Außenhandels- und
Verkehrsstatistik gibt das Buch eine übersichtliche Darstellung der
wichtigsten Tatsachen des Welthandels und Weltverkehrs unter be:
sonderer Berücksichtigung Deutschlands. Hauptsächlich ist dem Verf.
darum zu tun, das Interesse für die Statistik selbst zu wecken. Eine
das Wesentliche geschickt hervorhebende textliche Einführung in die
Einzelgegenstände und eine das Erfassen des statistischen Bildes er-
leichternde Anordnung des tabellarischen Materials dienen dieser Ab-
sicht des Verf., dem seine Vertrautheit mit den Hamburger Handels-
und Verkehrsverhältnissen hierbei zustatten kam. So verfolgt das
Buch in erster Linie pädagogische Zwecke. Es will nicht, wie gewisse
recht überflüssige Veröffentlichungen der jüngsten Zeit, die bewährten
amtlichen statistischen Jahrbücher ersetzen, sondern zu ihnen hinführen
und wird namentlich auch in höheren Schulen, Handelslehranstalten
usw. bei dem Unterricht in der Wirtschaftsgeographie und der Volks-
wirtschaftslehre gute Dienste leisten können.
Cöln. A. Wirminghaus.
Apelbaum, Dr. Johs., Basler Handelsgesellschaften im 15. Jahrhundert, mit
besonderer Berücksichtigung ihrer Formen. (Beiträge zur schweizerischen Wirtschafts-
kunde, hrsg. von Drs. Prof. Bachmann, T. Geering, Nationalr. Georg, Prof. Landmann,
Prof. Milliet, Prof. William E. Rappard, Wartmann. Heft 5.) Bern, Stämpfli u. Cie.,
1915. gr. 8. IV—186 SS. M. 4.—.
Boos-Jegher (Gen.-Sekr.), Ed., Unsere Absatzverhältnisse in Industrie, Gewerbe
und Landwirtschaft. Vortrag. (Schriften für Schweizer Art und Kunst, No. 20.) Zürich,
Rascher u. Cie., 1915. 8. 39 SS. M. 0,80.
Fraenkel, Hans, Dampfschiff und Eisenbahnen am Niederrhein. Studien über
ihre Anfänge, unter besonderer Berücksichtigung Düsseldorf. Mit 2 Eisenbahnkarten.
Düsseldorf, Schmitz u. Olbertz, 1915. gr. 8. III, IV u. S. 177—287. M. 3.—.
Handelsverträge, Die, des Deutschen Reichs. Eine Zusammenstellung der
geltenden Handels-, Zoll-, Schiffahrts- und Konsularverträge des Reichs und einzelner
Bundesstaaten mit dem Ausland. Hrsg. im Reichsamt des Innern. Ergünzungsband
und Sachverzeichnis für das Gesamtwerk. Berlin, E. 8. Mittler u. Sohn, 1915. 8.
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schaftliche und Verwaltungsstudie. Mit einem Geleitwort von (Präsid.) Dr. Paul Gygax
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Peddie, J. Taylor, On the relation of imports to exports. New York, Longmans.
12. 5 +88 pp. $ 1.—.
Stephenson, James, The principles and practice of commerce. London,
J. Pitman. 8. 648 pp. 5/-—.
7. Finanzwesen.
Rühl, Paul, Grundlagen des Rechnungswesens der Gemeinden.
Jena (Gustav Fischer) 1914. 8% 38 SS. 1 M.
Ein kleines Schriftchen, das vom Verf. selbst als die „kaum ver-
änderte Niederschrift eines Vortrages“ bezeichnet wird und daher alle
die Vorzüge bietet, die das gesprochene Wort vor dem am Schreibtisch
gedachten hat, zumal da die Voraussetzung eines guten Inhaltes gleich-
falls erfüllt ist. Auf engem Raume ist ein, wenn auch knapper, so im
wesentlichen doch vollständiger und gut geordneter Ueberblick über das
gemeindliche Rechnungswesen geboten, der dem Laien — auch mancher
städtische Beamte muß sich ja als Laien auf dem Gebiete des Rechnungs-
wesens ansehen — ein klares Bild zu verschaffen geeignet ist, und
demjenigen, der sich in das schwierige Gebiet einarbeiten will oder
muß, eine gute Grundlage bietet. Einzig der Gegensatz zwischen
kameralistischer und kaufmännischer Buchführung hätte vielleicht noch
etwas schärfer herausgearbeitet werden können. Das Büchlein sei also
warm empfohlen.
Jena. Johannes Müller-Halle.
Helfferich (Staatssekr.), Dr. Karl, Kriegsfinanzen. 2. Teil. Reichstagsreden
am 20. VIII. und 14. XII. 1915. (Der deutsche Krieg. Politische Flugschriften. Hrsg.
von Ernst Jäckh. 69. Heft.) Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt, 1915. gr. 8. 49 SS.
M. 0,50.
Voos, Carl, Die Verteilung des Gemeindesteuerbedarfs auf die verschiedenen
Steuerarten. Nach dem Kommunalabgabengesetz vom 14. VII. 1893, der Ausführungs-
anweisung vom 10. V. 1894, den bezüglichen Ministerialerlassen und Entscheidungen des
Oberverwaltungsgerichts zusammengestellt. Breslau, J. U. Kern’s Verlag (Max Müller),
1916. 8. 64 SS. M. 0,80.
Combat, F. L., Les finances publiques et la guerre 1914—15. Textes officiels
précédés d’une étude générale (France et étranger). Paris, Berger-Levrault, 1915. 16.
104 pag. fr. 1,25.
Sonne, H. C., The city; its finance, July 1914, to July 1915, and future.
London, Effingham Wilson. Cr. 8. 308 pp. 5/.—.
Theory of finance, The. By King. London, Layton. Cr. 8. 4/.—.
20*
308 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.! r
Deck, Fritz, Die Pfälzische Bank. Ein Beitrag zur Geschichte
des deutschen Kreditgenossenschafts- und Bankwesens. Karlsruhe i. B.
(G. Braun) 1914. 8%. XI u. 121 SS. Geh. M. 2,40.
Kritische Monographien von Banken besitzen wir bisher nicht.
Diejenigen, die eine solche Bankgeschichte schreiben könnten, wie die
leitenden Vorstandsmitglieder und die in das gesamte Geschäft einge-
weihten Aufsichtsrats-Vorsitzenden, werden aus naheliegenden Gründen
an eine solche Arbeit nicht herangehen, und die Außenstehenden werden,
selbst wenn sie den besten Willen und die größten Fähigkeiten hierzu
besitzen, ihrer Aufgabe nicht voll gerecht werden können, weil sie
niemals Einblicke in Interna gewinnen werden. Das sahen wir an den
vor einiger Zeit erschienenen Arbeiten über die Nationalbank für
Deutschland und die Mitteldeutsche Privatbank. Auch der Verf. der
vorliegenden Arbeit hat zwar, wie er in der Einleitung schreibt, Ein-
blicke in verschiedene Protokolle über Gründung und Statutenänderung
nehmen können und Auskunft über „viele wichtige Fragen“ von der
Bankleitung erhalten, über die letzten Motive aber, die zu dem oder
jenem Handeln geführt haben, Mitteilung zu machen, wird keiner der
Eingeweihten sich für befugt halten.
Dies vorausgeschickt, besitzen solche Monographien über Bank-
unternehmen immerhin einen nicht zu unterschätzenden Wert für den
Privatwirtschaftler, wie für den Volkswirtschaftler, insbesondere dann,
wenn, wie es der Verf. der vorliegenden Arbeit getan hat, der Zu-
sammenhang mit wichtigen Problemen herzustellen gesucht wird. So
wird hier die Umwandlung der Pfälzischen Bank von einer Genossen-
schaft in eine Aktiengesellschaft nicht nur vom Standpunkt dieses
Unternehmens aus betrachtet, sondern das Problem als solches wird
behandelt, Wesen und Zweck von Kreditgenossenschaften einerseits
und Aktienkreditbanken andererseits wird darzustellen gesucht; weiter
werden die Ursachen der Umwandlungen von Genossenschaften in
Aktienbanken erforscht, und mit einem Kapitel: „Der heutige Charakter
umgewandelter Kreditgenossenschaften“ schließt der Exkurs, bei dem
der Verf. sein Material hauptsächlich den Blättern für Genossenschafts-
wesen entnommen hat.
Wir sehen, daß bei der Pfälzischen Bank, wie bei vielen Provinzial-
instituten, der Erfolg ein erheblich besserer gewesen wäre, wenn die
Baık sich auf das reine Kontokorrentgeschäft beschränkt und sich von
Gründungs- und Spekulationsgeschäften ferngehalten hätte. „Es ergibt
sich unstreitig, daß bei allen diesen Geschäften des Institutes Vorsicht
und Umsicht gerade nicht den alleinigen Ausschlag gegeben haben“
(S. 86). Der Verf. schätzt auf Grund verschiedener Angaben in den
Jahresberichten die Verluste der Bank aus fehlseschlagenen Effekten-
geschäften auf rund 3 Millionen M. Er schreibt dann weiter (S. 62):
„Das sind die mit ziemlicher Sicherheit festzustellenden Verluste. Wie
groß müssen die Verluste gewesen sein, die durch stille Reserven usw.
gedeckt werden konnten.“
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 309
Der eigenartige Entwicklungsgang der Pfüälzischen Bank von der
genossenschaftlichen Volksbank zur großen Privatbank mit ausgedehntem
Filialnetz und dann wieder ihre Unterordnung unter die Rheinische
Creditbank und damit Einordnung in den Konzern der Deutschen Bank
war einer Spezialuntersuchung wert, und der Verf. hat sich seiner Auf-
gabe so gut erledigt, wie es unter den erwähnten Verhältnissen mög-
lich war.
Breslau. Georg Obst.
Dernburg (Staatssekr. a. D., Wirkl. Geh. R.), Dr., Krieg, Wohnungsfrage und
Realkredit. Vortrag, gehalten auf der 2. Generalversammlung des Groß-Berliner Vereins
für Kleinwohnungswesen am 6. 10. 1915. Nebst Bericht über die Verhandlungen der
2. Generalversammlung. (Schriften des Groß-Berliner Vereins für Wohnungswesen,
3. Heft.) Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1915. gr. 8. III-51SS. M. 1.—.
Esser (Geh. Justizr.), Rob., Zur Frage der Berechnung der Gewinnanteile
(Tantiemen) des Vorstandes und des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft. Bonn,
A. Marcus u. E. Weber, 1915. 8. 15 SS. M. 0,80.
Hanisch (Handelshochsch.-Prof.), Hans, und (Handelshochsch.-Doz.) W. Prion,
Drs., Anschauungsstoffe aus dem Gebiete der kaufmännischen Wirtschaft. Heft 1.
Effekten und Verkehr in Effekten. Leipzig, G. A. Gloeckner, 1915. gr. 8. 80 SS,
M. 2,25.
Iränyi, Bernh., Die in- und ausländischen Privatversicherungs-Gesellschaften
in Oesterreich-Ungarn im Jahre 1914. 21. Jahrg. 16 SS. M. 1,25. — Die Geschäfts-
resultate der österreichisch-ungarischen Lebensversicherungs-Gesellschaften und der aus-
ländischen Lebensversicherungs-Gesellschaften in Oesterreich-Ungarn im Jahre 1914.
39. Jahrg. 24 SS. M. 1,25. Wien, J. Eisenstein u. Co., 1915. Lex.-8.
Jahrbuch der Frankfurter Börse. Ausgabe 1916. 28. Jahrg. (Früher Hand-
buch des Finanzherold.) Ein Handbuch und Nachschlagewerk für Bankiers, Kapitalisten
und Industrielle. Gegr. von Heinr. Emden, fortgeführt von der Redaktion des „Hand-
buch der deutschen Aktien-Gesellschaften“. 28. voliständ. umgearb. Aufl. Berlin, Ver-
lag f. Börsen- u. Finanzliteratur, 1915. gr. 8 XXIII—1126 8S. M. 15.—.
Lang, Otto, Die Baukosten-Rangordnung (Baukosten-Rechtsvermerk). Ein Vor-
schlag zur Umgestaltung des baugewerblichen Kreditwesens. Wien, Manz, 1915.
gr. 8. 5088. M. 1.—.
Pohle, Prof. Dr. Ludwig, Die neuere Entwicklung des Zinsfußes und der
Einfluß des Weltkrieges auf seinen Stand. Rede bei der Feier des Rektoratswechsels
der Universität Frankfurt a. M. am 26. 10. 1915. (Frankfurter Universitätsreden,
1915, IIL.) Frankfurt a. M., Blazek u. Bergmann, 1915. gr. 8. 30 SS. M. 1.—.
Schmalenbach (Handelshochsch.-Prof.), F., Finanzierungen. Leipzig, G. A.
Gloeckner, 1915. gr. 8. VI—290 SS. M. 7,80.
Schütz, Frz., Der Zinsschein. Zusammenstellung sämtlicher deutschen und der
hauptsächlichsten ausländischen Eisenbahn-, Bank-, Industrie- und Versicherungs-Aktien
und -Obligationen, sowie der Anleihen und Pfandbriefe von Staaten, Städten, Kreisen,
Genossenschaften, Hypotheken-Banken etc., mit Angabe des Wertes der Zins- bezw.
Erträgnisscheine und der in- und ausländischen Zahlstellen. Hrsg. von Mart. Brandus.
36. Jahrg, 1916. Mit Nachträgen. Berlin, Brandussche Verlagsbuchh., 1915. gr. 8.
IV—854 u. 603 SS. M. 19.—.
Commercial paper and bills of exchange of the world; a review of the general
methods observed in discounting commercial paper and bills of exchange throughout
the world; with a special reference to bank acceptances, also a brief history of the
origin and development of commercial paper. Banking Law Journal year book, 10th
year. New York, Banking Law Journal. 4. $ 1,50.
Hebburn, A. Barton, A history of currency in the United States, Revised
and rewritten. London, Macmillan. 8. 10/.6.
Huebner, Solomon S., Life insurance. A text-book. London, Appleton.
Cr. 8. 7/.6.
310 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Stumpf, Antony, The bankers’ encyclopedia: September, 1915. 42th ed. New
York, Bankers’ Encyclopedia Co. 4. 2335 pp. $ 8.—.
Gids voor Nederlandsche bijzondere spaarbanken. 1915. Uitgeg. door den Neder-
landschen Spaarbankbond, zetel te Rotterdam. Rotterdam, Drukkerij J. de Jong. te 8.
6 en 611 blz. m. 1 krt. fl. 2.—.
9. Soziale Frage.
Bonne, Georg, Heimstätten für unsere Helden. München (Ernst
Reinhardt) 1915. 123 SS. 1,80 M.
Das Buch des als Sozialpolitiker und Menschenfreund bekannten
Sanitätsrats Dr. Bonne behandelt eigentlich die gesamte städtische
Wohnungsfrage. Die drei ersten Kapitel, die 86 Seiten umfassen, sind
fast ausschließlich allgemein boden- und wohnungspolitischen Erörte-
rungen gewidmet. Bonne weist hier mit Recht auf die Notwendigkeit
der systematischen Dezentralisation unserer heutigen Großstädte in
hygienischer, sozialer und volkswirtschaftlicher Beziehung hin, gibt die
Mittel und Wege für ihre Durchführung an und zeigt ihren Nutzen für
die nationale Entwicklung. Erst im letzten Kapitel kommt der Verf.
auf die Behandlung der Heimstätten für unsere Helden und entwickelt
hier ähnliche Gedanken, wie sie in dem Kriegerheimstätten - Heft des
Jahrbuchs der Bodenreform niedergelegt sind.
Das Buch ist von hohen Idealen getragen und verfolgt mehr pro-
pagandistische als wissenschaftliche Zwecke. In seinen Forderungen
geht Bonne sehr weit; er verlangt ein allgemeines Enteignungsrecht
für Staat und Stadt zur Durchführung seiner Gedanken. Wenn auch
das Buch wenig Neues bringt, so wird es doch infolge des außer-
ordentlich reichhaltigen Materials, das der Verf. zusammengetragen hat,
auch der mit Nutzen lesen können, der auf diesen Gebieten kein Neuling
mehr ist.
Oberhausen. Dr. Strehlow.
Kracht, Ernst, Das Streikpostenverbot. München und Leipzig
(Duncker u. Humblot) 1914. kl. 8%. 89 SS.
Die Fragen des Streikpostenverbots, des Arbeitswilligenschutzes
und des Koalitionszwangs hängen auf das engste zusammen und bilden
einen Komplex heikelster Materien für die Sozialpolitik wie für die
Rechtsprechung. Der Verfasser will die erstgenannte scharf aus diesem
Knäuel heraussondern und ihre Lösung vom Standpunkte einer ge-
sunden Rechtspolitik unter eingehender sozialpolitischer Würdigung
der Streikpostentätigkeit und ihrer Folgeerscheinungen versuchen.
Hierzu werden zunächst Begriff und Aufgaben des Streikpostens
untersucht. Als letztere ermittelt er: Ueberwachung zwecks Beobach-
tung der Streiklage, Kontrolle der Verbandsgenossen und Fühlung-
nahme mit den Arbeitswilligen. Der Streikposten erscheint dabei als
notwendiges Mittel zur erfolgreichen Betätigung der Koslitionsfreiheit
in Arbeitskämpfen. Sein generelles Verbot würde daher deren Er-
schwerung bedeuten. Sodann wird die Rechtslage geprüft. Die be-
kannte Entscheidung des Reichsgerichts von 1900, die das Streikposten-
verbot des Lübecker Senats wegen seines Widerspruchs mit Artikel 2
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 311
der Reichsverfassung aufhob, erscheint nicht haltbar, dagegen wird aus
§ 153 der Gewerbeordnung in Verbindung mit dem $ 2 des Ein-
führungsgesetzes zum Strafgesetzbuch gefolgert, daß das Streikposten-
stehen landesgesetzlich nicht verboten werden kann. Auch die Unzu-
läassigkeit eines generellen, dem Gesichtspunkte des Verstoßes gegen die
öffentliche Ruhe, Sicherheit und Ordnung entnommenen Polizeiverbotes
wird dargetan. Am allerwenigsten ist der Tatbestand des groben Un-
fugs gegeben.
Auf dieser Unterlage wird nun im Hauptteil der Arbeit die rechts-
politische Frage: wie rechtfertigt sich ein Streikpostenverbot? erörtert.
Unter eingehender kritischer Ausscheidung aller das Thema auf eine
schiefe Grundlage stellenden Argumente wird dieses Problem in zwei
Einzelfragen zerlegt: wieweit die durch Streikposten geübte Willens-
beeinflussung rechtswidrig ist, und wieweit etwaige Auswüchse des
Streikpostenstehens mit der Einrichtung selbst so eng verbunden sind,
daß ein Verbot unabweislich erscheint? In ersterer Hinsicht kann
weder von rechtswidrigem Zwang, noch von rechtswidriger Drohung
die Rede sein, ebensowenig in letzterer Hinsicht von notwendigem
Konnex mit Streikausschreitungen, insbesondere mit solchen terroristischer
Natur. Durch Belege aus dem Leben werden diese Beweisführungen
gestützt. Die sich anschließende Untersuchung darüber, welche Hand-
haben der Polizei gegen solche Ausschreitungen bereits zur Verfügung
stehen, ergibt, daß die verfügbaren vollauf genügen. Nur kann nicht
etwa durch dieses Ergebnis das Problem in dem Sinne für erledigt
erklärt werden, daß eine geschickte Handhabung dieser Mittel das
Streikpostenstehen illusorisch mache. Denn den eingehend geschilderten
Gefahren polizeilicher Willkür würde damit nicht Rechnung getragen.
Gegen ein generelles Streikpostenverbot spricht dem Verf. die
Befürchtung des Eintritts von bestimmten teils kriminalpolitisch, teils
sozialpolitisch unerwünschten Folgen, die er näher darlegt, außerdem
auch die Schwierigkeit der juristischen Begriffsbestimmung des Streik-
postenstehens. Sonach kommt er zu dem Schlusse, daß ein Streikposten-
verbot weder in vollem, noch in beschränktem Umfange sich recht-
fertigen läßt. Soweit Auswüchse des Streikpostenstehens vorkommen,
falle ihre strafrechtliche Bekämpfung unter das Problem des Arbeits-
willigenschutzes. Vor allem dürfe man die Bedeutung der Gesetzgebung
nicht überschätzen. Weit mehr komme es auf den in der Verwaltung
herrschenden Geist und auf die Art der Handhabung der Gesetze, be-
sonders von seiten der Polizei an.
Die Arbeit zeigt ein reifes sozialpolitisches Verständnis und nament-
lich auch eine gute Vertrautheit mit den Verhältnissen des praktischen
Lebens. Der besonnene, abwägende Standpunkt wird konsequent durch-
geführt. Daß ein allgemeines Verbot des Streikpostenstehens nur Oel
in das Feuer der Arbeitskämpfe gießen und die Anwendung viel be-
denklicherer Mittel nach sich ziehen würde, ist nicht zu verkennen.
Ebenso, daß das Streikpostenstehen, sowenig wie Auswüchse desselben
jemals werden verhütet werden können, doch bei Besonnenheit und
gutem Willen ohne Schädigungen des Gemeinwohls oder von Interessen
312 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
am Kampfe Unbeteiligter stattfinden kann. Wollte man es wegen der
Gefahr von Mißbräuchen verbieten, so müßte man konsequenterweise
das Koalitionsrecht selbst beseitigen, da keine einzige wirksame Art
seiner Ausübung von solcher Gefahr frei ist. Die ruhigere Auffassung
über die Arbeiterbewegung und damit auch über die Arbeitskonflikte,
die sich jetzt während des Krieges durchsetzt, wird im Frieden sicher-
lich auch die Lösung der Streikpostenfrage wesentlich erleichtern.
Marburg (Lahn). H. Köppe.
Aus der Werkstatt des Krieges. Ein Rundblick über die organisatorische und
soziale Kriegsarbeit 1914/15 in Oesterreich-Ungarn. Unter der Leitung des (Geh. Rates
General-Dir.) Emil v. Woinowich. Hrsg. und redig. von (Abteilungsvorst. Oberstleutn.)
Alois Veltze. Illustriert von C. Pippich. Wien, Manz, 1915. 8 III—245 SS.
M. 2,60.
Blind (z. Zt. Stabsarzt), Prof. Dr., Kriegsbeschädigtenfürsorge als ärztliche und
wirtschaftliche Aufgabe. Leipzig, Benno Konegen, 1915. Lex.-8. 4 SS. M. 1.—.
Lange, Helene, Die Frauenbewegung in ihren modernen Problemen. 2. um-
gearbeitete Aufl. (Wissenschaft und Bildung. Einzeldarstellungen aus allen Gebieten
des Wissens, Bd. 27.) Leipzig, Quelle u. Meyer, 1915. 8. VII—-150 SS. M. 1.—.
Potthoff (Reichstags-Abg.), Dr. Heinz, Soziale Wirkungen des Weltkrieges.
(Deutsche Kraft. Kriegskultur und Heimarbeit 1914/15, hrsg. von Leo Colze. Heft 17.)
Berlin, Arıhur Collignon, 1915. gr. 8. 32 SS. M. 0,50.
Witowski (Reichsversich.-Dir.), Carl, Reichsversicherungswesen. Kriegsfürsorge.
(Unterm eisernen Kreuz 1914/15. Kriegsschriften des Kaiser Wilhelm-Dank, Verein
der Soldatenfreunde. Heft 37.) Berlin, Kameradschaft, 1916. 8. 60 SS. M. 0,30.
Duckworth, Sir Dyce, Views on some social subjects. New York, Macmillan.
8. 306 pp. $ 2.—.
11. Gesetzgebung, Staats- und Verwaltungsrecht. Staatsbürgerkunde.
Huberich, Charles Henry, Das englische Prisenrecht in
seiner neuesten Gestalt. Unter besonderer Berücksichtigung der seit
August 1914 erlassenen Gesetze und gefällten Entscheidungen der
Prisengerichte Englands und der britischen Ueberseebesitzungen und
Protektorate. Herausgegeben im Auftrage der Aeltesten der Kauf-
mannschaft von Berlin. Berlin (Carl Heymanns Verlag) 1915.
VIII u. 135 SS. 4 M.
Die Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin, in deren Auftrage
die Herausgabe dieser Schrift erfolgt ist, sowie der Verf. haben sich
ein großes Verdienst erworben, indem sie in ihr eine, soweit es sich
gegenwärtig beurteilen läßt, durchaus zuverlässige, auf die Quellen
gestützte Darstellung des Prisenrechts in der Gestalt, in der es von
der englischen Staatsregierung und den englischen Prisengerichten
in dem großen Weltkriege gehandhabt wird, veranlaßt und veröffent-
licht haben. Der Verf. hat sich, wie er in der Vorrede sagt, zum Ziel
gesetzt, „nur die tatsächlich angewandten Regeln des Prisenrechts vom
rein juristischen Standpunkt aus darzustellen, ohne jegliche Bezug-
nahme auf die politische Tragweite derselben“. Der Verf. ist in der
ganzen Schrift diesem Vorsatze gewissenhaft treu geblieben. Und nicht
bloß dies. Er hat auch jede Erörterung der Frage, ob und inwieweit
die neuesten englischen Prisengesetze (insbesondere die Order in Coun-
cil vom 11. März 1915) und die Rechtsprechung der englischen Prisen-
gerichte mit den bisher anerkannten Rechtssätzen des Völkerrechts in
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 313
Einklang stehen, vermieden. Seine Darstellung ist eine rein sachliche,
aber sie bietet das Material dar, um die Handhabung: des Prisenrechts
durch England untersuchen und beurteilen zu können. Hierfür sind
wir jetzt nicht mehr auf lückenhafte und unzuverlässige Zeitungsnach-
richten angewiesen, sondern wir haben in der Schrift des Verf. hierfür
eine feste Grundlage erhalten. Berücksichtigt sind die Gesetze und
Verordnungen wie die Entscheidungen des Londoner Prisengerichts, die
bis Ende April 1915 ergangen sind, und die der englischen Ueberseeprisen-
gerichte, die bis Ende März 1915 ergangen sind. In neun Abschnitten
behandelt der Verf. die Quellen des englischen Prisenrechts, das mate-
rielle Prisenrecht sowie die Organisation und das Verfahren der eng-
lischen Prisengerichte. In einem sehr dankenswerten Anhang gibt der
Verf. den Wortlaut der Prisengesetze und Verordnungen wieder und
fügt eine Liste der Prisengerichte in den englischen Kolonien und in
Aegypten bei.
Es kann hier auf die wissenschaftliche Erörterung der einzelnen
Fragen nicht eingegangen werden. Es bedarf aber auch kaum des
Hinweises darauf, daß diese Fragen nicht nur für die Juristen, sondern
auch für den Handel und die Schiffahrt der kriegführenden wie der
neutralen Staaten von der größten Wichtigkeit sind. Von besonderem
Interesse ist der Nachweis, den der Verf. erbringt (S. 12), daß die Pariser
Seerechtsdeklaration vom 16. April 1856 von der englischen Staatsregierung
und den englischen Prisengerichten nicht als ein England verpflichten-
der völkerrechtlicher Vertrag anerkannt wird. Die Deklaratiou sei
zwar von dem britischen Bevollmächtigten unterzeichnet, aber von der
Regierung nicht ratifiziert worden. Demgemäß hat auch die Ver-
ordnung vom 11. März 1915 den in der Pariser Deklaration verein-
barten Rechtssatz: „Frei Schiff, frei Gut“ nicht anerkannt, sondern
durch erhebliche Bestimmungen durchbrochen.
Halle a./S. Loening.
Arbeiterschutzvorschriften, Die, im Deutschen Reich zur Durchführung
der §§ 120, 120a bis 120c bezw. auf Grund der §§ 120e und 120f, sowie der $$ 139a
und 139h der Gewerbeordnung. Zusammengestellt im Reichsamt des Innern. Berlin,
Carl Heymanns Verlag, 1915. gr. 8. XVIII—559 SS. M. 6.—.
Bismarck-Jahr, Das. Eine Würdigung Bismarcks und seiner Politik in
Einzelschilderungen, als Säkularschrift hrsg. von Max Lenz und Erich Marcks. Mit 14
ganzseitigen Kupferdruckbildern. Hamburg, Broschek u. Co., 1915. 30,5 X 21 em.
VII—274 8S. M. 8.—.
Braun (Minist.-R.), v., Verkehr mit Lebens- und Futtermitteln. Die Verord-
nungen des Bundesrats über den Verkehr mit Lebens- und Futtermitteln und über
Höchstpreise. Hrsg. mit den bayrischen Ausführungsbestiimmungen nach dem Stande
vom 1. 12. 1915. München, Buchdruckerei u. Verlagsanstalt Carl Gerber, 1915. kl. 8.
477 SS. M. 2,40.
Hofmeister, Prof. Dr. Adolf, England und das Völkerrecht im gegenwärtigen
Weltkriege. Eine Zusammenstellung. (Unter eisernem Kreuz 1914/15. Kriegsschriften
pes Kaiser-Wilhelm-Dank, Verein der Soldatenfreunde. 38. u. 39. Heft.) Berlin,
Kameradschaft, 1916. 8. 152 SS. M. 0,60.
Hopfen, Dr. Otto Helmut, Kriegslehren zur äußeren Politik. (Kriegspoli-
tische Einzelschriften. Heft 4.) Berlin, C. A. Schwetschke u. Sohn, 1915. gr. 8. 90 SS,
M. 1,50.
Kohler (Geh. Rat, Prof.), Jos., Jurisprudenz und Krieg. (Deutsche Kraft.
Kriegskultur und Heimarbeit 1914/15, hrsg. von Leo Colze. Heft 14). Berlin, Arthur
Collignon, 1915. gr. 8. 28 SS. M. 0,50.
314 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Langkam, E., Gemeinverständlicher Führer durch die deutsche Krankenver-
sicherung nach der Reichsversicherungsordnung, unter Berücksichtigung der für die
Dauer des Krieges erlassenen reichsgesetzlichen Bestimmungen, bearbeitet für Anwärter
für den mittleren Staats- und Gemeindeverwaltungsdienst, Beamte und Angestellte der
Versicherungsbehörden und Krankenkassen, Vertreter der Arbeitgeber und Versicherten
in den Organen der Krankenkassen, Arbeitgeber und Versicherte. Nürnberg, Carl
Koch, 1915. 8. X11I—239 SS. M. 2,75.
Lins (Oberlehrer), Joseph, Frankreich. Verfassung, Verwaltung, Volkswirt-
schaft. 2. verb. Aufl. (Staatsbürger-Bibliothek, Heft 58.) M.-Gladbach, Volksvereins-
Verlag, 1915. 8. 76 SS. M. 0,40.
Marcks, Prof. Erich, Der Imperialismus und der Weltkrieg. Vortrag. (Vorträge
der Gehe-Stiftung zu Dresden, Heft 1.) Leipzig, B. G. Teubner, 1916. gr. 8. 26 SS.
M. 0,60.
Mügel (Unterstaatssekr.), Dr. Osk., Die preußischen Kostengesetze vom 25. 7.
1910. Preußisches Gerichtskostengesetz und Gebührenordnung für Notare. Mit Kom-
mentar in Anmerkungen und mit Kostentabellen hrsg. 7. Aufl., bearb. von (Kam-
merger.-R.) Kurt Ehm. Berlin, Franz Vahlen, 1916. gr.8. XVI—763 SS. M. 18.—.
Samter (Amtsger.-R.), M. K., Die Bundesratsverordnung zur Entlastung der Ge-
richte vom 9. 9. 1915. Erläutert, mit einem Anhange. Halle a. S., Buchhandlung des
Waisenhauses, 1915. gr. 8. 72 SS. M. 1,50.
Werminghoff, Alb., Der Rechtsgedanke von der Unteilbarkeit des Staates in
der deutschen und brandenburgisch-preußischen Geschichte. Rede. (Hallische Univer-
sitätsreden, No. 1.) Halle a. S., Max Niemeyer, 1915. gr. 8. 31 SS. M. 0,80.
Mawerdi, Aboü’l-Hasan’Ali, Lesstatuts gouvernementaux ou règles du droit
public et administratif. Traduits et annotés par E. Fagnan. Alger, Adolphe Jourdan,
1915. 8. XIII—586 pag. fr. 16.—.
Organisation politique et administrative et législation de Alsace-Lorraine. Docu-
ments mis à jour jusqu’au 31 juillet 1914, pour la législation et jusqu’en 1913—1915,
pour la statistique. Première partie. Paris, Impr. nationale, 1915. 8. 885 pag.
Fuehar, Alexander, The neutrality of Belgium; a study of the Belgian case
under its aspects in political history and international law. New York, Funk. 8.
248 pp. $ 1,50.
Hyndman, H. M., The future of democracy. London, Allen and Unwin. Cr. 8.
220 pp. 2/.6.
Murray, G. Gilbert Aimé, The foreign policy of Sir Edward Grey 1906 to
1915. New York, Oxford-Univ. 8. 127 pp. 50 œ
Ponsonby, Arthur, Democracy and diplomacy: a plea for popular control of
foreign policy. London, Methuen. Cr. 8. 213 pp. 2/.—.
Stone, Harlan F., Law and its administration. New York, Lemcke. 8.
7 + 232 pp. $ 1,50.
12. Statistik.
Allgemeines.
Bowley, Arthur, An elementary manual of statistics. 2nd ed. London,
Macdonald Evans. 8. 224 pp. 5/.—.
Verijin Stuart, C. A., Inleiding tot de beoefening der statistiek. Deel IH:
De toepassing der statistische methode op het gebied van het sociaal-economisch leven
en van de huishouding der publiek rechtelijke lichamen. 1e stuk, De statistiek van
het bedrijsfleven. Haarlem, De Erven F. Bohn. gr. 8. 8, 306 en 4. fl. 6.—.
Deutsches Reich.
Bericht über die medizinische Statistik des hamburgischen Staates für das Jahr
1913. Mit 5 Abbildgn. im Text und 6 Taf. nebst Anhang: Schulärztliche Unter-
suchungen in den Volksschulen im Schuljahr 1913/14. Leipzig, Leopold Voß, 1915.
Lex.-8. III, 92 u. 19 SS. M. 7.—.
Statistik der Heilbehandlung bei den Versicherungsanstalten und Sonder-
anstalten der Invalidenversicherung für das Jahr 1914. Bearbeitet im Reichsversiche-
rungsamt. (Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamts 1915, 1. Beiheft.) Berlin,
Behrend u. Co., 1915. Lex.-8. 130 SS. M. 4,50.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 315
Holland.
Gegevens (Statistische) omtrent de Nederlandsche verbruiks-coöperatie, hare
werkzaamheden en resultaten over de jaren 1912—1914, met tabellarisch overzicht be-
treffende de kleinhandels-vereenigingen van 1864—1913 en van de groothandels-ver-
eenigingen van 1882—1914. Bewerkt en uitgeg. door den Bondsrand van den Nederl.
Coöperatieven Bond. ’s Gravenhage 1915. (Uitgaven op Statistisch gebried No. 1.)
’s Gravenhage, Secretariaat v. d. Ned. Coöp. Bond. 93 Jan van Nassaustraat. 4. 119 blz.
fl. 0,75.
Oesterreich.
Eisenbahnstatistik, Oesterreichische, für das Jahr 1913. Bearb. im k. k.
Eisenbahnministerium. 2 Teile. 1. Teil: Hauptbahnen und Lokalbahnen. XXVI—
502 SS. M. 10.—. 2. Teil: Kleinbahnen und diesen gleichzuhaltende Bahnen, sowie
Schleppbahnen. XXII—255 SS. M. 4.—. Wien, Hof- u. Staatsdruckerei, 1915.
37,5 X 27,5 cm.
Statistik, Oesterreichische. Hrsg. von der k. k. Statistischen Zentralkommission.
Neue Folge 3. Bd., 6. Heft. Berufsstatistik nach den Ergebnissen der Volkszählung
vom 31. 12. 1910 in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern. Bearb.
von dem Bureau der k. k. Statistischen Zentralkommission. 6. Heft des 3. Bds. der
Volkszählungsergebnisse. Küstenland und Dalmatien. IV—151 SS. M. 5.—. —
13. Bd., 1. Heft. Tafelwerk zur österreichischen Justizstatistik. Ein Quellenwerk für
justizstatistische Forschungen. 3. Jahrg. 1912. Bearb. von dem Bureau der k. k.
Statistischen Zentralkommission. 13—528 SS. M. 16,40. Wien, Carl Gerold’s Sohn,
1915. 32,5 X 26 em.
Schweiz.
Statistik, Schweizerische. Hrsg. vom Schweizerischen statistischen Bureau.
198. Lfg. Statistik über die Naturalverpflegung pro 1912 im Gebiete des Verbandes
für Naturalverpflegung in der Schweiz. (Deutsch und französisch.) Bern, A. Francke,
1915. Lex.-8. 35 u. 70 SS. M. 2.
Frankreich.
Statistique agricole annuelle 1913. Paris, Impr. nationale, 1915. 8 XII—
286 pag. fr. 2,50. (Ministère de l’agrieulture. Direction de l’enseignement et des
services agricoles. Office des renseignements agricoles.)
Statistique de la mortalité des enfants assistés, Année 1913. Melun, Impr.
administrative, 1915. 4. 39 pag. (Ministère de Pintérieur. Direction de Passistance
et de l’hygitne publiques. Bureau des services de l'enfance.)
13. Verschiedenes.
Gast, Prof. Dr. P., Deutschland und Südamerika. (Der deutsche Krieg. Politische
Flugschriften. Hrsg. von Ernst Jäckh. Heft 68.) Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt
vorm. Eduard Hallberger, 1915. gr. 8. 42 SS. M. 0,50.
Kraft, Deutsche. Eine Wertung deutscher Kriegskultur und Heimarbeit, hrsg.
von Leo Colze. Berlin, Arthur Collignon Verlag, 1916. gr. 8. M. 12.—.
Müller-Meiningen, Dr. Ernst, „Who are the huns“? The law of nations and
ite breakers. With an introduction by the translator R. L. Orchelle. Berlin, Georg
Reimer, 1915. gr. 8. X—405 SS. M. 5.—.
Rappard, Prof. Dr. William E., Zur nationalen Verständigung und Einigkeit.
(Sehriften für Schweizer Art und Kunst, No. 26.) Zürich, Rascher u. Cie., 1915. 8.
40 88. M. 1.—.
Reden, Deutsche, in schwerer Zeit. Hrsg. von der Zentralstelle für Volkswohl-
fahrt und dem Verein für volkstümliche Kurse von Berliner Hochschullehrern.
3. (Schluß-)Bd. Geh. von Proff. Schmid, Stammler, Meinecke, Penck, Baumgarten,
v. Gruber, Kahl, Troeltsch, Lehmann-Haupt, Schmidt, Waldeyer, v. Luschan. Berlin,
Carl Heymanns Verlag, 1915. 8 XII—381 SS. M. 4.—.
Springmann jun. (Fabrikant, Leutn. d. R.), Thdr., Deutschland und der Orient.
Das Kolonialreich der Zukunft auf geistigem und materiellem Gebiet. Hagen i. W., Otto
Hammerschmidt, 1915. 8. 41 SS. M. 0,60.
Universitäten und Schulen im Kriege. Unter Mitarbeit von Drs. (Rekt.) Prof.
Jul. Voigt, Const. Nörrenberg u. a. hrsg. von Leo Colze. (Deutsche Kraft. Kriegskultur
316 Die periodische Presse des Auslandes.
und Heimarbeit 1914/15, hrsg. von Leo Colze. Heft 15.) Berlin, Arthur Collignon,
1915. gr. 8. 28 SS. M. 0,50.
Zöckler (Pfr.), Dr. Thdr., Das Deutschtum in Galizien. (Das Deutschtum im
Auslande in Einzeldarstellungen. 2. Bd.) Weimar, Alexander Duncker, 1915. VIII—
118 SS. mit 24 Taf. M. 1.—. ie.
Radziwill, Princess Catherine, Sovereigns and statesmen of Europe. London,
Cassel. Royal 8. 270 pp. 16/.6.
Die periodische Presse des Auslandes.
B. England.
Century, The Nineteenth, and after. December 1915, No. 466: Why not a
currency loan?, by H. J. Jennings. — Britain’s war finance and economic future: a
fore-cast and a warning, by J. Ellis Barker. — The problem of the Adriatie: Italy,
Austria and the Southern Slavs, by J. A. R. Marriott. —- Serbia — yesterday and to-day:
1) Belgrade, the gateway to the East, by F. W. Bailey. 2) The Serbian soldier in
action, by E. Hilton Young. — Working-women and drink, by Anna Martin. — Women
and the reconstruction of industry, by Clement Kinloch-Cooke. — Problems for a European
congress, by Frederie Harrison. — etc.
Review, The Contemporary. December 1915, No. 600: The war, to-day and to-
morrow, by Joseph Compton-Rickett. — Greece and the Allies, by Dr. E. J. Dillon. —
Sources and methods of paying for the war, by Prof. A. C. Pigou. —- The American
congress and the export of war munitions, by Lindsay Rogers. — The problem of
economy, by „Polites“. — Women’s industry during and after the war, by Miss N. Adler.
— etc.
Review, The Fortnightly. December 1915: Roumania’s attitude and position,
by Politicus. — Outlines for a permanent peace, by Charles Stewart. — American politics
and the American note, by James Davenport Whelpley. — etc.
Review, The National. December 1915: The Germans in England 1915, by
Jan D. Colvin. — American affairs, by A. Maurice Low. — etc.
C. Oesterreich- Ungarn.
Handelsmuseum, Das. Hrsg. von der Direktion des k. k. österreichischen
Handelsmuseums. Bd. 30, 1915, No. 49: Brennesseln, Ginster, Hopfen und andere ein-
heimische Pflanzen als Rohstoffe der Textilindustrie, von Dr. Hermann Leiter. —
Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen (Oesterreich, Deutschland, Frankreich, Groß-
britannien und Irland, Dänemark, Schweden, Rumänien, Bulgarien). — ete. — No. 50:
Das gerichtliche Ausgleichsverfahren in Ungarn, von Prof. Dr. Rudoif Pollak. — Der
argentinische Devisenmarkt. — Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen (Oesterreich,
Ungarn, Deutschland, Italien, Schweiz, Niederlande, Bulgarien). — ete. — No. 51: Nicht
Richtlinien im Eisenbahnverkehr, von (Staatsbahnrat) Dr. Vietor Krakauer. — Kriegs-
maßnahmen und Kriegswirkungen (Oesterreich, Ungarn, Bosnien und Herzegowina,
Deutschland, Schweiz, Niederlande, Schweden, Norwegen, Niederländisch-Indien). —
Die Frage der Erneuerung des Getreideeinfuhrscheinsystems in Deutschland. — Schweize-
rische Schuhwarenindustrie. — Die Zuckerproduktion Argentiniens. — ete. — No. 52:
Der Handelsverkehr mit den besetzten Gebieten Polens. — Kriegsmaßnahmen und
Kriegswirkungen (Oesterreich, Deutschland, Polen, Italien, Rußland, Türkei). — Waren-
verkehr zwischen Oesterreich und Ungarn. — ete.
Mitteilungen des k. k. Finanzministeriums. 21. Jahrg., 1915, Heft 1, Bei-
lage I: Statistische Mitteilungen über das österreichische Salzmonopol im Jahre 1913.
G. Holland.
Economist, De, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. 64. jaarg., December
1915, No. 12: De economische en sociale structuur van Dordrecht in 1555, door
W. 8. Unger. — Handelkroniek: De invloed van den oorlog op Amerika. — De
buitenlandsche handel van Amerika in het eerste oorlogsjaar, door A. Voogd. — ete.
Die periodische Presse Deutschlands. 317
H. Schweiz.
Bibliothèque universelle et Revue Suisse. Tome 80, Décembre 1915,
No, 240 : L’attitude de la Grande-Bretagne dans la guerre actuelle par (ancien ambassadeur
de Grande Bretagne aux États-Unis d’Amörique) Vicomte Bryce. — La Belgique et l’oceu-
pation allemande, par Charles Dejongh. — Le projet de monopole du tabac en Suisse,
par Dr. Th. Buclin. — L’avenir du canal de Panama, par George H. Blakeslee. — etc.
M. Amerika.
Bankers Magazine. Vol. 91, December 1915, No. 6: The basis of present
prosperity. — National banks and savings accounts. — Reserve provisions of the federal
reserve act. —- National bank reserves. An argument in favor of putting into immediate
operation the complete reserve provision of the federal reserve act, by George J. Seay.
— Speciality advertising by banks, by W. R. Morehouse. — etc.
Die periodische Presse Deutschlands.
Archiv für innere Kolonisation. Bd. 8, Oktober-November 1915, Heft 1/2:
Unseren Kriegsinvaliden Heim und Werkstatt in Gartensiedlungen, von B. Kampffmeyer.
— Innere Kolonisation und Kriegerheimstätten, von (Generaldirektor, Reg.-R. a. D.)
Borchert. — Vorschläge zur praktischen Sıedlungsarbeit, von Dr. L. Maaß. — Die
Tätigkeit der deutschen Ansiedlungsgesellschaften im Jahre 1914. — etc. — Dezember
1915, Heft 3: Das Reichsarbeitsblatt für die innere Kolonisation, insbesondere die Arbeiter-
ansiedlung, von (Oberlandeskulturgerichtsrat) Pagenkopf. — Die Tätigkeit der deutschen
Ansiedlungsgesellschaften im Jahre 1914/15 (Schluß). — Elektrizität und Kleinsiedlung.
— etc.
Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Bd. 41, 1915, Heft 2: Die
Entstehung der kapitalistischen Unternehmung, von Werner Sombart. — Die Wirtschafts-
ethik der Weltreligionen. Religions-soziologische Skizzen. Der Konfuzianismus, III, 1V.
Zwischenbetrachtung, von Max Weber. — Das weibliche Dienstjahr, von Dr. Rosa Kempf.
— Angestelltenfragen im Kriege. — etc.
Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahrg. 15,
Dezember 1915, No. 12: Währungsgemeinschaft mit Oesterreich-Ungarn?, von Dr. Otto
Heyn. — Die Vereinigten Staaten als künftiges industrielles Ausfuhrland, von Dr.
N. Hansen. — etc.
Bank, Die. Dezember 1915, Heft 12: Die großen Notenbanken im Dienste der
kriegführenden Staaten (Schluß), von Alfred Lansburgh. — Die wirtschaftliche Tätigkeit
der Militärbehörden, von Dr. Felix Pinner. — Immobiliarkredit und Kleinhaus, von
Ludwig Eschwege. — Die Kriegsbesteuernng der Reichsbank. — Der Kurssturz der
englischen Konsols. — Sparkassen und Kriegsanleihen. — Der „Umbau“ der Börsen-
termingeschäfte. — etc.
Bank-Archiv. Jahrg. 15, 1915, No. 6: Die dritte Kriegsanleihe in Oesterreich-
Ungarn, von Prof. Dr. Julius Landesberger. — Einige Gedanken über deutsche Kriegs-
gewinnsteuer-Pläne, von Prof. Dr. Walther Lotz. — Die Sıcherungsübereignung, von
(Reichsgerichtsrat) Dr. Neukamp. — Zur Wehrbeitragspflicht der Reservefonds-Zuwei-
sungen, von (Rechtsanw. Synd.) Heinrich Seyffert. — ete. — No. 7: Kriegskosten und
deren Deckung beim Vierverband, von (Wirkl. Geh. Ob.-Finanzrat) Dr. O. Schwarz.
— Die Vorbereitung der Kriegsgewinnsteuer, von (Synd.) Dr. Gustav Sintenis. — Die
Bicherungsübereignung (Schluß), von (Reichsgerichtsrat) Dr. Neukamp. — ete.
Blätter, Kommunalpolitische. Jahrg. 6, Dezember 1915, No. 12: Die Stadt-
verordnetenvereinigung der Rheinischen Zentrumspartei und die Kriegsaufgaben der Ge-
meinden. Bericht über die Stadtverordnetenkonferenz vom 7. Dezember 1915. — Ge-
meindeaufgaben zur Erhaltung und Wahrung der Volkskraft. (Fürsorge für Säuglings-
und Kleinkindesalter, Schulgesundheitspflege, Fürsorge für schulentlassene Jugend,
Wohnungs- und Siedlungswesen.) — etc.
Concordia, Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Jahrg. 22, 1915,
No. 24: Die Organisation der Kriegsinvalidenfürsorge. — Fortschritte der Einzel-
vormundschaft, von (Berufsvormund) Niestro. — Das ländliche Genossenschaftswesen im
318 Die periodische Presse Deutschlands.
Kriegsjahr 1914. — ete. — Jahrg. 23, 1916, No. 1: Kriegselternfürsorge, — Bericht
der k. k. Gewerbeinspektoren über ihre Amtstätigkeit im Jahre 1914, — Nachklänge
zu der Tagung für Erhaltung und Mehrung der deutschen Volkskraft. — ete.
Export. Jahrg. 38, Januar 1916, No. 1—5: 1916, von R. Jannasch. — Zur
satzgebiet. — Die Lage des deutschen Handels in Portugal während des Krieges (Origi-
nalbericht). — Bagdad—Sues, yon Dr. Frhr. y, Mackay. — Amerikas Trustpolitik, von
O. Sperber. — Zur Lage in Argentinien (Originalbericht). — ete.
Gegen wart, Die. Jahrg. 44, 1915, No. 51: Bethmann und Scheidemann, von
Spectator, — Englands Militarismus, von Dr, Hans Wantoch. — ete, — No. 52: Freie
Vaterländische Vereinigung, von Spectator. — ete, — Jahrg. 45, No, 1: Russischer
Volksimperialismus, von Spectator, — Wirtschaftsbilanz. — etc. — No. 2: Staat und
Schule nach dem Kriege, von Spectator. — Wirtschaftsbilanz, (IH. Rußland, Italien.)
— ete. — No. 3: Burgfriedliche Parteipolitik, von Spectator. — ete,
Jahrbücher, Landwirtschaftliche, Bd. 48, 1915, Heft 5: Bericht des Versuchs-
feldes der Landwirtschaftskammer für die Provinz Hannover in Poppenburg für das
Etatsjahr 1914, Erstattet von (Leiter des Versuchsfeldes) O, Hollmann. — Das Reifen
der Körnerfrüchte, unter besonderer Berücksichtigung der Hülsenfrüchte. Mitteilungen
des Instituts für Boden- und Pflanzenbaulehre zu Bonn-Poppelsdort. Nach Untersuchungen
von Prof. Dr. Th. Remy. Bearb. von Dr. Carl Schneider. — ete. — Ergänzungs.
band: Bericht der Kgl. Lehranstalt für Obst- und Gartenbau zu Proskau für das Etats-
jahr 1914. Erstattet yon dem Direktor Otto Schindler. —
Jahrbücher, Preußische. Bd. 163, Januar 1916, Heft 1: Vergeßt die Kolonien
nicht!, von Kuno Waltemath. — Bismarck und der Bonapartismus im Winter 1870/71, von
Joachim Kühn. — Elektrizität und Wasserkräfte, von L. Koch. — Deutschland in der
russischen Publizistik vor dem Kriege, von (Direktor) Theodor Hoffmann. — Die Rede
des Reichskanzlers und der Reichstag; Wirkung im Ausland; Zeichen der Erschlaffung
bei unseren Feinden; Die wirtschaftliche Ueberlegenheit Deutschlands. Die Kriegslage
Ende Dezember, von Hans Delbrück, — ete,
Kultur, Soziale. Jahrg. 36, Januar 1916, Heft 1: Das neue bayerische Arnıen-
recht, von (Amtsgerichtsrat) Riß. — Sind die preußischen Rentengutsgesetze zur Kriegs-
beschädigtenansiedlung geeignet?, von (Generalkommissionssekretär) Alois Drees, — Die
Genossenschaft und der Krieg, von (Landesrat) Prof. Dr. Sehmittmann. — Aus dem
Genossenschaftswesen, von Dr. Martin Faßbender, — Die polnischen Genossenschaften
in Posen und Westpreußen, von Dr. Stanislaus Wachowiak, — ete.
Monatshefte, Sozialistische, 1915, Heft 26: Der Weg der deutschen Sozial-
demokratie, von Wilhelm Kolb, — Zwei Absagen an den Freihandel, yon Max Schippel.
— Die Kontingentierung der Weltpolitik, von Dr. Wilhelm Hausenstein. — Die orga-
nische Verbindung zwischen Produktion und Konsum in der Lebensmittelversorgung,
von Heinrich Peus, — Auf dem Wege zum Arbeitsamt, von Friedrich Kleeis, — etc,
Monatsschrift, Politisch-Anthropologische, Jahrg. 14, Januar 1916, No. 10:
Die Technik der Suggestion im Völkerleben, vom Herausgeber, — Biologische Politik
— unlauterer Wettbewerb?, von Prof. Dr. H, G, Holle. — Der Bindestrich-Staat, von
Dr. M. Ritzenthaler, — Landflucht und Leutenot und ihre Bekämpfung, von Dr. Hein-
Oekonomist, Der Deutsche, Jahrg. 33, 1915, No. 1720: Die finanz- und wirt-
schaftspolitische Woche. — Die deutschen Banken im Jahre 1914 (XVII), von Dr. jur.
Willy Baecker, — ete. — No. 1721: Die finanz- und wirtschaftspolitische Woche. —
Die deutschen Banken im Jahre 1914 (XIX), von Dr. jur. Willy Baecker, — Die Frage
der Beschaffung zweiter Hypotheken. — etc. — No. 1722: Das Jahr 1915. — Die
Plutus. Jahrg. 12, 1915, Heft 51/52: Valutasorgen. — Textilwaren aus der
Türkei, von Thilo v. Westernhagen, — Die französischen Banken im Kriege (II), von
Hermes, — ete. — Jahrg. 13, 1916, Heft 1/2: Wehrpflicht in England. — Kriegs-
gewinn und Besitzsteuer, von Dr. jur. A. Karger. — ete,
Recht und Wirtschaft. Jahrg. 5, Januar 1916, No. 1: Der Friedenswert der
Verordnungen zur Entlastung der Gerichte, von (Wirkl. Geh. Oberjustizrat, Oberlandes-
gerichtspräs.) Dr, y. Staff. — Die Meistbegünstigungsklausel, von (Justizrat) Dr. W.
Waldschmidt. — Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Frauenarbeit in und nach dem
Die periodische Presse Deutschlands. 319
Kriege, von Dr. Elisabeth Altmann-Gottheiner. — Vorratswirtschaft, von Prof. Dr. Wy-
godzinski. — Gläubigerschutz bei ausländischen Wertpapieren. Eine deutsche Organi-
sationsaufgabe, von (Rechtsanw.) Dr. Ludwig Wertheimer. — Der Grundstücks- und
Wohnungsmarkt nach Friedensschluß, von (Direktor der Breslauer Baubank) Hans Hahn.
— ‚Das Kaiserliche Gouvernement Lille, seine Entwicklung und jetzige Gestalt, von
(Amtsgerichtsrat) Dr. Behrend. — etc.
Rechtsschutz, Gewerblicher, und Urheberrecht. Jahrg. 20, Oktober 1915,
No. 10: Die Voraussetzungen der Gebührenstundung im Falle der Patent- oder An-
meldungsgemeinschaft, von (Geh. Reg.-R.) Karl Hüfner. — Die deutschen Patentanwälte
und die Industrie, von (Patentanw.) L. Max Wohlgemuth. — Aktieneinsicht, von Dr.
Wirth. — Sonderangebote und Ausverkäufe, von Dr. J. Wernicke. — ete.
Revue, Deutsche. Jahrg. 41, Januar 1916: Kritik des Dreibundvertrags, von
(Bischof) Dr. W. Fraknoi. — Ursache und Ziele des Kriegs 1914/15, von (Geh.-R.) Prof.
Dr. Czerny. — Die Welt des Islam, von (Geh.-R.) Prof. Dr. Fr. Delitzsch. — 1812 und
1915. Ein Wort zu Krieg und Frieden, von Prof. Aug. Fournier. — Die Durchsuchung
neutraler Schiffe durch englische Behörden, von H. Wittmaack. — etc.
Rundschau, Deutsche. Jahrg. 43, Januar 1916: Selbstverwaltung und Kriegs-
wirtschaft, von Ernst Günther Herzog von Schleswig-Holstein. — Zur englischen Ent-
wicklung. Eine warnende Betrachtung germanischer Wege, von Franz Fromme. — ete.
Rundschau, Koloniale. Zeitschrift für Weltwirtschaft und Kolonialpolitik.
November/Dezember 1915, Heft 11/12: Die Politik der offenen Tür und die Kolonien.
— Frankreich und die industrielle Expansion, von (früh. Botschafter in Berlin) Victor
Cambon. — Die Neger in den Vereinigten Staaten, von Felix v. Luschan. — Die Zu-
kunft der deutschen Kolonien in englischer Beleuchtung, von Johnston und Morel. —
England und der feindliche Handel. — ete.
Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im
Deutschen Reiche. Jahrg. 39, 1915, Heft 4: Die Entstehung der deutschen Volkswirt-
schaft und der deutschen Sozialreform, von Gustav Schmoller. — Das Wesen des eng-
lischen Staates und seine Machtorganisation. Eine Untersuchung über den Zusammenhang
von Krieg und Staatsbildung, von Georg Jäger. — Das Aufsteigen des Handwerker-
standes im Mittelalter, von Rud. Eberstadt. — Zuckerindustrie und Zuckerhandel im
Kriegsjahre 1914/15, von Paul Jacobs. — Zur Geschichte und Theorie des Moratoriums.
Ein Beitrag zur Kriegswirtschaftslehre, von Adolf Mayer. — Arbeitszeit und Arbeits-
leistung, von Clemens Heiß. — Vorstadtprobleme, von Emil Lueken. — Statistisches
zum Problem: Krieg, Produktionsfortschritt und Preisbewegung, von Walter Eggen-
schwyler. — Die deutsch-österreich-ungarische Wirtschaftsgemeinschaft, von Max Fried-
mann. — etc.
Sozial-Technik. Jahrg. 14, 1915, Heft 24: Berufskrankheiten der Elektro-
techniker, von (Ing.) Wilhelm Beck. — etc.
Verwaltung und Statistik (Monatsschrift für deutsche Beamte). Jahrg. 6, 1916,
Heft 1: Ein halbes Jahrhundert Konsumentenorganisation, von Franz Xaver Ragl. —
Kleinhandelspreise einiger Haushaltsartikel, von A. P. — etc.
Weltwirtschaft. Zeitschrift für Weltwirtschaft und Weltverkehr. Jahrg. 5,
Dezember 1915, No. 9: Aufgaben der deutschen Diplomatie, von Prof. Dr. Franz Dochow.
— Die Freiheit der Meere, von Dr. Hans Wehberg. — Wirtschafts- und Verkehrs-
verhältnisse der Schweiz unter den Wirkungen des Krieges, von Dr. Theodor Kreuzkam.
— Bulgariens Handelsbeziehungen zu seinen Nachbarstaaten, von W. K. Weiß-Barten-
stein. — Der Einfluß des Krieges auf die deutsche Seeschiffahrt, von Wilh. Ludwig.
— etc.
Wirtschafts-Zeitung, Deutsche. Jabrg. 11, 1915, No. 24: Mitteleuropa, von
Prof. Dr. Max Apt. — Vermehrung des Notenumlaufs und Geldentwertung in Deutsch-
land, von Dr. Otto Heyn. — Krieg und Wirtschaft, von E. Fitger. — Die Ausschaltung
des englischen Zwischenhandels. — Mitteilungen des Deutsch-Amerikanischen Wirtschafts-
verbandes: Die Zolltarife und Handelsverträge der Zukunft in amerikanischer Beleuchtung.
— ete. — Jahrg. 12, 1916, No. 1: Die Butterversorgung während des Krieges, von
G. Wienstruck. — Deutschland und Schweden, ihre wirtschaftlichen Beziehungen nach
dem Kriege, von (Priv.-Doz.) Dr. Nils Wohlin. — Der Einfluß des Krieges auf das
Auskunftswesen, von (Kgl. Rat) Max Guttmann. — Die deutsche Eisenindustrie nach
dem Kriege. — Mitteilungen des Deutsch-Amerikanischen Wirtschaftsverbandes: Die
Ueberseetransportversicherung nach dem Kriege. — ete. — Beilage: Ein Welthandels-
Archiv. — Die schweizerischen Handels-Hochschulen. — etc.
320 Die periodische Presse Deutschlands.
Zeit, Die Neue. Jahrg. 34, 1915, No. 12: Die Ursachen der sozialistischen Krise,
von Heinrich Ströbel. — Bismarck und der Imperialismus (Schluß), von K. Kautsky.
— Sozialdemokratie und Staat, von Edmund Fischer. — ete. — No. 13: Rußland als
Nationalitätenstaat, von S. Semkowski. — Der rote Faden der preußischen Geschichte,
von Franz Mehring. — Das politische Ideal und die praktische Politik, von Edmund
Fischer. — Zur Technik in der Landwirtschaft, von K. Marchionini. — ete. — No. 14:
Mitteleuropa, von K. Kautsky. — Die Arbeiter und der Staat, von Emil Kloth. —
Arbeitslosenversicherung und Kriegserwerbslosenfürsorge, von H. Mattutat. — ete. —
No. 15: Zum Zusamrmnentritt des preußischen Landtags, von Paul Hirsch. — Mittel-
europa (Forts.), von K. Kautsky. — Der rote Faden der preußischen Geschichte (Forts.),
von Franz Mehring. — ete. — No. 16: Bureaukratie und Politik, von Gustav Eckstein.
— Nochmals die landwirtschaftlichen Produktionskosten und die Teuerung, von A. Hofer.
— Mitteleuropa, von K. Kautsky. — Vom Wirtschaftsmarkt. Kohlenproduktion und
Kobhlensyndikatspolitik, von Heinrich Cunow. — ete.
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. Jahrg. 71, 1916, Heft 4: Zoll-
politik und Zollrechtstechnik, von Prof. Dr. Karl Lamp. — Der Preis als Grundlage
der Verteilungslehre, von Wilhelm Wirz. — Statistische Untersuchungen über die
Neigungen zu Mischehen (Schluß), von David Tachauer. — Das Sparkassenwesen im
Königreich Sachsen, von (Geh. Reg.-R.) Dr. Seidel. — Nachtrag zu Kraftaufspeicherung
und Kraftanwendung, von Dr. Ernst Schultze. — etc.
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Bd. 37, 1916, Heft 3 (Lite-
raturbericht): Rechtsgeschichte. Berichterstatter: (Reichsarchivrat) Dr. H. Knapp. —
Strafrecht. Allgemeiner Teil. Berichterstatter: Prof. Dr. Freudenthal und Prof. Dr.
Rittler. — Besonderer Teil. Berichterstatter: (Oberlandesgerichtsrat) Dr. A. Feisenberger.
— Strafrechtsreform. Kriminalistik und Kriminologie. Berichterstatter: Prof. Dr. Lilien-
thal. — Strafprozeß. Berichterstatter: Prof. Dr. Beling. — Gefängniswesen. Bericht-
erstatter: (1. Staatsanw.) Klein. — ete.
Zeitschrift für die gesamte Versicherungs-Wissenschaft. Bd. 16, Januar 1916,
Heft 1: Die technischen Erfordernisse der Selbständigenversicherung, von (Univ.-Prof.)
Dr. phil. A. Tauber. — Fusion und laufende Rückversicherung, von (Univ.-Prof.) Dr.
jur. Hermann Rehm. — Ueber das Berufsschicksal Unfallverletzter, von (Geh. Reg.-R.)
Dr. phil. Georg Pietschh — Zum Schweizerischen Versicherungsvertragsrecht, von
(Kammergerichtsrat) Otto Hagen. — Zur Wahl der Rechnungs-Grundlagen in der Ver-
sorgungs- Versicherung, von (Chefmathem.) Hans Parthier. — ete.
Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis. Jahrg. 8, 1916, Heft 10:
Käufer im Sinne der Buchhaltung, von Prof. Hermann Rehm. — Handelsgebräuche
beim Ein- und Ausfuhrhandel mit Bulgarien (Schluß), von (Synd.) W. K. Weiß-Barten-
stein. — Die Zahlungspflicht des Empfängers der Frachtgüter, von (Rechtsanw.) Dr. jur.
A. Werneburg. — Ist die deutsche Bureauindustrie imstande, Ersatz für die auslän-
dischen Erzeugnisse zu bieten?, von A. Vautrin. — etc. — Beiblatt: Krieg und
Zahlungsstundung. Die Regelung des Zahlungsverkehrs in den kriegführenden Ländern,
von (Red.) Otto Jöhlinger. — Die Schiffahrt auf der Schelde (Schluß), von (Red.) Tony
Kellen. — ete.
Zeitschrift des Königl. Preußischen Statistischen Landesamts. Jahrg. 55, 1915,
III. Abteilung: Blindenanstalten und Blindenfürsorge in Preußen mit Berücksichtigung
der Kriegsblinden-Fürsorge, von (Reg.- u. Geh. Medizinalrat) Dr. Robert Behla. — Die
gewerblichen „Gesamtbetriebe“ in Preußen nach Größenklassen und Gewerbearten auf
Grund der gewerblichen Betriebsstatistik von 1907, von Prof. Dr. A. Petersilie. — ete.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. 7, 1916, Heft 1: Kriegssozialismus
und Friedenssozialismus (I), von Andreas Voigt. — Welche Umstände verteuern das
städtische Bauland? (I), von Prof. Dr. Wilhelm Gmünd. — Der Goldschatz der Reichs-
bank und seine Bedeutung im Krieg und nach dem Kriege, von Dr. Otto Heyn. —
Ueber Geschlechtsverhältnis und Familienstand der Bevölkerung des Deutschen Reiches,
von Dr. Ernst Müller. — Ueber Fabriksparkassen, von Dr. P. Martell. — Der Seefisch-
bedarf Deutschlands, von Dr. G. Kreuzkam. — Die kriegsfinanzielle Lage Italiens.
Nach Prof. J. Landmann. — Die staatliche Bekämpfung von Grubenkatastrophen in den
Vereinigten Staaten. — etc.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena.
H. Köppe, Die deutschen Kriegsanleihen. 321
IV.
Die deutschen Kriegsanleihen.
Von
Professor Dr. H. Köppe in Marburg a. d. Lahn.
Unter den großen Leistungen, die das deutsche Volk in diesem
Weltkriege vollbracht hat und die den weltgeschichtlichen Höhe-
punkt seines bisherigen Aufstiegs darstellen, stehen neben den hundert-
tausendfachen Opfern an Leben, Kraft und Gesundheit in vorderster
Linie die gewaltigen Aufwendungen an finanziellen Mitteln, die es
ihm ermöglicht haben, den Krieg anderthalb Jahre hindurch auf das
kraftvollste zu führen, und die es befähigen, nötigenfalls einer
weiteren, ungewissen Dauer desselben unerschüttert die Stirn zu
bieten. Wie die Aufbringung dieser gewaltigen, das Maß aller bisher
für Kriegszwecke aufgebotenen Finanzkraft ganz außerordentlich
übersteigenden Mittel sich vollzogen hat, soll im folgenden ein zu-
sammenfassender Rückblick auf die Geschichte der drei bisher auf-
genommenen Kriegsanleihen zeigen!). Eine so weit, als es das vor-
liegende Material gestattet, orientierende Uebersicht über die Kriegs-
anleihen der übrigen kriegführenden Großmächte soll später nach-
folgen.
Wie dieser Krieg in allen seinen Erscheinungsformen und auf
allen seinen Teilgebieten zahlenmäßig alle früheren Kriege weit
hinter sich läßt, so auch auf dem finanziellen Gebiete. Es ist aber
nicht so sehr die Zahl, die ihn auszeichnet, sondern weit mehr noch
die Stärke der Kräfte, die in ihm zur Entfaltung kommen. Weder
die Zahl der Geldmilliarden — der berühmten „silbernen Kugeln“,
mit denen unser in der exakt-geldmäßigen Denkweise eingeschulter
Hauptfeind bei Kriegsbeginn rednerisch um sich warf — noch die
Zahlen der Kämpfer oder der Waffen oder der Munition geben in
ihm den Ausschlag. Alle bisher erfochtenen Siege sind vielmehr die
Erfolge angeborener, zur Entfaltung gebrachter und zu hoher Ver-
vollkommnung ausgebildeter Kräfte, die hier ihre schwerste und
1) Das dabei verarbeitete Tatsachenmaterial ist größtenteils in der dem Reichstage
vorgelegten „Denkschrift über wirtschaftliche Maßnahmen aus Anlaß des Krieges“ vom
23. November 1914 nebst den bisher dazu ergangenen sieben Nachträgen (der letzte
vom 3. Dezember 1915) zusammengestellt. Die Arbeit ward Ende Dezember 1915 ab-
geschlossen.
Jahrb. f. Nationalök, u, Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 21
322 H. Köppe,
glänzendste Probe bestanden haben. Es sind — im einzelnen und
hauptsächlich — die Kräfte der Organisation, der allgemeinen und
der fachlichen Ausbildung, der Schulung des Willens durch strenge
Zucht zu restloser Hingabe, Ausdauer und Selbstverleugnung, die
Kräfte der sittlichen und der religiösen Erziehung. Es sind Kräfte
des Verstandes und des Gemütes, des Geistes und des Herzens,
intellektueller und sittlicher Natur. Auch die 253/, Milliarden M.,
die unser Volk zur Kriegführung aufgebracht hat, sind durch Kräfte
mannigfacher Art nach der Richtung dieses einen Zieles hin in Be-
wegung gesetzt und zu einer für den einen großen Kriegszweck
verfügbaren Riesenmasse zusammengeballt worden. Begabung und
Erziehung wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Natur und zäher
Arbeitsfleiß haben im Verein mit mühsam erkämpfter politischer
und wirtschaftspolitischer Schulung den Volkswohlstand hoch und
höher und schließlich über den der anderen großen Völker hinaus
geführt. Eine fein durchgebildete Organisation des Bank-, Kredit-
und Zahlungswesens hat in langer Friedensarbeit die Wege und
Kanäle geschaffen für die Flüssigmachung dieser gewaltigen Summe
und für ihre rasche, leichte und sichere Zusammenbringung. Vor
allem aber hat die Vaterlandsliebe, das nationale Gemeinschafts-
bewußtsein, der Wille, vor keinem Opfer zurückzuschrecken und wie
das Blut, so auch das Gut willig darzubringen zur Errettung des
Vaterlandes, den starken Impuls gegeben, der die schwere Masse
dieser Gelder los und frei machte von aller wirtschaftlichen Ge-
bundenheit und dem höchsten und einzigen Ziele zuströmen ließ,
welches das Volk jetzt kennt. Die starken Volkskräfte und der
rechte deutsche Volksgeist haben sich zusammengefunden, und die
Wirkung ihres Bundes ist die „finanzielle Großtat“, wie der Leiter
unserer Reichsfinanzen unsere Anleiheerfolge genannt hat. Sie steht
in jedem ihrer drei zu immer gewaltigerer Wirkung gesteigerten
Akte ohne Beispiel in der Finanzgeschichte aller Völker und Zeiten
da. Nicht nur frühere Kriegsanleihen, auch sonstige, irgendwie mit
Kriegen zusammenhängende Finanztransaktionen, wie die Aufbrin-
gung der 5 Milliarden frcs. französischer Kriegskostenentschädigung
nach dem Einheitskriege, verblassen dagegen.
Nicht um uns solcher Leistungen zu rühmen, bringen wir diese
überragende Bedeutung unserer kriegsfinanziellen Erfolge uns selbst
zum Bewußtsein, sondern weil wir in ihnen weit mehr sehen als
einen dreimaligen gewaltigen finanzwirtschaftlichen Sieg über unsere
Feinde. Dieser dreifache finanzielle Triumph ist uns vielmehr in
erster Linie ein Symbol und ein Unterpfand unseres endgültigen
Sieges in dem gewaltigen Völkerringen. Er offenbart uns die Be-
reitschaft sowohl der Kraft als des Willens zum Siege und verbürgt
uns damit seine Gewißheit. Nicht freilich nach der Denkweise des
englischen Ministers, daß man mit dem meisten Gelde auch die
meisten Soldaten, Geschütze und Schiffe beschaffen und unterhalten
und so durch den Druck der Uebermacht siegen kann — sondern
in der festen Zuversicht, daß der Geist und die Kraft, die uns den
Die deutschen Kriegsanleihen. 323
alle Erwartungen übertreffenden Erfolg der ersten Kriegsanleihe ge-
bracht, ihn bei der zweiten verdoppelt und bei der dritten verdrei-
facht haben, unüberwindlich sind, und daß ihnen daher der end-
gültige Sieg zufallen muß. Das ist der Sinn und die Bedeutung
des erfolgreichen Ausgangs der bisher dreimaligen Beschreitung des
Kriegsanleiheweges. Ergeht bei längerer Dauer des Krieges noch-
mals und immer wieder der Ruf zu neuer Zeichnung, — niemand
von uns allen hegt den geringsten Zweifel auch am ferneren Ge-
lingen, so wenig wie an der glücklichen Lösung der großen strate-
gischen Probleme dieses Völkerkrieges. Dieser felsenfesten Gewiß-
heit entspringt der stählerne Wille unseres Volkes zum Siege, und
diesem Willen die die Geschicke der Völker entscheidende Tat.
I.
Die in der Gegenwart einem Volke zur Verfügung stehenden
finanziellen Kriegführungsmittel sind mannigfacher Art: fundierte
Anleihen und schwebende Schulden, auswärtige oder innere, frei-
willige oder Zwangsanleihen, neue Steuern, Steuererhöhungen oder
Steuermonopole, Bankkredite und Papiergeldausgabe sind die wich-
tigsten, neben denen bare Mittel, in- und ausländische Guthaben
und Ausgabenersparungen weniger in das Gewicht fallen. Bei glück-
licher Kriegführung kommen Kontributionen in besetztem feindlichem
Gebiete hinzu. Jedes Volk wird dabei die seinen besonderen Ver-
hältnissen, insbesondere der Höhe des nationalen Vermögens und
Einkommens, seinem Schuldenstande, seinem Kredite, seiner Steuer-
kraft und dem Grade ihrer bisherigen Beanspruchung wie seinem
Steuersysteme und dessen Bewährung entsprechenden Wege ein-
schlagen. Wenn daher ein Land mit so großem, altem und gefestigtem
Reichtum wie Großbritannien seine Kriege im 19. und 20. Jahr-
hundert, besonders den Krimkrieg und den Burenkrieg, jedesmal
teils mit Hilfe von Steuern, teils mit Hilfe von inneren Anleihen
geführt hat, so liegt für andere Völker darin noch kein Beweg-
grund zur Nachahmung. So anerkennenswert auch das Streben ist,
künftige Generationen vor einer drückenden Kriegsschuldenlast mög-
lichst zu behüten und ihnen noch reichlichen Spielraum zu Kredit-
aufnahmen für ihre eigenen künftigen Aufgaben (auch für kriege-
rische) zu lassen, so kann doch ein allgemeingültiges Prinzip daraus
nicht abgeleitet werden. Jedes Volk ist bei Kriegsausbruch ge-
gebunden an die gegebenen Faktoren seiner finanziellen Leistungs-
fähigkeit. Die Freiheit der Wahl ist daher zumeist nur eine schein-
bare oder doch eng begrenzte.
Für Deutschland schied die Frage der Kriegssteuern, auch ab-
gesehen davon, daß es bei solchen auf sofortige Aufbringung an-
kommt und die hierfür nötigen systematischen Grundlagen wie auch
technischen Mittel (trotz der Mahnungen Adolf Wagners) im Frieden
nicht bereitgestellt waren, zum mindesten für die erste Zeit schon
deshalb aus, weil im Reich und in den Einzelstaaten durch eine Kette
von „Steuerreformen“ eine zwar durchaus noch erträgliche, aber in
21*
324 H. Köppe,
kurzen Zeiträumen oftmalig und kräftig durchgeführte Erhöhung der
Gesamtsteuerlast vorgenommen worden war. Vom Wehrbeitrag, diesem
finanzgeschichtlichen Auftakt zum großen Kriege, war eben erst
die erste seiner drei Raten fällig geworden. Die wirtschaftlichen
Konjunkturen waren im Abflauen. Ferner schöpfen die Einzel-
staaten und namentlich die Gemeinden vor dem Reiche aus dem
Quell der direkten Besteuerung. Sie lassen ihm die kümmerliche
zweite Hypothek auf die direkte Steuerkraft der Reichsangehörigen.
Und in Kriegszeiten steigern sich ihre Ansprüche auf diese Kraft
gleich von Anbeginn noch erheblich, besonders durch die Aufgaben
der Kriegswohlfahrtspflege. Dazu kommen wichtige Imponderabilien.
Die englische Denkweise, wonach der Krieg gewissermaßen eine
Geschäftssache ist, deren Kosten am zweckmäßigsten aus dem laufen-
den Einkommen, wie die Spesen einer geschäftlichen Operation,
bestritten werden, ist uns fremd. Wir führen nicht Kriege aus den
Gesichtspunkten der Geschäftskonkurrenz und der Einkommensver-
mehrungspolitik. Anderseits wirkt eine sehr starke Belastung mit
Kriegssteuern — und nur eine solche kommt in einem neuzeitlichen
Kriege in Betracht — ungünstig sowohl auf die Stimmung für die
daneben doch unvermeidlichen großen Kriegsanleihen als auch auf
den Bestand der für die letzteren verfügbaren Mittel. Dazu ist die
erste Kriegszeit, nach kaum überstandener üblicher Krediterschütte-
rung sowie angesichts der ihr gleichfalls eigenen völligen Ver-
schiebung und Unübersehbarkeit aller wirtschaftlichen Verhältnisse,
schlecht geeignet für die sofortige Auferlegung einer großen direkten
Steuerlast. Eine indirekte aber kommt schon wegen der erheb-
lichen Verteuerung der gesamten Lebenshaltung durch den Krieg
gar nicht in Betracht. Die Anpassung an den Krieg und seine
Ausnutzung als Quelle der Ernährung und zum Teil sogar Bereiche-
rung vieler Wirtschaften vollziehen sich erst langsam und sind von
vornherein ungewiß.
Wieweit Erwägungen solcher Art die Reichsregierung beein-
flußt haben, muß hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls erschien ihr
von Anbeginn bis heute der Kreditweg als der gegebene für die
Aufbringung der Kriegsfinanzmittel!). Dieser Weg bot aber eine
Reihe von Möglichkeiten, bei denen allen die Reichsbank eine
®1) Inzwischen hat der Reichsschatzsekretär Helfferich in der Reichstagssitzung
vom 20. Dezember 1915 gegenüber Auslassungen der in- und ausländischen Presse die
Stellung der Reichsregierung dahin klargestellt, daß sie von vornherein es für aus-
geschlossen gehalten habe, während des Krieges einen Teil der Kriegskosten durch Be-
steuerung aufzubringen. Damit sei aber nicht etwa gesagt, daß niemals im Verlaufe
des Krieges die Steuerschraube angezogen oder Steuern erhöhet werden sollten. Solange
wie irgend möglich solle es dem Volke erspart bleiben, daß bei den großen Kriegs-
lasten noch die Steuerlast vermehrt werde. Bei der Aufstellung des Etats für 1916/17
werde sich das Gleichgewicht aber ohne neue Steuern nicht erhalten lassen. Es ist klar,
daß diese Auslassungen vor allem die Aufbringung der Zinsenlast der Kriegsanleihen
im Auge haben. Der Staatssekretär erklärte schließlich, der Krieg werde uns eine
kolossale Steuerbelastung bringen, einerlei wie hoch die Kriegsentschädigung sein werde,
auf die wir natürlich rechnen.
Die deutschen Kriegsanleihen. 325
wichtige Rolle spielte. Zunächst wurde sofort die gesetzliche Mög-
lichkeit für sie geschaffen, dem Reiche in weit umfassenderer Weise
als in der Friedenszeit, und dabei doch in einer dem Wesen und
den Zweckbestimmungen einer Zentralnotenbank gemäßen Form,
Kriegskredit zu gewähren, d. h. die Kriegsmittel, insbesondere die
für die Mobilmachung erforderlichen Gelder, zur Verfügung zu stellen.
Dabei wurde zugleich auch ihre Leistungsfähigkeit soviel als mög-
lich gehoben. Das war für sie auch deshalb nötig, um außerdem
auch dem hochgesteigerten zwiefachen Verkehrsbedarf an Zahlungs-
mitteln und an Kredit gehörig entsprechen zu können. Zu diesem
Behufe wurde einerseits eine bedeutende Stärkung des für die Größe
des Notenumlaufs maßgebenden Barvorrats vorgenommen, ander-
seits eine stark erweiterte Kreditgewährung unter entsprechender
Erweiterung der im Prinzip festgehaltenen bankgesetzlichen Noten-
deckungsvorschriften ermöglicht. Der Stärkung des Barvorrats diente
die Befreiung der Reichsbank und der übrigen Notenbanken von
ihrer Pflicht, ihre Noten in Gold einzulösen, sowie die Aufhebung
des Rechts der Umwechslung von Scheide- in Goldmünzen. Die
Steigerung der Kreditgewährung ward erzielt:
1) durch die Suspendierung der Notensteuer;
2) durch die Uebertragung des gesamten, für die „bankmäßige
Deckung“ der Noten keine geeignete Unterlage erzeugenden Lom-
bardgeschäfts auf die Schultern der nach dem Vorbilde der früheren
Kriegszeiten neu geschaffenen und der Reichsbank angegliederten
Darlehnskassen ;
3) durch die Bestimmung, wonach Schatzanweisungen des Reichs
und Wechsel, die es verpflichten, unter der Voraussetzung einer
höchstens dreimonatigen Laufzeit als bankmäßige Notendeckung im
Sinne der $$ 13 Ziff. 2 und 17 des Reichsbankgesetzes zu gelten
haben; š
4) durch die Zulassung der von den neuen Darlehenskassen aus-
zugebenden Scheine, deren Höchstbetrag zunächst auf 1!/⁄,, dann auf
3 Milliarden M. festgesetzt ward, als bare Notendeckung, indem sie
hinsichtlich dieser Funktion den Reichskassenscheinen gleichgestellt
wurden.
Damit war die gesetzliche und wirtschaftliche Unterlage für
eine erweiterte Kreditgewährung der Reichsbank an das Reich ge-
schaffen. Wenn aber die Reichsbank dem Reiche, wie oben mit
den eigenen Worten der Regierung gesagt war, „die Kriegsmittel
zur Verfügung stellen“ sollte, so besagte dies nur: einmal die vor-
schußweise Beschaffung der erforderlichen Mittel und sodann
die Vermittlung der Reichsbank bei der Aufbringung der eigent-
lichen Kriegsanleihen. Darüber hinaus ist die Reichsbank für Kriegs-
zwecke nicht in Anspruch genommen worden. Insbesondere ist
nicht nur ihr Goldbestand unangetastet geblieben, ja sogar sehr vieles
geschehen, um ihn möglichst zu steigern, sondern auch das bewährte
System der Notendeckung in vollem Umfange aufrechterhalten
worden. Hierin wurzelt die Solidität unserer finanziellen Krieg-
326 H. Köppe,
führung. Die an die Stelle der Goldmünzen getretenen und für
diese Funktion ebenso wie die Reichskassenscheine mit vollem ge-
setzlichen Zwangskurs ausgestatteten Reichsbanknoten haben auch im
Kriege die wirtschaftlich und banktechnisch bestqualifizierte Unter-
lage. Die Notwendigkeit ihrer Deckung zu einem Drittel in bar
bleibt bestehen. In Wirklichkeit beträgt die Deckung stets erheb-
lich mehr. Ihr niedrigster Stand seit Kriegsausbruch war 36,8 v. H.
am 3. August 1914, ihr höchster 48,6 v. H. am 23. November 1914
und am 23. Februar 1915. Dagegen sank die Golddeckung der
Noten in der Zeit vom Kriegsbeginn bis Ende Oktober 1915 bei der
Bank von Frankreich von 62 auf 34,1 (am 4. November auf 33,8)
und dazwischen sogar auf 32, und bei der russischen Staatsbank von
98,2 auf 31,9 v. H.!). Die Erweiterung des Kreises der als bank-
mäßige Deckung geltenden Papiere — bisher „gute“ Wechsel und
Schecks im Sinne des $ 17 des Bankgesetzes — durch Reichsschatz-
anweisungen und Wechsel des Reichs mit höchstens dreimonatiger
Laufzeit entspricht der naturgemäß großen Steigerung des Noten-
umlaufs in der Kriegszeit, die eine Verbreiterung der Deckungs-
unterlage verlangt. An sachlicher Eignung für diesen Zweck stehen
die beiden neuen Arten den bisher zugelassenen — trotz aller gegen-
teiligen Behauptungen unserer intimsten Feinde, der Engländer —
keineswegs nach. Denn das Deutsche Reich ist als Wechselschuldner
mindestens so sicher wie die beste private Wirtschaftsunternehmung.
Mit dem Besitze und den Mitteln des Reiches vereinigen sich die
produktiven Vermögen und die Steuerkraft der 26 deutschen Staaten
zu einer einzigartigen Sicherheit für diese Verbindlichkeiten. Ebenso
entspricht die Einbeziehung der Darlehenskassenscheine in die bare
Dritteldeckung durchaus den Anforderungen einer soliden Finanz-
gebarung. Denn diese sind sogar dreifach gedeckt: einmal ver-
pflichten sie das Reich, in dessen Auftrage und für dessen Rech-
nung die Darlehenskassen betrieben werden, ferner haften für sie die
gesamten Kreditnehmer dieser Kassen persönlich und endlich auch
die von diesen gestellten Spezialpfänder. Ihre Gleichstellung mit den
1) Der Notenumlauf wuchs bei der Reichsbank um 3037 Mill., bei der Bank
von Frankreich um 5990, bei der russischen Staatsbank um 7295 Mill. M. „Ein Ver-
gleich mit der Bank von England ist freilich bei den völlig abweichenden Zahlungs-
gewohnheiten, bei der überwiegenden Bedeutung des Scheckverkehrs in England, bei
dem Zurücktreten der Banknoten und bei dem stark gesteigerten Umlauf der currency
notes, der sich schon Ende Oktober auf das 2'/,-fache des Banknotenumlaufes stellte,
nicht wohl angängig‘“ (7. Nachtrag zur Denkschrift über wirtschaftliche Maßnahmen
aus Anlaß des Krieges, vom 3. Dezember 1915, S. 7). Die gesamten täglich
fälligen Verbindlichkeiten, also die Noten und die fremden Gelder, waren
durch Gold gedeckt:
vom 29.—31. Okt. 1914 vom 27.—30. Okt. 1915
bei der Reichsbank mit 30,1 v. H. mit 32,1 v. H.
„ Bank von England a SBB Con si » 326 vn»
Pr » »„» Frankreich R Being mo 28, mn
russischen Staatsbank E ER 208,05
Die deutschen Kriegsanleihen. 327
Reichskassenscheinen, denen sie in Hinsicht der Sicherheit also noch
bedeutend überlegen sind, als Bardeckungsmittel ist daher durchaus
berechtigt.
Das Reich hatte sonach bei Kriegsausbruch außer dem baren
Reichskriegsschatz zunächst nur den Kredit der Reichsbank zur
Verfügung, um sich die Mittel für die Mobilmachung und für die
erste Zeit der Kriegführung zu beschaffen. Der Reichskriegsschatz
von ursprünglich 120 Mill. M. sollte nach dem Reichsgesetz über
Aenderungen im Finanzwesen vom 3. Juli 1913 auf 240 Mill. M.
erhöhet werden durch Ausgabe von neuen Reichskassenscheinen im
Betrage von 120 Mill. M., deren Erlös dieser Verdoppelung dienen
sollte. Da bei Kriegsbeginn erst 85 Mill. M. in Gold auf diese
Weise aus dem Verkehr gezogen waren, so standen dem Reiche
205 Mill. M. als barer Kriegsschatz zur Verfügung, die sofort der
Reichsbank überwiesen wurden, ihren Goldbestand verstärkten und
ihre Notenausgabefähigkeit um das Dreifache, also um 615 Mill. M.,
erhöheten. Für die Beschaffung der Kriegsführungsmittel war das
Reich sonach zunächst ganz auf die Reichsbank angewiesen. Sie
erfolgte in der Hauptsache auf dem Wege der Diskontierung von
Reichsschatzanweisungen, die als Notendeckung dienten. Die An-
lage der Reichsbank in solchen wuchs daher rasch an und erreichte
Ende September ihren Höchststand mit rund 2,3 Milliarden M.
Daneben geschah die Kreditgewährung auch durch Diskontierung
und Lombardierung von „Zollkriegswechseln“. Nach den Bestim-
mungen über die Behandlung gestundeter Zölle und Reichssteuern
bei Kriegsgefahr mußten die Stundungsnehmer in Höhe der ge-
stundeten Beiträge Wechsel zeichnen, die das zuständige Hauptamt
an die Reichshauptkasse girierte und letztere nach Bedarf bei der
Reichsbank diskontierte, soweit sie binnen 3 Monaten, oder lom-
bardierte, soweit sie innerhalb längerer Frist fällig waren. Bis zum
15. September wurden auf diese Weise rund 195 Mill. M. diskontiert
und rund 117 Mill. M. lombardiert.
Die Auflegung einer Kriegsanleihe zur öffentlichen Zeichnung
war von der Reichsregierung schon von Anbeginn erst für einen
späteren Zeitpunkt als die Zeit gleich nach Kriegsbeginn in Aus-
sicht genommen worden. Die dafür maßgebenden Gründe lassen
sich nur vermuten. Abgesehen davon, daß der in der Form schweben-
der Schulden bei der Reichsbank aufzunehmende Kredit vorläufig
durchaus genügte, dürften sie in folgender Richtung gelegen haben.
Im Jahre 1870 hatte die erste norddeutsche Kriegsanleihe wesent-
lich mit aus dem Grunde, weil sie zu früh, nämlich am 3. und
4. August (nachdem am 19. Juli Frankreich den Krieg erklärt hatte)
aufgelegt wurde, nicht den erhofften Erfolg gehabt. Sie brachte
statt der (neben 20 Mill. Talern 5-proz. Schatzanweisungen) zur
Zeichnung aufgelegten 100 Mill. Taler (zu 5 v. H. bei einem
Zeichnungskurse von 88) nur 68323000 Taler oder einen Barbetrag
von 60124504 Talern, die zum größten Teile von kleinen Kapita-
328 H. Köppe,
listen gezeichnet waren!). Dagegen wurden auf das vom 22. bis
24. August zur Zeichnung aufgelegte bayerische Militäranlehen von
15 Mill. fl. insgesamt 108016000 fl. gezeichnet. Diese sechsfache
Ueberzeichnung erfolgte, nachdem am 17. August die Schlacht von
Mars-la-Tour und am 18. die von Gravelotte gewonnen worden war.
Ferner ist der Erfolg gerade einer ersten Kriegsanleihe wesentlich
mit durch den günstigen Ausgang der ersten militärischen Opera-
tionen bedingt. Das Vertrauen auf einen guten Verlauf des Krieges
und endgültigen Sieg, das zum Zeichnen auf die Kriegsanleihe den
stärksten Impuls gibt, erhält dadurch eine reale Unterlage. Für eine
erfolgreiche Offensive waren aber dank unseren rechtzeitigen Schutz-
maßnahmen alle Voraussetzungen vorhanden. Sodann sind die Geld-
verhältnisse klarer und flüssiger, wenn sich die stürmischen Wogen
auf dem Geldmarkte nach Ueberwindung der ersten Kriegspanik
einigermaßen gelegt haben. Während dieser Panik wird alles Bar-
geld krampfhaft festgehalten und sein Besitz noch nach Kräften
vermehrt durch Einziehung von Forderungen, Kündigung von Kre-
diten usw. Erst mit der allmählichen Klärung der wirtschaftlichen
Verhältnisse und der strategischen Lage lockert sich die ängstlich
geballte Hand und lassen der Verstand und das Gemüt Erwägungen
den Zutritt, welche die für eine erfolgreiche Anleihe günstige Stim-
mung anbahnen. Den Banken und Sparkassen fließen wieder Gelder
zu, und anderseits sind sie in deren Wiederausleihung besonders
vorsichtig.
Weiterhin bedürfen aber auch die näheren Bestimmungen und
Bedingungen der Anleiheausgabe einer ruhigen und gründlichen Er-
wägung, die nicht schon oder doch nur teilweise im Frieden vor-
weg erfolgen kann, da sie der augenblicklichen, im voraus nicht
absehbaren Lage aller Verhältnisse Rechnung tragen muß. Endlich
muß namentlich den großen Zeichnern Ruhe und Zeit gelassen
werden, sich auf die zu erwartende Anleihe einzurichten und, so-
weit sie ihrerseits mit anderen Faktoren dabei zu rechnen haben,
1) Auch waren die Einzahlungsfristen zu kurz bemessen worden, nämlich am
10. August für 10 v. H., am 1. September für 20 v. H., am 1. Oktober für 15 v. H.,
am 1. November für 20 v. H., am 1. Dezember für 15 v. H. und am 28. Dezember
für den Rest. Die zweite Kriegsanleihe von 102 Mill. Talern, gleichfalls zu 5 v. H.,
wurde an ein Bankenkonsortium begeben, das sie zu °/, auf dem deutschen und zu ?/,
auf dem englischen Markte unterbrachte. Dies geschah gleichzeitig in je zwei Emissionen,
im Dezember und Januar. Es wurden auf die in Deutschland in zwei Hälften von je
30,6 Mill. Talern aufgelegten 61,2 Mill. Taler insgesamt 223 371 600 Taler gezeichnet.
Der Uebernahmepreis war für die erste Hälfte 92!/, v. H., für die zweite 95'/, v. H.,
der Zeichnungskurs 95!/, und 96!/, v. H. Allerdings fiel die Ankündigung der Be-
gebung der zweiten Emission auf den 19. Januar 1871, den Tag nach der Kaiserproklamation
von Versailles. Auch in England hatte die Auflegung einen vollen Erfolg. Auf die
zweite Hälfte (3 Mill. £ = 20,4 Mill. Taler) wurden dort 11,3 Mill. £ gezeichnet;
wieviel auf die erste, ist nicht bekannt geworden. Der dritte bewilligte Kriegskredit
brauchte wegen des rechtzeitigen Einganges eines Teiles der französischen Kriegsent-
schädigung nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Vgl. Kleindienst, „Die
deutschen Krieganleihen in den Jahren 1870 und 1871“, in den „Annalen des Deutschen
Reichs‘‘, Jahrg. 1913, S. 252 ff.
Die deutschen Kriegsanleihen. 329
wie z. B. die öffentlichen Sparkassen mit ihrem Kundenkreise, ihr
Verhalten diesen gegenüber vorher zu regeln. Die ersten beiden
Kriegsmonate dienten daher der allseitigen Vorbereitung der
Anleihebegebung. Anderseits konnte man die Reichsbank nicht
gut noch länger unentlastet lassen wegen der erfahrungsmäßigen
starken Beanspruchung für wirtschaftlichen Bedarf, der sie zu den
Quartalsanfängen regelmäßig ausgesetzt ist. Auch hat die Aufnahme
sehr großer kurzfristiger Schulden wegen der Notwendigkeit baldiger
Rückzahlung an festen Terminen von vornherein ihre natürlichen
Grenzen. Daß aber das Reich in der eine erfreulich starke finan-
zielle Stellung zum Ausdruck bringenden Lage war, die Kosten
dieser beiden Monate ohne Inanspruchnahme des Anleihemarktes zu
bestreiten, verdankt es nach der eigenen Erklärung der Regierung!)
drei Umständen: der Gesamtentwicklung der wirtschaftlichen Ver-
hältnisse, der Steuergesetzgebung des letzten Jahrfünfts und der
Leistungsfähigkeit unserer Reichsbank.
In der großen ersten Tagung des Reichstages nach Kriegsaus-
bruch, an dem denkwürdigen 4. August 1914, forderte und er-
hielt die Reichsregierung vom Reichstage einen Kriegskredit von
5 Milliarden M. in Gestalt eines in drei Lesungen am selben Tage
einstimmig angenommenen Nachtrages zum Reichshaushaltsetat von
1914. Absichtlich war dieser Kredit so hoch bemessen, daß zu-
nächst nur ein Teil desselben, etwa in Höhe von 2 Milliarden,
flüssig gemacht zu werden brauchte, und auch hiermit glaubte man
aus den soeben dargelegten Gründen ganz gut bis Anfang Oktober
warten zu können. Bis dahin genügte die Inanspruchnahme der
Reichsbank. Daß die Anleihe nur in Deutschland selbst, also als
eine innere, aufzunehmen war, stand von vornherein fest. Sollte
sie doch ein Beweis sein von der finanziellen und wirtschaftlichen
Stärke Deutschlands wie von der einmütigen Opferwilligkeit seiner
Bürger. Auch wäre bei der Haltung des neutralen Auslandes kaum
auf eine erhebliche Beteiligung von dort zu rechnen gewesen. Wie-
viel im Inlande an Zeichnungen eingehen würde, konnte freilich nur
gemutmaßt werden. Denn es fehlte angesichts der seit 1870 völlig
veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse jeder Vergleichungsmaß-
stab, die Schätzungen des Volksvermögens und Volkseinkommens
aber waren teils zu unsicher, teils gaben sie keinen Anhalt dafür,
wieviel davon für diesen Zweck in der gebotenen Zeit flüssig ge-
macht werden konnte, und vor allem nicht, wieweit die Entschluß-
fähigkeit dazu reichte. Man rechnete zunächst mit den vorhin er-
wähnten, von dem „Angstbedarf“ veranlaßten Geldaufspeicherungen,
ferner auf die Verwendung eines Teils der den Korporationen,
Stiftungen, Vermögensverwaltungen und Privaten zufließenden Jahres-
einkünfte und eines großen Teils der im Volke vorhandenen Bar-
guthaben, die als Einlagen bei den Banken, Sparkassen usw. ruhten,
endlich auf die von den neugegründeten Darlehenskassen gebotene
1) Vgl. Anlage 1 zur Denkschrift vom 23. November 1914.
330 H. Köppe,
Möglichkeit der Beschaffung von Mitteln zur Beteiligung an der
Anleihe im Wege der Verpfändung von Wertpapieren. Wie hoch
der aus diesen Quellen fließende Gesamtbetrag sein würde, entzog
sich aber jeder Berechnung.
Für die Form der Anleihe war die Erwägung bestimmend,
daß für einen Teil des anlagesuchenden Kapitals, besonders für die
beweglichen Kapitalien der Kreditanstalten und der reichen Kapita-
listen, eine kurzfristige, in einigen Jahren zum Nennwert fällige
Schatzanweisungsanleihe größeren Anreiz bieten würde, für die große
Masse des Publikums dagegen, besonders die kleinen Sparer und die
großen Vermögensverwaltungen, die eine dauernde Kapitalanlage
bietende übliche Konsolanleihe geeigneter war. Daher erschien eine
alternative Verbindung beider Formen zweckmäßig. Für die Schatz-
anweisungen war dabei eine feste Begrenzung ihrer Höhe nötig wegen
der damit übernommenen und an feste Termine gebundenen Rück-
zahlungslast. Bei der Konsolanleihe konnte man dagegen hiervon
absehen, und dies erschien aus wichtigen Gründen auch zweckmäßig.
Zunächst konnte dabei nämlich jeder dem Reiche angebotene Geld-
betrag von ihm auch angenommen werden. Sodann waren sogenannte
Konzertzeichnungen, die in der Absicht rascher spekulativer Wieder-
veräußerung vorgenommen werden, sowie Scheinzeichnungen jeder
Art dabei unmöglich. Denn jeder Zeichner mußte mit der Zuteilung
des ganzen von ihm gezeichneten Betrages rechnen. Auf diesen
Umstand legte man besonderes Gewicht, da die Unterbringung der
Anleihe gleich von Anbeginn in festen Händen sehr wichtig erschien.
Denn sonst wäre nach Wiedereröffnung der Börsen auf diese eine
Masse „schwimmende“ Ware geworfen worden, die nach Unterkunft
gestrebt und den Kurs der Reichs- und Staatsanleihen erheblich ge-
drückt hätte. Endlich hatte man in der preußischen Staffelanleihe
von 1908 ein Vorbild der unbegrenzten Höhe. Sonach ward die
Auflegung von einer Milliarde Mark Schatzanweisungen und daneben
diejenige einer Konsolanleihe von unbegrenzter Höhe beschlossen.
Die Rückzahlung der ersteren ward auf eine Anzahl Termine ver-
teilt, um Unzuträglichkeiten für das Reich wie für den Geldmarkt
zu vermeiden, die sich bei Rückzahlung einer so gewaltigen Summe
an einem einzigen Termine hätte ergeben müssen. Unter Annahme
einer fünfjährigen Durchschnittszeit teilte man die Schatzscheine in
5 Serien ein, die in der Zeit vom 1. Oktober 1918 bis zum 1. Ok-
tober 1920 halbjährlich in der durch Auslosung zu bestimmenden
Reihenfolge zum Nennwerte zurückgezahlt werden. Um auch hier
Konzertzeichnungen auszuschließen, wurde zugelassen, die Zeich-
nung auf sie mit einer Eventualzeichnung auf Konsolanleihe für den
Fall der Ueberzeichnung zu verbinden.
Für den Zinsfuß wie für den Ausgabekurs beider Anleihe-
arten war bestimmend einmal, daß in ihnen ein hinlänglich starker
Anreiz zur Zeichnung gegeben würde; anderseits, daß die neuen
Anleihen möglichst wenig auf den Kurs der alten drücken durften.
So gestand man denn einen Zinsfuß von 5 v. H. zu, mit Zinster-
Die deutschen Kriegsanleihen. 331
minen am 1. April und 1. Oktober, deren erster auf den 1. April 1915
fiel, begrenzte aber die Unkündbarkeit auf 10 Jahre. Dabei war die
Erwartung maßgebend, daß das Publikum mit der Wahrscheinlichkeii
der Konvertierung nach Ablauf dieser Frist rechnen und die Anleihe
mithin als eine 4-prozentige mit einem zehnjährigen Zinsvorteil
von 1 v. H. ansehen werde. Von demselben Standpunkte aus wäre
ein 7 bis 8 v. H. über dem Kurs der älteren 4-prozentigen Anleihe
liegender Ausgabekurs gerechtfertigt gewesen. Beim Schluß der
Börsen infolge des Kriegsausbruchs war der Kurs der bis zum
1. April 1918 unkündbaren Reichsanleihe 98,40, der bis zum 1. April
1935 unkündbaren 99, und der am 1. Mai 1916 fälligen 4-proz.
Reichsschatzanweisungen 99,50 gewesen !). Für den September konnte
er auf 94—95 geschätzt werden. Von dem sonach für die Kriegs-
anleihe sich ergebenden Kurse von 102 erschien jedoch ein Abschlag
erforderlich, weil eine so große Anleihe schon an sich die älteren
im Kurse drücken, überdies aber den Verhältnissen gemäß ein be-
sonderer Anreiz zur Zeichnung gegeben werden mußte. So wurde
denn der Ausgabekurs für beide Anleihearten auf 97,50 und für die
Schuldbuchzeichner mit Sperrverpflichtung bis zum 15. April 1915,
wie üblich, um 0,20 v. H. niedriger, also auf 97,30 festgesetzt. Ihre
effektive Verzinsung beträgt daher 5,13 v. H. und erhöht sich bei
Berücksichtigung der nach durchschnittlich 5 Jahren erfolgenden
Rückzahlung der Schatzanweisungen auf 5,63, und bei der Anleihe
im Falle der nach 10 Jahren bei eventueller Konvertierung er-
folgenden Rückzahlung auf 5,38 v. H.
Die Form der Begebung konnte nur die eines Appells an
die gesamte Bevölkerung des Reiches sein. Dies entsprach zunächst
der großen Bedeutung der Anleihe Es wäre aber auch ein Banken-
konsortium, sei es das „Preußenkonsortium“, das sonst die Reichs-
anleihen übernommen hat, sei es ein anderes, diesmal schwerlich
hierzu imstande gewesen. Denn bei der Größe des Reichsbedarfs
hätte es entweder keine Garantie für die Unterbringung der Anleihe
übernehmen können oder aber für sein Risiko eine äußerst hohe
Entschädigung fordern müssen, durch deren Anrechnung auf den
Kurs die Allgemeinheit erheblich benachteiligt worden wäre. Auch
hätte die Anleihe in diesem Falle nach oben begrenzt werden müssen,
und endlich würde die Festlegung der Banken durch diese Ueber-
nahme ihre Liquidität und ihre Bereitschaft für die Kreditbedürfnisse
des Verkehrs stark beeinträchtigt haben. Anderseits entfiel freilich
damit die Pflicht der Banken zur Intervention bei erheblichem
Verkauf der älteren Reichsanleihen. Doch war diesem durch den
Börsenschluß zunächst ein Riegel vorgeschoben. So wurde denn
der Reichsbank mit ihrem Netz von rund 500 Zweiganstalten die
Vermittlung des direkten Angebots an die Allgemeinheit und zu-
gleich die Funktion als Zeichnungsstelle übertragen. Daneben
1) Für die bis zum 1. April 1925 unkündbare 4-proz. Reichsanleihe vom März 1913
war kein Kurs notiert.
332 H. Köppe,
konnten Zeichnungen auch durch Vermittlung der Kgl. Seehandlung
(Preußischen Staatsbank), der Preußischen Zentralgenossenschafts-
kasse in Berlin und der Kgl. Hauptbank in Nürnberg und ihrer
Zweiganstalten erfolgen. Außerdem erging aber an alle deutschen
Banken und Bankiers die Aufforderung zur kräftigsten Mithilfe.
Ebenso an die öffentlichen Sparkassen wegen der Erwartung starker
Verwertung ihrer Einlagen durch die Einleger zur Anleihezeichnung,
und an die Lebensversicherungsgesellschaften wegen ihrer umfassenden
Organisation und ihrer Fühlung mit dem Publikum. Für ihre Hilfe
wurde diesen Vermittlungsstellen eine Gebühr von 35 Pf. für je
100 M. (sonst nur 25 Pf.) zugesagt, wovon sie bis zu 20 Pf. an
größere Vermögensverwaltungen, nicht aber an Private weitergeben
durften.
Die Zeichnung wurde aus praktischen und technischen
Gründen auf eine Frist von nur 10 Tagen beschränkt. Sie mußte
vom 10. bis zum 19. September dergestalt erfolgen, daß an diesem
Tage zur Post aufgegebene Zeichnungen noch berücksichtigt wurden.
Die Einzahlungen waren, ohne Sicherheitsleistung,
in Höhe von 40 v. H. spätestens am 5. Oktober,
Fa 9: Fa aR
pag » 30 v. H. » » 25. November
zu leisten; Beträge bis zu 1000 M. mußten bei dieser Anleihe bis
zum 5. Oktober ungeteilt berichtigt werden. So konnten die am
1. Oktober durch Einlösung von Zinsscheinen flüssig gemachten
Gelder noch für die Anleihe Verwendung finden. Den Zeichnern
stand aber auch das Recht jederzeitiger Vollzahlung zu. Die Reichs-
bank verwahrte auf Wunsch kostenlos die zugeteilten Stücke bis
zum 1. Oktober 1915. Gestückelt war die Anleihe in Beträgen
von 100000 bis — im Interesse der kleinsten Sparer — herab zu
100 M.
Ganz besonders wichtig erschien die weitestgehende Mitwirkung
der Sparkassen, einmal mit Rücksicht auf ihren großen Gesamt-
bestand an Einlagen — rund 20 Milliarden M. gegen rund 15 Milliarden
Einlagen bei den Banken und Genossenschaften — und ferner weil
sie die Geschäftsstellen der großen Massen kleiner Sparer sind, auf
deren Beteiligung an dieser wahrhaften Volksanleihe aus materiellen
wie ideellen Gründen hervorragender Wert gelegt wurde. Der Ver-
wertung der Sparkasseneinlagen für die Anleihe standen aber die
satzungsmäßigen Kündigungsbedingungen im Wege. Auf Anregung
der Reichsbank erließ daher der Ausschuß des deutschen Spar-
kassenverbandes einen erfolgreichen Aufruf an alle Sparkassen, von
den Kündigungsfristen keinen Gebrauch zu machen. Auch die Dar-
lehenskassen kamen den Zeichnern entgegen, indem ihr Zinsfuß für
solche Darlehen, die zum Zwecke der Einzahlung auf die Kriegs-
anleihe entnommen wurden, bis zum 1. April 1915 auf die Höhe des
Reichsbankdiskonts, zunächst also von 6'/, auf 6 v. H. herabgesetzt
ward. Eine weitere Ermäßigung auf 5!/, v. H. erfolgte im Dezember
1914, als im Anschluß an die Ermäßigung des Reichsbankdiskonts
Die deutschen Kriegsanleihen. 333
der Darlehnskassenzinsfuß auf 5!/ v. H. herabgesetzt wurde. Die
Presse veröffentlichte einen ihr übermittelten Aufruf an die All-
gemeinheit und bemühte sich auch sonst, sowohl durch Wiedergabe
von Mitteilungen der Reichsbank als durch eigene Artikel, kräftig
im Interesse der Anleihe. Dagegen wurde von jedem Mittel der
Heranziehung des Auslandes zur Anleihezeichnung abgesehen, ob-
wohl die Schuldverschreibungen nach dem Kreditbewilligungsgesetze
vom 4. August 1914 auch auf ausländische Währung lauten und im
Auslande zahlbar gestellt werden durften.
Der Erfolg übertraf alle Erwartungen. Es wurden insgesamt
gezeichnet 4460 701400 M., also mehr als das Doppelte des Er-
warteten. Diese Summe übertrifft die von Frankreich nach dem
Einheitskriege von 1870/71 an Deutschland gezahlte Kriegskosten-
entschädigung von 5 Milliarden frcs. noch um fast !/, Milliarde M.
Wie aber der Staatssekretär Helfferich dargetan hat!), brachte das
deutsche Volk die so viel größere Summe in ebenso vielen Monaten
— nämlich in zwei — auf, wie Frankreich Jahre gebraucht hatte
für die Aufbringung seiner Kriegskontribution. Sie verteilte sich,
wie folgt:
auf Anleihe: 3 120 973 800 M.
davon mit Schuldbucheintragung und Sperre bis
15. April 1915: 1 198 867 800 M.
auf Schatzanweisungen : 1339727600 ,
davon Wahlzeichnungen: 582,9 Mill. M.
in Summa 4460 701 400 M.
Die Bedeutung dieser Gesamtzeichnung liegt in erster Linie
darin, daß sie, in erfreulichem Gegensatze zu den Anleihen unserer
Feinde, nur ernsthafte Zeichnungen umfaßt. In dieser Hinsicht
kam die Schließung der Börsen zu statten, die Tausch- und andere
spekulative Operationen mit gezeichneten Anleihetiteln unmöglich
machte. Ferner ist die Anleihe fast ausschließlich in Deutsch-
land untergebracht. Sodann hat das Reichsschatzamt den Wünschen,
die an es herangetreten sind, die Lombardierung der Zwischen-
scheine bei den Darlehnskassen Zug um Zug zum Zwecke der Be-
schaffung der Mittel für die Einzahlungen zu gestatten, widerstanden.
Die Zeichner sollten ihre Zeichnungen ihren wirklich verfügbaren
Mitteln anpassen. Ebensowenig ist der Erfolg der Anleihe irgend-
welchen Schiebungen oder sonstigen unreellen Mitteln zu verdanken,
deren Anwendung sich ja auch später bitter gerächt haben würde.
Bei längerer Zeichnungsfrist wäre er anderseits vermutlich noch
größer gewesen. Endlich wohnt ihm ein starkes ideelles Moment
von besonderer Bedeutung inne: die gleichmäßige Verteilung der
Zeichnung auf alle Schichten des Volkes, insbesondere auf alle
Stufen des Vermögensbesitzes und des Einkommens. Sie hat folgen-
des Aussehen:
1) Vgl. Helfferich, Die Kriegsanleihe, im „Bankarchiv“, Jahrg. 14, No. 1 vom
1. Oktober 1914.
334 H. Köppe,
Beträge von Mark Zahl der Zeichner Summe
100 und 200 231 112 36 111 400
300 bis 500 241 804 110 700 700
600 „ 2.000 453 143 586 964 300
2100 „ 5.000 157 591 579 403 600
5100 , 10 000 56 438 450 148 500
10100 , 20 000 19 313 307 186 600
20100 „ 50 000 11584 410 458 000
50100 , 100000 3 629 315 046 200
100100 ,„ 500000 2050 508 548 400
500 100 , 1.000 000 361 287 196 700
über 1 000 000 210 868 937 000
1177 235 4 460 701 400
Fast 78 v. H. aller Zeichnungen, nämlich 926059, die 733776400 M.
oder rund 16!/, v. H. der Gesamtzeichnung umfaßten, entfielen also
auf solche bis zu 2000 M. — ein schlagender Beweis dafür, wie
sehr diese Anleihe eine solche des gesamten Volkes war.
Nach den Zeichnungs- und Vermittlungsstellen verteilten sich
die Zeichnungen so, daß gezeichnet wurden:
bei der Reichsbank und ihren Zweiganstalten 479,2 Mill. M.
bei den anderen Banken und Bankiers 2894,6 u »
» » Sparkassen 8834 » s»
n»n »„ Lebensversicherungsgesellschaften 203,5 » »
Alle gezeichneten Beträge wurden voll zugeteilt. Auf den ge-
samten überzeichneten Betrag der Schatzanweisungen konnte An-
leihe zugeteilt werden. Angesichts des großen Erfolges wurden die
Einzahlungen dahin erleichtert, daß am 26. Oktober nur 20, am
25. November weitere 20 und am 22. Dezember die restlichen 20
v. H. fällig wurden. Sie erfolgten aber so rasch und stark, daß bis
zum ersten Termin, dem 5. Oktober, schon 2420 Mill. M. oder
54,26 v. H. gezahlt waren. Eine Störung des Geldmarktes trat
gleichwohl nicht ein. Die Beanspruchung der Darlehnskassen für
die Einzahlungen war weit geringer als erwartet. Sie betrug nach
dem ersten und vor dem zweiten Zahlungstermin: am 7. Oktober
710 Mill. M. oder 29 v. H. der bis dahin geleisteten Zahlungen, am
15. Oktober nur noch 593 Mill. und am 23. Oktober nur noch 534
Mill. M. Nach dem zweiten Zahlungstermine, am 31. Oktober, stieg
sie auf 7783 Mill. M. oder 22 v. H. der bis dahin geleisteten
Zahlungen, um dann wieder abzunehmen, und so fort auch bei den
späteren Zahlungen. Am 15. Februar 1915 liefen an Kriegsdarlehen
nur noch 394 Mill, am 30. April 1915 nur noch 294 Mill. M.
Wegen der Kürze der Zeichungsfrist war die Heranziehung der
im Felde stehenden Truppen zur Anleihe nicht möglich gewesen.
Sie erfolgte nachträglich durch Uebersendung von Zeichnungsscheinen
mit Zeichnungsfrist bis zum 1. Dezember 1914 und Frist für Voll-
zahlung bis zum 4. Januar 1915. Es wurden rund 20 Mill. M. ge-
zeichnet.
In ihrer Denkschrift bezeichnete die Regierung die Begebung
der ersten Kriegsanleihe als das größte Finanzgeschäft, das die Welt
Die deutschen Kriegsanleihen. 335
bis dahin gesehen habe, und die Einzahlung auf den ersten Zahlungs-
termin als die größte Zahlung, die jemals von einem Volke in so
kurzer Zeit geleistet worden sei. Aber in beiden Hinsichten wie
auch an Gesamierfolg sollte die erste von den beiden folgenden An-
leihen noch erheblich übertroffen werden.
TI.
In einem zweiten Nachtrag zum Reichshaushaltsetat von 1914
forderte die Reichsregierung einen weiteren Kriegskredit von gleich-
falls 5 Milliarden M., den der Reichstag am 2. Dezember 1914 in
drei Lesungen mit allen gegen eine Stimme bewilligte. Sodann wurden
im außerordentlichen Etat für 1915 weitere 10 Milliarden Kriegs-
kredit bewilligt. Der Gesamtetat für 1915 ward am 20. März 1915
vom Reichstag mit allen gegen eine Stimme angenommen. Schon
im Februar war aber die zweite Kriegsanleihe zur öffent-
lichen Zeichnung aufgelegt worden, die sich ebenfalls nur an den
inländischen Markt wendete. Sie war nach dem großen Erfolge der
ersten dieser in allen wesentlichen Punkten ähnlich gestaltet. Die
Abweichungen sind im folgenden kenntlich gemacht.
Wiederum wurden Anleihe und Schatzanweisungen gleichzeitig
nebeneinander aufgelegt, diesmal aber beide in unbegrenzter Höhe.
Doch behielt sich die Reichsfinanzverwaltung, da sie Rückzahlungen
zu bestimmten Terminen nicht in unbegrenzter Höhe übernehmen
konnte, dabei vor, je nach dem Zeichnungsergebnis nur einen Teil
der gezeichneten Schatzanweisungen zuzuteilen. Den Zeichnern auf
Schatzanweisungen wurde daher in den öffentlichen Bekanntmachungen
nahegelegt, vom Rechte wahlweiser Zeichnung möglichst Ge-
brauch zu machen. Die Frist für die Rückzahlung der neuen Schatz-
anweisungen wurde an den Ablauf derjenigen für die Rückzahlung
der alten dergestalt angeschlossen, daß, da deren letzte Rückzahlung auf
den 1. Oktober 1920 fällt, die neuen in 4 Abschnitten zum 2. Januar
und 1. Juli der Jahre 1921 und 1922 zurückgezahlt werden. Welcher
Abschnitt jedesmal zur Rückzahlung gelangt, wird durch Auslosung
bestimmt.
Zinsfuß und Unkündbarkeit blieben unverändert, nur
sind die Zinsen am 2. Januar und 1. Juli jeden Jahres fällig. Der
Zinsenlauf begann nämlich am 1. Juli 1915, die Fälligkeit des ersten
Zinsscheines trat also am 2. Januar 1916 ein. Diese Verschieden-
heit der Zinstermine gegen diejenigen der ersten und der dritten
Anleihe (1. April und 1. Oktober) erklärt sich durch die Absicht,
die Reichsbank hinsichtlich der Zinsenzahlung an den Quartals-
terminen durch angemessene Verteilung zu entlasten. Dagegen wurde
der Ausgabekurs um 1 Prozent höher, also auf 98,50 angesetzt.
Hierzu entschloß man sich, weil die erste Anleihe im freien Börsen-
verkehr sehr rege und erheblich über dem Ausgabekurs nachgefragt
wurde und die Lage des Geldmarktes eine günstige war. Die Sperr-
pflicht für die Schuldbuchzeichner, die mit gleich hoher Bevor-
336 H. Köppe,
zugung, also zu 98,30 zeichnen durften, wurde von einem halben auf
ein ganzes Jahr heraufgesetzt.
Die Begebung erfolgte in derselben Weise wie bei der ersten
Anleihe, doch indem auch noch alle deutschen Kreditgenossenschaften
wegen ihrer engen Fühlung mit dem erwerbstätigen Publikum als
Vermittlungsstellen herangezogen wurden. Die Reichsbank setzte
sich zu diesem Zweck mit den Zentralkassen der Genossenschafts-
verbände in Verbindung, die auf die Genossenschaften, und zwar
zugleich auch im Sinne des Verzichtes auf die satzungsmäßigen
Kündigungsfristen gegenüber den zeichnungsbereiten Einlegern, ein-
wirkten. Auch die Postanstalten der Orte, an denen keine öffent-
lichen Sparkassen bestehen, wurden ermächtigt, Zeichnungen ent-
gegenzunehmen, auf die jedoch bis zum 31. März 1915 Vollzahlung
geleistet sein mußte.
Die Zeichnungsfrist lief vom 27. Februar bis zum 19. März
1915, betrug also diesmal 3 Wochen statt nur 10 Tage. Die
Stückelung war nur insofern verschieden, als bei der Anleihe in-
folge der gemachten Erfahrungen von ganz großen Stücken zu
100000 und 50 000 M. abgesehen wurde. Die gezeichneten Beträge
durften vom 31. März ab vollbezahlt werden._ Es mußten vom zu-
geteilten Betrage:
30 v. H. bis zum ae April 1915
20 n» p ” al n
20 w n » n 22. Juni j
5 un » » 20. Juli G
I un» ” 20. August Pr
bezahlt werden. Beträge bis zu 1000 M. waren aber bis zum 14. April
ungeteilt zu entrichten. Die Darlehnskassen gestanden auch
den Zeichnern der zweiten Anleihe den, wie erwähnt, für diejenigen
der ersten auf 5'/, v. H. ermäßigten Zinsfuß zu. Wiederum nahm
sich die Presse in wärmster Weise durch Aufnahme von amtlichen
Aufrufen, Artikeln und Notizen wie auch durch zweckdienliche
eigene Veröffentlichungen der Anleihesache an. Ihre Werbetätigkeit
ward diesmal noch sehr wirksam dadurch unterstützt, daß auf ein
von der Reichsfinanzverwaltung an sämtliche Einzelstaaten gerich-
tetes Ersuchen hin die unteren Verwaltungsbehörden in Verbindung
mit den Bürgermeistern und Gemeindevorständen in den verschieden-
sten Formen — in amtlichen Blättern, durch Vorträge in Vereinen und
Versammlungen usw. — die Oeffentlichkeit belehrten und anregten.
Auch Geistliche, Lehrer und Stiftungsverwaltungen wurden für
solche Tätigkeit gewonnen. Von den Amtsgerichten ward die An-
leihe den Vormündern empfohlen. Ein alles Wissenswerte enthal-
tendes Merkblatt wurde in den weitesten Kreisen verbreitet.
Der Erfolg übertraf selbst die durch das glänzende Ergebnis
der ersten Anleihe hochgespannten Erwartungen. Es wurden in
2 691 060 Einzelbeträgen gezeichnet: 9060 Mill. M., davon 8285 Mill.
auf Anleihe, 775 Mill. auf Schatzanweisungen. Von den ersteren
fielen 1675 Mill. auf Schuldbucheintragungen. Durch nachträgliche
Die deutschen Kriegsanleihen, 337
mehr als 20000 Zeichnungen der Truppen im Felde wurden noch
weitere 30 Mill. M. aufgebracht, so daß hierdurch und durch einige
rechtzeitig aufgegebene aber verspätet eingegangene Auslandzeich-
nungen das Gesamtergebnis 9103 Mill. M. war, mithin mehr
als das Doppelte des Ertrages der ersten Anleihe Im einzelnen
war das Ergebnis das folgende (die Ergebnisse der ersten Anleihe
sind in Klammern beigefügt):
Beträge von Mark Zahl der Zeichnungen Betrag in Mill. M.
bis 200 M. 452113 (231 112) zı (36)
von 300 „ 500 „ 5r 470 (241 804) 254 (111)
R 600 „ 1000 „ 660 776 6o4\ `
"1100 > 2000, 418 861[ (453 143) = (587)
»„ 2100 „ 5000 „ 361459 (157 591) 1354 (579)
p 5100 „ 10000 „ 130 903 (56 438) 1057 (450)
„ 10100 „ 20000 „ 46105 (19313) 745 (307)
20100 „ 50000 „, 26 407 (11 584) 926 (410)
„ 50100 „ 100000 „ 7742 (3 629) 648 (315)
„ 100100 „ 500000 „ 4 361 (2 050) 1066 (509)
„ 500100 „ 1000000 „ 538 (361) 440 (a87)
über 1 000 000 3 325 (210) 1162 (869 S
zusammen 2691060 (I 177 235) 9060 (4460)
Es wurden gezeichnet:
bei der Reichsbank und ihren Zweiganstalten 565 Mill. M,
„ den Banken und Bankiers 5592 u »
» » Öffentlichen Sparkassen 1977 0 u
» » Lebensversicherungsgesellschaften 334 u
» » Kreditgenossenschaften 430 u
„ der Post 12 u 9
Wie alle gezeichneten Beträge, so wurden diesmal auch die
775 Mill. Schatzanweisungen voll zugeteilt, womit die Wahlzeich-
nungen sich erledigten. Höchst erfreulich war es, daß die wirklichen
Einzahlungen die pflichtmäßigen wiederum, und zwar noch stärker
als bei der ersten Anleihe, hinter sich ließen. Bis zum 14. April,
dem Tage der ersten Ratenzahlung, wurden schon 6076 Mill. M.
also 67 v. H. der Gesamtsumme oder 2716 Mill. = 30 v. H. mehr
als fällig gezahlt, und zwar wiederum ohne jede Erschütterung des
Geldmarktes, der sich sorgfältig darauf vorbereitet hatte. Bis zum
31. Juli waren bereits 8959,2 Mill. M. = 98,45 v. H. der Gesamt-
zeichnung eingezahlt, während erst 7870 Mill. M. fällig waren.
Die Beanspruchung der Darlehnskassen für diese Anleihe
war noch weit geringer als für die erste. Sie betrug am 15. April
1915, dem Tage nach der ersten Einzahlung, nur 521 Mill. = 8,5 v. H.
der gezahlten Summe, und davon waren bis Ende April 30 Mill.
schon wieder zurückgezahlt und Ende Juli nur noch 354 Mill. oder
nicht ganz 4 v. H. der eingezahlten Summe ausstehend. Ganz gleich-
artig war die Bewegung der Vorschüsse der Darlehnskassen und ihrer
Rückzahlungen bei den späteren Einzahlungen.
Sehr bemerkenswert ist der verschiedene Anteil einesteils der
Schatzanweisungen, anderenteils der Schuldbuchzeichnungen an den
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd, 106 (Dritte Folge Bd. 51). 22
338 H. Köppe,
beiden Anleihen. Die Schatzanweisungen machten von der ersten
Anleihe 30 v. H., von der zweiten dagegen nur 8°), v. H., die Schuld-
buchzeichnungen von der ersten Anleihe fast 27 v. H., dagegen von
der zweiten nur 181, v. H. aus. Die erstere Veränderung ist un-
bedingt günstig zu beurteilen, da sie ein verhältnismäßiges Zurück-
treten des Großkapitals in der Beteiligung und ein gleichstarkes
Ueberwiegen der kleinen Zeichner bedeutet. Auch vom Standpunkte
der Reichsfinanzen ist der erheblich stärkere Anteil der dauernden
Anleihe am Gesamtergebnis der zweiten Anleihe sehr willkommen,
da das Reich im gleichen Maße der Notwendigkeit kurzfristiger
Rückzahlung enthoben wird und für die Tilgung freiere Hand be-
hält. Es ist dabei deutlich erkennbar, daß die kleineren Zeichner
sich erst durch allmähliche wirtschaftliche Anpassung an den Krieg
in die Möglichkeit einer so allgemeinen und intensiven Beteiligung,
wie sie im Ergebnis der zweiten Anleihe Ausdruck gefunden hat,
setzen konnten. Bei der ersten Anleihe fiel daher noch dem Groß-
kapital der Vortritt zu, während die zweite geradezu eine Massen-
erhebung des Volkes zur finanziellen Durchführung des Krieges war.
Das kommt auch in den Ziffern der Zeichner zum Ausdruck, denn
an der zweiten Anleihe waren mehr als die doppelte Zahl von
Zeichnern der ersten Anleihe beteiligt (2691 060 gegen 1 177 235).
Namentlich aber umfaßte der Anteil der bis zu 2000 M. betragenden
Zeichnungen, der 2113220 (gegen 926059) oder rund 78!,, (gegen
78) v. H. aller Zeichnungen betrug, diesmal rund 1662 (gegen 734)
Mill. M. oder 18,28 (gegen 16,45) v. H. der Gesamtzeichnung. Bei
den Schuldbuchzeichnungen steht dem relativen Rückgang von 81/,
v. H. eine absolute Zunahme von rund 476 Mill. M. gegenüber.
Hier ist zu beachten, daß für das Schuldbuch sich nur diejenigen
entscheiden werden, die die Absicht haben, ihren Besitz an Kriegs-
anleihe unbedingt festzuhalten, auch bei Herabsetzung des Zinsfußes
nach Eintritt der Kündigungsmöglichkeit.
Bei den Einzahlungen auf diese Anleihe wurden die am 1. April
1915 fälligen 60 Mill. M. 4-proz. Reichsschatzanweisungen von 1911,
Serie I, in Zahlung genommen. Diese rein praktische Maßregel
diente der formalen Entlastung des Reichsetats.
Der Kaiser faßte seinen Eindruck von dem glänzenden Erfolge
der zweiten Anleihe auf die erstattete Meldung in folgende Worte
zusammen: „In dem alle Erwartungen übertreffenden, in der Finanz-
geschichte aller Zeiten beispiellosen Ergebnis der Zeichnungen auf
die zweite Kriegsanleihe sehe ich die Bekundung des zu jedem Opfer
und jeder Leistung entschlossenen Siegeswillens und der gottvertrau-
enden Siegeszuversicht des deutschen Volkes.“
II.
Die insgesamt 20 Milliarden M. bewilligten Kriegskredite waren
durch die beiden ersten Kriegsanleihen in Höhe von rund 13!/,
Milliarden in Anspruch genommen worden. Ein neuer Kriegskredit
Die deutschen Kriegsanleihen. 339
von wiederum 10 Milliarden M. ward am 20. August 1915 vom
Reichstage einmütig bewilligt. Daraufhin wurde die dritte Kriegs-
anleihe zur öffentlichen Zeichnung innerhalb der Frist vom 4.—22.
September 1915 aufgelegt. Zugunsten der Truppen im Felde wurde
diese für Zeichnungen bis zu 10000 M. bis zum 1. November ver-
längert. Die Anleihe ist eine ausschließlich dauernde, umfaßt also
keine Schatzanweisungen, von deren Auflegung man vielmehr ange-
sichts der bisher — namentlich auch im freien Börsenverkehr durch
höhere Preisbewilligung — zutage getretenen großen Vorliebe des
Publikums für Anleihe absah. Es lag auch im Interesse der Reichs-
finanzen, wenn die Häufung kurzfristiger Rückzahlungsverpflich-
tungen sehr großen Umfangs vermieden wurde. js:
£- Die neue Anleihe schloß sich in ihrer Ausgestaltung im allge-
meinen, namentlich auch hinsichtlich der unbegrenzten Höhe, des
Zinsfußes und des Kündigungstermins, der zweiten Anleihe, doch
mit folgenden Unterschieden an. Ihre Zinstermine sind, mit Rück-
sicht auf die Belastung des Januar-Juli- Termins durch die zweite
Anleihe, wieder, wie bei der ersten Anleihe, der 1. April und 1. Ok-
tober. Der Zinsenlauf beginnt jedoch erst mit dem 1. April 1916,
so daß der erste Zinsschein am 1. Oktober 1916 fällig wird. Diese
Hinausschiebung ist dadurch bedingt, daß die Fertigstellung und
Ausgabe sämtlicher Schuldverschreibungen und die Vollziehung aller
Schuldbucheintragungen sich nicht früher bewerkstelligen läßt. Es
werden aber 5 v. H. Stückzinsen für die Zeit von der Einzahlung,
jedoch frühestens vom 30. September 1915 ab, bis zum 31. März 1916
vergütet. Der Ausgabekurs ward angesichts der regen Nachfrage
nach Stücken der zweiten Anleihe auf 99 v. H., und für Schuldbuch-
zeichnungen mit wiederum einjähriger Sperrfrist auf 98,80 v. H.,
also für beide um !/, v. H. höher als derjenige der zweiten und
um 1'/, v. H. höher als der der ersten Anleihe festgesetzt.
Die Vermittlungstätigkeit war darin verbessert worden,
daß die Post nicht nur, wie bei der zweiten Anleihe, an kleineren
Orten, in denen keine öffentlichen Sparkassen bestehen, sondern an
allen Orten mit Postanstalten Zeichnungen am Schalter entgegen-
nahm, und daß in Preußen auch alle Kgl. Regierungshauptkassen und
Kreiskassen als Zeichnungsstellen dienten.
Die Einzahlungstermine waren, unbeschadet des Rechts
auf volle Bezahlung vom 30. September ab, so bemessen, daß zu
zahlen waren:
30 v. H. des zugeteilten Betrages bis zum 18. Oktober 1915
20v.H. „ > * „— „ 24. November 1915
25 v. H. „ K n „ „ 22. Dezember 1915
25 v. H. „ 5 ia „ „ 22. Januar 1916.
Zugunsten der kleinen Zeichner hatte man diesmal von der Ver-
pflichtung Abstand genommen, alle Zeichnungen bis zu 1000 M.
gleich am ersten Einzahlungstermine voll bezahlen zu müssen. Teil-
22+
340 H. Köppe,
zahlungen in runden, durch hundert teilbaren Beträgen wurden viel-
mehr auch für sie zugelassen, und zwar so, daß die Zahlung erst
geleistet zu werden brauchte, wenn die Summe der fällig gewordenen
Teilbeträge mindestens 100 M. ergab. Für alle Zeichnungen bei der
Post ward dagegen, da hier eine Stückzinsenberechnung nach Tagen
untunlich erschien, der 18. Oktober als einheitlicher Zahlungstermin
festgesetzt.
'ı 5 Während bei der ersten Anleihe Zwischenscheine ausge-
geben worden waren, war dies bei der zweiten unterblieben. Da nun
aber die Herstellung und Austeilung der gewaltigen Masse von
Schuldverschreibungen geraume Zeit erforderte und daher viele
Zeichner der zweiten Anleihe ihre Stücke erst ziemlich spät er-
hielten, was Klagen hervorrief, so wurden bei der dritten Anleihe
wieder Zwischenscheine eingeführt, zur Vereinfachung der Arbeit
jedoch nur für Stücke von 1000 M. und mehr und auch nur auf be-
sonderen Antrag des Zeichners. Die Stücke bis zu 1000 M. sollen
zuerst und möglichst rasch hergestellt und verteilt werden.
Die Darlehnskassen gewährten hinsichtlich des Zinsfußes
für Darlehen zu Einzahlungen auf die dritte Kriegsanleihe wiederum
denselben Vorzugssatz von 5\/, v. H., das ist !/, v. H. weniger als
der sonstige Zinsfuß dieser Kassen. Die Presse und die früher
erwähnten Vertrauenspersonen verstärkten noch ihre eifrigen
Bemühungen um ein möglichst glänzendes Gelingen. Ferner wurden
alle Handelskammern und kaufmännischen Korporationen mit bestem
Erfolge ersucht, an die Unternehmungen ihres Bezirkes eine An-
regung um möglichst allgemeine Nachahmung der schon bei der
zweiten Anleihe von einer Reihe von Geschäften betätigten Praxis
ergehen zu lassen, nämlich ihre Arbeiter und Angestellten zur Zeich-
nung anzuregen und ihnen diese zu erleichtern durch Sammlung und
Weiterleitung der Anmeldungen sowie durch vorschußweise Zahlungs-
leistung unter ratenweiser Anrechnung auf die später fällig werdenden
Gehälter und Löhne. Dieselbe Praxis wurde auch von der Reichs-
bank und vielen Behörden befolgt ').
Das Ergebnis dieser dritten Anleihe war eine Leistung von
weithin imponierender Wucht. Es wurden 12160 Mill. M. in
3992059 Einzelzeichnungen gezeichnet, einschließlich 6,2 Mill. M.
rechtzeitig zur Post gegebene, aber verspätet eingetroffene, sowie
26,2 Mill. M. Zeichnungen von Truppen im Felde, und 26,6 Mill. M.
nachträglich aus dem überseeischen Auslande eingegangene Zeich-
nungen. Die ohne diese nachträglichen Zugänge sich ergebenden
12101 Mill. M. waren in Höhe von 9932 Mill. M. Zeichnungen auf
Anleihestücke, in Höhe von 2169 Mill. M. Schuldbuchzeichnungen.
ee verteilten sich auf insgesamt 3966418 Einzelzeichnungen, wie
olgt:
1) Ueber die Maßnahmen zur Nutzharmachung des immobiliaren Besitzes für
die deutschen Kriegsanleihen wird in dem nächsten, die Kriegsanleihen Oesterreich-
Ungarns behandelnden Aufsatze unter Vergleichung berichtet werden.
Die deutschen Kriegsanleihen. 341
Stückzahl der Betrag in
Zeichnungen Mill. M.
Zeichnungen bis Mark 200 984 358 130
von M. 300 bis M. 500 858 259 368
no: 600 „ „ 1000 918 595 844
H ii 1100 „ „ 2 000 530 176 928
> 2100 „ „ 5 000 422 626 1563
”» o» 5100 , » 10 000 147 593 1 202
„.n 10 100 n” 20 000 53 445 858
» » 20IOO „ „ 50000 32 840 1167
» » 5OIOO ,„ ,„ 100000 10 090 850
» » 100100 „ ,„ 500000 7074 1 766
» » 500100 „ „1000000 832 695
über „, I 000 000 530 1730
3 966 418 12 101
Nach der Verteilung auf die Zeichnungs- und Vermittlungs-
stellen wurden gezeichnet:
bei der Reichsbank und ihren Zweiganstalten 569 Mill. M.
„ den Banken und Bankiers 731 u»
» » Öffentlichen Sparkassen 28577 u» »
» „ Lebensversicherungsgesellschaften T ti
» » Kreditgenossenschaften 680 „ y
„ der Post 167 u.
"12 ıor Mill. M.
Die Kreditgenossenschaften haben nach ihren eigenen Zusammen-
stellungen für sich und ihre Kunden insgesamt 797 Mill. M. ge-
zeichnet. Der Unterschied erklärt sich wohl dadurch, daß eine An-
zahl von ihnen ihre Zeichnungen nicht direkt, sondern durch andere
Vermittlungsstellen eingereicht hat.
Die bei den höheren Schulen erfolgten Zeichnungen von Schülern
und Schülerinnen sind in der obigen Zusammenstellung nur zu
einem geringen Teile enthalten. Nach Ermittlungen in Oberlehrer-
kreisen sind an 1906 höheren Schulen mit einer Gesamtschülerzahl
von 647971 gezeichnet worden: 31063302 M. von 246167 Schülern
und Schülerinnen = 38 v. H. der Schülerzahl, so daß auf jeden der
letzteren im Durchschnitt 126 M. entfallen.
Eingezahlt wurden an den drei ersten zulässigen Zahlungs-
tagen rund 5 Milliarden M., bis zum ersten Pflichtzahlungstermin,
dem 18. Oktober, 8269,4 Mill. M.!), also 68 v. H. der Gesamtzeich-
nung statt der fälligen 30 v. H. Am 24. November, dem zweiten
Pflichtzahlungstage, waren bereits 10318 Mill. M. = 84,85 v. H.
der Gesamtzeichnung bezahlt, am 7. Dezember 10581,5 Mill. M.
oder 87 v. H. der Gesamtzeichnung, also 4'/, Milliarden M. mehr
als fällig, und am 23. Dezember 11111,9 Mill. M. oder 91,4 statt
der pflichtmäßigen 75 v. H. Wie bei der zweiten Anleihe die ver-
zinslichen Schatzanweisungen von 1911, so wurden bei dieser dritten
Anleihe die im Laufe befindlichen unverzinslichen Schatzanweisungen,
1) Nach der weiter unten erwähnten Darstellung in der „Nordd. Allg. Ztg.‘“ vom
27. Dezember 1915 sogar 8732 Mill. M.
' 342 H. Köppe,
in denen viele zur Anlage in Kriegsanleihe bestimmte Kapitalien
einstweilen angelegt worden waren, unter Abzug von 5 v. H. Diskont
vom Zahlungstage, frühestens aber vom 30. September 1915 ab, bis
zum Tage ihrer Fälligkeit in Zahlung genommen.
Die Darlehnskassen sind für diese dritte Anleihe wiederum
nur verhältnismäßig wenig in Anspruch genommen worden. Am
23. Oktober, 5 Tage nach dem ersten Einzahlungstermine, waren sie
es nur noch in Höhe von 566 Mill. M. = 6,84 v. H. der bis zum
ersten Pflichttermin gezahlten Summe. Am 7. Dezember 1915, also
zwischen dem zweiten und dritten Einzahlungstermine, betrug die
Summe 579,1 Mill. M., und am 27. Dezember waren es weniger als
5 v. H. der eingezahlten Beträge.
Vergleicht man auch bei dieser Anleihe wieder die Zahlen der
kleinen Zeichner bis zu 2000 M. und der von ihnen gezeichneten
Beträge mit den Gesamtzahlen, so ergibt sich, unter Gegenüber-
stellung mit den gleichartigen Ergebnissen der beiden ersten An-
leihen :
| Gesamtbetrag Gesamt-
Zeichner ur rs ihrer ee zeichnung auf
bis zu Zeichnungen die Anleihe,
2000 M. | Gesamtzabl |. min. 2, | der Gesamt- |; Mil M.,
aller Zeichner rund zeichnung ind
I. Anleihe 926 059 78,0 734 16,45 4 460
II. Anleihe 2 113 220 73,5 1662 18,28 9 060
III. Anleihe 3 291 388 83,0 2270 18,75 12 IOI
Hatte sich die absolute Zahl der „kleinen Zeichner“ bei der zweiten
Anleihe gegen die erste mehr als verdoppelt, so hat sie sich bei
der dritten mehr als verdreieinhalbfacht. Ihr prozentualer Anteil
sowohl an der Gesamtzahl der Zeichnungen als an deren Gesamt-
ergebnis ist beide Male gestiegen. Der absolute Betrag ihrer Zeich-
nungen ist, wenn man ihn für die erste Anleihe gleich 100 setzt,
gestiegen auf 226 und 309. Ferner haben von den insgesamt rund
4 Millionen Zeichnern 23/, Millionen Beträge bis zu 1000 M. ge-
zeichnet. Wie der Reichschatzsekretär im Reichstage ausführte,
entfallen von diesen 4 Millionen sicherlich nahezu 3 Millionen auf
Personen mit einem Einkommen von weniger als 3000 M. Die
Volkstümlichkeit der Kriegsanleihen wie die Kräfteentfaltung der
„kleinen Zeichner“ sind mithin in erfreulichem Aufstieg, was für
die Erwartungen hinsichtlich weiterer Kriegsanleihen ebensosehr wie
für die Stimmung des Volkes gegenüber einer längeren Kriegsdauer
in das Gewicht fällt.
Von Interesse ist auch die Beteiligung der Träger der Reichs-
versicherung und der privaten Versicherungsunternehmungen. Die
Berufsgenossenschaften der Unfallversicherung haben auf die drei
Kriegsanleihen rund 143 Mill. M. gezeichnet, die Träger der In-
validen- und Hinterbliebenenversicherung (Landesversicherungs- und
Die deutschen Kriegsanleihen. 343
Sonderanstalten) 439 Mill. M., die Reichsversicherungsanstalt für
Angestellte 140 Mill. M., die privaten Versicherungsunternehmungen
nach Schätzung des Kaiserlichen Aufsichtsamts für Privatversiche-
rung mehr als 1 Milliarde M.
Hervorgehoben sei noch, daß bei allen drei Anleihen alle ge-
zeichneten Beträge auch voll und pünktlich eingegangen sind. Von
der Anleihesumme wurde jedesmal zunächst ein Teil zur Abtragung
des bei der Reichsbank aufgenommenen kurzfristigen Kriegskredits
verwendet, der übrige und Hauptteil stand dann für Kriegführungs-
zwecke unmittelbar zur Verfügung. Um die Kriegsanleihen in den
weitesten Kreisen möglichst einzubürgern, sind ihre Zinsscheine
dem Papiergelde insofern angenähert worden, als alle Reichspost-
anstalten, zunächst versuchsweise, angewiesen worden sind, künftig
allgemein die Zinsscheine der Kriegsanleihen in kleineren Mengen
— bis zu 3 Stück von zusammen höchstens 150 M. und, wenn der
Schalterverkehr es gestattet und keine besonderen Bedenken bestehen,
auch in größerer Zahl und höheren Beträgen — vom 21. Tage des
dem Fälligkeitstage vorangehenden Monats ab am Schalter in Zahlung
zu nehmen oder gegen bar umzutauschen. Ferner haben in Orten
ohne Reichsbankanstalt die Postamtshauptkassen solche Zinsscheine
der Kriegsanleihen auch in größeren Mengen und in jeder Höhe
vom 21. des letzten bis zum 10. des ersten Vierteljahrsmonats gegen
bar umzutauschen.
IV.
Ueberblicken wir zusammenfassend das Gesamtergebnis
aller drei Anleihen, so hat das deutsche Volk in wenig mehr
als einem Jahre, nämlich vom 10. September 1914 bis zum 22. Sep-
tember 1915, 25723,7 Mill. M. für die Kriegführung aufgebracht.
Die Anleiheerträge stiegen von 4460,7 auf 9103 und 12160 Mill. M.
Zu verdanken ist dieses glänzende Ergebnis zunächst einer Reihe
von objektiven Vorbedingungen, vor allem den Vorkehrungen in der
Friedenszeit auf dem Gebiete des Bank-, Kredit- und Zahlungs-
wesens, die in erster Linie von der Reichsbank in die Wege ge-
leitet wurden. Sie bilden eine Hauptleistung der organisatorischen
Begabung, die man unserem Volke, wenn auch zumeist widerwillig,
allseitig zuerkennt. Während der bisherigen Kriegszeit bekundete
sich diese namentlich in der großen Liquidität unserer gesamten
Wirtschaftsführung, die es uns gestattete, die Kriegführungsmittel
ganz überwiegend noch vor den festgesetzten Einzahlungsterminen
zu beschaffen und bereitzustellen. Wie wichtig neben der Tat-
sache des Volksreichtums dessen Form ist, hat dieser Krieg klar
erwiesen. Es kommt hier auch in Betracht, daß mit dem Versiegen
unserer industriellen Ausfuhr durch den Krieg auch der inter-
nationale Zahlungsverkehr nicht mehr Anforderungen stellt, welche
die Aufbringung erheblicher Mittel für Kriegsanleihezwecke er-
schweren. Unsere Ausfuhrsindustrie ist in der Regel gezwungen,
mit großen Bankkrediten zu arbeiten, da die Auslandkäufer nur in
344 H. Köppe,
langen Sichten zahlen. Indem diese Notwendigkeit mit der Aus-
fuhr selbst wegfiel, dagegen das Reich als Auftraggeber prompt
zahlte und sogar Vorschüsse zur Ermöglichung rascher und voll-
ständiger Lieferungen gewährte, traten an die Stelle beanspruchter
Bankkredite umgekehrt bedeutende Guthaben bei Banken, die nun
für die Kriegsanleihen nutzbar gemacht werden konnten.
Weiter ist das Geld, das unsere Regierung für Kriegsbedarf
aller Arten ausgegeben hat, nicht, wie bei unseren Feinden, in das
Ausland abgeflossen, sondern im Lande selbst geblieben, hat den auf
den Krieg eingestellten Unternehmungen reiche Beschäftigung, den
Arbeitern gute und vielseitige Arbeitsgelegenheit zu lohnenden Be-
dingungen gegeben und die dadurch verdienten Gelder durch ihre
teilweise Verwendung zur Befriedigung von Lebensbedürfnissen aller
Arten aufs neue in Umlauf gebracht und der Ausdehnung des durch
den Krieg naturgemäß eingeengten volkswirtschaftlichen Prozesses
nutzbar gemacht. So wurden durch den beständigen Umsatz von
Arbeit in Geld reiche Verdienste erzielt, die sogleich wieder als
liquide Mittel zur Verfügung standen, um die Kriegsanleihen zu
zeichnen und ohne Ueberlastung des Geldmarktes und daher auch
ohne Steigerung der Zinssätze desselben zu bezahlen. Es ist eine
gewaltige Ironie des Völkerschicksals, daß wir diesen Kreislauf des
Geldes, das, von der Regierung zur Bezahlung von Kriegslieferungen
ausgehend, als Anleiheeinzahlung wieder zu ihr zurückkehrt, unseren
Feinden und vor allem England verdanken, dessen Absperrungsmaß-
regeln uns in den Zustand einer wirtschaftlichen Abgesondertheit
versetzt haben. Diese Kriegsmaßnahmen erwiesen sich mithin als
„ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das
Gute schafft“.
Die Quellen, aus denen wir die Finanzmittel zur Führung des
Krieges schöpfen, würden aber nicht in dem reichen Maße, wie es
geschieht, fließen können, wenn nicht das deutsche Volksvermögen
und Volkseinkommen dank einer reichgesegneten Entwicklung in
Friedensjahren auf den hohen Stand, den sie bei Beginn des
Krieges erreicht hatten, gebracht worden wären. Zur Flüssigkeit
der Mittel gehört die Stärke und Nachhaltigkeit ihres Zuströmens,
um den gegen alle früheren Kriege unerhörten gesamten Kriegs-
bedarf andauernd und ohne Schädigung der privaten Wirtschafts-
führung, ja sogar unter erheblicher Verbesserung der Lage der
Privatwirtschaften durch Schaffung einer vorzüglichen, hochverzins-
lichen Kapitalanlage befriedigen zu können. Zu diesen objektiven
Bedingungen des Gelingens gehört nun aber auch ein subjektiver
Faktor, der gottlob in vollkommener Ausbildung bei uns vorhanden
ist. Das ist die Vaterlandsliebe — „der kategorische Imperativ
der Staatsbürgerpflicht und der Vaterlandsliebe“, wie der Reichs-
schatzsekretär Helfferich sich am 14. Dezember 1915 im Reichstage
ausdrückte — die, gepaart mit vollem Verständnis für den Ernst
und die Schwere der Lage unseres Volkes, die richtige Folgerung
daraus zieht und den Willen zur siegverheißenden Tat immer aufs
Die deutschen Kriegsanleihen. 345
neue bekundet, wenn der Ruf ergeht, den Opfern an Blut die Be-
reitstellung von Gut folgen zu lassen. Die Aufbringung unserer
Kriegsanleihen erscheint in diesem Zusammenhange als ein wichtiger,
unentbehrlicher Teil jener Willensenergie, die unser ganzes Volk
beseelt und die uns das sicherste Anzeichen und Unterpfand dafür
ist, daß uns in diesem größten aller Völkerringen schließlich der
volle Sieg zufallen wird.
Unsere Feinde haben nun ihrem Groll und Neid über das Er-
gebnis unserer Kriegsanleihen Luft gemacht in Gestalt von Ver-
dächtigungen seiner Reellität. Selbst ernsthafte Fachzeitschriften,
wie der „Economist“, sind an diesem Verleumdungsfeldzuge beteiligt.
Unsere Kriegsanleihen sollen Zwangsanleihen gewesen sein, da die
Regierung einen Druck zur Zeichnung auf die Banken, Sparkassen,
Versicherungsgesellschaften und öffentlichen Verbände ausgeübt habe.
Wie unsinnig diese Behauptung ist, weiß man bei uns. Weder die
Mittel noch der gute Wille zu ihren Zeichnungen haben diesen Wirt-
schaftsorganen gefehlt. Das Agio, mit dem unsere Anleihen im
freien Verkehr gehandelt werden, und die großen Zahlen der kleinen
Zeichner beweisen ihre Beliebtheit. Von den gesamten Sparkassen-
einlagen sind für alle drei Anleihen überhaupt nur 28,68 v. H. ver-
wendet worden. Dagegen mußten in England die Banken wieder-
holt von der Regierung gedrängt werden, höhere Beträge nachzu-
zeichnen, und hat die Bank von England sich bei der ersten Anleihe
bereit erklären müssen, allen Zeichnern ihre gesamten Zeichnungs-
beträge auf drei Jahre darzuleihen, und zwar zu einem Zins von
einem Prozent unter Bankdiskont und unter Verpfändung der
solcherweise erworbenen Anleihestücke zu ihrem vollen Nennwerte.
Und der Bank von Frankreich ward die Verpflichtung auferlegt,
die im Dezember 1915 dort aufgelegte „Siegesanleihe“ zum Zwecke
der Erleichterung der Zeichnungen zu 75 v. H. des Nennwertes und
unter für die Zeichner sehr günstigen Bedingungen zu lombardieren.
Nach den Veränderungen, die der Status dieser Bank vom 2. bis
zum 23. Dezember 1915 aufwies, hat sie durch diese Hilfsaktion
mehr als 20 v. H. der bis zum letzten Tage erfolgten Bareinzahlung
auf diese Anleihe flüssig gemacht. Dagegen sind die deutschen Dar-
lehnskassen, wie oben dargelegt ward, für die Einzahlungen auf die
dritte Kriegsanleihe mit noch nicht ganz 7 v. H. der bis zum ersten
Einzahlungstermine gezahlten 8269,4 Mill. M. oder 68 v. H. der Ge-
samtzeichnung in Anspruch genommen worden und ist dieses Ver-
hältnis kurz vor Jahresschluß auf weniger als 5 v. H. gesunken !).
Ferner hat man die Tätigkeit unserer Darlehnskassen verdächtigt,
als hätten diese den Zeichnern überhaupt erst die Mittel zur Zeich-
nung, und zwar in einem wertlosen oder doch unsicheren Papier-
gelde gewährt. Aber zunächst ist der Betrag, den die Darlehns-
kassen für den Zweck von Zeichnungen auf Kriegsanleihe dargeliehen
1) Nach den Darlegungen in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ vom
27. Dezember 1915.
346 H. Köppe,
haben, verhältnismäßig sehr gering. Der wechselnde Umfang dieser
ihrer Beanspruchung wurde schon oben angegeben. Es erreichte aber
der Gesamtbestand dieser Kassen an Ausleihungen sowohl für Kriegs-
anleihe- wie für andere Zwecke noch nicht 1,6 Milliarden M. gegenüber
insgesamt 25,7 Milliarden M. Kriegsanleihe. Die höchste Inanspruch-
nahme der Darlehnskassen fiel auf den 15. April 1915 und betrug
1574 Mill. M., wovon 345 Mill. auf die erste, 521 Mill. auf die zweite
Kriegsanleihe kamen, bei einem Zeichnungsergebnis von 4460,7 Mill. M.
auf die erste und von 9103 Mill. M. auf die zweite Anleihe, so daß
also von der ersten Anleihe nur 7,4, von der zweiten nur 5,7 v. H.
auf solche Darlehen entfielen. Die noch niedrigeren Verhältnis-
zahlen bei der dritten Anleihe wurden oben bereits angegeben. Ins-
gesamt haben die Darlehnskassen für die Zwecke der dritten Kriegs-
anleihe nur 781,2 Mill. M. oder 6,42 v. H. der Gesamtzeichnung auf
diese hergegeben. Am 30. Oktober 1915 beliefen sich die gesamten
für Kriegsanleihezwecke gewährten Darlehen der Darlehnskassen auf
1054 Mill. M. gegenüber einem bis dahin auf alle drei Kriegsanleihen
eingezahlten Gesamtbetrage von 22600 Mill. M., also auf nur
4,6 v. H. der letzteren Summe. Bis zu den ersten Pflichtzahlungs-
tagen waren mit Hilfe der Darlehnskassen bei der ersten Anleihe
27,6, bei der zweiten 8,6, bei der dritten 6,5 v. H. der Gesamt-
zeichnung bezahlt. Hauptsächlich wurden sie beansprucht für Kriegs-
anleihezwecke von Sparkassen, Banken, Bankiers, Kreditgenossen-
schaften und Kommunalverbänden. Vor allem aber strafen die
Einzahlungen von weit mehr als den jeweils fälligen Beträgen die Be-
hauptung unserer Feinde Lügen. Und was die Darlehnskassenscheine
betrifft, so ist ihre Fundierung, wie oben dargelegt, die denkbar
solideste, da für sie nicht nur das Reich selbst haftet, sondern auch
die sämtlichen Darlehnsnehmer persönlich und außerdem noch die
von ihnen gestellten Spezialpfänder an Waren und Wertpapieren,
von denen die ersteren in der Regel nur bis zur Hälfte und die
letzteren nur von 40 bis zu höchstens 75 v. H. ihres Wertes beliehen
werden, während die Bank von Frankreich Wertpapiere bis zu
95 v. H. und die Bank von England, wie eben erwähnt, für Kriegs-
anleihezwecke solche sogar zu pari beleihet.
Schließlich mögen noch einige Zahlenvergleichungen die
Bedeutung des Gesamtergebnisses der drei Kriegsanleihen näher be-
leuchten. Schätzt man mit Helfferich das deutsche Volksvermögen
auf 300 Milliarden M., so sind rund 8,5 v. H. desselben in diesen
drei Anleihen flüssig gemacht worden. Auf den Kopf der Bevölkerung
entfallen davon 395,7 M. Der Zinsendienst der drei Anleihen erfordert
jährlich 1286,18 Mill. M. oder, wenn man das deutsche Volkseinkommen
mit Helfferich auf 40 Milliarden schätzt, 3,215 v. H. desselben. Für
die am 20. Dezember 1415 vom Reichschatzsekretär im Reichstage
angeschnittene Frage der Deckung der Zinsenlast unserer Kriegsan-
anleihen durch Steuern dürfte diese Feststellung besonders beachtens-
wert sein. Bisher konnte die Verzinsung der Kriegsanleihen mit
Hilfe der im ordentlichen Etat ersparten Ausgabenbeträge für Heer
Die deutschen Kriegsanleihen. 347
und Flotte von fast 1100 Mill. M. (im Etat für 1914 870 559700 M.
für das Heer und 220861500 M. für die Flotte, zusammen
1 091 421200 M.) bestritten werden, da sämtliche Ausgaben für Heer
und Flotte mit Kriegsausbruch auf den außerordentlichen Etat über-
nommen, also im Kreditwege bestritten worden sind. Vom Rech-
nungsjahre 1916 ab sollen aber die fortdauernden Ausgaben für Heer
und Flotte wieder auf den ordentlichen Etat übernommen werden.
Die dadurch für die Deckung der Kriegsanleihezinsen nötig werden-
den neuen Einnahmen gilt es durch eine neue Reichssteuerreform zu
erschließen. Durch die einmalige außerordentliche Steuer des Wehr-
beitrags kamen noch nicht ganz 1 Milliarde M. auf gegen 25,7
Milliarden durch diese drei Anleihen. Die Schuldenlast des Reiches,
fundierte und schwebende Schulden, betrug am 1. Oktober 1913
4 897 225300 M. = 75,43 M. auf den Kopf der Bevölkerung!).
Die vom Reichstage bewilligten Kriegskredite erreichen mit den
neuerdings am 21. Dezember 1915 vom Reichstage (diesmal gegen
eine Minderheit von 20 Stimmen) bewilligten 10 Milliarden M. bis-
her die Gesamthöhe von 40 Milliarden M. Sie sind durch die bis-
herigen drei Kriegsanleihen in Höhe von 25 723,7 Mill. M. erschöpft
worden, so daß noch 14 276,3 Mill. M. verbleiben, wovon jedoch ein
Teil von unbekannter Höhe bereits durch kurzfristige Schatzanwei-
sungen realisiert ist?). Bis zur Aufnahme der vierten Kriegsanleihe,
die für den März 1916 in Aussicht gestellt worden ist, steht also
noch reichlicher Kredit zur Verfügung. Die Höhe der Kriegskosten
hatte der Reichsschatzsekretär am 20. August 1915 im Reichstage
auf hart an 2 Milliarden M. heran für den Monat beziffert. Nach
seinen Darlegungen in der Reichstagssitzung vom 14. Dezember 1915
ist dieser Betrag bereits wiederholt überschritten worden, bleibt je-
doch erheblich zurück hinter den britischen Kriegskosten mit rund
3 Milliarden M. auf den Monat. Aber die wirtschaftlichen und
finanziellen Kräfte unseres Volkes verjüngen sich fortgesetzt und
befähigen es, die der Regierung eingeräumten Kredite jederzeit in
die zur Kriegführung benötigten baren Mittel umzusetzen. Unsere
öffentlichen Sparkassen und ihre Einleger haben sich an den drei
Anleihen mit 883, 1977 und 2877, insgesamt 5737 Mill. M. beteiligt.
Ihr Einlagenbestand war vor Kriegsbeginn rund 20 Milliarden M.,
wäre also schon an sich durch diese Verwendung noch lange nicht
erschöpft. Er ist aber überhaupt nicht geringer, sondern größer ge-
worden. Denn im September 1915, nach vollständiger Einzahlung
auf die beiden ersten Kriegsanleihen, war nicht nur der Einlagen-
bestand, wie er vor Kriegsausbruch war, wieder erreicht, sondern
1) Zufolge gegenseitigen Einvernehmens nehmen zur Schonung des Reichskredit-
bedarfes während der Dauer des Krieges die deutschen Bundesstaaten, Kommunal-
verbände und Gemeinden keine Anleihen auf, sondern behelfen sich mit Schatzan-
weisungskredit.
2) Die Reichsbank rediskontiert einen großen Teil der an sie begebenen Reichs-
schatzanweisungen an andere Banken und Bankiers, die solche für sich selbst und ihre
Kunden gern aufnehmen.
348 H. Köppe, Die deutschen Kriegsanleihen.
sogar der Bestand vom 1. Januar 1914 noch um 1!;, Milliarde M.
übertroffen. Und für das Jahr 1915 ergab sich bei dessen Ablauf
ein Ueberschuß der Einlagen über die Abhebungen von über
3 Milliarden M., wenn man unter den letzteren die Abhebungen zu Ein-
zahlungen auf Kriegsanleihe nicht mitzählt. Auch die Bankdepositen
erreichten im August und September 1915 Ziffern, die die höchsten
der Friedenszeit überstiegen, und sind nach Vollziehung der frei-
willig beschleunigten gewaltigen Einzahlungen auf die dritte An-
leihe am Schlusse des Jahres 1915 höher als Ende 1914 '). Der
Stand der Reichsbank ist, wie ihre Ausweise ergeben, ein in jeder
Hinsicht vorzüglicher. Nach alledem kann Deutschland dem weiteren
Gang der Dinge mit der Ruhe und dem Vertrauen entgegensehen,
die es aus den bisherigen Erfahrungen dieses Krieges zu schöpfen
in vollstem Maße berechtigt ist.
1) Nach den Darlegungen des Staatssekretärs Helfferich im Reichstage am
14. Dezember 1915.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 349
Nationalökonomische Gesetzgebung.
11.
Die durch den Krieg hervorgerufenen Gesetze, Ver-
ordnungen, Bekanntmachungen usw., soweit sie im
Reichsgesetzblatt veröffentlicht worden sind.
(3. Fortsetzung.)
(Die Monate August bis November 1915 umfassend.)
Von Dr. Johannes Müller-Halle, Jena.
Vorbemerkung: Die drei bisher veröffentlichten Uebersichten
sind erschienen in Bd. 49, S. 52—76 (von Kriegsausbruch bis Ende November
1914), Bd. 50, S. 44—68 (Dezember 1914 bis März 1915), und Bd. 50,
S. 313—335 (April bis Juli 1915). Wir verweisen im übrigen auf das
im Eingang der ersten Uebersicht Gesagte und machen gleichzeitig auf
die beiden Zusammenstellungen am Schluß dieser Uebersicht aufmerksam.
Bekanntmachung wegen Ergänzung der Verordnung über
den Verkehr mit Kraftfuttermitteln vom 28. Juni 1915
(RGBl. S.399). Vom 5. August 1915 (RGBl. S. 489 f.). Auf Grund
des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Die Ergänzung betrifft weniger wesentliche Einzelheiten. (Verpflichtung zur
Trocknung von nasser Kartoffelpülpe und nassen Biertrebern, Preisvorschriften
uam — der Verordnung betr. Kraftfuttermittel vgl. Bd. 50, 8. 327.
Vgl. weiter die Bekanntmachungen vom 19. August 1915, unten 8. 350 f. und 351,
13. September 1915, unten S. 355 und 8. November 1915, unten 8. 369.)
Bekanntmachung über Aenderung der Verordnung betr.
Einschränkung der Malzverwendung in den Bierbraue-
reien vom 15. Februar 1915 (RGBl. S. 97). Vom 5. August
1915 (RGBl. S. 490). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914
(RGBI. S. 327).
Im dritten Vierteljahr 1915 dürfen Bierbrauereien zur Bierherstellung über
ihr durch Verordnung vom 15. Februar (vgl. Bd. 50 8. 60) zugelassenes Kontingent
hinaus noch die Hälfte des Kontingentes des vierten Vierteljahres im voraus ver-
wenden. Sie müssen dies jedoch der Reichsfuttermittelstelle zur Anrechnung auf
ihr Gerstenkontingent (vgl. hierzu die Bekanntmachung vom 28. Juni 1915, Bd. 50
8. 325 f.) anzeigen.
Bekanntmachung betr. Aenderung der Verordnung über
Malz vom 17. Mai 1915 (RGBi. 8. 279). Vom 5. August 1915
(RGBl. S. 491). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
S. 827).
350 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Es handelt sich um eine weniger wesentliche Aenderung, die durch die vor-
stehende Bekanntmachung bedingt ist.
Bekanntmachung über die Vergütung für Oelfrüchte. Vom
5. August 1915 (RGBl. S. 491f). Auf Grund der Bekanntmachung
vom 15. Juli 1915 (RGBl. S. 438).
Es werden Vergütungen für Verwahrung usw. von Oelfrüchten festgesetzt.
(Vgl. im übrigen Bd. 50, 8 331, weiter die Bekanntmachungen vom 9. Oktober
Fe Ta S. 361, 19. Oktober 1915, unten S. 363, und 8. November 1915, unten
Bekanntmachung betr. die Einschränkung der Arbeitszeit
inSpinnereien, Webereienund Wirkereien. Vom 12. August
1915 (RGBl. S. 495). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
S. 327). — Ersetzt durch Bekanntmachung vom 7. November 1915, vgl.
unten S. 368.
In den genannten Betrieben dürfen Arbeiter in jeder Woche höchstens
5 Tage mit einer täglichen Arbeitszeit von höchstens 10 Stunden beschäftigt
werden.
Bekanntmachung über das Inkrafttreten von Vorschriften
der Bundesratsverordnung vom 28 Juni 1915 (RGBl.
S. 363) über den Verkehr mit Brotgetreide und Mehl aus
dem Erntejahr 1915. Vom 13. August 1915 (RGBl. S. 499).
Die $8$ 42—61 der genannten Bekanntmachung treten am 15. August in
Kraft. (Hier ist insofern ein Versehen untergelaufen, als die $$ 58—61 nach $ 70
der Bekanntmachung vom 28. Juni 1915 [RGBl. S. 363 ff.] bereits am 1. Juli in
Kraft getreten sind.) Nunmehr befindet sich die gesamte Verordnung betr. den
Verkehr mit Brotgetreide und Mehl aus dem Erntejahr 1915 (vgl. Bd. 50 S. 323 ff.)
in Kraft. Die Termine für das Inkrafttreten der einzelnen Paragraphen sind
(nach den Bekanntmachungen vom 28. Juni, 10. und 17. Juli und 13. August
1915) folgende:
8 1-9: 1. Juli 1915
ss 10—16: 17, » »
Bl: A »
& 38—41: 17., á
az I daft m engl. oben)
g 68: 15. „ ”
8 69 Zif.1: 1. 7 5
869 „2:15. y 3
Bekanntmachung betr. die Außerkraftsetzung der Bekannt-
machung über die Festsetzung von Höchstpreisen für
Erzeugnisse aus Kupfer, Messing und Aluminium vom
28. Dezember 1914 und der Bekanntmachung über die
Höchstpreise für Erzeugnisse aus Nickel vom 15. Juni
1915. Vom 13. August 1915 (RGBl. S. 501).
Der Inhalt der Bekanntmachung geht aus der Ueberschrift hervor. (Ueber
die beiden genannten Verordnungen vgl. Bd. 50 S. 51 und S. 321.)
Bekanntmachung über die Ausdehnung der Verordnung
über den Verkehr mit Kraftfuttermitteln vom 28. Juni
1915 (RGB1.S.399) auf weitere Futtermittel. Vom 19. August
1915 (RGBl. S. 503).
Nationalökonomische Gesetzgebung. 351
Unter die genannte Ver sung (vgl. Bd. 50 S. 327) fallen nunmehr auch
nasse und gesäuerte Kartoffelpülpe, ferner nasse Bier- und Getreidetreber. (Vgl.
auch die folgende Bekanntmachung und die Bekanntmachung vom 5. August,
oben S. 349.)
Bekanntmachung über die Preise und sonstigen Ver-
gütungen für Kraftfuttermittel. Vom 19. August 1915 (RGBl.
S. 504 ff.).
Durch die Verordnung werden die Preise festgesetzt, die die „Bezugsvereini-
g der deutschen Landwirte“ an die Eigentümer von Kraftfuttermitteln für
deren Ueberlassung zu zahlen hat (vgl. die Verordnung vom 28. Juni 1915, Bd. 50
S. 327).
Bekanntmachung über den Verkehr mit Kakaoschalen. Vom
19. August 1915 (RGBl. S. 507 f.) Auf Grund des Ges. vom 4. August
1914 (RGBl. S. 327).
Der Verkauf, das Feilhalten oder sonstige Inverkehrbringen von gepulverten
Kakaoschalen sind verboten; das Verbot erstreckt sich auch auf Erzeugnisse, die
mit gepulverten Kakaoschalen vermischt sind, erstreckt sich aber nicht auf Gegen-
stände, die vorschriftsmäßig zum Genusse für Menschen unbrauchbar gemacht
worden sind. (Vgl. hierzu die Vorschriften vom 21. August, unten gleiche Seite.)
Bekanntmachung einer Aenderung der Verordnung vom
28. Juni 1915 (RGBl. S. 363) über den Verkehr mit Brot-
getreide und Mehl aus dem Erntejahr 1915. Vom 19. August
1915 (RGBl. S. 508 f.).
Es handelt sich um Aenderungen weniger wesentlicher Natur.
Bekanntmachung betr. Festsetzung der Ortslöhne. Vom
19. August 1915 (RGBl. S. 511). Auf Grund des Ges. vom 4. August
1914 (RGBl. S. 327).
Durch die Verordnung wird die Frist, für welche die erstmalige Festsetzun,
der Ortslöhne im ganzen Reiche gilt (RVO. 8151, 1), bis zum 31. Dezember 191
verlängert. (Die Frist war schon einmal durch Bekanntmachung vom 4. September
1914 — vgl. Bd. 49, S. 64 — verlängert worden.)
Bekanntmachung betr. die Verlängerung der Prioritäts-
fristen in Belgien. Vom 17. August 1915 (RGBl. S. 511). (Vgl.
hierzu die Bekanntmachung vom 7. Mai 1915, Bd. 50, S. 316.)
Es wird mitgeteilt, daß in den besetzten Gebieten Belgiens die in der Be-
kanntmachung vom 7. Mai erwähnten Prioritätsfristen bis auf weiteres verlängert
sind. (Vgl. wegen weiterer Staaten, in denen die Fristen verlängert sind, die Be-
kanntmachungen vom 13. Mai, Bd. 50, S. 317, 28. Juni, Bd. 50, S. 317, und
15. Juli 1915, Bd. 50, S. 331.)
Vorschriften über das Unbrauchbarmachenvongepulverten
Kakaoschalen zum Genusse für Menschen. Vom 21. August
1915 (RGBl. S. 513).
Es handelt sich um technische Vorschriften über das Unbrauchbarmachen
von Kakaoschalen. (Vgl. hierzu die Bekanntmachung vom 19. August 1915, oben
gleiche Seite.)
Bekanntmachung über die Berichtigung und Ergänzung
der Bekanntmachung gegen übermäßige Preissteigerung
vom 23. Juli 1915 (RGBl. S.467). Vom 22. August 1915 (RGBl.
S. 514). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 827).
Die genannte Bekanntmachung (vgl. Bd. 50, S. 334) soll keine Anwendung
auf Gegenstände finden, für die Höchstpreise festgesetzt sind.
352 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Bekanntmachung über ein Schlachtverbot für trächtige
Kühe und Sauen. Vom 26. August 1915 (RGBl. S. 515f.). Auf
Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBI. S. 327).
Mit bestimmten Ausnahmen (insbesondere bei Notschlachtungen) dürfen
Kühe, Rinder, Kalbinnen und Sauen, die sich in erkennbar trächtigem Zustande
befinden, nicht geschlachtet werden. Die Landeszentralbehörden können weitere
Beschränkungen anordnen. (Vgl. die früheren Bekanntmachungen vom 11. Sep-
tember 1914, Bd. 49, S. 66, und vom 19. Dezember 1914, Bd. 50, S. 49.)
Bekanntmachung über den Verkehr mit Zucker im Betriebs-
jahr 1915/16. Vom 26. August 1915 (RGBl. S. 516 ff). Auf Grund
des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Von dem im Betriebsjahre 1915,16 in den Rüben verarbeitenden Fabriken
hergestellten Rohzucker sind 15 Proz. der voraussichtlichen Gewinnung (vgl. hierzu
nächsten Abanz) r Lieferung im Oktober und je 20 Proz. zur Lieferung im
November und Dezember auf die Verbrauchszuckerfabriken zu verteilen. Die
Verteilung geschieht durch eine vom Reichskanzler bestimmte, seiner Aufsicht
unterstehende Verteilungsstelle. Für die Rüben verarbeitenden und Verbrauchs-
zuckerfabriken besteht Lieferungs- bzw. Abnahmepflicht zu bestimmten Zeitpunkten.
Auch sind letztere zur Verarbeitung der zugeteilten Rohzuckermengen verpflichtet.
Die „voraussichtliche Gewinnung“ der Rüben verarbeitenden Fabriken (vgl.
hierzu oben) wird von der Steuerbehörde im allgemeinen nach dem Durchschnitt
der drei letzten Betriebsjahre und dem Anbaunachweis des laufenden Jahres fest-
gesetzt, unter Umständen tritt auch Sachverständigenschätzung ein.
Von vorstehender Regelung sind reine landwirtschaftliche Weißzuckerfabriken
und einige andere Gruppen von Rüben verarbeitenden Fabriken ausgenommen ;
für sie gelten besondere, eingehende Beschränkungsvorschriften.
Die Rohzucker- und Verbrauchszuckerfabriken können mit bestimmten Bei-
trägen zu den Kosten der Verteilungsstelle herangezogen werden. Für Rohzucker
werden bestimmte feste Preise, für Verbranchssi er Höchstpreise festgesetzt bzw.
der Bundesrat zur Festsetzung von en ermächtigt.
(Für das vorherige Betriebsjahr galt die Bekanntmachung vom 31. Oktober
1914, vgl. Bd. 49, S. 73, in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Februar
1915, Bd. 50, 8. 58, außerdem die Bekanntmachung vom 27. Mai 1915, Bd. 50,
S. 319, und die a. a. O. angegebenen weiteren Bekanntmachungen.)
Bekanntmachung über den Verkehr mit Hülsenfrüchten.
Vom 26. August 1915 (RGBl. S. 520 ff... Auf Grund des Ges. vom
4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Erbsen, Bohnen und Linsen dürfen mit bestimmten (durch Bekanntmachung
vom 20. September abgeänderten) Ausnahmen nur noch durch die Zentraleinkaufs-
esellschaft abgesetzt werden (Ausführungsbestimmungen hierzu sind unter dem
26. September [RGBi. S. 625 f.] erlassen). Diese Ausnahmen betreffen neben Saat-
t u. a. m. vor allem frisches Gemüse und Konserven, andererseits alle Mengen
is zu 1 dz BI LDEEENEES Ausnahme aufgehoben durch Bekanntmachung vom
21. Oktober 1915). Weiterhin wird für alle Besitzer von Hülsenfrüchten eine An-
zeigepflicht festgesetzt, für die als Stichtag der 1. Oktober gilt. Neben der Ver-
pflichtung, die Vorräte der Zentraleinkaufsgesellschaft zu überlassen, können Be-
sitzer ungedroschener Hülsenfrüchte noch außerdem verpflichtet werden, diese
nach den Mitteln ihres Betriebes auszudreschen.
Die Zentraleinkaufsgesellschaft hat dem Verkäufer für die abgenommenen
mengen einen angemessenen Uebernahmepreis zu zahlen, der jedoch nach oben
durch bestimmte Höchstpreise begrenzt ist. Die Zentraleinkaufsgesellschaft ihrer-
seits darf die übernommenen Hülsenfrüchte nur an die Heeres- und Marine-
verwaltung, an Kommunalverbände oder an vom Reichskanzler bestimmte Stellen
abgeben. Letzterer kann die Preise und sonstigen Bedingungen bestimmen, zu
denen die Zentraleinkaufsgesellschaft die von ihr übernommenen Mengen zu ver-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 353
teilen hat. (Vgl. auch die folgende Bekanntmachung und Bekanntmachung vom
11. September, unten S. 355.)
Bekanntmachung über das Verbot des Vorverkaufs von
Erbsen, Bohnen und Linsen aus der Ernte des Jahres
1915. Vom 26. August 1915 (RGBl. S. 524). Auf Grund der Be-
kanntmachung vom 17. Juni 1915 (RGBl. S. 341). — Wieder aufgehoben
durch Verordnung vom 16. September 1915 (vgl. unten S. 357).
Kaufverträge über Erbsen, Bohnen und Linsen aus der inländischen Ernte
des Jahres 1915 sind nichtig, auch wenn sie vor Verkündung der vorliegenden
Verordnung geschlossen und Vgl. hierzu die vorige DE N (Ueber
unı
die sonstigen Vorverkaufsverbote vgl. die Bekanntmachung vom 17. 1915,
Bd. 50, S. 321 und die Bekanntmachung vom 21. Oktober 1915, unten S. 363 f.)
Bekanntmachung über das Außerkrafttreten der Bekannt-
machung über die Höchstpreise für Speisekartoffeln
vom 15. Februar 1915. Vom 26. August 1915 (RGBl. S. 524).
Auf Grund der Bekanntmachung vom 15. Februar 1915 (RGBl. S. 95.)
Der Inhalt der Bekanntmachung geht aus der Ueberschrift hervor. (Vgl.
hierzu Bd. 50, S. 60 und unten Bekanntmachung vom 28. Oktober, 8. 365.)
Bekanntmachung über die Vornahme einer Viehzwischen-
zählung am 1. Oktober 1915. Vom 26. August 1915 (RGBl.
S. 525 ff). Auf Grund des Gesetzes vom 4. August 1914 (RGBl.
S. 327).
Die am 1. Oktober stattfindende Zählung soll sich auf Pferde, Rindvieh,
Schafe, Schweine, Ziegen und Federvieh erstrecken. (Vgl. die frühere Bekannt-
machung vom 4. März 1915, Bd. 50, S. 64, und die weitere vom 15. November
1915, unten S. 371.)
Bekanntmachung betr. die Angestelltenversicherung wäh-
rend des Krieges. Vom 26. August 1915 (RGBl. S. 531 ff.). Auf
Grund des Gesetzes vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Die Zeiten, in denen Versicherte dem Deutschen Reiche oder Oesterreich-
Ungarn (vgl. hierzu die Bekanntmachung vom 18. März 1915, Bd. 50, S. 66)
Kriegsdienste geleistet haben, werden, soweit sie in vollen Kalendermonaten be-
stehen, auf die Wartezeiten und bei der Berechnung von Ruhegeld oder Hinter-
bliebenenrenten als Beitragszeiten angerechnet, ohne daß Beiträge entrichtet zu
werden brauchen. Eira ‚Joch gezahlte Policie werden (auf trag) zurück-
erstattet. Weiterhin werden Vorschriften für den Fall der Gefangenschaft oder
der Verhinderung der Beitragszahlungen durch Maßnahmen feindlicher Staaten
erlassen. Endlich wird noch eine Reihe weiterer, weniger wichtiger Einzelbestim-
mungen getroffen.
Bekanntmachung betr. Aenderung der Verordnung über
die Errichtung von Vertriebsgesellschaften für dən
Steinkohlen- und Braunkohlenbergbau vom 12. Juli
1915 (RGBlL. S. 427). Vom 30. August 1915 (RGBl. S. 535f.). Auf
Grund des Gesetzes vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Die EARDE Verordnung (vgl. Bd. 50, 8. 330) wird vor allem dahin ge-
ändert, daß an die Stelle der Landeszentralbehörden überall der Reichskanzler
tritt, dieser aber REN, wird, seine Befugnisse den Landeszentralbehörden zu
übertragen; außerdem sind noch einige weitere, weniger wesentliche Abänderungen
getroffen.
Bekanntmachung der Fassung der Verordnung über die
Errichtung von Vertriebsgesellschaften für den Stein-
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 23
354 Nationalökonomische Gesetzgebung.
kohlen- und Braunkohlenbergbau. Vom 30. August 1915
(RGBl. S. 536 ff.).
Wegen der vorstehend angeführten Aenderungen wird der Wortlaut der ge-
nannten arrönnz in seiner neuen Fassung noch einmal im Zusammenhang
veröffentlicht.
Bekanntmachung betr. die Ausprägung von Fünfpfennig-
stücken aus Eisen. Vom 26. August 1915 (RGBl. S. 541). Auf
Grund des Gesetzes vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Der Reichskanzler darf außerhalb der im Münzgesetz für die Prägung von
Nickelmünzen festgesetzten Grenze eiserne Fünfpfennigstücke im Betrage bis zu
5 Mill. M. ausprägen lassen. Die Münzen, die sich von den gewöhnlichen Fünf-
pfennigstücken wesentlich unterscheiden, sind spätestens zwei Jahre nach Friedens-
schluß außer Kurs zu setzen. (Vgl. auch die Bekanntmachung vom 11. August
betr. eiserne Eichgewichte, unten S. 357.)
Gesetz betr. die Feststellung eines Nachtrags zum
Reichshaushaltsetat für das Rechnungsjahr 1915. Vom
31. August 1915 (RGBl. S. 543 f.).
Das Gesetz ermächtigt den Reichskanzler, zur Bestreitung einmaliger außer-
ordentlicher Ausgaben (neben den bisher bewilligten 20 Milliarden M.) weitere 10
Milliarden im Wege des Kredites a machen. (Vorher sind bewilligt worden: am
4. August und 3. Dezember 1914 je 5 Milliarden, am 22. März 1915 10 Milliarden M.
Vgl. Bd. 49, S. 59, Bd. 50, S. 44 u. 65 f.)
Bekanntmachung über Beschränkung der Milchverwen-
dung. Vom 2. September 1915 (RGBl. S. 545f.) Auf Grund des
Ges. vom 4. Aug. 1914 (RGBl. S. 327).
Die Bekanntmachung enthält drei Verbote: erstens das Verbot der Ver-
wendung von Vollmilch oder Sahne in gewerblichen Betrieben zum Backen,
zweitens das Verbot der Abgabe von N im Kleinhandel und drittens
das Verbot der Verabfolgung von gewöhnlicher Sahne in Konditoreien, Gast-
wirtschaften u. ä& m. Eingehende Kontrollvorschriften sollen die Dir une
dieser Bestimmungen sichern. gl. die weiteren Bekanntmachungen vom 4. un
11. November 1915, unten S. 367 und S. 370.)
Bekanntmachung zur Erweiterung der Bekanntmachung
über Vorratserhebungen vom 2. Februar 1915 (RGBl.
S. 54). Vom 3. September 1915 (RGBl. S. 549). Auf Grund des Ges.
vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Die wichtigste Erweiterung der genannten Bekanntmachung (vgl. Bd. 50,
S. 57) ist die, daß nunmehr auch über die Preise Auskunft erteilt werden muß,
zu denen die betr. Gegenstände hergestellt oder angeschafft worden sind. Die
Verordnung bildet also nunmehr auch eine Ergänzung zu der Bekanntmachun
gegen übermäßige Preissteigerung vom 23. Juli 1915 (vgl. Bd. 50, S. 334) un
en Bekanntmachungen vom 23. und 25. September (unten 8. 357 und 8. 357 f.).
Bekanntmachung über den Verkehr mit Margarine Vom
9. September 1915 (RGBl. S. 555). Auf Grund des Ges. vom 4. August
1914 (RGBl. S. 327).
Es handelt sich um eine weniger wesentliche formelle Vorschrift zur Er-
leichterung der Margarineeinfuhr.
Bekanntmachung betr. Aenderung der Verordnung vom
28. Juni 1915 über die Regelung des Verkehrs mit
Hafer (RGBl. S. 393). Vom 9. September 1915 (RGBl. S. 556).
Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Nationalökonomische Gesetzgebung. 355
Die Abänderung betrifft u. a. die Zuteilung von Hafer an Zuchtbullen, die
von den Kommunalverbänden in einer von der Regel (v l. Bd. 50, S. 326.) ab-
weichenden Art und Weise geordnet werden kann. (Vg
Bekanntmachung.)
Bekanntmachung zum Vollzuge der Verordnung über die
Regelung des Verkehrs mit Hafer vom 28. Juni 1915
(RGBl. S. 393). Vom 9. September 1915 (RGBl. S. 556).
Halter von Zuchtbullen dürfen durchschnittlich für den Tag und Bullen
ein halbes Kilogramm Hafer verfüttern. (Vgl. hierzu die vorstehende Bekannt-
machung.)
Bekanntmachung wegen Aenderung der Bekanntmachung
über die Sicherung der Ackerbestellung vom 31. März
1915 (RGBI. 8. 210). Vom 9. September 1915 (RGBl. S. 557). Auf
Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327.)
Die genannte Verordnung (vgl. Bd. 50, S. 68) soll auch für das Jahr 1916
Geltung behalten.
Gesetz betr. Aenderung des Gesetzes über den Absatz
von Kalisalzen. Vom 7. September 1915 (RGBl. S. 559).
Hier sind aus dem Inhalte des Gesetzes vor allem einmal einige 'Preis-
erhöhungen für einzelne Salze für die Zeit vom 1. Oktober 1915 bis 31. März
1916, sodann die nung zu nennen, daß für das Rechnungsjahr 1915 die
Abgabe für Ueberschreitung der zustehenden Absatzmenge von Kalisalzen außer
Hebung gesetzt wird.
Bekanntmachung zur Entlastung der Gerichte. Vom 9. Sep-
tember 1915 (RGBl. S. 562 ff.) Auf Grund des Ges. vom 4. August
1914 (RGBI. S. 327).
Es wird u. a. ein besonderes Mahnverfahren vor den Landgerichten ge-
schaffen, weiterhin werden Vorschriften über das Mahnverfahren vor den Amts-
gerichten, Sühneversuch und Verfahren in geringfügigen Sachen erlassen; auch
einige sonstige Erleichterungen werden geschaffen. gl. auch die Bekannt-
machung vom 7. Oktober 1915 zur Entlastung der Strafgerichte, unten S. 360.)
Bekanntmachung betr. die Einfuhr von Getreide, Hülsen-
früchten, Mehl und Futtermitteln. Vom 11. September 1915
(RGBl. S. 569f.). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
S. 327).
Roggen, Weizen, Gerste, Hafer, Mais, Hülsenfrüchte, Roggen- und Weizen-
mehl, Roggen-, Weizen- und Gerstenkleie, die aus dem Auslande eingeführt
werden, sind nach dem Inkrafttreten der vorliegenden Verordnung an die Zentral-
einkaufsgesellschaft zu liefern. (Vgl. die bisherigen, entgegengesetzten Vorschriften
der Bekanntmachungen vom 28. Toni — Bd. 50, S. 324, 326, 326f., 327 — auch
der Verkehr in ausländischer Roggen- und Weizenkleie hatte bisher noch keine
Regelung erfahren, während die Verordnung betr. den Verkehr mit Hülsenfrüchten
vom 26. August 1915 — vgl. oben S. 352 — keinen Unterschied zwischen in-
ländischer und ausländischer Ware macht.) Die näheren Bedingungen werden
vom Reichskanzler festgesetzt.
Bekanntmachung über die Ausdehnung der Verordnung
über den Verkehr mit Kraftfuttermitteln vom 28. Juni
1915 (RGBI, S. 399) auf weitere Futtermittel. Vom 13. Sep-
tember 1915 (RGBl. S. 584). Auf Grund der Bekanntmachung vom
28. Juni 1915 (RGBl. S. 399).
Die genannte Bekanntmachung (vgl. Bd. 50, S. 327) soll sich auch auf
Futtermittel erstrecken, die durch Aufschließung von Stroh oder Holz gewonnen
23*
. hierzu auch die folgende
356 Nationalökonomische Gesetzgebung.
sind. (Vgl. die weitere Bekanntmachung vom 8. November 1915, unten S. 369,
und die daselbst aufgeführten sonstigen Bekanntmachungen.)
Bekanntmachung über die Regelung des Absatzes von Er-
zeugnissen der Kartoffeltrocknerei und der Kartoffel-
stärkefabrikation. Vom 16. September 1915 (RGBl. S. 585 ff.).
Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327). An Stelle
der früheren Verordnung vom 25. Februar 1915 (vgl. Bd. 50, S. 62 f£.).
Die vorliegende Verordnung gleicht in ihren wesentlichen Vorschriften der
bisher geltenden vom 25. Februar 1915 (vgl. Bd. 50, S. 62f.), wenn auch der
Wortlaut im einzelnen vielfache Abänderungen erfahren hat. Die Inhaltsangabe
a. a. O. ist daher auch für diese Bekanntmachung zutreffend, mit der Ausnahme,
daß an Stelle des 30. September 1915 der 30. September 1916 tritt; von Bedeutun
ist im übrigen nur ein Zusatz, nach dem der Reichskanzler anordnen kann, d
auch aus dem Auslande eingeführte Erzeugnisse der Kartoffeltrocknerei und
Kartoffelstärkefabrikation an die hei ch nähe ae er zu
liefern sind. (Vgl. auch die drei nächsten Verordnungen und die Verordnungen
vom 1. November 1915, unten S. 367, und 25. November 1915, unten S. 372.)
Bekanntmachung über die Höchstpreise für Erzeugnisse
der Kartoffeltrocknerei sowie der Kartoffelstärke-
fabrikation. Vom 16. September 1915 (RGBl. S. 588ff.). Auf
Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 339 und 516).
Die Verordnung trifft abweichend von den früheren entsprechenden Ver-
ordnungen (vom 11. Dezember 1914, vgl. Bd. 50, S. 45, und 25. Februar 1915,
vgl. Bd 50, 8. 62) keine Vorschriften für Futterkartoffeln. Die Höchstpreise
für die Erzeugnisse der Kartoffeltrocknerei werden wesentlich (um etwa 5—8 M.
für den Doppelzentner) erniedrigt, sowohl für Verkäufe durch den Trockner wie
für „weitere Verkäufe“ (vgl. wegen dieses Begriffes Bd. 50, S. 45). Bei Verkäufen
von Kartoffelflocken und Kartoffelschnitzeln, die 5 t nicht übersteigen, und bei
Verkäufen von Kartoffelwalzmehl, trockener Kartoffelstärke und Kartoffelstärke-
mehl, die 1 t nicht übersteigen, erhöhen sich dagegen die Höchstpreise um 1 M.
für den Doppelzentner (wie bisher). Für Verkäufe von 5 kg und weniger
elten die Höchstpreise nicht (wie bisher). Für Kartoffelwalzmehl bestimmter
esserer Borte ist eine Preiserhöhung von 2 M. für den Doppelzentner gestattet
Re anders, doch ähnlich wie bisher). Die Bekanntmachung tritt mit dem
. November in Kraft. Vgl. auch die übernächste Bekanntmachung.
Bekanntmachung über die Außerkraftsetzungder Bekannt-
machung über die Regelung des Absatzes von Erzeug-
nissen der Kartoffeltrocknerei und der Kartoffelstärke-
fabrikation vom 25. Februar 1915 (RGBl. S. 118). Vom
16. September 1915 (RGBl. S. 590).
Die genannte Bekanntmachung tritt mit dem 1. Oktober 1915 außer Kraft.
(Mit dem gleichen Zeitpunkt tritt die Verordnung vom 16. September — vgl. die
vorvorige Bekanntmachung — in Kraft.)
Bekanntmachung über das Außerkrafttreten der Bekannt-
machung über die Höchstpreise für Futterkartoffeln und
Erzeugnisse der Kartoffeltrocknerei sowie der Kar-
toffelstärkefabrikation vom 25. Februar 1915 (RGBl.
S. 116). Vom 16. September 1915 (RGBl. S. 591).
Die genannte Bekanntmachung tritt, soweit sie die Futter- und Feldkartoffeln
betrifft, am 17. September, im übrigen (einschließlich der Bekanntmachung vom
15. April — vgl. Bd. 50, S. 314) am 1. November außer Kraft. (Mit letzterem
Zeitpunkt tritt die Verordnung vom 16. September — vgl. die vorvorige Bekannt-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 357
machung — in Kraft.) Da die neue Verordnung Höchstpreise für Futterkartoffeln
nicht enthält, bleiben diese mithin dauernd aufgehoben.
Bekanntmachung über die Aufhebungdes Verbotsdes Vor-
verkaufs von Erbsen, Bohnen und Linsen aus der Ernte
des Jahres 1915. Vom 16. September 1915 (RGBl. S. 593).
Die Vorschriften der Verordnung vom 26. August 1915 (vgl. oben S. 353)
werden wieder aufgehoben.
Bekanntmachung betr. Verarbeitung von Kartoffeln in
GetreidebrennereienimBetriebsjahr 1915/16. Vom 16. Sep-
tember 1915 (RGBl. S. 594). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914
(RGBI. S. 327).
Allen Brennereien, die bisher Getreide verarbeitet hahen, wird gestattet, im
Betriebsjahre 1915/16 nicht selbst gewonnene Kartoffeln zu verwenden, ohne daß
ihnen hierdurch in ihrer Brennereiklasse oder in steuerlicher Beziehung Nachteile
entstehen. (Vgl. hierzu die frühere Verordnung vom 17. Juni 1915 — Bd. 50,
8. 322.)
Bekanntmachung über die Zulassung von eisernen Ge-
wichten zur Eichung. Vom 11. August 1915 (RGBl. S. 595 f.).
Eine Reihe bestimmt bezeichneter Gewichte werden zur Eichung zugelassen,
auch wenn sie aus Eisen bestehen. (Vgl. auch die Verordnung vom 26. August
betr. die eisernen Fünfpfennigstücke — oben S. 354.)
Bekanntmachung betr. Ergänzung der Verordnung vom
26. August 1915 über den Verkehr mit Hülsenfrüchten
(RGBl. S. 520). Vom 20. September 1915 (RGBl. S. 600f.). Auf
Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Der Inhalt der Bekanntmachung ist bereits in die Inhaltsübersicht der Be-
kanntmachung vom 26. August (vgl. oben S. 352) eingearbeitet.
Bekanntmachung zur Fernhaltung unzuverlässiger Per-
sonen vom Handel. Vom 23. September 1915 (RGBl. S. 603 ff.).
Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327). — Vgl. hierzu
die Verordnungen vom 23, Juli 1915 (Bd. 50, S. 334) und 25. September
1915 hierunter.
Der Handel mit Gegenständen des täglichen Bedarfs oder des Kriegsbedarfs
kann unzuverlässigen Handeltreibenden untersagt werden, wobei Unzuverlässig-
keit insbesondere auf Grund von Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften
über Höchstpreise, übermäßige Preissteigerung u. a. m. angenommen wird. Die
Untersagung ist im Amtsblatt der untersagenden Behörde und im Reichsanzeiger
bekanntzugeben; sie wirkt für das ganze Reichsgebiet und kann erst nach Ver-
lauf von drei Monaten wieder aufgehoben werden.
Eine weitere wichtige Bestimmung ist, daß der Beginn (nur dieser!) des
Handels mit Gegenständen des täglichen Bedarfes oder des Kriegsbedarfs einer
Erlaubnis unterworfen werden kann, und zwar sind sowohl der Reichskanzler
wie die Landeszentralbehörden zu dieser Anordnung befugt. Die Erlaubnis darf
allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen versagt werden. N
Endlich werden durch die Bekanntmachung die Strafen des Höchstpreis-
gesetzes (vgl. Bd. 50, S. 46f.) und der Verordnung gegen übermäßige Preis-
steigerung (vgl. Bd. 50, S. 334) verschärft.
Bekanntmachung über die Errichtung von Preisprüfungs-
stellen und die Versorgungsregelung. Vom 25. September
1915 (RGBl. S. 607 ff). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914
(RGBl. S. 327). — Vgl. hierzu auch die Verordnungen vom 23. Juli
1915 (Bd. 50, S. 334) und 23. September 1915 hierüber.
358 Nationalökonomische Gesetzgebung.
I. Errichtung von Preisprüfungsstellen. Zur Errichtung von
Preisprüfungsstellen sind Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern voröflichtet,
andere Gemeinden sowie Kommunalverbände berechtigt, doch können die Landes-
zentralbehörden auch für die kleineren Gemeinden eine Verpflichtung festsetzen.
Die Errichtung einer Preisprüfungsstelle für den Kommunalverband entbindet
jedoch die zugehörigen Gemeinden von ihrer Verpflichtung. Ein Zusammenschluß
mehrerer Gemeinden usw. zur Errichtung einer gemeinsamen Preisprüfungsstelle
ist statthaft. Der Aufgabenkreis der Preisprüfungsstellen umfaßt in erster Linie
die Ermittelung der im Verhältnis zu den Gestehungskosten angemessenen Ver-
kaufspreise und die Unterstützung der zuständigen örden in ihrer Fürsorge
für die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung, sodann Abgabe von Gutachten
u.a.m. Die einzige selbständige Befugnis der Stellen ist das Recht, den Händlern
einen Aushang der geforderten Preise mit der Wirkung vorschreiben zu können,
daß diese Preise dann nicht überschritten werden dürfen. Zur Durchführung
aller ihrer Aufgaben sind die Preisprüfungsstellen mit umfangreichen Rechten
e: B. Veranstaltung von Erhebungen über Preise, Zufuhr u. a. m., Einsicht in
ücher u. ä. m.) ausegstattet, haben aber dafür auch Verschwiegenheit über Ge-
schäftsverhältnisse u. dgl. zu beobachten.
Gleichzeitig mit diesen formellen Vorschriften trifft dieser erste Teil der
Bekanntmachung noch die Bestimmung, daß für das Reichsgebiet eine besondere
Preisprüfungsstelle errichtet wird, die zur ernn des Reichskanzlers und in
gewissem Sinne auch als Zentralpreisprüfungsstelle dienen soll.
II. Versorgungsregelung. (Dieser Abschnitt hat durch Bekannt-
machung vom 4. November 1915 — vgl. unten S. 367 f. — eine neue Fassung er-
halten.) Die Gemeinden werden mit einer Reihe von Rechten ausgestattet, unter
denen vor allem folgende zu nennen sind: a) Erlaß von Vorschriften für die
Handel- und Gewerbetreibenden hinsichtlich des Betriebes, insbesondere des Er-
werbes, des Absatzes, der Preise und der Buchführung. b) Uebernahme der Ver-
sorgung der Bevölkerung mit bestimmten Lebensmitteln usw. in eigener Regie
unter Ausschluß des Handels oder Uebertragung der Versorgung an gemein-
nützige Einrichtungen oder einzelne Händler unter Vorschreibung bestimmter
Bedingungen. c) Anordnung von Bestandserhebungen über Gegenstände des täg-
lichen Bedarfes. d) Verlangen einer Auskunft von Händlern über Lieferungs-
verträge, die Gegenstände betreffen, die von Maßnahmen nach Art der oben
unter a) und b) angeführten betroffen sind. e) Das Recht, von den Händlern
Ueberlassung ihrer Vorräte fordern zu können, an deren Stelle unter Umständen
Enteignung treten kann.
ie vorstehenden Rechte sind an die Zustimmung der Landeszentralbehörden
gebunden und können auch Kommunalverbänden sowie Vereinigungen von Ge-
meinden oder Kommunalverbänden übertragen werden. Auch können die Landes-
zentralbehörden die Versorgung der Bevölkerung ihres Bezirks selbst In.
Abschnitt III enthält Strafbestimmungen, Abschnitt IV Schluß-
bestimmungen, nach denen unter anderem die Ausführungsbestimmungen von
den Landeszentralbehörden erlassen werden.
Bekanntmachung über zuckerhaltige Futtermittel. Vom
25. September 1915 (RGBl. S. 614 ff). Auf Grund des Ges. vom
4. August 1914 (RGBl. S. 327). — In Aufhebung der Verordnung vom
28. Juni 1915 (vgl. Bd. 50, S. 327).
Die (namentlich aufgeführten) zuckerhaltigen Futtermittel dürfen wie bisher
nur durch die „Bezugsvereinigung der deutschen Landwirte“ abgesetzt und
müssen auf Verlangen an diese abgeliefert werden. Verschiedene, gegen die
frühere Bekanntmachung vom 28. Juni etwas abgeänderte Ausnahmen sind vor-
esehen, insbesondere dürfen an Zuckerfabriken Zuckerrüben zur Zuckerherstel-
ung geliefert werden, Rübenschnitzel in bestimmtem Umfange an die rüben-
liefernden Landwirte zurückgeliefert werden u. a. m. Besitzer zuckerhaltiger Futter-
mittel müssen zu Beginn jedes Vierteljahres der Bezugsvereinigung ihre Vorräte
anzeigen; zu den gleichen Zeitpunkten müssen Zuckerfabriken anzeigen, welche
Mengen Melasse, Rübenschnitzel usw. sie im laufenden Kalendervierteljahre vor-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 359
aussichtlich herstellen werden. Die Bezugsvereinigung hat auf Antrag des Eigen-
tümers anzugeben, welche Mengen sie übernehmen will und hat bezüglich dieser
eine Abnahmepflicht. Eingehende, durch eine weitere Verordnung vom gleichen
Tage (vgl. die folgende Bekanntmachung) ergänzte Preisvorschriften werden ge-
troffen. Die Bezugsvereinigung ihrerseits darf zuckerhaltige Futtermittel nur an
Kommunalverbände oder an die vom Reichskanzler bestimmten Stellen nach den
von der Reichsfuttermittelstelle (vgl. wegen dieser Bd. 50, S. 332) aufzustellenden
Grundsätzen abgeben. Diese Stellen und ebenso die Kommunalverbände haben
für die Weiterverkäufe bestimmte Bedingungen und Preise vorzuschreiben. Für
Melasse sind weiterhin noch besondere Bestimmungen getroffen. Die Vorschriften
der Bekanntmachung beziehen sich nicht auf Futtermittel, die selbst oder deren
Rohstoffe aus dem Auslande eingeführt sind. (Der Inhalt der Bekanntmachung
deckt sich im wesentlichen mit dem der Bekanntmachung vom 28. Juni —
vgl. Bd. 50, S. 327 f.)
Bekanntmachung betr. die Preise für zuckerhaltige Futter-
mittel. Vom 25. September 1915 (RGBl. S. 620 f.) Auf Grund der
Bekanntmachung vom gleichen Tage.
Durch die Bekanntmachung werden Höchstpreise festgesetzt, über die die
Bezugsvereinigung der deutschen Landwirte bei der Bezahlung der ihr überlassenen
Zuckerfuttermittel nicht hinausgehen darf. (Vgl. hierzu die vorstehende Bekannt-
machung.) f
Bekanntmachung über den Kleinhandel mit Kerzen. Vom
25. September 1915 (RGBl. S. 621).
Kerzen dürfen von jetzt ab in Packungen von beliebigen Gewichtsmengen
im Einzelverkehr verkauft werden.
Bekanntmachung über Freigabe von Branntwein zur Ver-
steuerung im Oktober, November und Dezember 1915.
Vom 25. September 1915 (RGBl. S. 623). Auf Grund der Bekannt-
machung vom 28. Juni 1915 (RGBl. S. 409 vgl. Bd. 50, S. 328).
In den Monaten Oktober bis Dezember 1915 darf unverarbeiteter Branntwein
bis zu insgesamt 12 v. H. der im Betriebsjahre 1913/14 versteuerten Menge in den
freien Verkehr überführt werden. (Vgl. die früheren Bekanntmachungen vom
31. März 1915 — Bd. 50, 8.67f. —, 28. April 1915 — Bd. 50, 8. 316 —, 20. Mai
1915 — Bd. 50, S. 319 — und 28. Juni 1915 — Bd. 50, S. 328.)
Bestimmungen über die Lieferung und Abnahme von
Hülsenfrüchten. Vom 26. September 1915 (RGBl. S. 625 f.).
Es handelt sich um Ausführungsbestimmungen zur Verordnung vom 26. August
1915 (vgl. oben S. 352),
Bekanntmachung betr. Erleichterungen auf dem Gebiete
des Patent-,Gebrauchsmuster-und Warenzeichenrechts.
Vom 23. September 1915 (RGBl. S. 626). Auf Grund der Bekannt-
machung vom 10. September 1914 (RGBl. S. 403).
Die Bekanntmachung zählt neben den in früheren Bekanntmachungen (vgl.
Bd. 50, S. 317) angeführten Staaten noch einen weiteren Staat, Luxemburg, auf,
in dem den Deutschen die in der Bekanntmachung vom 10. September 1914 (vgl.
Bd. 49, S. 65) erwähnten Erleichterungen gewährt werden, auf dessen Angehörige
diese Erleichterungen also auch von deutscher Seite Platz greifen.
Bekanntmachung über das Verschroten von Brotgetreide
zu Futterzwecken. Vom 2. Oktober 1915 (RGBl. S. 628). Auf
Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327). — In Ergänzung
der Bekanntmachung vom 28. Juni 1915 (vgl. Bd. 50, S. 323 ff.).
360 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Die Reichsgetreidestelle kann ihr gehöriges Brotgetreide zu Futterzwecken
verschroten lassen. Die Kommunalverbände haben weiterhin auch nichtmahl-
fähiges Getreide abzuliefern, das von der Reichsgetreidestelle zu Futterzwecken
verwendet oder verarbeitet werden kann; die Kommunalverbände selbst haben
dagegen kein Recht, ohne Genehmigung über es irgendwie zu Futterzwecken zu
verfügen. Die Reichsgetreidestelle ihrerseits stellt das aus ihrem Brotgetreide her-
gestellte Futterschrot den Kommunalverbänden zur Verfügung.
Gesetz betr. Aenderung des Gesetzes betr. die Unter-
stützung von Familien in den Dienst eingetretener
Mannschaften vom 28. Februar 1888 (RGBl. S. 59). Vom
30. September 1915 (RGBl. S. 629).
Die Hinterbliebenen gefallener Kriegsteilnehmer erhalten noch ein Gnaden-
vierteljahr.
Bekanntmachung zur Entlastung der Strafgerichte Vom
7. Oktober 1915 (RGBl. S. 631f.. Auf Grund des Gesetzes vom
4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Bei Vergehen gegen Vorschriften, die auf Grund des $ 3 des Gesetzes über
die Ermächtigung dee Bundesrates zu wirtschaftlichen Maßnahmen usw. vom
4. August 1914 (RGBl S. 327) ergangen sind oder noch ergehen und keine
schwerere Strafe als Gefängnis bis zu 1 Jahr oder Geldstrafe androhen, kann die
Strafe durch Strafbefehl des Amtsrichters festgesetzt werden. Das gleiche gilt für be-
stimmte Vergehen gegen das Gesetz über den Belagerungszustand. Auch können eine
Reihe von Vergeben: die eigentlich zur Zuständigkeit der Strafkammern gehören,
unter bestimmten Umständen als zur Zuständigkeit der Schöffengerichte gehörig
patan: (Vgl. auch die Bekanntmachung vom 9. September zur Entlastung der
`
serichte, oben S. 355.)
Bekanntmachung über die Anmeldung des im Inland be-
findlichen Vermögens von Angehörigen feindlicher
Staaten. Vom 7. Oktober 1915 (RGBl. S. 633ff.).. Auf Grund des
Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Alles im Inlande befindliche Vermögen von Angehörigen feindlicher Staaten
(als welche zunächst England, Frankreich und Rußland angesehen werden) muß
angemeldet werden. Solches Vermögen darf ohne Genehmigung des Reichs-
kanzlers auch nicht veräußert, abgetreten oder belastet werden (für die besetzten
russischen Gebiete ist durch Bekanntmachung vom 21. Oktober 1915 (RGBl.
8. 707) eine Ausnahme gemacht). Endlich dürfen auch ohne Genehmigung des
Reichskanzlers Teile dieses Vermögens nicht nach dem Auslande abgeführt werden
(für die besetzten russischen Gebiete ist durch Bekanntmachung vom 21. Oktober
eine Ausnahme gemacht). Die weitergehenden Vorschriften der Zahlungsverbote
gegen England, Frankreich und Rußland (vgl. Bd. 49, S. 67, 69 und 74) bleiben
unberührt. (Mit Ausführungsvorschriften vom 10. Oktober — RGBl. S. 653ff.
— Vgl. auch die früheren Bekanntmachungen vom 4. September 1914, 22. Oktober
1914, 26. November 1914, 22. Dezember 1914, 4. März 1915, 24. Juni 1915.)
Bekanntmachung über die Regelung der wirtschaftlichen
Betriebsverhältnisse der Branntweinbrennereien und
der Betriebsauflagevergütungen für das Betriebsjahr
1915/16. Vom 7. Oktober 1915 (RGBl. S. 687 ff.) Zum großen
Teil auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327); vgl.
für das Betriebsjahr 1914/15 die Bekanntmachung vom 15. Oktober
1914 (Bd. 49, S. 68) und 4. Februar 1915 (Bd. 50, S. 57).
Für das neue Betriebsjahr wird der Durchschnittsbrand der Brenne-
reien auf 90 v. H. des allgemeinen Durchschnittsbrandes gekürzt; für Bayern,
Württemberg und Baden wird das Kontingent im allgemeinen auf 80 v. H.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 361
der im Betriebsjahre 1914/15 zugewiesenen Menge festgesetzt, doch sind für
kleinere Brennereien Vergünstigungen vorgesehen. Die Vergällungspflicht
wird dahin geregelt, daß 70 v. H. der innerhalb des Durchschnittsbrandes her-
estellten Mengen der Vergällungspflicht unterliegen. Hierbei darf u. a. gegen
ntrichtung eines bestimmten Zuschlages zur Betriebsauflage der vergällungs-
pflichtige Branntwein ganz oder zum Teil als vergällungsfrei abgefertigt werden.
Brennereien dürfen sich unter bestimmten Beschrinkungen ihren Durch-
schnittsbrand usw. gegenseitig übertragen; auch ist eine große Anzahl weiterer
Sonderbestimmungen, z. B. bezüglich der Verarbeitung von Rohzucker, Melasse
u. a. m., getroffen. Endlich setzt die Verordnung die aus den Einnahmen an
Betriebsauflage zu gewährenden Vergütungen neu fest.
Bekanntmachung über das Kündigungsrecht der Hinter-
bliebenen von Kriegsteilnehmern. Vom 7. Oktober 1915
(RGBl. S. 642 f.) Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
S. 327).
Auf eine Vereinbarung, durch die für den Fall, daß der Mieter stirbt, das
Kündigungsrecht des Erben abweichend von den Vorschriften des BGB. ge-
regelt ist, kann sich ein Vermieter nicht berufen, wenn der Mieter infolge seiner
Teilnahme am Kriege gestorben ist. Dies gilt entsprechend auch für den Fall.
daß Eheleute gemeinschaftlich gemietet haben. Eine auf Grund dieser Vor-
schriften erfolgte Kündigung ist jedoch, falls vom Vermieter Widerspruch er-
hoben wird, vom Gericht (Amtsgericht) nur dann für wirksam zu erklären, wenn
die Fortsetzung des Mietsverhältnisses zu einem unverhältnismäßigen Nachteil für
den Erben oder die Ehefrau führen würde.
Bekanntmachung betr. die Aenderungder Bekanntmachung
über die Sicherstellung von Kriegsbedarf vom 24. Juni
1915 (RGBl. S. 357). Vom 9. Oktober 1915 (RGBl. S. 645f.) Auf
Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Die Bekanntmachung fügt zu den bisherigen Vorschriften (vgl. Bd. 50.
S. 323) einmal eine Herausgabe- und Versendungspflicht des bisherigen Eigen-
tümers bezüglich der beschlagnahmten Gegenstände hinzu. Weiterhin werden die
Strafvorschriften etwas abgeändert. (Vgl. die weitere abändernde Bekanntmachung
vom 25. November 1915, unten S. 372.)
Bekanntmachung über die Verwendung tierischer und
pflanzlicher Oele und Fette. Vom 9. Oktober 1915 (RGBl.
S. 646f.) Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Die genannten Stoffe dürfen weder zu Schmierzwecken noch zu Brenn-
zwecken, weiterhin nicht zum Einfetten u. a. m. von Metallen, Werkzeugen usw.
verwendet werden; auch für die Vermischung dieser Stoffe mit anderen zur Her-
Sellung von Schmierfetten u. a. m. werden Beschränkungen angeordnet. (Vgl.
die Bekanntmachungen vom 31. März 1915, Bd. 50, S. 68, 29. April 1915, Bd. 50,
S. 317, 15. Juli 1915, Bd. 50, S. 331, 5. August 1915, oben S. 350, 14. Oktober
1915, unten S. 362 und S. 363, 19. Oktober 1915, unten S. 363, 2S. Oktober 1915,
unten S. 366, 8. November 1915, unten S. 368, 11. November 1915, unten S. 370).
Bekanntmachung über die Kartoffelversorgung. Vom 9. Ok-
tober 1915 (RGBl. S. 647ff.). Auf Grund des Ges. vom 4.. August
1914 (RGBl. S. 327).
I. Reichskartoffelstelle Es wird ENap seen der Reichsgetreide-
stelle und ganz ähnlich organisiert) eine Reichskartoffelstelle mit einer Verwal-
tungs- und einer Geschäftssbteilung gebildet.
Die Verwaltungsabteilung ist eine Behörde und besteht aus einem
Vorstande und einem Beirate, deren Mitglieder vom Reichskanzler ernannt werden ;
doch ist für den Beirat eine bestimmte Zusammensetzung (je 4 Mitglieder des
Bundesrats, Vertreter der Landwirtschaft, der Kommänalverbänle und des Handels
362 Nationalökonomische Gesetzgebung.
einschl. der Verbraucher) vorgeschrieben. Sie hat die grundsätzlichen Anwei-
sungen zu geben.
Die Geschäftsabteilung ist eine G.m.b. H., deren Aufsichtsrat wiederum
eine bestimmte Zusammensetzung (neben dem Vorsitzenden des Vorstandes der Ver-
waltungsabteilung als Vorsitzenden 7 Vertreter des Reiches und der Bundesstaaten,
7 Vertreter der Kommunalverbände und der Verbraucher, je 4 Vertreter des
Handels, der Landwirtschaft und der landwirtschaftlichen Genossenschaften) zeigt.
Sie hat die laufenden Geschäfte zu erledigen. Die Aufgabe der Reichskartoffel-
stelle insgesamt ist die Verteilung von Kartoffelvorräten zur Ernährung der Be-
völkerung.
11. Beschaffung der Kartoffeln. Insoweit die zur Ernährung der
Bevölkerung eines Kommunalverbandes für Herbst und Winter 1915/16 erforder-
lichen Kartoffeln nicht (von den Händlern oder den Verbrauchern selbst) beschafft
worden sind oder zu angemessenen Preisen anderweitig nicht beschafft werden
können, hat der Kommunalverband den Fehlbetrag bei der Reichskartoffelstelle
anzumelden. Die angemeldeten Beträge müssen abgenommen werden. Auf jeden
Fall haben die Kommunalverbände dafür zu sorgen, daß während der Kälteperiode
ausreichende Kartoffelmengen zur Ernährung der Bevölkerung zur Verfügung
stehen.
Die Reichskartoffelstelle hat zunächst zu versuchen, den angemeldeten Be-
darf im freien Verkehre zu decken. Falls dies zu bestimmten Grundpreisen
(diese Grundpreise sind durch die Höchstpreise der Bekanntmachung vom 28. Ok-
tober, vgl. unten S. 366, ersetzt worden, mit denen sie übereinstimmen), die sich
je nach den Landesteilen zwischen 55 und 61 M. für die Tonne bewegen, nicht
möglich ist, werden die benötigten Mengen zwangsweise beschafft. Hierfür ist
bestimmt, daß alle Kartoffelerzeuger mit mehr als 10 ha (nach Bekanntmachun
vom 28. Oktober: 1 ha, nach Bekanntmachung vom 11. November auf Grun
landesbehördlicher Anordnungen möglicherweise auch unter 1 ha) Kartoffelanbau-
fläche verpflichtet sind, 10 v. H. (nach Bekanntmachung vom 28. Oktober 20 v. H.,
nach Bekanntmachung vom 29. November u. U. auch noch mehr) ihrer ge-
samten Kartoffelernte Di zum 29. Februar 1916 zur Verfügung des Kommunal-
verbandes zu halten; die Reichskartoffelstelle bestimmt dann das Nähere über
Inanspruchnahme und Verteilung dieser Vorräte. (Die weiteren $$ 8, 10—13, 16
sind dürch Bekanntmachung vom 28. Oktober wieder )
II. Versorgung der Bevölkerung. Die Kommunalverbände haben
die zur Versorgung der Bevölkerung mit Kartoffeln notwendigen Maßnahmen zu
treffen. Sie können diese Aufgabe jedoch auch den Gemeinden übe n. Ge-
meinden mit mehr als 10000 Einwohnern können dies verlangen. (Vgl. des
weiteren die beiden Bekanntmachungen vom 28. Oktober, unten S. 365 und 366.)
Bekanntmachung über das Außerkrafttreten der Bekannt-
machung über das Verbot des Vorverkaufs von Erzeug-
nissen der Kartoffeltrocknerei sowie der Kartoffel-
stärkefabrikation ausder inländischen Ernte des Jahres
1915. Vom 11. Oktober 1915 (RGBl. S. 669). Auf Grund der Be-
kanntmachung vom 17. Juni 1915 (RGBl. S. 341.)
Der Inhalt der Bekanntmachung geht aus der Ueberschrift hervor. (Vgl.
S aasi S. 329, über die weiteren Vorverkaufsverbote Bd. 50, S. 321 und oben
. 999.
Bekanntmachung über die Verarbeitung von Bucheckern.
Vom 14. Oktober 1915 (RGBl. S. 670). Auf Grund des Ges. vom
4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Die gewerbliche Verarbeitung von Bucheckern darf nur durch den „Kriegs-
ausschuß für pflanzliche und tierische Oele und Fette“ in Berlin erfolgen, der
für alsbaldige Verarbeitung der gelieferten Bucheckern und schließlich auch Ver-
teilung der Produkte nach den Weisungen des Reichskanzlers zu sorgen hat.
(Vgl. auch Bekanntmachnng vom 9. Oktober 1915, oben S. 361.)
Nationalökonomische Gesetzgebung. 363
Bekanntmachung über das Verbot des Anstreichens mit
Farben aus Bleiweiß und Leinöl. Vom 14. Oktober 1915
(RGBl. S. 671). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
S. 327). — Geändert durch Bekanntmachung vom 11. November 1915,
vgl. unten S. 370.
Der Inhalt der Bekanntmachung geht aus der Ueberschrift hervor.
Bekanntmachung betr. Zahlungsverbot gegen Aegypten
und Französisch-Marokko. Vom 14. Oktober 1915 (RGBl.
S. 673). Auf Grund der Bekanntmachung vom 30. September 1914
(RGBI. S. 421).
Die Vorschriften der Verordnung vom 30. September 1914 (vgl. Bd. 49,
S. 67) werden auf die genannten Länder ausgedehnt. (Vgl. die Bekanntmachung
vom 30. September 1914, Bd. 49, S. 67; 20. Oktober 1914, Bd. 49, S. 69; 19. No-
vember 1914, Bd. 49, S. 74; 20. Dezember 1914, Bd. 50, 8.50f.; 22. Dezember
1914, Bd. 50, S. 49 f.; 4. Februar 1915, Bd. 50, S. 57£.)
Bekanntmachung über Ausdehnung der Verordnung über
den Verkehr mit Oelfrüchten usw. Vom 19. Oktober 1915
(RGBl. S. 675). Auf Grund der Bekanntmachung vom 15. Juli 1915
(RGBl. S. 438).
Die genannte Verordnung (vgl. Bd. 50, S. 331) wird auf die in ihr ge-
nannten Oelfrüchte ausgedehnt, soweit sie aus dem Auslande eingeführt werden,
unter der gleichen Voraussetzung auch auf eine Reihe weiterer Oelfrüchte. (Vgl.
auch die Bekanntmachung vom 9. Oktober 1915, oben S. 361, und die daselbst
aufgeführten weiteren Verördnungen.)
Bekanntmachung betr. die Fristen des Wechsel- und
Scheckrechts für Elsaß-Lothringen, Ostpreußen usw.
Vom 21. Oktober 1915 (RGBl. S. 677). Auf Grund des Ges. vom
4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Der durch die Bekanntmachung vom 22. Juli 1915 für Elsaß-Lothringen
und große Teile Ostpreußens auf den 30. Oktober 1915 festgesetzte Fristablauf
(vgl. Bd. 50, S. 318 und 332) wird auf den 31. Januar 1916 verschoben.
Bekanntmachung betr. Aenderung der Postordnung vom
20. März 1900. Vom 21. Oktober 1915 (RGBl. S. 678 f.).
Die Bekanntmachung trifft die mit Rücksicht auf die vorstehende Bekannt-
machung notwendig gewordenen Aenderungen der Postordnung.
Bekanntmachung über die Geltendmachung vonAnsprüchen
vonPersonen, die im Auslandihren Wohnsitzhaben. Vom
21. Oktober 1915 (RGBl. S. 679). Auf Grund des Ges. vom 4. August
1914 (RGBl. S. 327).
Durch die Bekanntmachung werden die früheren, den gleichen Gegenstand
betreffenden Bekanntmachungen (vgl. Bd. 50, S. 332) dahin geändert, daß die
oben genannten Personen (vgl. hierzu jedoch die Bekanntmachungen vom 20. April
1915 — Bd. 50, S. 314 — und 25. Juni 1915 — Bd. 50, S. 323) vermögensrecht-
liche Ansprüche bis zum 31. Januar 1916 (bisher 31. Oktober 1915) nicht geltend
machen können, und daß bei bereits rechtshängigen Ansprüchen das Verfahren
bis zum 31. Januar 1916 (bisher 31. Oktober 1915) unterbrochen wird.
Bekanntmachung betr. Aenderung der Verordnung vom
26. August 1915 über den Verkehr mit Hülsenfrüchten
(R GBI. S. 520). Vom 21. Oktober 1915 (RGBl. S. 681). Auf Grund
des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
364 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Der Inhalt dieser Bekanntmachung ist bereits in die Inhaltsangabe der Be-
kanntmachung vom 26. August (vgl. oben S. 352 f.) eingearbeitet.
Bekanntmachung betr. Ergänzung der Verordnung über
den Verkehr mit Gerste aus dem Erntejahr 1915 vom
28. Juni 1915 (RGBl. S. 384). Vom 21. Oktober 1915 (RGBl.
S. 681f.). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Die genannte Bekanntmachung gel. Bd. 50, S. 325 f.) erhält den Zusatz, daß
Unternehmer, die weniger als 20 dz Gerste geerntet haben, im Falle des Bedürf-
nisses von der Verpflichtung, die Hälfte ihrer Gerste abzugeben, so weit befreit
werden können, daß ihnen mindestens 10 dz bleiben.
Bekanntmachung über das Verbot des Vorverkaufs von
Stroh der Ernte des Jahres 1915. Vom 21. Oktober 1915
(RGBl. S. 682). Wieder außer Kraft gesetzt durch Bekanntmachung
vom 10. November 1915. — Vgl. aber die weitere Verordnung vom
8. November 1915, unten S. 369.
Der Inhalt der Bekanntmachung geht aus der Ueberschrift hervor. (Vgl.
im übrigen die Bekanntmachung vom 17. Juni 1915 — Bd. 50, S. 321 — 26. August
1915, oben S. 353, und 16. September 1915, oben S. 357.)
Bekanntmachung einer Aenderung der Verordnung vom
8. Juli 1915 (RGBl. S. 420) über die Höchstpreise für Pe-
troleum und die Verteilung der Petroleumbestände. Vom
21. Oktober 1915 (RGBl. S. 683 f.). Auf Grund des Ges. vom 4. August
1914 (RGBl. S. 327). s
Der Höchstpreis wird bei Lieferung aus Straßentankwagen auf 28 Pfg. für
je 1 Liter festgesetzt. Weiter wird festgesetzt, daß, falls der Reichskanzler von
seiner Befugnis, die Durchführung der Verteilung zu regeln, keinen Gebrauch
macht, die Tandeszentralbehörden derartige Andada treffen können. (Vgl.
im übrigen Bd. 50, S. 329.)
Bekanntmachurg zur Erweiterung der Bekanntmachung
über Vorratserhebungen vom 2. Februar 1915 (RG Bl1.
S. 54). Vom 21. Oktober 1915 (RGBl. S. 684 f.) Auf Grund des
Ges. vom 4. August 1914 (RGBI. S. 327).
Es kann die Führung besonderer Lagerbücher vorgeschrieben werden. (Vgl.
im übrigen Bd. 50, S. 57.)
Bekanntmachung betr. Veräußerung von Kauffahrtei-
schiffen an Nichtreichsangehörige. Vom 21. Oktober 1915
(RGBI. S. 685 f.) Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
S. 327).
Die Veräußerung von Kauffahrteischiffen an Nichtreichsangehörige wird ver-
boten, und zwar auch die teilweise Veräußerung.
Bekanntmachung über Erlaß und Vergütung von Abgaben.
Vom 21. Oktober 1915 (RGBl. S. 687). Auf Grund des Ges. vom
4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Die Versendung von Waren an im Auslande stehende Truppenteile u. a. m.
ilt Rn als Ausfuhr, wenn es sich um Erlaß oder Vergütung von Abgaben
andelt.
Bekanntmachung über die Regelung der Butterpreise. Vom
22. Oktober 1915 (RGBl. S. 689 ff.). Auf Grund des Ges. vom 4. August
1914 (RGBl. S. 327).
Nationalökonomische Gesetzgebung. 365
Der Reichskanzler wird ermächtigt, Grundpreise für Butter am Berliner
Markte festzusetzen (ist geschehen durch Bekanntmachung vom 24. und 29. Ok-
tober, vgl. unten gleiche St dieser „Grundpreis“ ist der Preis, den der Hersteller
beim Verkauf im Großhandel frei Berlin, einschließlich Verpackung, fordern kann.
Die Grundpreise sind für das Reichsgebiet maßgebend, doch können die Landes-
zentralbehörden mit Zustimmung des Reichskanzlers Abweichungen anordnen.
Der Reichskanzler kann weiterhin Vorschriften über die Preisstellung für den
Weiterverkauf im Großhandel und Kleinhandel erlassen.
Gemeinden mit mehr als 10000 Einwohnern sind verpflichtet, andere Ge-
meinden sowie Kommunalverbände sind berechtigt, Kleinhandelshöchstpreise fest-
zusetzen. Etwa vorhandene Preisprüfungsstellen (vgl. oben S. 357 f.) sind hierbei
zu hören. Für ausländische Butter kann der Reichskanzler besondere Vorschriften
treffen. Die Landeszentralbehörden erlassen die Ausführungsbestimmungen.
Bekanntmachung über die Vornahme einer Erhebung der
Vorräte von Brotgetreide, Hafer und Mehl am 16. No-
vember 1915. Vom 22. Oktober 1915 (RGBl. S. 691 ff.). Auf Grund
des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Die Aufnahme erstreckt sich auf die landwirtschaftlichen Betriebe, Kommunal-
verbände, Bäcker, Händler u. ä. m.; ihre Ausführung liegt den Gemeindebehörden
ob. (Vgl. die frühere Bekanntmachung vom 22. April 1915, Bd. 50, S. 315.)
Bekanntmachung über die Festsetzung der Grundpreise
für Butter und die Preisstellung für den Weiterverkauf.
Vom 24. Oktober 1915 (RGBl. S. 705). Auf Grund der Bekanntmachung
vom 22. Oktober 1915 (RGBl. S. 689, vgl. oben S. 364 f.).
Die Buttergrundpreise (vgl. die Bekanntmachung vom 22. Oktober, oben
S. 364 f.) werden für 50 kg je nach der Qualität für Handelsware I, II, III auf
240, 230, 215 M. und für abfallende Ware auf 180 M. festgesetzt. Der Zuschlag
für den Weiterverkauf darf beim Verkauf im Großhandel höchstens 4 M., im
Kleinhandel höchstens weitere 11 M. betragen; liefert der Großhändler dem Klein-
händler jedoch die Butter in kleinen Packungen, in denen sie unmittelbar an die
Verbraucher abgegeben werden kann (insbesondere !/,-Pfd.-Paketen), so betragen
die Zuschläge (nach Bekanntmachung vom 29. Oktober 1915) 7 und 8 M.
Bekanntmachung betr. Ausnahme von der Sperre feind-
lichen Vermögens. Vom 21. Oktober 1915 (RGBl. S. 707).
Der Inhalt dieser Bekanntmachung ist bereits in die Inhaltsangabe der Be-
kanntmachung vom 7. Oktober 1915 (vgl. oben S. 360) eingearbeitet worden.
Bekanntmachung über die Festsetzung der Höchstpreise
für Kartoffeln und die Preisstellung für den Weiter-
verkauf. Vom 28. Oktober 1915 (RGBl. S. 709 f.). Auf Grund der
Bekanntmachung vom gleichen Tage (vgl. die nächstfolgende Bekannt-
machung).
Die Höchstpreise für Kartoffeln werden für den Verkauf durch den Erzeuger
im Großhandel je nach Landesteilen auf 55—61 M. für die Tonne festgesetzt.
Beim Kleinhandel dürfen insgesamt höchstens 1,30 M. auf je 50 kg ee
werden. (Die Höchstpreisverordnung für das Erntejahr 1914/15 war am 26. August
— vgl. oben S. 353 — außer Kraft getreten.)
Bekanntmachung über die Abänderung der Bekannt-
machung über die Kartoffelversorgung vom 9. Oktober
1915. Vom 28. Oktober 1915 (RGBl. S. 710). Auf Grund des Ges.
vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Der Inhalt dieser Bekanntmachung ist bereits in die Inhaltsangabe der Be-
kanntmachung vom 9. Oktober (vgl. oben S. 361 f.) eingearbeitet.
366 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Bekanntmachung über die Regelung der Kartoffelpreise,
Vom 28. Oktober 1915 (RGBl. S. 711 ff.) Auf Grund des Gesetzes
vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Der Reichskanzler wird ermächtigt. für den Verkauf durch den Erzeuger im
Großhandel, sowie für den weiteren Groß- und Kleinhandel Kartoffelhöchstpreise
festzusetzen. (Er hat von dieser Ermächtigung durch die Bekanntmachung vom
gleichen Tage — vgl. die vorvorige Verordnung — Gebrauch gemacht.) Soweit
er bezüglich des weiteren Groß- und Kleinhandels von dieser Ermächtigung keinen
Gebrauch macht, geht sie auf die Landeszentralbehörden über (Zusatz nach Be-
kanntmachung vom 11. November 1915). Diese Höchstpreise können mit seiner
Zustimmung jedoch auch von den Landeszentralbehörden abgeändert werden.
Gemeinden mit mehr als 10000 Einwohnern sind verpflichtet, andere Ge-
meinden sowie Kommunalverbände sind berechtigt, Kleinhandelshöchstpreise fest-
znsetzen. Als Kleinhandel im Sinne dieser Verordnung gilt jeder Verkauf an
Verbraucher, soweit er nicht Mengen von mehr als 500 kg zum Gegenstande hat.
(Eine weniger wesentliche Abändernng ist auch unter dem 29. November er-
gangen. Weitere Bestimmungen sind in die Inhaltsangabe der Bekanntmachung
vom 9. Oktober — vgl. oben S. 361 f. — eingearbeitet.)
Bekanntmachung zur Einschränkung des Fleisch- und
Fettverbrauches. Vom 28. Oktober 1915 (RGBl. S. 714 ff.). Auf
Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Es werden fett- und fleischlose Tage eingeführt; die fleischlosen Tage,
Dienstag und Freiiae, gelten allgemein, sowohl für die Verabfolgung von Speisen
in den Gastwirtschaften, wie für den Ladenverkauf, die fettlosen Tage, Montag
und Donnerstag, dagegen nur für die Gastwirtschaften. Außerdem ist für Gast-
wirtschaften noch ein Verbot erlassen, am Sonnabend Schweinefleisch zu verab-
folgen. Privathaushalte sind überhaupt keinen Beschränkungen unterworfen. Als
Fleisch gilt Rind-, Kalb-, Schweine- und Schaffleisch, sowie Fleisch von Geflügel
und Wild aller Art. Als Fett gelten Butter, Butterschmalz, Oel, Kunstspeisefette,
Rinder-, Schaf- und Schweinefett.
Bekanntmachung über die Regelung der Fisch- und Wild-
preise Vom 28. Oktober 1915 (RGBl. S. 716 f.). Auf Grund des
Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Der Reichskanzler wird ermächtigt, Preise für Fische und Wild im Groß-
handel am Berliner Markte (Grundpreise) festzusetzen. Die Landeszentral-
behörden können Abweichungen von diesen Grundpreisen anordnen. Insoweit
Grundpreise festgesetzt sind, sind Gemeinden mit mehr als 10000 Einwohnern
verpflichtet, kleinere Gemeinden sowie Kommunalverbände berechtigt, Klein-
handelshöchstpreise festzusetzen (vgl. für Wild die Bekanntmachung vom 22. No-
vember 1915, unten 8. 371).
Bekanntmachung wegen Aenderung der Bekanntmachung
betr. Einschränkung der Trinkbranntweinerzeugung vom
31. März 1915 (RGBl. S. 208). Vom 28. Oktober 1915 (RGBl.
S. 718). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Durch die Verordnung vom 31. März 1915 (vgl. Bd. 50, S. 67f.) war die
Ueberführung von Trinkbranntwein in den freien pea für April gänzlich
untersagt, für die Zeit vom Mai ab auf monatlich 2 Proz. der im Betriebsjahre
1913/14 versteuerten Menge Trinkbranntwein beschränkt worden. Durch Bekannt-
machung vom 28. Juni 1915 (vgl. Bd. 50, S. 328) war diese Menge auf monatlich
4 I durch die vorliegende Bekanntmachung wird sie auf monatlich 5 Proz.
erhöht.
Bekanntmachung zur Ergänzung der Bekanntmachung
über die Festsetzung der Grundpreise für Butter und
Nationalökonomische Gesetzgebung. 367
die Preisstellung für den Weiterverkauf vom 24. Ok-
tober 1915 (RGBl. S. 705). Vom 29. Oktober 1915 (RGBl. S. 719).
Der Inhalt der vorliegenden Bekanntmachung ist bereits in die Inhalts-
we der Bekanntmachung vom 24. Oktober (vgl. oben S. 365) eingearbeitet
worden.
Bekanntmachung betr. den Betrieb der Anlagen der Groß-
eisenindustrie. Vom 29. Oktober 1915 (RGBl. S. 721).
Die Bekanntmachung schiebt das Inkrafttreten der Vorschriften einer Be-
kanntmachung vom 4. Mai 1914 (RGBl. S. 118), betr. Arbeitszeiten und Ruhe-
pausen der Arbeiter in Anlagen der Großeisenindustrie, vom 1. Dezember 1915
(vgl. hierzu die Bekanntmachung vom 21. Oktober 1914, Bd. 49, S. 69) auf den
l. Dezember 1916 hinaus.
Bekanntmachung über Ausdehnung der Verordnung über
die Regelung des Absatzes von Erzeugnissen der Kar-
toffeltrocknerei und der Kartoffelstärkefabrikation vom
16. September 1915 (RGBl. S. 585). Vom 1. November 1915
(RGBI. S. 722).
Die genannte Verordnung (vgl. oben S. 356) wird auf eine Reihe weiterer,
namentlich aufgeführter Kartoffelerzeugnisse ausgedehnt.
Bekanntmachung zur Regelung der Milchpreise und des
Milchverbrauchs. Vom 4. November 1915 (RGBl. S. 723 ff.). Auf
Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327). — Hierzu die
ergänzende Bekanntmachung vom 11. November 1915, vgl. unten S. 370.
Zunächst wird den Gemeinden das Recht gegeben, Höchstpreise für
Milch beim Verkauf durch den Erzeuger, sowie im Groß- und im Kleinhandel
festzusetzen.
Vor allem werden Gemeinden mit mehr als 10000 Einwohnern verpflichtet,
anderen Gemeinden das Recht gegeben, die vorzugsweise Berücksichtigung der
Kinder, stillenden Mütter und Kenk bei der Verteilung der vorhandenen
Milchmenge sicherzustellen. Der Umfang der Berücksichtigung ist durch Be-
kanntmachung vom 11. November (vgl. unten S. 270) ne t. Die Art und Weise
der Durchführung dieser vorzugsweisen Berücksichtigung bleibt den Gemeinden
überlassen. (Vgl. die Bekanntmachung vom 2. September 1915, oben S. 354.)
Bekanntmachung zur Regelung der Preise für Schlacht-
schweine und für Schweinefleisch. Vom 4. November 1915
(RGBI. S. 725 ff.) Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
S. 327).
Es werden für eine Reihe von Großhandelsplätzen bestimmte, nach Höhe
des Lebendgewichts abgestufte Höchstpreise festgesetzt, die beim Verkaufe von
Schweinen zur Schlachtung nicht überschritten werden dürfen. Sie bewegen sich
z. B. für Schweine von 80—100 kg Lebendgewicht zwischen 90 M. (Königsberg,
Danzig, Bromberg, Posen) und 110 M. a i. Br., Straßburg, Metz). Für
alle übrigen Gemeinden mit öffentlichen Schlachthäusern gilt der Höchstpreis des
nächsten in der Verordnung genannten Platzes. Bei Abgabe an den Verbraucher
darf der Preis für frisches Schweinefleisch 140 v. H., für frisches Fett 180 v. H.
des in der nächstgelegenen Schlachthausgemeinde für das Lebendgewicht der
Schweine im Gewichte von 80 bis 100 kg. geltenden Höchstpreises nicht über-
steigen. Nach einer weiteren Bekanntmachung vom 29. November 1915 finden
die vorstehenden Bestimmungen auf ausländische Schweine, Schweinefleisch und
frisches Fett keine Anwendung, deren Vertrieb vielmehr durch die Landeszentral-
behörden geregelt werden soll.
Bekanntmachung zur Ergänzung der Bekanntmachung
über die Errichtung von Preisprüfungsstellen und die
368 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Versorgungsregelung vom 25. September 1915 (RGB!
S. 607). Vom 4. November 1915 (RGBl. S. 728ff... Auf Grund des
Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Der Abschnitt II „Versorgungsregelung“ der genannten Bekanntmachung
vgl. oben S. 357f.) erhält eine neue Fassung. Die wichtigsten Unterschiede von
der alten Fassung sind folgende: Vorschriften hinsichtlich des Betriebes (Erwerb,
Absatz, Preise, Buchführung) können auch für Erzeuger und Hersteller erlassen
werden; auch können allgemeine Verbrauchsregelungen getroffen werden. Ein
weiterer wichtiger Zusatz ist, daß die Landeszentralbehörden oder die von ihnen
bestimmten Behörden Erzeuger und Hersteller von Gegenständen des notwendigen
Lebensbedarfes, gegebenenfalls zwangsweise, zu Verbänden vereinigen dürfen,
deren Satzung von der betreffenden Behörde bestimmt wird.
Bekanntmachung betr. Ergänzung der Verordnung über
das Verbot des Handels mit in England abgestempelten
Wertpapieren. Vom 4. November 1915 (RGBl. S. 731). Auf
Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Der Reichskanzler darf Ausnahmen von den Vorschriften der genannten
Bekanntmachung (vgl. Bd. 49, S. 74) zulassen.
Bekanntmachung über die Verjährungsfristen. Vom 4. No-
vember 1915 (RGBl. S. 732). Auf Grund des Ges. vom 4. August
1914 (RGBl. S. 327).
Die in den Ş 196, 197 BGB. bezeichneten Ansprüche, deren Verjährung
bereits durch die Verordnung vom 22. Dezember 1914 (vgl. Bd. 50, S. 50) ge-
hemmt worden war, sollen nicht vor dem Schlusse des Jahres 1916 verjähren.
Bekanntmachung betr. die Einschränkung der Arbeitszeit
in Spinnereien, Webereien, Wirkereien usw. Vom 7. No-
vember 1915 (RGBl. S. 733 f.) Auf Grund des Gesetzes vom
4. August 1914 und an Stelle der Verordnung vom 12. August 1915
(vgl. oben S. 350).
Die wesentlichen Bestimmungen der Bekanntmachung vom 12. August 1915
(vgl. oben S. 350) werden beibehalten, doch werden im einzelnen vielfache Er-
weiterungen und Abänderungen der alten Verordnung getroffen.
Bekanntmachung über Oele und Fette. Vom 8. November
1915 (RGBl. S. 735ff.). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914
(RGBl. S. 327).
Es wird zunächst eine Anzeigepflicht für eine Reihe namentlich aufgeführter
Fette und Oele festgesetzt, soweit es sich um Mengen von mindestens 10 dz
handelt. Stichtag ist der 11. November. Alle diese Fette und Oele dürfen nur
durch den „Kriegsausschuß für pflanzliche und tierische Oele und Fette“ ab-
resetzt werden. (Vgl. hierzu auch die Bekanntmachung vom 15. Juli 1915,
d. 50, S$. 331; 5. August 1915, oben 8. 350; 9. Oktober 1915, oben 8. 361;
14. Oktober 1915, oben 8. 362, 19. Oktober, oben 8. 363.) Auch für die Ver-
arbeitung der genannten Oele und Fette sind eine Reihe von Beschränkungen
angeordnet. eiterhin kann der Kriegsausschuß von jedem Besitzer die Ueber-
kenn seiner Vorräte verlangen, hat De auch bezüglich der verlangten Mengen
eine Abnahmepflicht und muß angemessene, nach oben durch bestimmte Höchst-
preise begrenzte Uebernahmepreise zahlen. Endlich hat der Kriegsausschuß auch
die Verteilung und Abgabe der Oele und Fette und der aus ihnen hergestellten
Waren zu regeln; die näheren Bestimmungen hierzu erläßt der Reichskanzler, je-
> en u. a. ausdrücklich die Verarbeitung bestimmter Oele und Fette zu Seife
verboten.
Die Vorschriften der Bekanntmachung beziehen sich nicht auf Fette und
Oele, die nach dem 11. November 1915 aus dem Auslande eingeführt sind
Nationalökonomische Gesetzgebung. 369
Bekanntmachung über den Verkehr mit Stroh und Häcksel.
Vom 8. November 1915 (RGBl. S. 743ff.. Auf Grund des Ges. vom
4. August 1914 (RGBl. S. 327). — Mit Ausführungsverordnung vom
18. November 1915 (RGBl. S. 773f.).
Wer Stroh an einen Anderen absetzen will, hat das Stroh der Bezugs-
vereinigung der deutschen Landwirte anzubieten. Diese kann die Ueberlassung
verlangen und hat einen angemessenen, nach oben durch Höchstpreise be-
enzten Uebernahmepreis zu zahlen. Die Weiterabgabe des Strohs durch die
gi e Se ist auf vom Reichskanzler bestimmte Stellen beschränkt.
ie oben erwähnten Höchstpreise gelten auch für den Verkauf des Strohs,
das die Bezugsvereinigung nicht hat übernehmen wollen, über das der Eigentümer
also frei verfügen darf. Beim weiteren Umsatz durch den Handel dürfen noch
insgesamt 4 Proz. sogana werden. Weiterhin werden auch für den Verkauf
von Häcksel durch den Hersteller und im weiteren Handel bestimmte Höchst-
preise festgesetzt. (Vgl. Bekanntmachung vom 27. November 1915 unten S. 372.)
Die Bestimmungen der Verordnung beziehen sich nicht auf Stroh, das nach
dem 8. November 1915 aus dem Auslande eingeführt worden ist. (Vgl. die
frühere Bekanntmachung vom 21. Oktober 1915, oben 8. 364.)
Bekanntmachung über die Ausdehnung der Verordnung
über den Verkehr mit Kraftfuttermitteln vom 28. Juni
1915 (RGBl. S. 399) auf weitere Futtermittel. Vom 8. No-
vember 1915 (RGBl. S. 747). Auf Grund der Bekanntmachung vom
28. Juni 1915 (RGBl. S. 399).
Die genannte Verordnung (vgl. Bd. 50, S. 327) soll auch auf Eicheln und
Roßkastanien Anwendung finden. \ gl. auch die erg rar en beg 5. August
en pe S. 349; 19. August 1915, oben S. 350; 13. September 1915, oben
Bekanntmachung über die Außerkraftsetzung der Ver-
ordnung über das Verbot des Vorverkaufs von Stroh
der Ernte des Jahres 1915 vom 21. Oktober 1915 (RGBl.
S. 682). Vom 10. November 1915 (RGBl. S. 749). Auf Grund der
Bekanntmachung vom 17. Juni 1915 (RGBl. S. 341).
Der Inhalt der Bekanntmachung geht aus der Ueberschrift hervor. (Vgl.
oben S. 364)
Bekanntmachung über Kaffee, Tee und Kakao. Vom 11.No-
vember 1915 (RGBl. S. 750) Auf Grund des Ges. vom 4. August
1914 (RGBl. S. 327).
Der Reichskanzler wird ermächtigt, Bestimmungen über Bestandsaufnahmen
ae reg und Preisgestaltung der genannten Waren zu treffen; auch
o
ist er befugt, die Vorschriften dieser Verordnung auf andere Kolonialwaren aus-
zudehnen. (Vgl. die Bekanntmachung vom 29. November 1915, unten S. 373.)
Bekanntmachung über die Regelung der Preise für Buch-
weizen und Hirse und deren Verarbeitungen. Vom 11. No-
vember 1915 (RGBl. S. 750ff.). Auf Grund des Ges. vom 4. August
1914 (RGBl. S. 327).
Der Reichskanzler wird ermächtigt, Erzeugerpreise für Buchweizen und Hirse
sowie Herstellerpreise für deren Verarbeitungen festzusetzen. Insoweit solche Preise
festgesetzt sind, sind Gemeinden mit mehr als 10000 Einwohnern verpflichtet,
andere Gemeinden sowie Kommunalverbände berechtigt, Kleinhandelshöchstpreise
festzusetzen. Endlich dürfen Buchweizen und Hirse nicht zu Branntwein ver-
arbeitet werden. (Vgl. Bekanntmachung vom 16. November 1915, unten S. 372.)
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 24
370 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Bekanntmachung über die Regelung der Preise für Ge-
müse und Obst. Vom 11. November 1915 (RGBl. S. 752ff.). Auf
Grund des Gesetzes vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Der Reichskanzler wird ermächtigt, Erzeugerpreise für Gemüse, Zwiebeln und
Obst sowie Herstellerpreise für Sauerkraut festzusetzen. Insoweit solche Preise
festgesetzt sind, sind Gemeinden mit mehr als 10009 Einwohnern verpflichtet,
andere Gemeinden sowie Kommunalverbände berechtigt, Kleinhandelshöchstpreise
festzusetzen.
Bekanntmachung über die Regelung der Preise für Obst-
mus und sonstige Fettersatzstoffe zum Brotaufstrich.
Vom 11. November 1915 (RGBl. S. 754f.). Auf Grund des Ges. vom
4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Der Reichskanzler wird SIBECHUBE für die genannten Gegenstände Hersteller-
preise festzusetzen. Insoweit solche Preise festgesetzt sind, sind Gemeinden mit
mehr als 10000 Einwohnern verpflichtet, andere Gemeinden sowie Kommunal-
verbände berechtigt, Kleinhandelshöchstpreise festzusetzen.
Bekanntmachung über den Maßstab für den Milchver-
brauch. Vom 11. November 1915 (RGBl. S. 757). Auf Grund der
Bekanntmachung vom 4. November 1915 (RGBl. S. 723). — Ergänzung
zu der Bekanntmachung vom 4. November 1915 (RGBl. S. 723), vgl.
oben S. 367.
Bei der Regelung der Milchversorgung ist Kindern bis zum vollendeten
zweiten Lebensjahre, soweit sie nicht gestillt werden, und stillenden Frauen ein
Liter Milch täglich, älteren Kindern Gi einschließlich der im Jahre 1902 ge-
borenen) ein halber Liter täglich, Kranken im allgemeinen die ärztlicherseits ver-
ordnete Milchmenge sicherzustellen. Falls die zur Verfügung stehende Milch-
menge hierzu nicht ausreicht, hat die Kürzung bei den älteren Kindern zu er-
folgen.
Bekanntmachung einer Aenderung zur Verordnung vom
14. Oktober 1915 (RGBl. S. 671) über das Verbot des An-
streichens mit Farben aus Bleiweiß und Leinöl. Vom
11. November 1915 (RGBl. S. 758). Auf Grund des Ges. vom 4. August
1914 (RGBl. S. 327).
Das genannte Verbot wird auf alle aus pflanzlichem oder tierischem Oel
hergestellte Farben ausgedehnt (vgl. oben S. 363).
Bekanntmachung betr. Einwirkung von Höchstpreisen
auf laufende Verträge. Vom 11. November 1915 (RGBl. S. 758 £f.).
Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Verträge über Lieferung von Butter, Kartoffeln, Fischen, Wild, Milch,
Buchweizen und Hirse und deren Verarbeitungen, Obstmus und sonstigen Fett-
ersatzstoffen zum Brotaufstrich, Obst, Gemüse, Zwiebeln und Sauerkraut, die zu
höhereren als den in den einschlägigen Höchstpreisverordnungen (vgl. oben S. 364 f.,
365, 371, 372) festgesetzten Preisen abgeschlossen sind, gelten mit dem In-
kraittreten des Höchstpreises (frühestens jedoch mit Inkrafttreten der vorliegenden
Verordnung) als zum Höchstpreis abgeschlossen, soweit die Lieferung zu diesem
Zeitpunkt noch nicht erfolgt ist. Bei Streitigkeiten, die jedoch die Lieferungs-
pflicht nicht aufheben oder aufschieben, kann jede Partei ein Schiedsgericht an-
rufen, das von den Landeszentralbehörden bestellt wird. (Für das Verfahren vor
diesen Schiedsgerichten ist eine besondere Anordnung vom 15. November —
RGBI. 8. 769 ff. — ergangen.)
Bekanntmachung über Abänderung der Bekanntmachung
über die Regelung der Kartoffelpreise vom 28. Oktober
Nationalökonomische Gesetzgebung. 371
1915 (RGBl. S. 711). Vom 11. November 1915 (RGBl. S. 760).
Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Die Abänderungen haben bereits bei der Inhaltsangabe der Bekannt-
un vom 9. und vom 28. Oktober (vgl. oben 8. 361 f. und 365) Erwähnung
gefunden.
Bekanntmachung betr. die private Schwefelwirtschaft.
Vom 13. November 1915 (RGBl. S. 761ff.. Auf Grund des Ges. vom
4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Der Kriegschemikalien-A.-G. in Berlin wird eine „Verwaltungsstelle für
rivate Schwefelwirtschaft“ A eg der es obliegt, das deutsche Wirtschafts-
eben mit den für andere als Heeres- und Marinezwecke erforderlichen Mengen
von Schwefelsäure und Oleum zu versorgen. Die Mittel werden durch eine Um-
lage von den Pigentümerj bzw. Erzeugern von Schwefelsäure usw. aufgebracht.
Noch nicht erfüllte Lieferungsverträge über Schwefel und Oleum treten außer
Kraft, auch wird der Reichskanzler ermächtigt, für Schwefel, schwefelhaltige Roh-
stoffe und Erzeugnisse Höchstpreise festzusetzen.
Bekanntmachung betr. Verbot der Ausfuhr und Durchfuhr
von Gold. Vom 13. November 1915 (RGBl. S. 763f.). Auf Grund
des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Der Inhalt der Bekanntmachung geht aus der Ueberschrift hervor. Der
Reichskanzler kann Ausnahmen zulassen.
Bekanntmachung betr. Einwirkung der Fürsorge für Ange-
hörige von Kriegsteilnehmern aufderen Unterstützungs-
wohnsitz. Vom 13. November 1915 (RGBl. S. 764). Auf Grund des
Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Unterstützungen auf Grund des Familienunterstützungsgesetzes bewirken,
soweit sie ganz oder zum Teil an Stelle solcher Unterstützungen treten, die bisher
von Armenverbänden wegen einer nicht nur vorüber eben Hilfsbedürftigkeit
ewährt worden sind, das Ruhen der einjährigen Frist für den Erwerb und Verlust
des Unterstützungswohnsitzes.
Bekanntmachung über die Vornahme einer Viehzählungam
1. Dezember 1915. Vom 15. November 1915 (RGBl. S. 675 ff.).
Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Die Viehzählung, eine sogenannte „kleine“, soll sich auf Pferde, Rindvieh,
Schafe, Schweine und Ziegen erstrecken. (Bisher haben während des Krieges
außerordentliche Viehzählungen stattgefunden am 15. März 1915, 15. April 1915 —
vgl. Bekanntmachung vom 4. März 1915, Bd. 50, S. 64 — und 1. Oktober 1915
— vgl. Bekanntmachung vom 26. August 1915, oben 8. 353.)
Bekanntmachung über die Festsetzung der Preise für Wild.
Vom 22. November 1915 (RGBl. S. 775f.). Auf Grund der Bekannt-
machung vom 28. Oktober 1915 (RGBl. S. 716, vgl. oben 8. 366).
Es werden für die einzelnen Arten von Wild bestimmte Höchstpreise fest-
gesetzt, die für die „ersten Verkäufe“ gelten; ausgenommen sind hiervon Verkäufe
unmittelbar an Verbraucher, die Mengen von 10 kg und weniger zum Gegen-
stande haben. Auch für Kleinhandelshöchstpreise, die auf Grund der Bekannt-
machung vom 28. Oktober 1915 erlassen werden (vgl. oben 8. 366), werden be-
stimmte Höchstgrenzen festgesetzt.
Verordnung über das Verbot der Durchfuhr von Tieren
und tierischen Erzeugnissen. Vom 25. November 1915 (RGBl.
S. 777).
24%
372 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Der Inhalt der Verordnung geht aus der Ueberschrift hervor. (Ein Ausfuhr-
verbot war bereits am 31. Juli 1914 — vgl. Bd. 49, S. 52 — erlassen worden.)
Bekanntmachung betr. Abänderung der Verordnung über
die Regelung des Absatzes von Erzeugnissen der Kar-
toffeltrocknerei und der Kartoffelstärkefabrikation
vom 16. September 1915 (RGBl. S. 585). Vom 25. November
1915 (RGBl. S. 778). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
S. 327).
Durch die Bekanntmachung vom 16. September (vgl. oben S. 356) war an-
geordnet worden, daß der Reichskanzler auch für ausländische Erzeugnisse der
genannten Art eine Ablieferungspflicht festsetzen kann. Diese Bestimmung wird
etzt dahin erweitert, daß er den Verkehr mit aus dem Auslande eingeführten
rzeugnissen der Kartoffeltrocknerei usw. beliebig regeln darf.
Bekanntmachung betr. Aenderung der Bekanntmachung
über die Sicherstellung von Kriegsbedarf vom 24. Juni
1915 (RGBl. S. 357). Vom 25. November 1915 (RGBl. S. 778 f.).
Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Die genannte Bekanntmachung (vgl. Bd. 50, S. 323) wird dahin erweitert,
daß die Eigentumsübertragung fürderhin nicht nur bei Gegenständen möglich ist,
die bei der Herstellung und dem Betriebe von Kriegsbedarfsartikeln zur Ver-
wendung gelangen können, sondern auch bei Gegenständen des er
selbst. (Vgl. auch die frühere abändernde Bekanntmachung vom 9. Oktober 1915,
oben 8. 361)
Bekanntmachung über die Erneuerung vernichteter Standes-
register. Vom 25. November 1915 (RGBl. S. 779 f.). Auf Grund
des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Falls bei einem Standesamte sowohl die Haupt- wie die Nebenregister des-
selben Jahres vernichtet sind, so sind die Register neu anzulegen.
Bekanntmachung betr. Anwendung der Vertragszollsätze
auf russisches Bau- und Nutzholz. Vom 25. November 1915
(RGBl. S. 781). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
S. 327).
Der Inhalt der Bekanntmachung geht aus der Ueberschrift hervor, sie bezieht
sich auf das aus den besetzten Teilen Rußlands eingeführte Holz. gl. die Be-
kapase vom 25. Februar 1915, Bd. 50, S. 63 und vom 1. Juli 1915, Bd. 50,
. 329.)
Bekanntmachung wegen Festsetzung anderer Preise im
Verkehr mit Stroh und Häcksel. Vom 27. November 1915
(RGBl. S. 783) Auf Grund der Bekanntmachung vom 8. November
1915 (RGBI. S. 743).
Die in der Bekanntmachung vom 8. November 1915 festgesetzten Höchst-
preise (vgl. oben S. 369) werden für den Monat Dezember 1915 um 15, Januar
1916 um 10, Februar 1916 um 5 M. erhöht.
Bekanntmachung über die Festsetzung von Preisen für
Buchweizen und Hirse und deren Verarbeitungen. Vom
16. November 1915 (RGBl. S. 785f.). Auf Grand der Bekanntmachung
vom 11. November 1915 (RGBl. S. 750).
Es werden zunächst für die genannten Gegenstände Erzeuger- bzw. Her-
stellerhöchstpreise festgesetzt; weiterhin werden auch für Kleinhandelshöchstpreise,
die auf Grund der Bekanntmachung vom 11. November 1915 (vgl. oben S. 369)
festgesetzt werden, bestimmte Höchstgrenzen angegeben.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 373
Bekanntmachung über eine weitere Abänderung der Be-
kanntmachung über die Regelung der Kartoffelpreise
vom 28. Oktober 1915 (RGBl. S. 711). Vom 29. November 1915
(RGBl. S. 787f.). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
S. 327).
Die Bekanntmachung enthält meist nur weniger wesentliche Bestimmungen,
deren Anführung hier zu weit führen würde. Die einzige wichtige ist in die In-
haltsangabe der Bekanntmachung vom 9. Oktober (vgl. oben S. 361 f.) eingearbeitet.
Bekanntmachung über die Abänderung der Verordnung
zur Regelung der Preise der Schlachtschweine und für
Schweinefleisch vom 4. November 1915 (RGBl. S. 725).
Vom 29. November 1915 (RGBl. S. 788 f.) Auf Grund des Ges. vom
4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Der Inhalt der Bekanntmachung ist bereits in die Inhaltsangabe der Be-
kanntmachung vom 4. November (vgl. oben S. 367) eingearbeitet.
Bekanntmachung über eine Bestandsaufnahme von Kaffee,
Tee und Kakao. Vom 29. November 1915 (RGBl. S 791 ff.). Auf
Grund der Bekanntmachung vom 11. November 1915 (RGBl. S. 750).
Stichtag der Bestandsaufnahme ist der 3. Januar 1916. Bestimmte kleinere
Vorräte unterliegen der Aufnahme, deren Durchführung den Gemeindebehörden
obliegt, nicht. (Vgl. die Bekanntmachung vom 11. November 1915, oben S. 369.)
Anhang 1.
Zusammenstellung der bisher erlassenen Bekanntmachungen, die
Regelungen und Beschränkungen des Verkehrs mit
bestimmten Gegenständen enthalten.
Backwaren (auch Brot) 28. 10. 14; 5. 1. 15; 18. 2. 15; 31. 3. 15; 28. 6. 15.
Bohnen (Speise-) 26. 8. 15; 11 9. 15; 16.9. 15; 20.9. 15; 26. 9. 15; 21. 10. 15.
Branntwein 15. 10. 14; 4. 2. 15; 4. 3. 15; 26. 3. 15; 31.3 15; 28. 4. 15;
20. 5. 15; 28. 6. 15; 25. 9. 15; 28. 10. 15.
Bucheckern 14. 10. 15.
Einkorn 28. 6. 15 und später (siehe Weizen).
Emer 28. 6. 15 und später (siehe Weizen).
Erbsen 26. 8. 15; 11. 9. 15; 16. 9. 15; 20. 9. 15; 26. 9. 15; 21. 10. 15.
Erdölpech 31. 3. 15; 29. 4. 15.
Ernte 1915 (Vorverkaufsverbot) 17. 6.15. Vgl. im übrigen die Einzelstich worte.
Farben (bestimmter Art) 14. 10. 15; 11. 11. 15.
Fette 21. 1. 15; 24. 6. 15; 9. 10. 15; 28. 10. 15; 8. 11. 15.
Fleisch 24. 6. 15; 28. 10. 15. _
Futtermittel (Kraft-) 31. 3. 15; 27. 5. 15; 28. 6. 15; 29. 6. 15; 23. 7. 15;
5. 8.15; 19. 8. 15; 13. 9. 15; 8. 11. 15.
Futtermittel (zuckerhaltige) 12. 2. 15; 15. 4. 15; 27.5. 15; 28. 6. 15;
23. 7. 15; 25. 9. 15.
Gerste 9. 3. 15; 17. 5. 15; 17. 6. 15; 28. 6. 15; 23. 7. 15; 11. 9. 15; 21. 10. 15.
Gerstenmehl 5.1.15; 25.1. 15; 6. 2. 15; 9.3. 15; 31. 3.15; 28. 6.15; 10. 7.15;
17. 7. 15; 23. 7. 15; 27. 7. 15; 28. 7. 16; 13. 8. 15; 19. 8. 15.
Häcksel 8. 11. 15; 18. 11. 15.
Hafer 21. 1. 15; 13. 2. 15; 24. 3. 15; 31. 3. 15; 17. 6. 15; 28. 6. 15; 11. 7. 15;
23. 7. 15; 9. 9. 15; 11. 9. 15.
Hafermehl 5. 1. 15; 21. 1. 15; 25. 1. 15; 6. 2. 15; 18. 2.15; 9.3.15; 31.3. 15;
28. 6. 15; 10. 7.15; 17. 7. 15; 23. 7. 15; 27. 7.15; 28. 7. 15; 13. 8. 15; 19. 8. 15.
Hülsenfrüchte 26. 8. 15; 11. 9. 15; 16. 9. 15; 20. 9. 15; 26. 9. 15; 21. 10. 15.
Kaffee 11. 11. 15.
374 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Kakao 11. 11. 15.
Kakaoschalen 19. 8. 15; 21. 8. 15.
Kartoffeln 28. 10. 14; 12. 4. 15; 9. 10. 15; 28. 10. 15.
Kartoffelerzeugnisse 28. 10. 14; 5. 11. 14; 22. 12. 14; 5. 1. 15; 25. 2. 15
31. 3. 15; 7. 7. 155 16.9. 15; 11. 10. 15; 1. 11. 15; 25. 11: 15.
Kartoffelmehl 22. 12. 14 (siehe im übrigen unter „Kartoffelerzeugnisse®).
Kerzen 25. 9. 15.
Kleie 19. 12. 14; 25. 1. 15; 9. 3. 15; 3°. 3. 15; 28. 6. 15; 23. 7. 15; 11.9. 15.
Kohle 12. 7. 15; 30. 8. 15.
Kolonialwaren 11. 11. 15.
Kraftfuttermittel siehe Futtermittel.
Linsen 26. 8. 15; 11. 9. 15; 16. 9. 15; 20. 9. 15; 26. 9. 15; 21. 10. 15.
Mais 11. 9. 15. Vgl. auch Kraftfuttermittel.
Malz 15. 2. 15; 9. 3. 15; 17.5. 15; 5. 8. 15.
Milch 2. 9. 15; 4. 11. 15; 11. 11. 15.
Nachprodukte der Zuckerfabrikation 8. 2. 15. Vgl. auch Futtermittel,
zuckerhaltige.
Oele 31. 3. 15; 29. 4. 15; 9. 10. 15; 14. 10. 15; 28. 10. 15; 8. 11. 15; 11.11. 15.
Oelfrüchte 22. 6. 15; 15. 7. 15; 24. 7. 15; 5. 8. 15. Vgl. auch Kraftfutter-
mittel.
Petroleum 8. 7. 15; 21. 10. 15.
Reis 22. 4. 15.
Roggen 28. 10. 14; 19. 12. 14; 5. 1. 15; 21. 1. 15; 25. 1. 15; 6. 2. 15; 9. 3. 15;
29: 4: -107 80: 5..15;.17.:6, 15428:8015; 10. 7: 155212, 7..155.23.7
27. 7. 15; 28. 7. 15; 13. 8. 15; 19. 8. 15; 11. 9. 15; 2. 10. 15.
Roggenmehl 28. 10. 14; 19. 12. 14; 5. 1. 15; 21.1. 15; 25. 1. 15; 6.
18..2.15;. 31. 3..15; 29. 4. 15;.28.:6; 155 10, 7 15; 17.7. 155.27.
28. 7.15; 13. 8. 15; 19. 8. 15; 11. 9. 15.
Rohzucker 19. 2. 15; 12. 3. 15; 17. 6. 15; 25. 9. 15.
Sahne 2. 9. 15.
Schweinefleisch 28. 10. 15.
Schwefel 13. 11. 15.
Spelz 28. 6. 15 und später (siehe Weizen).
Stroh 21. 10. 15; 8. 11. 15; 10. 11. 15; 18. 11. 15.
Tee 11. 11. 15.
Vieh 11. 9. 14; 19. 12. 14; 26. 8. 15.
Weizen 28. 10. 14; 19. 12. 14; 5. 1. 15; 21. 1. 15; 25. 1. 15; 6. 2. 15; 9.3. 1
29. 4. 15; 20. 5. 15; 17. 6. 15; 28. 6.15; 10. 7. 15; 12. 7. 155 283.7
27. 7.15; 28. 7. 15; 13. 8. 15; 19. 8. 15; 11. 9. 15; 2. 10. 15.
Weizenmehl 28. 10. 14; 19. 12. 14; 5. 1.15; 21.1. 15; 25. 1. 15; 6.2. 15;
18. 2. 15;.-31.. 3: 15; 29. 4. 15; 28: 6. 15; 10.72.15; 17. 7. 155 27.2.1;
28. 7.1; 13. 8. 15; 19. 8. 15; 11. 9. 15.
Zucker 31. 10. 14; 19. 12. 14; 14.1. 15; 12. 2. 15; 31.3. 15; 15. 4. 15; 27. 5.15;
15. 7. 15; 26. 8. 15.
Zuckerhaltige Futtermittel siehe Futtermittel.
Zuckerfabrikationsnachprodukte 8. 2. 15. Vgl. auch Futtermittel,
zuckerhaltige.
Zuckerrüben 4. 3. 15.
Nw
en
nEn
Anhang 2.
Zusammenstellung der bisher erlassenen Bekanntmachungen, die Preis-
vorschriften (Höchstpreise, Grundpreise und dgl. mehr)
für bestimmte Gegenstände enthalten.
Aluminium 10. 12. 14.
Aluminiumerzeugnisse 28. 12. 14; 13. 8. 15.
Ammoniak, schwefesaures 10. 12. 14; 27. 5. 15.
Antimon 10. 12. 14.
Bohnen 26. 8. 15.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 375
Bronze (alte) 10. 12. 14.
Buchweizen 11. 11. 15; 16. 11. 15.
Butter 22. 10. 15; 24. 10. 15; 29. 10. 15.
Erbsen 26. 8. 15.
Fette 8. 11. 15.
Fettersatzstoffe 11. 11. 15.
Fische 28. 10. 15.
Fleisch (Schweine-) 4. 11. 15; 29. 11. 15.
Futterkartoffeln 11. 12. 14; 11. 1. 15; 25. 2. 15; 16. 9. 15.
Futtermittel (Kraft-) 31. 3. 15; 28. 6. 15; 29. 6. 15; 5. 8. 15; 19. 8. 15.
Futtermittel (zuckerhaltige) 12. 2. 15; 15. 4. 15; 28. 6. 15; 25. 9. 15.
Gemüse 11. 11. 15.
Gerste 28. 10. 14; 19. 12. 14; 9. 3. 15; 26. 3. 15; 23. 7. 15.
Häcksel 8. 11. 15; 27. 11. 15.
Hafer 5. 11. 14; 19. 12. 14; 13. 2. 15; 23. 7. 15.
Hirse 11. 11. 15; 16. 11. 15.
Honig 11. 11. 15.
Hülsenfrüchte 26. 8. 15.
Kaffee 11. 11. 15.
Kakao 11. 11. 15.
Kartoffeln (Futter-) 11. 12. 14; 11. 1. 15; 25. 2. 15; 16. 9. 15.
Kartoffeln (Speise-) 23. 11. 14; 15. 2. 15; 31. 3. 15; 15. 4. 15; 9. 10. 15;
28. 10. 15; 11. 11. 15; 29. 11. 15.
Kartoffelerzeugnisse 11. 12. 14; 11.1. 15; 25. 2. 15; 15. 4. 15; 16. 9. 15.
Kleie 28. 10. 14; 19. 12. 14; 5. 1. 15; 19. 8. 15.
Kohle 12. 7. 15; 30. 8. 15.
Kolonialwaren 11. 11. 15.
Kunsthonig 11. 11. 15.
Kupfer 10. 12. 14.
Kupfererzeugnisse 28. 12. 14; 13. 8. 15.
Linsen 26. 8. 15.
Malz 17. 5. 15.
Marmelade 11. 11 15.
Messing (altes) 10. 12. 14.
Messingerzeugnisse 28. 12. 14; 13. 8. 15.
Milch 4. 11. 15.
Nickel 10. 12. 14.
Nickelerzeugnisse 30. 12. 14; 15. 6. 15; 13. 8. 15
Obst 11. 11. 15.
Obstmus 11. 11. 15.
Oele 8. 11. 15.
Oelfrüchte 15. 7. 15.
Petroleum 8. 7. 15; 21. 10. 15.
Reis 22. 4. 15.
Roggen 28. 10. 14; 19. 12. 14; 26. 3. 15; 23. 7. 15.
Rotguß 10. 12. 14
Rübensirup 11. 11. 15.
Sauerkraut 11. 11. 15.
Schwefel 13. 11. 15.
Schweine und Schweinefleisch 4. 11. 15; 29. 11. 15.
Stroh 8. 11. 15; 27. 11. 15.
Tee 11. 11. 15.
Weizen 28. 10. 14; 19. 12. 14; 26. 3. 15; 23. 7. 15.
Wild 28. 10. 15; 22. 11. 15.
Wolle und Wollwaren 22. 12. 14.
Zinn 10. 12. 14.
Zucker 31. 10. 14; 12. 2. 15; 27. 5. 15; 26. 8. 15.
Zuckerhaltige Futtermittel siehe Futtermittel.
Zwiebeln 11. 11. 15. (8. ©.)
376 Miszellen.
Miszellen.
VI.
Nachdruck verboten.
Der Kuur tang der deutschen Wechsel keine
Folge einer Entwertung des deutschen Geldes.
Von Dr. Otto Heyn, Nürnberg.
Die Tatsache, daß der Kurs der deutschen Wechsel im Auslande
jetzt!) um 12—18 Proz. niedriger notiert wird als vor Kriegsbeginn,
wird von vielen darauf zurückgeführt, daß das deutsche Geld eine
„Entwertung“ erlitten habe, die nun in dem Kursrückgang zum Aus-
druck komme. Das wird um so mehr geglaubt, als es hauptsächlich
Länder mit Goldwährung sind — Holland, Schweiz, Vereinigte Staaten —,
in denen der Kursrückgang stattgefunden hat, und Gold überall für den
untrüglichen internationalen Wertmaßstab gilt. Unter „Entwertung“
des Geldes versteht man dabei nicht etwa eine einfache für das Geld
ungünstige Verschiebung des Wertverhältnisses zwischen Geld und
anderen Tauschgütern, namentlich also Waren, wie sie sich in dem
Steigen der Warenpreise darstellt, sondern eine qualifizierte Verschie-
bung dieser Art, nämlich eine solche, die durch Ursachen, die auf der
Geldseite liegen — dahin rechnet man in erster Linie eine übermäßige
Vermehrung der Geldmenge — herbeigeführt wird.
Ist das richtig?
I. Wie ist der Rückgang des Kurses der deutschen Wechsel im
Auslande zu erklären?
Der Staatssekretär des Reichsschatzamtes Professor Dr. Helfferich
hat sich über die Gründe des Kursrückganges der deutschen Wechsel
im Auslande in der Sitzung des Reichstags vom 19. März, und wieder-
holt am 20. August 1915 unter Ablehnung der Ansicht, daß ein „Zu-
sammenhang mit der inneren Stärke unserer finanziellen Position“ be-
stehe, dahin ausgesprochen, daß der Kursrückgang „auf gewissen
technischen Momenten unseres auswärtigen Verkehrs“ beruhe und, „kurz
zusammengefaßt, in der starken Unterbindung unseres Exports und der
Sperrung unserer Kapitalanlagen im Auslande“ seinen Grund finde.
Infolgedessen stehe dem „Bedarf an Zahlungsmitteln“ für das Ausland
„kein entsprechendes Angebot“ gegenüber.
Das ist zutreffend, kann aber für unsere Untersuchung nicht ge-
nügen. Wir müssen schon etwas näher auf die in Betracht kommenden
Faktoren eingehen und dazu auf die Theorie der ausländischen Wechsel-
kurse zurückgreifen. Dabei ist stets im Auge zu behalten, daß der
Kurs eines ausländischen Wechsels der Preis ist, den der Käufer eines
solchen Wechsels, also einer auf ausländisches Geld lautenden und
im Auslande zahlbaren Forderung, im Inlande zahlt.
1) Der Aufsatz ist im Oktober 1915 geschrieben worden.
Miszellen. 377
Wir gehen am besten von den Verhältnissen aus, wie sie bestehen,
wenn beide in Betracht kommenden Länder, dasjenige Land, in dem
sich der Verkauf des ausländischen Wechsels vollzieht (Inland), und
dasjenige, in dem der Wechselverpflichtete zu zahlen hat (Ausland),
offene Goldwährung haben.
In Ländern mit offener Goldwährung bewegt sich bekanntlich der
Kurs der Wechsel auf andere Länder mit offener Goldwährung zwischen
zwei (ziemlich) festen, nicht weit voneinander entfernten Grenzen, den
sogenannten Goldpunkten, deren einem oder anderem er sich nähert, je
nachdem das Angebot oder die Nachfrage nach den betreffenden
Wechseln überwiegt. Tiefer als auf den sogenannten Goldimport-
punkt kann der Kurs nicht sinken, weil es sonst für den Besitzer vor-
teilhafter sein würde, die Valuta seines Wechsels an dem ausländischen
Zahlungsorte einkassieren zu lassen, das erhaltene Goldgeld zu im-
portieren und es im Inlande zu dem durch den Münzfuß bestimmten
festen Preise zu verkaufen oder ausprägen zu lassen.
Diese durch den Goldimport bestimmte untere Grenze für den
Wechselkurs bestand bis zum Ausbruch des Krieges auch für die
deutschen Wechsel im Auslande, z. B. in den Vereinigten Staaten von
Amerika. Seitdem hat das aber aufgehört. Seitdem werden ja Wechsel
in Deutschland nur noch mit Noten bezahlt, und die Möglichkeit, diese
Noten in Gold umzusetzen, besteht nicht mehr, da die Reichsbank von
der Verpflichtung zur Einlösung ihrer Noten entbunden ist und auch
freiwillig kein Gold mehr abgibt. Soweit der Wechsel über Forde-
rungen ausgestellt ist, die vor dem 31. Juli 1914 entstanden sind,
hängt es sogar vorerst ganz von dem guten Willen des Schuldners ab,
ob er zahlt, denn solche ausländischen Wechsel können vor den inlän-
dischen Gerichten nicht geltend gemacht werden, und wenn der Wechsel-
gläubiger ein Engländer, Franzose oder Russe oder deren Rechtsnach-
folger ist, so darf sogar (seit dem 30. September 1914 bzw. etwas
später) keine Zahlung geleistet werden. Der deutsche Wechsel ist also
zurzeit nicht mehr wie früher eine Forderung auf Gold und stellt in
gewissen — recht zahlreichen — Fällen überhaupt keinen gerichtlich
realisierbaren Anspruch mehr dar, vielfach sogar nur einen Anspruch,
der nicht einmal freiwillig erfüllt werden darf.
Infolge der Aufhebung der festen Verbindung unseres Geldes mit
dem Golde konnte der Kurs der deutschen Wechsel, auch derjenigen,
die jetzt noch eingeklagt werden können — die übrigen lassen wir
überhaupt außer acht — im Auslande unter den Goldimportpunkt
sinken. Ob er darunter sank, hing und hängt noch von der Gestaltung
von Angebot und Nachfrage ab. In dieser Beziehung ist nun seit
Kriegsbeginn, wie schon der Staatssekretär Helfferich ausgeführt hat,
eine wesentliche Aenderung zuungunsten Deutschlands eingetreten. Wir
wollen ganz davon absehen, daß diejenigen Ausländer, welche Deutsch-
land aus der Zeit vor dem Kriege Geld schuldeten und daher unter
normalen Umständen Käufer für deutsche Wechsel gewesen wären,
wegen der in den feindlichen Ländern erlassenen Zahlungsverbote und der
fast überall sonst verfügten Zahlungsmoratorien jetzt ausblieben; denn
auf der anderen Seite verminderte sich auch das Angebot deutscher
378 Miszellen.
Wechsel, da Forderungen des Auslandes an Deutschland ebenfalls nicht
geltend gemacht werden konnten. Hauptgrund für die ungünstige Ver-
schiebung von Angebot und Nachfrage deutscher Wechsel im Auslands
war der Umstand, daß Deutschland trotz aller Hindernisse, die ihm
namentlich England in den Weg legte, immer noch große Mengen an
Rohstoffen und Lebensmitteln importierte, während unser Export zu-
nächst ganz aufhörte und später nur in sehr beschränktem Umfangs
wieder aufgenommen und fortgeführt werden konnte. Ferner war von
Einfluß, daß unsere Schiffahrt, mit der wir früher große Frachtforde-
rungen erwarben, ganz eingestellt werden mußte. Endlich gingen die Zinsen
und Dividenden unserer im Auslande angelegten Kapitalien nicht ein.
Ein gewisser Ausgleich ergab sich allerdings daraus, daß wir an Stelle
der Waren in großem Umfange Wertpapiere exportierten. Dieser Export
erfolgte aber zum großen Teil erst in späterer Zeit, begünstigt durch das
schon eingetretene Sinken des Kurses, und war nur imstande, einen
noch weiteren Rückgang des Kurses zu verhüten oder abzuschwächen.
Unter diesen Umständen, namentlich also infolge der ungünstigen
Veränderung von Export und Import, mußte notwendig eine solche Ver-
schiebung von Angebot und Nachfrage für deutsche Wechsel im Aus-
lande eintreten, daß die in geringerer Zahl vorhandenen Nachfragenden
keine Veranlassung hatten, den früheren Preis für den deutschen
Wechsel anzubieten. Sie konnten also mit ihrem Preisangebot zurück-
gehen und taten das natürlich auch, und zwar ihrem Vorteil ent-
sprechend so weit wie möglich.
Aus dem gleichen Grunde waren die Besitzer deutscher Wechsel
im Auslande gezwungen, Konzessionen zu machen. Sie hatten aber
keine Veranlassung jedem Drucke nachzugeben und ihre Preisforderung
auf ein Minimum zu ermäßigen. Denn wenn sie ihren Wechsel nicht
verkauften, so blieb ihnen immer noch die Möglichkeit einer ander-
weitigen Verwertung. Sie konnten zunächst abwarten, ob nicht die
Konjunktur sich bessere, vor allem, ob nicht der frühere Zustand der
offenen Goldwährung in Deutschland und damit das Kursminimum des
Goldimportpunktes bald wiederhergestellt werden würde. Erschien das
zu unsicher, so blieb die Möglichkeit, den Wechsel auf dem Wege des
Inkassos zu verwerten. Das konnte freilich nicht mehr wie früher
durch Goldimport geschehen, aber doch in der Weise, daß sie für das
beim Inkasso erhaltene deutsche Notengeld in Deutschland Waren oder
Wertpapiere kauften, diese importierten und in ihrem Heimatlande
wieder verkauften. Das Ergebnis einer derartigen Operation mußte fiir
sie, wenn sie nicht warten wollten, das Minimum des Preises bilden,
den sie im Falle der Veräußerung des Wechsels von ihrem Käufer
forderten. Da das in gleicher Weise für alle Besitzer deutscher Wechsel
im Auslande galt, so bildete das Ergebnis einer solchen In-
kassooperation das Minimum des Kurses der deutschen
Wechsel im Auslande überhaupt.
Wodurch wird nun das Ergebnis einer solchen Inkassooperation
bestimmt ? a
Es ist klar, daß dieses Ergebnis in erster Linie (und abgesehen
von den erwachsenden Spesen ausschließlich) dadurch bestimmt wird,
Miszellen. 379
zu welchen Preisen dasjenige Gut, dessen Export aus dem Lande des
Wechselverpflichteten und Import nach dem Lande des Wechselbesitzers
zu erfolgen hat, in dem ersteren Lande eingekauft, und in dem letzteren
verkauft werden kann. Je niedriger die Preise, die beim Einkauf be-
zahlt werden müssen, jə höher die Preise, die beim Verkauf zu er-
zielen sind, und je geringer die Kosten und Spesen, die durch Ver-
mittlergebühren, Stempel, Fracht und Porti, Versicherung etc. erwachsen,
um so größer die Summe einheimischen Geldes, die der Wechselbesitzer
schließlich als Ergebnis seiner Operation erhält.
Es liegt auf der Hand, daß nicht jedes Gut geeignet ist, den
Gegenstand der vorzunehmenden Kauf- und Verkaufsoperation zu bilden.
In Frage kommen nur die sogenannten „internationalen Werte“ oder
doch solche, die in beiden in Betracht kommenden Ländern einen Markt
haben, namentlich solche, die in großen Mengen auf Termin gehandelt
werden. Andernfalls würden infolge starker Preissteigerung beim An-
kauf und starken Preisrückganges beim Wiederverkauf zu große Ver-
luste entstehen. Von Waren sind deshalb nur große Massenartikel ge-
eignet, wie Metalle, Getreide, Baumwolle, Kaffee, Zucker u. dgl., von
Effekten nur die sogenannten internationalen Effekten, wie die Anleihe-
papiere großer Staaten, amerikanische Eisenbahnobligationen und -aktien,
gewisse Kategorien von Spekulationspapieren etc. Soweit möglich,
müssen überdies solche Waren oder Wertpapiere gewählt werden, die
zurzeit auch im gewöhnlichen Verkehr nach dem Lande des Wechsel-
besitzers importiert oder wenigstens nicht von dort exportiert werden.
Dann liegen nämlich die Preisverhältnisse am günstigsten, während
sich anderenfalls schon aus der Differenz der in den beiden Ländern
geltenden Preise an sich Verluste ergeben. Mit Rücksicht hierauf würde
z. B. bei der Inkassoverwertung eines deutschen Wechsels seitens eines
Amerikaners der Ankauf von Baumwolle oder Kupfer in Deutschland
zum Zwecke des Imports nach Amerika im allgemeinen nicht oder doch
nur im Notfall in Frage kommen.
Unter mehreren Möglichkeiten wird natürlich stets die vorteil-
hafteste gewählt.
Die Inkassoverwertung eines deutschen Wechsels durch den Import
von Waren bot nun nach Kriegsausbruch nur gehr geringe Chancen.
Denn die für eine solche Operation an sich geeigneten Waren kamen
zumeist schon aus dem Grunde nicht in Betracht, weil sie — abgesehen
von Zucker und Zink — Gegenstände regelmäßigen Imports von Deutsch-
land sind und zum Teil gerade aus denjenigen Ländern eingeführt
werden, die hier speziell in Frage stehen, z. B. die Vereinigten Staaten
von Amerika. Ihr Export aus Deutschland war überdies — und das
gilt auch für Zucker und Zink — ausgeschlossen, weil er durch die
Reichsregierung verboten war. Für den Export nach Amerika kam
hinzu, daß die Engländer den Seetransport nicht zuließen. Abgesehen
hiervon stand auch der Umstand entgegen, daß sich bei ihrer Wahl
zumeist ein sehr ungünstiges Resultat ergeben hätte, weil ihre Preise
bald nach Kriegsausbruch in Deutschland stark stiegen, im Auslande
aber auf normaler Höhe blieben. Sie hätten also sehr teuer eingekauft
und zu wesentlich niedrigeren Preisen verkauft werden müssen.
380 Miszellen.
Waren bilden aber überhaupt, auch unter normalen Verhältnissen,
nur ausnahmsweise den Gegenstand der hier fraglichen Operationen,
vielmehr kommen fast ausschließlich Effekten in Betracht. Das erklärt
sich teils daraus, daß bei Effekten im allgemeinen weniger Spesen ent-
stehen, teils daraus, daß diejenigen, welche die Verwertung eines Wech-
sels auf dem Inkassowege in Erwägung ziehen und eventuell vornehmen,
in der Regel solche Personen (namentlich Bankiers) sind, denen die
Verhältnisse am Effektenmarkt näher liegen.
Der Besitzer eines deutschen Wechsels im Auslande hatte sich also
bei der Festsetzung des Preises für dessen Veräußerung die Frage vor-
zulegen, mit welchem Ergebnis ein solcher Wechsel auf dem Inkasso-
wege durch Ankauf und Import internationaler Effekten verwertet wer-
den könnte.
Vor dem Kriege wäre nun eine derartige Verwertung, wenn auch
vielleicht nicht mit gleich günstigem Ergebnis wie durch Goldimport,
so doch nicht viel ungünstiger möglich gewesen, weil die Kurse der
internationalen Effekten stets in einem durch die Arbitrage aufrecht
erhaltenen labilen Gleichgewicht stehen, so daß namentlich, wenn nicht
„gegen den Strich“ operiert wird, gar keine oder doch nur geringe
Verluste entstehen. So hätte z. B., wie sich aus der nachfolgenden
Tabelle ergibt, ein Amerikaner als Besitzer eines deutschen Wechsels
am 25. Juli für dessen Valuta Baltimore & Ohio shares in Berlin zum
Kurse von 76!/, Proz. einkaufen, und in New York zum Kurse von
78 Proz. verkaufen können, und ebenso günstig hätte sich die Sachlage bei
der Wahl von Canada Pacific shares gestaltet. Die Differenz von 1!/,
bzw. 3!/, Proz. würde zur Deckung der Spesen überreichlich genügt haben.
Nach Ausbruch des Krieges änderte sich aber dieses Verhältnis.
Die Kurse dieser shares — und ähnlich war die Bewegung bei anderen
Effekten — gingen in New York zurück, während sie in Berlin stiegen
bzw. weit weniger fielen. Der Ankauf einer gleichen Menge Effekten
erforderte also in Berlin einen größeren Aufwand an deutschem Gelde,
während der Verkauf in New York einen geringeren Erlös brachte.
Für Canada Pacific shares brauchte allerdings weniger deutsches Geld
beim Ankauf angewendet zu werden, aber beim Verkauf in New York
wurde noch viel weniger gelöst. Die Folge war: das Ergebnis einer
Inkassooperation zur Verwertung deutscher Wechsel seitens ameri-
kanischer Besitzer erfuhr, wenn zum Gegenstande dieser Operation
Baltimore & Ohio oder Canada Pacific shares gewählt wurden, im Ver-
gleich mit den Zeiten vor dem Kriege eine wesentliche Minderung.
Die Wahl anderer shares oder Bonds oder Spekulationspapiere würde
aber ein ebenso ungünstiges Resultat ergeben haben, da das Verhältnis
der Kurse dieser Papiere in beiden Ländern kein günstigeres war.
Hieraus ergab sich die Konsequenz, daß der Amerikaner, der vor der
Frage stand, zu welchem Kurse er einen deutschen Wechsel beim Ver-
kauf weggeben sollte, seine ursprünglich vielleicht auf der gewohnten
Höhe gehaltene Forderung entsprechend ermäßigte. Da die Verhältnisse
für jedermann gleich lagen, so mußte hieraus weiter folgen, daß das
Kursminimum der deutschen Wechsel in Amerika entsprechend
niedriger wurde.
Miszellen. 381
Wenn nun in dieser Weise nach Kriegsbeginn auf der einen Seite
das Verhältnis von Angebot und Nachfrage für deutsche
Wechsel in Amerika sich ungünstiger gestaltete, auf der anderen Seite
die untere Preisgrenze für die Abgabe solcher Wechsel durch
den Besitzer tiefer gelegt wurde, so war es unausbleiblich, daß der
Kurs dieser Wechsel in New York zurückging!).
Daß die Verhältnisse in anderen Ländern ähnlich lagen, wird einer
weiteren Ausführung nicht bedürfen.
Kurse.
Sichtwechsel Auszahlungen
Damm auf Berlin New York Baltimore & Ohio shares Canada Pacific shares
in New York in Berlin Berlin New York Berlin New York
1914. Cents für 4M Mf.i$
1. Mai 95/4 4,19°/, 91,10 90!/, 192,70 194'/,
(30./4. 192'/,)
1. Juni . 4,19 91,50 90'/, 199'/, 19475
1. Juli 951/4 4,19'/, 89,75 89), 196%), 193%),
15. Juli 95"/ia 4,20 88,50 87°/, 186,10 1857/3
20. Juli 95'e 4,19 76,50 78 174,80 178),
1915.
1. Mai 82°/, 4,87!/, ; 77h š 165'/,
1. Juni 83 4,85 80 7h 163 1541/5
1. Juli 81 4,94 87 76'/, 159 143'/,
31. Juli 81°% 4,99 92'/, 79°/; 160 144
1. Sept. 80°, 4,96 96 81!/, 165 150°/,
1. Okt. 84, 4,81 98,25 87), 169 1571),
1) Mit der Darlegung im Texte steht keineswegs im Widerspruch, daß die Kurse
der internationalen Effekten z. B. in Berlin und in New York wesentlich mitbedingt
werden durch den Stand der Wechselkurse. Der Einfluß ist nämlich ein gegen-
seitiger, wobei der Gegenwartswert des einen Faktors auf den Zukunftswert des
anderen einwirkt. Es wäre gar nicht ausgeschlossen, daß der Kursrückgang der deutschen
Wechsel in New York sich so abgespielt hätte, daß zunächst infolge des Nachlassens
der Nachfrage die Besitzer solcher Wechsel, weil ihnen der angebotene Preis zu niedrig
war, wirklich eine Inkassooperation unter Ankauf von Baltimore & Ohio oder Canada
Pacific shares in Deutschland vorgenommen und dadurch hier deren Kurse in die Höhe
getrieben bzw. vor gleichem Fall wie in New York bewahrt hätten, während sie gleich-
zeitig durch deren Verkauf in New York auf den dortigen Kurs einen Druck ausübten;
daß dann die hierbei gemachte ungünstige Erfahrung, bestehend in der Erzielung eines
durch nachteilige Preisänderungen sowohl beim Ankauf wie beim Verkauf der shares
geschmälerten Resultats, und später die Voraussicht, daß sich dieses Resultat bei jeder
Wiederholung einer solchen Operation nur verschlechtern könne, die Besitzer deutscher
Wechsel in Amerika zu immer weiterem Nachgeben in ihren Preisforderungen beim
Verkauf ihrer Wechsel veranlaßte.
Die Kurserholung, die Ende September 1915 eingetreten ist, erklärt sich in
natürlicher Weise daraus, daß mit dem damaligen Wegfall der englischen Arbitrage-
verkäufe das Angebot deutscher Wechsel in New York sich verminderte, daß ferner in-
folge der Beteiligung der Amerikaner an der dritten deutschen Kriegsanleihe die Nach-
frage sich vermehrte und daß beides, verbunden vielleicht mit der Erwartung einer
baldigen für Deutschland günstigen Beendigung des Krieges, den Besitzern solcher Wechsel
eine größere Zurückhaltung und eine Erhöhung der eigenen Preisforderung ermöglichte.
Diese Erhöhung des Wechselkurses aber mußte ebenso begreiflicherweise zur Folge haben,
daß die Kurse der genannten shares an der Berliner Börse verhältnismäßig zurück-
gingen (in Wirklichkeit weniger stark stiegen als in New York), weil mit der ein-
getretenen Erhöhung des deutschen Wechselkurses in New York das Ergebnis einer
Verwertung dieser Effekten durch Verkauf in New York eine Schmälerung erfuhr.
382 Miszellen.
II. Ist der Kursrückgang der deutschen Wechsel im Auslande auf
eine Entwertung des deutschen Geldes zurückzuführen ?
Es bleiben jetzt für uns die Fragen zu beantworten, ob
1) die ungünstige Verschiebung des Verhältnisses von Angebot und
Nachfrage, die zu einem Teile, wie wir sahen, in anderen Ursachen
wurzelte, zum anderen Teile auf eine Entwertung des deutschen
Geldes zurückzuführen ist, und
2) ob die Herabdrückung des Kursminimums der deutschen Wechsel
in New York durch die Minderung des Ergebnisses einer Verwertung
dieser Wechsel auf dem Inkassowege, die infolge der von New York ab-
weichenden Kursbewegung der amerikanischen Effekten in Berlin ein-
trat, ganz oder zum Teil in einer Entwertung des deutschen Geldes
ihren Grund findet.
Was den ersten Punkt anlangt, so hätte auf die Gestaltung des
Verhältnisses von Angebot und Nachfrage für deutsche Wechsel (d. h.
darauf, wie viel solcher Wechsel [genauer: wie große Summen] zum
Angebot gebracht bzw. nachgefragt wurden) eine Entwertung des
deutschen Geldes selbst überhaupt keinen Einfuß üben können. Nur
die Furcht vor einer künftigen Entwertung oder vor der Vergrößerung
einer schon eingetretenen bzw. die Annahme eines solchen Geschehens
wäre imstande gewesen, eine solehe Wirkung auszuüben. In folgender
Weise. Es wäre zunächst denkbar, daß Ausland und Inland sich durch
die Furcht vor einer Entwertung des deutschen Geldes zu wirtschaft-
lichen Maßnahmen hätten drängen lassen, die entweder zu einer Ver-
mehrung des Angebots oder zu einer Verminderung der Nachfrage
deutscher Wechsel im Auslande führen mußten. Das Ausland hätte
einerseits kündbare Kapitalien, die in Deutschland angelegt waren,
zurückziehen, andererseits von der Neuanlage solcher Kapitalien durch
Darlehnsgewährung Abstand nehmen können. Das Inland hätte dazu
schreiten können, sein Kapital im Auslande in Sicherheit zu bringen
und sich zu diesem Zwecke durch Wechselverkauf Guthaben im Aus-
lande zu beschaffen. Ferner hätte die Baissespekulation eine große
Tätigkeit entfalten und mehr oder weniger bedeutende Leerverkäufe in
deutschen Wechseln unternehmen können. Endlich konnten Besitzer
von deutschen Wechseln, die dem gewöhnlichen kaufmännischen Verkehr
entsprangen, diese früher zum Angebot bringen, als es sonst geschehen
sein würde.
Indessen, die Zurückziehung von Kapital seitens des Auslandes
war nicht möglich, da gleich nach Kriegsbeginn auch in Deutschland
ein Auslandsmoratorium erlassen wurde; Baissemanöver dürften bei der
großen Unsicherheit der Gestaltung der Dinge nicht vorgenommen sein !),
und wenn Darlehnsgewährungen ausblieben, so geschah das jedenfalls
nicht aus Furcht vor einer Entwertung des deutschen Geldes, sondern
1) In späterer Zeit, namentlich Ende 1915 und Anfang 1916, sind Baisse-
operationen wahrscheinlich seitens Englands vorgenommen worden, aber als Kampf-
mittel, nicht aus Furcht vor oder in Voraussicht einer Entwertung des deutschen Geldes.
Miszellen. 383
weil diejenigen, bei denen Deutschland derartige Kredite in Anspruch
nimmt, Engländer und Franzosen, als unsere Feinde nicht zahlen
wollten und auch bei schwerer Strafe nicht zahlen durften. Deutsches
Kapital mag in gewissem Umfange im Auslande in Sicherheit gebracht
worden sein, aber wenn das geschah, so geschah es doch nur am An-
fang des Krieges, als die Siegeshoffnung noch nicht Oberhand gewonnen
hatte, und dann nicht aus Furcht vor einer Entwertung des deutschen
Geldes, sondern aus Furcht vor einer Beschlagnahme des vorhandenen
Vermögens seitens eindringender Feinde!), Dann bleibt noch der Fall
einer zeitlichen Verschiebung des Angebots deutscher Wechsel. Diese
aber hätte darin ihren Ausgleich finden müssen, daß dann später eine
entsprechende Verminderung des Angebots eingetreten wäre.
Im ganzen wird man also annehmen dürfen, daß, wenn sich eine
ungünstige Verschiebung des Mengenverhältnisses von Angebot und
Nachfrage deutscher Wechsel ergab, diese auf andere Ursachen zurück-
zuführen war als auf eine Entwertung, ja auch nur auf die Furcht vor
einer Entwertung des deutschen Geldes.
War aber vielleicht die (absolute bzw. relative) Steigerung der
Kurse der amerikanischen Effekten in Berlin, die wir als Ursache der
Minderung des Ergebnisses einer Inkassoverwertung deutscher Wechsel
seitens amerikanischer Besitzer und damit zugleich als Ursache der
Tieferlegung der unteren Preisgrenze für die Abgabe deutscher Wechsel
in Amerika kennen gelernt haben, auf eine Entwertung des deutschen
Geldes zurückzuführen ?
Unter „Entwertung“ des deutschen Geldes versteht man, wie
bereits hervorgehoben, nicht eine einfache, für das Geld ungünstige
Verschiebung des Wertverhältnisses zwischen Geld und Ware, die auf
den verschiedensten Ursachen, bei Waren z. B. auf der Erhöhung ihrer
Brauchbarkeit, der Verminderung ihrer Produktionskosten, auf der Ver-
größerung der Kaufkraft der Nachfragenden, bei Effekten auf einer
Vergrößerung oder Verminderung ihrer Sicherheit beruhen kann, son-
dern eine solche Wertverschiebung (Wertverringerung), die auf Ur-
sachen auf der Geldseite zurückzuführen ist.
Zu diesen Ursachen gehört unter allen Umständen Mißtrauen,
mit anderen Worten Zweifel an der Erhaltung der (vermeintlichen)
„Wertkonstanz“ oder „Wertstabilität“ des Geldes. Mißtrauen veranlaßt
jeden Geldbesitzer, sein Geld billiger abzugeben, um wertbeständigere
Güter dafür einzutauschen, und jeden Gelderwerber, namentlich aber
denjenigen, der Geldforderungen mit späterem Verfalltermin erwirbt
(wie beim Verkauf auf Kredit), unter Berechnung einer Risikoprämie
höhere Preise zu fordern. Da das binnen kurzer Zeit ganz all-
gemein geschieht, so sinkt der Tauschwert des Geldes gegenüber allen
Waren, und damit ist eine allgemeine Entwertung des Geldes (die aber
nicht allen Gütern gegenüber gleich groß zu sein braucht) eingetreten.
Dieser Fall kommt aber hier nicht in Betracht, denn Mißtrauen zu
1) Ende des Jahres 1915 auch vielleicht im Hinblick auf die angekündigte Kriegs-
gewinnsteuer.
384 Miszellen.
unserem deutschen Gelde hat glücklicherweise während des Krieges in
Deutschland nicht geherrscht.
Außer Mißtrauen zählt man zu den Ursachen einer qualifizierten
Geldentwertung nur noch die übermäßige Vermehrung der
Menge des Geldes. Ob ein derartiger Zustand der „Inflation“ zur-
zeit in Deutschland besteht, oder ob diejenigen, die das annehmen, sich
im Irrtum befinden, brauchen wir an dieser Stelle nicht zu untersuchen !).
Jedenfalls kann eine Vermehrung der Geldmenge, wenn sie nicht Miß-
trauen hervorruft, nur in der Weise eine Entwertung des Geldes herbei-
führen, daß sie die Nachfrage nach den einzelnen Tauschgütern steigert
und dadurch deren Preise in die Höhe treibt. Eine derartig gesteigerte
Nachfrage könnte ja nun an sich auch die Ursache für die teils ab-
solute, teils wenigstens relative Preissteigerung sein, die, wie oben dar-
gelegt, die amerikanischen Effekten in Berlin erfahren haben. Das trifft
jedoch nicht zu. Denn dann hätte ein Strom von amerikanischen
Effekten aus Amerika nach Deutschland fließen müssen, um der ge-
steigerten Nachfrage deutscher Interessenten nach diesen Effekten zu
genügen, und zwar um so mehr, als Amerika bei der allgemeinen
Ueberlastung des dortigen Marktes mit dieser Art Effekten der Abfluß
eines Teiles derselben sehr willkommen gewesen wäre. Das ist aber,
wie jedermann weiß, nicht geschehen. Vielmehr hat Deutschland
einen großen Teil seines Besitzes an solchen Papieren abgestoßen.
Der Strom ist also in entgegengesetzter Richtung geflossen.
Hiermit kommen wir zu dem Resultate, daß der Kursrückgang der
deutschen „Valuta“, wie man mißverständlich zu sagen pflegt, in einer
(qualifizierten) Entwertung des deutschen Geldes seine Ursache nicht
gehabt hat. Er waren vielmehr, wie gezeigt, andere Faktoren maß-
gebend, technische Momente, wie sie der Staatssekretär Dr. Helfferich
genannt hat: zunächst 1) die Einstellung der Goldzahlungen Deutsch-
lands; sodann 2) die ungünstige Verschiebung von Angebot und Nach-
-frage für unsere Wechsel im Auslande, hervorgerufen einerseits durch
die enorme Einschränkung unseres Exports, die Sperrung unserer Forde-
rungen im Auslande und den Wegfall unserer Frachteinnahmen aus dem
Seetransport, andererseits durch die Fortdauer eines beträchtlichen Im-
ports; endlich 3) die zunehmende Verschlechterung der Chancen einer
Verwertung der deutschen Wechsel auf dem Inkassowege, hervorgerufen
durch das (absolute oder relative) Steigen der Berliner Kurse der für
eine solche Inkassoverwertung geeigneten internationalen Effekten, dessen
Ursache nicht in einer „Entwertung“ des deutschen Geldes, sondern in
anderen Momenten zu suchen ist.
III. Ist eine „Entwertung“ des deutschen Geldes überhaupt
eingetreten ?
Die Frage, ob überhaupt eine Entwertung des deutschen Geldes in
der qualifizierten Bedeutung dieses Wortes, also hervorgerufen durch
1) Vgl. darüber S. 388.
Miszellen, 385
Ursachen, die auf der Geldseite liegen, eingetreten ist, läßt sich auf
Grund der vorstehenden Ausführungen noch nicht beantworten. Bisher
ist nur festgestellt worden, daß keine Entwertung des Geldes aus Miß-
trauen eingetreten ist, da Mißtrauen zum Gelde in Deutschland nicht
geherrscht hat. Es können ja aber noch andere Ursachen in Betracht
kommen.
Vor weiteren Erörterungen muß nun erst einmal der Begriff der
„Entwertung“ des Geldes klargestellt werden. Erst dann, wenn das
geschehen ist, wird man darüber streiten können, ob ein entsprechender
Zustand jetzt besteht und ob er etwa, wie behauptet wird, durch die
nicht wegzuleugnende starke Vermehrung der Menge des Geldes herbei-
geführt worden ist.
Wie schon in der Einleitung bemerkt, liegt den Behauptungen über
die angeblich eingetretene Entwertung des Geldes stets die Anschauung
zu Grunde, daß auf seiten des Geldes etwas, was man Wert nennt,
kleiner geworden sei; daß diese Wertverkleinerung unter übrigens
gleichen Umständen notwendig eine entsprechende Verkleinerung der
Waren-„Aequivalente“ oder, von der anderen Seite gesehen, eine Ver-
größerung der Geldmenge für die gleiche Warenmenge zur Folge
gehabt haben müsse, um das gestörte Gleichgewicht wiederherzustellen,
und daß deshalb die Preise gestiegen seien. Ganz besonders deutlich,
meint man, müsse diese Erscheinung sich in dem Austauschverhältnis
zwischen Geld und Gold zeigen, weil Gold, der allgemeine internationale
Wertmaßstab, in seinem Werte unveränderlich oder doch nahezu un-
veränderlich sei. Die Bildung eines Goldagios (wie es bei freiem
Verkehr jetzt auch in Deutschland bestehen würde) sei also ein untrüg-
licher Beweis für die eingetretene Entwertung des Geldes und zeige
zugleich auch das Maß derselben.
Diese Anschauung ist unrichtig. Einen „Wert“ des Geldes, der,
obwohl objektiv (also nicht individuell) bestimmt, d. h. nicht von den
besonderen Zwecken und Mitteln des einzelnen abhängig (kein subjek-
tiver Wert!), etwas anderes wäre als der Tauschwert, gibt es nicht.
Der Tauschwert des Geldes kann aber nur bestimmt werden durch das
Austauschverhältnis des Geldes gegenüber allen Gütern, mit denen ein
Austausch stattfindet, d. i. bei dem staatlich bestimmten Gelde gegen-
über allen Gütern, die in dem betreffenden Staate gehandelt werden.
Zu diesen Gütern gehört unter anderen auch das Gold, aber dieses
bildet nur einen einzelnen Gegenstand unter vielen, die um Geld
gekauft und verkauft werden.
Eine Verringerung dieses Tauschwerts (einfache Entwertung)
kann nur eintreten, wenn entweder das Austauschverhältnis des Geldes
gegenüber allen diesen Gütern sich ungünstiger gestaltet, mit anderen
Worten, wenn alle Preise steigen, oder wenn das Austauchverhältnis
einem Teile gegenüber sich ungünstiger, einem anderen Teile gegenüber
günstiger gestaltet (mit anderen Worten, wenn die Preise teils steigen,
teils fallen), wenn aber die ungünstigen Veränderungen die günstigen
überwiegen. Ob sie überwiegen, darf dabei nicht nur nach der Zahl
Jahrb, f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 25
386 Miszellen.
bestimmt, sondern muß unter Berücksichtigung der Bedeutung der be-
treffenden Güter entschieden werden.
Das Vorhandensein einer qualifizierten Entwertung des Geldes
setzt dann außerdem voraus, daß die eingetretene Verringerung des
Tauschwerts durch Ursachen auf der Geldseite herbeigeführt wor-
den ist.
Bei einer Untersuchung hierüber ist im Auge zu behalten, daß
der Tauschwert des Geldes durch die Preise, und nur durch
die Preise, bestimmt wird. Die Preise aber ergeben sich aus An-
gebot und Nachfrage. Wie viel Ware angeboten und zu welchen
Bedingungen, d. h. in welchem Austauschverhältnis Ware gegen Geld
oder Geld gegen Ware angeboten wird, das bestimmt sich innerhalb
der Grenzen, die durch das Vorhandensein und die Erzeugungsmöglich-
keit beider Güter gezogen werden, durch den subjektiven Wert, den
einerseits die Ware, andererseits das Geld für den einzelnen Ver-
käufer bzw. Käufer besitzt. Der subjektive Wert aber ergibt sich
aus den individuell bestimmten (niedrigsten) Beschaffungskosten,
sofern der Nutzen, den der einzelne aus dem betreffenden Gute durch
die Deckung eines von ihm empfundenen Bedarfs zu ziehen vermag, die
Aufwendung dieser Beschaffungskosten rechtfertigt. Worin Nutzen und
Kosten der Ware bestehen, braucht nicht weiter erörtert zu werden.
Der Nutzen des Geldes für den einzelnen wird entweder durch seine
Zahlkraft (zur Tilgung von Schulden) oder durch seine Kaufkraft, mit
anderen Worten, durch seinen objektiven Tauschwert, aber nicht durch
den Tauschwert schlechthin, sondern durch den Tauschwert gegenüber
den Gegenständen des individuellen Bedarfs bestimmt. Die Beschaf-
fungskosten des Geldes ergeben sich für alle, die nicht Erzeuger
von Geld oder Geldsurrogaten sind und die daher zur Beschaffung
durch Tausch oder Leihe (einschließlich der Verdingung der Arbeits-
kraft) schreiten müssen, aus dem (passiven) Tauschwert oder dem Leih-
preis des Geldes.
Einer weiteren Analyse dieser höchst verwickelten Verhältnisse
und einer generellen Entscheidung der Frage, wann es Ursachen auf
der Geldseite, wann auf der Warenseite sind, die eine eingetretene
Wertverringerung des Geldes herbeigeführt haben, bedarf es für unsere
Frage nicht.
Vergegenwärtigen wir uns nun einmal, was in Deutschland, den
Tauschwert des Geldes und die denselben bestimmenden Preise be-
treffend, seit Kriegsbeginn tatsächlich geschehen ist, um daraufhin fest-
zustellen:
1) ob überhaupt eine Wertverringerung des Geldes (gegenüber
allen Waren oder im Durchschnitt) eingetreten ist, und wenn dies
zutrifft,
2) welches die Ursachen waren, und
3) ob es sich um Ursachen auf der Geldseite handelt und ob
deshalb eine qualifizierte Entwertung des Geldes als vorhanden anzu-
nehmen ist.
Wie jedermann weiß, haben sich die Preise in Deutschland seit
Kriegsbeginn verschieden gestaltet, und ist demgemäß der Wert
Miszellen. 387
(Tauschwert) des Geldes einzelnen Gütern gegenüber gefallen, anderen
gegenüber gestiegen und wieder anderen gegenüber gleichgeblieben.
Gefallen ist er gegenüber Kriegsbedarf, Rohstoffen, Lebensmitteln u. dgl.,
gestiegen gegenüber den meisten Rentenwerten, namentlich gegenüber
zins- oder dividendenberechtigten Effekten !). Wie der Durchschnitt
sich stellt, läßt sich schwer ermitteln. Die Wahrscheinlichkeit spricht
aber dafür, daß im Durchschnitt wirklich eine Entwertung (Wertver-
ringerung) des Geldes eingetreten ist ?).
Und die Ursachen dieser Entwertung? Speziell die Ursachen der
Entwertung gegenüber denjenigen Gütern, deren Preise gestiegen
sind, denen gegenüber also eine spezielle Fntwertung stattge-
habt hat?
Wir wissen alle, daß sich das Steigen der Preise für diese Güter:
Kriegsbedarf, Rohstoffe und Lebensmittel, hauptsächlich aus zwei Ur-
sachen ergeben hat: 1) aus dem gesteigerten Bedarf des Staates und
der Deckung dieses Bedarfs unter Verwendung der ihm von der Nation
zur Verfügung gestellten Kredite, die ihm die nötige Kaufkraft ver-
schafften, und 2) aus der Unmöglichkeit, Erschwerung oder Verteuerung
des Bezugs genügender Mengen aus dem Auslande bei zum Teil ver-
ıinderter, zum Teil wenigstens nicht entsprechend vermehrter Pro-
duktion im Inlande.
Sind das nun Ursachen, die auf der Geldseite liegen ?
Die herrschende Meinung behauptet in der Tat, daß die Preissteige-
rung auf Ursachen auf der Geldseite zurückzuführen sei. Sie geht aber
überhaupt nicht auf den eigentlichen Grund für diese Preissteigerung,
speziell auf die Erhöhung des Staatsbedarfs und dessen Deckung zurück,
sondern hält sich daran, daß zum Zwecke dieser Bedarfsdeckung neues
Geld in der Form von Noten ausgegeben und dadurch, was ihr ausschlag-
gebend erscheint, die Menge des Geldes vermehrt worden ist.
Hierin liegt eine merkwürdige Verkennung einerseits dessen, daß das
Geld immer nur Mittel zum Zweck, „Tauschmittel“ ist und deshalb gar
1) Man mag einwenden, die Wertsteigerung des Geldes gegenüber Effekten be-
weise nichts, weil die Effekten Forderungen auf Geld seien. Das ist aber unrichtig.
Allerdings muß, wenn das Geld eines Landes eine Wertveränderung erfährt, diese auch
die Geldforderungen ergreifen. Dabei muß dann aber, wenn nichts weiter ge-
schieht, das Wertverhältnis zwischen Geld und Geldforderungen gleich bleiben
— es sei denn, daß man für die Zukunft, d. h. bis zu dem Tag der Fälligkeit
dieser Forderungen noch eine weitere Wertveränderung erwartet. Da nun in Deutsch-
land eine weitere Wertverringerung des Geldes nicht befürchtet wird, so ist in dem
Kursrückgang, vor allem der festverzinslichen Effekten, eine positive Wertsteige-
rung des baren Geldes gegenüber diesen Geldforderungen zu erblicken.
2) Praktisch ist die durchschnittliche Entwertung des Geldes ohne jede
Bedeutung. Für den einzelnen kommt es immer nur darauf an, wie sich das
Wertverhältnis der ihn speziell interessierenden Güter zum Gelde stellt: für
den Geldbesitzer, — ob das Geld einen hohen Wert gegenüber solchen Gütern hat,
die er kaufen möchte; für denjenigen, der sich Geld beschaffen will (etwa um Schulden
zu bezahlen), ob der Wert des Geldes niedrig steht gegenüber solchen Gütern, die er
produziert oder besitzt und verkaufen oder vermieten will oder muß, um sich das be-
nötigte Geld zu beschaffen. Auch Aenderungen des Geldwertes interessieren ihn
nur, soweit sie das Austauschverhältnis zu diesen mehr oder weniger bestimmten
Gütern beeinflussen, ganz einerlei wie der Durchschnitt ist.
25*
388 Miszellen.
keine selbständige Ursache sein kann, andererseits dessen, daß sich
niemals mehr Geld als nötig im Umlauf hält, weil ein Teil dieses
Geldes, und jetzt der weitaus größte Teil, gewissermaßen nur leihweise
gegen hohen Zins (Diskont) ausgegeben ist und nach Ablauf der dem
Entleiher gewährten kurzen Kreditfristen an die ausgebende Stelle
zurückströmt.
Mittel zum Zwecke, und daher nicht selbständige Ursache der
unter seiner Verwendung herbeigeführten Preisveränderungen ist das
Geld aber nicht nur in den Händen des Staates gewesen, der An-
käufe zur Deckung des Kriegsbedarfs machte und dadurch die Preise
in die Höhe trieb, sondern auch in den Händen derjenigen, die dieses
Geld von ihm erhielten (Lieferanten, Lohnempfänger u. dgl.) und die
jetzt neben ihm zur Deckung ihres eigenen Bedarfs in erhöhtem Maße
nach Gütern irgendwelcher Art Nachfrage hielten und dadurch auch
deren Preise in die Höhe trieben. Denn ausschlaggebend für die Nach-
frage dieser Personen ist neben ihrem Bedarf auch hier wieder ihre
Kaufkraft gewesen, und diese ergibt sich nicht aus ihrem Besitz an
barem Gelde, sondern aus ihrem Vermögen, das aus irgendwelchen
Gütern bestehen kann.
Hätte der Staat den ihm zur Verfügung gestellten Kredit nicht
auf dem Wege der Diskontierung von Schatzscheinen flüssig gemacht
und in Geld umgewandelt, hätte er vielmehr seine Lieferanten etc.
sofort mit Teilscheinen der Kriegsanleihe bezahlt, so wäre eine Ver-
mehrung der Geldmenge nicht eingetreten, und doch hätten
sich Angebot und Nachfrage nach Waren in der gleichen Weise ge-
staltet und hätten sich für die Preise (im wesentlichen) die gleichen
Folgen ergeben !).
Hiernach ist festzustellen, daß eine qualifizierte Geldentwertung
nicht nur nicht Ursache des Kursrückganges der deutschen Wechsel im
Auslande gewesen ist, sondern daß eine solche Entwertung überhaupt
nicht besteht. Eine Entwertung des Geldes im Sinne einer einfachen
Minderung seines Tauschwerts ist allerdings eingetreten, wenigstens
gegenüber einzelnen Waren, wie Kriegsbedarf, Rohstoffen und Lebens-
mitteln, aber diese Entwertung ist nicht durch Ursachen auf
der Geldseite herbeigeführt worden. Von den beiden Voraus-
setzungen für das Vorhandensein einer qualifizierten Entwertung des
Geldes, deren Existenz man befürchtet, fehlt also die letztere.
An diesem Resultate ändert auch nichts der Umstand, daß eine
(einfache) Entwertung des Geldes auch gegenüber dem Golde ein-
getreten ist. Denn das Gold ist kein absoluter Maßstab des
Wertes?) Das Wertverhältnis des Geldes zum Golde hat im Grunde
1) Näheres darüber in dem Aufsatz: Vermehrung der Notenmenge und Geldent-
wertung in Deutschland, abgedruckt in der Deutschen Wirtschaftszeitung, Berlin den
15. Dezember 1915.
2) Welcher Wert soll denn eigentlich am Golde gemessen werden? Mir ist nicht
bekannt, daß diese Frage je beantwortet worden ist. Vgl. auch meine Abhandlung
„Die Erfordernisse des Geldes“, Zeitschrift für Sozialwissenschaft, N. F. Bd. 2, Heft 3,
S. 151. Separatausgabe im Verlage der A. Deichertschen Verlagsbuchhandlung, Leipzig.
Miszellen. 389
keine andere Bedeutung als das Wertverhältnis zu irgendeinem anderen
Gute, mit dem das Geld ausgetauscht wird. Die gegenteilige Ansicht,
die vielleicht in der weltbeherrschenden Stellung Englands mit seiner
Goldwährung, in der weltweiten Geltung seiner auf Goldgeld lautenden
Wechsel und in der früheren Stabilität des Kurses dieser Wechsel ihre
Erklärung finden, die aber niemand bisher hat begründen können, ist
falsch. Das Gold als solches ist ebensogut Ware wie jede andere. Es
genießt vor den anderen Waren nur den Vorzug des weitesten Marktes,
da Gold in der ganzen Welt Nachfrage findet, und ferner den Vorzug,
daß es in fast allen Ländern durch Ausprägung jederzeit und in jeder
Menge zu einem bestimmten, dem Münzfuß entsprechenden Preise in
Geld umgewandelt werden kann. Der letztere Grund verhindert oder
erschwert doch ein Sinken des Wertes des Goldes. Er verhindert
aber keineswegs ein Steigen seines Wertes. Ein Steigen dieses Wertes
muß immer dann eintreten, wenn die Nachfrage nach Gold in einem
bestimmten Wirtschaftsgebiete sich so stark vergrößert, daß die auf der
Basis des bisherigen Preises angebotene Menge geprägten oder unge-
prägten Goldes zur Deckung dieser Nachfrage nicht mehr ausreicht und
deshalb der Nachfragende ein höheres Entgelt anbietet. In einem Wirt-
schaftsgebiete, dessen allgemeines Tauschmittel, also das Geld, aus Gold
besteht, führt die größere Nachfrage nach Gold (z. B. für Ausfuhr-
zwecke) nur dann zu einem Steigen des Preises für Gold, wenn die
nachgefragte Menge nicht einfach durch Einziehung von Geldforderungen
al pari beschafft werden kann, sondern durch Aufnahme einer Anleihe
bei der zentralen Notenbank beschafft werden muß und die Bank ihren
Diskont erhöht, oder wenn die nachgefragte Menge zwar auf dem Wege
der Einziehung von Geldforderungen al pari beschafft wird, wenn aber
die zentrale Notenbank sich infolge der dadurch direkt oder indirekt
herbeigeführten Verminderung ihres Goldschatzes und damit ihrer Noten-
deckung nachträglich veranlaßt sieht, ihren Diskont in die Höhe zu
setzen; dann liegt die Preissteigerung in der Erhöhung des Diskonts,
deren Wirkung sich dann allerdings möglicherweise durch Beeinflussung
der Warenpreise, namentlich an den Börsen, weiter fortpflanzt. In
einem Wirtschaftsgebiete dagegen, in dem das allgemeine Tauschmittel
nicht aus Gold besteht und Gold nicht in der angegebenen Weise
beschafft werden kann, wie zurzeit in Deutschland, ist eine derartige
Gestaltung der Dinge unmöglich. Hier kann sich die Vermehrung der
Nachfrage nach Gold nur in der gleichen Weise geltend machen wie bei
anderen Gütern auch. Der Nachfragende, der auf der Basis des bisherigen
Preises nicht genügend Gold erhält, bietet mehr Geld, bis ihm genügend
zuströmt. Damit steigt dann der Preis des Goldes, ebenso wie unter
übrigens gleichen Umständen der Preis jeder Ware. Das auf diese Weise
entstehende Goldagio beweist tatsächlich nicht mehr, als sein Name
sagt, d. h. nicht mehr, als daß der Tauschwert des Goldes gegen-
über dem Gelde gestiegen, nicht aber, daß der Tauschwert des
Geldes gegenüber allen Gütern oder wenigstens im Durchschnitt
gesunken ist.
390 Miszellen.
Wenn nun aber auch eine qualifizierte Entwertung des Geldes in
Deutschland nicht eingetreten ist und die dahin gehende Behauptung so
vieler sich als falsch erwiesen hat, so kann doch nicht geleugnet werden,
daß in Deutschland zurzeit derjenige Zustand besteht, den die Theorie
im Auge hat, wenn sie vor der qualifizierten Entwertung des Geldes
als Folge einer beträchtlichen Vermehrung seiner Menge warnt und wenn
sie zu dessen Beseitigung auffordert. Die Preise der wichtigsten Be-
darfsartikel sind stark gestiegen — wenn auch nicht infolge, so doch
neben einer Vermehrung der Menge des Geldes — und weite Kreise
unseres Volkes werden dadurch schwer geschädigt. Dieser Umstand
muß auch denjenigen, der über die Ursachen anderer Meinung ist, ver-
anlassen, Erwägungen darüber anzustellen, ob nicht Schritte getan werden
können, um diesen Zustand zu beseitigen oder wenigstens zu bessern.
Tatsächlich werden ja aber auch schon Schritte in dieser Richtung
getan. Allerdings können die Ursachen der Preissteigerung, also der
Krieg mit seinen Folgen: die vergrößerte Nachfrage nach Kriegsbedarf,
Lebensmitteln und Rohstoffen und die verringerte Zufuhr an diesen
Gütern, nicht beseitigt werden; man verschließt sich auch nicht der
Notwendigkeit, die erforderlichen Kriegskredite zu bewilligen, und läßt
es ruhig geschehen, daß damit die Menge des Geldes stark vermehrt
wird; aber der Staat greift direkt in die Preisbildung ein, legt dem
freien Verkehr Fesseln an und schreibt mäßige Preise obrigkeitlich vor.
Daß damit nicht alles, was wünschenswert ist, erreicht wird, und daß
die Zahl derjenigen, die unter den hohen Preisen zu leiden haben, trotz-
dem eine große bleibt, ist richtig. Es wäre aber ein müßiges und nutz-
loses Beginnen, noch nach anderen Heilmitteln zu suchen und auf anderem
Wege vorzugehen. Die Folgen des Krieges sind zum großen Teil un-
abwendbar und müssen ebenso wie die Folgen anderer Unglücksfälle
getragen werden. Eine Verminderung der Menge des Geldes, eine „Kon-
traktion des Geldumlaufs“, wie sie namentlich in der englischen
Währungstheorie als untrügliches Mittel zur Hebung des Geldwerts
empfohlen wird, würde nicht nur nichts helfen, sondern, soweit sie
Wirksamkeit erlangte, den Zustand nur noch verschlimmern.
Eins aber wäre dringend zu wünschen: daß man davon Abstand
nimmt, von einer Entwertung des Geldes zu sprechen, und sich darauf
beschränkt, stets nur von der Steigerung der Preise zu reden.
Damit würde nicht nur der tatsächlich eingetretene Zustand klarer und
jedermann verständlich bezeichnet werden, sondern man würde auch
irrigen Vorstellungen vorbeugen, die geeignet sind, das bei dem jetzigen
Papierumlauf doppelt notwendige Vertrauen zu unserem Gelde zu
untergraben und dadurch Funktionsstörungen, ja vielleicht eine schwere
Krise hervorzurufen !). (G. €.)
1) Eine Beurteilung des jetzigen Währungszustandes mit dem Erfordernis des
Vertrauens zum Gelde findet sich in meinem Aufsatze: Der Goldschatz der Reichsbank
im Krieg und nach dem Kriege, Zeitschrift für Sozialwissenschaft, N. F. Bd. 7 (1916),
Januarheft.
Miszellen. 391
VII.
Die Aufhebung der Barzahlung in England 1797
und ihre Folgen.
Von Dr. Eduard Kellenberger (Zollikon-Zürich).
Die Entwertung so mancher Währung beschäftigt gegenwärtig alle
wirtschaftlich Interessierten aufs lebhafteste. Die einen verfechten die
Ueberzeugung, daß die Passivität der Zahlungsbilanzen, hervorgerufen
durch die zahlreichen Ausfuhr- und Einfuhrverbote und die mannig-
fachen anderen Verkehrs- und Handelshemmnisse, für den ungünstigen
Stand der Wechselkurse verantwortlich zu machen seien. Die anderen
behaupten ebenso entschieden, die Entwertung der Valuten sei auf die
Rechnung der zu großen Ausgabe von uneinlösbaren Banknoten, über-
haupt von Papiergeld, zu setzen. So einfach aber diese Erklärungs-
versuche sind, so schwierig ist angesichts der äußerst verwickelten
volkswirtschaftlichen Zustände die Beweisführung. Weder von der
einen, noch von der anderen Hypothese läßt sich von vornherein sagen,
sie führe zum Ziel, erst eine peinlich genaue Untersuchung des ganzen
Tatsachenknäuels wird in einem Falle diese, im anderen Falle jene
Hypothese bestätigen.
Wenn man sich vergegenwärtigt, daß genau dieselben gegensätz-
lichen Hypothesen schon vor einem Jahrhundert herhalten mußten, um
die Entwertung der englischen Währung zur Zeit der Kontinentalsperre
(1806—1814) und der Bankrestriktionsakte (1797—1828) verständlich
zu machen, und man weiß, daß die Diskussion hierüher in der Wissen-
schaft auch heute noch nicht abgeschlossen ist, so kann man sich un-
schwer vorstellen, welche endlosen Erörterungen sich an die gegen-
wärtigen Valutaverschlechterungen knüpfen werden. Die große Aehn-
lichkeit der damaligen Zustände — Handelskrieg und Handelsverbote,
Aufhebung der Barzahlung — mit den heutigen mag es rechtfertigen,
wenn im folgenden versucht wird, zu zeigen, wie dieser Streit ent-
schieden werden muß.
Im Jahre 1809 erschienen im „Morning Chronicle“ einige Artikel
von Ricardo, die noch im selben Jahre zu der Schrift „The High
Price of Bullion“ umgearbeitet wurden. Im Einklange mit seiner Mei-
nung, daß jede passive Zahlungsbilanz ausschließlich durch eine über-
mäßige Menge von Zahlungsmitteln hervorgerufen werde, behauptete
Ricardo, der hohe Wechselkurs und das hohe Goldagio zumal seit
1809 in England seien eine Folge der Uneinlösbarkeit der Banknoten
392 Miszellen.
und ihrer übermäßigen Ausgabe gewesen. Er empfahl daher der Bank
von England, den Betrag an umlaufenden Noten allmählich zu ver-
mindern.
Vom englischen Parlamente wurde 1810 das sogenannte Bullion
Committee zur Untersuchung der außergewöhnlichen Zustände ein-
gesetzt. Die Meinung der von dieser Kommission vernommenen Sach-
verständigen war Ricardos Theorie schnurstracks entgegengesetzt.
Die einen, darunter auch der Gouverneur der Bank von England,
führten das Goldagio in England ganz einfach auf ein Goldagio auf
dem Kontinent zurück, das hervorgerufen worden sei durch eine grobe
Nachfrage nach Gold zur Thesaurierung und für die Zwecke der fran-
zösischen Armeen. Die Mehrzahl hingegen machte die passive Zahlungs-
bilanz Englands für das Steigen des Wechselkurses und die Bildung
des Goldagios verantwortlich. Diese ungünstige Zahlungsbilanz sei
hervorgerufen worden durch die Schwierigkeit des Verkehrs mit dem
Kontinent infolge der Kontinentalsperre, durch die große Einfuhr nach
England, die englischen Kriegssubsidien usw. Daß die Zahlungsbilanz
Englands ungünstig sei, schlossen sie freilich hauptsächlich aus dem
ungünstigen Stande des Wechselkurses auf dem Kontinent und aus
ihren sonstigen persönlichen Erfahrungen und Kenntnissen. Von den
Direktoren der Bank von England wurde zudem behauptet, daß zwischen
Währung und Wechselkurs keine Beziehung bestehe, die Vermehrung
der Notenausgabe immer dem Steigen des Wechselkurses gefolgt sei
und überhaupt von einer zu großen Ausgabe von Noten nicht gesprochen
werden könne, da größerer Handel und Industrie danach verlangt
hätten).
Der Bericht der Untersuchungskommission schloß ein
Kompromiß zwischen der Anschauung Ricardos und jener der Sach-
verständigen. Nach dem Report war der Abfluß der Edelmetalle die
Folge einer passiven Zahlungsbilanz; die entstandene Lücke in den
Umlaufsmitteln sei durch eine vergrößerte Notenausgabe ausgefüllt
worden, was das Sinken des einmal gestiegenen Wechselkurses ver-
hindert habe; die Direktoren der Bank hätten leichter Kredit gewährt
nach Eintritt der Restriktion als vor derselben. Bei Barzahlung wäre
die überschüssige Notenmenge zur Bank zurückgekehrt, um gegen Gold
für den Export eingelöst zu werden (Report S. 64). Das Committee
empfahl deshalb die Wiederaufnahme der Barzahlung nach Ablauf von
zwei Jahren (Rep. S. 75 ff.).
Gelangte auch die Quantitätstheorie Ricardos in der Form, die
ihr die Currency School gab, in der Folge in England zum Siege
und beeinflußte nachhaltig die englische Bankgesetzgebung (Peels
Akte, 1844), so konnten sich doch niemals alle Volkswirtschaftler
mit Ricardos Erklärung der außerordentlichen Verhältnisse zur Zeit
der Einstellung der Barzahlung befreunden. Daß seine Beweisführung
nicht zwingend sein kann, erhellt auch daraus, daß man heutzutage in
1) Report together with Minutes of Evidence, and Accounts, from the Select Com-
mittee on the High Price of Gold Bullion, 1810.
Miszellen. 393
bezeichnender Reaktion zur Theorie der Klassiker mehr geneigt ist,
den vom Bullion Committee vernommenen Sachverständigen recht
zu geben. So findet Karl Diehl, daß „es die damaligen abnormen
zeitweiligen Verhältnisse des Waren- und Geldmarktes waren, welche
in erster Linie für den Stand der Preise und der Wechselkurse maß-
gebend waren und nicht die Uneinlöslichkeit der Noten“ 1). Ebenso
sucht Bouniatian eingehend nachzuweisen, daß die ungünstige
Zahlungsbilanz Englands die Schuld an der damaligen Sachlage ge-
tragen habe. „....die unmittelbare Ursache dieser Differenz [zwischen
dem nominalen Wert der Banknoten und dem Preise des Bullions] war
nicht die Entwertung der Noten an sich als Preismaßtab, sondern viel-
mehr die Steigerung des Wertes des Goldes infolge der großen Gold-
nachfrage für die Ausfuhr“ ?).
Wer hat nun recht?
Versuchen wir, uns von Grund aus ein Bild der damaligen Zu-
stände zu machen, indem wir ohne Voreingenommenheit für diese oder
jene Theorie ausschließlich die Aussagen der Sachverständigen und die
statistischen Beilagen des Bullion Reports verwenden.
Im Jahre 1797 war die Aufhebung der Barzahlung der Bank von
England erfolgt; ihre Noten, in deren Ausgabe sie nicht beschränkt
war, wurden bei der Zahlung von Steuern al pari zugelassen und hatten
seit dem Jahre 1811 Zwangskurs®). Nun war in besonders bemerkens-
werter Weise der Wechselkurs auf die kontinentalen Plätze in den
Jahren 1809 und 1810 stufenweise und andauernd bis auf 15 und
20 Proz. über pari gestiegen und gleichzeitig der Marktpreis des Barren-
goldes um etwa 15 Proz. (Min. S. 114). Die Kosten für Transport
und Versicherung des Goldes beim Export betrugen angesichts der ab-
normen Verkehrsverhältnisse nach den übereinstimmenden Aussagen der
Sachverständigen zwischen 4 und 7 Proz. für Holland®.. Vor dem
Jahre 1797 war zwar der Marktpreis für Barrengold auch bisweilen
vorübergehend über 3 £ 17 sh 6 d (d. h. den Münzpreis von 3 £
17 sh 101/, d minus Zinsverlust bei der Uebergabe des Barrengoldes
an die Münze bis zur Rückgabe) gestiegen; 1805—1808 stieg er jedoch
auf 4 £, 1809 weiter auf 4 £ 9 sh bis 4 £ 12 sh, d. h. 15—16 Proz.
über pari. 1810 sank er wieder auf 4 £ 41), sh, um im folgenden
Jahre auf 4 £ 191), sh weiterzusteigen 5).
Zunächst erledigt sich die Behauptung, daß auch auf dem Kon-
tinent ein Goldagio bestanden habe. Darüber waren sich nämlich die
Sachverständigen einig, daß der Marktpreis für Gold auf den Plätzen
Hamburg, Amsterdam und Paris, ausgedrückt in ihren bezüglichen
Silberwährungen, in der Zeit der Bildung des Goldagios in England
1) Sozialwissenschaftliche Erläuterungen zu David Ricardos Grundsätzen der
Volkswirtschaft und Besteuerung, 2. Aufl., 1905, 3. Bd., 2. Teil, S. 233 f.
2) Geschichte der Handelskrisen in England 1640—1840, 1908, S. 214 ff.
3) Bouniatian, a. a. O. 8. 214.
aia 4) Bouniatian gibt für die kontinentalen Plätze überhaupt 4—8'/, Proz. an. A. a. O.
. 214.
5) A. a. O. S. 214.
394 Miszellen.
nicht gestiegen sei. (Minutes S. 132, Accounts S. 70, Tabellen No. LVI,
LVII und LVIII.)
Nun die Frage: War an dem jahrelang andauernd hohen und stark
schwankenden Wechselkurse und dem andauerd hohen und stark
schwankenden Goldagio die Störung des englischen Warenhandels oder
die Entwertung der uneinlösbaren Banknote schuld’?
Angenommen, die Ursache liege in den Handelshemmnissen. Nun
waren Banknoten und Münzen zum Ausgleich des Passivsaldos der
Zahlungsbilanz nicht geeignet. Englische Münzen durften, solange sie
das Passiergewicht nicht überschritten, von altersher und gesetzeswegen
nicht eingeschmolzen und exportiert werden (Rep. S. 13). Die Nach-
frage wandte sich also ausschließlich dem Barrengold und den fremden
Münzen zu. Um sie zu erlangen, war man bereit, im Austausch gegen
Banknoten und einheimische Münzen ein Agio zu bewilligen. Ent-
sprechend diesem Agio mußten die Wechselkurse auf die kontinentalen
Plätze über den Goldexportpunkt hinaus steigen und der Kurs der
Devise England auf dem Kontinent fallen.
Wie konnte sich das Goldagio Jahre hindurch anf dieser Höhe
behaupten? War ein Passivsaldo zu begleichen, so mußte so lange Gold
abfließen und die Nachfrage nach demselben bei immer steigendem Agio
so lange anhalten, bis es vorteilhafter wurde, Waren zu exportieren
anstatt ein Aufgeld zu bezahlen. War es wegen der Kontinentalsperre
unmöglich, Waren zu exportieren, so hätte das Goldagio so lange in die
Höhe schnellen müssen, bis überhaupt kein Gold mehr in England vor-
handen gewesen wäre oder bis man den Warenimport gänzlich einge-
stellt hätte. Merkwürdigerweise hielt sich aber das Agio Jahre hin-
durch, wenn auch unter heftigen Schwankungen, im Mittel auf 15 Proz.,
und ein Sachverständiger erklärte, zu diesem Preise erhalte er jede
gewünschte Summe an Gold zum Export (Min. S. 35). Es bestand
somit bei diesem Preis kein Mangel an Gold. Entweder war also der
Passivsaldo mit dem Kontinent bereits getilgt und die Zahlungsbilanz
Englands wieder ins Gleichgewicht gekommen — dann hätte das Agio
verschwinden müssen — oder aber, wenngleich Gold fortwährend nach
dem Kontinent abfloß, füllte sich die Lücke immerfort mit Gold infolge
einer aktiven Zahlungsbilanz mit den übrigen Teilen der Welt — und
dann hätte das Agio gleichfalls verschwinden müssen. Warum? Wenn
im Inland eine Ware x im Preise steigt, während alle übrigen Waren-
preise unverändert bleiben, so ist es vorteilhaft, die Ware x in größerem
Maße als zuvor zu importieren, und zwar im Austausch gegen Gold
oder andere Waren. Sobald demnach in England ein Agio auf Gold
entstand, mußte es für jeden englischen Kaufmann, der bisher einen
Warenexport beispielsweise nach Irland betrieb, vorteilhaft werden,
nun noch mehr Exportwaren mit seinen englischen Banknoten anzu-
kaufen, sie nach Irland zu transportieren und da abzusetzen; denn er
erhielt seine Waren mit Gold bezahlt, das er nur nach England zu
bringen brauchte, um dort einen größeren Betrag an Banknoten zu er-
halten, als -er ursprünglich für die Waren ausgegeben hatte. Kostete
der Goldexport nach England selbst 5 Proz., was sehr unwahrscheinlich
Miszellen, 395
ist, so gewann er doch mindestens 10 Proz.; dabei konnte er diese
Operation im Laufe eines Jahres unzählige Male vornehmen angesichts
der Nähe Irlands und der Tatsache, daß keine Kontinentalsperre und
kein Goldausfuhrverbot zwischen den beiden Kronländern bestand. Das
Goldagio hätte dadurch in kurzer Zeit verschwinden müssen. Es ver-
schwand aber tatsächlich nicht. Folglich, so lautet der notwendige
Schluß, war es nicht vorteilhaft, von Irland aus Gold nach England zu
senden.
Was für Irland galt, mußte auch für die Vereinigten Staaten von
Nordamerika, für Portugal, das damals der Goldlieferant Europas war,
und endlich für Brasilien, das eigentliche Goldland jener Zeit, zutreffen.
Auch von diesen Teilen der Welt hätte notgedrungen Gold nach Eng-
land abfließen müssen, solange ein Agio vorhanden war.
Wie stand es nun in Wirklichkeit? Fragen wir die Wechselkurs-
notierungen und die Sachverständigen, soweit diese tatsächliche Angaben
machen und nicht nur Meinungen äußern.
In Irland war der Wechselkurs auf London seit 1804 für England
immer ungünstiger geworden (Minutes, 8.189; Acc., S.79, Tabelle LXVI).
Es zirkulierte dort ziemlich viel Gold neben Banknoten der Bank von
Irland. Ausdrücklich wird versichert, daß nicht nur kein Gold in den
letzten 12 Monaten, in welcher Zeit sich das hohe Goldagio in England
bildete, nach England oder dem Kontinent abgeflossen sei, sondern daß
das Goldagio, das von früher her auch in Irland bestand, auf 2!/, bis
3 Proz. zurückgegangen sei. Daß kein Gold nach England abfloß, ist
ein offenkundiger Beweis, daß der Export desselben nach England sich
nicht lohnte.
Ferner war in den letzten 15 Monaten ebenfalls kein Gold aus
den Vereinigten Staaten nach England gesandt worden (Min. S. 6 u.
147; Acc, S. 74, Tabelle LXI). Der durchschnittliche Wechselkurs
auf London stand im Januar 1807 in New York auf 971/, (Parität 109),
Januar 1808 auf 1021/,, Dezember 1808 auf 110. Der Wechselkurs
auf London in Boston stand im Februar 1809 auf 109—9!/, und sank
bis zum Dezember desselben Jahres auf 98 und 1810 im Januar auf
96—97.
Portugal!) scheint in derselben Zeitspanne nur wenig, und zwar
französisches und portugiesisches Gold nach England verschickt zu haben.
Nach dem Goldlande Brasilien, das noch etliche Jahre zuvor England
über Portugal mit großen Mengen Goldes versehen hatte, floß sogar
Gold und Silber aus England ab und dies trotzdem (1809) eine ge-
waltige spekulative Warenausfuhr von England nach Brasilien statt-
fand 2).
Zu allem Ueberflusse zeigt nun noch die Statistik der Ein- und
Ausfuhr Englands in den Jahren 1809 und 1810 nicht bloß eine ge-
1) Obgleich Portugal der Kontinentalsperre beigetreten, war diese dort nie recht
in Wirksamkeit getreten.
2) Vgl. zu dem letzterwähnten Punkt Bouniatian, a. a. O. S. 205.
395 Miszellen.
waltige Steigerung der Gesamteinfuhr und -ausfuhr im Vergleiche zu
den vorangegangenen Jahren, sondern besonders auch eine überraschende
Zunahme der Ausfuhr nach dem Kontinent (Bouniatian, Tabellen S. 206 ff.;
Rep., 8. 30; Min., S. 222; Acc., S. 110ff.. Ohne an die unbedingte
Richtigkeit dieser Daten zu glauben, geht aus ihnen doch mit Gewißheit
hervor, daß zwischen dem Kontinent und England in den Jahren 1809
und 1810, auf die es hier ankommt, ein umfangreicher Schleichhandel
bestand. Von dem einen oder anderen kontinentalen Platze hätte also
angesichts seines hohen spezifischen Wertes und der im Vergleich zu
anderen Waren geringen Transport- und Versicherungskosten von 4 bis
8 Proz. Gold nach England geschmuggelt werden können, wenn sich
dieser Import überhaupt gelohnt hätte. Wäre aber in England ein
Goldagio von 15 Proz. vorhanden gewesen, das bei jedem Importe
7—11 Proz. Gewinn eingebracht hätte, so wäre zum mindesten neben
dem Warenimporte noch ein Goldimport einhergegangen, und das Gold-
agio wäre bald verschwunden. Außerdem schwoll Englands Waren-
ausfuhr 1809 und 1810 stark an. Das Agio verschwand aber trotzdem
nicht.
Wir sehen also: Der Goldpreis stand unzweifelhaft sehr hoch.
Nichtsdestoweniger lohnte sich der Goldimport nicht. Das ist nur
denkbar unter der Voraussetzung, daß auch alle Warenpreise hoch
standen. Es mußte mithin nicht nur für Gold ein Aufgeld bezahlt
werden, sondern für alle übrigen Waren insgesamt (abgesehen von
Preisverschiebungen unter den einzelnen Waren im Gefolge der Trans-
port- und Produktionsschwierigkeiten). Folglich war die Note gegen-
über dem Golde und den Waren entwertet. In der Tat war damals
der Preisstand aller Waren unbestrittenermaßen ganz ungewöhnlich
übersetzt 1).
Aus alledem geht mit aller wünschbaren Beweiskraft hervor, daß
das Goldagio in England seine Entstehung der Ent-
wertung der uneinlösbaren Banknote verdankte. War
die Banknote entwertet, so erklärt dies den andauernd hohen Wechsel-
kurs auf alle Plätze der Erde, für die ein Wechselkurs notiert wurde;
es erklärt das andauernd hohe Goldagio und die Tatsache, daß nur ver-
schwindend wenig Gold nach England floß, während Gold immerfort
zu haben war. Die übermäßige Notenausgabe erklärt die außerordent-
liche und allgemeine Preissteigerung der Waren im Jahre 1809, die
große Spekulation, den Konjunkturaufschwung und die darauffolgende
Panik des Jahres 1810. Jede neue weitherzige Krediterteilung mußte
den Warenimport fördern und damit die Zahlungsbilanz zu Englands
Ungunsten drehen, bis sie wieder bei erhöhtem Agio und Wechselkurs
ins Gleichgewicht kam. Hingegen ist das weitausholende Pendeln des
Wechselkurses auf das Konto der Kaperungen zu setzen. Die erhöhten
Transport- und Versicherungskosten auch für das Gold rückten natur-
gemäß den Goldimport- und den Goldexportpunkt auseinander, so dab
der sich in Friedenszeiten innerhalb sehr enger Grenzen vollziehende
1) Vgl. Bouniatian, a. a. O. S. 203.
Miszellen. 397
Ausgleich der Zahlungsbilanz sich nur schwer und langsam durchzu-
setzen vermochte.
Die Entwertung der Noten wird bestätigt durch die weitere Tat-
sache, daß schon vor der Einstellung der Barzahlung der Marktpreis
des Goldes bisweilen, aber eben nur vorübergehend, über den Münz-
preis gestiegen war!), weil die englischen Münzen nicht exportiert
werden durften und die Bank von England selber zur Stärkung ihrer
Metallreserve eine große Nachfrage nach Barrengold entfaltet hatte;
damals bestand infolge der passiven Zahlungsbilanz Englands ein Gold-
agio, das nach kurzer Zeit wieder verschwinden mußte, weil es vorteil-
haft wurde, aus allen Ländern, selbst jenen, mit denen Englands
Zahlungsbilanz augenblicklich ungünstig stand, Gold zu importieren.
Mit vollem Rechte meinte Ricardo, es wäre schwierig, die Be-
hauptung zu beweisen, daß die Notenausgabe nicht in größerem Maße
gestiegen sei, als die Zunahme des Handels es erfordert habe. Der
durchschnittliche Notenumlauf in den 6 Jahren 1791—1796 vor der
Aufhebung der Barzahlung betrug 111/, Mill. £; er stieg 1800 auf 15,1;
1805—1808 vor der Spekulationsepoche schwankte er zwischen 16,7
und 17,1. Zur Zeit der Spekulation des Jahres 1809 schnellte er auf
18,9 und stieg vor der Krisis in der ersten Hälfte des Jahres 1810
auf 20,8 und in der zweiten Hälfte, während der Krisis, auf 24,1 Mill. £.
1805 betrug das Wechselportefeuille der Bank ca. 6!/, Mill.; 1805 bis
1808 schwankte es um 121/, Mill. herum; 1809 erreichte es rund
151/, Mill, 1810 20 Mill. und vor Ausbruch der Krisis im August 1810
23,75 Mill. £?) Nun wurde zwar von den Sachverständigen betont,
daß die Notenausgabe in weitem Abstande dem ungünstigen Wechsel-
kurse gefolgt, und, so bedeutend der Notenumlauf gewesen sei, die
gesamte Zirkulation des Landes selbst während und nach der Krisis
von 1810 doch geringer gewesen sei als vor der Einstellung der Bar-
zahlung. Denn der Goldabfluß habe den Geldumlauf vermindert. Der
inzwischen emporgeblühte Handel habe zudem einen größeren Geld-
umlauf verlangt. Folglich, so sagten die Sachverständigen, konnte die
Menge der umlaufenden Noten keine übermäßige und die Note nicht
entwertet sein. Außerdem habe die Bank nicht an Vertrauen ein-
gebüßt.
Dies alles beweist aber so lange nichts, wie nicht nachgewiesen
werden kann, daß die nach jedem Goldexport erfolgte Inanspruchnahme
des Kredites der Bank von England nicht größer war als der Betrag
des abgeflossenen Goldes. Dieser Nachweis ist aber schlechterdings
unmöglich. Zudem gestanden manche Sachverständige zu, selbst bei
dem Grundsatze der Bank von England, nur gutes Kommerzpapier zu
diskontieren, hätte ein Uebermaß an Umlaufsmitteln entstehen können.
Weiter sagten sie aus, die Zahl der Provinzialbanken sei gewachsen,
die Banken hielten eine kleinere Reserve, es zirkulierten viele Bank-
akzepte, und die bargeldersparenden Zahlungsmethoden seien seit der
1) 1795 auf 4 £ 5 sh (Bouniatian, a. a. O. S. 218).
2) Bouniatian, a. a. O. S. 217.
398 Miszellen.
Restriktion in immer weitere Kreise gedrungen (Min., S. 115 u. 228 ff.).
Von psychologischem Interesse ist die Behauptung, die Bank von Eng-
land habe damals nicht an Kredit eingebüßt. Die Banknote galt jahre-
lang 15 Proz. weniger als Barrengold. Man schätzte mithin den Kredit
der Bank ohne Unterbruch bloß auf 85 Proz. ihrer früheren Kredit-
würdigkeit und hatte also gar keinen Anlaß, der Banknote auch weiterhin
mit Mißtrauen zu begegnen.
Wir müssen somit notgedrungen Ricardo und dem Bullion
Report recht geben, wenn sie der Meinung waren, die Banknote sei
damals entwertet gewesen. Und wieder müssen wir Ricardo zu-
stimmen, wenn er überzeugt war, die Entwertung der Noten, das hohe
Goldagio und die passive Zahlungsbilanz seien die Folge der über-
mäßigen Ausgabe von uneinlösbaren Noten der Bank von England
gewesen.
Literatur. 399
Literatur.
In.
Ein neuer Grundriß der Sozialökonomik.
Von Karl Diehl, Freiburg i. B.
Von dem lange vorbereiteten und erwarteten neuen Grundriß der
Sozialökonomik liegen bereits drei Abteilungen und ein Teil der vierten
Abteilung vollendet vor (Tübingen 1914). Es ist zwar nur ein Bruch-
stück des großen Gesamtwerkes, das uns in Aussicht gestellt ist, aber
es ist doch schon ein so erheblicher Teil, daß an dieser Stelle ein
Ueberblick über das bisher Gebotene und das noch in Aussicht Gestellte
gegeben werden kann. Es kann sich natürlich nur um eine vorläufige
Besprechung handeln, ein endgültiges und vollständiges Referat kann
erst nach Beendigung des Gesamtwerkes geliefert werden. Auch der
Besprechung über die bis jetzt vorliegenden Bände muß ich gewisse
Grenzen stecken. Es kann sich hier nicht darum handeln, eine
Einzelkritik über alle vorliegenden Arbeiten zu bieten, die in
diesem Sammelwerke vereinigt sind. Handelt es sich doch jetzt schon
um nicht weniger als 21 Abhandlungen, von denen einzelne mehrere
hundert Seiten umfassen. Ich will vielmehr versuchen, den Gesamt-
charakter des Werkes zu kennzeichnen, dann den Aufbau in seinen ein-
zelnen bis jetzt vorliegenden Teilen kurz zu skizzieren und zum Schluß
eine eingehendere Besprechung zweier Arbeiten zu geben, nämlich von
Wiesers „Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft“, und von Gottls
„Wirtschaft und Technik“. Es handelt sich hierbei nicht nur um die
weitaus umfassendsten Teile des Gesamtwerkes, soweit es bis jetzt vor-
liegt, sondern auch um diejenigen Arbeiten, welche inhaltlich in be-
sonderem Maße zu prinzipiellen und methodologischen Bemerkungen
Anlaß geben.
Bei einem neuen Grundriß liegt es nahe, Vergleiche anzustellen mit
ähnlichen Sammelwerken früherer Art. Nur zwei könnten in Betracht
kommen: Frankensteins Hand- und Lehrbuch der Staatswissen-
schaften und das Schönbergsche Handbuch der Politischen Oekonomie.
Es muß von vornherein festgestellt werden, daß der neue Grundriß mit
diesen beiden früheren Unternehmungen gar keine Aehnlichkeit aufweist.
Die Frankensteinsche Sammlung stellt eine lose Zusammenfügung
von lauter selbständigen einzelnen Werken aus dem Gesamtgebiet der
Staatswissenschaften dar. Das Schönbergsche Handbuch bot aller-
dings eine systematische Gesamtdarstellung der politischen Oekonomie,
400 Literatur.
aber doch in einer grundsätzlich verschiedenen Weise von der des neuen
Grundrisses. Vor allem, was die Stoffabgrenzung anlangt: während das
Schönbergsche Handbuch die Finanzwissenschaft, das Armenwesen
und die Verwaltungslehre mitumfaßte, sind diese Gebiete jetzt nicht
aufgenommen. Auch im Aufbau und der Systematik ist keine Ver-
wandtschaft mit diesem älteren Werke vorhanden. Die Stoffgruppie-
rung und -einteilung, die Persönlichkeiten der Herausgeber und Mit-
arbeiter, alles ist gänzlich neu, so daß kein, auch nicht der loseste
Zusammenhang mit dem älteren, in demselben Verlage erschienenen
Werke vorhanden ist. Herausgeber des ganzen Werkes ist jetzt Max
Weber, der dabei von mehreren Mitarbeitern unterstützt wird, dar-
unter besonders von Bücher und von v. Philippovich. — Ich er-
wähnte, daß große Teile des Schönbergschen Handbuches in dem
neuen Grundriß nicht behandelt sind. Dafür sind große neue Ge-
biete hinzugetreten, die in dem früheren Sammelwerke fehlen. Vor allem
ist in weitgehendem Maße auch die Privatwirtschaftslehre aufge-
nommen: die kaufmännische, gewerbliche uud landwirtschaftliche Betriebs-
lehre werden in besonderen Abschnitten behandelt. Ferner sind auch
die Beziehungen zu den verschiedensten anderen Gebieten, sowohl des
natürlichen wie des gesellschaftlichen Lebens einbezogen. Das ganze
Werk ist auf breitester soziologischer Basis aufgebaut. — Gänzlich neu
ist auch die Einteilung des Gesamtwerkes. Hierdurch unterscheidet
sich der neue Grundriß nicht nur von den erwähnten Sammelwerken,
sondern auch von allen gebräuchlichen Lehr- und Handbüchern unserer
Wissenschaft. Fast alle diese Gesamtdarstellungen unseres Wissenschafts-
gebietes gehen von der alten üblichen Einteilung der Universitätsvor-
lesungen aus: in theoretische oder allgemeine, und praktische oder spe-
zielle Nationalökonomie. Im ersten Teil werden in üblicher Weise die
sogenannten allgemeinen Erscheinungen des wirtschaftlichen Lebens, im
zweiten Teile die besonderen Erscheinungen der hauptsächlichen mate-
riellen Erwerbszweige, der Landwirtschaft, der Gewerbe und des Handels
behandelt. In der Regel wird dabei Geld- und Bankwesen im ersten
Teil untergebracht. Dies alles ist in dem neuen Grundriß gänzlich auf-
gegeben. Im Mittelpunkte steht jetzt die moderne kapitalistische
Wirtschaft, alles andere gruppiert sich darum, soll teilweise zur
Vorbereitung für das Verständnis dieser Wirtschaftsform dienen, teilweise
die Beziehungen darstellen, welche sie zu den anderen Kultur-
gebieten hat.
Im einzelnen ist die Stoffeinteilung in folgender Weise vorgenommen.
Von den fünf Büchern, die das Gesamtwerk umfassen soll, sind vier der
kapitalistischen Wirtschaft gewidmet, und zwar soll das zweite Buch
die spezifischen Elemente der kapitalistischen Wirtschaft zur Darstellung
bringen. Nicht nur die prinzipielle Eigenart des modernen Kapitalismus,
sondern auch wichtige Einzelerscheinungen des Kapitalismus, wie der
Geld- und Kapitalmarkt, und die Preisbildung, die Konjunkturen- und
Krisenerscheinungen innerhalb dieser Wirtschaftsform sollen geschildert
werden. — Das dritte Buch, betitelt: „Die einzelnen Erwerbsgebiete in
der kapitalistischen Wirtschaft und die ökonomische Binnenpolitik im
Literatur. 401
modernen Staate“ bietet stofflich das, was üblicherweise in der soge-
nannten praktischen Nationalökonomie behandelt wird, aber in neuer
Grundauffassung, nämlich so, daß die Darstellung immer die Beziehungen
zur kapitalistischen Wirtschaft in den Vordergrund stellt und daß nur
in Einleitungskapiteln die vorkapitalistischen Epochen kurz skizziert
werden. Es wird zuerst der Güterverkehr (Handel, Kreditbankwesen
und Transportwesen) zur Darstellung gebracht, hierauf die Güterpro-
duktion, und zwar zuerst in Industrie, Berg- und Bauwesen, hierauf in
der Landwirtschaft; den Schluß bildet das Versicherungswesen. — Das
vierte Buch handelt von den kapitalistischen Weltwirtschaftsbeziehungen
und der äußeren Wirtschafts- und Sozialpolitik im modernen Staate. —
Das fünfte Buch bringt die gesellschaftlichen Beziehungen des Kapita-
lismus und die soziale Binnenpolitik im modernen Staate zur Darstellung.
Hier werden viele mit dem Kapitalismus in Zusammenhang stehende
Einzelprobleme behandelt, wie z. B. die Mittelstandsfragen, die innere
Kolonisation, die Genossenschaftspolitik und ähnliches.
Das erste Buch ist betitelt: „Grundlagen der Wirtschaft“ und soll
die theoretischen Grundlagen bieten, die zum Verständnis der modernen
kapitalistischen Wirtschaft als einer historischen Epoche des Wirtschafts-
lebens überhaupt notwendig sind. Hier finden sich die Kapitel über
die Wirtschaftsstufen, über die nationalökonomische Dogmengeschichte,
ferner eine theoretische Darstellung des Wirtschaftslebens von seinen
Elementen bis zur höchsten Ausbildung in der Weltwirtschaft. — Es
folgt dann eine zweite Abteilung, welche die natürlichen und technischen
Beziehungen der Wirtschaft behandelt; während die genannten Ab-
schnitte der „Grundlagen“ in dieser oder jener Form auch in sonstigen
Lehrbüchern der Nationalökonomie abgehandelt werden, ist noch eine
dritte Abteilung hinzugefügt, betitelt „Wirtschaft und Gesellschaft“,
welche Probleme behandelt, die sonst in nationalökonomischen Lehr-
büchern nicht behandelt zu werden pflegen, und die deutlich den sozio-
logischen Charakter des Gesamtwerkes beweisen, z. B. Betrachtungen
über die ethnischen Gemeinschaftsbeziehungen, über die religiösen Ein-
flüsse, über die politischen Verbände und Parteien, über die Herrschafts-
typen u. a.
Wie aus dieser Uebersicht ersichtlich, ist der Rahmen für die Be-
handlung der Probleme unseres Faches außerordentlich weit gesteckt,
besonders durch die Einbeziehung der privatwirtschaftlichen und tech-
nischen Disziplinen und durch die Berücksichtigung verschiedenster
Gebiete unseres ganzen Kulturlebens. Daß alle diese Fragen, die dort
behandelt werden, in einem gewissen Zusammenhang mit unserer Dis-
ziplin stehen, ist sicher. Es ist lediglich Zweckmäßigkeitsfrage, wie
dieser Zusammenhang zur Darstellung gelangen soll. Bisher war es
üblich, diese Probleme innerhalb der systematischen Behandlung der
einzelnen Kapitel der Nationalökonomie zu besprechen; so z. B. ist
dies in ausgezeichneter Weise von Karl Knies in seinem Werke
„Die politische Oekonomie vom geschichtlichen Standpunkt“ geschehen.
Dort ist die Bedeutung der geographischen Bedingungen, der Einfluß
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 26
402 Literatur.
der Rassen, die Beziehung zu den religiösen Faktoren im Rahmen der
allgemeinen Grundlehren der Nationalökonomie dargestellt.
Der im „Grundriß“ eingeschlagene Weg ist der umgekehrte. Hier
werden in systematischer Darstellung die Beziehungen der betreffen-
den Grenzgebiete zu den wirtschaftlichen Problemen behandelt. — Um
es an ein paar Beispielen zu zeigen: Die Ueberlegenheit der eng-
lischen Baumwollmanufaktur in der Herstellung feinerer Garne be-
ruht zum Teil auf klimatischen Bedingungen, nämlich dem großen
Feuchtigkeitsgrad der Luft im westlichen England. Man kann nun
entweder diese und ähnliche Faktoren, bei der Lehre von der Pro-
duktion oder in einer allgemeinen Darstellung der natürlich-technischen
Bedingungen des Wirtschaftslebens aufzeigen, oder man stellt, wie es
im „Grundriß“ geschieht, diese Zusammenhänge in einer systematischen
Uebersicht der „geographischen Bedingungun der menschlichen Wirt-
schaft“ dar. Ein anderes Beispiel: Die Bedeutung gewisser agrar-
technischer Vorgänge und der Eigenart der verschiedenen agrarischen
Betriebssysteme für die Agrarpolitik kann entweder in den betreffenden
Teilen der Agrarpolitik oder der allgemeinen Nationalökonomie aufgezeigt
werden, oder man bietet alles Wesentliche in einer geschlossenen
Gesamtdarstellung über die landwirtschaftliche Betriebslehre. Beide
Methoden haben ihre Vorteile und ihre Nachteile. Das im „Grundriß“
gewählte Vorgehen führt jedenfalls zu einer außerordentlich großen
Ausdehnung des Gesamtwerkes. Es wird auf etwa 10—12 umfang-
reiche Bände anwachsen; auch sind Wiederholungen nicht zu vermeiden.
Und dennoch müssen immer Lücken bleiben — es muß eine „Auslese“
stattfinden, da doch nicht alle mit dem Wirtschaftsleben im Zu-
sammenhang stehenden Wissens- und Kulturgebiete einbezogen werden
können. Ferner, wenn, wie in der Abhandlung von Hettner, die
geographischen Bedingungen der menschlichen Wirtschaft zusammen-
gestellt werden, so wird einerseits zuviel gegeben, weil verschiedene
allgemeine Forschungsergebnisse der geographischen Wissenschaft zur
Darstellung kommen müssen, die mit unserem Gebiet gar keine Be-
ziehung haben; andererseits wird doch bei der im Rahmen eines der-
artigen Gesamtwerkes gebotenen Kürze in diesem Falle in einem Auf-
satze von etwa 30 Seiten doch nicht annähernd alles das geboten
werden können, dessen etwa der Nationalökonom an Wissenswertem aus
der Geographie bedarf. Es wird sich immer nur um einzelne
Probleme handeln können, die hier die Fachgeographie als für den
Nationalökonomen besonders wichtige herausgreift. Ebenso ist es bei
der landwirtschaftlichen, der gewerblichen und kaufmännischen Betriebs-
lehre. In den betreffenden Abschnitten findet sich einerseits vieles, was
der Nationalökonom sicher entbehren kann; gibt doch z. B. Leitner
in seiner Abhandlung „Ueber die Betriebslehre der kapitalistischen
Großindustrie“ sogar eine Uebersicht über die Art der kaufmännischen
Kundenwerbung vermittels Reklame, Plakate etc., und ähnliches ließe
sich auch von dem Artikel Brinkmanns über „Die Oekonomik des
landwirtschaftlichen Betriebes“ sagen. Und dennoch wird andererseits
der Nationalökonom bei manchen Einzelfragen die Hauptwerke der be-
Literatur. 403
treffenden Sonderdisziplinen zu Rate ziehen müssen. Der Vorzug der
neuen Behandlungsweise liegt darin, daß die betreffenden Probleme
innerhalb des Rahmens der Fachdisziplin vorgeführt werden, daß die
besondere Problemstellung und die eigenartige Methode der Nachbar-
wissenschaft hervortreten. Man gewinnt dadurch einen Einblick in die
wissenschaftliche Behandlung dieser Fragen von seiten der eigentlichen
Fachwissenschaft. Dasselbe gilt auch für die Behandlung der sozio-
logischen Probleme. Auch hier ist die systematische Behandlung der
Beziehungen bestimmter Kulturgebiete zum Wirtschaftsleben gewiß
in vieler Hinsicht lehrreicher, als wenn dies nur nebenbei und zu-
fälligerweise bei Behandlung einzelner nationalökonomischer Probleme
geschieht. Es ist nur zu hoffen und zu wünschen, daß das unendlich
reiche Wissensmaterial, das hier dem Nationalökonomen geboten wird,
ihn nicht dazu verführen wird, zu glauben, auf allen möglichen Ge-
bieten mitreden und sich ein selbständiges Urteil zutrauen zu dürfen,
etwa wie in der Zeit des Kameralismus der Nationalökonom schließlich
„Hans Dampf in allen Gassen“ sein wollte. Es ist zu hoffen, daß gerade
die fachmännische und gründliche Behandlung solcher Grenzgebiete
dem Nationalökonomen die Schwierigkeiten und eigenartige Problem-
stellung dieser Nachbarwissenschaften aufzeigt, und daß sie ihn lehrt,
dort, wo er auf solche Probleme kommt, vorsichtig und zurück-
haltend zu sein. Dann kann die systematische Beschäftigung mit
diesen Problemen für ihn nur heilsam sein, weil sie ihn darauf hin-
weist, daß er nicht, mit Scheuklappen bewaffnet, nur mit seinen eng-
sten Fachproblemen sich beschäftigen soll.
Der neue Grundriß ist aber nicht nur in der stofflichen Ausdeh-
nung von den früheren Unternehmungen solcher Art grundverschieden,
sondern auch in der Art der wissenschaftlichen Behandlung.
Der „Grundriß* stellt kein eigentliches Lehrbuch dar — in der Vor-
rede wird es zwar als ein „Lehrbuch“ bezeichnet und der „didaktische“
Charakter des Werkes hervorgehoben — aber ein Lehrbuch in dem
Sinne, daß der junge Student hier systematisch in unser Fach ein-
geführt wird, ist es nicht. Die meisten Beiträge sind für diesen
Zweck auf einem viel zu hohen wissenschaftlichen Niveau gehalten und
setzen meist schon die elementaren Kenntnisse unseres Faches voraus.
Nur einzelne Beiträge, wie z. B. der von Bücher über die Wirt-
schaftstufen oder der von Wittich über die Epochen der Agrarpolitik,
sind so gehalten, daß sie auch dem Verständnis des jungen Studenten
zugänglich sind. Viele andere setzen große Vorkenntnisse voraus,
wie z. B. das Studium der Abhandlung von Schumpeter über die
Dogmengeschichte nur Nutzen für den hat, der bereits mit der Ge-
schichte der Volkwirtschaftslehre vertraut ist. Viele Beiträge stellen
im Grunde genommen wissenschaftliche Monographien über Spezial-
fragen dar, manche davon behandeln völliges Neuland, wie z. B. der
Aufsatz von Weyermann über die ökonomische Eigenart der modernen
gewerblichen Technik. Der „Grundriß“ ist also mehr für gereiftere
ältere Studierende und für Fachleute geeignet.
26*
404 Literatur.
Die bisher vorliegenden Teile umfassen: vom ersten Buch Abtei-
lung 1: „Grundlagen der Wirtschaft“ und Abteilung 2: „Die natür-
lichen und technischen Bedingungen der Wirtschaft“. Ferner von
Buch 3: Die einzelnen Erwerbsgebiete der kapitalistischen Wirtschaft
die Abteilung 6: „Industrie, Berg- und Bauwesen“, ferner die ersten
Abschnitte der Abteilung 7: „Land- und forstwirtschaftliche Pro-
duktion“.
Der Eindruck, den diese Bände erwecken, ist ein günstiger;
jedenfalls zeigen alle Einzelbeiträge die gründliche und streng wissen-
schaftliche Forschungsweise, die dem ganzen Werke aufgeprägt ist,
und sie gewähren einen interessanten Einblick in den Zustand der
Gärung, in dem sich unsere Wissenschaft befindet, in die Fülle der
Probleme, mit denen sie ringt, in die Vielgestaltigkeit der Methoden,
denen die einzelnen Autoren anhängen. Das, was vielleicht dem Lehr-
buchcharakter des Werkes Abbruch tut, kommt der wissenschaftlichen
Forschung zugute. Wir werden auch in Fragen und Gebiete der
Wissenschaft eingeführt, wo man noch in keiner Weise von irgendeinem
Abschluß reden kann. Deutlich tritt in dem Grundriß im Vergleich
mit den älteren Gesamtdarstellungen der Volkswirtschaftslehre hervor,
wie mehr und mehr eine Abwendung von der aprioristischen abstrakt-
deduktiven Behandlungsweise zu einer mehr realistisch-empirischen Be-
handlung der Probleme erfolgt ist. Dies soll nicht heißen, daß die
historische Richtung über die theoretische den Sieg davon getragen
hätte; umgekehrt: die theoretische Richtung hat zweifellos immer
mehr Boden gewonnen, aber sie glaubt jetzt nicht mehr mit wenigen
knappen Lehrsätzen der alten Schule auszukommen, sondern der Viel-
gestaltigkeit des modernen Wirtschaftslebens entsprechend werden auch
die Komplikationen und Differenzierungen der ökonomischen Erschei-
nungen viel mehr in Betracht gezogen.
Wie es bei einem solchen Sammelwerke unvermeidlich ist, sind die
einzelnen Beiträge sehr ungleich. Das ist selbstverständlich, was
Methode und wissenschaftliche Lehrmeinung anlangt; auffallend ist
jedoch die große Ungleichheit in der räumlichen Ausdehnung der ein-
zelnen Beiträge. So umfaßt z. B. das nationalökonomisch sehr schwierige
und wichtige Kapitel der Bestimmungsgründe des Bodenpreises nur
5!/, Seiten, während der Oekonomik des landwirtschaftlichen Betriebes,
die vielfach in Gebiete der agrarischen Technik führt, die dem National-
ökonomen viel ferner liegen, beinahe 100 Seiten gewidmet sind. Eines
der wichtigsten grundlegenden Kapitel unserer Wissenschaft, nämlich
die Bevölkerungslehre, umfaßt nur 63 Seiten, d. h. nur wenige Seiten
mehr als das Spezialproblem der finanziellen Organisation der kapita-
listischen Produktion und der Monopolbildungen. Doch das sind Unstim-
migkeiten und Ungleichheiten, die wohl bei keinem solchen Sammelwerke
vermieden werden können, und jeder, der weiß, wie groß die sachlichen
und persönlichen Schwierigkeiten bei der Raumökonomie eines solchen
Gesamtwerkes sind, wird den Herausgebern hieraus gewiß keinen Vor-
wurf machen.
Literatur. 405
Unter den Abhandlungen, die zu dem grundlegenden Teil des
ganzen Werkes gehören, stellt die von Bücher über die volkswirt-
schaftlichen Entwicklungstufen einen knappen Auszug aus seinem längst
bekannten Werke: „Entstehung der Volkswirtschaft“ dar.
Schumpeter bietet in seiner Darstellung der Epochen der Dog-
mengeschichte der Nationalökonomie etwas durchaus Neues. Es ist
keine Geschichte der Nationalökonomie in der üblichen Weise, sondern
ein umfassender Ueberblick über die verschiedenen Richtungen des
nationalökonomischen Denkens und Arbeitens in durchweg origineller
Auffassung. Der Inhalt der Lehrsysteme wird nur kurz gestreift, da-
gegen wird die methodische Grundauffassung der einzelnen Richtungen
scharf charakterisiert und in eigenartiger Weise kritisiert. In vielen
Punkten wird der Verfasser auf Widerspruch stoßen, aber niemand wird
ohne die größte Anregung diesen Abschnitt lesen. Zweifelhaft ist mir
allerdings, ob viele Leser dem Verfasser zustimmen können, wenn er
von der Preistheorie meint, daß das „theoretische Gerüst ziemlich
fertig“ sei, und daß es „wirklich bedeutende Gegensätze innerhalb dieser
Theorie“ nicht mehr gäbe. Hier liegt offenbar eine große Ueber-
schätzung der Grenznutzentheorie vor, die überhaupt im ganzen Ab-
schnitt hervortritt. Schumpeter führt seine Darstellung bis zur
Gegenwart und bringt auch die neusten theoretischen Strömungen und
Richtungen zur Darstellung. Man möchte es als Tadel aussprechen,
daß hierbei Schumpeter mit keinem Wort seine eigenen Arbeiten,
die doch zweifellos durch originelle Gedankengänge sich auszeichnen,
erwähnt, wenn es nicht andererseits gerade als rühmlich hervorgehoben
werden muß, daß ein Autor im Gegensatz zu manchen anderen, die die
Wichtigkeit der eigenen Lehrmeinung stark in den Vordergrund stellen,
hier seine Person und seine Werke, wenn auch in allzu großer Be-
scheidenheit, gänzlich in den Hintergrund treten läßt.
Die Abhandlung von Wieser werde ich, wie erwähnt, später noch
ausführlicher behandeln. —
Ich wende mich jetzt zur zweiten Abteilung, welche die natür-
lichen und technischen Beziehungen der Wirtschaft zum Gegenstand hat.
Die Abhandlung von Hettner über die geographischen Wirkungen
der menschlichen Wirtschaft zeigt deutlich die Schwierigkeiten, mit
denen ein Verfasser zu ringen hat, der im knappsten Rahmen die Be-
zieliungen einer Sonderwissenschaft zu einer Nachbarwissenschaft dar-
stellen soll. Denn die in äußerster Kürze gegebenen Mitteilungen über
Küsten- und Bodengestaltung, über Erdbeben und Vulkane, Wasser
und Klima, Pflanzen- und Tierwelt können natürlich nur das bieten,
was inhaltlich etwa einem Auszug aus größeren Lehrbüchern gleich-
kommt, können aber wiederum gerade wegen dieser Kürze doch die
Zuhilfenahme solcher größeren Werke nie entbehrlich machen. So
bleibt nur das Resultat, daß der Nationalökonom auf die Wichtigkeit
dieser geographischen Bedingungen systematisch hingewiesen hat, wobei
es aber immer zweifelhaft bleibt, ob dieser Hinweis nicht besser im
Zusammenhang mit den nationalökonomischen Einzelproblemen geschähe.
406 Literatur.
Eine viel abgerundetere und vollständigere Darstellung der von ihm
behandelten Materie konnte Mombert in seiner Abhandlung über Be-
völkerungslehre bieten. Es ist dem Verfasser gelungen, die wichtig-
sten Probleme, die sich hier der sozialwissenschaftlichen Forschung
darbieten, in scharfumrissener Darstellung vorzuführen. Die historisch-
statistische Seite der Bevölkerungslehre kommt ebenso zu ihrem Rechte
wie die theoretischen Gesichtspunkte; und in letzterer Hinsicht ist es
besonders zu begrüßen, daß Mombert sich bemüht hat, in die Be-
griffe Uebervölkerung, Untervölkerung etc. größere Klarheit hineinzu-
bringen.
Der folgende Abschnitt von Michels über „Wirtschaft und
Rasse“ umfaßt nur 5 Seiten. Es war daher von vornhein ausgeschlossen,
daß diese schwierige und wichtige Materie auch nur annähernd er-
schöpfend oder auch nur in ihrer wesentlichsten Problemstellung zur
Erörterung kommen konnte. —
Einen großen Raum dagegen nimmt, verglichen mit der sonst üb-
lichen knappen Darstellung in den Lehrbüchern, die Lehre von der Kon-
sumtion ein, die Oldenberg unter Heranziehung reichen Materials
behandelt. Was Oldenberg bietet, ist vor allem eine sehr genaue
und sorgfältige Tatsachendarstellung. Die Statistik der Konsumtion
wird sehr ausführlich behandelt, und vor allem die Konsumtion nach
ihrer physiologischen Seite hin, aber doch immer im Zusammenhang mit
den nationalökonomischen Problemen behandelt. Nur kurz wird dagegen
die Theorie und Politik der Konsumtion zur Darstellung gebracht.
Hierbei hat Oldenberg eine Behauptung aufgestellt, der widersprochen
werden muß. Er spricht von der Vernachlässigung der Lehre von der
Konsumtion von seiten der nationalökonomischen Theorie und meint,
daß sie auch in der Anordnung der Lehrbücher nicht einmal den ihr
gebührenden Rangplatz habe; im besten Falle erscheine sie als Anhang
der Lehre von der Produktion oder vom Umlauf der Waren, statt Aus-
gangspunkt zu sein! Die Analyse der Volkswirtschaft müsse vom Be-
darf der Konsumenten ausgehen, denn das volkswirtschaftliche Ziel der
Produktion sei die Konsumtion. — Diese Auffassung, die auch schon
Hasbach in ähnlicher Weise in seiner Schrift über „Güterhervor-
bringung und Güterverzehrung“ vertreten hatte, scheint mir falsch zu
sein. Die Menschen als Wesen, die zu ihrer Lebenshaltung einen ge-
wissen Konsumbedarf decken müssen, interessieren uns zunächst nur
naturwissenschaftlich bzw. physiologisch; nationalökonomisch ist die
Konsumtion nur insoweit von Interesse, als die soziale Art der
Deckung des Konsumbedarfs in Frage kommt. Hierfür ist aber wiederum
bestimmend die Art der Produktion; es müssen zuerst Güter produziert
sein, ehe sie konsumiert werden können. Vor allem ist aber die ganze
Art der Produktionsweise bestimmend für Art und Richtung der Kon-
sumtion. Die Analyse der Volkswirtschaft muß daher von den Pro-
duktionsvorgängen ausgehen; ob die Produktion individualistisch oder
sozialistisch gestaltet ist, ob sie gebunden und reglementiert oder nach
dem Prinzip der freien Konkurrenz organisiert ist, ist ausschlaggebend
für die Art, wie innerhalb des sozialen Verbandes die Konsumtion vor
Literatur. 407
sich geht. So ist z. B. die Konsumtion sozialwirtschaftlich ganz anders
gestaltet im merkantilistischen System, wo die Produktion an strenge
Vorschriften in bezug auf die herzustellenden Güter geknüpft ist, als
im System der freien Konkurrenz. — Es muß zunächst der sozialwirt-
schaftliche Produktionsprozeß betrachtet werden; hiervon abhängig ist
dann die Art und Weise, wie die Konsumenten ihre Wünsche und Be-
dürfnisse zur Geltung bringen können. —
Dem nationalökonomisch so wichtigen Kapitel der Arbeit und der
Arbeitsteilung sind leider nur 30 Seiten gewidmet, jedenfalls sehr wenig,
verglichen mit manchen privatwirtschaftlich-technischen Abschnitten des
Werkes, und zu wenig um auch nur annähernd die hier in Frage kom-
menden strittigen und wichtigen Probleme ausgiebig zu behandeln.
Immerhin hat es Herkner verstanden, soweit es in diesem knappen
Rahmen möglich war, die Probleme, die hier in Frage kommen, klar
und übersichtlich zur Darstellung zu bringen. Neben dem einleitenden
Kapitel über das Wesen der Arbeit gibt er eine Skizze über die Ent-
wicklung der Arbeit und der Arbeitsteilung und legt die unterscheiden-
den Eigentümlichkeiten der einzelnen Arten der Arbeiter (landwirtschaft-
liche und gewerbliche, gelernte und ungelernte etc.) dar. Mit Recht
beklagt Herkner, daß dem nationalökonomischen Begriff der Arbeit
noch so wenig Aufmerksamkeit zuteil würde. Er selbst gibt auch nur
wenige Andeutungen darüber, anf welchem Wege man zu einer klaren
und gründlichen Anschauung kommen könne. Mit seiner Auffassung,
daß es unmöglich sei, zu einer nationalökonomisch brauchbaren Mes-
sungsmöglichkeit der Arbeit zu gelangen, stimme ich überein: aber
auffallend ist, daß Herkner bei seinen kritischen Betrachtungen dieses
Problems nicht auf Marx eingeht; nur eine ganz kurze beiläufige Be-
merkung (S. 171) ist dem Marxschen Arbeitsbegriffe gewidmet. Auch
vermisse ich jeden Hinweis auf ein Werk, das gerade dieses Problem
sehr interessant behandelt, nämlich von Buch, „Intensität der Arbeit,
Wert und Preis der Waren“ (Leipzig 1896).
Der Beitrag von Gottl, der noch in der II. Abteilung zum Ab-
druck gelangt, wird später von mir ausführlich behandelt werden.
Ich wende mich zur Abteilung VI, die dem Stoffe nach das enthält,
was sonst üblicherweise unter dem Kapitel Gewerbepolitik in der
praktischen Nationalökonomie zur Darstellung gelangt, hier dagegen in
ganz anderer Weise behandelt wird. Diese Abteilung zeigt in beson-
derem Maße, wie wenig der Grundriß einen lehrbuchartigen Charakter
im hergebrachten Sinne aufweist. In zwei knappen Beiträgen, die zu-
sammen nur 50 Seiten umfassen — nämlich dem von Sieveking:
Ueber die Geschichte der gewerblichen Betriebsformen und der zünftigen,
städtischen und staatlichen Gewerbepolitik und den von Schwied-
land: Ueber den Wettkampf der gewerblichen Betriebsformen — wird
alles das zur Darstellung gebracht, was sonst den Hauptstoff der Ge-
werbepolitik ausmacht. Der weitaus größte Teil des Bandes — über
300 Seiten umfassend — ist Spezialproblemen gewidmet. Es liegt auf
der Hand, daß bei dieser räumlichen Beschränkung die Darstellung der
gewerblichen Betriebsformen, sowohl im historischen wie im tatsäch-
408 Literatur.
lichen Teil, nur in den gröbsten Umrissen geboten werden konnte. Er
gibt dann eine Skizze über die Entstehung des Gewerbes während der
mittelalterlichen Zunftverfassung, hierauf der städtischen und staat-
lichen Gewerberegelung, zuletzt der Gewerbefreiheit, bietet aber in dieser
Kürze eine alles Wesentliche gut zusammenfassende Darstellung.
Aehnliches läßt sich von Schwiedlands Darstellung der gewerb-
lichen Betriebsformen sagen, die sich stark an die Arbeiten von
Bücher anlehnt.
Alfred Webers industrielle Standortslehre ist in ihrem wesent-
lichsten Teile ein knapper Auszug aus seinem bekannten Werke über
den Standort der Industrie. Dieses Buch hat bereits eine so anerkannte
Stellung in unserer Literatur, daß es sich erübrigt, an dieser Stelle
auf seine Anschauungen einzugehen.
Die Betriebslehre der kapitalistischen Großindustrie von Leitner
ist, wie bereits bemerkt, eine wesentlich privatwirtschaftliche Unter-
suchung und geht stellenweise in die kleinsten Details der kaufmän-
nischen Praxis ein. Die Beziehung zu nationalökonomischen Problemen
fehlt vielfach gänzlich.
Ganz anders verhält es sich mit den drei folgenden Abhandlungen,
die wichtige nationalökonomische Probleme der Industriepolitik zum
Gegenstand haben.
Weyermann schildert die ökonomische Eigenart der modernen
gewerblichen Technik; er betritt dabei ein Gebiet, das bisher in der
Nationalökonomie in systematischer Weise noch nicht bearbeitet wurde.
Er will die Kausalzusammenhänge aufzeigen, die zwischen der neuzeit-
lichen Technik und der ökonomischen Eigenart der Hauptindustriezweige
bestehen. Er tritt mit Recht der verbreiteten Anschauung entgegen,
daß in jedem Industriezweige der Uebergang zur kapitalintensiveren
Herstellungsweise einen selbstverständlichen Vorteil bedeute; eine exakte
Untersuchung müsse feststellen, innerhalb welcher Grenze nur dieser
Satz seine Richtigkeit habe. Weyermann unterscheidet Betriebe mit
lohnarbeitsintensiver Technik und untersucht unter Benutzung inter-
essanten Materials, das zun Teil direkt aus der Praxis geschöpft ist,
die ökonomischen Bedingungen, unter denen beide stehen. — In einer
weiteren Betrachtung über die ökonomischen Folgen der Technik in
den Hauptindustrien stellt Weyermann Typen von industriellen Ver-
hältnissen auf, immer aus dem Gesichtspunkte, inwieweit dabei die
Technik das verursachende Moment ist. Er unterscheidet hierbei die
technisch bedingten Kapital-Bezugs- und Absatz-, sowie Lohnarbeits-
verhältnisse. — Um an einem Beispiel zu zeigen, auf welche Art von
Kausalzusammenhängen die Weyermann schen Untersuchungen ge-
richtet sind: Es wird z. B. der Einfluß der Technik auf die Arbeiter-
fürsorge untersucht. Weyermann zeigt, daß, von philanthropischen
Motiven ganz abgesehen, durchaus nicht etwa die Größe des Unter-
nehmens für die Arbeiterfürsorge von besonderer Wichtigkeit sei, so
daß sie wesentlich auf den Typus des Groß- oder Riesenunternehmens
beschränkt wären. Vom Standpunkt der Technik sei besonders wichtig
die hohe Quote der Investition mit fixem Kapital.
Literatur. 409
Ein ebenfalls bisher nicht genügend beackertes Gebiet behandelt
mit größter Sachkenntnis Vogelstein in dem Abschnitt „Die finan-
zielle Organisation der kapitalistischen Industrie und die Monopol-
bildung“, wobei er vielfach an seine eigenen Arbeiten, namentlich an
sein Buch über die kapitalistischen Organisationsformen anknüpft.
Vogelstein bespricht zuerst die Finanzierung der Industrie im all-
gemeinen, wobei er das englische, das amerikanische und das europäisch-
kontinentale System unterscheidet. — Der zweite Teil seiner Arbeit:
„Expansion der industriellen Einheiten“ umfaßt besonders die Probleme
der Betriebs- und Unternehmungsgröße, der Spezialisation und Diffe-
renzierung der industriellen Produktion. Der dritte, umfassendste Teil
ist den modernen industriellen Monopolen und Kartell- und Trustfragen
gewidmet.
Nach der Seite des Arbeitsbedarfs und der Lohnpolitik wird
die moderne kapitalistische Industrie von Zwiedineck-Süden-
horst behandelt. Der Leser wird hier über die Bestimmungegründe
des Arbeitsbedarfs in der kapitalistischen Unternehmung, wie über die ver-
schiedenen Lohnsysteme in einer vorzüglich orientierenden Studie belehrt.
Die beiden letzten Abschnitte dieser Abteilung wenden sich Spezial-
zweigen der Produktion zu, nämlich dem Bergbau und dem Wohnungsbau.
In Gotheins Bearbeitung des Bergbaus ist der ganze allgemeine
historische und juristische Teil nur in alleräußerster Kürze gehalten;
er umfaßt nur 24 Seiten, während zwei Spezialprobleme unverhältnis-
mäßig ausführlich behandelt werden, nämlich die Frage der Kartelle in
der Montanindustrie und die soziale Lage der Bergarbeiter. Diesen Spezial-
fragen ist doppelt so viel Raum gewidmet als den ganzen sonstigen
Ausführungen über Bergwesen. Auf diese Weise konnte allerdings das
wichtige Kartellproblem sehr ausführlich und unter Berücksichtigung
des allerneuesten Standes der Gesetzgebung behandelt werden.
So vollständig, als auf dem knappen Raum überhaupt möglich war,
stellt Adolf Weber die ökonomischen Probleme der Wohnungspro-
duktion dar. Sehr wohltuend berührt hierbei die streng objektive, von
Werturteilen und Stimmungen sich frei haltende Behandlung dieses
Themas.
Von der 7. Abteilung der land- und forstwirtschaftlichen Produktion
liegen bisher nur einzelne Abschnitte vor.
Wittich behandelt in sehr übersichtlicher Weise im Anschluß an
die Werke von Knapp und seiner Schüler, unter denen der Verfasser
eelbst in erster Linie steht, die Epochen der deutschen Agrargeschichte.
Brinkmann gibt eine Darstellung der Oekonomik des landwirt-
schaftlichen Betriebes, die dem Nationalökonomen außerordentlich viel
Lehrreiches bietet. Geht er auch in einzelnen seiner Ausführungen, wie
früher bereits bemerkt, stark in die Details der landwirtschaftlichen
Betriebstechnik ein, so ist im großen und ganzen doch immer der Zu-
sammenhang mit wichtigen volkswirtschaftlichen Fragen der Agrar-
politik gewahrt.
Die letzte Abhandlung von Esslen über den Bodenpreis und seine
Bestimmungsgründe fällt in gewisser Hinsicht aus dem Rahmen des
410 Literatur.
Bandes heraus, der speziell der land- und forstwirtschaftlichen Pro-
duktion gewidmet ist; handelt es sich doch um eines der wichtigsten
theoretischen Grundprobleme unseres Faches, das in den allgemeinen
Teil gehört, dort auch behandelt wird, also hier eine nochmalige Er-
örterung erfährt. Wenn aber eine derartige nochmalige Spezialbehand-
lung vorgenommen wurde, so hätte sie viel eingehender und ausführlicher
sein müssen. Daß dieses ungemein komplizierte Problem auf 5 Seiten
keine irgendwie ausgiebige Erörterung finden konnte, liegt auf der Hand.
Wenn in dem großen Maße, wie es in diesem Grundriß geschieht,
privatwirtschaftlichen, technischen und soziologischen Arbeiten Aufnahme
gewährt wird, so ist die Frage, wie sich diese Probleme in den Rahmen
der Sozialökonomik einfügen, von besonderer Bedeutung. Die Abschnitte,
die diesen methodologischen Problemen gewidmet werden, sollen daher
jetzt und zwar speziell in Rücksicht auf diesen Punkt einer Kritik
unterzogen werden. Es handelt sich um den Beitrag von Gottl über
Wirtschaft und Technik und den von Wieser über die Theorie der
gesellschaftlichen Wirtschaft.
Die Abhandlung von Gott] zerfällt in drei Abschnitte. Im ersten
Abschnitt werden die grundsätzlichen Beziehungen zwischen Wirtschaft
und Technik behandelt, im zweiten Abschnitt die geschichtliche Ent-
wicklung des Verhältnisses von Wirtschaft und Technik, und im dritten
die Prinzipien der modernen Technik.
Ich will hier nur auf den ersten Abschnitt näher eingehen. — Es
sei nur so viel über die beiden anderen Abschnitte bemerkt, daß sie dem
Nationalökonomen eine so vollständige Uebersicht über die Grenzfragen
von Oekonomik und Technik bieten, wie sie unsere Literatur noch nicht
aufzuweisen hatte. Was Gottl über die Grundsätze der Eigenart der
modernen Technik, über die allgemeinen Prinzipien und die Betriebs-
gestaltung der technischen Vernunft sagt, was er über den Sinn der
Maschinen, das Tempo der Produktion und ähnliche Probleme bringt,
das alles ist in höchstem Maße lehrreich und voller Anregung auch für
den Sozialökonomen.
Ich wende mich jetzt zu den Ausführungen des ersten Abschnittes
über die grundsätzlichen Beziehungen zwischen Wirtschaft und Technik.
Gottl gebraucht den Ausdruck Technik in dem Sinne, wie man von
technischem Fortschritt etc. spricht, will aber nur die Technik im be-
sonderen behandeln, nicht in dem allgemeinen Sinn, wonach Technik
einfach jede Art und Weise des praktischen Vorgehens bedeutet.
Diese Technik im allgemeinen weist nach Gottl eine doppelte
Natur auf; im subjektiven Sinne ist sie die Kunst des rechten
Weges zum Zweck, im objektiven Sinne das abgeklärte Ganze, das Ver-
fahren und Hilfsmittel des Handelns innerhalb eines bestimmten Bereichs
menschlicher Tätigkeit. Diese Technik im allgemeinen verwirklicht sich
in so viel Spezialarten, als wir Bereiche der menschlichen Tätigkeit
unterscheiden. Gottl zählt die Richtungen der Technik auf, je nach
der allgemeinen Richtung, die das Handeln verfolgt, für dessen Vorgehen
die Technik verantwortlich bleibt:
Literatur. 411
1) Individualtechnik: sobald das bevormundete Handeln ein Eingriff
ist in die seelisch-körperliche Verfassung des Handelnden selber (Technik
der Leibesübungen).
2) Sozialtechnik: sobald das bevormundete Handeln die Einstellung
auf den „Anderen“ erfährt, ein Eingriff ist in die Beziehungen zwischen
den Handelnden (Technik des Regierens und Verwaltens).
3) Intellektualtechnik: sobald das Handeln ein Eingriff ist in eine
intellektuelle Sachlage (z. B. Technik des Rechnens).
4) Realtechnik: sobald das bevormundete Handeln ein Eingriff ist
in die sinnfällige Außenwelt, ob nun organischer oder anorganischer
Natur. Die Realtechnik ist demnach die Technik des naturbeherrschenden,
an den Naturgesetzen orientierten Handelns. Diese Realtechnik soll
ziemlich genau mit dem Inbegriff von Technik zusammenfallen, den
Gottl als Technik im besonderen bezeichnet, und den er seiner Ab-
handlung zugrunde legt. — So würde also Technik im Gottlschen
Sinne zu definieren sein als das „abgeklärte Ganze der Verfahren und
Hilfsmittel des naturbeherrschenden Handelns“.
Welche Beziehungen bestehen zwischen dieser so definierten Technik
und der Wirtschaft? Gottl weist zunächst auf die gemeinsame Wurzel
und den gemeinsamen Grundgedanken von Wirtschaft und Technik hin.
Diese gemeinsame Wurzel soll unsere Lage zur Außenwelt sein. Aus
dem Umstand, daß wir Bedürfnisse hätten, die nur in der Außenwelt
ihre Befriedigung finden könnten, entspringe die Wirtschaft; aus der
Notwendigkeit, den Naturgesetzen Rechnung zu tragen, um die Natur
beherrschen zu können, die Technik, oder, wie er es kurz ausdrückt:
Technik ist um der Wirtschaft willen da, aber Wirtschaft nur durch
Technik vollziehbar. Ihrer Idee nach sei Wirtschaft die Ordnung in
den Handlungen der Bedarfsdeckung, Technik die Ordnung im Vollzug
dieses Handelns. — So wird die Lebensnot, d. h. die Unzulänglichkeit
in der Deckung unseres Bedarfs zur Dominante der Wirtschaft und zum
Daseinsgrund der Technik. Die Wirtschaft habe zum Inhalt die be-
wußte Einpassung in die gegebene Lage. Diese sei
1) Anpassung des Bedarfs an die Lage, kurz der Teil der Wirt-
schaft, den wir Haushalt nennen;
2) Anpassung der Lage an den Bedarf, und zwar a) im Sinne des
Erwerbens, b) des Produzierens. — Hier beim Produzieren sei das
Bindeglied zwischen Wirtschaft und Technik zu finden: „Bei der Wirt-
schaft ist der Wille zur Produktion, ihr entfließen alle Weisungen, denen
sich die Produktion anzupassen hat.“ Der Vollzug der Produktion aber
stehe der Technik zu, der in dieser Hinsicht gleich dem „Arme der
Wirtschaft“ wirke. Aus der „Lebensnot“ entspränge auch das soge-
nannte wirtschaftliche Prinzip, und da die Technik ein Geschöpf der
Lebensnot sei, gehöre es zum innersten Wesen der Technik, allmählich
im Geiste dieses Prinzips zu verfahren. Man könne dieses Prinzip
ebensogut das technische wie das wirtschaftliche nennen; im Grunde
sei es schlechthin das Prinzip der Vernünftigkeit beim Handeln. Die
übliche Fassung dieses Prinzips „suche den höchsten Nutzen mit den
geringsten Kosten zu erzielen“, lehnt Gottl ab. Richtiger müsse man
412 Literatur.
sagen: „handle stets mit dem vergleichsweise mindesten Aufwand“.
Worin besteht das Besondere des wirtschaftlichen und des „tech-
nischen Wirkens“. Gott] erklärt dies so: „alles Wirtschaften nimmt
seinen Ausgang von der Würdigung der Gesamtlage. Wirtschaften heißt
eben, ewig das Ganze im Auge behalten, um über das Einzelne so zu
entscheiden, daß es zum Heile des Ganzen ausschlägt“ (S. 212). „Wirt-
schaft in diesem objektiven Sinne ist also der zur Einheit und Andauer
ausgeglichene Zusammenhang aller Handlungen der Bedarfsdeckung
innerhalb eines gegebenen Bereichs der Bedürfnisse und der Verfügung“
(S. 213). Ganz anders wie die Wirtschaft, die stets auf das zusammen-
hängende Ganze des Handelns gerichtet bleibt, schafft das technische
Wirken grundsätzlich bloß im Rahmen des einzelnen Vorganges. Es
setzt das technische Wirken stets angesichts einer bestimmten Aufgabe
ein, die als das Werk des vollziehenden Handelns zu erfüllen ist.
Zwischen Wirtschaft und Technik soll ein vierfaches Wechselverhält-
nis bestehen:
1) Alle Probleme, welche die Technik in sich schlösse, entsprängen
letzten Endes aus den Produktionsaufgaben, welche die Wirtschaft stelle.
2) Die Technik ihrerseits informiere die Wirtschaft darüber, was an
Produktion überhaupt möglich sei und mit welchen Aufwendungen die
Produktion möglich sei.
3) Die Technik werde wirtschaftlich orientiert, d. h. einerseits sei
die Wirtschaft ganz im allgemeinen von bestimmendem Einfluß auf das
Vorgehen der Technik, und andererseits regle sich auch in jedem ein-
zelnen Fall das technische Vorgehen nach der wirtschaftlichen Lage des
Falles.
4) Erst der wirtschaftlich orientierten Technik stände es zu, alle die
Vorgänge der Produktion zu gestalten, in denen sich die Wirtschaft tätig
auswirke. Das Wechselverhältnis zwischen beiden laufe daher auf der
vierten Stufe aus in der technischen Realisierung der Wirtschaft.
Die weiteren Betrachtungen Gottls über Produktivität und Wirt-
schaftlichkeit, sowie über Produktivität und Rentabilität sind Nutzanwen-
dungen, die sich aus den angegebenen grundsätlichen Erklärungen er-
geben und können hier unerörtert bleiben.
Ich will jetzt die grundlegenden Begriffe selbst einer Kritik unter-
ziehen. Mir scheint der Hauptmangel der Gottlschen Begriffsbestim-
mungen der zu sein, daß zwar die Beziehungen und Berührungspunkte,
welche zur Wirtschaft und Technik bestehen, hervortreten, daß aber die
starken Wesensunterschiede, die zwischen beiden vorhanden sind,
nicht genügend angegeben werden. Dieser Unterschied liegt keineswegs
darin, daß die Wirtschaft auf das „Ganze“ der Bedarfsdeckung ziele, die
Technik auf den „einzelnen“ Vorgang. Es sind viel tiefer liegende Unter-
schiede vorhanden, die beachtet werden müssen, wenn die immer wieder
zu beklagende Verquickung von technischer und wirtschaftlicher Betrach-
tung vermieden werden soll. Gottl faßt die Technik von vornherein
zu sehr als ökonomische Technik auf und die Wirtschaft zu sehr
vom privatwirtschaftlich-technischenStandpunkt aus; dadurch
kommt er zu viel engeren Beziehungen zwischen Wirtschaft und Technik,
Literatur. 413
als wenn er vor allem die sachliche und methodische Trennung beider
Gebiete in den Vordergrund gestellt hätte. Wir müssen unterscheiden
die reine Technik von der ökonomischen Technik und ferner
die privatwirtschaftliche und die volkswirtschaftliche
Betrachtung.
1. Reine Technik.
Wir befinden uns im Gebiet der reinen Technik, wenn nach rein
naturwissenschaftlicher Methode irgendeine Aufgabe gestellt wird, unter
Ueberwindung natürlicher Widerstände ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
Eine solche rein technische Aufgabe war z. B. die Erzeugung von Dampf-
kraft, wie sie durch die Erfindung der Dampfmaschine geleistet wurde.
Daß die Sache „überhaupt geht“, das ist es, was den Techniker zunächst
interessiert: „Kein Mensch bewundert die vorzügliche Wirtschaftlichkeit,
mit welcher der kühne Luftschiffer zum ersten Male Sturm und Wolken
trotzt; sein Schiff mag unförmlich, mit unnützem Ueberfluß an Energie
und Stoff ausgestattet sein: er kann damit fliegen, es geht — das
ist es, was bewundert wird! ... „Das Ziel der Schiffsbaukunst“,
meinten Aristoteles (Aristoteles, Nikomachische Ethik, deutsch von
A. Lassen. Jena, Diederichs, 1909) und mit ihm die meisten, die
über die Technik nachdachten, sei „das fertige Fahrzeug“. Nein, das ist
es nicht. Das Ziel der Schiffsbaukunst ist die Schiffahrt: die Freiheit
auf dem Wasser!“ 1)
2. Oekonomische Technik.
Wir befinden uns auch noch im Gebiete der Technik, wenn der
Techniker dabei unter den verschiedenen möglichen Lösungen diejenige
auswählt, welche die Aufgabe unter Wahrung des sogenannten öko-
nomischen Prinzips am besten löst, d. h. die größte Nutzwirkung mit
den geringsten Mitteln zu erreichen sucht. Konkret gesprochen: nicht
nur kommt es auf die Erzeugung von Dampfkraft mit Hilfe der Dampf-
maschine an, sondern auch auf die Erzeugung von möglichst viel Dampf
mit möglichst wenig Heizmaterial etc. — Aber auch mit dieser Frage-
stellung haben wir noch nichts gewonnen, was zur Wirtschaftslehre
führt, denn diese Betrachtung des ökonomischen Prinzips ist einfach eine
Nützlichkeitsmaxime des Handelns des Menschen. — Es ist also wohl
zu beachten, daß wir uns auch hier beim sogenannten wirtschaft-
lichen Prinzip noch auf dem Gebiet der Technik bewegen, und der Vor-
wurf mancher Techniker, daß die Nationalökonomen dieses Prinzip nicht
genügend würdigten, ist daher unberechtigt. So sagt z. B. Krafft?):
„Das oberste Prinzip aller Wirtschaftlichkeit, das Streben nach höchstem
Effekt mit tunlichst geringem Aufwand, ist in der Volkswirtschaftslehre
allgemein anerkannt, muß insbesondere in der Güterherstellung den be-
deutendsten Einfluß ausüben, und doch sucht man in dieser Lehre ver-
gebens nach einem die Prinzipien der Wirtschaftlichkeit zusammenfassen-
den Kapitel.“ Um zu wirtschaftlicher Betrachtung zu kommen, müssen
noch andere Momente hinzukommen.
1) E. Zschimmer, Philosophie der Technik, Jena 1914, S. 41.
2) Max Krafft, Güterherstellung und Ingenieur in der Volkswirtschaft, in
deren Lehre und Politik, 8. 107.
414 Literatur.
3. Privatwirtschaftliche Betrachtung.
Zu einer eigentlichen wirtschaftlichen Betrachtung dieses tech-
nischen Prozesses gelangen wir erst dann, wenn wir die Fragen so
stellen: Sind die bei diesem technischen Prozeß aufgewandten Kosten
geringer als der Betrag, den der betreffende Unternehmer, der den
Prozeß auf seine Kosten durchführt, erlangen kann? Es ist dies eine
privatwirtschaftliche Betrachtung, weil vorausgesetzt wird, daß der Be-
treffende, der den technischen Prozeß vornimmt, auf eigenes Risiko und
unter eigener Verantwortung die Verwertung des betreffenden technischen
Prozesses vornimmt.
4. Die volkswirtschaftliche Betrachtung.
Selbst wenn der Ertrag einer technischen Leistung so hoch ist,
daß die aufgewendeten Kosten ersetzt werden und sich noch ein Ueber-
schuß darüber ergibt, so daß also privatwirtschaftlich der Prozeß als
gelungen bezeichnet werden kann, könnte er doch volkswirtschaftlich
als mißlungen angesehen werden, wenn z. B. bei der Durchführung des
Prozesses zwar diese privatwirtschaftliche Rentabilität erzielt würde,
aber z. B. die hierbei beschäftigten Menschen schwere körperliche oder
sonstige Schädigungen erlitten. Dann würde der Prozeß vielleicht
privatwirtschaftlich rentabel sein, aber volkswirtschaftlich verfehlt, weil
er den höheren Zwecken nicht entspricht, denen die Volkswirtschaft
dienen muß, und denen die technischen und privatwirtschaftlichen Ge-
sichtspunkte untergeordnet werden müssen.
Von diesem Standpunkt der Betrachtung aus ergibt sich, wo der
Unterschied zwischen Technik und Wirtschaft lieg. Wir müssen
nach den Wissenschaften unterscheiden, in denen die Wirtschafts-
lehre einerseits, die Technik andererseits ihren Wurzelboden haben,
und kommen dann zu der Unterscheidung daß die Technik ange-
wandte Naturwissenschaft ist, die Wirtschaftslehre aber zu
den Sozialwissenschaften gehört. Daraus ergeben sich die
größten prinzipiellen Gegensätze, die bei Gottl nicht genügend her-
vortreten. Zwar hat Gottl selbst hervorgehoben, daß die Technik
daraus entspringe, daß man den Naturgesetzen Rechnung tragen
müsse, um die Natur beherrschen zu können, aber irrtümlicherweise
erblickt er diese naturgesetzliche Bindung auch in der Wirtschaft. Das
Wesentliche in der Wirtschaft erblickt er nämlich in der Abhängigkeit
von der Außenwelt, die uns zur Deckung unserer Bedürfnisse zu Ein-
griffen in die Außenwelt nötige. Diese Auffassung ist eine natur-
wissenschaftlich-technische, auch eine privatwirtschaftliche, aber keines-
wegs eine volkswirtschaftliche. Der Umstand, daß die Menschen zur
Deckung ihrer Bedürfnisse von der Außenwelt abhängig sind, ist maß-
gebend für den Menschen als Naturwesen, nicht aber für den Menschen
als soziales Wesen. Als Nationalökonom interessiert uns nicht die „Be-
darfsdeckung“ oder die „Lebensnot“ oder „Daseinsnot“ des Menschen,
sondern es interessiert immer nur die soziale Art, in welcher diese
Bedarfsdeckung vor sich geht oder diese „Lebensnot“ überwunden wird.
Also während die Technik immer orientiert ist an der Naturwissenschaft,
ist dies die Nationalökonomie keineswegs. Wir kommen nicht kraft
Literatur. 415
natürlicher Abhängigkeit von der Außenwelt zu immer gleichen wirt-
schaftlichen Erscheinungen, sondern umgekehrt infolge der verschiedenen
sozialen Formen des Zusammenlebens zu immer verschiedenen wirtschaft-
lichen Phänomenen je nach den zugrunde liegenden Organisationsformen.
Und es ist auch nicht richtig, zu sagen, daß die Technik von „der“ Wirt-
schaft beeinflußt wäre, sondern richtiger wäre zu sagen, die Technik
wird jeweils von der bestimmten Sozialform beeinflußt, in der sich das
Wirtschaftsleben abspielt.
Aus diesen Erwägungen folgt auch, daß keineswegs das sogenannte
ökonomische Prinzip das Bindeglied zwischen Wirtschaft und Technik
bilden kann, eine Auffassung, die in ähnlicher Weise auch Voigt in
seiner trefflichen Abhandlung vertritt!) Dieses sogenannte ökono-
mische Prinzip in der Fassung Gottls bedeutet den vergleichs-
weise mindesten Aufwand und kann entweder als Maxime rationalen
Handelns überhaupt oder als Maxime klugen Handelns für den spar-
samen Haushalter aufgefaßt werden. Es ist auch ein selbstverständ-
liches Nützlichkeitsprinzip für den Techniker, niemals ist es aber
ein volkswirtschaftliches Prinzip. Ein solches einziges grundlegendes
Prinzip gibt es für die volkswirtschaftliche Betrachtung überhaupt nicht.
Es kommt alles auf die besondere Sozialform und die hieraus sich er-
gebenden Prinzipien an. Wie das technische Wirken, so soll auch die
Wirtschaft in der „Aufteilung des Verfügbaren“ bestehen. Wer soll
aber diese Aufteilung vornehmen, und wie soll sie vor sich gehen? Hat
etwa das kluge rationelle Erwägen des Einzelnen über diese Aufteilung
zu bestimmen, oder ist nicht vielmehr der einzelne gebunden an die
Vorschriften, die ihm durch die soziale Organisation gegeben werden,
von der er ein Glied bildet? Bei der Technik ist gewiß die Beachtung
der wirtschaftlichen Momente notwendig, weil die Technik im Dienste
menschlicher Zwecke tätig wird, und doch sind es im Grunde ge-
nommen dem Wesen der Technik fremde Gesichtspunkte, die hierdurch
hereinkommen. Es ist ein lästiger Zwang, dem er sich unterordnen
muß. Das, was der Techniker anstrebt, ist und bleibt die Ueberwin-
dung natürlicher Widerstände, die Ausnutzung von Naturkräften. Wann,
ob und inwieweit diese technischen Errungenschaften wirtschaftlich
nutzbar gemacht werden können, ist für den Techniker sekundäre Frage.
Ich halte es daher für viel zu weitgehend, wenn Gottl behauptet, die
Wirtschaft stelle der Technik die Probleme und beherrsche
auch den Geist der Lösung dieser Probleme, wie es auch
nicht richtig ist, daß dem innersten Wesen der Technik es entspreche,
allmählich im Geist des ökonomischen Prinzips zu verfahren. Im Gegen-
teil ist dies eine lästige Einschränkung, die aus ganz anderen Gebieten
herrührt und der er sich notgedrungen fügen muß. Gottl übersieht
zu sehr, daß die Technik ein Eigenleben führt mit besonderen Ge-
setzmäßigkeiten, besonderen Prinzipien, Zielen und Aufgaben. Solche
Sätze, wie sie Gottl aufstellt, wenn er z. B. sagt: „Die Wirtschaft
1) A. Voigt, Technische Oekonomik. (In „Wirtschaft und Recht der Gegenwart“,
1912, S. 223.)
416 Literatur.
stellt durch ihre Entwicklung die Probleme, und dem technischen Genius
bleibt es vorbehalten, mit Hilfe des Wissens, bis zu dem seine Zeit
vorgedrungen ist, die großen Aufgaben zu lösen, die er aus dem Be-
dürfnis der Wirtschaft dieser Zeit herauszuhören weiß“ (S. 251),
oder in anderer Fassung „das Gebot der Wirtschaft äußere sich im
Fortschritt der Technik“ sind daher sehr anfechtbar. Die Technik geht
im Gegenteil oft weit über die Bedürfnisse der Wirtschaft hinaus, eilt
der Wirtschaft und ihren Anforderungen oft weit voran, wird durchaus
nicht immer durch wirtschaftliche Bedürfnisse bestimmt. — Alle diese
Sätze verkennen zu sehr, daß die Technik in der Naturwissenschaft
verankert ist, und daß sie dorther die Impulse erhält, sich immer
weitere und höhere Ziele und Aufgaben zu stellen. Zwischen der
Naturwissenschaft und der Technik sind die engsten Beziehungen, nicht
aber zwischen Wirtschaft und Technik. — Allgemein bekannt ist, wie
sehr gerade von seiten der „Wirtschaft“ dem Fortschritt der Technik
entgegengearbeitet wurde, daß ihr von seiten des in der „Wirtschaft“
herrschenden „Geistes“ Schwierigkeiten aller Art in den Weg gelegt
wurden. Alle die technischen Fortschritte, die z. B. in den arbeits-
sparenden Maschinen niedergelegt wurden, konnten sich erst durch-
setzen nach den heftigsten Kämpfen mit dem „Geiste der Wirtschaft“
und mit dem Bestreben, die alten wirtschaftlichen Existenzbedingungen
aufrechtzuerhalten.
Aber auch im Zeitalter des Kapitalismus, von dem Gottl meint,
daß mit ihm erst die Vergeistigung der Technik begänne und der erst
der Technik das einheitliche Vernunftprinzip aufprägen soll, ist es
doch keineswegs der Fall, daß die Wirtschaft der Technik die Probleme
stelle. Gewiß sind mit der Einführung der Gewerbefreiheit und der
Niederwerfung der alten Zunftschranken viele Hemmungen gefallen, die
sich dem technischen Fortschritt in den Weg stellten. Dafür hat aber
der sogenannte Kapitalismus selbst wieder neue Hemmungen hervor-
gebracht. — Mag auch an den Behauptungen vieler Sozialisten, daß
die technischen Fortschritte erst in volle Wirksamkeit treten könnten,
wenn die kapitalistische Wirtschaftsordnung der sozialistischen Platz
gemacht hätte, manches übertrieben sein, es liegt doch ein richtiger
Kern darin, daß nämlich unter Umständen die zersplitterte Art der
Betriebe, ebenso die Abhängigkeit der Einführung bestimmter tech-
nischer Neuerungen von dem Wagemut und der Kapitalkraft einzelner
Unternehmer auch Hemmnisse für den technischen Fortschritt darstellen
können. Bei den neuen Projekten von staatlichen Elektrizitätsmonopolen
und ähnlichen anderen gemeinwirtschaftlichen Vorschlägen wird gerade
hervorgehoben, daß der Privatkapitalismus der rationellen Ausnutzung
bestimmter technischer Errungenschaften hindernd im Wege stehe.
Doch ich will hier nicht in die Einzelheiten der Gottlschen Auf-
fassung weiter eingehen, nur nochmals betonen, daß die Grundthese,
von der Gottl ausgeht, daß die Technik von der Wirtschaft ihre Im-
pulse erhalte und daß die Wirtschaft der Technik die Probleme stelle,
eine nicht minder starke Uebertreibung ist als die entgegengesetzte
Behauptung, daß die Wirtschaft durch die Technik bestimmt werde.
Literatur. 417
Daß zahlreiche Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft und Technik
bestehen, wird niemand leugnen, aber man sollte darüber die eigen-
tümlichen Sonderbedingungen, unter denen beide stehen, nicht außer
acht lassen.
Wiesers „Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft“, zu der wir
uns jetzt wenden, ist nicht nur der umfassendste, sondern auch der
wichtigste Beitrag des ganzen Sammelwerkes, weil hier die grund-
legenden Probleme der Sozialökonomik behandelt werden.
Wieser hat seinen Stoff in 4 Bücher zerlegt und zwar so, daß
er den Ausgangspunkt nimmt von einer rein abstrakten Darstellung
der Wirtschaft und allmählich immer mehr von seinen Abstraktionen
fallen läßt -und sich den Typen der Wirklichkeit annähert. — Das erste
Buch ist betitelt: Theorie der einfachen Wirtschaft. Wieser geht
dabei von der idealisierenden Annahme aus, daß das Subjekt einer
Wirtschaft eine einzige Person sei, doch ist hierbei nicht eine Robinson-
wirtschaft zugrunde gelegt, sondern die Verhältnisse der Gütererzeugung
sind in der großen Ausdehnung gedacht, die nur durch die Tätigkeit
eines Volkes erreicht werden kann. Die millionenköpfige Volksmenge
ist in eine Einheit zusammengefaßt, so wie man die Menschheit als
eine Einheit der Natur gegenüberzustellen pflegt. Dem Stoffe nach
bietet die „Theorie der einfachen Wirtschaft“ in der Hauptsache das,
was üblicherweise in den Lehrbüchern unter dem Titel der Grund-
begriffe geboten wird. Die elementaren Gesetze des Wirtschaftens, vor
allem die Gesetze des Wertes, werden dargestellt. Dieses voraus-
gesetzte einfache Wirtschaftssubjekt ist dabei als wirtschaftlicher Muster-
mensch gedacht, der nach dem wirtschaftlichen Prinzip handelt. Es
ist reine Theorie, unabhängig von Zeit und Ort; da die ganze Mensch-
heit als eins gedacht, der Natur gegenübergestellt wird, sind auch alle
Gegensätze von Interessen und Parteien und ist jede Beziehung auf
das Wirtschaftsrecht ausgeschlossen, gerade so, wie es in der Wirtschaft
eines Robinson sein müßte.
Das zweite Buch enthält die Theorie der Volkswirtschaft. Hier ist
die Abstraktion schon bedeutend vermindert. Nicht mehr ist es ein
einzelnes Subjekt, das wirtschaftet und rechnet, sondern die vielen
Wirtschaftssubjekte, die Glieder einer Tauschwirtschaft sind, werden
vorgeführt, allerdings unter der Voraussetzung, daß freie Konkurrenz
herrscht, daß die Wirtschaftssubjekte ihren wirtschaftlichen Vor-
teil verfolgen und daß der Staat keinen Eingriff in die Volkswirt-
schaft vornimmt. Es wird hier gezeigt, wie unter diesen Voraus-
setzungen die Preise zustande kommen und wie auf der Grundlage der
Preise sich die übrigen volkswirtschaftlichen Phänomene aufbauen. Im
Gegensatz zu der Behandlung, die das tauschwirtschaftliche Wirtschafts-
system bei den Klassikern gefunden hat, findet bei dieser eine viel größere
Annäherung an die realen Wirtschaftsverhältnisse statt. Es werden
auch die Machtverhältnisse, die sich innerhalb des Konkurrenz-
systems ausbilden, berücksichtigt, und die Verschiebungen, die gegen-
über dem Wettbewerb zwischen gleichen Kräften dadurch eintreten, daß
sich Machtverhältnisse durch die Ungleichheit des Besitzes und persön-
Jahrb. tł. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 21
418 Literatur.
liche Ungleichheit nach Begabung und Ausbildung ausbilden. An
Stelle des Eigennutzes, von dem die klassische Theorie ausgeht, wird
der sogenannte gesellschaftliche Egoismus zugrunde gelegt.
Das dritte Buch bringt die Theorie der Staatswirtschaft, sie stellt
die allgemeinen Formen des staatlichen Wirkens in der Volkswirtschaft
dar. Sie schreitet von der ursprünglichen idealisierenden Annahme
eines Musterwirtes, welche den privaten Aufgaben der Wirtschaft zu-
gewendet ist, in abnehmender Abstraktion weiter fort, zu der der Wirk-
lichkeit angenäherten konkreten Annahme, daß den Privatwirtschaften
eine Staatsgewalt übergeordnet ist, welche, den öffentlichen Aufgaben
zugewendet, das wirtschaftliche Prinzip in Rücksicht auf die gesell-
schaftlichen Interessen mit den verfügbaren gesellschaftlichen Mitteln
erfüllt.
Das letzte Buch behandelt die Theorie der Weltwirtschaft. Zwar
seien diese Probleme, wie Wieser mit Recht betont, immer behandelt
worden, solange es überhaupt eine politische Oekonomie gibt, aber
Wieser will eine andere Art der Behandlung vornehmen, als sie z. B.
bei den Klassikern vorlag. Die Klassiker hätten in strenger Anwen-
dung ihrer individualistischen Grundanschauung die Sätze, die sie in
Rücksicht auf die nationale Arbeitsteilung gefunden hätten, auf die
internationale Arbeitsteilung übertragen; man müsse aber den Umstand
berücksichtigen, daß der Ablauf in Volkswirtschaft und Weltwirtschaft
verschieden bedingt sei, weil hier und dort Individuen durch anders
gesellschaftlich geschichtete Mächte bestimmt seien.
So weit der Grundriß des Aufbaues der Wieserschen Arbeit. Es
ist natürlich für mich unmöglich, hier zu dem ganzen reichen Inhalt
dieser Wieserschen Arbeit Stellung zu nehmen; umfaßt sie doch nicht
nur alle Probleme der theoretischen Nationalökonomie, sondern geht
auch weit hinein in das Gebiet der sogenannten Gesellschaftslehre oder
Soziologie. Es bedarf wohl auch keiner besonderen Hervorhebung, daß
ein so scharfsinniger Theoretiker wie Wieser uns eine Menge feiner
Bemerkungen zu den vielen einzelnen Problemen, die er behandelt, liefert.
Hier soll nur auf einige prinzipiell wichtige methodologische Fragen
eingegangen werden. Ich will besonders behandeln die Beziehungen
zwischen der Theorie der einfachen Wirtschaft und der Theorie der
gesellschaftlichen Wirtschaft und vor allen Dingen zu Wiesers Auf-
fassung des Verhältnisses von Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik
Stellung nehmen. Wiesers „Theorie der einfachen Wirtschaft“ ist
völlig im Geiste der Grenznutzentheorie aufgebaut, wird daher ebenso
die Anhänger dieser Lehre befriedigen, wie sie die Gegner unbefriedigt
läßt. Meine kritischen Bedenken gegenüber der Grenznutzentheorie habe
ich wiederholt schon dargelegt, zuletzt an dieser Stelle in meiner Kritik
der Böhmschen Zinstheorie, so daß ich hierauf nicht zurükkommen
möchte. Beachtenswert erscheint mir aber der Hinweis von Wieser
darauf, daß die Grenznutzentheorie keineswegs eine psychologische
im Sinne der wirtschaftlichen Psychologie sein soll. Er hebt selbst
hervor, daß die dieser Theorie zugrunde liegende Annahme auf einfachen
Erfahrungssätzen des wirtschaftlichen Lebens beruhe, keineswegs aber
die Hilfsmittel der wissenschaftlichen Psychologie heranziehe.
Literatur. 419
Mir scheint die ganze Art, wie hier die Grenznutzentheorie zum
Fundament einer allgemeinen Volkswirtschaftslehre und Gesellschaftslehre
gemacht wird, zu den schwersten methodologischen Bedenken Anlaß zu
geben. Ich glaube, daß auch Anhänger der Grenznutzentheorie diese Be-
denken teilen müßten, da, wie ich zu zeigen suchen werde, Wieser
mit seiner Verwertung der Grenznutzentheorie weit über den Rahmen
dessen hinausgeht, was erkenntnistheoretisch durch diese Theorie über-
haupt geleistet werden kann. Vor allem muß ich mich gegen die Auf-
fassung wenden, als ob die Lehrsätze der Grenznutzentheorie für alle
Wirtschaftsordnungen Geltung beanspruchen könnten. Es sind
namentlich folgende Sätze Wiesers, die unbedingt eine Grenzüber-
schreitung darstellen. Er sagt (S. 189): „Die folgende Darstellung soll
zeigen, daß die Gesetze des Wertes im letzten Grunde Gesetze der Nutz-
komputation sind, die in jeder Wirtschaftsordnung befolgt werden müssen,
solange das wirtschaftliche Mengenverhältnis die Menschen unter den
Druck stellt, mit dem Nutzen zu rechnen.“ Ferner (S. 190): „Wenn
einmal das Geheimnis der Wirtschaft eines Robinson, das Geheimnis
der Einzelwirtschaft, aufgeklärt ist, dann kann in der Ware, die von
Einzelwirtschaft zu Einzelwirtschaft geht, nichts Geheimnisvolles mehr
sein“; und in noch schärferer Fassung (S. 141): „In ihrer letzten Aus-
gestaltung will die Grenznutzentheorie eine erschöpfende elementare
Wirtschafts- und Werttheorie sein, die für die sozialistisch geordnete
Volkswirtschaft nicht minder zu gelten hätte, wie für die tauschwirt-
schaftliche Ordnung.“ Das alles ist ganz unmöglich. Eine individual-
wirtschaftllich fundamentierte Lehre kann niemals über die Erschei-
nungen aller Gesellschaftsformen Aufklärung bieten, sondern bestenfalls
— aber auch dies nur in vorsichtigster Formulierung — über die Erschei-
nungen einer individualistischen oder privatkapitalistischen Wirtschafts-
ordnung. Sie kann bestenfalls ein theoretisches Hilfsmittel zur Kausal-
erklärung der wirtschaftlichen Phänomene innerhalb des freien Kon-
kurrenzsystems sein, denn da die Grenznutzenlehre auf den indivi-
dualen Nutzerwägungen des einzelnen Wirtschaftssubjektes basiert, das
nach seinem Vorteil strebt, so ist damit auch schon die Individualität der
Produktion und die Individualität des Konsums als die notwendige
Voraussetzung für das Gebiet gegeben, welches diese Lehre nur be-
herrschen kann. Es passen ihre Resultate daher immer nur für Wirt-
schaftsformen, die sich auf dieser individualwirtschaftlichen Basis auf-
bauen, nicht aber auf Sozialformen prinzipiell gänzlich verschiedener
Art, z. B. der sozialistischen. Es ist daher falsch, zu sagen (S. 236),
daß im Individuum die Dispositionen nachgewiesen werden müßten, durch
die es sich dem gesellschaftlichen Gefüge verbände.
Nur für die so begrenzte Aufgabe, nämlich für die Erklärung der
wirtschaftlichen Erscheinungen innerhalb einer privatkapitalistischen
Wirtschaftsweise kann also die Grenznutzentheorie tauglich sein. Wer
zur Erklärung der volkswirtschaftlichen Erscheinungen die Methode der
isolierenden Abstraktion für notwendig erachtet und ferner hierzu als
Ausgängspunkt einen wirtschaftlichen Mustermenschen zu wählen für
notwendig hält, kann gewiß als solchen wirtschaftlichen Mustermenschen
278
420 Literatur.
ebensogut einen Konsumenten wählen, der nach streng rationalen Grund-
sätzen seinen Bedarf einrichtet, wie die Klassiker zum Ausgangs-
punkt genommen haben einen Musterproduzenten, der nach streng
rationalen Grundsätzen bei der Wahl seiner Produktionsmittel verfährt.
Mir scheint zwar der ganze Apparat, den die Grenznutzentheorie auf-
wendet, für viel zu umständlich zur Erklärung der von ihr gegebenen
Erscheinungen. Aber es soll zugegeben werden, daß die Grenznutzen-
theorie vom Standpunkt ihrer subjektiven Wertlehre aus manches zur
Erklärung der Preiserscheinungen des individualistischen Warenverkehrs
beigetragen hat.
Von besonderem Interesse ist die Art und Weise, wie Wieser
versucht hat, auf Grundlage seiner rein abstrahierenden „Theorie der
einfachen Wirtschaft“ die Erscheinungen der Volkswirtschaft zu erklären.
Es ist mit Recht der Grenznutzentheorie zum Vorwurf gemacht worden,
daß sie sich zu sehr in Abstraktionen bewegt und nicht genügend die
Brücke geschlagen habe von ihren idealisierenden Annahmen zu den
realen Verhältnissen des wirklichen Marktverkehrs. Wir wollen daher
prüfen, ob und inwieweit es Wieser gelungen ist, diese Aufgabe der
Konkretisierung der Grenznutzentheorie zu leisten.
Während in der „Theorie der einfachen Wirtschaft“ uns das Ver-
halten einer isolierten und idealisierten Einzelwirtschaft vorgeführt wird,
die ihr Bewegungsgesetz mit voller Kraft erfüllt, stoßen in der Volks-
wirtschaft viele Einzelwirtschaften zusammen, und zwar nicht mit gleichen
Kräften, sondern mit verschiedenen Kräften. Es ist also die Frage,
ob das Bewegungsgesetz innerhalb der Volkswirtschaft abgeändert werden
muß, ob der Einfluß der Macht hier Abweichungen von der „Theorie
der einfachen Wirtschaft“ notwendig macht. Wieser meint, daß solche
Abweichungen und Abänderungen zu konstatieren seien, und er zeigt
dies besonders an der volkswirtschaftlichen Lehre des Preises. Aller-
dings wenn man die gesellschaftlichen Preisresultanten in ihre Kom-
ponenten zerlege, käme man doch wieder auf die persönlichen Wert-
schätzungen der beteiligten Einzelpersonen, deren jede für sich dem
Gesetz der einfachen Wirtschaft gehorche, aber in der Stärke, mit
der der einzelne seine Wertinteressen durchzusetzen vermöge, äußere
sich die Verschiedenheit der Macht. Danach sind es im Grunde ge-
nommen zwei Momente, die für die Preisbildung in der Volkswirtschaft
maßgebend sein sollen: „In der einfachen gesellschaftlichen Wirtschaft
folgt der Wertausschlag dem gesellschaftlich ermittelten Grenznutzen,
und wenn man die Wirtschaft nach ihm einrichtet, so muß die größte
gesellschaftliche Summe des Teilnutzens gewonnen werden. Der Preis-
ausschlag aber folgt außerdem noch der Macht.“ (S. 293.)
Um diesen zweiten Faktor in Rechnung zu stellen, führt Wieser
den Begriff des geschichteten Grenznutzens und der geschich-
teten Preise an. Schichtung der Preise ist nach Wieser einfach die
Folge der Schichtung des Einkommens und Vermögens. In je mehr
Schichten des Einkommens und Vermögens die Gesellschaft zerfalle und
je weiter die obersten und untersten Schichten voneinander entfernt
seien, um so auffälliger werde die Schichtung der Preise hervortreten.
Literatur. 421
Im allgemeinen bemerkt Wieser über die Bedeutung dieser Schichtung
für die Preisbildung folgendes: „Von Seite der Nachfrage ist der Preis-
aufschlag durch die höhere Zahlungskraft der Mächtigen dem Gesetze
der Schichtung unterworfen, und der Preis erhält daher sein Maß vom
geschichteten Grenznutzen. Auf Seite des Angebots entscheidet neben
der persönlichen Tüchtigkeit die Kapitalmacht über den Ausgang des
Konkurrenzkampfes.. Der Sieg im Konkurrenzkampfe hat daher
nicht schlechthin die Bedeutung einer gesellschaftlichen Auslese der
Tüchtigsten.“ (S. 257.) Wieser gibt zu, daß infolge hiervon das
Grenznutzengesetz eine wesentliche Modifikation erfahren müsse. Das
wechselseitige Verhältnis der Güterproduktion werde nicht nur durch
den Grenznutzen, sondern werde außerdem noch durch die Nachfrage-
macht der Grenzreihen bestimmt, und es könne daher die Folge ein-
treten, daß der Abstand im Preise ein ganz anderer sei als der im
Grenznutzen: „Der Preis‘ — so erklärt Wieser (S. 259) — „ist eine
gesellschaftliche Bildung, aber er ist es nicht schon dadurch, daß er durch
die übereinstimmende Wertschätzung der Gesellschaft abgemessen wird,
sondern er ist es als das Ergebnis eines gesellschaftlichen Kampfes,
der um den Besitz der angebotenen Vorräte zwischen Personen ver-
schiedener Wertschätzung und verschiedener Nachfragekraft geführt wird
und in welchem das Höchstgebot der Grenzschicht den Ausschlag gibt.
Daher empfängt er nicht von dem Grenznutzen als solchem, sondern
von dem geschichteten Grenznutzen sein Maß, das von dem Maße einer
vernünftigen gesellschaftlichen Abschätzung der abhängigen Bedürfnis-
werte oft weit entfernt sein kann.“ Wieser unterscheidet Massenwerte,
Mittelwerte und Luxuswerte. Die Massenwerte hätten Geltung für die
Massengüter, die in so reichen Mengen zu Markt gebracht würden, daß
die bemittelten Kreise keinen Anlaß hätten, ihre höhere Kaufkraft zur
Geltung zu bringen. Ihnen gegenüber stehen die spezifischen Luxus-
güter, für sie werden Preise eines Maßstabes bewilligt, wie ihn die
Anspornung der Kaufkraft der oberen und obersten Einkommensschichten
erzeugen müsse, die sich das Ziel setzten, alle anderen Mitbewerber
von der Bewerbung auszuschließen. — Zwischen diesen beiden stehen
die Mittelgüter, für welche die mittleren Klassen die Grenzreihen stellen.
Wieser zeigt im einzelnen, wie die Preise sich gemäß den ver-
schiedenen Machtverhältnissen bilden, indem er, vom Konkurrenzpreis
ausgehend, in immer mehr abnehmender Abstraktion zu den Monopol-
preisen und den monopoloiden Preisen (Kartelle, Eisenbahnen, Patente)
übergeht. — Ferner unterscheidet er die Preise des geordneten
Marktes, wo der „gesellschaftliche Egoismus waltet, der sich in die
Schranken von Recht und Sitte einordnet“, und die Preisbildung im
ungeordneten Markt, der nicht durch diese Gefühle zusammen-
gehalten wird, wo sich Panik, Angst, Schleuder- und Wucherpreise
bilden; hier soll das Gesetz der Preiseinheit ausgeschaltet oder wenigstens
durchbrochen sein: „Es sondern sich von dem Hauptmarkte örtliche oder
zeitliche Teilmärkte oder es sondern sich vereinzelte Gruppen von Per-
sonen oder gar nur einzelne Personen ab. Für die marktkundigen oder
sonst in günstiger Lage befindlichen Personen gilt der allgemeine Markt-
422 Literatur.
preis, für die anderen gelten abweichende Marktpreise, die oft mehr
oder weniger Zufallspreise sind“ (S. 265).
Ich möchte zu diesen Ausführungen Wiesers bemerken, daß sie
in der Tat viele feine und treffende Beobachtungen über die Preisbildung
bringen, und daß sie einen guten Einblick in die vielen Faktoren ver-
schaffen, die bei der Preisbildung beachtet werden müssen. Aber gerade
die Herausarbeitung aller dieser für die Preisbildung wichtigen Momente
löst immer wieder das kritische Bedenken aus: wozu denn noch die
ganze umständliche Preistheorie der sogenannten einfachen Wirtschaft,
wenn doch später in der volkswirtschaftlichen Preislehre eine solche
Menge von Abweichungen und Modifikationen gegenüber dieser ideali-
sierenden und abstrahierenden Preistheorie vorgenommen werden muß?
Da der Preis eine gesellschaftliche Erscheinung ist und daher nur aus
den Marktvorgängen unter dem Einfluß sozialer Machtverhält-
nisse erklärt werden kann, weshalb dann erst eine Theorie, die von den
psychischen Erwägungen des einzelnen Individuums und von Wertungen
auf Grund des Gossenschen Sättigungsgesetzes ausgeht, kurz, wozu
diese ganze individualistische Genußlehre mit ihren gekünstelten Bei-
spielen, wie z. B. dem von Wieser gegebenen einer Schiffsmannschaft
mit knappem Wasservorrat? Warum geht man nicht gleich direkt zur
Erklärung der Markterscheinungen vor und gibt eine empirisch-realisti-
sche Theorie mit ihren Unterscheidungen von Monopolpreisen, Kon-
kurrenzpreisen, Kartellpreisen usw. und den Unterscheidungen von Waren-
gruppen, also Fabrikaten, Bodenprodukten, Grundstücken usw.?
In seiner „Theorie der Volkswirtschaft“ bringt Wieser auch die
Geldtheorie. Man ist erstaunt, hier die Lehre vom Geld zu finden,
obwohl doch eine Theorie der Volkswirtschaft dargestellt werden soll,
„die frei vom staatlichen Eingreifen“ ist. Dies hängt damit zusammen,
daß Wieser, ähnlich wie Menger, das Geld urwüchsig aus dem
Tauschverkehr ohne Einfluß der staatlichen Gewalt entstehen läßt. Ab-
weichend von der individual-teleologischen Auffassung Mengers, wo-
nach das Geld dadurch entstanden sein soll, daß kluge Köpfe auf den
Einfall gerieten, daß sie ihren Tauschvorteil zu vergrößern imstande
wären, wenn sie sich über die Leistung und die Gegenleistung nicht
mit einem und demselben Kontrahenten verabreden, sondern noch eine
dritte Person mit in den Handel einbezögen, will Wieser einen Einfluß
der „Masse“ bei der Entstehung des Geldes berücksichtigen und zwar
auf folgende Weise: Zum Wesen des Geldes gehöre es, daß eine Ver-
pflichtung zur Annahme gefühlt werde. Diese Verpflichtung solle aber
auf Grund der Massengewohnheit der Annahme des Geldes bestehen.
Und den Wechsel nennt er eines jener erstaunlichsten Beispiele der
freien individualistisch - gesellschaftlichen Bildungen, welche dem allge-
meinen Interesse besser angepaßt seien als es die beste zweckbewußte
Einrichtung des Staates zu tun vermöchte (S. 323).
Ich kann mich dieser Auffassung von der Entstehung des Geldes
nicht anschließen, weder nach der Fassung Mengers, noch der von
Wieser. Wenn bei irgend einer Erscheinung des wirtschaftlichen
Lebens, so ist gerade beim Geld der Einfluß des Staates und der Rechts-
Literatur. 423
ordnung so evident, daß es unmöglich ist, hier von einer „urwüchsigen“,
aus dem Verkehr entstehenden „individualistischen“ Bildung zu reden.
Doch bei allen meinen bisherigen kritischen Bemerkungen könnte
man allenfalls behaupten, daß es sich um „Ansichten“ handle und daß
Ansicht gegen Ansicht stünde. Ich glaube auch, daß kein Grenznutzler
durch meine Kritik sich von seiner Vorliebe für diese Art von psycho-
physischer ökonomischer Theorie abbringen läßt.
Der Punkt, zu dem ich aber jetzt am Schlusse komme, ist der,
von dem ich oben bemerkte, daß er wohl auch auf die Zustimmung der
Anhänger der Grenznutzentheorie rechnen darf. Es handelt sich hier
um eine allgemein logische und erkenntnis-theoretische Frage, wo nur
eine Lösung möglich ist; es betrifft nämlich Wiesers Auffassung der
Beziehung zwischen Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik.
In folgenden Sätzen hat Wieser seine Auffassung hierüber am
prägnantesten zusammengefaßt (S. 152): „Die Wirtschaftstheorie gibt
ihre Beschreibung des wirtschaftlichen Handelns in der Absicht, der
Wissenschaft und Kunst der Politik die Unterlagen zu liefern, damit
diese ihrerseits Forderungen aufstellen oder wenigstens Ratschläge er-
teilen könne, wie der bestehende Zustand der Dinge zu bessern oder
vor weiterer Verschlechterung zu bewahren sei.“ Die klassische Theorie
habe diese Aufgabe, eine theoretische Grundlegung der Politik zu sein,
nicht genügend leisten können, weil sie zu einseitig die Freiheit als
Postulat aufgestellt hätte und die Wirkungen der freien Konkurrenz zu
optimistisch beurteilt hätte. Es müsse eine neue Theorie geschaffen
werden, die diese politische Aufgabe besser leisten könne. Darum hat
Wieser auch in seiner „Theorie der Volkswirtschaft“ die Machtfaktoren
eingeführt, denn eine moderne Wirtschaftstheorie, meint er, müsse zu
ihrer Ergänzung eine vertiefte Theorie der Gesellschaft haben. Auch
nach dieser Richtung hin reiche aber die Methode der Wirtschaftstheorie
aus, die aus der Quelle der allgemeinen Erfahrung schöpfe: „Das Wissen,
welches jeder von sich und den andern besitzt, enthält den ganzen Stoff,
den eine solche Theorie der Gesellschaft braucht“ (S. 135). „Sollen
diejenigen Parteien — so fragt Wieser — die weder der klassischen
noch der sozialistischen Theorie beitreten, auf die machtvolle Hilfe der
Theorie ganz verzichten? Wie das klassische Zeitalter eine Theorie
der Freiheit, so fordert unser Zeitalter eine moderne Theorie, welche
die praktischen Strömungen der Gegenwart nach ihrem wahren Sinne
deutet, welche, vor Optimismus und Pessimismus gleichmäßig bewahrt,
Licht und Schatten sieht, welche die Gemeinsamkeit der Interessen,
aber auch die Macht, den Kampf und das wirtschaftliche Uebel erkennt,
welche der Freiheit, aber auch den notwendigen Einschränkungen der
Freiheit ihre theoretische Grundlage gibt“ (S. 136).
Ehe wir weiter zeigen, zu welcher neuen theoretisch - politischen
Grundlegung Wieser kommt, muß zunächst ein Wort der Kritik ge-
sagt werden. Istes wirklich Aufgabe der Wirtschaftstheorie, der Politik
die nötigen theoretischen Grundlagen zu liefern? Was die Klassiker
anlangt, so kann man nicht allgemein sagen, daß sie mit ihrer Theorie
die Grundlagen einer allgemeinen Wirtschaftspolitik hätten geben wollen,
424 Literatur.
einzelne darunter wollten sicher nur die Erscheinungen der privat-
kapitalistischen Wirtschaft erklären. Wenn viele namhafte Vertreter
der klassischen Nationalökonomie allerdings weiter gingen und ihre auf
Grund der freiheitlichen Wirtschaftsverfassung deduzierten Gesetze zu-
gleich als die ewigen und wahren Formen für alle Wirtschaftspolitik
ansahen, so hing dies mit ihrer naturrechtlichen Auffassung zusammen,
daß Freiheit und Eigentum die in der Natur der Menschen begründeten
Normen aller Gesellschaftsordnung seien. Jetzt, nachdem diese alte
naturrechtliche Auffassung überwunden ist, müssen wir uns hüten, in
neuer Form sie wieder aufleben zu lassen. Die Wirtschaftstheorie
hat nur die Aufgabe, die einer bestimmten Gesellschaftsform eigentüm-
lichen wirtschaftlichen Erscheinungen kausal zu erklären; die davon
grundsätzlich zu trennende Aufgabe, anzugeben, welche wirtschaftliche
Organisation die zweckmäßigste und gerechteste sei, ist mit diesen
Mitteln der Theorie überhaupt nicht zu lösen, kann in einhelliger Weise
überhaupt nicht beantwortet werden und geht letztlich immer wieder
auf bestimmte Ideale und Werturteile des betreffenden Forschers zurück.
Wieser kommt zu dem Fehler, als Wirtschaftstheoretiker zugleich
Wirtschaftspolitiker sein zu wollen, indem er einen „Sinn der Wirt-
schaft“ konstruiert, den man nur verstehen müsse, um auf Grund dieser
Einsicht auch eine bestimmte Wirtschaftspolitik billigen zu müssen.
Dieser „Sinn der Wirtschaft“ soll das Privateigentum sein, das am
sichersten die vernünftigen Nutzerwägungen der Menschen zur Geltung
brächte. Im Gegensatz zum absoluten Privateigentum der Klassiker
verlangt Wieser ein Privateigentum, das durch Eingriff des Staates
in bestimmten Schranken gehalten werden müsse. Auch hier mögen
zunächst einige der wichtigsten Sätze Wiesers selbst folgen: „Daß
das Privateigentum mit dem Sinne der Einzelwirtschaft auf das tiefste
verflochten ist, ist mit wenigen Worten klar zu machen. Privateigentum
wird nur an solchen Gütern ergriffen, die im wirtschaftlichen Mengen-
verhältnisse stehen. Wer hätte irgendein Interesse daran, Privat-
eigentum an Gütern freien Ueberflusses zu ergreifen, die er niemand
und die ihm niemand vorenthalten kann! Das Privateigentum schöpft
seinen Sinn aus dem Sinne der Wirtschaft: weil man den Nutzen der
wirtschaftlichen Güter zu Rate halten muß, fühlt man sich dazu an-
getrieben, sich ihren Besitz gegenüber andern Bewerbern zu sichern,
die Frage von Mein und Dein wird wichtig, das Eigentum, das man
behauptet, soll die rechtliche Sicherheit für die wirtschaftliche Aus-
nützung geben. Auf diesem Wege erklärt uns die Nutztheorie nicht
nur den tatsächlichen Ablauf der Wirtschaft, sondern sie führt uns
auch zu der Erklärung ihrer rechtlichen Ordnung hin“ (S. 397/98).
Was zeigt uns also dieses Zitat: daß die Grenznutzentheorie nicht
nur den Preismechanismus erklären soll, sondern auch zugleich die Not-
wendigkeit des Privateigentums. Es bedeutet eine Grenzüber-
schreitung der Theorie, wenn bestimmte, der Theorie zugrunde gelegte
Voraussetzungen zugleich zu Fundamenten einer schlechthin notwendigen
Wirtschaftsordnung gemacht werden. Wieser wandelt hier in den
Bahnen von Karl Menger, der ebenfalls in seinen „Grundsätzen der
Literatur. 425
Volkswirtschaftslehre* Eigentum und menschliche Wirtschaft gleichsetzt.
Auch er meint, daß beide ihren letzten Grund darin hätten, daß es
Güter gäbe, deren verfügbare Quantität geringer sei als der Bedarf
der Menschen. Das Eigentum ist auch nach Menger eine notwendige
Bedingung des Wirtschaftens überhaupt. Das Eigentum sei wie die
Wirtschaft keine willkürliche Erfindung, sondern vielmehr die einzige
praktische Lösung jenes Problems, welches uns die Natur der Dinge
aufdränge, nämlich das Verhältnis zwischen Bedarf und Gütermenge
(S. 56).
Ki solchen Gedanken weiterbauend, kommt Wieser zu seiner
Theorie vom gesellschaftlichen Egoismus, die er der Theorie vom reinen
Egoismus der Klassiker gegenüberstellt. Wir zeigten oben, was der
„geschichtete“ Preis und der „geschichtete“ Grenznutzen bei Wieser
bedeutet. Wir haben hier noch hinzuzufügen, daß dieser geschichtete
Preis auch ein gerechter Preis sein soll: „in unserer Volkswirtschaft,
in welcher der geschichtete Grenznutzen entscheidet, ist die Bedürfnis-
befriedigung höchst ungleich. Nichtsdestoweniger wird dieser Zustand
nicht als ungerecht empfunden, solange die öffentliche Meinung das
Privateigentum selbst und seine bestehende Verteilung als gerecht
empfindet. Solange diese Voraussetzung gilt, gilt der geschichtete ge-
meine Preis als gerechter Preis“ (S. 260). Damit aber die öffentliche
Meinung das Privateigentum als gerecht empfinden soll, müßten die
Menschen zum gesellschaftlichen Egoismus erzogen werden, der sich
in die Schranken von Recht und Sitte einordnet. Solange dann die
Menschen keine unerlaubten oder wucherischen Geschäfte treiben, er-
füllen sie zugleich den Sinn der Wirtschaft: „Der einzelne, der diesen
Preis (d. h. den gemeinen gerechten Preis) auf dem Markte dadurch
bilden hilft, daß er sein persönliches Interesse wahrt, wahrt zugleich
das gesellschaftliche Interesse, er erfüllt eine persönliche und gesell-
schaftliche Pflicht, er trägt seinen Teil zur Ordnung der Marktreihen
bei, die notwendig ist, um die wirtschaftlichen Grenzen bei der Güter-
verteilung einzuhalten, welche auf dem Markt zu vollziehen ist“ (S. 257).
Das freie Konkurrenzsystem wird direkt als wirtschaftlich fördernd be-
zeichnet: „Keine Wirtschaftsordnung wird ohne schwersten Nachteil
darauf verzichten können, in irgendeiner Weise die hohe Kraft der
Konkurrenz für den gesellschaftlichen Erfolg auszunützen“ (S. 275).
Wenn die freie Konkurrenz über das Zunftwesen und über die Ge-
bundenheit des Grundbesitzes gesiegt habe, so habe keine äußere
Macht, sondern nur die innere Macht der Gesellschaft diesen Sieg ge-
wonnen.
Es kann jedem überlassen bleiben, ob er als Wirtschaftspolitiker
dieser neuen Harmonielehre von der freien Konkurrenz seine Zustim-
mung geben will oder nicht, aber keinenfalls ist es Theorie, die hier
getrieben wird, und unter keinen Umständen ist es der „Sinn der Wirt-
schaft“, die uns enthüllt wird, sondern es ist die subjektive höchst
persönliche Anschauung Wiesers darüber, wie die freie Konkurrenz
wirkt. Und was heißt es: solange die öffentliche Meinung das
Privateigentum als gerecht empfindet? Bekanntlich gehen darüber
426 Literatur.
die Meinungen sehr auseinander, und wer sollte darüber entscheiden,
was der sogenannten öffentlichen Meinung entspricht? Und wie kann
Wieser von einem allgemeinen Gesetz der Gesellschaft
sprechen, wonach die Masse nur durch Führung handlungsfähig wäre,
während er dabei doch auch wieder nur eine höchst persönliche gesell-
schaftspolitische Meinung äußert? Dadurch, daß Wieser das alte
Ideal der klassischen Oekonomie, nämlich die freie Konkurrenz, ersetzt
durch sein Ideal: freie Konkurrenz + Schutzberuf des Staates, hat er den
methodischen Irrtum der Klassiker in keiner Weise vermieden. „Die
moderne Wissenschaft“, meint Wieser, „hat es bisher nicht versucht,
der modernen Politik ihre vollen theoretischen Grundlagen zu geben
und das fest abgegrenzte klassische Prinzip der Nichtintervention durch
ein ebenso fest abgegrenztes neues Prinzip zu ersetzen“ (S. 411). Mir
scheint, daß dieser Versuch allerdings schon gemacht worden ist und
zwar durch einzelne Vertreter der historischen Schule und speziell des
sogenannten Katheder- oder Staatssozialismus.. Mit Recht hat man
aber diesen Vertretern der historisch-ethischen Richtung zum Vorwurf
gemacht, daß sie bestimmte Normen der Sozialpolitik als wissenschaft-
lich unanfechtbare Wahrheiten hinstellten. Sie haben aber die Begrün-
dung gegeben aus der Ethik, und der Fehler scheint noch vergröbert,
wenn die Begründung gegeben wird aus einem „Sinne der Wirtschaft“,
der wiederum in gewissen psychischen Eigentümlichkeiten der Menschen
begründet sein soll. Denn Wieser sagt wörtlich: „Eine gesunde
moderne Wirtschaftspolitik wird in einer vollendeten Nutztheorie
die Grundlegung erhalten, die sie braucht. Für eine gesunde moderne
Wirtschaftspolitik muß der kapitalistischen Uebermacht gegenüber die
Sicherung des höchsten erreichbaren gesellschaftlichen Nutzens das
oberste Gebot sein, und eine vollendete Nutzentheorie wird ihr
zeigen können, unter welchen Annahmen dieses Gebot erfüllt und unter
welchen es verfehlt wird“ (S. 412).
Man kann natürlich eine Theorie aufstellen, wie bei privater Tausch-
wertschätzung die Preise zustande kommen. Man kann auch sein Ur-
teil darüber abgeben, welche Art von Wirtschaftspolitik man für die
gesellschaftlich förderlichste hält, aber niemals kann man beides mit-
einander verquicken und erklären, daß die Resultate der theoretischen
Untersuchung über den Mechanismus der Preisbildung auch die einzig
wahre Theorie über die dem Sinne der Wirtschaft entsprechende Gesell-
schaftsorganisation enthielten. Es ist dringend zu wünschen, daß die
Grenzlinien zwischen der Theorie und Politik in unserer Wissenschaft
streng eingehalten werden. Ich hoffe, daß die methodische Entgleisung,
die hier zweifellos vorliegt, erkannt wird und daß nicht viele National-
ökonomen Wieser auf diesem Wege Gefolgschaft leisten werden.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 427
Uebersicht über die neuesten Publikationen
Deutschlands und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Strub, O., Laws Handels- und Kolonialpolitik. (Zürcher volks-
wirtschaftliche Studien, herausgeg. von H. Sieveking, 8. Heft.)
Zürich und Leipzig (Rascher & Co.) 1914. 228 SS. M. 6,50.
Ein sonderbares Buch. Der Verf. ist wohl von seinem Lehrer
H. Sieveking auf urkundlliches, in London befindliches Material auf-
merksam gemacht worden, das die Berichte der englischen Gesandtschaft
in Paris über die Tätigkeit Laws in Frankreich enthält, und das ihm
nun, kombiniert mit sonstigen gedruckten englischen Manuskripten und
einer weitverzweigten, sorgfältig benutzten Literatur, in den Stand
setzen sollte, die bisher recht vernachlässigte Handels- und Kolonial-
politik Laws in zusammenhängender Darstellung zu schildern. Es hat
aber den Anschein, als ob das Material über den Autor Herr geworden
wäre und er sich in begreiflicher Freude über die von ihm gefundenen
wertvollen Nachrichten dazu verleiten ließ, auch andere, mit seinem
eigentlichen Thema nur in losem Zusammenhange stehende Fragen zu
verfolgen. Die von ihm vermittelten Nachrichten sind vielfech inter-
essant, aber der einheitliche Charakter des Buches ist dadurch doch
gründlich gestört worden.
Nach einer mit der Schilderung der Colbertschen Politik ein-
setzenden, flott geschriebenen Darstellung der handelspolitischen Be-
ziehungen Frankreichs und Englands, die die Unterlage für das Ver-
ständnis der Lawschen Politik geben soll, bringt er nach bekannten
Quellen einen allzu ausführlichen Abriß des Lebensganges seines Helden,
der aber mit dem Augenblicke abbricht, da dieser sich anschickte, mit
seinen Plänen vor die französische Oeffentlichkeit zu treten. Zwei
weitere Hauptabschnitte sind dem eigentlichen Thema, der Handels-
und Kolonialpolitik Laws gewidmet. Ein Schlußkapitel schildert die
Beziehungen zwischen Frankreich und England zur Zeit der Herrschaft
des „Systems“, vor allem die diplomatische Tätigkeit Stairs, des Ver-
treters Englands am Pariser Hofe. Es ist vorwiegend von Interesse
für die diplomatische Geschichte jener Beziehungen und steht mit der
Wirtschaftspolitik nur in sehr losem Zusammenhange.
Die speziell wirtschaftspolitisch und -geschichtlich interessanten Ab-
schnitte leiden meines Erachtens darunter, daß der Verf., wie schon
498 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
erwähnt, seine Schilderung des Lebens Laws nur bis zu dem Augen-
blicke seines öffentlichen Auftretens in Frankreich geführt hat und die
Kenntnis der einzelnen Phasen dieser kurzen, aber ereignisreichen
Wirksamkeit bei den Lesern voraussetzt. So fehlt bei der verwirrenden
Fülle von Einzelheiten, die er uns überliefert, der leitende Faden, der hier
ganz besonders notwendig wäre. In der Theorie zeigt sich nach seiner
Schilderung der Handelspolitiker Law als ein Gegner der merkantilistischen
Beschränkungen der Handelsfreiheit und der staatlichen Produktionsförde-
rung; in der Praxis freilich hat er keines der Mittel und Mittelchen ver-
schmäht, die schon die Zeit vor ihm zur Förderung der französischen Pro-
duktion und der französischen Ausfuhr angewendet hat. Zum Teil das
Material, zum Teil die Neigung des Autors haben es mit sich gebracht,
daß er besonders den Wirkungen nachgeht, die die Tätigkeit Laws auf
die englische Wirtschaftspolitik ausgeübt hat. Es ist sehr interessant, zu
beobachten, wie groß der Eindruck war, den Laws anfängliche Erfolge
auf das Ausland ausgeübt haben, wie besorgt England dem vermeint-
lichen Wiedererwachen der französischen Volkswirtschaft und der
Kräftigung der französischen Finanzen zugesehen hat. — Für die Ko-
lonialpolitik Laws erfahren wir nichts grundsätzlich Neues, wenn auch
unsere Kenntnisse durch zahlreiche Einzelheiten bereichert werden.
Das kolonisatorische Ungeschick der Nation und das Streben Laws
nach rasch greifbaren Erfolgen haben ein zielbewußtes Arbeiten in den
Mississippiländern unmöglich gemacht.
Zu einer Revision unseres Urteils über Law gibt die Schrift
keinen Anlaß. Ueberraschend ist nur der in ihren Blättern immer
wieder zum Ausdruck kommende tödliche Haß, den dieser gegen England
gehegt hat, und der in solchem Umfange bisher doch nicht bekannt war.
Um seine Erklärung hat sich allerdings auch der Verf. vergeblich be-
müht.
Halle. Gustav Aubin.
Budde (Geh. Staatsr. a. D.), Krieg und Hausbesitz. (Volkswirtschaftliche Zeit-
fragen. Vorträge und Abhandlungen, hrsg. von der Volkswirtschaft. Gesellschaft in
Berlin, No. 292, 37. Jahrg., 6. Heft. Krieg und Volkswirtschaft, Heft 9.) Berlin,
Leonhard Simion, 1915. gr. 8. 54 SS. M. 1.—.
Damaschke, Adolf, Geschichte der Nationalökonomie. Eine erste Einführung.
8. durchges. Aufl. Jena, Gustav Fischer, 1916. 8. X—607 SS. M. 4,50.
Vermögensgrenze. Zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Von einem
deutschen Richter. Berlin-Schöneberg, Dr. S. Laufer, 1916. gr. 8. 30 SS. M. 1.—
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Floericke, Dr. Kurt, Bulgarien und die Bulgaren. Stuttgart, Francksche
Verlagshandlung, 1916. 8. 92 SS. Mit (eingedruckter) Uebersichtskarte u. 26 Ab-
bildungen. M. 1.—. ;
Gaigalat (Landtags-Abg.), Dr., Die litauisch-baltische Frage. Berlin, Verlag der
Grenzboten, 1915. Lex.-8. 24 SS. M. 0,80.
Grabowsky, Dr. Adolf, Die polnische Frage. Berlin, Carl Heyman, 1916.
gr. 8. 108 SS. M. 2.—.
Keßler, Otto, Die Ukraine. Beiträge zur Geschichte, Kultur und Volkswirt-
schaft. Mit 1 Uebersichtskarte der Ukraine. München, J. F. Lehmanns Verlag, 1916.
gr. 8. 63 SS. M. 1,20.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 429
Wackernagel, Rud., Geschichte der Stadt Basel. II. Bd. 2. Teil. Basel, Hel-
bing u. Lichtenhahn, 1916. gr. 8. VIII, S. 535—947 u. 97—201. M. 12.—.
Wiedenfeld, Kurt, Sibirien in Kultur und Wirtschaft. (Moderne Wirtschafts-
gestaltungen. Hrsg. von Prof. Dr. Kurt Wiedenfeld. Heft 3.) Bonn, A. Marcus u.
E. Weber, 1916. gr. 8. VI—86 SS. M. 2,20.
Wirth, Dr. Albr., Der Balkan. Seine Länder und Völker in Geschichte,
Kultur, Politik, Volkswirtschaft und Weltverkehr. 2. u. 3. unveränd. Aufl. Stuttgart,
Union, Deutsche Verlagsgesellschaft, 1916. gr. 8. VI—391 SS. mit 79 Abbildgn (auf
Taf.) u. 1 (farb.) Karte. M. 10.—.
Reuss, Rodolphe, La France et l’Alsace à travers l’histoire. Préface de
Paul Deschanel. Paris, Impr. des beaux-arts, 1915. Grand en-4. 45 pag. et gravures
et facsimilös. fr. 3,50.
3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung
und Kolonisation.
Pauli (Arzt, Schularzt), Dr. H., Die neue Familie. Ein Beitrag zum Bevölke-
rungsproblem. (Der deutsche Krieg. Politische Flugschriften. Hrsg. von Ernst Jäckh.
Heft 70.) Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt, 1916. gr. 8. 29 SS. M. 0,50.
Robert, Frdr., Der Geburtenausgleich nach diesem Kriege. Das Gesetz auf die
selbetgewollten Knaben. Berlin, Verlag für Bevölkerungsfragen, 1916. 8. 15 SS.
M. 0,50.
Weber, Dr. Hans Siegfr., Ansiedlung von Kriegsinvaliden. (Der deutsche
Krieg. Politische Flugschriften. Hrsg. von Ernst Jäckh. Heft 71.) Stuttgart, Deutsche
Verlagsanstalt, 1916. gr. 8. 36 SS. M. 0,50.
Zechlin, Dr. Erich, Die Bevölkerungs- und Grundbesitzverteilung im Zartum
Polen. Berlin, Georg Reimer, 1916. gr. 8 V—137 SS. M. 2.—.
4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Oberst, Oskar, Zur Verschuldung und Entschuldung des
bäuerlichen Besitzes in den östlichen Provinzen Preußens. Jena (Gust.
Fischer) 1914. VII u. 205 SS. 8%. Preis M. 4,50.
Die vorliegende Arbeit ist, wie der Verf. mitteilt, aus dem staats-
wissenschaftlichen Seminar der Freiburger Universität hervorgegangen.
Ihrem Inhalt ist jedoch nichts Anfänger- oder Schülerhaftes anzumerken.
Der Verf. verbindet mit voller Reife des Urteils eine gute wissenschaft-
liche Methode und eine genaue Kenntnis der einschlagenden volks-
wirtschaftlichen und geschäftlichen Verhältnisse. Die Literatur über
den ländlichen Bodenkredit, die im letzten Jahrzent eine ganze Anzahl
bedeutender Arbeiten hervorgebracht hat — sehr im Gegensatz zu der
Literatur des städtischen Bodenkredits — hat damit eine weitere Be-
reicherung erfahren.
Der Verf. holt weit aus. Nach einem einleitenden ersten Kapitel,
das sich mit den allgemeinen landwirtschaftlichen, namentlich bäuer-
lichen Verhältnissen der fünf östlichen Provinzen Preußens beschäftigt,
erörtert er im zweiten Kapitel den landwirtschaftlichen Kredit als
Quelle der Verschuldung des bäuerlichen Besitzes. Den größten Teil
dieses Kapitels nimmt eine ausführliche Darstellung der dem bäuer-
lichen Besitzer zur Verfügung stehenden Kreditquellen ein. Wenn
hierbei auch dem Thema des Buches entsprechend das Hauptgewicht
auf die Besonderheiten der östlichen Provinzen gelegt wird, so kann
doch die Uebersicht, die der Verf. bietet, eine darüber weit hinaus-
gehende Bedeutung für die preußischen und selbst für die deutschen
430 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Verhältnisse beanspruchen. Hiernach wendet sich der Verf. im dritten
Kapitel der über die Verschuldung des bäuerlichen Grundbesitzes vor-
handenen Statistik zu, wobei er mit Recht zu einer sehr zurückhaltenden
Beurteilung gelangt und namentlich die Ergebnisse der preußischen
landwirtschaftlichen Verschuldungsstatistik von 1902 jedenfalls für die
Gegenwart als nicht mehr zutreffend bezeichnet. Hieran schließt sich
im vierten Kapitel eine geschichtliche Darstellung der bisher getroffenen
Maßnahmen zur Entschuldung des bäuerlichen Besitzes, und zwar geht
der Verf. zunächst auf die allgemeine Entwicklung des Entschuldungs-
gedankens ein. Der Verf. war hier in der Lage, aus den Akten der
kur- und neumärkischen Hauptritterschaftsdirektion wertvolles neues
Material mitteilen zu können, das sowohl den Gegensatz zwischen der
Ostpreußischen Landschaft und den anderen Landschaften wie auch die
Stellungnahme der preußischen Staatsregierung in der Entschuldungs-
frage deutlicher erkennen läßt, als es für die Oeffentlichkeit bisher
möglich war. Daran anschließend schildert der Verf. im einzelnen die
Entschuldungsarbeiten der Besitzbefestigungsbanken, der Ostpreußischen
Landschaft und der Ostpreußischen Landgesellschaft, über die wir aller-
dings großenteils bereits durch die Arbeiten von Gerlach, Zurhorst u. a.
unterrichtet sind. Das fünfte Kapitel zieht die Ergebnisse. Der Verf.
bezeichnet hier treffend als Ziel einer Entschuldung des bäuerlichen
Besitzes „eine Regelung der Schuldverhältnisse, die dem bäuerlichen
Besitzer einen dem landwirtschaftlichen Gewerbe entsprechenden Im-
mobiliar-Realkredit vermittelt, indem sie den hochverzinslichen künd-
baren Privatkredit durch niederverzinslichen unkündbaren und amorti-
sationspflichtigen Anstaltskredit ersetzt und den für die Aufrecht-
erhaltung des Betriebes erforderlichen Kredit als Personalkredit von
besonderen Personalkredit- Organisationen gewähren läßt“. Die Ver-
schuldungsgrenze erachtet der Verf. im allgemeinen nicht als ein ge-
eignetes Werkzeug der Entschuldung (zu dieser Frage hätte der Verf.
allerdings noch die Denkschrift des preußischen Landwirtschaftsministers
über die Ausführung des Gesetzes betr. die Zulassung einer Ver-
schuldungsgrenze — Drucksachen des preuß. Abgeordnetenhauses, 1912,
No. 73 — berücksichtigen sollen); auch eine Mitwirkung der länd-
lichen Genossenschaften an der Regelung des Immobiliarkredits durch
Hypothekengewährung, Garantieübernahme und dergleichen hält er bei
der gegenwärtigen rechtlichen Struktur der Genossenschaften für be-
denklich. Die Zunahme der hypothekarischen Belastung des Bodens
an sich erachtet der Verf. durchaus nicht für gefährlich. Seine
Ausführungen gipfeln darin, daß „die Entschuldungsfrage in erster
Linie eine Frage der Erziehung der bäuerlichen Wirte zu kauf-
männischer, auf Rentabilität abzielender Wirtschaft ist, und daß es sich
hiernach vor allem um die psychologische Beeinflussung des Bauern-
standes handelt. Ein gänzlich oder annähernd schuldenfreier Landwirt
ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht erstrebenswert, sondern
ein Landwirt, der unter wirtschaftlicher Benutzung des Kredits zum
rechnenden Kaufmann wird.“ Der Verf. fordert daher namentlich Be-
lehrung der bäuerlichen Wirte über die Notwendigkeit eingehender
nn nn
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 431
Ertragsberechnungen ; ebenso verlangt er eine Förderung des landwirt-
schaftlichen Versicherungswesens, namentlich der in bäuerlichen Kreisen
noch wenig verbreiteten Lebensversicherung.!
Sachlich sind die eindringlichen Mahnungen des Verf. gewiß aller
Beachtung wert. Aber indem er allen Nachdruck auf sie legt, ist die
kritische Stellungnahme gegenüber den konkreten, bereits vorliegenden
Entschuldungmaßnahmen etwas zu kurz gekommen, und man ver-
mißt insbesondere nach dieser Richtung hin positive Vorschläge.
Immerhin liefert die Arbeit wertvolles Material zur Beurteilung der
Entschuldungsbestrebungen. So geht aus den Untersuchungen hervor,
daß dasjenige Entschuldungsverfahren der ÖOstpreußischen Landschaft,
das sich auf Erhöhung des pfandbriefmäßigen Beleihungswertes und
Eintragung der Verschuldungsgrenze gründete, als nicht geglückt an-
zusehen ist. Der Verf. hat hier übrigens eine wichtige Erkenntnisquelle
ungenutzt gelassen, auf die Schwartz, „Städtischer Grundkredit und
Tilgungshypothek“, S. 60, hingewiesen hat, nämlich die Kursbewegung
der Pfandbriefe. Diese zeigt, daß die Ostpreußischen Pfandbriefe seit
dem Beginn der Entschuldungsaktion im Kurse stärker zurückgegangen
sind als die Pfandbriefe der anderen Landschaften. Darin liegt eine
bedeutsame Bekräftigung der Bedenken Mauers (Schmollers Jahrb.,
32 S. 1097 ff.) und der anderen Landschaften gegen diesen an sich so
klug und großzügig angelegten Teil der ostpreußischen Entschuldungs-
aktion. Dagegen hat sich gezeigt, daß die Entschuldung mit Hülfe der
Lebensversicherung bessere Aussichten auf Erfolg bietet, allerdings nicht
in der Form, wie sie ursprünglich namentlich von Hecht geplant war,
nämlich als sogenannte Hypothekarlebensversicherung, sondern in der
Form einer mehr äußerlichen Verbindung von amortisabler Hypothek
und gewöhnlicher (jedoch öffentlicher) Lebensversicherung, wobei die
Amortisationsraten ganz oder teilweise zur Prämienzahlung verwendet
werden, die Lebensversicherungspolice aber dem Hypothekeninstitut
verpfändet wird. Daß auf diesem Wege noch weitere Erfolge zu er-
zielen sind, kann ‚trotz des Krieges nicht als ausgeschlossen gelten,
während freilich jede Entschuldungsaktion, die lediglich auf dem Ge-
danken der Selbsthilfe, d. h. der erhöhten Pfandbriefausgabe bei
erweiterter Beleihungsgrenze beruht, für absehbare Zeiten als erledigt
gelten muß. Damit soll freilich nicht gesagt sein, daß der Staat
das Geld hergeben müsse, denn es wird in dieser Beziehung, ganz
abgesehen von der prinzipiellen Seite der Sache, zunächst einmal auf
die ktinftige Finanzlage ankommen. So sind wir auch hier wieder bei
der großen Ungewißheit angelangt, mit der zurzeit so ziemlich jede auf
den Frieden blickende Erörterung wirtschaftlicher Fragen sich be-
scheiden muß.
Berlin. A. Nußbaum.
Bullinger (Oberreg.-Assess.), Zusammenstellung der für die Landwirtschaft wich-
tigsten Kriegsverordnungen für das Wirtschaftsjahr 1915/16. Im Auftrag der Kgl.
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die Bedeutung des Bodens in der Teichwirtschaft. Berlin, Verlag für Fachliteratur
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Marquis, Carl, Vergleichende Untersuchungen über die Methoden der Ko-
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München und Leipzig (Duncker & Humblot) 1915. 182 SS,
Ueber die Entwicklung der Juteindustrie in den verschiedenen’
Ländern hat vor kurzem Richard Wolff eine Uebersicht gegeben (Die
Jute. Ihre Industrie und volkswirtschaftliche Bedeutung. Berlin 1913).
Im gleichen Jahre hat der deutsche Vizekonsul Weidemann einen ein-
gehenderen Bericht über die fast ganz in und um Dundee konzentrierte
Juteindustrie Großbritanniens geliefert (Berichte über Handel und In-
dustrie, Bd. 19, Heft 10). Eine dankenswerte Ergänzung dieser Ver-
öffentlichungen bildet die vorliegende, auf Anregung von Robert Wuttke
entstandene Schrift von Delden. Der Verf. hat eine Studienreise nach
Indien unternommen und sich an Ort und Stelle über die Jutegewin-
nung sowohl wie über die Juteverarbeitung informiert. Auf Grund
der so gewonnenen Anschauung, und gestützt auf die Literatur, gibt er
eine klare Darstellung seines Gegenstandes.
Aachen. Richard Passow.
Gas, Das, als Wärmequelle und Triebkraft. Bearbeitet von F. Schäfer, P. Spaleck,
A. Albrecht, Joh. Körting, A. Sander. (Handbuch der Gastechnik. Unter Mitarbeit
zahlreicher hervorragender Fachmänner herausgegeben von Drs. E. Schilling u.
H. Bunte. Neubearb. u. Erweitrg. des zuletzt im Jahre 1879 in 3. Aufl. erschienenen
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Gürtler, Prof. Dr. Alfred, Unsere Handelsbilanz 1909—1913 in systematischer
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Whitney, Nathanael Ruggles, Jurisdiction in American
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Ueber die englischen Gewerkvereine haben Sidney und Beatrice
Webb den Ausspruch getan: „es ist keine Uebertreibung, zu sagen,
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 435
daß der Konkurrenz zwischen rivalisierenden Gewerkvereinen neun
Zehnteile von der Wirkungslosigkeit der Gewerkvereinswelt zuzuschreiben
sind“. Mindestens dasselbe gilt von den amerikanischen Gewerkver-
einen, über deren Wesen und Wirken die „John Hopkins University
Studies“ (Baltimore), über die in diesen Jahrbtichern schon mehrfach
berichtet werden konnte, manches interessante und dankenswerte Licht
verbreiten. Der vorliegende Band behandelt die Streitigkeiten über die
Zuständigkeitsverhältnisse zwischen den Gewerkvereinen des amerika-
nischen Baugewerbes, die „gewerbliche Gerichtsbarkeit“, in deren In-
anspruchnahme ihre gegenseitige Rivalität sich betätigt. Es wird
klassifizierend gezeigt, in welchen Formen diese trade-union jurisdiction
in Erscheinung tritt und welche für die Gwerkvereine selbst, ihre Mit-
glieder, die Arbeitgeber und das gesamte Gesellschaftsleben verderb-
lichen Wirkungen der Wettbewerb um sie zur Folge hat. Zahlreiche
als Beispiele angeführte Fälle aus dem Gewerkvereinsleben veranschau-
lichen diese Tatbestände im einzelnen und erhärten zugleich das über
die Bedeutung und die Folgewirkungen dieses Konkurrenzkampfes
näher Ausgeführte.
Das Baugewerbe ist als Rahmen für diese Studie gewählt worden,
weil seine Arbeiter eine sehr einheitliche Gruppe innerhalb der Gesamt-
arbeiterschaft bilden, weil ferner bei dem geringen Grade der Arbeits-
teilung in diesem Gewerbe derartige Konflikte zwischen den Gewerk-
vereinen der Bauarbeiter viel häufiger als zwischen anderen sind, endlich
weil die üblen Wirkungen dieser Streitigkeiten hier besonders groß sind.
Denn sie werden sehr verschärft durch den Sympathiestreik, der im
Baugewerbe eine besonders erfolgreiche Anwendung findet.
Die große Bedeutung dieser Konflikte ergibt sich daraus, daß,
während in den Anfängen des Gewerkvereinswesens die „Gerichtsbar-
keit“ noch als rein persönliche vorgestellt wurde, nämlich als Kontrolle
über im selben Gewerbe beschäftigte und daher in gleichen Hinsichten
interessierte Personen, sie mit dem Fortschreiten der Arbeiterorgani-
sation zu einer trade jurisdiction ward, nämlich zu dem Anspruch
auf die Kontrolle über das gesamte Gewerbe. Am stärksten tritt diese
Auffassung bekanntlich in Erscheinung im Prinzip des „closed shop“,
der Sperrung aller Arbeitsstätten gegen alle dem Gewerkverein nicht
angehörenden Arbeiter („The closed shop in American trade unions“
von Stockton, besprochen im Jahrgang 1913, S. 254f. dieser Jahrbücher).
Die „Gerichtsbarkeit“ der Gewerkvereine in diesem höheren und zu-
gleich viel schärferen Sinne ist notwendigerweise eine territoriale und
eine gewerbliche. Das heißt, sie bezieht sich einmal auf ein ganz be-
stimmtes räumliches Gebiet, innerhalb dessen der Gewerkverein das
ausschließliche Recht der Organisation und der Kontrolle aller Arbeits-
kräfte eines Gewerbes für sich in Anspruch nimmt, und sodann auf
eine bestimmte Art von Arbeit, deren sämtliche Bedingungen zu kon-
trollieren er ebenfalls als sein ausschließliches Recht beansprucht.
Daraus erhellt, daß eine möglichst scharfe Umgrenzung sowohl
jenes räumlichen Gebietes als dieses Gewerbes von allergrößter Wich-
28%
436 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
tigkeit für jeden Gewerkverein ist. Damit ist aber zugleich auch die
Quelle für unzählige und endlose Streitigkeiten gegeben. Denn seine
Behauptung auf dem von ihm beanspruchten räumlichen und gewerb-
lichen Gebiete im Sinne einer vollständigen und jede Konkurrenz
anderer Vereine ausschließenden Herrschaftsgewalt ist die oberste
Voraussetzung für die Ausübung einer derartigen „Gerichtsbarkeit“,
ist also Lebensbedingung für ihn.
Diesem Gedankengange entsprechend ist die Arbeit so disponiert,
daß im ersten Kapitel das räumliche Gebiet, im zweiten die Gewerbe,
in den vier folgenden die aus den Ansprüchen auf diese beiden Herr-
schaftsgebiete erwachsenden Streitigkeiten selbst besprochen werden.
Für die territoriale Abgrenzung ist vor allem wichtig eine annähernde
Gleichmäßigkeit der Lebensbedingungen, des Standes der Arbeitsteilung,
der sachlichen Bedingungen des Gewerbes. Im Baugewerbe sind die
Arbeiterorganisationen meist internationale, über die Union und Kanada,
mitunter über ganz Nordamerika sich erstreckende. Sie haben meistens
Zweigvereine in Kanada, wo die gewerblichen Verhältnisse denen der
Union ähnlich sind, selten aber in Mexiko und Zentralamerika. Dabei
ist jeder National-, jeder Distriktsverband und jeder Ortsverein streng
bedacht auf die ausschließliche Gerichtsbarkeit über sein spezielles
Territorium. In gewerblicher Hinsicht beansprucht jeder Gewerkverein
für seine Mitglieder das ausschließliche Recht der Beschäftigung im
ganzen Gewerbe. Anders- oder Nichtorganisierte duldet er nicht. Sie
sind Einbrecher in den Bereich seiner Gerichtsbarkeit und müssen ihm
beitreten oder aus dem Gewerbe ausscheiden. Durch die Verfolgung
dieses Anspruchs gegen Andersorganisierte, die oft bitterer gehaßt
werden als Nichtorganisierte, entstehen die hier interessierenden Kon-
flikte. Nun bringen es aber die häufigen Aenderungen der Arbeits-
methoden, die erweiterte Anwendung von Maschinen, die Fortschritte
der Arbeitsteilung, die Einführung neuer Materialien und auch die
Zunahme der Gewerkvereine mit sich, daß die gezogenen Grenzlinien
zwischen den gewerblichen Herrschaftsgebieten der Gewerkvereine sich
verschlingen oder verwischen. Auch die genaueste Beschreibung solcher
Grenzen vermag das nicht zu hindern. Nur die Zunahme der National-
verbände an Zahl und Ausdehnung übt einigermaßen eine Gegenwirkung
aus. Für alles dieses wird aus der Geschichte der Gewerkvereine
reiches Material beigebracht.
Die „jurisdiction disputes“ selbst sind entweder Streitigkeiten
zwischen konkurrierenden Gewerkvereinen, deren jeder sich als selb-
ständige Körperschaft zu behaupten und die ausschließliche Kontrolle
über die nämlichen Klassen von Arbeitnehmern und das nämliche
Territorium auszuüben bestrebt ist, — „dual unionism“, oder Streitig-
keiten über die Abgrenzung von Arbeitsgebieten zwischen mehreren
Gewerkvereinen — „demarcation disputes“. Bei den ersteren sind die
Rivalen entweder completely oder incompletely dual unions, d. h. sie
beanspruchen entweder beide das Recht der Kontrolle über das näm-
liche Gebiet und die nämliche Arbeit, oder aber der eine beansprucht
es nur über einen bestimmten Teil dieses Gebietes oder dieser Arbeit.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 437
Konkurrenzvereine entstanden früher meist durch Verfehlung des An-
schlusses bei Bildung des „rechtmäßigen“ Gewerkvereins. Jetzt ent-
stehen sie überwiegend entweder durch Ausschluß oder Austritt aus
einem Nationalverband oder durch Einführung neuer Arbeitsprozesse,
Arbeitsteilung, Arbeitsmaterialien oder Maschinen. Fälle letzterer Art
können nach beiden Richtungen hin wirksam werden. Entsteht nämlich
durch fortschreitende Arbeitsteilung ein ganz neuer Typ von Arbeitern,
und wird das neue Arbeitsgebiet von einem bestehenden Gewerkverein
als ein Teil „seines“ Gewerbes beansprucht, so liegt dual unionism vor.
Wird dagegen der neue Arbeitsprozeß von jedem von zwei bestehenden
Gewerkvereinen in Anspruch genommen, so entsteht ein demarcation
dispute. Die dual union disputes nehmen an Zahl und Bedeutung im
Maße der wachsenden Zentralisation der Gewerkvereine ab, die de-
marcation disputes dagegen im Grade jener Fortschritte der Arbeits-
technik zu.
Die „Grenzstreitigkeiten“ entspringen bestimmten Ursachenkom-
plexen. Erstens der an die Lohnfondstheorie anklingenden Vorstellung,
daß in jedem Gewerbe ein bestimmtes Arbeitsquantum vorliegt und
daher ein Eingriff anderer Gewerkvereine in dieses Arbeitsgebiet dessen
Arbeitern die Arbeitsgelegenheit beschränkt. Sodann der Anschauung
von dem „Rechte“ am Gewerbe, das die Arbeiter eines solchen durch
- ihre langjährige Uebung in ihm als seine „Spezialisten“ sich erwerben.
Drittens dem Gefühl der Eifersucht auf das Wachstum anderer Gewerk-
vereine. Viertens dem Gesichtspunkt, daß die Rivalen die fragliche
Arbeit zu verrichten nicht fähig seien. Fünftens der Verschiedenheit
der Löhne in den verschiedenen Arbeitsgebieten, die von den Arbeit-
gebern oft ausgenutzt wird durch Heranziehung billigerer Arbeits-
kräfte aus Nachbargewerben, wogegen wieder der Gewerkverein des
Gewerbes als einen „Einbruch“ in seinem und der ganzen Arbeiter-
schaft Interesse protestiert. Endlich der Befürchtung, daß mit Hilfe
desselben Manövers die Arbeitgeber sich Streikbrecherreserven heran-
bilden könnten.
Mit der Zunahme der Gewerkvereine, der fortschreitenden Spe-
zialisierung der Gewerbe und dem häufigen Wechsel der Arbeits-
methoden und -materialien nehmen die trade unions-Konflikte stark zu.
Sie beanspruchen und erschöpfen oft deren Kräfte und lenken sie ab
von ihren eigentlichen Aufgaben und deren Verfolgung gegenüber den
Arbeitgebern. Die Verhandlungen vor dem Verwaltungsausschuß wie
auf den Kongressen der American federation of labor sind voll davon,
obwohl sie nur einen Teil von allen, nämlich die Konflikte von natio-
naler Bedeutung bilden. Ihre üblen Wirkungen für alle Beteiligten
und für die Gesamtheit bestehen in einer Verschwendung von Geld-
mitteln, in der Schwächung der Organisation und der Entstehuug einer
den Gewerkvereinen feindlichen öffentlichen Meinung. Aber auch das
Gesamtwohl wird geschädigt, denn durch sie wird Kapital und Arbeit
vergeudet, die Anwendung verbesserter Arbeitswerkzeuge und -mate-
rialien verhindert, die Bautätigkeit gelähmt und bei langer Dauer
Arbeitslosigkeit und Armut erzeugt.
438 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Im Schlußkapitel werden die bisher vorgeschlagenen Abhilfe-
maßnahmen erörtert, jedoch mit dem Ergebnis, daß die Hoffnung, diese
Streitigkeiten in absehbarer Zeit verschwinden zu sehen, eitel sei. Ihre
Ursachen liegen zu tief und sitzen zu fest. Weder das Einigungs-
noch das Schiedsverfahren, weder das Mitgliedskarten-Austauschsystem
noch die von den Parteien fast stets abgelehnte Verschmelzung der
streitenden Teile bieten wirksame Abhilfe. Am meisten würde noch
ein allgemeines Abkommen nützen, sich bei solchen Streitigkeiten aller
Sympathiestreiks zu enthalten, wenn es streng durchgeführt würde. Auch
die Entwicklung zu Industrieverbänden wirkt günstig ein. Im übrigen
dürften die Führer der Bauarbeiterorganisationen, nämlich die American
federation of labor und das building trades department, keinerlei neue
Gewerkvereine entstehen lassen, deren Arbeitsgebiet sich demjenigen be-
stehender Vereine auch nur nähert. Maßgebender Gesichtspunkt müßte
vielmehr sein, daß es gewisse Grundgewerbe gibt und jede neue Arbeits-
teilung nur einen wesentlichen Teil eines dieser Gewerbe betrifft, daher
keinen Anspruch auf eine neue Vereinsgründung gibt.
Marburg (Lahn). H. Köppe.
Altmann, Prof. Dr., Soziale Mobilmachung. (Vortrag, gehalten in der juristischen
Gesellschaft zu Berlin.) Mannheim, J. Bensheimer, 1915. gr. 8. 22 SS. M. 0,60.
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Dyhrenfurth, Gertrud, Ergebnisse einer Untersuchung über die Arbeits-
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schaftsprogramm. München u. Leipzig, Duncker u. Humblot, 1915. 8. 49 SS. M. 0,60.
Jahrbuch des allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe beruhenden deutschen
Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften e. V. 1914. 18. Jahrg. Hrsg. vom (Ver-
bandsanwalt) Dr. Hans Crüger. Berlin, J. Guttentag, 1915. 32X23 cm. 283 SS.
M. 10.—.
11. Gesetzgebung, Staats- und Verwaltungsrecht. Staatsbürgerkunde.
Bekanntmachungen über den Verkehr mit Brotgetreide und Mehl aus der
Ernte 1915. Nebst den anderweitigen Gesetzen und Verordnungen wirtschaftlicher
Natur. 3. Nachtrag. Vom 25. 10. bis 13. 12. 1915. Nebst Beigabe: Verzeichnis der
ergänzten, geänderten und aufgehobenen Bekanntmachungen usw. Vom 28. 6. 1915
bis 13. 12. 1915. Berlin, Klemens Reuschel, 1916. gr. 8. 119 u. 16 SS. M. 2.—.
Cahn (Rechtsanw. Justizr), Dr. Hugo, Gerichtsentlastung und Güteverfabren
im Kriege und im Frieden. Berlin, J. Guttentag, 1916. gr. 8. 75 SS. M. 2.—.
Curti, Dr. Arthur, Handelsverbot und Vermögen in Feindesland. Gesetz-
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Gemeinderecht, Berliner. Hrsg. vom Magistrat. 2. ergänzte Aufl. 13. Bd.
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Unter Mitwirkung von (Geh. Reg.-R.) Baath. Hrsg und mitbearb. von (Abt.-Dir.) Prof.
Dr. Stier-Somlo. 2. Bd. Das kommunale Verwaltungsrecht in Preußen. 1. Hauptteil.
Das Recht der inneren Verwaltung. Bearbeitet von (Geh. Reg.-R.) Baath. Oldenburg
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Hotowetz, Dr. Rudolf, Das österreichische Staatsproblem. Prag, Fr. Rivnät,
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Jaeger (Bundesrichter), Dr. C., Kommentar zur Verordnung des Bundesrats betr.
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Orell Füßli, 1915. 8. 131 SS. M. 3,20.
Koch (Oberbürgermstr), und Wilms (Oberbürgermstr.) Dr., Kriegsmaßnahmen
der Städte auf dem Gebiete der Lebensmittelversorgung. (Vorträge, gehalten auf der
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Friedenau, Deutscher Kommunal-Verlag. 1916. gr. 8. 39 SS. M. 1,50.
Korn (Rechtsanw., Not., Justizr.), Dr. Alfred, Kurz gefaßter "Handkommentar
zum Handelsgesetzbuch (ohne Seerecht). Köln, Zentrale für Gesellschaften mit beschr.
Haftung, Dr. Otto Schmidt, 1915. 8- VII—34 SS. M. 7—.
Kriegs-Gesetze, -Verordnungen und -Bekanntmachungen, Sümt-
liche. Eingeleitet durch einen Auszug aus der Denkschrift des Reichskanzlers über
wirtschaftliche Maßnahmen aus Anlaß des Krieges 1914/15 und Anhang: Preußische
440) Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Ausführungsbestimmungen. Mit Inh.-Verz., ausführl. Sachreg. und Gesetzesverzeichnis
nach der Zeitfolge, hrsg. von der Redaktion des deutschen Reichsgesetzbuches für In-
dustrie, Handel und Gewerbe. 1. Ergänzungsheft zu Bd. 2. (5. Ergünzungsheft zu
Bd. 1.) Abgeschlossen am 31. 12. 1915. Berlin, Verlag deutsches Reichsgesetzbuch
für Industrie, Handel und Gewerbe (Otto Drewitz), 1916 gr. 8. VII—191 SS.
M. 3.—.
Pöll (Verwaltungsgerichts-R.),, Wolfg., Das Unterstützungswohnsitzgesetz vom
6. 6. 1871/30. 5. 1908 und das bayerische Armengesetz vom 21. 8. 1914, nebst Voll-
zugsanweisung. Erläutert. 4. Lieferung. München, J. Schweitzer (Arthur Sellier),
1915. 8. 8. 193—384. M. 3.—.
Röttinger (Zivil-Ing.), Prof. Josef, Die Bewertung von Baurechten und deren
Zugehör. Wien, Lehmann u. Wentzel, 1915. Lex.-8. VI—172 SS. M. 10.—.
Soergel (Hofr), Dr. Hs. Th., Kriegsrechtsprechung und Kriegsrechtslehre
1914/15. Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt, 1916. kl. 8 XVI—235 SS. M. 3,60.
Wohin gehört Elsaß-Lothringen? (Umschl.: Von einigen Elsässern.) Zürich,
Rascher u. Cie, 1915. 8. 96 SS. M. 0,50.
Wurmbrand, Dr. Norb., Die rechtliche Stellung Bosniens und der Herze-
gowina. (Wiener staatswissenschaftliche Studien, hrsg. von Edm. Bernatzik u. Eugen
v. Philippovich. 12. Bd. 2. Heft.) Wien, Franz Deuticke, 1915. gr.8. III—148 S3.
M. 5.—.
Coub&, St&phen, Alsace, Lorraine et France rhenane, Exposé des droits
historiques de la France sur toute la rive gauche du Rhin. Avec préface de M. Maurice
Barrès. Paris, libr.-edit. P. Lethielleux, 1915. 16. XII—181 pag. fr. 2.—.
Dampierre, Jacques de, L’Allemagne et le droit des gens, d’après les
sources allemandes et les archives du gouvernement. I. L’imp£rialisme. Paris, Berger-
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Berger-Levrault, 1915. 12. 70 pag. 60 cent.
Woesthoff, P. F., De Indische decentralisatie-wetgeving. Leiden, Boekhandel
en drukkerij vrhn. E. J. Brill. gr. 8. 8 en 304 blz. fl. 6.—.
Lagemans, E. G., Recueil des traités et conventions conclus par le royaume
des Pays-Bas avec les puissances étrangères, depuis 1813 jusqu’ A nos jours. Continué
par J. B. Brenkelman. Tome XVIII, fasc. I. La Haye, Libr. Belinfante Frères. gr. 8.
326 blz. fl. 7,50.
Schultze, Ernst, Engelland en het oorlogsrecht ter zee. Naar het Duitsch.
Met een voorrede van L. R. Steinmetz. Amsterdam, C. L. van Langenhuysen. gr. 8.
180 blz. fl. 0,60.
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Guradze, Dr. Hans, Statistik des Kleinkinderalters. Mit einem Vorwort von
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Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1915. 37%X29 em. 457 SS. M. 17.—.
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publiés en annexe au recueil des travaux de la commission permanente de préservation
contre la tuberculose. Melun, Imprimerie administrative, 1915. 8. 155 pag. avec
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Bureaux de la prophylaxie et des épidémies.)
Schweiz.
Schulstatistik, Schweizerische. Statistique des &coles suisses 1911/12. Bearb.
im Auftrag des schweizerischen Departements des Innern und durchgeführt durch die
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 441
Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren auf der Landesausstellung in Bern 1914.
Red.: (+ Staatsschreiber) Dr. A. Huber, (Reg.-R.) G. Bay. 2 Teile:
Schulwesen, Das schweizerische, dargestellt auf Grund der statistischen Er-
hebungen vom 31. III. 1912. Teile i—6. Les écoles publiques suisses, leur organi-
sation sur la base des données statistiques du 31. III. 1912. Parties 1—6. M. 10.—.
Schulwesen, Das schweizerische, dargestellt nach den gesetzlichen Grundlagen.
Text. Les écoles publiques suisses, leur organisation sur la base des dispositions légales.
Texte. (4 Teile in 1 Bd.) XI—483, 272, 73 u. 348 SS. Bern, A. Francke, vorm.
Schmid u. Francke, 1915. gr. 8. M. 10.—.
Italien.
; Monaco, Valentino, Statistica dei prezzi in Italia. Lanciano, G. Carabba. 8.
1.—.
. Statistica della emigrazione italiana per l'estero negli anni 1912 e 1913. Roma,
Tip. C. Cecchini. 8. 12.
13. Verschiedenes.
Gesellschaft österreichischer Volkswirte, Jahrbuch
1914. Wien (Manz) 1914.
Der vorliegende Band des Jahrbuches zeigt deutlich, daß der
Balkankrieg und die mit ihm zusammenhängenden Probleme auch die Vor-
tragsfolge in der Gesellschaft österreichischer Volkswirte beeinflußt
haben; 4 von den 9 Vorträgen sind ihnen gewidmet. K. Steinmetz, ein
genauer Kenner Albaniens, sprach über die wirtschaftlichen Verhältnisse
dieses Landes. Sie sind seinem Urteile nach für die Gegenwart trostlos,
und auch für eine günstige Entwicklung in der Zukunft werden große
Kapitalmengen und ein reger Unternehmungsgeist notwendig sein. Aber
bei entsprechenden Be- und Entwässerungsanlagen sei das Land dank
der natürlichen Fruchtbarkeit einzelner Teile berufen, einen ganz her-
vorragenden Platz unter den Küstengebieten der Adria einzunehmen.
Sektionschef Shek v. Vugrovec behandelt die Agrarfrage in Bosnien
und der Herzegowina vielleicht etwas zu trocken und systematisch,
verrät aber an jeder Stelle den gründlichen Kenner der Verhältnisse.
So ist sein Urteil, daß mit der Ablösung des Kmetenverhältnisses noch
nicht viel getan sei, daß vielmehr dann erst recht eine Aktion einsetzen
müsse, die dem Bauer nun auch die wirtschaftliche Selbständigkeit
gewährleiste, doppelt wertvoll. Sehr interessant sind auch die von ihm
beigebrachten Zahlen tiber die Besitzzersplitterung in den Okkupations-
ländern, die jene des klassischen Landes des Zwergbesitzes, Frank-
reichs, noch weit übertreffen. Gemessen an den sonstigen Schriften
des gedankenreichen Autors, hat mich der Beitrag Robert Michels
über „Italienischen Imperialismus“ etwas enttäuscht. Er beschränkt sich
auf die Hervorhebung der demographischen Grundlage der Bewegung,
die Italien zwingt, für die auswandernden Menschenmassen Gebiete zu
erwerben, die mit dem Mutterlande in dauernder politischer Verbindung
bleiben. Aktuellen Problemen war auch der Vortrag von Jakob
Riesser über „Finanzielle Kriegsbereitschaft und Kriegsführung“ ge-
widmet, der aber an anderer Stelle zur Veröffentlichung gelangt ist.
E. Schwiedland bespricht vorsichtig abwägend die verschiedenen
Systeme der Arbeitslosenunterstützung und verweist mit Nachdruck
auf die Notwendigkeit der Schaffung einer großzügigen paritätischen
442 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Arbeitsvermittlung, als „der ersten Form jeder Arbeitslosenfürsorge“.
Der Beitrag des um die Wohnungsfürsorge in Oesterreich verdienten
Baron Felix Oppenheimer über den jetzigen Stand dieser Frage in
der Monarchie führt ein Beispiel typisch österreichischer Entwicklung
vor: Jahrzehntelange, beschämende Untätigkeit aller Instanzen, dann ein
rasches Aufraffen und energische, weitblickende Maßregeln, die in der
Schaffung eines staatlichen Wohnungsfürsorgefonds gipfeln, der der
gemeinnützigen Bautätigkeit nicht so sehr selbst Kredit gewähren, als
vielmehr die Haftung für die Verzinsung und Tilgung der zweiten Hypo-
theken übernehmen soll.
Zwei Vorträge sind Bankfragen gewidmet. H.Patzauer orientiert
klar und ansprechend über die Reform des amerikanischen Bankwesens
durch die Federal Reserve Act. Besonders dankenswert ist die bei-
gefügte systematische Zusammenstellung der neuen gesetzlichen Be-
stimmungen. Der unterdessen verstorbene Präsident der Anglo-Oester-
reichischen Bank, KarlMorawitz, schildert uns die Geschichte seines
Institutes in den gerade 50 Jahren seines Bestehens. Ein interessanter
Beitrag nicht nur zur Entwicklung des österreichischen Bankwesens,
sondern mehr noch fast der österreichischen Industrie. Morawitz sucht
diese oft bemängelte enge Verbindung des Bankkapitals mit der In-
dustrie dadurch zu rechtfertigen, daß die österreichische Industrie die
durch die Banken vermittelte Kapitalmitwirkung noch nicht entbehren
könne. Leider wirkt in derselben Richtung mit kaum geringerer Kraft
das Streben auch der kapitalkräftigen Unternehmer ein, möglichst bald
das Risiko von sich abzuwälzen und in geborgten feudalen Allüren
weiterzuleben.
Wenn ich der Vorträge von Phillipovich über „Monopole und
Monopolbildungen“ und von W. Gerloff über „Die neuere Finanz-
gesetzgebung des Deutschen Reiches“ erst zum Schluß gedenke, so trägt
das nur den Tatsachen Rechnung, daß ersterer einen Ausschnitt aus
einem größeren Artikel bildet, während der Inhalt des zweiten aus dem
Nachtrage zu der großen Publikation Gerloffs über „die Finanz- und
Zollpolitik des Deutschen Reiches“ bekannt ist.
Ernst v. Plener hat die Sammlung mit einem kurzen, aber treff-
sicheren Nachruf auf die zwei großen, in demselben Sommer verstorbenen
Mitglieder der Gesellschaft, Robert Meyer und Eugen v. Böhm-Bawerk,
eingeleitet.
Halle. Gustav Aubin.
Bächtold (Priv.-Doz.), Herm., Die geschichtlichen Grundlagen des Weltkrieges.
Zürich, Rascher u. Cie, 1915. 8. 52 SS. M. 1.—.
Casement, Sir Roger, Die Ursachen des Krieges und die Grundlagen für den
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444 Die periodische Presse Deutschlands.
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No. 1: De autonomie der bijzondere spaarbanken, door J. A. Levy. — Het vraagstuk
van den zoogenaamden kinder-aftrek bij de inkomstenbelasting, door J. L. Kok. —
Oorlog en geboorte, door J. Reitsma. — Bankbilletten-eirculatie en goudvoorraad bij de
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Bibliothèque universelle et Revue Suisse. Tome 81, Janvier 1916, No. 241: La
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Heft 3: Die Militärpflichtersatzsteuer, von Dr. Paul Steiner. — Die Kranken- und Un-
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Das moderne Auswanderungsproblem (Schluß), von Dr. Sigismund Gargas. — etc. —
Heft 4: Ueber die wirtschaftliche Bedeutung und die rechtliche Auslegung und Regelung
des Eigentumsvorbehalts, von (Ing.) Dr. J. Frei. — Die Kranken- und Unfallversicherung
in der Schweiz und in Deutschland, von (Lic. rer. pol.) Max Burg. — Die Militärpflicht-
ersatzsteuer (Schluß), von Dr. Paul Steiner. — ete. — Heft 5: Zur Frage des Tabak-
monopols, von Ernst Fischer. — Ueber die wirtschaftliche und rechtliche Auslegung und
Regelung des Eigentumsvorbehalts (Schluß), von (Ing.) Dr. J. Frei. — ete. — Heft 6:
Zur Frage des Tabakmonopols (Forts.), von Ernst Fischer. — Die Zürcher Seidenstofi-
weberei in der Kriegszeit. — ete. — Heft 7: Die Warenhäuser, von Emil Licht. —
Zur Frage des Tabakmonopols (Schluß), von Ernst Fischer. — ete — Heft S: Die
Entstehung der modernen Verkehrswirtschaft, von N. Reichesberg. — Die Warenhäuser
(Schluß), von Emil Licht. — ete. — Heft 9: Das kaufmännische Bildungswesen in
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— Die bahnpolizeiliche Strafgewalt, von (Reg.-R.) Nehse. — Die Fahrgeschwind igkeit
der deutchen Schnellzüge, von Dr. S. v. Jezewski. — Allgemeines Statut für die rusi-
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Die periodische Presse Deutschlands. 445
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Brandenburg. — Der Einfluß der Betriebsgröße auf den landwirtschaftlichen Rohertrag,
von Prof. Dr. Ernst Laur. — Zur volkswirtschaftlichen Bedeutung des landwirtschaft-
schaftlichen Groß- und Kleinbetriebes, von Prof. Dr. Richard Ehrenberg. — Der land-
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verfassung, von Dr. Friedrich Diestel. — Der Arbeitsverbrauch in bäuerlichen Betrieben.
Neue Methoden zur wissenschaftlichen Behandlung dieses Problems, von Dr. Alexander
Kühnlein. — ete.
Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie, Bd. 11, 1915/16, Heft 4: Aus-
lesewirkungen der Sterblichkeit, von (Sanitätsrat) Dr. med. Wilhelm Weinberg. — Un-
zeitgemäße Gedanken über Europas Zukunft, von Dr. med. W. Schallmeyer. — Die
neolithische Bevölkerung der Schweiz. Ein Beitrag zur Pygmäenfrage, von Dr. Franz
Schwerz. — Zur Rasse- und Rassenwertung, von Dr. Fritz Lenz. — etc.
Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, Bd. 9, Januar 1916, Heft 2:
Das Entwicklungsgesetz der fortschreitenden Vergeistigung des Rechts (I), von (Reichs-
gerichtsrat) Dr. Neukamp. — Die Systematik der Vermögensdelikte (I), von Prof. Dr.
August Hegler. — Der Staat als sittliches Wesen, von Prof. Dr. A. Mendelsohn-
Bartholdy. — Soziologie im System der Wissenschaften, von Prof. Dr. Ferdinand
Toennies. — Volkswirtschaft, Weltwirtschaft, Kriegswirtschaft (Schluß), von (Unterstaats-
sekretär z. D.) Prof. Dr. Georg v. Mayr. — Die Beziehung als Grundkategorie des
soziologischen Denkens (Schluß), von Prof. Dr. A. Vierkandt. — Produktivität der
Volkswirtschaft und volkswirtschaftliche Produktivität (I), von Prof. Heinrich Pesch.
— er.
Archiv, Weltwirtschaftliches. Zeitschrift für allgemeine und spezielle Weltwirt-
schaftslehre, Bd. 7, Januar 1916, Heft 1: Zur Theorie von Freihandel und Schutzzoll,
von Dr. Eduard Kellenberger. — Zur Analyse von Handelsstatistiken. (Der österreichisch-
ungarische Außenhandel 1900 bis 1912), von Dr. ing. Fritz Kerner. — Die Kapitalkraft
Frankreichs, von Prof. Dr. Paul Arndt. — Gewerbliche Schutzrechte während des
Krieges, von (Reg.-R.) Dr. Rathenau. — Schiffahrt und Schiffahrtspolitik der Türkei,
von N. Honig. — Ueber die örtliche Verteilung der Juden in ihrer Bedeutung für die
Weltwirtschaft und deren deutschen Anteil, von Davis Trietsch. — etc.
Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins, Jahrg. 16,
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Kriege, von Ludwig Eschwege. — Die Organisierung des Devisenverkehrs, von. A. L.
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Vierverband (Schluß), von (Wirkl. Geh. Ober-Finanzr.) Dr. O. Schwarz. — Die Aus-
nahmegesetze gegen deutsche Privatrechte in England, Frankreich und Rußland, von
(Geh Justizr.. Kammergerichtsr.) Dr. Delius. — ete. No. 9: Die Neuordnung des
Devisenhandels, von (Geh. Ober-Finanzr.) H. Hartung. — Der Krieg und die Wiener
Börse, von (Bankdirektor) Alfred Heinsheimer. — Zum Entwurf eines Schätzungs-Amts-
Gesetzes, von (Reg.-R. a. D., Dir. d. Preuß. Zentral-Bodenkredit-A.-G.) Dr. F. Schwartz.
— Die Ausnahmegesetze gegen deutsche Privatrechte in England, Frankreich und Ruß-
land (Schluß), von (Geh. Justizr., Kammergerichtsr.) Dr. Delius. — Verlängerung wäh-
rend des Krieges fällig werdender Hypotheken. — etc.
Blätter für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre. Jahrg. 11,
Dezember 1915 u. Januar 1916, No. 6/7: Die Neutralität Griechenlands und das Völker-
recht, von D. Karl Strupp. — Die wirtschaftliche Annäherung zwischen Deutschland,
Oesterreich und Ungarn (Forts.) von (Rechtsanw.) Dr. Eugen Zergenyi. — Die Beamten-
446 Die periodische Presse Deutschlands.
gehälter in England (Schluß), von Dr. Ernst Schultze. — Das Werk der Kongo-
Konferenz und der Weltkrieg. Vortrag von (Legationsrat) Dr. Alfred Zimmermann.
Blätter, Kommunalpolitische. Jahrg. 7, Januar 1916, Heft 1: Unser Kommunal-
programm. Mit einem Geleitwort des stellvertretenden Vorsitzenden der Rheinischen
Zentrumspartei, von (Öberlandesger.-R.) Marx. — Die kommunalen Preisprüfungsstellen,
von (Reichstagsabg.) Marx. — Grundsätze für die Gewährung von kommunalen Teue-
rungszulagen, von (Stadtverordn.) J. Weber. — Zur Fürsorge für die Kriegerfamilien
in den Landgemeinden, von einem Mitgliede des Teuerungsausschusses der Rheinischen
Zentrumspartei. — Eigenheime für Kriegsbeschädigte und kinderreiche Familien, von
(Stadtverordn.) H. Hoolmans. — Sachverständige Aufsicht über Gemeindebetriebe und
Gemeindewegebau, von (Gemeindeverordn.) F. Esser. — etc.
Blätter, Volkswirtschaftliche. Jahrg. 14, 1915, No. 23/24: Ludolf Camphausen,
ein großdeutscher Wirtschaftspolitiker, von (Handelskammersynd. a. D.) E. Rägöszy. —
Unangebrachte Rundfragen an die Industrie, von Dr. W. Borgius. — Kommunen und
Kriegsgefangene, von Dr. Ed. Rolf Uderstädt. — Die Arbeitgeberverbände des Aus-
landes (Schluß: Oesterreich, Schweiz, Frankreich, Belgien, Holland, Italien), von (Reg.-
Assess.) Dr. Cl. Heiß. — Dle Mobilmachung der Vereine und Kammern (Merktafel für
vaterländische Mitarbeit). — etc.
Concordia. Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Jahrg. 23, 1916,
No. 2: Versorgung von unehelichen Kindern gefallener Kriegsteilnehmer, von (Wirkl.
Geh. Ob.-Reg.-R.) Dr. Wuermeling. — Aufgaben der Arbeitsmarktorganisation während
des Krieges und nachher, von Dr. Ernst Bernhard. — Aus dem Charlottenburger Hypo-
thekeneinigungsamt, von (Stadtsynd.) Sembritzki. — etc. No. 3: Armenpflege und
Kriegsfürsorge, von (Bürgermeister) E. v. Hollander. — Die Regelung der Lebensmittel-
versorgung, von Dr. Käthe Kalisky. — Das Milchhandelamonopol Straßburgs. — etc.
Export. Jahrg. 38, Februar 1916, No. 6—9: Der Krieg und die Vorgänge in
Ostasien. — Die wirtschaftliche Vereinigung von Mitteleuropa und die Währungsfrage,
von Dr. R. Jannasch. — Deutsch-österreichische Währungsgemeinschaft? — Der Welt-
krieg und die deutsche Sozialversicherung. — Preisbewegung verschiedener wichtiger
Rohstoffe während der Jahre 1913 bis 1915. — Beunruhigung wegen der Getreide-
versorgung in England. — Englands Außenhandel 1915. — Die englische Gewaltpolitik
gegen die skandinavischen Länder. — Die türkische Bodenreform und die Agrarkredit-
frage, von N. Honig. — ete..
Gegenwart, Die. Jahrg. 45, 1916, No. 4: Die Schule nach dem Kriege, von
Spectator. — ete. No. 5: Die Schule nach dem Kriege (II), von Spectator. — Die
Politisierung Oesterreich-Ungarns, von H. Wantoch. — No. 6: Die Weltmission des
Militarismus?, von Spectator. — Wie England seine Verbündeten bewuchert, von Georg
Horwitz. — etc.
Jahrbücher, Landwirtschaftliche. Bd. 49, 1916, Heft 1: Studien über die
Variations- und Korrelationsverhältnisse von Gewicht und Zuckergehalt bei Beta-Rüben,
insbesondere bei der Zuckerrübe. 1. Teil, von Dr. Werner Oetken. — Ueber Feld-
versuche und Ausgleichsrechnung, von R. Leidner. — Einige Erfahrungen über die
Erkennung der italienischen Herkunft von Rotklee- und Luzernesamen, von Dr. Georg
Lakon. — Bodeneinschätzung und Bodenuntersuchung, von Th. Remy. — etc.
Jahrbücher, Preußische. Bd. 163, Februar 1916, Heft 2: Ueber die im Kriege
wirksamen Kräfte, von (Oberstleutnant a. D.) Otto Graf Moltke. — Krieg und Presse,
von Hermann Kötschke. — Die Vergewaltigung der Neutralen durch die Westmächte,
von Dr. E. Daniels. — Die Kriegsgewinnsteuer; Die preußische Thronrede, von Hans
Delbrück. — etc.
Kartell-Rundschau. Jahrg. 13, 1915, Heft 10/11: Kartellrechtliche Studien.
Die Parteifähigkeit in Kartellprozessen, von (Rechtsanw.) Dr. Rud. Wassermann. —
Höchstpreise und Kartellpreise, von Dr. Heinz Potthoff. — ete.
Kultur, Soziale. Jahrg. 36, Februar 1916, Heft 2: Die Sorge um die Hebung
der Volkskraft, von Dr. Alexander Elster. — Unsere Aufgaben für Pflege der Volks-
kraft, von Prof. Dr. Thielemann. — Das neue bayerische Armenrecht (II), von (Amts-
gerichtsrat) Biß. — etc.
Monatshefte, Sozialistische. Jahrg. 22, 1916, Heft 1: Englands Militarisierung,
von Karl Leuthner. — Uebertriebene Meistbegünstigungssorgen, von Max Schippel. —
Das nationale Interesse an der Kolonialpolitik, von Dr. Ludwig Quessel. — Die deutsche
Die periodische Presse Deutschlands. 447
Sozialdemokratie vor der Entscheidung, von Wilhelm Kolb. — Die weltbürgerliche und
die weltproletarische Idee, von Paul Kampffmeyer. — Die Wehrhaftmachung unserer
Jugend, von Eduard Adler. — Ueber Geistigkeit und Kultur unserer Zeit, von Dr.
Raphael Seligmann. — etc. — Heft 2: Die Selbsttäuschung der Minderheit, von Dr.
Ludwig Quessel. — Die deutschen Gewerkschaften im Weltkrieg, von Paul Umbreit. —
Die Kriegskartoffelpolitik, die Schweinemassenschlachtung und unsere Partei, von Dr.
Arthur Schulz. — Soziale Maßnahmen der Militärbehörden, von Heinrich Stühmer,
— etc.
Monatsschrift, Politisch-Anthropologische. Jahrg. 14, Februar 1916, No. 11:
Geistige Kriegsvorbereitungen, vom Herausgeber. — Sind die Engländer unsere Vettern?,
von Dr. Friedrich Norde. — Die Ostjudenfrage (Zionismus und Grenzschluß), von Otto
Diethari. — Aus der Geschichte der Germanenforsehung in Skandinavien (etwa 1550—
1840), von Theobald Bieder. — etc.
Oekonomist, Der Deutsche. Jahrg. 34, 1916, No. 1724: Kriegspolitik und
Kriegswirtschaft. — Das unlösbare Frachtenproblem in England. — ete. — No. 1725:
Deutschlands wirtschaftliche Kraft und die Anschläge seiner Feinde. — Der Haushalt
Preußens. — Preußische Schatzanweisungen. — ete. — No. 1726: Organisation des
Devisenhandels; Anleihen und Bankausweise im Auslande; Neue Kriegssteuern. — Die
Neuregelung des Devisenhandels. — Bewegung der Warenpreise im Jahre 1915. — ecte.
— No. 1727: Die wirtschaftlichen Bedingungen für den Krieg. — Die Einführung
öffentlicher Schätzungsämter. — Verlängerung fälliger Hypotheken im Kriege. — etc.
— No. 1728: Krieg und Wirtschaft. — Unkündbare Tilgungshypothek und Pfandbrief-
ämter, von Dr. Otto Stein. — etc.
Plutus. Jahrg. 13, 1916, Heft 3/4: Steuern. — Unsere Geldsurrogate, von
Dr. jur. Felix Toerpe. — ete. — Heft 5/6: Taxämter. — Die eingekapselte Volkswirt-
schaft, von Dr. E. Jenny. — etc.
Recht und Wirtschaft. Jahrg. 5, Februar 1916, No. 2: Bevölkerungsproblem
und Junggesellensteuer, von (Wirkl. Geh. Ober-Reg.-R.) Dr. jur. G. Strutz. — Mißbrauch
der Presse und seine Bekämpfung, von (Justizrat) Dr. Felix Steinitz. — Die Kriegs-
sorgen des städtischen Grundbesitzes, von (Justizrat) Dr. Bodenheimer. — Zur Behand-
lung staatloser ehemaliger Deutscher in England, von Prof. Dr. Julius Friedrich. —
Zur Systematik der Teuerung, von G. Frhr. von Ketelhodt. — Das Kaiserliche Gouverne-
ment Lille, seine Entwicklung und jetzige Gestalt (Forts. u. Schluß), von (Amtsgerichts-
rat) Dr. Behrend. — etc.
Revue, Deutsche. Jahrg. 41, Februar 1916: Der Dank Amerikas, von John
L. Stoddard. — Aerztliches zur Erhaltung und Vermehrung der deutschen Volkskraft,
von Prof. Dr. G. Anton. — Die letzte Erneuerung des Dreibundvertrages im Jahre
1912, von (Titularbischof) Dr. Wilhelm Fraknöi. — Die Finanzen Deutschlands und
seiner Gegner in Krieg und Frieden, von Prof. Eberhard Gothein. — Zwei Staats-
dokumente zum Problem des mitteleuropäischen Wirtschaftsbündnisses, von Dr. H. v.
Langermann. — Entfernen sich Europa und Amerika voneinander?, von Prof. Dr. Galle.
— Irland, von Prof. Dr. Siegm. Günther. — etc.
Rundschau, Deutsche. Jahrg. 43, Februar 1916: Die Bedeutung einer vlämi-
schen Hochschule, von Franz Fromme. — Nordamerikas imperialistische Bestrebungen,
von Graf Vay van Vaya u. zu Luskod. — etc.
Rundschau, Koloniale. Jahrg. 1916, Januar, Heft 1: Weltwirtschaftliche Ur-
sachen des Krieges. — Das Schicksal deutscher Bauern in Rußland, von (Dozent) Adolf
Lane. — Indische Kasten, von H. Fehlinger. — ete.
Sozial-Technik. Jahrg. 15, 1916, Heft 2: Aus dem Jahresbericht für 1914
der Maschinenbau- und Kleineisenindustrie. — Berufsgenossenschaft über die Durch-
führung der Unfallverhütungsvorschriften. — ete. — Heft 3: Sozial-Technik der öster-
reichischen Tabakfabriken, von (Ober-Gewerbeinspektor) Tauss. — Ueber Arbeitsordnungen,
von Dr. P. Martell. — etc.
Verwaltung und Statistik (Monatsschrift für deutsche Beamte). Jahrg. 6, 1916,
Heft 2: Frankreichs Bahnen im Kriege, von Dr. M. Uebelhör. — Zusammentreffen von
Einkommen und Vermögen in einer Hand. — Brotgetreide und Mehlverbrauch im
Deutschen Reich. — etc.
Weltwirtschaft. Zeitschrift für Weltwirtschaft und Weltverkehr. Jahrg. 6,
Januar 1916, No. 10: Die Verbindung des norddeutschen Wasserstraßennetzes mit der
448 Die periodische Presse Deutschlands.
Donau, von (Geh. Hofrat) Prof. Dr. Georg v. Schanz. — Deutschlands Anteil am Wirt-
schaftsleben Italiens, von Dr. M. Uebelhör. — Die Wiedergeburt der Türkei als Vor-
bedingung einer weltwirtschaftlichen Bedeutung des „Berlin-Bagdad“, von (Gen.-Kon-
sul z. D.) Dr. Gottfried Galle. — Bulgariens Verkehrs-Wege, -Mittel und -Aufgaben
(Bericht aus Sofia), von Arthur Dix. — etc.
Wirtschafts-Zeitung, Deutsche. Jabrg. 12, 1916, No. 2: Bulgariens Industrie
und Industriepolitik, von Arthur Dix. — Die Sanierung des Auskunftswesens auf gesetz-
lichem Wege, von (Kgl. Rat) Max Guthmann. — Krieg und Wirschaft, von E. Fitger.
— New York der künftige Weltbankier? — Mitteilungen des Deutsch-Amerikanischen
Wirtschaftsverbandes: Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika, von (M.
d. R.) Dr. Stresemann. — ete. — No. 3: Ersparnisse von Zahlungsmitteln, von (Univ.-
Prof.) Rud. Eberstadt. — Die Sanierung des Auskunftswesens auf gesetzlichem Wege
(Schluß), von (Kgl. Rat) Max Gutbhmann. — Mitteilungen des Deutsch-Amerikanischen
Wirtschaftsverbandes: Wirtschaftliches aus den Vereinigten Staaten von Amerika. —
Der Außenhandel der Vereinigten Staaten von Amerika während des ersten Kriegsjahres.
— etc.
Zeit, Die Neue. Jahrg. 34, 1916, No. 17: Der Sächsische Landtag, von H. Fleißner.
— Bureaukratie und Politik (Schluß), von Gustav Eckstein. — Mitteleuropa (Forts.),
von K. Kautsky. — Die deutsch-französische Textilindustrie nach dem Kriege von
1870/71, von H. Krätzig. — Die Kriegskonjunktur auf dem Ledermarkt, von J. Simon.
— ete. — No. 18: Keine Selbsttäuschungen. Ein Wort zur Frage „Parteispaltung‘“,
von Ed. Bernstein. — Mitteleuropa (Schluß), von K. Kautsky. — ete. — No. 19: Krieg
und Kampf ums Dasein. Eine biologisch-soziologische Betrachtung, von C. Notter. —
Die mitteleuropäischen Staaten in ihren wirtschaftlichen Beziehungen zueinander, von
Spectator. — Nationalismus und Internationalismus, von Hans Fehlinger. — Vom Wirt-
schaftsmarkt. Zur Wirtschaftslage Frankreichs und Italiens, von Heinrich Cunow. —
etc. — No. 20: Der Donauweg. Geographische Bedenken zu politischen Illusionen, von
G. Engelbert Graf. — Was verlangen wir von der Theorie?, von Xaver Kamrowski. —
Die innere Kolonisation, von Karl Marchionini. — etc.
Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis. Jahrg. 8, Februar
1916, Heft 11: Preisprüfungsstellen, Lebensmittelpreise und Gestehungskosten, von
(Priv.-Doz.) Dr. Georg Obst. — Marktpreis, eine zeitgemäße Untersuchung, von Prof.
Eugen Schigut. — Das Berggerechtssame-Konto, von (Diplom-Handelslehrer) W. Branden-
burger. — ete. — Beiblatt: Krieg und Zahlungsstundung. Die Regelung des Zah-
lungsverkehrs in den kriegführerden Ländern (II), von (Red.) Otto Jöhlinger. — Der
Krieg und die Sprache des Kaufmanns (II), von (Dir.) Th. Blum. — Die rumänische
Ausfuhrorganisation, von Dr. Fritz Elsass. —
Zeitschrift für Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik. 1916, Heft 1: Die
Kriegsmaßnahmen der Städte auf dem Gebiete der Lebensmittelversorgung. I. Von
(Oberbürgermstr.) Koch. II. Von (Oberbürgernstr. Geh.-Reg.-R.) Dr. Wilms. — Die
Kriegsbeschädigtenfürsorge. I. Von (Landesrat) Dr. Horion. II. Von (Bürgermstr.) Dr.
Luppe. — Neubearbeitung von Fuistings großem Kommentar zum Einkommensteuer-
gesetz (Autorreferat), von (Wirkl. Geh. Ober-Reg.-R.) Dr. G. Strutz. — Direkte Reichs-
steuern oder direkte Reichskriegssteuern?, von (Reg.-R.) Huck. — etc.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. 7, 1916, Heft 2: Welche Umstände
verteuern das städtische Bauland (II), von Prof. Dr. Wilhelm Gemünd. — Kriegs-
sozialismus und Friedenssozialismus (Schluß), von Andreas Voigt. — Innere Einflüsse
der Bevölkerungswanderungen auf die Geburtenzahl, von R. Manschke. — Krieg und
Oedlandkultur, von Dr. G. Kreuzkam. — Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen
in Nordamerika, von Dr. P. Martell. — Die Steigerung der Produktionskosten der
deutschen Landwirtschaft während des Krieges. Nach A. Schulz. — Warum bleibt die
Entwicklung des Scheckverkehrs in Deutschland so zurück? — etc.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena.
H. Köppe, Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 449
V.
Die Kriegsanleihen Oesterreich- Ungarns’.
Von
Prof. Dr. H. Köppe in Marburg a. d. Lahn.
Eine Darstellung der Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns be-
gegnet Schwierigkeiten, welche zur Folge haben müssen, daß sie
nicht ganz so erschöpfend ausfallen kann, wie die Darstellung der
deutschen Kriegsanleihen. Das komplizierte gegenseitige staatsrecht-
liche Verhältnis Oesterreich-Ungarns, die Verschiedenheiten in der
Finanzwirtschaft, in der Finanzlage und in Art und Umfang des
Schuldenstandes beider Länder, ferner die sehr verschiedene Struktur
und Leistungsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften bedingten ein zwar
zeitlich zusammenfallendes, aber trotz mannigfacher grundsätzlicher
Uebereinstimmung doch sachlich durchaus selbständiges Vorgehen
der beiden Regierungen bei der Beschreitung des Anleiheweges. Da-
bei ist, namentlich hinsichtlich der Aufnahme schwebender Bank-
schulden, der Oeffentlichkeit keineswegs in demselben reichen Maße
authentische Auskunft über die näheren Umstände, den Verlauf und
die Ergebnisse der Anleiheoperationen zuteil geworden wie in Deutsch-
land. Für diese Zurückhaltung mögen, außer traditionellen Anschau-
ungen, wichtige sachliche Gründe obgewaltet haben. Eine zusammen-
fassende Wiedergabe dieses wichtigsten Teils der Kriegsfinanzge-
schichte der beiden Reichshälften wird dadurch aber natürlich er-
schwert. Aber auch da, wo die amtlichen Stellen mitteilsam gewesen
sind, ist die Mitteilsamkeit nicht immer eine ausgiebige und nament-
lich nicht immer eine hinreichend klarstellende. So ist die amtliche
Statistik der Kriegsanleiheergebnisse weniger eingehend als die gleich-
artige deutsche Statistik. Eine umfassende amtliche Denkschrift der
beiden Regierungen über die Kriegsanleihen ist zwar angekündigt,
aber noch nicht erschienen. Endlich ist auch durch die Einstellung
der Veröffentlichung der Notenbankausweise bei Kriegsbeginn eine
Lichtquelle, die in Deutschland erfreulicherweise gleich stark wie im
Frieden fließt, dort abgestellt worden. Auf diese Erschwerungen
muß zum Verständnis der durch sie im Vergleiche mit der Dar-
1) Vgl. den Aufsatz „Die deutschen Kriegsanleihen‘“ von demselben Verfasser
im Märzheft dieser „Jahrbücher“, oben S. 321 fg.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 29
450 H. Köppe,
stellung der deutschen Kriegsanleihen bedingten weniger ausgiebigen
Erfassung der Einzelheiten vorweg verwiesen werden !).
I. Die Vorgeschichte.
Für die wirtschaftlichen und finanziellen Verhält-
nisse Oesterreich-Ungarns vor und bei Ausbruch des Welt-
krieges war der Umstand von maßgebendem Einfluß, daß die Monarchie
durch die diesem voraufgegangenen kriegerischen Ereignisse auf der
Balkanhalbinsel bereits stark in Mitleidenschaft gezogen war. Die
letzten Jahre hatten ihr namentlich große finanzielle Belastungen
gebracht. Während des Balkankrieges von 1912/13 hatte sie sich
zu einer höchst kostspieligen, teilweisen Mobilisierung ihrer Streit-
macht gezwungen gesehen, da sein Verlauf jederzeit ihr aktives Ein-
greifen oder doch eine Abwehr feindlicher Uebergriffe nötig machen
1) Die Arbeit ward am 20. Februar 1916 abgeschlossen. Aus der Literatur
seien genannt: A. Zeitschriften. Aus dem „Bankarchiv‘ die Aufsätze: „Oester-
reich-Ungarns Wirtschaft im gegenwärtigen Weltkriege“. 1. „Allgemeine Lage der
Finanzen und Volkswirtschaft in Oesterreich-Ungarn“ von Hofrat Prof. Dr. Eugen
von Philippovich, Wien; 2. „Die wirtschaftlichen und finanziellen staatlichen Krieg-
maßregeln in Oesterreich“ von Wirkl. Geh. Rat Prof. Dr. Franz Klein, Justiz-
minister a. D., Wien, Jahrg. 1914, No. 2; „Ungarns Finanzen und Geldwirtschaft im
Kriege“ vom Reichstagsabgeordneten Rechtsanwalt Dr. Elemér Hantos, Direktor des
Reichsverbandes ungarischer Finanzinstitute, Budapest, Jahrg. 1914, No. 9; „Einzelnach-
weisung der staatsfinanziellen Maßouahmen im ersten Kriegsjahr, August 1914—Juli 1915"
und „Die Staatsschulden des ersten Kriegsjahres‘‘ von Dr. Stephan Jacobi, Jahrg. 15,
No. 1; „Die dritte Kriegsanleihe in Oesterreich-Ungarn‘‘ von Prof. Dr. Julius Landes-
berger, Präsidenten der Anglo-Oesterreichischen Bank in Wien, Jahrg. 1915, No. 6:
„Der Kriegszustand bei den Zentralnotenbanken‘‘ von Geh. Oberfinanzrat H. Hartung,
Berlin-Dahlem, Jahrg. 1914, No. 9.
Ferner: „Der Oesterreichische Volkswirt“, herausgegeben von Walther
Federn und Dr. Gustav Stolper, Wien, 7. und 8. Jahrgang (in fast allen seit
Kriegsbeginn erschienenen, übrigens durch die Militärzensur inhaltlich zum Teil stark
gekürzten Nummern dieser vortrefflichen, für die fortlaufende genauere Kenntnis der
volkswirtschaftlichen und finanziellen Zustände und Vorgänge in Oesterreich-Ungarn
sehr zu empfehlenden Wochenzeitschrift). „Jahrbuch 1915 der Gesellschaft
österreichischer Volkswirte‘“ mit den Aufsätzen „Krieg und Währung“ von
Walther Federn und „Ungarns Finanzen und Geldwirtschaft im Kriege“ von Elemer
Hantos. „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“, Bd. 40, 1915.
mit folgenden Aufsätzen: „Oesterreich-Ungarns Geld- und Kreditwesen im Kriege“ von
Walther Federn und „Die wirtschaftlichen Kriegsmaßnahmen in Oesterreich‘ von
Emil Perels. „Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und
Verwaltung, Organ der Gesellschaft österreichischer Volkswirte.
Wien, Bd. 24, 1915. S. 1—113, „Die kriegswirtschaftlichen Maßnahmen und Vorgänge
in Oesterreich“ von Dr. Gustav Stolper.
B. Bücher: 1. Elemér Hantos, „Volkswirtschaft und Finanzen im Welt-
kriege“, Göttingen, 1916, 92 S. 2. Prof. Dr. J. Jastrow, „Geld und Kredit im
Kriege“, Jena, 1915, 97 S. (Ergänzungsheft zum „Weltwirtschaftlichen Archiv“, heraus-
gegeben von Prof. Dr. Harms in Kiel). 3. Franz Meisel und Arthur Spiethofft,
„Oesterreichs Finanzen und der Krieg“, Duncker und Humblot, 1915, 36 S. (bebandelt
den Stand der Staatsfinanzen bei Kriegsbeginn). 4. Julius Landmann, „Die Kriegs-
finanzen der Großmächte“, Basel, 1915, 38 S. (nach einem Aulavortrag).
C. Reiches Material an Mitteilungen und Aufsätzen entbalten namentlich die
großen Tageszeitungen, besonders die „Neue Freie Presse‘ und die „Frank-
furter Zeitung“ von Kriegsbeginn an.
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 451
konnte. Auch wurde Oesterreich-Ungarn noch weit früher als das
deutsche Reich von der Gefahr des gegenwärtigen Krieges bedroht,
da die Mordtat von Sarajevo, am 28. Juni 1914, zunächst und un-
mittelbar ein Dolchstoß gegen die habsburgische Monarchie war. Der
Eintritt der unmittelbar zum Krieg führenden politischen Krisis fiel
daher in eine volkswirtschaftlich schwierige Lage. Zu deren besseren
Verständnis mögen die folgenden näheren Ausführungen dienen.
Während in Deutschland der große und mit geringen Unter-
brechungen andauernde wirtschaftliche Aufschwung um die Mitte
der neunziger Jahre begann, entfaltete sich das Wirtschaftsleben
Oesterreich-Ungarns erst zehn Jahre später, dann aber in sehr unge-
stümer Weise. Vor allem die Industrie und in engstem Zusammen-
hang mit ihr das Bankwesen dehnten sich gewaltig aus. Die groß-
industrielle Gütererzeugung nahm außerordentlich zu und wurde ge-
fördert durch eine Kreditgewährung seitens der ihr Kapital wie ihre
Niederlassungen fortgesetzt stark vermehrenden Banken, der von
sachkundigen Seiten ein bedenklicher Charakter insofern nachgesagt
wird, als flüssige Bankmittel und namentlich kurzfristige Depositen-
gelder vielfach in industrielles Anlagekapital umgewandelt worden
seien. Diese Festlegung großer Teile der gewährten Bankkredite
bedeutete eine gleich große, für kritische Zeiten gefährliche Illiquidität
der Banken. Der beginnende Uebergang vom überwiegenden Agrar-
zu einem sich immer mehr industrialisierenden Staate bedingte einen
wachsenden Bedarf an ausländischen Rohstoffen und Produktions-
mitteln, der wiederum nachteilige Verschiebungen in den inter-
nationalen Handelsbeziehungen zur Folge hatte, so daß die Handels-
bilanz seit 1907 passiv wurde und die Verschuldung an das Ausland
rasch und stark zunahm. Die durch diese überrasche Entwicklung
hervorgerufene Erstrebung rein spekulativer Zwecke (Börsen- wie
Bodenspekulation) wurde von den Banken vielfach durch Kreditge-
währung gefördert. Anderseits wurden Banken und Bankfilialen in
großem Umfange gegründet und erweitert zur Förderung nicht von
wirtschaftlichen, sondern von rein nationalpolitischen Bestrebungen.
Erfreulicher war dagegen die starke Zunahme der Sparkasseneinlagen,
die, ebenso wie die sichtbare Steigerung des Inlandkonsums, einen
wachsenden Anteil der breiten Mittelstandsschichten an der gesamt-
wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung bekundete.
War so die Kreditorganisation umfassend und unter weiter Ver-
zweigung neugestaltet worden, so hatte die ganze Kreditwirtschaft
doch einen ungesunden Zug der Ueberspannung der vorhandenen
wirklichen Kräfte erhalten. Ein Rückschlag konnte nicht ausbleiben.
Er setzte ein mit der Erschütterung, die von den politischen Ereig-
nissen auf das gesamte Wirtschaftsleben und natürlich besonders
auf dessen empfindlichste Seiten ausstrahltee Als der Balkankrieg
ausbrach, waren der Notenumlauf und der Wechselbestand der Oester-
reichisch-Ungarischen Bank bereits so bedenklich angeschwollen, daß
diese durch erhebliche Erhöhung der Bankrate und strenge Prüfung
der zur Diskontierung eingereichten Wechsel dagegen ankämpfen
29*
452 H. Köppe,
mußte. Die Jahre 1912 und 1913 wurden daher zu Jahren wachsender
Depression auf allen Gebieten der wirtschaftlichen Betätigung wie
auch des Verbrauchs. Der Ueberspannung folgte die Entspannung,
zum Teil unter krisenhaften Erscheinungen. Rückgang der Pro-
duktion, Arbeitslosigkeit, große Teuerung, Herabsetzung des Zinsfußes
der Notenbanken von 6 bis auf 4 v. H., verlustreiche Realisationen der
Börsenspekulation mit starken Kursfällen, Kreditentziehungen und
-einschränkungen und zahlreiche Konkurse waren die sichtbarsten
Symptome.
Dieser Niedergang trug aber, wie immer in solchen Fällen, zu-
gleich die Keime der Besserung in sich. Geld war reichlich vor-
handen und zu billigen Zinssätzen zu haben. Hierzu trug die Ge-
wohnheit weiter Kreise, namentlich der ländlichen Bevölkerung, ihr
bares Papier- und Silbergeld (Gold ist in Oesterreich nur sehr
weniges im Verkehr) zu thesaurieren, bedeutend bei. So brachte
nach zahlreichen Verlusten und schmerzlichen Abschreibungen das
Jahr 1914 eine merkbare Erholung, die in eine langsame und mäßige
Hebung der wirtschaftlichen Tätigkeit überging. Die Inanspruch-
nahme von Kredit und die gewerbliche Produktion wurden wieder
rege. In diesem Entwicklungsstadium wurde die Volkswirtschaft
nun vom Kriegsausbruch jäh und hart betroffen. Ist es an sich
schwer zu entscheiden, ob ein solches Ereignis unglücklicher in eine
Periode der Hochkonjunktur oder in eine solche wirtschaftlichen
Tiefstandes fällt, so vereinfacht sich im vorliegenden Falle das Urteil.
Die gebesserte Lage milderte die Wucht des furchtbaren Stoßes
einigermaßen, und der Ueberfluß an Geldmitteln wie der niedrige
Zinsfuß konnten für die Aufbringung der finanziellen Kriegs-
führungsmittel sogar günstige Aussichten eröffnen. Es sollte aber
aus verschiedenen Gründen erst spät — nach 3!/, Monaten Krieg-
führung — zur ersten Kriegsanleihe kommen. Bis dahin mußte die
Oesterreichisch- Ungarische Bank herhalten für die Deckung der
Kriegskosten. Es ist daher notwendig, auf ihre Verhältnisse hier
zunächst etwas näher einzugehen.
Die Oesterreichisch-Ungarische Bank ist hinsichtlich
ihrer Notenausgabe und Notendeckung nach demselben Prinzip der
indirekten Kontingentierung organisiert wie die deutsche Reichsbank,
muß aber ihre Noten mindestens zu 40 v. H. bar und zu 60 v.H.
bankmäßig gedeckt halten. In ihren Barvorrat kann sie jedoch
60 Mill. K. Devisen einrechnen. Als bankmäßige Deckung gelten,
anders als bei der Reichsbank, außer statutenmäßig diskontierten
Wechseln, Effekten und Warrants, auch Lombardforderungen aus
der Beleihung von Edelmetall, mündelsicheren einheimischen Wert-
papieren und Wechseln. Unter diesen Voraussetzungen kann sie
Noten zu 50 K. in unbegrenzter Höhe, solche zu 20 und 10 K. nur
bis zu der von den beiden Regierungen bestimmten Höchstgrenze
ausgeben. Steuerpflichtig wird sie, wenn ihr Notenumlauf den Bar-
vorrat um mehr als 600 Mill. K. übersteigt, mit 5 v. H. des Ueber-
schusses. Ihre Noten haben Zwangskurs. Die Festsetzung des Zeit-
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 453
punktes, von dem an sie in Gold eingelöst werden, ist näherer
gesetzlicher Bestimmung vorbehalten worden. Bis dahin muß die
Bank die Valuta schützen, also den Kurs der Krone und daher die
Parität der ausländischen Wechselkurse aufrechterhalten, und zwar
durch ihre Diskontpolitik einerseits und ihre Devisenpolitik ander-
seits. Sie nimmt also auf den Zu- und Abfluß von Gold Einfluß
teils durch entsprechende Normierung ihres Eskompte- (Diskont-)
Satzes teils durch Ankauf von Devisen zu niedrigem Kurse und Ab-
gabe solcher bei gestiegenem Kurse!). Auch ist sie zum Ankauf von
Goldbarren zu einem gesetzlich bestimmten Satze verpflichtet.
Bei Beginn der Kriegsgefahr stand die Bank begreiflicherweise
noch unter der Einwirkung der kaum überwundenen kritischen Wirt-
schaftsjahre. Ihren letzten Ausweis hat sie am 23. Juli 1914 ver-
öffentlicht. Ihr Notenumlauf betrug danach 2129,7 Mill. K., ihr
Goldvorrat 1237,8 Mill. oder 58 v. H. des ersteren, wozu für die
Bardeckung der Noten noch 60 Mill. K. Devisen traten, ihr Silber-
vorrat 291,3 Mill. K., ihr Wechselbestand 768, ihr Lombardbestand
168, die nicht in den Metallschatz eingerechneten Devisen und die
Auslandguthaben 115 Mill. K. Seit Beginn des Jahres war sie zu-
meist notensteuerpflichtig gewesen und hatte zur Aufrechterhaltung
der Valuta erhebliche Goldsendungen nach dem Auslande vornehmen
müssen, um auf dieser Grundlage ihren durch die andauernd gefor-
derte Abgabe von Devisen geschwächten Devisenbestand immer
wieder zu ergänzen. Die Bank ist nämlich die einzige Stelle, die
einen größeren Devisenvorrat ständig hält, und muß daher allen
legitimen wie spekulativen Bedürfnissen nach solchen Rechnung
tragen. Trotzdem stiegen die wichtigsten Devisen über Pari und
setzten, zum Teil als Folge spekulativer Käufe, nachdem sie am
letzten Ausweistage, dem 23. Juli, bereits erheblich über Pari gestanden
hatten, auch noch nach dem am 25. Juli, dem Tage des Abbruches
der diplomatischen Beziehungen zu Serbien, erfolgten Schlusse der
Wiener Börse diese Aufwärtsbewegung fort. Anderseits flossen
die ausgeliehenen Gelder weit spärlicher als sonst zurück, und wurden
die Auslandguthaben ihr fortgesetzt gekündigt und entzogen. Unter
Erhöhung ihres Diskonts am 27. Juli auf 5 v. H. befriedigte sie,
obwohl ihr Bestand an Gold und Devisen sich schon von Mitte
Juni bis zum 23. Juli um 70 Mill. K. vermindert hatte, die fort-
gesetzt großen Ansprüche auf Abgabe von Devisen noch immer zu
steigenden Kursen und unter fortgesetzten Goldsendungen ins Aus-
land bis zum 31. Juli, um sie dann, an diesem Tage der allgemeinen
Mobilmachung, ebenso wie die Abgabe von Gold, den Ankauf von
Devisen und die freilich durch die Ereignisse, insbesondere die Sper-
rung der Grenzen, untunlich gewordenen Goldversendungen gänzlich
einzustellen. Am 1. August, dem Tage, an dem ein zeitlich und
1) Das Gesetz vom 8. August 1911 hat ihr die Verpflichtung auferlegt: „mit allen
ihr zu Gebote stehenden Mitteln dafür zu sorgen, daß der im Kurse der ausländischen
Wechsel zum Ausdruck gelangende Wert ihrer Noten entsprechend der Parität des ge-
setzlichen Münzfußes der Kronenwährung dauernd gesichert bleibt.“
454 H. Köppe,
sachlich beschränktes, aber später beständig verlängertes Moratorium
erlassen wurde, von welchem aber die Kreditinstitute glücklicher-
weise nur einen beschränkten Gebrauch machten, erhöhte sie den
Diskont auf 6 und am 3. August sogar auf 8 v. H., ermäßigte ihn
am 21. August wieder auf 6 und am 28. Oktober auf 54, v. H. Die
Preise der Devisen aber stiegen nach der Schließung der Börsen im
freien Verkehr auch weiterhin sehr erheblich. Die unbedingte Sper-
rung ihrer Abgabe an den Verkehr war aber nicht durchführbar und
auch wohl nicht beabsichtigt. Mit der Zeit gab die Bank vielmehr im
Einvernehmen mit der Heeresverwaltung Devisen ab zur Bezahlung
von Lieferungen aus dem Auslande, die für Heereszwecke erfolgten.
Die Zahlungsbilanz Oesterreich-Ungarns ist durch den Wegfall fast
der gesamten Ausfuhr bei verhältnismäßig noch bedeutender Einfuhr
infolge des Krieges natürlich eine passive, was im schlechten Stande
der auswärtigen Wechselkurse entsprechenden Ausdruck findet. Der
schlechte Stand der österreichisch -ungarischen Valuta im Auslande
bedeutet aber ebensowenig wie der niedrige Stand der deutschen
Mark im Auslande eine Verschlechterung der Währung. Sein
natürlicher Grund ist vielmehr der angegebene und nicht eine In-
flation, d. h. nicht eine innerliche Entwertung der papiernen Zahlungs-
mittel durch übermäßige Vermehrung ihrer Ausgabe.
Hand in Hand mit der Abforderung von Devisen ging seit dem
25. Juli eine gewaltige Kreditbeanspruchung der Noten-
bank mittels Einreichung von Wechseln zur Diskontierung. In
erster Linie waren daran die Banken und Sparkassen beteiligt. Mit
dem 31. Juli schränkte sie auch diese Kreditgewährung auf das äußerste
ein. Wie berichtet wird!), war diese Haltung, die der natürlichen
Aufgabe einer Zentralnotenbank in so überaus kritischer Zeit zu-
widerläuft, durch den fatalen Umstand verschuldet, daß sie nicht
genug Banknoten vorrätig gedruckt hatte, um die private Nachfrage
und den Staatsbedarf gleichzeitig befriedigen zu können?). Nach
bald gelungener Ueberwindung dieser technischen Schwierigkeiten
erwies die Bank, wenn auch nur allmählich, wieder ihre Willfährig-
keit, aber inzwischen war — am 5. August — die Suspension der
Bankakte erfolgt, obwohl die tatsächliche Notenausgabe damals
zweifellos noch lange nicht die satzungsmäßige Grenze erreicht
hatte).
1) Vgl. Federn im „Archiv für Sozialwissenschaft‘“ a. a. O. 8. 337.
2) Nach Stolper (in der Oesterr. Zeitschr. f. Volksw.) soll in diesem scheinbar so
geringen technischen Mangel der wichtigste Grund für die Erlassung des Moratoriums
und zugleich dessen volle Rechtfertigung gelegen haben. Dagegen ist umgekehrt dem
Moratorium der Vorwurf gemacht worden, daß es künstlich eine Geldnot hervorgerufen
habe. Diesen letzteren Standpunkt hat die Verwaltung der Oesterreich-Ungarischen
Bank insofern geteilt, als sie Beschwerden über den Mangel an kleinen Noten und
Münzen mit dem Hinweise abfertigte, das Moratorium trage daran die Hauptschuld, da
es das Publikum geradezu nötige, große Summen zu thesaurieren, die sonst in die
Banken und Sparkassen abgeflossen wären (vgl. Hantos im „Bankarchiv‘ a. a. O. S. 324).
3) Der strikte Nachweis hierfür ist freilich wegen der Einstellung der Ausweis-
veröffentlichungen nicht zu führen, allein am 23. Juli hätte sie nach dem metallischen
Deckungsverhältnis nahezu 4 Milliarden K. in Noten ausgeben dürfen.
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 455
Die Suspension erfolgte in der Weise, daß durch eine Kaiser-
liche Verordnung vom 4. August 1914 die österreichische Regierung
ermächtigt wurde, im Einvernehmen mit der ungarischen Regierung
außerordentliche Maßnahmen hinsichtlich der Geschäftsführung der
Oesterreichisch-Ungarischen Bank zu treffen und zu diesem Zwecke
auch von den Bankstatuten abweichende Bestimmungen in Wirksamkeit
zu setzen. Der ungarischen Regierung war eine gleiche Ermächtigung
bereits durch ein dem Kriegsfall Rechnung tragendes Gesetz im
Jahre 1912 erteilt worden. Diese Maßnahmen bestanden hauptsächlich
in der Aufhebung der Bardeckungspflicht, jedoch unter Aufrecht-
erhaltung der bankmäßigen Deckung, wodurch die Grenze der Noten-
ausgabe sehr bedeutend erweitert wurde. Ferner in der Aufhebung
der Pflicht zur Veröffentlichung von Bankausweisen (im Gegensatz
zur deutschen Reichsbank), weshalb der Ausweis vom 23. Juli 1914
ihr letzter geblieben und authentisch nichts Näheres über ihren Stand
bekannt geworden ist. Sodann wurden Banknoten zu 2 K. aus-
gegeben, um den großen Bedarf an kleinen Zahlungsmitteln neben
der gleichzeitig erfolgenden Vermehrung der Silbermünzen zu be-
friedigen. Dagegen ward von der gleichfalls erwogenen Ausgabe
von Noten zu 1 K. Abstand genommen. Daneben wurden auch die
Noten zu 10 und 20 K. erheblich vermehrt. Auch wurde der Kreis
der lombardierungsfähigen Wertpapiere, namentlich mit Rücksicht
auf die inzwischen erfolgte Schließung der Börsen, sehr erweitert.
Erst recht spät, ja, nach allgemeinem Urteil für die Erreichung
ihres Zweckes viel zu spät, nämlich in Oesterreich am 20. September
und in Ungarn Ende November 1914, wurde dagegen nach deutschem
Vorbilde zur Gründung von Kriegsdarlehnskassen für beide
Reichshälften geschritten. Sie wurden der Oesterreichisch-Ungarischen
Bank angegliedert und deren Verwaltung sowie in jeder Reichshälfte
der Aufsicht des zuständigen Finanzministers unterstellt. Die Kassen
werden in jedem der beiden Länder für Rechnung des Staates ge-
führt. Sie sind ermächtigt, in Oesterreich bis zu 500 Mill., in Un-
garn bis zu 290 Mill. K. Darlehnskassenscheine für Rechnung des
Staates und nach Bedarf zu Kreditzwecken auszugeben, die von allen
staatlichen Kassen und Aemtern sowie von der Oesterreichisch-Unga-
rischen Bank in Zahlung genommen werden. Ihr rechtlicher Charakter
als Zahlungsmittel (kein Zwangskurs gegen Private) ist also ganz
wie in Deutschland gestaltet. Während sie aber bei uns als „Bar-
deckung“* der Reichsbanknoten im Sinne des Bankgesetzes, gleich den
Reichskassenscheinen gelten, ist die Oesterreichisch-Ungarische Bank
nur berechtigt, die in ihrem Besitz befindlichen Darlehnskassen-
scheine vom Gesamtbetrage ihrer umlaufenden Noten in Abzug zu
bringen, so daß die Vorschriften über die metallische und die bank-
mäßige Deckung und über die Notensteuer nur auf den Restbetrag
der Banknoten Anwendung finden. Die Deckung der Noten durch
Darlehnskassenscheine steht also insofern zwar der metallischen
Deckung gleich, doch gibt der Bestand der Bank an solchen Scheinen
ihr nicht, wie bei uns, das Recht zur Ausgabe des dreifachen
456 H. Köppe,
Betrages in Noten. Darlehnszinsfuß der Kassen ist der Lombard-
zinsfuß der Notenbank, der für gewisse Arten von Wertpapieren
(besonders Staatsrente, staatliche Salinen- und ungarische Tresor-
scheine und Pfandbriefe der Oesterreichisch-Ungarischen Bank, nicht
aber auch für die Obligationen verstaatlichter Eisenbahnen) immer
um !/, v. H. niedriger ist. Der Mindestbetrag der Darlehen ist
100 K. Die Darlehnskassen dienen in Oesterreich-Ungarn haupt-
sächlich dem Kreditbedürfnis der Großindustrie und ganz besonders
der Zuckerindustrie, während das Mittel- und das Kleingewerbe
Wechselkredit durch die Kriegskreditbanken erhalten !). Daher sind
die Darlehnskassenscheine, anders als in Deutschland, auch nur über
große Werteinheiten ausgestellt, nämlich über 250, 2000 und 10000 K.
Eine andere Kaiserliche Verordnung, gleichfalls vom 4. August
1914, ermächtigte die Regierung, „die Geldmittel, welche zur Be-
streitung der Auslagen für außerordentliche militärische Vorkehrungen
aus Anlaß der kriegerischen Verwicklungen erforderlich sind, ohne
dauernde Belastung des Staatsschatzes durch Kredit-
operationen zu beschaffen“. Diese Einschränkung war von grund-
legender Bedeutung. Sie entsprach der bisherigen Stellung der Re-
gierung und des Parlaments zur Frage der Aufbringung von Geld-
mitteln im Wege des Staatskredits, war aber auch durch verfassungs-
politische Erwägungen begründet. Was zunächst die letzteren be-
trifft, so hätte eine mit dauernder Belastung des Staatsschatzes
verbundene Kreditaufnahme nach der Verfassung die Zustimmung
des Reichsrats notwendig gemacht, der mithin (wie in Deutschland
der Reichstag), da er bei Kriegsausbruch geschlossen war, sofort ein-
zuberufen und um Bewilligung eines Kriegskredites von bestimmter
Höhe anzugehen gewesen wäre. Dazu konnte sich die Regierung
aber aus Gründen, die zweifellos in den Erfahrungen der Vergangen-
heit lagen, nicht entschließen. Die Regierung kann nun zwar auf
Grund des im modernen Verfassungsleben Oesterreichs berühmt ge-
wordenen $ 14 des Staatsgrundgesetzes über die Reichsvertretung,
der herhalten mußte, so oft die gesetzgeberische Maschinerie infolge
von nationalpolitischer Obstruktion versagte, Verordnungen, auch
finanziellen Charakters, mit provisorischer Gesetzeskraft erlassen,
doch dürfen der Staat und der Staatsschatz dadurch nicht dauernd
verpflichtet werden. Die Staatsschuldenkontrollkommission des Reichs-
rats, deren Funktion auch während der Zeit der Nichttagung des
Parlamentes fortdauert, hat stets an dem Standpunkt festgehalten,
daß auf Grund einer Kaiserlichen Verordnung höchstens 15-jährige
Schulden, dauernde Anleihen (Staatsrenten) dagegen nur nach er-
folgter Bewilligung der beiden Häuser des Reichsrats aufgenommen
werden dürfen. Ohne die Gegenzeichnung dieser Kommission dürfen
Schuldverschreibungen einer dauernden Anleihe nicht ausgefertigt
werden, und die Kommission würde diese ihre Mitwirkung ohne
voraufgegangene parlamentarische Bewilligung keinesfalls erteilt haben.
1) Vgl. Perels a. a. O. S. 361.
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 457
Es sei hier gleich bemerkt, daß der Kommission über jede ohne ihre
Mitwirkung im Kreditwege erfolgte Aufbringung von Staatsmitteln
von der Regierung eingehende Kenntnis gegeben werden muß, schon
damit die Kommission dadurch in den Stand gesetzt wird, ihrer
verfassungsmäßigen Pflicht, alle halbe Jahre einen vollständigen Aus-
weis über die Staatsschulden zu veröffentlichen, gehörig zu genügen.
Sie hat denn auch ihren ersten Bericht über den Stand der Staats-
schuld am 31. Dezember 1914 erstattet, der aber erst sehr viel später der
Oeffentlichkeit zugänglich geworden ist. Erst hierdurch ist ein klares
Licht über die staatlichen Kreditoperationen in den ersten fünf Kriegs-
monaten verbreitet worden!) Von dem Notverordnungsrecht des
$ 14 hat daher die österreichische Regierung zwar während des gegen-
wärtigen Krieges fortgesetzt Gebrauch gemacht, insbesondere zur
Durchführung ihrer kriegsfinanziellen Maßnahmen, aber sie war dabei
an die genannte Grenze gebunden.
Es sprachen jedoch auch rein sachliche Gründe gegen die Be-
schreitung dieses Weges. Sie waren schon seit mehreren Jahren
maßgebend gewesen für die Form der Geldbeschaffung. Die „Staats-
rente“ war durch den fortgesetzten Kursrückgang der dauernden,
d. h. nicht tilgungspflichtigen Staatsanleihen ein unbeliebter Typ
geworden. Jede erhebliche Vermehrung der letzteren mußte ihren
Kursstand noch weiter verschlechtern und dadurch den Staatskredit
noch stärker beeinträchtigen. Die Stellung der Tilgung ganz in das
Ungewisse war dazu angetan, sowohl das Wachstum der Staatsschuld
als die Belastung des ordentlichen Etats durch deren Zinsendienst
ungünstig zu beeinflussen. Besonders schwer mußten diese Bedenken
bei der Aufnahme unproduktiver Staatsschulden in das Gewicht
fallen. Daher bevorzugte man schon in den letzten Jahren vor dem
Kriege den Typus der verzinslichen Schatzanweisungen mit serien-
weiser Tilgung, nur mit längerer als der sonst üblichen kurzen
Lauffrist, nach dem Muster der im Februar 1914 ausgegebenen, in
15 Jahren im Wege serienweiser Auslosung rückzahlbaren 600 Mill.
M. 4-proz. preußischer Schatzanweisungen. Durch ihre zeitlich nahe-
gesetzte Einlösung war dem Kursverluste eine enge Grenze gezogen,
und der Tilgungszwang mußte einen wohltätigen Einfluß sowohl auf
die Höhe der Gesamtstaatsschuld wie auf die Finanzgebarung im
Etat ausüben. Da nun die Notenbank nicht dauernd mit der Auf-
bringung der Kriegsführungsmittel belastet werden konnte, so schien
es angemessen, die erste Kriegsanleihe in der Form der Ausgabe
solcher Schatzanweisungen aufzunehmen, jedoch mit dem Rechte der
Regierung, diese schon früher, nach voraufgegangener 3-monatiger Kün-
digung, ganz oder teilweise zurückzuzahlen. In dieser Form hatte man
bereits im Jahre 1912 auf Grund eines Gesetzes vom 25. Dezember
1911 steuerfreie 4-proz. Staatsschatzscheine mit sechs vom 1. September
1912 bis zum 1. März 1915 fällig werdenden Halbjahrscoupons ausgege-
1) Vgl. Federn, „Oesterreichs Geldbeschaffung im Kriege“, im „Oesterreichischen
Volkswirt“, Jahrg. 8, Heft 9, vom 27. November 1915.
458 H. Köppe,
ben, die am 1. März 1915 rückzahlbar waren, jedoch auch schon früher,
nämlich nach dreimonatiger, zum 1. März oder 1. September erfol-
gender Kündigung zurückgezahlt werden durften. Man entschied
sich jedoch für eine kürzere Lauffrist als die in den letzten Jahren
bevorzugte, um den in der Friedenszeit bewährten Typ der lang-
fristigen Schatzanweisungen für die Zeit nach dem Kriege aufzu-
sparen , in der man ihn dann wieder mit einem solchen Zinsfuße
und solchen Bedingungen, wie sie den Verhältnissen der Friedens-
zeit entsprechen, ausstatten zu können hoffte. Da für Schatzanwei-
sungen, gleichviel mit welcher Lauffrist, der Vorbehalt früherer
Rückzahlung im allgemeinen nicht üblich ist, so kann man in dieser
Anleihe einen besonderen Typus erblicken, der als modifizierte Schatz-
anweisungsanleihe bezeichnet werden könnte.
Erst in der zweiten Novemberhälfte schien jedoch der Markt
zur Aufnahme einer solchen Anleihe fähig und auch die Kriegslage
genug geklärt. Bis dahin mußte die Notenbank herhalten. Sie
gab die Kriegführungsmittel anfänglich in der Weise, daß das öster-
reichische Finanzministerium mit dem seit mehreren Jahren unter
Führung der k. k. Postsparkasse bestehenden Konsortium öster-
reichischer Banken zur Durchführung staatlicher Kreditoperationen
ein Abkommen schloß, wonach dieses Staatsschatzscheine in der je-
weils erforderlichen Höhe übernahm, die von der Oesterreichisch-
Ungarischen Bank im Lombard beliehen wurden. Ein gleichartiges
Uebereinkommen schloß die ungarische Regierung mit einem ungari-
schen Bankenkonsortium!). Der Grund, warum der Umweg über diese
Banken genommen wurde, statt direkt bei der Notenbank Kredit zu
nehmen, liegt — abgesehen von dem wohl mitbestimmenden Mo-
mente der traditionellen Heranziehung dieser Konsortien zu den
staatlichen Kreditoperationen — darin, daß die Notenbank nach
Art. 55 Abs. 5 ihres Statuts dem Staate nur durch Diskontierung
von Schatzwechseln Kredit in allerdings ziffermäßig nicht be-
schränkter Höhe geben darf, wobei sie auch noch an die Zustim-
mung des Generalrats gebunden ist. Eine direkte Lombardierung
ist also ausgeschlossen. Durch jene Diskontierung wird sie aber
auch nicht zu vermehrter Notenausgabe instand gesetzt, während,
wie früher erwähnt, ihre Lombardforderungen als bankmäßige
Deckung gelten und daher den Spielraum der Notenausgabe erweitern.
Erst nach der Suspension der Bankakte konnten die beiden Regie-
rungen daher unmittelbar im Wege der Lombardierung Kredit bei
der Oesterreichisch-Ungarischen Bank nehmen, und machten davon
auch entsprechenden Gebrauch. Welche Summen auf diese Weise,
also durch zuerst mittelbare, dann, vom 5. August 1914 ab unmittel-
bare Inanspruchnahme des Lombardkredits der Notenbank aufgebracht
worden sind, und unter welchen Bedingungen, ist infolge der Ein-
stellung der Bankausweis-Veröffentlichungen hinsichtlich Oesterreichs
1) In Ungarn fehlte bisher ein zentrales Kreditinstitut. Jetzt ist ein solches auf
dem Wege der Gesetzgebung in der Bildung begriffen.
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 459
authentisch erst bekannt geworden durch den Bericht der Staats-
schulden-Kontrollkommission des Reichsrats vom 31. Dezember 1914.
Danach sind von der österreichischen Regierung zwei solche
Lombarddarlehen aufgenommen worden. Das erste, auf dem Um-
wege über das Bankenkonsortium, auf Grund der Verpfändung von
600 Mill. K. 5-proz. Schatzscheinen mit 2!/,-jähriger, am 1. Februar
1917 endender Laufzeit, zu 85 v. H. ihres Nennwertes, so daß die
Notenbank 510 Mill. K. darauf lieh, für die der jeweilige Eskompte-
zinsfuß der Bank zu zahlen war. Das zweite, direkt bei der Noten-
bank, in Höhe von 1272 Mill. K. auf Grund der Verpfändung von
1696 Mill. K. 5-proz. Schatzscheinen mit 5-jähriger Laufzeit, also
zu 75 v. H. ihres Nennwertes und zum gleichen Zinssatz. Die auf
nur 12,72 Mill. K. angegebenen Jahreszinsen entsprechen einer
l-proz. Verzinsung, wobei gegen den offenbar auf 6 v. H. verein-
barten Zins die dem Staate (neben seinem gesetzlichen Anteil am
Reingewinn der Bank) zustehende Notensteuer von 5 v. H. verrechnet
ist. Das erste Darlehen konnte wohl noch ohne Ueberschreitung des
steuerpflichtigen Notenkontingents gewährt werden. Bezüglich der
Notensteuer hat freilich amtlich niemals etwas darüber verlautet, ob
sie, wie in Deutschland die Notensteuer der Reichsbank, für die
Dauer des Krieges suspendiert worden ist oder weitererhoben wird.
Einen dritten Kredit von 826,8 Mill. K. zu gleichem Zinssatz hat
die Notenbank der österreichischen Regierung — vermutlich im Sep-
tember oder Oktober 1914 — gegen Solawechsel gewährt. Er sollte
1272 Mill. K., also ebensoviel wie der zweite Kredit betragen, ist
aber wegen des großen Erfolges der ersten Kriegsanleihe nur in
Höhe von 826,8 Mill. genützt worden, so daß am Jahresschluß 1914
davon noch 445,2 Mill. offenstanden. Die Jahreszinsen sind auch
hier nur zu 1 v. H., also mit 8268 000 K. angegeben. Nach einer
Mitteilung des Mitgliedes der Staatsschulden - Kontrollkommission,
Abgeordneten Dr. von Steinwender, in der „Neuen Freien Presse“
waren die drei Vorschüsse der Notenbank für die beiden Reichs-
hälften zusammen auf 800, 2000 und 2000 Mill. K. bemessen, welche
Summen nach dem gesetzlich bestehenden Quotenverhältnis von
Oesterreich zu 63,60 und von Ungarn zu 36,40 v. H. zu tragen
sind. Denn die beiden Staaten der Monarchie bestreiten ihre Kriegs-
kosten gemeinsam, um sie nach dem Kriege in Gemäßheit dieses nach
dem „Ausgleiche“ anzuwendenden Schlüssels unter sich zu verteilen.
Die beiden ersten Vorschüsse sind voll in Anspruch genommen
worden. Wieweit Ungarn den dritten beansprucht hat, ist nicht
bekannt geworden. Außerdem nahm die österreichische Regierung
noch bei einem österreichischen Bankenkonsortium einen Konto-
korrentvorschuß von 200 Mill. K. auf, der aber noch vor Jahres-
schluß aus dem Erträgnis der ersten Kriegsanleihe zurückgezahlt
wurde.
Alle diese Bankkredite fallen in die ersten fünf Monate der
Kriegsdauer. Ueber die Rückzahlung der drei Notenbank-
darlehen lauten die — ausschließlich nichtamtlichen — Mitteilungen
460 H. Köppe,
verschieden. Während einerseits behauptet wird, daß ein erheblicher
Teil der so entstandenen schwebenden Schuld aus dem Erträgnis der
ersten Kriegsanleihe abgetragen worden sei!), wird von anderen,
offenbar besser unterrichteten Seiten es so dargestellt, daß die Re-
gierung den Ertrag dieser Anleihe nicht zur Tilgung jener schwe-
benden Schuld, sondern unmittelbar zur Deckung neuer, laufender
Kriegskosten verwendet habe ?). Indessen habe sie nach Erschöpfung
des Anleiheertrages keine weiteren Vorschüsse von der Notenbank
beansprucht, sondern sei den gelieferten Kriegsbedarf den Lieferanten
großenteils gegen Anerkenntnis schuldig geblieben ®). Dieses Ver-
fahren unterscheidet sich also durchaus von dem in Deutschland
eingeschlagenen, wo nach Wiedereinlösung der an die Reichsbank
und an private Großbanken begebenen Schatzanweisungen durch
einen entsprechenden Teil des Ertrages der ersten Kriegsanleihe und
nach Verbrauch des übrigen Teils von neuem Schatzanweisungen
begeben wurden, durch die ein großer Teil der neuen zweiten An-
leihe schon im voraus aufgebracht wurde, so daß die in die Banken
gebrachten Schatzanweisungen gewissermaßen selbstverständlicher-
weise immer wieder in Kriegsanleihe umgewandelt wurden. Ander-
seits ist durchaus anzuerkennen, daß die Inanspruchnahme der öster-
reichisch-ungarischen Notenbank für Kriegszwecke durch die beiden
Regierungen auch nicht entfernt heranreicht an die gleichartige
Belastung der russischen Staatsbank und der Bank von Frankreich,
und daß daher der Notenumlauf der ersteren zweifellos weit hinter
demjenigen der beiden letzteren zurückbleibt ').
Dieser kurzfristige Notenbankkredit des Staates hätte durch
seine Form beständiger Notenumlaufvermehrung bei fortgesetzt starker
Inanspruchnahme der Notenbank schließlich die Aufrechterhaltung
der Währung gefährden müssen. Die Umwandlung der Bank-
notenwerte in Anlagekapital wurde daher alsbald unabweislich. Da-
mit wurde den Gefahren einer Inflation glücklich vorgebeugt, die
vergrößert waren durch die schon erwähnte Gewohnheit namentlich
der ländlichen Bevölkerung, erspartes Geld, also bei dem sehr geringen
Umlauf von Goldmünzen fast ausschließlich Papiergeld, anzusammeln
uud aufzubewahren, statt es einer Sparkasse oder Bank zuzuführen.
Es wird der Oesterreichisch - Ungarischen Bank allgemein als hohes
1) Nach Jastrow (a. a. O. S. 55) die ganze schwebende Schuld bei der Notenbank.
2) So Stolper (a. a. O.), der dies als Ursache dafür angibt, daß keine Vermin-
derung des stark ausgedehnten Notenumlaufs eintrat und daher die Banken über reiche
Barmittel verfügten, die für die Zeichnung und Einzahlung auf Kriegsanleihe nutzbar
gemacht werden konnten.
3) So nach Mitteilungen aus Oesterreich in der „Frankfurter Zeitung‘, bestätigt
im „Öesterr. Volkswirt“ (Jahrg. 7, No. 36). Auch Federn (im „Oesterr. Volkswirt“,
Jahrg. 8, Heft 9, S. 131) meint: „Das Schuldbuch bei der Notenbank dürfte nach der
ersteu Kriegsanleihe geschlossen worden sein.“
4) Auf diese Feststellung legt Federn (a. a. O.) angesichts der gegnerischen An-
griffe mit Recht Wert. Vom Ergebnis der kommenden vierten Anleihe hofft er, daß
Oesterreich-Ungarn dann zur Tilgung seiner Kriegsschulden bei der Notenbank imstande
sein wird.
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 461
Verdienst angerechnet, durch ihre ganze Politik diese Gefahr ver-
mindert zu haben !).
Als vorbereitendejMaßnahmen gingen der Auflegung der
Schatzanweisungsanleihe, welche also die erste österreichische Kriegs-
anleihe darstellt, voraus: die Herabsetzung des Bankzinsfußes Ende
Oktober von 6 auf 5! v. H., die Ermächtigung der Banken, durch
die die Verlängerung und Abänderung des Moratoriums regelnde
Verordnung vom 27. September 1914, ihre Kunden zum Zwecke von
Einzahlungen auf die Kriegsanleihe unbeschränkt über ihre Bank-
guthaben verfügen zu lassen, endlich die große Vermehrung des
Notenumlaufs, welche die Mittel zur Leistung der Einzahlungen ge-
waltig vermehrte. Außerdem wurden die Banken durch die große
Anhäufung von Kassenbeständen zu bedeutenden eigenen Zeichnungen
in den Stand gesetzt. Sodann wurden reichliche Kreditmöglichkeiten
für die Zeichnung und Einzahlung eröffnet. Sowohl die Oester-
reichisch-Ungarische Bank als die Darlehnskassen ermäßigten ihren
Zinssatz für die Beleihung von Staatspapieren auf 6'/), v. H. und
erklärten sich bereit, die Stücke der Kriegsanleihe zum Bankzinsfuß,
also zu 5!/⁄ v. H., bis zu 75 v. H. ihres Nennwertes, und unter
gleichen Vorzugsbedingungen auch andere lombardfähige Wertpapiere,
im Falle der Ertrag ihrer Verpfändung nachweislich für die Zeich-
nung auf Kriegsanleihe verwendet würde, zu lombardieren. Der
Eskomptezinsfuß ward für Darlehen solcher Art auf mindestens ein
Jahr vom Tage der letzten Einzahlung an bewilligt. Die übrigen
Kreditbanken gewährten zu gleichem Zwecke Vorschüsse auf Effekten
zu !/, v. H. über dem Eskomptezinsfuß der Notenbank und gewährten
auf die Kriegsanleihe selbst Vorschüsse in Höhe von 80—85 v. H.
des Nennwerts. Endlich wurden durch die als Folge des Krieges
notwendig gewordene Einschränkung der nicht für den Kriegsbedarf
bestimmten industriellen Produktion sowie durch die Preissteigerung
der landwirtschaftlichen Erzeugnisse weitere Mittel für die Kriegs-
anleihezeichnung flüssig.
Es ist hier nun von Interesse, den österreichischen Staats-
schuldenstand zu kennen, wie er bei Beginn des Krieges sich
stellte. Oesterreichs Staatsschuld betrug am 1. Juli 1914 13 004,07
Millionen K. Auf die „allgemeine Staatsschuld“ von 1867, an der
Ungarn teilhat, entfielen davon etwas über 5 Milliarden. Jener
stand ein produktives Vermögen in dem auf 5828,7 Mill. K. be-
rechneten Anlagekapital der Staatseisenbahnen gegenüber. Der öster-
reichische Staatshaushalt für das Finanzjahr vom 1. Juli 1914 bis
30. Juni 1915, ein Bruttoetat, schloß mit 3,46 Milliarden K. und er-
forderte eine Verzinsung der Staatsschulden in Höhe von 454,6 Mill.
und eine Tilgungssumme von 75,4 Mill. K. Zuletzt vor Kriegsaus-
bruch war Oesterreich im März 1914 auf dem Anleihemarkt er-
schienen mit der Ausgabe von 4'],-proz. steuerfreien Schatzanweisungen
im Betrage von 396,6 Mill. K., die zu 95!/, v. H., und zwar zu einem
1) Siehe darüber namentlich Hartung im „Bankarchiv“ a. a. O. S. 155.
462 H. Köppe,
ansehnlichen Betrage in Deutschland, begeben worden waren, und
ohne den Krieg für geraume Zeit gereicht haben würden. Diese
Anleihe wird innerhalb 15 Jahren durch serienweise Auslosung und
Rückzahlung zu pari getilgt.
II. Die erste Kriegsanleihe.
Während die erste deutsche Kriegsanleihe schon in der Zeit
vom 10.—19. September zur Zeichnung aufgelegt wurde, geschah in
Oesterreich-Ungarn, wahrscheinlich mit Rücksicht auf die Kriegs-
lage, erst im November 1914 das Gleiche. Wie in Deutschland,
war ihr Betrag nach oben nicht begrenzt. Sogenannte Konzert- und
Scheinzeichnungen waren also ausgeschlossen, da sie bei der Ge-
wißheit, jeden gewünschten Betrag Kriegsanleihe auch erhalten zu
können, zwecklos gewesen wären. Die Vorbehaltung des Rechts auf
Zuteilung der gezeichneten Beträge hatte mithin rein formale Be-
deutung. Im übrigen wurden aber bei der Ausbringung der Anleihe
in den beiden Hälften der Doppelmonarchie sehr verschiedene Wege
beschritten.
1. Oesterreich.
In Oesterreich wurden aus den oben angegebenen Gründen
5',-proz.Schatzanweisungen zur Öffentlichen Zeichnung auf-
gelegt !). Der Zeichnungspreis war 97!/ v. H. zuzüglich 51, v. H.
Stückzinsen vom 1. November bis zum Tage der Abnahme, stellte
sich jedoch dadurch, daß die vermittelnden Banken freiwillig auf die
ihnen zugestandene Provision von 5/, v. H., neben der sie nur einen
kleinen Spesenbetrag vergütet erhielten, verzichteten, tatsächlich auf
967/4. Die Stücke lauten auf den Inhaber und über Beträge von 100,
200, 1000, 2000, 10000 und ein Vielfaches von 10000 K. Die
Zinsen sind halbjährlich am 1. April und 1. Oktober zahlbar. Da
der Zinsenlauf schon am 1. November 1914 begann, so umfaßte der
am 1. April 1915 fällig gewordene erste Coupon einen Zeitraum
von nur 5 Monaten. Rückzahlbar sind die Schatzanweisungen zu
Pari am 1. April 1920, doch hat die Regierung das Recht, sie ganz
oder teilweise auch schon früher, nach voraufgegangener dreimona-
tiger Kündigung, einzulösen. Alle Umsätze in dieser Anleihe sind
frei von der Effektenumsatzsteuer. Die Schuldtitel wie die Coupons
der Anleihe sind ferner frei von aller bestehenden oder künftigen
Ertrags- (nicht auch FEinkommen-)Besteuerung.
Die Zeichnungsfrist ward unter Gestattung von Voran-
meldungen auf den 16. bis 24. November festgesetzt, wurde jedoch
nachträglich bis zum 10. Dezember verlängert, da sehr viele Zeich-
nungen verspätet eingingen. Schuld daran waren hauptsächlich die
1) „Bekanntlich hat die Staatsschulden-Kontrollkommission, derzeit das letzte Ueber-
bleibsel unserer parlamentarischen Einrichtungen, schon im Frühjahr die Gegenzeichnung
für die Renten verweigert, und sich nur nach mehreren Zwischenfällen entschlossen,
15-jährige Schatzanweisungen zuzulassen.“ Oesterreichischer Volkswirt, Jahrg, 7, No. 7,
8. 103.
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 463
naturgemäß langsamere Verbreitung der Mitteilungen und Auf-
klärungen über die Anleihe auf dem Lande und besonders in den
Gebirgsgegenden, auch die durch die militärischen Einberufungen
erwachsenden Schwierigkeiten und die Umstände für die Besitzer
von vinkulierten Papieren sowie für die Verwalter von Korporations-
und Stiftungsvermögen, die nötigen Mittel flüssig zu machen. Vom
10. Dezember ab wurden nur noch Zeichnungen für im Felde Stehende
sowie für Stiftungen und andere Vermögenskomplexe und nur bei
der Postsparkasse entgegengenommen. Vermittlungsstellen waren die
k. k. Postsparkasse!) und die Postämter, die Staatskassen und
Steuerämter, die Oesterreichisch- Ungarische Bank und alle öster-
reichischen Banken mit ihren Zweiganstalten in Oesterreich sowie
in Bosnien und der Hercegowina, die Sparkassen und Versicherungs-
gesellschaften und alle Privatbankiers. Bei der Zeichnung waren
10 v. H. des gezeichneten Betrages als Kaution zu hinterlegen, so-
dann bei der Zuteilung am 4. Dezember 30 v. H., am 16. Dezember
weitere 30 v. H., am 2. Januar 1915 20 v. H. und am 15. Januar.
die restlichen 10 v. H. bar zu zahlen. Zeichner bis zu 200 K.
mußten aber am 4. Dezember Vollzahlung leisten.
Der Zinsertrag aus dem Besitz der Anleihe stellt sich unter
Berücksichtigung des früheren Beginnes des Zinsenlaufs und der
Abtretung der k v. H. Bankprovision sowie bei anteiliger Ver-
rechnung des durch die Parirückzahlung eintretenden Kapitalgewinnes
auf die zwischenliegenden Jahre des Zinsgenusses wesentlich höher
als 5'/, v. H., nämlich auf 6,22 v. H.
Eine besondere Erleichterung für die Beteiligung an der Kriegs-
anleihe ward von der Postsparkasse durch die Errichtung von
Rentensparkassen geschaffen. Jeder kleine Sparer konnte
nämlich aus seinen bei der Postsparkasse eingelegten Ersparnissen
Stücke der Kriegsanleihe schon in Anteilen zu 25, 50 und 75 K.
erwerben und dabei gleich vom Tage des Ankaufs an in den Genuß
der Stückzinsen treten. Gegenüber der 3-proz. Verzinsung ihrer
Einlagen bei der Postsparkasse genießen sie fortan eine tatsächlich
mehr als doppelt so hohe Verzinsung. Auf 24!/, K. Einlage wurden
25 K. Kriegsanleihe gewährt. Die k. k. Postsparkasse spielt be-
kanntlich eine sehr wichtige Rolle in Oesterreich. Sie ist zentrale
Sparkasse und große Depositenbank, steht mit den Kreditbanken in
engem Verkehr und ist zugleich Staatsbank, als solche daher an der
Durchführung aller staatlichen Kreditoperationen wesentlich beteiligt.
Endlich hat sie den Postscheck- und den Abrechnungsverkehr ein-
geführt und zu hoher. Entwicklung gebracht.
Die Agitation für die Kriegsanleihe war eine gleich starke
wie in Deutschland. Besonders die Presse nahm sich mit voller
Hingebung dieser Aufgabe an. Klerus und Schule entfalteten eine
1) Ihr stand bei jeder der drei Anleihe-Ausgaben ein Ausschuß der Banken zur
Seite, dessen Mitglieder zufolge Vereinbarung jedesmal wechselten. Federn tadelt es
(a. a. O. S. 132), daß dieser immer erst beim Abschlusse der Anleihe eingesetzt wurde,
wodurch manche nützliche Anregung entgangen sei.
464 H. Köppe,
lebhafte Aufklärungstätigkeite. An den ersteren erging ein Aufruf
des Kardinal-Erzbischofs Piffl in Wien, die Gläubigen von den
Kanzeln herab über die patriotische Ehrenpflicht der Zeichnung zu
belehren. Im Deutschen Reiche nahmen die Deutsche Bank für die
österreichische, die Discontogesellschaft für die ungarische Kriegs-
anleihe Zeichnungen im Interesse der im Reiche sich aufhaltenden
Oesterreicher und Ungarn entgegen. Erwähnung verdient auch, daß
in Oesterreich die Namen der Zeichner von Kriegsanleihe auf ihren
Wunsch in den Zeitungen veröffentlicht werden, und daß davon
reichlich Gebrauch gemacht wird.
Das Ergebnis der Zeichnung übertraf alle Erwartungen. Man
hatte auf 800—1000 Mill. K. gerechnet, es wurden aber insgesamt
2200746900 K. gezeichnet, davon 1441 Mill. bis zum Ablauf der
ursprünglichen Zeichnungsfrist am 24. November. Darunter waren
sehr erhebliche Zeichnungen der italienischen Bevölkerung Oester-
reichs und auch derjenigen von Bosnien und der Herzegowina. Fast
alle Aktiengesellschaften zeichneten für sich und ihre Pensionsfonds.
"Sehr große Zeichnungen erfolgten von seiten der Kriegsmaterial
liefernden industriellen Werke und von den Versicherungsgesell-
schaften, den Pensionskassen der Angestellten und den Sparkassen.
Die deutsch-österreichischen Sparkassen beteiligten sich mit 400
Mill. K., die Universität Wien mit 300000 K. Den Banken kam
ihre durch die wirtschaftlichen Verhältnisse bedingte Geldfülle für
ihre eigenen Zeichnungen und die ihrer Kunden sehr zustatten.
Die von und bei ihnen gezeichneten Beträge machten den weitaus
größten Teil der Gesamtzeichnung aus. Sehr stark war auch die
Beteiligung der unteren Volksschichten in Stadt und Land und die-
jenige der öffentlichen Fonds, der Korporationen und Vereine aller
Arten und der Wohlfahrtsanstalten.
Nach einer amtlichen Statistik (mitgeteilt von Prof. Dr.
Julius Landesberger im „Bankarchiv“ a. a. O. S. 109) verteilten
sich die Zeichnungen, wie folgt:
Anzahl Nominalbetrag
Banken und Wechselstuben 548 229 293 100
Sparkassen — —
Kreditgenossenschaften, Vorschußkassen u. dgl. 2974 430 950 100
Versicherungsanstalten 967 106 854 200
Oeffentliche Fonds (darunter auch Vereine) 7 248 125 309 900
Privatpersonen und Firmen:
100 K. 54 949 5 494 900
200 „ 51756 10 351 200
300 bis 500 „ 66 514 28 732 500
600 „ 900 „ 24 622 17 700 300
1000 „ 1900 „ 79 830 95 313 000
2000 „ 9900 „ 81 330 289 214 500
10000 „ 49900 „ 22 972 339 236 800
50000 „ 99900 „ 2235 123 893 300
100 000 ,„ 499900 „ 1 480 220 549 300
500000 und darüber 197 174 483 300
Rentensparkasse 33 027 3 370 500
430 649 2 200 746 900
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 465
Die Zeichnungen bei den Sparkassen, die in dieser Uebersicht nicht
besonders ausgewiesen sind, betrugen 503 Mill. K. t). Unter „Banken
und Wechselstuben“ sind hier nur die eigenen Zeichnungen der nicht
dem Bankenkonsortium angehörenden Banken verstanden. Die Jahres-
zinslast des Anleiheerträgnisses beläuft sich auf 121041 079'/, K.
Nicht bekannt ist, in welchem Umfange die Einzahlungen mit
Hilfe von Kredit geleistet worden sind. Indessen ist wenigstens
bei den Darlehnskassen die Kreditbeanspruchung außerordentlich
gering gewesen. Sie erreichte bis Ende 1914 noch nicht 15 Mill. K.
Es wird dies allgemein auf die verspätete Errichtung dieser Kassen
zurückgeführt, infolge deren der Geschäftsverkehr sich in der Haupt-
sache bereits anderweit für die Befriedigung seiner Kreditbedürf-
nisse geholfen hatte. Wie groß die Kredithilfe der Notenbank war,
ist amtlich nicht bekannt gegeben worden. Bis zum 8. Dezember
waren aber bei ihr nur wenige Millionen Kronen für diesen Zweck
nachgesucht und bei den Darlehnskassen nur rund 8 Mill, während
bis dahin rund 700 Mill. eingezahlt sein mußten. Auch waren am
24. Januar 1915, also acht Tage nach der Resteinzahlung, von den
österreichischen Darlehnskassen insgesamt überhaupt nur 43 Mill. K.
ausgeliehen. Die Beanspruchung der privaten Banken, denen sonach
in der Hauptsache die Gewährung des von den Zeichnern der Kriegs-
anleihe benötigten Kredites zufiel, entzieht sich jeder Schätzung. Es
fällt aber sehr in das Gewicht, daß sie nicht nötig hatten, die Noten-
bank in ungewöhnlichem Maße um Wechsel- oder Lombardkredit an-
zugehen, um aie Einzahlungen für sich und ihre Kunden leisten zu
können, vielmehr diese aus ihren laufenden Mitteln zu bestreiten
vermochten.
Die Zeichnungen und Einzahlungen vollzogen sich ohne jede
Störung des Zahlungs- und Kreditverkehrs. Nicht minder erfreu-
lich war die Tatsache, daß die Einlagen bei den Banken und Spar-
kassen schon im Januar 1915, an dessen Anfang 20 v. H. und in
dessen Mitte 10 v. H. Rest zu zahlen waren, sehr bedeutende
Steigerungen aufwiesen. Sie stiegen allein bei den Wiener Banken
um 50,223 Mill, bei den Wiener Sparkassen um 14,649 Mill, zu-
sammen also um 64,872 Mill. K., und erreichten dadurch eine Ge-
samthöhe von 1779,4 Mill. K. Die folgenden Monate brachten
weitere erhebliche Zunahmen, so der Februar um insgesamt 51 Mill.
Anfang Mai 1915 betrug die Gesamtsteigerung seit dem Jahres-
anfang 224 Mill. und bei den gesamten Einlagegeldern der Monarchie
rund 2! Milliarden K.
2. Ungarn.
Während man in Oesterreich die Kriegsanleihen in die Form
der Begebung kurzfristiger Schatzscheine kleidete, wählte die unga-
rische Regierung den dort nicht durch verfassungspolitische Schwierig-
1) Etwa 8 v. H. des gesamten Einlagenbestandes sind dafür verwendet worden.
(„Oesterr. Volkswirt“, Jahrg. 7, No. 33.)
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 30
466 H. Köppe,
keiten versperrten Weg dauernder Anleihe, also der nichttilgungs-
pflichtigen Staatsrente. Bis dahin hatte sie sich, wie früher ange-
geben, gleichfalls der Hilfe der Oesterreichisch-Ungarischen Bank im
Wege der Beleihung von Schatzscheinen bedient und Anfang August
1914 durch das Budapester Bankenkonsortium 350 Mill. K., sodann im
September direkt bei der Notenbank ein Darlehen von unbekannter
Höhe aufgenommen, das aber keinesfalls höher als das erste gewesen
sein sol. Wie groß Ungarns Anteil an dem dritten, den beiden
Staaten von der Notenbank gewährten und mit 2000 Mill. K. bemessenen
Kredit war, ist, wie schon früher erwähnt, gleichfalls nicht bekannt.
Gleichzeitig mit Oesterreich wurde sodann, mit derselben Zeichnungs-
frist vom 16.—24. November, die erste Kriegsanleihe von unbegrenzter
Höhe im Wege allgemeiner Öffentlicher Subskription begeben. Es
war das erste Mal, daß Ungarn eine rein innere Anleihe aufnahm.
Bisher hatte man sich in Anleihefällen hauptsächlich an den deut-
schen und den österreichischen Geldmarkt mit Erfolg gewendet.
Von Ungarns Staatsschuld entfielen Ende 1913 45,17 v. H. auf
ungarischen, 25,62 v. H. auf deutschen, 21,83 v. H. auf österreichi-
schen, 5,69 v. H. auf englischen, 1,34 v. H. auf französischen.
0,24 v. H. auf holländischen, 0,09 v. H. auf schweizerischen und
0,02 v. H. auf belgischen Besitz!). Von den österreichischen Staats-
anleihen ist ein sehr viel geringerer Teil in ungarischem Besitz als
umgekehrt. Im Oktober 1913 war Ungarn zum dritten Male inner-
halb Jahresfrist an den Geldmarkt herangetreten, und zwar mit
einer Schatzscheinemission, durch die sich seine Schatzanweisungs-
schuld auf 700 Mill. K. erhöht hatte. Aber schon im Februar 1914
hatte es sich genötigt gesehen, sich nochmals, und diesmal in Form
einer dauernden Anleihe, die wiederum großenteils in Deutschland
untergebracht wurde, an das ausländische Kapital zu wenden. Diese
Anleihe belief sich auf nominal 500 Mill. K., war zu 4!/⁄ v. H. ver-
zinslich und tilgungspflichtig. Ihr Uebernahmekurs für die Banken
war 88'/,, ihr Zeichnungspreis 90%, v. H. gewesen, und zwar so,
daß die Regierung an dem über 90', hinausgehenden Gewinn zur
Hälfte Anteil hatte.
Für die neue, die erste Kriegsanleihe, hoffte man auf einen
Ertrag von etwa !/, Milliarde K. Das Ergebnis übertraf diese
Erwartungen um mehr als das Doppelte, da 1175/4 Mill. K. ge-
zeichnet wurden. Dieser Erfolg kann gerade für Ungarn kaum hoch
genug bewertet werden. In schwierigster politischer Lage und in
einem schon länger als 2 Jahre dauernden Zustande wirtschaftlicher
Depression, der noch nicht oder doch nicht in dem Maße, wie in
Oesterreich, einer langsamen Aufwärtsbewegung Platz gemacht hatte,
vermochte das Volk seine materiellen Kräfte so zu sammeln und zu
verwerten, daß es sich nicht nur zum ersten Male vom Auslande
finanziell unabhängig machte, sondern auch eine die Erwartungen
um mehr als das Doppelte übertreffende finanzielle Leistungsfähig-
1) Nach Hantos im „Bankarchiv“, S. 328 a. a. O.
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 467
keit offenbarte.e Das Selbstgefühl des Volkes erhielt durch diese
Kraftprobe begreiflicherweise eine starke Hebung, die weiterhin von
Nutzen sein sollte. Ungarn ist allerdings in der glücklichen Lage,
als fast reines Agrarland seine Bodenerzeugnisse mit steigendem
Nutzen in das Ausland absetzen zu können, da die Erzeugungskosten
der Steigerung der Preise nicht entfernt folgen. Aber der Balkan-
krieg und die Annexionskrise hatten dieses dem Herde der Ver-
wicklungen nächstgelegene Land in starke politische Beunruhigung
und wirtschaftliche Erschütterung versetzt. Die damalige mehrfache
Mobilisierung hatte der Landwirtschaft viele Arbeitskräfte entzogen.
Mißernten und Naturkatastrophen, namentlich im Süden des Landes,
waren hinzugekommen. Die Staatsschuld war im Zusammenhang
damit bedeutend angewachsen. Im Jahre 1906 hatte sie, ohne Un-
garns Anteil an der „Allgemeinen Staatsschuld“ von 1867, den Be-
trag von 4,8 Milliarden K. erreicht. Sie stieg bis Ende 1910 auf
5317 Mill. K. Das nächste Jahr, 1911, war noch ein gutes Finanz-
jahr für Ungarn, dann aber folgte, hauptsächlich infolge der not-
wendigen Heeres- und Flottenverstärkungen, eine erhebliche Ver-
mehrung zunächst der schwebenden und weiterhin auch der dauern-
den Schuld. Ende 1912 hatte sich die Staatsschuld auf rund 6196
Mill. K. vermehrt. Davon entfiel auf das eine Jahr 1912 ein Zu-
wachs von 669 Mill. Bei Beginn des Weltkrieges belief sie sich
auf 6717 Mill. K., wovon 1400 Mill. Ungarns Anteil an der Allge-
meinen Staatsschuld von 1867 bildeten. Das Jahreserfordernis für
die Staatsschuld war auf 338,8 Mill. K. veranschlagt, das sind
15'/, v. H. der staatlichen Jahreseinnahmen, die sich in Höhe von
mehr als 2!/, Milliarden K. mit den Ausgaben die Wage halten.
Die erste ungarische Kriegsanleihe ward als sechs-
prozentige steuerfreie Rente zum Zeichnungspreise von 97,50 v. H.
bei sofortiger Vollzahlung, dagegen von 98 v. H. bei ratenweiser
Einzahlung aufgelegt. Letzterenfalls waren 40 v. H. des gezeichneten
Betrages bis zum 12. Dezember, weitere 30 v. H. bis zum 22. De-
zember und die übrigen 30 v. H. bis zum 8. Januar 1915 zu zahlen.
Gezeichnete Beträge bis zu 100 K. waren gleich bei der Zeichnung
voll einzuzahlen. Für höhere Beträge war bei der Zeichnung eine
Kaution von 10 v. H. zu leisten, die bei der letzten Einzahlung (in
Oesterreich bei der ersten) verrechnet wurde. Zeichnungen von
im Felde stehenden Militärpersonen wurden auch noch nach Ablauf
der Zeichnungsfrist zugelassen. Der erste Zinscoupon wurde am
1. Mai 1915 fällig. Eine Anrechnung von laufenden Zinsen fand
nicht statt. Dagegen wurde den Zeichnern eine Vergütung von
\/, v. H. gewährt. Aufgelegt ward die Anleihe in Ungarn, Bosnien
und der Herzegowina!). Vor dem 1. November 1920 darf sie nicht
zur Rückzahlung gekündigt werden, so daß eine Konvertierung bis
dahin ausgeschlossen ist. Ihre Stückelung ist so, daß die kleinsten
1) Sonst wurden die ungarischen Anleihen immer auch in Oesterreich, nicht aber
die österreichischen in Ungarn aufgelegt.
30*
468 H. Köppe,
Stücke über 50 K. lauten. Diejenigen Zeichner, die ihre Stücke
„vinkulieren“ lassen, d. h. einer jederzeit widerruflichen Sperr-
verpflichtung unterwerfen, können, falls sie von diesem Widerrufs-
recht fünf Jahre lang keinen Gebrauch machen, im letzten Quartal
des fünften Jahres, spätestens aber am 1. November 1919, ihrerseits
die Anleihe zur Parirückzahlung auf den 1. November 1920 kün-
digen !) Vom 1. November 1920 ab kann die ungarische Regierung
jederzeit mit dreimonatiger Kündigungsfrist die Anleihe ganz oder
teilweise zur Parirückzahlung kündigen. Durch diese Bestimmungen
nähert sich die ungarische Anleihe etwas dem Charakter der öster-
reichischen Schatzanweisungsanleihe.
Die tatsächliche Verzinsung der Anleihe stellt sich unter
Berücksichtigung der die Zeichner begünstigenden Begebungsbedin-
gungen auf 6,18 v.H. Vergleicht man sie hinsichtlich des Ertrages
mit der ersten österreichischen Kriegsanleihe, so ist bei beiden der
Ausgabekurs der nämliche, bei der ungarischen aber die nominelle
Verzinsung um !/, v. H. höher. Berücksichtigt man beiderseits die
Begünstigungen der Zeichner in den Anleihebedingungen, so erbringt
die österreichische Anleihe mit, wie oben erwähnt, 6,22 v. H. einen
um 0,04 v. H. höheren Ertrag als die ungarische.
Während die ungarischen Staatsanleihen sonst durch die „Roth-
schildgruppe* in beiden Hälften der Monarchie aufgelegt wurden,
dienten bei der Kriegsanleihe als vermittelnde Zeichnungsstellen
außer der Oesterreichisch-Ungarischen Bank die sämtlichen ungari-
schen Banken, Bankiers und Sparkassen. Das Gesamtergebnis
belief sich auf 1175337000 K. Es gliedert sich (nach Landes-
berger a. a. O.) folgendermaßen:
Zahl der Zeichnungen Nominalbetrag
50K. 45 873 2 293 000
100 „ 73 322 7 332 000
150 bis 250 „ 53 714 10 708 000
300 „ 550 „ 56 507 23 609 000
600 , 950 „ 22 473 16 330 000
1000 , 1950 „ 58 938 77 676 000
2000 „ 9950 „, 53 285 195 127 000
10 000 , 49950 „ 14 639 240 780 000
50000 „, 99 950 „ 1582 QI 113 000
100000 „ 499950 „ 1317 203 167 000
500 000 „ 999950 ,„ 115 63 185 000
1.000 000 „ 4999950 „ 79 132 636 000
5 000 000 und mehr ii 14 111 375 000
381 858 1 175 337 000
Nach den Persönlichkeiten der Zeichner ergibt sich das folgende
Bild. Es zeichneten:
Privatpersonen und Firmen K. 701 609 000
Geldinstitute » 277 033 000
Versicherungsgesellschaften en 29 920 000
Fonds, Stiftungen, Kirchen, Vereine usw. » 166 775 000
K. 1 175 337 000
1) Ebenso bei einer russischen Anleihe während des russisch-japanischen Krieges.
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 469
Die Ungarische Allgemeine Kreditbank und die Pester Ungarische
Kommerzialbank zeichneten für sich und ihre Auftraggeber zu-
sammen 440 Mill. K., also 40 v. H. der Gesamtzeichnung.
Die Oesterreichisch-Ungarische Bank bewies den
Zeichnern der ungarischen Anleihe dasselbe Entgegenkommen hin-
sichtlich Zinsfußermäßigung und Lombardierung von Stücken der
Kriegsanleihe wie denjenigen der österreichischen. Ebenso folgten
die ungarischen Darlehnskassen in beiden Hinsichten dem
Beispiele der österreichischen Darlehnskassen. Von ihrer Beanspru-
chung für Einzahlungen auf Kriegsanleihe steht so viel fest, daß sie
im ganzen nicht größer war als diejenige der österreichischen. Auch
in Ungarn spielt die Sitte der Geldthesaurierung, besonders auf dem
Lande, eine für die Zeichnung und Einzahlung auf die Kriegsanleihen
günstige Rolle.
Der Kriegsanleiheemission parallel ging eine andere gemein-
same Kreditoperation der österreichischen und der
ungarischen Regierung von wirtschafts- und währungspoliti-
schem Charakter. Wie schon bei Erörterung der Kriegslage der
Notenbank erwähnt, stellte sich gleich nach Kriegsbeginn ein fort-
gesetzt steigender Bedarf an Mitteln zur Bezahlung ausländischer
Verbindlichkeiten ein, der im andauernd starken Steigen der Devisen-
kurse Ausdruck fand. Er war besonders auf Markdevisen gerichtet,
auf die Oesterreich-Ungarn sowohl zur Begleichung seiner Verbind-
lichkeiten für Coupons und verloste Anleihestücke als auch für die
Bezahlung der aus dem Auslande bezogenen Waren während des
Krieges hauptsächlich angewiesen ist!). Dieser Mangel artete schließ-
lich in eine Devisennot aus. Um ihr wirksam zu begegnen, wurden
Verhandlungen mit Berliner Großbanken geführt, die folgendes Er-
gebnis brachten. Die beiden Regierungen begaben gemeinsam an
diese Banken, die dazu die Zustimmung der Reichsregierung nach-
suchten und erhielten und für das österreichische Geschäft unter der
Führung der Deutschen Bank, für das ungarische unter derjenigen
der Discontogesellschaft standen, am 26. November 1914 sechspro-
zentige Schatzscheine mit einjähriger Laufzeit im Nennwert von
300 Mill. M. Ihr Begebungskurs ist nicht bekannt. Der Gegen-
wert blieb als Guthaben in Berlin stehen und diente zur Beschaffung
der jeweils erforderlichen ausländischen Zahlungsmittel, die der Ge-
schäftswelt durch die Postsparkasse im Postschecküberweisungsver-
kehr zur Verfügung gestellt wurden. An dieser Anleihe war die
ungarische Regierung mit 100, die österreichische mit 200 Mill. M.
beteiligt. Der Zweck der Anleihe wurde zunächst erreicht. Der
Kurs der deutschen Noten ging von 132 auf 123 herab. Für etwa ein
halbes Jahr reichte diese Aushilfmaßnahme aus, ohne natürlich eine
durchgreifende Besserung herbeiführen zu können. Dann wurde, wie
wir noch sehen werden, ihre mehrmalige Wiederholung notwendig.
1) Für die Einfuhr solcher Waren, die für die Bedürfnisse der Kriegsverwaltung
gebraucht werden, stellt die Notenbank auf Anweisung des Kriegsministeriums Devisen
zur Verfügung.
470 H. Köppe,
HI. Die zweite Kriegsanleihe.
1. Oesterreich.
Wie sehr die Einlagen bei den Banken und Sparkassen nach
Begebung der ersten Anleihe anwuchsen, ward bereits dargetan. Die
Geldflüssigkeit war also groß. Dazu kamen der erheblich geringere
Kreditbedarf der Industrie gegen die Friedenszeit und die starke
Zunahme der der Industrie, dem Handel und auch der Landwirtschaft
aus Lieferungen für das Heer zufließenden baren Geschäftsgewinne.
Auch der Abbau des Moratoriums und das Wachstum des Verbrauchs
an industriellen Erzeugnissen sowie das Steigen der Löhne wirkten
günstig. Die wichtigsten Voraussetzungen für die aussichtsreiche
Unterbringung einer neuen Kriegsanleihe waren damit gegeben. Eine
solche ward durch den Weitergang des Krieges notwendig, nachdem
der Ertrag der ersten Anleihe und der Bankdarlehen — insgesamt
5044,74 Mill. K. mit einer Jahreszinslast von 186,74 Mill. K. —
den Winter hindurch ausgereicht hatte. Gleichwohl zögerten die
Regierungen ziemlich lange mit der Auflegung der neuen Anleihe,
wie es heißt, wegen der ungewissen Haltung Italiens, nämlich bis
zum Mai.
Als Vorbereitung ermäßigte die Notenbank am 12. April
1915 ihren Diskontsatz weiter, nämlich von 5'/), auf 5 v. H. Die
Anleiheformen waren in Oesterreich und in Ungarn wiederum, wenn
auch in anderer Weise, verschieden. Auch die Zeichnungsfrist war
diesmal nicht ganz die gleiche in den beiden Ländern. Sie lief in
Oesterreich vom 8. bis 29. Mai 1915, ward jedoch wieder, und zwar
bis zum 5. Juli verlängert. Die bei der ersten Anleihe gemachte
Erfahrung, daß sie nicht zu kurz bemessen sein darf, beherzigte man
also durch Verdreifachung der Frist (drei Wochen statt einer), ohne
daß diese Verlängerung aber genügt hätte. Der Typus wie der Zins-
fuß waren bei der zweiten Kriegsanleihe in Oesterreich dieselben
wie bei der ersten, also 5!/,-proz. Schatzanweisungen in unbegrenzter
Höhe und nur im Inlande aufgelegt, sowie mit dem Recht der Re-
gierung zu früherer Parirückzahlung der ganzen Anleihe oder eines
Teiles derselben nach dreimonatiger Kündigung. Doch war statt
einer fünfjährigen jetzt eine zehnjährige Laufzeit genommen, sodaß
die Stücke am 1. Mai 1925 rückzahlbar sind. Ferner betrug der
Zeichnungskurs 95,25, gegen 97,50 bei der ersten Anleihe, worin
57, v. H. Stückzinsen vom 1. Mai bis zum Tage der Einzahlung
einbeschlossen waren. Die Vergütung für die vermittelnden Banken
war etwas höher, nämlich auf ?/, statt auf 5/, v. H. bemessen. Diese
überließen davon !/⁄ v. H. den Zeichnern und begnügten sich mit
/, v. H. und einer auch allen übrigen Zeichnungssammelstellen ge-
währten gleich hohen Spesenvergütung. Der tatsächliche Zeichnungs-
preis stellte sich dadurch auf 94°, v. H. Dieser gegen die erste
Anleihe niedrigere Preis rechtfertigte sich durch die längere Lauf-
zeit, infolge deren erst nach 10 Jahren — bei der ersten Anleihe
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 471
schon nach 5 Jahren — ein Anspruch auf Parirückzahlung gegeben
ist. Der Ertrag der zweiten Anleihe stellt sich für den Besitzer,
wenn man wiederum den mit der Rückzahlung verbundenen Kurs-
gewinn einberechnet und auf die Jahre des Zinsenlaufs verteilt, auf
6,20 v. H. gegen 6,22 bei der ersten Anleihe!). Wiener Zeitungen
haben sogar eine Verzinsung des tatsächlich ausgelegten Geldbetrages
von 8°, v. H. (!), wenigstens für das erste Jahr, in welchem von
dem ermäßigten Lombardzinsfuß Gebrauch gemacht wird, und zwar
so errechnet: zu 1000 K. Zeichnung sind 947,50 K. Einzahlung er-
forderlich. Die Notenbank leihet auf diese 1000 K. 75 v. H. =
750 K., sodaß aus eigenen Mitteln noch 197,50 K. einzuzahlen sind.
Von den 1000 K. erhält man auf ein Jahr 5!⁄4 v. H. = 55 K.
Zinsen, anderseits zahlt man an Lombardzinsen 5 v. H. von 750 K.
= 37,50 K. Für die selbsteingezahlten 197,50 K. werden also auf
das Jahr 17,50 K. = 8’/, v. H. Zinsen gewährt.
Die Notenbank gewährte, ebenso wie die Darlehnskassen,
wiederum gegen Verpfändung der Stücke oder der Zwischenscheine
der neuen Anleihe, aber auch gegen Verpfändung von Stücken der-
ersten Kriegsanleihe oder von anderen bei ihnen beleihbaren Effekten,
wenn diese für die Zwecke der Einzahlung erfolgte, Darlehen zu
einem gegen den sonstigen Lombardzinsfuß ermäßigten Zinssatz,
nämlich zum jeweiligen offiziellen Eskomptesatz. Also zunächst zu
5 v. H, doch mit der Maßgabe, daß dieser Satz jedenfalls bis zum
Ablauf von einem Jahre nach dem letzten Einzahlungstermin, in
Oesterreich also bis zum 24. September 1916, in Kraft bleibt. Ferner
erklärte sie sich diesesmal bereit, auf Wunsch des Zeichners an Stelle
des jeweiligen, also Schwankungen ausgesetzten Eskomptezinssatzes
den festen Zinssatz von 5 v. H. für die gleiche Zeit zugrunde zu
legen, sofern die Darlehen innerhalb der im Zeichnungsprospekt an-
geführten Einzahlungstermine nachgesucht würden. Beim Gebrauch
dieser Vergünstigung war also kein Nachteil aus einer etwaigen
späteren Diskonterhöhung zu befürchten. Der günstige Unterschied
zwischen dem wirklichen Ertrag der Anleihestücke und dem Dar-
lehnszinsfuß in Höhe von 1,20 v. H. (6,20—5) ging dabei nicht
verloren, wohl aber der Vorteil einer etwaigen Zinsfußermäßigung.
Eine neue Vergünstigung war auch die Einführung der Einlösbarkeit
der Coupons der Anleihe bei allen Postämtern.
Daran schlossen sich zwei weitere wichtige Erleich-
terungen. Bei der ersten Anleihe war es nicht gelungen, das im-
mobiliare Vermögen in Stadt und Land so heranzuziehen, wie dies
in Anbetracht des großen Anteils, den es vom österreichischen National-
vermögen bildet, zu wünschen gewesen wäre. Dieser Anteil ist in
Oesterreich erheblich größer als in der viel stärker industrialisierten
und daher auf einer viel breiteren kapitalistischen Grundlage organi-
sierten deutschen Volkswirtschaft. In Ungarn, einem nahezu reinen
1) Im ‚Oesterreichischen Volkswirt“ (Jahrg. 7, No. 32) wird der Ertrag für die
beiden ersten Anleihen von Stolper auf 6,23 v. H. berechnet.
472 H. Köppe,
Agrarstaate, ist er noch stärker als in Oesterreich. Der immobiliare
Besitz ist aber seiner Natur nach sehr viel schwerer für Anleihe-
zeichnungszwecke mobil zu machen als das schon an sich mobile
Kapital. Auch der Großindustrielle kann, wie wir sahen, wegen der
Verringerung seines Kreditbedürfnisses im Kriege und des teilweisen
Stilliegens von umlaufendem Kapital, ferner auch, soweit er Kriegs-
bedarf herstellt, wegen seiner Kriegslieferungsgewinne sich in sehr
beträchtlichem Umfange in den vaterländischen Dienst der Kriegs-
anleihezeichnung stellen, obwohl in der Großindustrie das Kapital
ganz überwiegend Anlagekapital ist. Der Kaufmann, der fast nur
mit umlaufendem Kapital arbeitet, kann es noch weit mehr, der
Kapitalist, dessen Besitz in Wertpapieren angelegt ist, am meisten.
Am wenigsten kann es der Grundbesitzer, der, soweit sein Besitz
dem Werte nach noch belastungsfähig ist, Kredit darauf im Kriege
nur unter sehr schweren Bedingungen erhält.
In dieser Hinsicht spielt das Grundbuchrecht eine wichtige
Rolle. Das österreichische Grundbuch- und Hypothekenrecht führt
nun die Grundsätze der Publizität, Spezialität und Legalität, auf
denen es beruht, viel strenger durch als das deutsche, das zwar auch
auf ihnen aufgebaut ist, aber sich den Bedürfnissen des geschäft-
lichen Verkehrs in weitgehendem Maße angepaßt hat. So ist die
Eigentümerhypothek dem die akzessorische Natur des Pfandrechts
streng festhaltenden österreichischen Rechte unbekannt und die Ver-
pfändung einer Hypothek sehr erschwert, weil die Hypothek dort
„Buchschuld“, nicht „Briefschuld“, die Einrichtung des Hypotheken-
pfandbriefes also unbekannt ist und an Stelle der Ausfertigung eines
solchen nur eine Eintragsklausel auf die das persönliche Schuldver-
hältnis zum Ausdruck bringende Schuldurkunde gesetzt wird. Soll
eine Hypothek verpfändet werden, so kann dies mithin nur durch
die teure und umständliche Eintragung des Verpfändungsaktes in
das Grundbuch geschehen, während in Deutschland die einfache
Hinterlegung des Hypothekenbriefes bei der Kredit gewährenden
Bank genügt. Da die einen großen Teil des Volksvermögens
bildenden Sparkasseneinlagen größtenteils in Hypotheken angelegt
sind, erhellt schon hieraus die Bedeutung dieser Schwierigkeiten.
Für die zweite Kriegsanleihe suchte man daher auf doppelte
Weise Erleichterung zu schaffen. Erstens wurden die Dar-
lehnskassen vom Finanzminister ermächtigt, Darlehen für Kriegs-
anleihezwecke auch gegen Verpfändung von Hypotheken, die die ge-
setzliche Sicherheit bieten, und zu dem niedrigeren Zinsfuße des
Eskomptesatzes der Notenbank zu gewähren. Dadurch wurde den
Spar- und Vorschußkassen mit ihren großen Hypothekenbeständen
sowohl die Rückzahlung von Einlagen zu Kriegsanleihezwecken als
auch die eigene Beteiligung an der Anleihe wesentlich erleichtert.
Der Gebrauch, der von dieser Vergünstigung gemacht wurde, ist je-
doch kein besonders großer gewesen. Nach dem Ausweise vom
30. November 1915 hatten die österreichischen Darlehnskassen an
diesem Tage 102,7 Mill. K. Darlehnsforderungen, von denen auf die
%
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 473
Verpfändung von Hypotheken 5,99 Mill. K. und auf diejenige von
Effekten und Einlagebüchern der Sparkassen 95,7 Mill. K. entfielen,
also sehr wenig im Verhältnis zum Einzahlungsbedarf, besonders
nachdem vom 7. Oktober bis 6. November 1915 inzwischen die dritte
Kriegsanleihe begeben worden war!). Sodann wurde durch eine
Kaiserliche Verordnung vom 20. Mai 1915 den zu Zeichnungszwecken
aufgenommenen Hypothekendarlehen die Befreiung von allen Stempel-
und Grundbuchsgebühren, jedoch nur für die Hälfte oder ein Viertel
des vom Darlehnsnehmer gezeichneten Anleihebetrages zuerkannt’).
Sie wird verwirkt, wenn dieser die gezeichnete Anleihe vor dem
15. September 1916 entgeltlich veräußert.
In Deutschland trat, wie hier eingeschaltet werden darf, schon
sehr bald nach Kriegsbeginn ein vielseitiges Verlangen nach Er-
leichterung der Beleihbarkeit von Hypotheken hervor. In welchem
Umfang es durch den Wunsch nach Flüssigmachung von Mitteln
zum Zwecke der Kriegsanleihezeichnung hervorgerufen war, läßt sich
natürlich nicht feststellen. Die Lombardierung von Hypotheken bei
den Darlehnskassen war nun aber bei deren Errichtung absichtlich
nicht vorgesehen worden, weil sie hinsichtlich der Möglichkeit, ihren
wahren Wert festzustellen, wie der leichten Realisierbarkeit den an
die Unterpfänder der Darlehnskassen zu stellenden Ansprüchen nicht
genügen. Denn die Darlehnskassenscheine sollen dem Verkehr als
Geld dienen und zugleich ein Deckungsmittel für die Reichsbank-
noten bilden. Infolgedessen mußten andere Wege beschritten werden.
Dies geschah z. B. in Hamburg und Lübeck durch die gesetzliche
Errichtung von besonderen, mit Staatsmitteln ausgestatteten Be-
leihungskassen für sichere Hypotheken. In Preußen wurden den
Gemeinden und Sparkassen ministerielle Anweisungen und Ermäch-
tigungen betreffs Art und Umfang eines hilfsweisen Eingreifens er-
teilt. Danach dürfen die Sparkassen Darlehen auf Schuldschein oder
Wechsel gegen Verpfändung erststelliger Hypotheken, in der
Regel nicht über 10 v. H. des Hypothekenkapitals, gewähren. Diese
Hypotheken müssen denjenigen Bedingungen entsprechen, welche
satzungsmäßig für den Erwerb eigener Hypotheken durch die Spar-
kassen gelten. Soweit sie die Grenze der Mündelsicherheit über-
schreiten, bestimmt sich die Höhe des Darlehens nach dem innerhalb
dieser Grenze liegenden Wertbetrage. Der Zinsfuß für solche Dar-
lehen beträgt !/, v. H. über dem gewöhnlichen Zinsfuß der Darlehns-
kassen. Die Zinsen werden gleich bei Hingabe des Darlehens von
der Valuta gekürzt. Diese Darlehen sowie die gleichfalls für zu-
lässig erklärten und näher bestimmten Bürgschaftskredite dürfen
5 v.H. des nach dem letzten Jahresabschlusse bemessenen Einlagen-
1) Nach Landesberger im „Bankarchiv“ a. a. O. S. 106, Anm. 2.
2) Die Hälfte, wenn das Darlehen in Pfandbriefen, ein Viertel, wenn es in bar
gezahlt ward. Der Grund für diese Beschränkung war die Befürchtung, deß sonst der
Empfänger nur !/, der Valuta zur Anleihezeichnung, °/, zur Beschaffung eines gebühren-
freien Darlehens bei der Notenbank oder Darlehnskasse für andere Zwecke hätte ver-
wenden können.
474 H. Köppe,
bestandes nicht überschreiten. Die Sparkasse kann die ihr zu dieser
Kreditgewährung fehlenden flüssigen Mittel ihrerseits gegen Wert-
papierlombardierung bei den Darlehnskassen entleihen. Die dafür
maßgebenden Kündigungs- und Rückzahlungsfristen hat sie dann
ihrer Kreditgewährung gleichfalls zugrunde zu legen.
Außerdem sind in Deutschland auch die Hypothekenbanken
hilfreich eingetreten, indem sie erste Hypotheken in gewissen Grenzen
erwarben oder, häufiger, unter Hingabe von Pfandbriefen zum Nenn-
wert beliehen. Letzterenfalls verpflichteten sie sich, bei Rückzahlung
des Darlehens die Pfandbriefe wieder zum Nennwert anzunehmen.
Der Empfänger konnte dann die Pfandbriefe zur Beleihüung bei den
Darlehnskassen benutzen. Nach Abtragung des Darlehens werden die
Pfandbriefe der Hypothekenbank zum Nennwert zurückgeliefert.
Durch ihre Berechnung zu dem den Kurswert weit übersteigenden
Nennwerte war eine mißbräuchliche Verwendung der Pfandbriefe
ausgeschlossen.
Eine Kredithilfe für Besitzer nachstelliger Hypotheken
ist, der Natur der Sache nach, sehr schwierig. Nur vereinzelt ge-
lang es, unter Mitwirkung der Gemeinde die Lombardierung von
solchen, gewissermaßen als Notstandsaktion, zu organisieren. So
gründete die Stadt Berlin, unter Mitwirkung der Grundbesitzerver-
bände, eine „Berliner Kriegsbeleihungskasse für nachstellige Hypo-
theken“ als Aktienbank, die unter Garantie der Gemeinde auf zweite,
innerhalb 75 v. H. des festgesetzten Beleihungswertes liegende Hypo-
rn einen mäßigen, nach dem Diskontsatz bestimmten Kredit
gibt 1).
Was nun die zweite österreichische Kriegsanleihe
weiterhin betrifft, so war bei Zeichnungen bis zu 200 K der ganze
Betrag bei der Zeichnung zu zahlen, sonst nur 10 v. H. des Nenn-
wertes bei dieser und ferner je 25 am 26. Juni und 27. Juli, weitere
20 v. H. am 27. August und der Rest von 20 v. H. am 24. September.
Die Einzahlungsfristen waren also sowohl an und für sich wie auch
namentlich gegen die erste Kriegsanleihe sehr weit bemessen. Die
Verlängerung der Zeichnungsfrist bis zum 5. Juli erfolgte wesentlich
mit deshalb, weil die Kriegserklärung Italiens in die Zeichnungs-
frist hineinfiel und der dadurch entfachten Steigerung des patriotischen
Empfindens Gelegenheit zur Bekundung verstärkter finanzieller Hilfs-
bereitschaft gegeben werden mußte. Nach Ablauf der verlängerten
Zeichnungsfrist wurden Zeichnungen nur noch ausnahmsweise ent-
gegengenommen. Die Stückelung der Anleihe war die nämliche wie
bei der ersten, und auch die Einrichtung der Rentensparkassen wurde
beibehalten.
Das Ergebnis der Zeichnung übertraf dasjenige der ersten
Anleihe noch erheblich. Es wurden 2688321 800 E. gezeichnet, also
487 574 900 K. oder fast Y, Million K. mehr. Dieses Gesamtergebnis
gliedert sich folgendermaßen :
1) Vgl. die Denkschrift der Reichsregierung über wirtschaftliche Maßnahmen aus
Anlaß des Krieges, vom 23. November 1914, 8. 25—27.
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 475
x Anzahl Nominalbetrag
Banken und Wechselstuben 2652 345 114 300
Sparkassen 2107 425 518 100
Kreditgenossenschaften, Vor-
schußkassen u. dgl. 3 409 94 569 200
Versicherungsanstalten 553 116 894 400
Oeffentliche Fonds 3939 189 424 700
Privatpersonen und Firmen:
100 K. 35 682 3 568 200
200 „ 41506 8 301 200
300 bis 500 „ 68 255 27 146 200
600 „ 900 „ 31614 25 861 000
1000 „ 1900 „ 80 082 107 017 700
2000 „ 9900 , 86 834 306 209 600
10000 „ 49900 „, 24 452 382 727 600
50000 „ 99900 „, 2699 142 281 000
100 000 ,„ 499900 „, 1931 286 642 800
500 000 K. und darüber 246 225 OQI 200
Rentensparkasse 11 690 1 954 600
397 651 2 688 321 800
Die Einzahlungen erfolgten großenteils schon vor Fälligkeit.
Gleichwohl blieb der Stand des Zinsfußes auf dem offenen Geld-
markte ein niedriger und dauerte die Geldflüssigkeit fort. Bei den
Sparkassen erfuhr der Einlagenbestand trotz der großen Beteiligung
aller Kreise an der Anleihe keine wesentliche Beeinträchtigung. Die
für die Zwecke der Anleihe erfolgenden Abhebungen wurden durch
Neueinlagen bald wieder ausgeglichen. Die starke Geldflüssigkeit
der Großbanken gestattete der österreichischen Regierung, sich auf
Rechnung des glänzenden Ergebnisses der zweiten Kriegsanleihe von
ihnen einen Vorschuß von 600 Mill. K. geben zu lassen, den sie
!/, v. H. unter dem Bankdiskont, also zu nur 4!/, v. H. zu verzinsen
hatte, während Kontokorrentvorschüsse sonst mit !,—1 v. H. über
der Bankrate verzinst zu werden pflegen. Die Rückzahlung erfolgte
aus den Eingängen der beiden letzten Einzahlungen. Dadurch wurde
es auch möglich gemacht, die Einzahlungstermine für das Publikum
auf rund vier Monate zu erstrecken.
2. Ungarn.
In Ungarn wurden dem Publikum wahlweise zwei nicht-
tilgungspflichtige Renten angeboten: eine 5!/),-prozen-
tige, bis zum 1. Juni 1925 unkündbare Staatsrente zum Preise von
91,20, bei Zeichnung mit sofortiger Vollzahlung 90,80 v. H., und
daneben eine 6-prozentige, bis zum 1. Mai 1921 unkündbare
Staatsrente zum Preise von 98, bei Zeichnung mit sofortiger Voll-
zahlung 97,50 v. H. Für die 6-proz. Anleihe waren wieder Zeich-
nungen unter Sperrverpflichtung mit dem Rechte der Erwerber zu-
gelassen, spätestens am 1. November 1920 die Parirückzahlung zum
1. November 1921 zu fordern, während die Regierung vom 1. Mai
1921 ab diese Anleihe ganz oder teilweise nach dreimonatiger Kün-
digung zu Pari zurückzuzahlen berechtigt ist. Die Bedingungen der
6-proz. Anleihe sind also dieselben wie bei der ersten Anleihe. Bei
beiden Renten waren die laufenden Zinsen wiederum im Kurse ein-
476 H. Köppe,
begriffen. Die Zinsen der ersteren sind am 1. Juni und 1. Dezember,
die der letzteren, gleich denen der ersten Anleihe, am 1. Mai und
1. November fällig. Eine Vergütung von !/, v. H. wurde den Zeich-
nern auch diesmal gewährt. Der Ertrag aus dem Besitz der Anleihe
berechnet sich für die 5'/,-proz. Rente auf 6,10, für die 6-proz. auf
etwas unter 6,25 v. H. (gegen 6,18 bei der ersten ungarischen und
6,20 v. H. bei der zweiten österreichischen Kriegsanleihe). Da beide
Anleihen unbefristet sind, so ist hierbei, im Gegensatz zu der Be-
rechnung des Ertrages der österreichischen Kriegsanleihen, ein Ge-
winn aus etwaiger Kapitalrückzahlung nicht in Betracht gezogen ').
Für die Erwerber der 5'/,-proz. Rente stand der niedrigeren Ver-
zinsung die Aussicht auf höhere Kursgewinne nach Friedensschluß
gegenüber; außerdem hat er zehn Jahre lang (gegen nur sechs bei
der 6-proz. Anleihe) die Sicherheit des Ausschlusses der Konver-
tierung.
Die Zeichnungsfrist lief vom 12.—26. Mai und wurde bis
zum 7. Juni verlängert. Für Zeichnungen innerhalb der verlängerten
Frist wurde jedoch der Zeichnungspreis um 20 Heller für je 100 K.
erhöht. Die Einzahlungstermine waren ganz erheblich kürzer als in
Oesterreich angesetzt. 40 v. H. waren innerhalb eines Monats, die
übrigen 60 v. H. innerhalb eines weiteren Monats zu zahlen. Der
erste Coupon wurde am 1. Mai 1915 fällig. Die Notenbank und die
ungarischen Darlehnskassen gewährten bezüglich der Beleihung von
Stücken dieser Anleihe sowie anderer, zum Zwecke der Zeichnung
auf sie verpfändeter Fffekten die gleichen Vorteile wie in Oester-
reich. Die Begebung erfolgte im übrigen in gleicher Weise und
unter gleichen Bedingungen wie die erste Kriegsanleihe.
Das Ergebnis der Zeichnung stellte sich auf insgesamt
1132534000 K., blieb also gegen das der ersten um 42 803 000 K.
zurück. Davon entfielen rund 374,1 Mill. auf die 6-proz. und rund
758,4 Mill. auf die 5'/,-proz. Anleihe. Es gliedert sich wie folgt:
en Nominalbetrag
50 K. 11304 565 000
100 „ 84 444 8 444 000
150 bis 2503s 31 854 6 418 000
300 ji 550 „ 67 273 25 925 000
600 „ 950 „ 32 577 23 101 000
1000 „ 1950 „ 82 747 97 531 000
2000 „ 9950 „ 56 873 208 813 000
10000 „ 49 950 „ 15 632 246 243 000
50000 ,„ 99 950 ,„ 1741 IOI 112 000
100000 „ 499950 „ 1140 179 108 000
500000 „ 999950 ,„ 103 60 328 000
1000000 , 4999950, „ 57 88 946 000
5000000 K. und mehr 10 86 000 000
385 755 1 132 534 000
1) Bei Berücksichtigung des Kursgewinnes (im Falle der Rückzahlung i. J. 1921)
und der im Zeichnungspreise enthaltenen laufenden Zinsen ist der Ertrag für vinku-
lierte 6-proz. Stücke 6,65 v. H., für nichtvinkulierte 6,28. Für 5!/,-proz. Stücke ist er
im „Oesterreichischen Volkswirt“ auf 6,13 v. H. berechnet.
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 477
Die Beanspruchung der Darlehnskassen war auch für die Zwecke
dieser Anleihe nicht größer als für diejenigen der ersten.
Neben der zweiten Kriegsanleihe gingen noch zwei besondere
Kreditoperationen einher. Zur Einlösung von 150 Mill. K.
4\/,-proz. ungarischen Schatzscheinen von 1913, die am 1. Juni 1915
fällig wurden, wurde den Besitzern der Umtausch in neue 5!/,-pro2.
Schatzscheine mit dreijähriger Laufzeit ohne öffentliche Zeichnung
mit Erfolg angeboten. Der Bezugspreis betrug 97!/, v. H. abzüglich
i/s v. H. für die Uebernehmer, also 97°/;, v. H. Die wirkliche Ver-
zinsung beträgt rund 6,40 v. H. Außerdem erwies sich die Aufnahme
einer zweiten Valutaanleihe als notwendig. Im Interesse der
Aufbringung weiterer Mittel zur Begleichung der ausländischen
Zahlungsverbindlichkeiten und damit zur Stützung der Devisenkurse
kam ein gleichartiger Vertrag wie derjenige vom 26. November 1914
zwischen der österreichischen und der ungarischen Regierung einer-
seits und einem deutschen Bankenkonsortium anderseits am 6. Juli 1915
zustande. Es wurden der österreichischen Regierung 305 Mill. M.
und der ungarischen 195 Mill. M. zu diesem Zwecke geliehen. Wie
dem Deutschen Reiche, so bereiteten aus gleichen, früher schon er-
wähnten Gründen auch der österreichisch-ungarischen Monarchie die
Zahlungsverpflichtungen gegen das Ausland fortdauernd erhebliche
Schwierigkeiten. Die Waren-Ausfuhr und -Einfuhr waren ebenso
wie der Geldverkehr unterbrochen und unterbunden. Das Mittel der
Devisenverwendung zur Begleichung ausländischer Verbindlichkeiten
versagte daher in dem Maße, wie Auslandforderungen nicht mehr
zur Entstehung gelangten oder ihre Realisierung durch den Krieg er-
schwert war. Oesterreich wie Ungarn sind aber Staaten, deren Friedens-
anleihen zu sehr großen Teilen im Auslande untergebracht sind, wie
bezüglich Ungarns oben ziffermäßig dargetan ward. Die Zinsen
dieser Anleihen zu bezahlen, mußte also erhebliche äußere Schwierig-
keiten verursachen. Denn die Versendung von Gold mußte unter
allen Umständen, im Interesse der dauernden Stärke der Notenbank
und der Aufrechterhaltung der Kronenvaluta, möglichst vermieden
werden. Auf der Grundlage der politischen Bundesfreundschaft
und der Waffenbrüderschaft kam daher, wie die oben erwähnte
erste, so nun auch diese zweite Valutaanleihe zustande, wodurch die
beiden Regierungen der Doppelmonarchie je ein Guthaben in Deutsch-
land erhielten, das sie wieder für längere Zeit in den Stand setzte,
auf normalem Wege ihre Auslandverpflichtungen aus staatlichen
Bestellungen und fälligen Coupons, in erster Linie Deutschland selbst
gegenüber, zu regulieren, durch die Postsparkassen dem Warenhandel
die durch Exporte nicht gedeckten Beträge für die Einfuhr von
Waren zur Verfügung zu stellen und über weitere Mittel zum Be-
zuge von Lieferungen aus dem Auslande zu verfügen. Die Form
der Kreditoperation war dieselbe, nämlich die Uebernahme von 6-proz.
Schatzanweisungen mit einjähriger Laufzeit in Höhe der genannten
Beträge. Ueber die Bedingungen hat authentisch nichts verlautet.
418 H. Köppe,
IV. Die dritte Kriegsanleihe.
1. Oesterreich.
Wie bei der zweiten, so wurde auch bei der dritten Kriegs-
anleihe ihre Ausbringung wesentlich erleichtert durch eine erhebliche
Zunahme der Sparkassen- und der Bankeinlagen, insbesondere durch
die Entstehung eines bedeutenden Ueberschusses der Neueinlagen
über die Abhebungen nach Vollzahlung der zweiten Anleihe. Die
Gesamtheit der Einlagegelder in der ganzen Monarchie ward am
Ende des Jahres 1914 auf rund 20 Milliarden K. zuverlässig ge-
schätzt. Das erste Halbjahr 1915 hatte sodann einen Zuwachs von
1600 Mill. K. gebracht. Auch die Inanspruchnahme der Darlehns-
kassen war in der ersten Dezemberhälfte wieder auf den normalen
Stand zurückgegangen. Der Ertrag einer guten Ernte, die zu sehr
hohen Preisen abgesetzt war, hatte die Zeichnungsfähigkeit der Land-
wirtschaft ganz bedeutend gestärkt. Als Zeichnungsfrist ward die
Zeit vom 7. Oktober bis 6. November 1915 festgesetzt. Die Zeich-
nungsstellen waren die nämlichen wie bei den beiden ersten Anleihen.
Aufgelegt wurden wiederum 5!,-proz. Schatzanweisungen
in unbegrenzter Höhe, und zwar rückzahlbar am 1. Oktober 1930 zu
Pari, also diesmal mit 15-jähriger Laufzeit, gegen 5 Jahre bei der
ersten und 10 Jahre bei der zweiten Anleihe. Diese Verlängerungen
der Laufzeit sollten nicht nur einen Anreiz geben, sich für eine
längere Frist die hohe Verzinsung zu sichern, und dadurch zur
Zeichnung ermutigen, sondern wohl auch bezwecken, die Fälligkeiten
der Anleihen über die Jahre nach dem Krieg möglichst gleichmäßig
zu verteilen („Oester. Volkswirt“, Jahrg. 7, No. 32, S. 535). Die
alleinige oder wahlweise Ausgabe einer bis zu einem gewissen Zeit-
punkte unkündbaren Rente war zwar erwogen, aber aus den anfangs
erwähnten verfassungspolitischen Gründen nicht angenommen worden.
Die frühere Rückzahlung der ganzen Anleihe oder eines Teiles nach
dreimonatiger Kündigung wurde von der Regierung auch diesmal
vorbehalten. Der Zeichnungspreis war 93,60 und ermäßigte sich
durch die Vergütung von wiederum "/, v. H. auf 93,10. Dazu traten
laufende Stückzinsen vom 1. Oktober 1915 ab. Der wiederum niedrigere
Zeichnungspreis entsprach der wiederum erhöhten Laufzeit. Die
Coupons sind am 1. Januar und 1. Juli alljährlich fällig; der erste
und der letzte sind vierteljährig. Die Steuerfreiheit gilt in gleichem
Umfange wie bei den früheren Kriegsanleihen. Auch die Stückelung
blieb die gleiche. Zu diesem Kurse und unter anteiliger Verteilung
des bei der Parirückzahlung erzielten Kursgewinns auf die Jahre
des Zinsenbezuges ergibt sich eine tatsächliche Verzinsung von rund
6,25 v. H. [gegen 6,22 bei der ersten und 6,20 bei der zweiten An-
leihe] '). Die wirkliche Verzinsung aller drei Anleihen ist also trotz
1) Eine in der „Neuen Freien Presse“ aufgestellte Berechnung ergibt eine Ver-
zinsung von 6,04 und zuzüglich des Kapitalgewinns sowie im Falle der Zeichnung
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 479
der Verschiedenheit der Zeichnungsweise fast ganz die nämliche.
Für Zeichnungen bis zu 200 K. war der Gegenwert bei der Anmel-
dung der Zeichnung voll zu entrichten, für größere bei der Anmel-
dung 10, am 6. Dezember 1915 und 15. Januar 1916 je 20, am 5. Fe-
bruar 25 und am 6. März der Rest von 25 v. H. Für die Banken waren
die Einzahlungstermine je 10 Tage später angesetzt. Während dieser
Zeit ward ihnen das Geld zinslos belassen. Außerdem wurden ihnen
je '/s v. H. Spesen und Provision vergütet. Die letztere durften
sie an andere Zeichnungsvermittler abgeben, dem Publikum aber
nicht mehr als !/, v. H. vergüten.
Die Notenbank und die Darlehnskassen gewährten die
früheren Vergünstigungen wieder, insbesondere also die Be-
leihung der Stücke dieser und der früheren Kriegsanleihen zum je-
weiligen Eskomptezinsfuß, doch diesmal mit der Erweiterung, daß
dieser bis Ende 1917, dem Ablaufstermin des bestehenden Noten-
bankprivilegiums, gilt. Auch für den statt desselben auf Wunsch
wiederum gewährten festen Zinssatz von 5 v. H. für Darlehen zu
Kriegsanleihezwecken, die innerhalb der vorgeschriebenen Einzah-
lungstermine beansprucht werden, gilt diese längere Dauer. Die
Rentensparbücher waren wie früher zugelassen. Auch wurde auf
die Heranziehung kleiner und kleinster Zeichner diesmal besonderer
Wert gelegt durch die Einführung von Schulzeichnungen nach
deutschem Vorbilde und die Einrichtung von privaten Sammelstellen
in Verbindung mit der Ausgabe von Zwischen- oder Stundungs-
scheinen, welche die ratenweise Einzahlung der fällig werdenden Beträge
bezweckten. Wie in Deutschland, wurde den Arbeitgebern nahe-
gelegt, ihre Arbeiter zur Zeichnung anzuregen, diese für sie zu ver-
mitteln und sie gleichzeitig dazu instand zu setzen durch Gewährung
von Vorschüssen auf ihren Lohn. Die Unternehmerverbände ließen
eine dahin gehende Aufforderung an ihre Mitglieder ergehen’). Günstig
für die Beteiligung kam auch in Betracht, daß Galizien inzwischen
fast ganz vom Feinde gesäubert war und sich ihr nun anzuschließen
vermochte. Die Nutzbarmachung der immobiliaren Werte für die
Anleihe wurde gefördert durch die Befreiung auch der für die
Zwecke der dritten Anleihe aufgenommenen Hypothekendarlehen
von Stempel- und Grundbuchgebühren und durch die Ausdehnung
der Ermächtigung der Darlehnskassen, Darlehen gegen die Verpfän-
dung von Hypotheken und zum Eskomptezinssatz zu gewähren, auch
auf diese Anleihe. Doch auch bei ihr wurde, obwohl die Postspar-
kasse die Vermittlung solcher Hypothekendarlehen übernahm, nicht
der erhoffte allgemeine Gebrauch von diesen Erleichterungen ge-
macht.
gegen volle Barzahlung eine solche von 6,37 v. H., die sich bei voller Kredit-Inanspruch-
nahme auf 9,66 v. H. erhöht. Im „Oesterreichischen Volkswirt“ (Jahrg. 8, Heft 2)
ist dagegen die Kapitalverzinsung bei der zweiten und dritten österreichischen Kriegs-
anleihe auf 6,22 v. H. berechnet.
1) Die allerdings reichlich spät erfolgt sein soll (vgl. Federn im „Oesterr. Volks-
wirt“, Jahrg. 8, No. 9, S. 132).
480 H. Köppe,
Das Ergebnis war, daß 4202600 200 K. gezeichnet wurden.
Das sind gegen die erste Anleihe 2001 853300 K. und gegen die
zweite 1514278400 K. mehr, also ein außerordentlich glänzendes
Ergebnis. Seine bisher noch nicht veröffentlichte Gliederung war
die folgende:
Anzahl Nominalbetrag
Banken und Wechselstuben 6 162 673 848 400
Sparkassen 3 185 597 122 000
Kreditgenossenschaften, Vorschußkassen u. dgl. 3174 170 886 700
Versicherungsanstalten 797 163 954 000
Oeffentliche Fonds 4 016 265 314 300
Privatpersonen und Firmen:
100 K. 145 540 14 554 000
200 „ 60 305 12 061 000
300 bis 500 „ 72531 27 745 600
600 , 900 „ 30 518 22 782 700
1000 „, 1900 „ 93 879 111 618 900
2000 „ 9900 „ 93 423 344 549 300
10000 „ 49900 „ 41746 615 716 100
50000 , 99900 „ 5135 279 987 600
100000 ,„ 499900 „ 3 591 494 688 800
500 000 und darüber „ 370 402 332 400
Rentensparkasse 35 288 5 438 400
599 660 4 202 600 200
Die Wiener Großbanken zeichneten für sich selbst und ihre
Kundschaft zusammen rund 2300 Mill., also über die Hälfte der
Gesamtzeichnung. Davon waren 265 Millionen Eigenzeichnungen.
Auch aus Deutschland wurden erhebliche Beträge gezeichnet.
Setzt man das Ergebnis der ersten Anleihe gleich 100, so ver-
halten sich die Ergebnisse der beiden folgenden Anleihen dazu wie
122 und 190. Bei den drei deutschen Kriegsanleihen beträgt die
Steigerung 100—204— 272,65.
Auch nach der Zeichnung der dritten Kriegsanleihe haben die
Einlagen bei den österreichischen Sparinstituten wieder erheblich
zugenommen. So stiegen allein bei den Wiener Banken und Spar-
kassen die Einlagen vom Jahresbeginn bis gegen Ende November
1915 um 255 Millionen und in der ganzen Monarchie um das Zehn-
fache, also um 2!/ Milliarden K. Bedenkt man, daß diese gewaltige
Zunahme trotz der Zeichnung von insgesamt 9091? Mill. K. erfolgt
ist, so wird man zu dem Urteil gelangen, daß Oesterreich auch
weiterhin zu den produktiven Kräften seiner Volkswirtschaft das
feste Vertrauen haben kann, durch ihre Hilfe alle zur Kriegführung
nötigen Finanzmittel beschaffen zu können.
2. Ungarn.
Die dritte ungarische Kriegsanleihe ward ein wenig
später als in Oesterreich, nämlich in der Zeit vom 17. Oktober bis
17. November 1915 zur Zeichnung aufgelegt und war diesmal nur
eine 6-proz. nichttilgungspflichtige Rente. Sie ist bis
zum 1. Mai 1921 unkündbar, kann aber von diesem Zeitpunkte ab
nach dreimonatiger Kündigung von der Regierung zum Nennwert
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 481
zurückgezahlt werden. Zeichnungen mit Sperrverpflichtung waren
in derselben Weise wie früher zulässig. Die Besitzer solcher ge-
sperrten Stücke können sie zum 1. November 1921 zur Rückzahlung
kündigen. Der Zeichnungspreis war bei Anmeldung mit sofortiger
Vollzahlung bis Ende Oktober 97,10 (gegen 97,50 bei den beiden
ersten Anleihen), bei Anmeldung und Vollzahlung bis zum 17. November
97,40 v. H., bei ratenweiser Einzahlung 98 v. H. Dazu kam noch
die übliche Vergütung von !/,; v. H. In diesen Preis sind die laufenden
Zinsen miteinbeschlossen. Der Ertrag aus dem Besitz von Stücken
der dritten Anleihe beläuft sich hiernach auf nahezu 6,25 v. H., also
auf ebensoviel wie bei der 6-proz. Rente der zweiten Anleihe, gegen
6,10 v. H. bei den 5'/,-proz. Stücken der zweiten Anleihe und 6,18
v. H. bei der ersten 6-proz. Anleihe !). Den Fideikommißbesitzern
wurde gestattet, das Fideikommißgut bis zur Hälfte des Schätzungs-
wertes für Darlehen zur Kriegsanleihezeichnung zu verpfänden, wenn
sie sich schriftlich verpflichteten, dieses nur und vollständig hierzu
zu verwenden, und den Gläubiger dazu ermächtigten. Die Anleihe-
stücke mußten gerichtlich verwahrt und vinkuliert werden.
Das Ergebnis der Zeichnung war in runder Summe 1980 Mill.
K., also um 804663000 K. höher als dasjenige der ersten und um
847466000 K. höher als dasjenige der zweiten Anleihe. Setzt man
auch hier das Ergebnis der ersten Anleihe gleich 100, so verhalten
sich die Ergebnisse der beiden folgenden Anleihen dazu wie 96,35
und 168. An diesem höchst erfreulichen Gelingen hatten Oesterreich
und Deutschland einen erheblichen Anteil. Er wird in sachver-
ständigen Kreisen auf 200 Mill. K. geschätzt. Einen materiellen An-
reiz gab dazu in Deutschland die im Stande der Wechselkurse zum
Ausdruck gelangende Valutadifferenz. So zeichnete z. B. eine Berliner
Firma auf die dritte österreichische und ungarische Kriegsanleihe
zusammen 3 Mill. K. Ein statistischer Nachweis über die Gliederung
der Gesamtzeichnung liegt bisher noch nicht vor.
Die erfolgreiche Ausbringung der dritten österreichischen und
ungarischen Kriegsanleihe wirkte günstig auf das Zustandekommen
einer dritten Valutaanleihe ein. Zur weiteren Erleichterung
der Bezahlung der österreichisch-ungarischen Auslandschulden wurde
Mitte Februar 1916 ein neuer Vertrag mit dem deutschen Bank-
konsortium abgeschlossen, an dessen Spitze die Deutsche Bank, die
Discontogesellschaft und die Bankhäuser S. Bleichröder und Mendels-
sohn u. Co. standen. Auf der anderen Seite waren die österreichische
und die ungarische Postsparkasse vertragschließender Teil. Danach
wurde von dem ersteren zunächst für die Monate Januar und Februar
ein Teilbetrag von 200 Mill. M. zum genannten Zwecke dargeliehen,
wovon 127,2 Mill. auf Oesterreich und 72,8 Mill. M. auf Ungarn ent-
fallen. Bestimmte weitere Anleiheraten, deren Höhe zurzeit nicht
bekannt ist, wurden für die folgende Zeit vertraglich zugesagt und
1) Im ,Oesterreichischen Volkswirt“, Jahrg. 8, Heft 2, S. 22, ist er dagegen für
die zweite und dritte ungarische Anleihe auf 6,28 v. H. berechnet.
Jahrb. f. Nationalök, u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 31
482 H. Köppe,
dadurch der österreichisch-ungarische Valutabedarf für die nächsten
Monate sichergestellt. Schon mit dem Bekanntwerden des bevor-
stehenden Vertragsabschlusses besserte sich im freien Verkehr der
Berliner Börse die Kronenvaluta wieder bedeutend und bewegte sich
alsbald auch der Kurs der österreichischen und ungarischen Anleihen
aufwärts, der durch den Tiefstand der Valuta mitherabgezogen war.
Um dieselbe Zeit wurde zur Einlösung von weiteren, am 1. April 1916
fällig werdenden 150 Mill. K. ungarischen 4!/,-proz. Schatzscheinen
von 1913 deren Besitzern durch die Vermittlung der dem Rothschild-
konsortium angehörenden Berliner Banken der Umtausch in neue
5-proz. Schatzscheine mit 2!/,-jähriger Laufzeit angeboten.
Außerdem aber sah sich die österreichische Regierung veranlaßt,
auf die Regelung der wichtigen Valutafrage selbst und unmittel-
bar Einfluß zu nehmen. Denn mit den mehrfachen deutschen Valuta-
anleihen konnte wohl der Bedarf an deutschen Devisen gedeckt
werden, aber bei dem infolge der ganz gleichartigen Ein- und Aus-
fuhrverhältnisse eigenen Disagio der deutschen Valuta gegen das
neutrale Ausland begreiflicherweise nicht entfernt der Gesamtbedarf
Oesterreich-Ungarns an Auslanddevisen. Auf eine Anregung der
Handels- und Gewerbekammer Brünn verfügte sie im Einvernehmen
mit der ungarischen Regierung, daß vom 1. Januar 1916 ab die Ex-
porteure, denen die Ausfuhr von Ware staatlich bewilligt wird, in
jedem solchen Falle zur Abgabe der daraus zu gewärtigenden aus-
ländischen Valuta an die Oesterreichisch-Ungarische Bank verpflichtet
sind. Ohne die ausdrückliche Uebernahme einer solchen Verpflichtung
wird keine staatliche Ausfuhrbewilligung in Oesterreich-Ungarn mehr
erteilt werden. Auf diese Weise soll die Befriedigung des legitimen
Bedarfs an ausländischen Zahlungsmitteln soweit als möglich gesichert
werden. Diese Regelung liegt also in der Richtung desselben Zieles,
welches in Deutschland die vom Bundesrat angeordnete und am
28. Januar 1916 in Kraft getretene, aber erheblich weitergehende
Regelung des Devisenhandels durch Monopolisierung und amtliche
Kontrollierung desselben verfolgt. Eine ähnliche amtliche Regelung
des Devisenhandels wird überdies auch von den beiden Regierungen
zurzeit geplant. Es sollen zwei Devisen-Abrechnungsstellen in Wien
und Budapest eingerichtet werden, die mit der Devisenzentrale Berlin
Fühlung unterhalten. Die Oesterreichisch - Ungarische Bank trifft
dazu Vereinbarungen mit den Banken wegen einheitlichen Kaufes
und Verkaufes aller Devisen.
v.
Blicken wir zurück, so hatten die drei Kriegsanleihen
Oesterreich-Ungarns das folgende ziffermäßige Ergebnis:
Oesterreich Ungarn
I. Kriegsanleihe 2 200 746 900 K 1175 337 000 K
II. m 2688 321 800 „, 1132534000 „,
In. PR rund 4 202 600 200 „ rund I 980 000 000 ,
9 091 668 900 K rund 4 287 871 000 K
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 483
Das sind zusammen 13379539900 oder rund 13,38 Milliarden
K. Dazu treten die schwebenden Notenbankschulden von
800, 2000 und 2000 Mill. K., von denen die letztere seitens der
österreichischen Regierung Ende 1914 nur in Höhe von 826,8 Mill.
beansprucht war und von seiten der ungarischen Regierung in bisher
nicht bekannt gewordener Höhe in Anspruch genommen worden ist.
Setzt man diese dritte Bankschuld voll ein, so ergibt sich eine
Gesamtkriegsschuld der Doppelmonarchie von 18,18 Mil-
liarden K., anderenfalls schwankt sie um 171, Milliarden herum.
Diese Summen sind, ganz so wie die Erträgnisse der drei deutschen
Kriegsanleihen, im wesentlichen aufgebracht worden durch die
eigene Kraft der beiden Länder Oesterreich und Un-
garn. Diese Kraft ist auf den in jenen Abschlußziffern zum Aus-
druck gelangten Grad dadurch gesteigert worden, daß diese Länder,
ebenso wie das verbündete Deutsche Reich, vom Auslande fast ganz
abgeschnitten, in der Hauptsache ihren gesamten Kriegsbedarf und
ebenso allen Ersatz für die weggefallene Zufuhr von ausländischen
Erzeugnissen selbst erzeugen mußten, die dadurch erzielten Geschäfts-
gewinne und Arbeitslöhne im Lande blieben und nun in der An-
legung in Kriegsanleihe Verwendung fanden. Die großen Erfolge
der deutschen und österreichisch-ungarischen Kriegsanleihen und die
Mißerfolge aller unserer Gegner in der versuchten Aufbringung von
Inlandanleihen erklären sich im wesentlichen aus dieser Ursache.
Natürlich stecken nicht lediglich Verdienste, die durch den Krieg
oder aus Veranlassung des Krieges gemacht wurden, in den Ein-
zahlungen auf Kriegsanleihe.e Es sind auch viele Ersparnisse aus
der Friedenszeit darin enthalten, die entweder noch nicht fest oder
in leicht greifbarer und daher für den Kriegsanleihezweck leicht
realisierbarer Form angelegt waren. Ohne den Zwang zur Selbst-
versorgung in bezug auf den militärischen wie den bürgerlichen Be-
darf wäre ein solcher Erfolg aber nicht erzielbar gewesen. Das Geld
blieb im Lande, anstatt als Bezahlung ins Ausland zu gehen. Es
erzeugte eine so gewaltige Geldflüssigkeit, daß, wie gerade das Bei-
spiel Oesterreich-Ungarns zeigt, auch nach jedesmaliger, noch so
starker Aufsaugung enormer Massen durch den Riesenschwamm der
Kriegsanleihe doch alsbald wieder neue Geldmengen in den geleerten
Behälter hineinflossen und sich zu neuen, für die nächste Kriegs-
anleihe bereiten Vorräten aufhäuften. Dementsprechend waren die
Zinssätze auf dem offenen Geldmarkte andauernd sehr niedrig.
Kredit war gegen beste Wechsel unter 2 v. H. zu haben. Die große,
selbst gegen die Jahre angespanntester Hochkonjunktur gewaltig ver-
mehrte Masse der zu Zahlungszwecken vom Staate ausgegebenen
Noten strömte aber auf dem Wege der wiederholten Kriegsanleihe-
zeichnung immer wieder zum Staate zurück und wurde dadurch ge-
hindert, volkswirtschaftlichen Schaden anzurichten, so insbesondere
die durch Ursachen, welche auf seiten der Waren selbst lagen (Roh-
stoffknappheit, Arbeitermangel usw.), schon stark steigenden Waren-
preise noch höher, in Form einer Entwertung der im Verkehr
31*
484 H. Köppe,
durch ihre Masse auf die Preise drückenden papierenen Geldzeichen,
steigen zu lassen. Ferner die in der Kriegszeit ohnehin mit ge-
schärften Sinnen auf der Lauer liegende Spekulation noch stärker
anzureizen und manövrierfähig zu machen.
Der Einzelne, der die Kriegsanleihe zeichnet und bezahlt, weiß
gar nicht, und hat es zu wissen auch weder für sich noch für die
Allgemeinheit nötig, welchen vielfachen volkswirtschaftlichen
Nutzen er damit, neben dem allen Zeichnern ja mit Recht als Ziel
vorschwebenden Nutzen für den glücklichen Ausgang des Krieges
stiftet. In der Hand des Staates erlangt das Papiergeld aller Arten
erst die rechte Verwendungsfähigkeit im Hinblick auf die gesamten
Kriegsverhältnisse. Der Staat, schon im Frieden der weitaus größte
Arbeitgeber, ist jetzt die zentrale Arbeitgeberstelle in dem höheren
Sinne geworden, daß die die Gütererzeugung regelnde Güter-
nachfrage bei ihm sich in beherrschender Fülle konzentriert. Er
ist der große Verbraucher, hinter dem alle andere Nachfrage weit
zurückbleibt.e. Er braucht daher Zahlungsmittel in gegen die Frie-
denszeit unerhörten Mengen, und indem er sie in Zahlung gibt, regt
er den ganzen Kreislauf der Gütererzeugung und -verzehrung an,
bestimmt er maßgebend den ganzen volkswirtschaftlichen Prozeß,
auch da, wo ihm Kriegsgesetze und -verordnungen nicht zur Seite
stehen. Der Anleiheweg ist aber der Weg für ihn, diese Unmassen
Papiergeld für seine Kriegswirtschaftszwecke in die Hand zu be-
kommen. Anderseits geht aus der Tatsache, daß er sie nötig braucht,
klar hervor, daß die Schaffung so gewaltiger Papiergeldmengen
eine unbedingte Notwendigkeit ist und daher die darauf zielenden
Maßnahmen weder vom volkswirtschaftlichen noch vom ethischen
oder von sonst einem Standpunkte aus zu tadeln sind. Wieweit er dabei
gehen kann, ohne die metallische Grundlage, insbesondere der Bank-
notenausgabe, zu gefährden, ist eine berechtigte Frage, aber eine Frage
für sich. Durch sie werden nur die Grenzen erkennbar angedeutet,
bis zu denen er ohne Gefahr für die Währung und für den Staats-
kredit gehen darf. So ist dieser Kreislauf der papierenen Wert-
zeichen von der Ausgabestelle durch die Kanäle der Volkswirtschaft
und wieder zurück zum Staate, dem die Volkswirtschaft damit ihr
verfügbares Kapital zum Zwecke der Kriegführung überläßt, eine
kriegswirtschaftliche Notwendigkeit allerersten Ranges. Der ganze
wirtschaftliche Zirkulationsprozeß ist durch die Veränderung der
Zwecke der Volkswirtschaft umgestaltet worden, und auch der Geld-
umlauf vollzieht sich demgemäß in neuen Richtungen und Bahnen.
Die Banknote, die jetzt infolge ihrer Uneinlösbarkeit einerseits und
ihrer Vermehrung andererseits in der Hauptsache „das Geld“ ist, ist
damit zugleich die Form, in der das Volk dem Staate die Ver-
fügungsmacht über seine Güter einräumt. Der Staat benötigt diese
Güter in gewaltigem Umfang. Er zwangsenteignet sie aber nicht
(oder doch nur teilweise), sondern erwirbt und bezahlt sie mit pa-
pierenem Gelde. Daß Geld zum Kriegführen gehört, ist nur ein
konventioneller Ausdruck für die zugrunde liegende Tatsache, daß
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 485
enorme Sachmittel zur Kriegführung benötigt werden und ihre Be-
schaffung im Umtausch gegen gedruckte Schuldverschreibungen er-
folgt. Zum kleineren Teile stellt diese der Staat selbst aus, zum
weitaus größten Teile die Zentralnotenbank, die ihm ihren Kredit
für diesen Zweck auf der Grundlage der zeitweiligen Uneinlösbarkeit
dieser Schuldversprechen einerseits und der Begrenzung ihrer Kredit-
gewährung durch die den Zuständen der Kriegszeit angepaßten De-
ckungsvorschriften anderseits zur Verfügung stellt. Im besetzten
Feindeslande tritt dafür die Bezahlung mit Requisitionsscheinen ein,
die der besiegte Staat nach Friedensschluß einzulösen hat.
So muß denn auch die nach Kriegsausbruch in allen krieg-
führenden Staaten eingetretene Notwendigkeit, zunächst die Hilfe
der Notenbank in Anspruch zu nehmen, woraus sich überall eine
erhebliche Vermehrung des Notenumlaufs ergab, einer ruhigen Be-
urteilung unterliegen. Hierdurch wurden die Mittel der Zeichnung
und Einzahlung der Kriegsanleihen erst in dem für ein möglichst
glänzendes Ergebnis erforderlichen Umfange geschaffen. Dies ganz
abgesehen davon, daß der Bedarf an Zahlungsmitteln — von denen,
außer der Scheidemünze, für die Kriegsdauer nur papierene in Be-
tracht kommen können — sofort mit Kriegsbeginn aus rein sach-
lichen, innerlich gerechtfertigten Gründen ganz außerordentlich an-
schwillt. Nur erwächst die Pflicht gehöriger Begrenzung des Noten-
umlaufs bei drohender übermäßiger Ausdehnung desselben, zur Ver-
hütung der sonst zu gewärtigenden Gefahren und Mißbräuche. Sie
erfordert keine künstlichen Maßnahmen, wenn die Noten immer
wieder in Kriegsanleihekapital umgewandelt werden.
Wie für den Staat, so ist auch für den Besitzer ersparten Geldes
eine zwingende Notwendigkeit gegeben, dieses dem Staate kredit-
weise für die Aufbringung des vielseitigen Kriegsbedarfs an Sach-
gütern aller Arten zu überlassen. Nicht nur vom staatsbürgerlichen,
vaterländischen, sondern auch vom privatwirtschaftlichen Standpunkte
aus. Es ist ein Gebot der Selbsterhaltungspflicht. Schützt der Staat
mit den Mitteln erfolgreicher Kriegführung die ganze Volkswirtschaft,
so auch deren einzelne und selbst kleinste Glieder. Ueberdies wäre
es, wie der jetzige Österreichische Handelsminister und frühere Di-
rektor der Kreditanstalt Spitzmüller in einer Generalversammlung
treffend ausgeführt hat!), „ein verhängnisvoller Irrtum, zu glauben,
daß zu einer Zeit, wo der Staat der größte Schuldner der Notenbank
ist, die Banknote ihren Wert besser zu behaupten vermöge als die
Schuldtitres des Staates“. Daß die in der unvermeidlichen enormen
Vermehrung der Zahlungsmittel liegende „überschüssige Kaufkraft“
außerdem eine Gefahr für deren Besitzer bedeutet, nämlich die Ge-
fahr der Entwertung — „der Verleitung, übermäßige Preisforde-
rungen zu bewilligen“ — und damit der Steigerung der Preise aller
Güter zu einer Zeit, „wo durch rasche Aufzehrung der Vorräte und
verminderte Produktion und Güterzufluß eine allgemeine Güterknapp-
1) Vgl. „Oesterr. Volkswirt“, Jahrg. 7, No. 34, S. 571.
486 H. Köppe,
heit eintritt“, ward oben schon dargelegt. „Diese Teuerung der Güter
bedeutet aber für die Eigner von Geld eine Entwertung ihres Ver-
mögens und Einkommens, und dieser Entwertung kann nur entgegen-
gewirkt werden, wenn eben die überschüssige Zahlkraft möglichst
beseitigt wird. Das aber kann nicht anders als durch Umwandlung
von Banknoten und anderen Sparkapitalien in Kriegsanleihe ge-
schehen.“
Würde das Volk nicht — bewußt oder aus seinem gesunden
nationalen und wirtschaftlichen Instinkte heraus oder auch dank der
Aufklärungsarbeit — diesen Weg einschlagen, so bliebe als einziger
Weg derjenige übrig, den unsere Feinde, von der mühsam zustande
gebrachten englisch-französischen 500 Mill. Dollar-Anleihe in Amerika
abgesehen, in der Hauptsache einschlagen mußten: dieNotenpresse.
Sei es mittelst direkter Vorschußgewährung sei es mittelst fort-
gesetzter Uebernahme von kurzfristigen Schatzscheinen müßte die
Notenbank einspringen. In jedem dieser beiden Fälle wäre eine
enorme Notenvermehrung die Folge, die nicht so sehr an sich ein
Uebel wäre, als vielmehr deshalb, weil der Rückfluß in der Form
von Kriegsanleihen-Einzahlung an den Staat dabei wegfiele. Inflation,
maßlose Preissteigerungen, exzessive Spekulationen würden Platz
greifen, ganz abgesehen von der augenfälligen und für alle Zeiten
übel wirkenden Schwäche des Staatskredits eines Landes, dessen
Bürger ihm. wie namentlich diejenigen Frankreichs, nicht das finan-
zielle Vertrauen schenken, dessen er zur Durchführung des Krieges
bedarf. Kehren dagegen die Banknoten in regelmäßigem Turnus
gegen die Ausgabe von Kriegsanleihestücken immer wieder zurück
in die Staatskasse, so kann der Staat, wenn auch nicht ohne jede
Verschuldung bei der Notenbank, so doch unter angemessener ziffer-
mäßiger und zeitlicher Begrenzung derselben die Kosten der Krieg-
führung bestreiten. Der Notenumlauf wird dann immer wieder ver-
mindert, so oft sein Wachstum zur Gefahr zu werden droht. Er
wird damit auch immer wieder seiner Unterlage, der metallischen
Deckung, angenähert.e. Und beim Friedensschluß steht man nicht
vor den Riesenschwierigkeiten der Wiederherstellung normaler Wäh-
rungs- und Geldumlaufsverhältnisse, die im entgegengesetzten Falle
sich auftürmen und die Uebel des Krieges noch lange in der Frie-
denszeit fortwirken lassen.
Diese Betrachtungen waren besonders deshalb angebracht, weil
man auf Grund ihrer die Tatsache, daß in Oesterreich-Ungarn, im
Gegensatz zu Deutschland, wo nur vollbezahlte Stücke beleihbar sind,
die Zeichnung von Kriegsanleihe durch die Lombardierung der ge-
zeichneten Stücke selbst ermöglicht worden ist, nicht tragisch zu
nehmen braucht. Federn sagt mit Recht darüber (im „Oesterr. Volks-
wirt“, Jahrg. 8, No. 9, S. 131/2): „Die Banknoten, dieinfolge der Lombar-
dierung von Kriegsanleihen in Umlauf gelangen, brauchen uns nicht
zu erschrecken. Sie ersetzen Banknoten, die von den Staatsverwal-
tungen selbst im Vorschußweg aus der Bank geholt worden sind
oder geholt werden mußten. Und für ihre möglichst rasche Rück-
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 487
zahlung sorgt das eigenste Interesse der Erwerber der lombardierten
Kriegsanleihen, während die Abzahlung der Vorschüsse, die der Staat
in Anspruch genommen hat, also die Tilgung der dafür ausgegebenen
Banknoten, sich viel schwerer vollzieht, weil sie nur auf dem Wege der
Begebung neuer Anleihen oder durch die laufenden Ausgaben über-
steigende Steuern sich vollziehen kann.“ Die Notenbank schießt
also zwar selbst die Noten vor, die zur Einzahlung dienen, aber die
wohltätige Rückströmung der Noten zur Staatskasse wird dadurch
nicht ausgeschlossen, sondern nur bis zu dem sicheren und nahen
Zeitpunkte hinausgeschoben, an dem der Darlehnsnehmer das Dar-
lehen zurückzahlt. Daß der Staat die Zeichnungen durch Gewährung
solcher Kreditmöglichkeit fördert, ist sein gutes Recht und seine
Pflicht gegen sich selbst. Die interimistische Schuld des Zeichners
bei der Notenbank oder Darlehenskasse erspart dem Staate die Not-
wendigkeit, sich bei der ersteren noch weiter zu verschulden. Das
vorübergehende Eintreten der Notenbank zur gesicherten und mög-
lichst umfassenden Erreichung des Zweckes der Kriegsanleihe ist
angesichts der gewaltigen Bedeutung dieses Zweckes für den Bestand
und die Sicherheit des Staates durchaus gerechfertigt. Unsere Feinde
verfahren genau ebenso, kommen aber ihren Zeichnern dabei sehr
viel weiter entgegen. So gewährt England dieselbe Beleihung zum
vollen Nennwerte der Stücke und zu einem Zinssatz von 1 v. H.
unter dem Bankdiskont und auf 3 Jahre, während die Oesterreichisch-
Ungarische Bank die Stücke nur bis zu 75 v. H. des Nennwertes
und zum Bankzinsfuß beleihet, an den sie auch nur bis zu einem
Jahre nach der letzten Einzahlung gebunden ist.
Die Betrachtung des Ergebnisses der österreichisch-ungarischen
Kriegsanleihen legt unwillkürlich eine Vergleichung mit dem-
jenigen der deutschen Kriegsanleihen nahe. Man muß sich
dabei aber stets bewußt bleiben, daß die wirtschaftlichen Kräfte der
beiden Monarchien sehr verschieden sind und demgemäß auch die Er-
gebnisse ihrer Kriegsanleihen voneinander abweichen müssen. Das
österreichisch-ungarische Volksvermögen wird auf 126—150 Milliar-
den K. = 107,10—127,50 Milliarden M. geschätzt (1 K. = 0,85 M.
gerechnet). Das deutsche schätzt Helfferich auf nahe an 300 Mil-
liarden M. Nimmt man für die erstere Schätzung den Durschnitt
von 117,30 Milliarden M. an, so verhält sich das deutsche zum öster-
reichisch-ungarischen Volksvermögen wie 100:39,10. Dagegen ver-
hält sich der Ertrag der deutschen Kriegsanleihen mit 25,72 Mil-
liarden M. zu demjenigen der österreichisch-ungarischen mit 13,38
Milliarden K. oder 11,37 Milliarden M. wie 100:44,20. Es ist also
das Ergebnis der Kriegsanleihen unseres Verbündeten sonach um
5,10 v. H. höher, als es nach diesem Vergleichungsmaßstabe sein
müßte. Dazu kommt nun aber noch, daß das Volksvermögen durchaus
nicht der exakte Indikator der produktiven Kräfte eines Volkes,
sondern nur ein, wenn auch besonders wichtiges, Ergebnis ihrer Wirk-
samkeit ist. Es läge gleich nahe, das Volkseinkommen als Maß-
stab zu wählen, da ja die Kriegsanleihen zum Teil aus diesem, zum
488 H. Köppe,
Teil aus den realisierungsfähigen Bestandteilen des Volksvermögens
aufgebracht werden. Allein es bedarf keiner Heranziehung weiterer,
doch mehr oder weniger unvollkommener Maßstäbe. Wir sahen
schon, daß in Oesterreich und noch mehr in Ungarn der nicht oder
nur sehr schwer realisierbare Teil, nämlich der Grundbesitz, einen
erheblich größeren Teil des Volksvermögens bildet als in Deutsch-
land. Ueberdies weist Landesberger mit Recht darauf hin, daß in
wichtigsten Zweigen der nationalen Wirtschaft, wie in der Kohlen-,
Eisen- und Maschinenproduktion, in der auf den Eisenbahnen be-
förderten Gütermenge, im Außenhandel usw. Oesterreich - Ungarn
wesentlich hinter der von ihm mit 1:2!/, berechneten Proportion
zurückbleibt, und daß auch weit größere Gebietsteile Oesterreichs
als Deutschlands stark vom Kriege in Mitleidenschaft gezogen sind.
Von anderer Seite werden die größere Verteuerung aller Bedarfs-
artikel in Oesterreich und die Verschiedenheiten der Kriegskosten
Oesterreich - Ungarns und Deutschlands angeführt !). Selbst wenn
man die wirtschaftlichen Kräfte vergleichhar messen könnte, würde
also, da deren wirksame Entfaltung durch besondere Umstände im
Frieden und erst recht im Kriege in den verschiedensten Hinsichten
und Richtungen und in ganz verschiedener Weise und Stärke ge-
fördert oder aber gehemmt sein kann, kein praktisch brauchbares
Ergebnis zutage kommen ’?). Ebensowenig natürlich bei Vergleichung
der Leistungsfähigkeit und der Kriegsanleiheergebnisse Oesterreichs
einerseits und Ungarns anderseits — etwa unter Hinblick auf das
(nur bei der ersten Anleihe mit 65:35 annähernd erreichte, bei der
zweiten 70,37:29,63 und bei der dritten 67,97:32,03 betragende)
gesetzliche Quotenverhältnis von 63,60:36,40 ®). Es läßt sich nur
in großem Ueberblick über die das Wirtschaftsleben Oesterreich-
Ungarns und Deutschlands bestimmenden Faktoren und über die be-
kannten oder wenigstens schätzbaren Ergebnisse ihrer Wirksamkeit
sagen, daß Oesterreich-Ungarns Kriegsanleihe-Erträgnisse Leistungen
sind, die denjenigen Deutschlands nach dem beiderseitigen Kräfte-
verhältnis nicht nachstehen. Daher trifft Landmann *) nicht das
Rechte, wenn er sagt, daß Oesterreich-Ungarns Volkswirtschaft dem
Staate die Mittel vorenthalten habe. und als Ursache angibt: „Hinter
der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft, hinter dem Reichtum der
Gesellschaft ist zurückgeblieben das lebendige Gefühl ihrer Solidarität
mit dem Staate, das im Frieden zur Steuerwilligkeit, im Kriege zur
Bereitwilligkeit führt, die Kapitalreserven der Wirtschaft in der
Form von Kriegsanleihen an den Staat dahinzugeben.“ Gewiß hätte
sich noch manches herausholen lassen aus der Volkswirtschaft, aber
1) Vgl. „Oesterr. Volkswirt“, Jahrg. 7, No. 36, S. 604.
2) Darüber, daß die Produktivität Oesterreich-Ungarns lange nicht so entwickelt
ist, wie sie sein sollte und könnte, vgl. auch Friedrich Naumanns „Mitteleuropa“,
S. 116 ff.
3) Die ungarische Landwirtschaft soll noch erheblich hinter der österreichischen
hinsichtlich der Anleihebeteiligung zurückgeblieben sein, trotz ihrer bedeutenden Kriegs-
lieferungsgewinne, woran zum Teil ihrer geringen finanziellen Schulung schuld gegeben
wird („Oesterr. Volkswirt“. Jahrg. 7, No. 36, S. 604).
4) a. a. O. S. 301.
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 489
in dieser Allgemeinheit ist das Urteil viel zu hart. Gerade das So-
lidaritätsbewußtsein hat sich in Oesterreich- Ungarn in einer nach
allen voraufgegangenen inneren Reibungen und Konflikten über-
raschenden Stärke geoffenbart. Zudem besteht die Hoffnung, daß
man die auf der technischen und der organisatorischen Seite der
Kriegsanleihenbegebung gemachten Erfahrungen mit Erfolg für die
nächsten Kriegsanleihen verwerten wird.
Herauszuholen ist vor allem noch viel bei dem Großgrund-
besitz und dem Hochadel, die ja großenteils zusammenfallen.
Daß diese Kreise auch nicht entfernt nach ihrer Leistungsfähigkeit
gezeichnet haben, darüber wird allgemein geklagt. Ob eine Ver-
stimmung über die zur teilweisen Deckung der Kriegskosten am 15. Sep-
tember 1915 erfolgte Erhöhung der Erbschaftsgebühren, wie be-
hauptet wird, oder der Hinblick auf schlechte Erfahrungen mit
immobiliarer Verschuldung oder andere subjektive Momente daran
schuld sind, kann dahingestellt bleiben. Die öffentliche Kritik kann
hier viel nützen. Daß die tschechischen Kreditinstitute
namentlich bei der ersten Anleihe auffallend wenig vermittelt und
selbst gezeichnet haben, soll durch ihre starke Festlegung in Im-
mobilien bedingt sein. Hier wie dort läuft die Frage also zu einem
großen Teile auf das wichtige Problem hinaus, wie dem Grund-
besitz die Beteiligung an den Kriegsanleihen noch wirksamer als
bisher erleichtert werden kann. Diese Frage ist zweifellos die
bedeutsamste für die weitere Dauer des Krieges. Auf ihre Lösung
kann hier nicht weiter eingegangen werden. Es sei aber wenigstens
erwähnt, daß vorgeschlagen wird, die Darlehnskassen zur direkten
Beleihung von Immobilien zu billigem Zins und auf mehrere Jahre
zu ermächtigen, zumal sie bisher nur wenig für Kriegsanleihen in
Anspruch genommen worden sind, während die Bodenkreditinstitute
in ihren normalen Funktionen jetzt vielfach behindert sind. Auch
wird mit Recht darauf hingewiesen, daß solche Kredite ja nur für
den vierten Teil des gezeichneten Betrages nötig sind, da für drei
Viertel die Anleihe selbst lombardiert werden kann !). Die Bauern
müssen von den Raiffeisen- und anderen landwirtschaftlichen Or-
ganisationen in systematischer Weise beeinflußt werden, daß sie von
der Gewohnheit der Bargeldaufhäufung ablassen, ihre Gelder zum
Nutzen für den Einzelnen wie für die ganze Landwirtschaft, die die
Befruchtung mit Kapital recht gut vertragen kann, anlegen und vom
Wesen und der Bedeutung der Wertpapiere und dem Umgang mit ihnen
wenigstens so viele Anschauung erhalten, als ihre staatsbürgerlichen
Pflichten, vor allem in der Kriegszeit, es erfordern. Das schwache
Ergebnis der zweiten ungarischen Kriegsanleihe, so erfreulich seine
Wettmachung durch dasjenige der dritten ist, rechtfertigt diese
Forderungen für Ungarn ganz besonders. Denn man darf nicht ver-
gessen, daß der Erfolg der dritten Anleihe wesentlich auf Rechnung
der eben vor der Zeichnung eingebrachten guten Ernte mit reichem
Verdienst zu setzen ist. Auf alle Fälle ist jedoch zu wünschen, daß
1) „Oesterr. Volkswirt“, Jahrg. 7, No. 33, S. 544. und No. 34, S. 571.
490 H. Köppe,
die Mobilisierung des Bodens nur für die Zeit und die Zwecke des
Krieges erleichtert wird, da die Verschuldung und Ueberschuldung
sehr großer Teile des Grundbesitzes schon außerordentlich groß ist
und ihre verhängnisvollen Folgen übergenug zu spüren sind. Die
Sprödigkeit des österreichischen Bodenrechts ist ein Halt gegen ein
weiteres Hinabgleiten auf schiefer Bahn, der dauernd nicht hinweg-
genommen werden sollte.
Von Interesse dürfte eine Uebersicht über die Beteiligung
der kleinen Zeichner — Privatpersonen und Firmen, für
Oesterreich einschließlich der Rentensparkasse — an den öster-
reichisch-ungarischen Kriegsanleihen sein. Solche sei nachstehend
gegeben, doch mit Ausschluß der dritten ungarischen Anleihe, deren
Statistik, wie erwähnt, noch nicht vorliegt. Die Gliederung ist in-
sofern ein wenig verschieden, als in Oesterreich die Zeichnungen
bis zu 1900 K., in Ungarn bis zu 1950 K. zusammenfaßbar sind.
Zeichner bis 1900 Ihr Prozentsatz
(in Un bie yondarG tzahl Ihre Zeichnungs- In Prozenten der
1950) K. aller Zeichner pumme Gesamtzeichnung
Oesterreich.
I. Anleihe 310 698 72,10 160 961 500 K. 7,31
II. Anleihe 268 829 67,80 173 848 900 „, 6,41
III. Anleihe 438 o61 73,00 194 200 600 „, 4,62
Ungarn.
I. Anleihe 310 827 81,39 137 954 000 „, 11,70
II. Anleihe 310 199 80,40 161 984 000 „, 14,20
Innerhalb der österreichischen Anleihen ist die Zahl der
kleinen Zeichner bei der zweiten Anleihe gegen die erste — ebenso
wie die Zahl der Gesamtzeichner — absolut und relativ zurückge-
gangen, bei der dritten absolut gegen die beiden ersten sehr, relativ
dagegen nur wenig gestiegen. Die von ihnen gezeichneten Beträge
sind — wie auch die Gesamtsummen aller Zeichnungen — absolut
beide Male gestiegen, relativ beide Male gefallen. Im Verhältnis
der beiden ungarischen Anleihen ist die Zahl der kleinen Zeichner,
trotzdem die Gesamtzahl aller Zeichner ein wenig gestiegen ist, ab-
solut und relativ etwas zurückgegangen, während die von ihnen ge-
zeichnete Summe absolut und relativ sogar ziemlich erheblich ge-
stiegen ist. Daraus geht hervor, daß die kleinen Zeichner am
Rückgang des Erträgnisses der zweiten ungarischen Anleihe nicht
schuld sind.
Ueber die Verzinsung der Kriegsanleihen ist zu sagen, daß
sie für beide Länder durchaus den Verhältnissen angemessen er-
scheint. Da Oesterreich, wie erwähnt, zuletzt und kurz vor dem
Kriege 4'/,-proz. Schatzanweisungen zu 95,25 v. H. aufgelegt hatte,
so entsprach die um 1 v. H. höhere Verzinsung der veränderten
politischen und wirtschaftlichen Lage der Kriegszeit wie auch dem
berechtigten Streben, einen ausreichend starken Anreiz zur Zeichnung
zu geben. Mit Rücksicht auf den Ausgabekurs und die Rückzahlungs-
frist stellt sich auch der tatsächliche Ertrag aus dem Besitz der drei
österreichischen Kriegsanleihen nur um etwa 1 v. H. höher als der
aus jener letzten Friedensanleihe.e Für Ungarn war die höhere,
Die Kriegsanleihen Oesterreich-Ungarns. 491
nominal 6-proz. Verzinsung angebracht, nachdem es, wie gleichfalls
erwähnt, seine letzte Friedensanleihe zwar auch zu 4!/⁄ v. H, aber
mit dem niedrigeren Uebernahmekurs von 88,25 für die Banken und
Zeichnungspreis von 90,75 aufgelegt hatte. Der Ertrag aus dem
Besitz der drei ungarischen Kriegsanleihen unterscheidet sich jedoch
nur ganz unerheblich sowohl im Verhältnis dieser selbst unterein-
ander als auch aller drei gegen den Ertrag aus dem Besitz der öster-
reichischen Kriegsanleihen. Das zeigt die nachstehende Zusammen-
stellung dieser Erträge:
Oesterreich Ungarn
I. Kriegsanleihe 6,22 6,18
II. ii 6,20 6,10 | 5’/,-proz. Anleihe
fast 6,25 | 6-proz. N
II. i 6,25 „ 6,25
Vergleicht man den Ertrag aus den deutschen Kriegs-
anleihen damit, so ist dieser bei der ersten Anleihe 5,13 v. H.,
bei Berücksichtigung des Kapitalgewinns aus der Rückzahlung aber
5,38 für die Anleihe und 5,63 für die Schatzanweisungen. Uebrigens
war ihr Ausgabekurs derselbe wie derjenige der ersten österreichischen
und der ersten ungarischen Kriegsanleihe, doch ohne die Vergütung
von 5/, und !/ v. H. an die Zeichner der beiden letzteren, nämlich
97,50. Für die beiden folgenden deutschen Kriegsanleihen stellt sich
der Ertrag nur ganz unwesentlich niedriger dadurch, daß deren
Ausgabekurs etwas höher, nämlich 98,50 und 99 v. H. war. Der
Ertrag aus dem Besitz der deutschen Kriegsanleihe stellt sich also
um ein wenig mehr als 1 v. H. höher, und zwar bei der ersten
deutschen Anleihe, nach dem Durchschnitt berechnet, um 1,07 v. H.
Dieser Unterschied ist nur um nicht ganz !/⁄ v. H. — speziell bei
der ersten Anleihe um 0,32 v. H. — größer als derjenige des Er-
trages der beiderseitigen Friedensanleihen. Der Zinsfuß der öster-
reichischen Staatsanleihen war nämlich vor dem Kriege in der Regel
um nominal t v. H. und ihre Rentabilität um °\, v. H. über dem
Stande der deutschen Reichsanleihen.
Die österreichische Staatsschuld war nach dem Be-
richte der Staatsschulden-Kontrollkommission am 31. Dezember 1914
um 4956,79 Mill. K. angewachsen und hatte dadurch einen Stand
von 17960,86 Mill. K. erreicht. Die gesetzliche Schuldentilgung ist,
wenigstens i. J. 1914, durch den Krieg nicht unterbrochen worden.
Sie betrug 87,95 Mill. K., um welchen Betrag die Schuld also sonst
noch höher sein würde. Von der eigentlichen Schuldenvermehrung
um 4956,79 + 87,95 = 5044,74 Millionen entfallen auf:
verziusliche Schatzanweisungen (I. Kriegsanleihe) 2200,74 Mill. K.
Lombarddarlehen bei der Notenbank 1782,00 „
Solawechsel PR 3 826,80 „
Schatzwechsel 235,00 u >
Von der Gesamtschuld der 17960,86 Millionen entfallen 5369 Mill.
auf die „Allgemeine Staatsschuld“, zu der Ungarn einen Jahres-
beitrag von rund 58,5 Mill. K. zu leisten hat. Die Verzinsnng der
Gesamtschuld wuchs von jährlich 517,785 auf 700,617 Mill. K.
492 Philipp Spitz,
VI.
Das Problem der allgemeinen Grundrente
bei Ricardo, Rodbertus und Marx.
Von
Dr. Philipp Spitz.
I
Die allgemeine Grundrente als Naturmonopolrente
bei David Ricardo.
Inhalt: A. Darlegung. 1. Fragestellung. 2. Die Entwicklung der Gesell-
schaft bis zu ihrem stationären Zustande. 3. Der stationäre Zustand der Gesell-
schaft. 4. Die allgemeine Grundrente vor und nach Eintreten des stationären Zustandes.
B. Kritische Betrachtungen. 1. Inkonsequenzen Ricardos. a) Die „mäßige Rente".
b) Die Bodenmonopolpreisrente. 2. Die Naturmonopolrente im stationären Zustande der
Gesellschaft. 3. Das Grundeigentum im Systeme Ricardos.
A. Darlegung.
1. Fragestellung.
Die Grundrente, das auf bloßem Bodenbesitz beruhende Ein-
kommen des Grundeigentümers, wird hier allgemeine Grundrente ge-
nannt, sofern sie Bestandteil des Preises der Bodenprodukte ist. Als
Preisbestandteil ist sie den Bodenprodukten ebenso gemein wie deren
Preis.
Mag die Preiserscheinung wie immer erklärt werden, es ist
möglich, die Grundrente in zweifacher Weise als ihren Bestandteil
zu denken:
1) Die Grundrente geht in den Preis ein, erhöht diesen; der
Preis ist sekundär, zusammengesetzt, die Grundrente ist primär, ein-
fach. Ist der Preis hoch, weil die Grundrente groß ist, so nennen
wir die allgemeine Grundrente ursprüngliche allgemeine Grundrente.
2) Die Grundrente ist im gegebenen Bodenproduktpreise ent-
halten; sie ist Folge des primären Preises; sie kann aus dem Preis-
ganzen herausgelöst werden und kann deshalb abgeleitete allgemeine
Grundrente genannt werden.
Man muß in bezug auf die Grundrente demnach folgende drei
Fragen stellen:
1) Ist die Grundrente überhaupt allgemein, d. h. Bestandteil des
Bodenproduktpreises ?
2) Geht die Grundrente in den Preis ursprünglich ein?
3) Oder ist sie aus dem Preise abzuleiten ?
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 493
Ricardo unterscheidet nun den natürlichen Preis vermehrbarer,
vom Seltenheitspreis unvermehrbarer Produkte. Der natürliche Preis,
der bei konstantem Geldwert nichts anderes ist, als der Geldausdruck
des „natürlichen Wertes“, wird von der Konkurrenz der Käufer und
Verkäufer untereinander und miteinander in der Weise reguliert,
daß sich die durch menschlichen Fleiß vermehrten Produkte nach
denjenigen Arbeitsmengen tauschen, welche zu ihrer Produktion er-
forderlich waren. Im Gegensatz dazu haben die Waren „dann einen
Monopolpreis, wenn sich ihre Menge auf keinerlei Weise vermehren
läßt, und wenn sich infolgedessen die Konkurrenz ganz auf einer
Seite, auf der der Käufer befindet“ !). „Ihr Preis hat zu ihrem natür-
lichen Wert keine notwendige Beziehung“ ?); denn er ist „von der
ursprünglich zu ihrer Erzeugung erforderlich gewesenen Arbeitsmenge
völlig unabhängig und variiert nur mit der Veränderlichkeit des
Wohlstandes und dem Wechsel in den Neigungen derjenigen, für
welche sie begehrenswert erscheinen“ 3).
Der ersten Frage, ob die Grundrente überhaupt Bestandeil des
Preises der Bodenprodukte ist, mußte Ricardo die andere Frage ent-
gegenstellen: Bestandteil welches Preises, des „natürlichen Preises“
oder des Monopolpreises? Er mußte weiter fragen: Ist die Grund-
rente ursprünglicher oder ableitbarer Bestandteil des natürlichen bzw.
des Monopolpreises ?
Diese Unterfragen brauchte z. B. der subjektive Werttheoretiker
nicht zu stellen. Zwar kann auch er Monopolpreise und Kon-
kurrenzpreise unterscheiden, aber er kennt nur einen Preisbildungs-
faktor, die Schätzung, und alle Unterschiede berühren lediglich die
Preisgröße. Monopolpreis und Konkurrenzpreis sind qualitativ Preis,
haben also den konstituierenden Faktor der Preisqualität gemeinsam,
weil sie durch ihn als Preise konstituiert werden. Infolge bestimmter
Gestaltung der Quantitätsverhältnisse auf der Angebot- und Nach-
frageseite mögen Preisgrößen fixiert werden, die als Konkurrenz-
preise und Monopolpreise unterschieden werden mögen. Der Monopol-
preis möge der größere Preis sein, aber er ist Preis wie jeder andere
und ist qualitativ so bestimmt wie jeder andere Preis. Auf den Be-
stimmungfaktor der Preisqualität aber kommt es hier an. Der sub-
jektive Werttheoretiker kennt nur einen, die Schätzung; Ricardo
dagegen zwei, Arbeit als Bedingung des natürlichen Preises der freien
Konkurrenzgüter, und „Wohlstand“ und „Neigung“ *) derjenigen, für
welche seltene, „durch menschlichen Fleiß nicht vermehrbare“ Güter
begehrenswert erscheinen.
Es ist demnach bei Ricardo zu unterscheiden zwischen der all-
gemeinen Grundrente als ursprünglichem oder ableitbarem Bestandteil
des natürlichen Preises und des Monopolpreises.
1) Works (MeCulloch) 150 (Uebersetzung Thiele 251).
2) Works 234 (396).
3) Works 10 (10).
4) Works 10 (10).
494 Philipp Spitz,
a) Die Frage nach der ursprünglichen allgemeinen Grundrente
bei Ricardo.
Der natürliche Preis ist ein ursprüngliches Ganzes, das durch
ein Element, Arbeit, konstituiert wird, nicht in dem Sinne, als ob
nach Ricardo die Arbeit Wert schaffe, sondern in dem speziellen
Sinne Ricardos: der natürliche Preis ist „bestimmt“, „abhängig“ von
der aufgewandten Arbeitsmenge. Die Waren tauschen sich nach den
für ihre Produktion aufgewandten Arbeitsmengen. Die Ware Ri-
cardos ist nützliches Ding und Wert. Als Wert ist die Ware nicht
Produkt von irgendwie beschaffener Arbeit, sondern ein nützliches
Ding wird zur Ware, weil es sich nach Arbeit tauscht.
Hier interessiert uns die Ursprünglichkeit des Wertes. Er ist
nach Ricardo ein, wenn auch nicht von Arbeit geschaffenes, so doch
von der Arbeit abhängiges Ganzes, für das Ricardo einen Maßstab
sucht, um es teilen zu können. Das Verteilungsproblem ist für ihn
ja „das Hauptproblem der politischen Oekonomie“.
Die ursprüngliche allgemeine Grundrente aber macht den Preis
des vermehrbaren Bodenproduktes zu einem Zusammengesetzten aus
Arbeit und Grundrente. Für Ricardo besteht also folgende Alter-
native: Entweder ist der natürliche Preis durch Arbeit bestimmt,
und es besteht keine ursprüngliche allgemeine Grundrente, oder die
Existenz der letzteren, also das Grundeigentum, hebt die Konstitution
des natürlichen Preises aus dem einzigen Element Arbeit auf.
Diese Alternative klingt aus der Aufgabe heraus, die sich Ri-
cardo zu Beginn seines Rentenkapitels gestellt hat, nämlich zu unter-
suchen, „ob die Aneignung von Grund und Boden, sowie die daraus
folgende Entstehung der Grundrente in dem relativen Werte der
Güter irgendeine Veränderung erzeugt, die von der zu ihrer Pro-
duktion erforderlichen Arbeitsmenge unabhängig ist“!). Ricardo wird
also die ursprüngliche allgemeine Grundrente ablehnen müssen, um
seinen Wertstandpunkt zu halten. Denn existierte sie, das weiß
Ricardo genau, „so würde der Preis in dem Maß beeinflußt werden,
als sich die Rente hoch oder niedrig gestaltet, und sie würde immer
einen ?) Bestandteil des Preises bilden.“
Nun ist aber auch der Monopolpreis Ricardos, die Resultante
aus Angebot und Nachfrage, Seltenheit und Neigung in bezug auf
unvermehrbare Güter, primär.
Daraus, daß der Monopolpreis bei Ricardo ebenso primär wie
der natürliche Preis ist, folgt, daß bei ihm überhaupt keine ursprüng-
liche allgemeine Grundrente gefunden werden darf, einfach deswegen,
weil das Ganze und sein Bestandteil, Preis und allgemeine Grund-
rente nicht in gleicher Weise und zugleich ursprünglichen Charakter
besitzen können. Jede ursprüngliche Grundrente kann von vorn-
herein ohne Rücksicht auf Stellen bei Ricardo nicht nur als unricar-
disch, sondern als antiricardisch bezeichnet werden, weil die Ur-
sprünglichkeit des Preises der Ausgangspunkt Ricardos ist.
1) Works 34 (53).
2) ursprünglichen.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 495
b) Die Frage nach der ableitbaren allgemeinen Grundrente bei
Ricardo.
Das primäre Preisganze läßt nur sekundäre Preisteile zu.
Da der Preis bzw. Wert im Systeme Ricardos die primäre
Kategorie ist, in welcher die Teile zu einer totalen Einheit verknüpft
sind, so liegt die Vermutung nahe, daß die abgeleitete allgemeine
Grundrente sich als ein Glied dieses Systems erweisen wird.
Folgende Sätze Ricardos scheinen diese Vermutung zu bestärken:
„Der Getreidepreis ist nicht hoch, weil eine Rente entrichtet wird,
sondern man bezahlt eine Rente, weil der Getreidepreis hoch ist“ !).
„Es ist die notwendige Konsequenz der Rente, daß sie die Folge
und nicht die Ursache hoher Preise ist“ ?).
Aber von welchen Preisen kann hier die Rede sein? Von
Monopolpreisen ? Bei Monopolpreisen liegt die Sache einfach. Der
Grundeigentümer kann die Differenz zwischen dem Monopolpreise
und dem natürlichen Werte als Grundrente einstecken. „Als Monopol-
gut könnte das Gold seinen natürlichen Wert übersteigen, und dann
würde es eine Rente geben“ °), sagt Ricardo, und statt Gold hätte
er seltene Weine, seltenes Getreide etc. setzen können.
Diese Seltenheitsrente ist allgemein, weil sie überhaupt Be-
standteil eines Bodenproduktpreises ist; sie ist abgeleitet, weil sie
Folge des Preises ist; sie ist abgeleitet allgemeine Naturmonopol-
rente, weil sie Folge eines Seltenheitspreises ist, der den natürlichen
Wert übersteigt, weil die Natur Gold, Wein etc. selten macht. Wir
nennen die allgemein abgeleitete Grundrente, die Folge einer natür-
lichen Seltenheit ist, kurz Naturmonopolrente.
Beim natürlichen Preise entsteht die Frage: Ist im natürlichen
Preise vermehrbarer Bodenprodukte im Sinne Ricardos neben Lohn
und Profit noch ein dritter abzuleitender Grundrentenbestandteil
möglich ?
Wir werden sehen, weshalb Ricardo auch eine Grundrente als
Bestandteil des natürlichen Preises ablehnen muß, und daß dies mit
Rücksicht auf seine Anschauung von der allgemeinen Profitrate ge-
schieht. Es ist aber sogleich ersichtlich, daß Ricardo dies nur so
lange zu tun braucht, als Getreide normalerweise vermehrbar ist,
also einen natürlichen Preis hat. Es ist denkbar, daß Getreide und
sonstige normalerweise vermehrbare Bodenprodukte absolut unver-
mehrbar werden, daher Seltenheitspreis erhalten, aus dem dann eine
allgemeine Grundrente abgeleitet werden kann. Diese wäre dann
Naturmonopolrente von Getreide, das freilich aus natürlichen Gründen
unvermehrbar geworden sein muß.
Ricardo muß die ursprüngliche allgemeine Grundrente überhaupt
ablehnen, weil dem Preise alle Ursprünglichkeit zukommt. -
Er muß auch ein Zugleichsein der abgeleiteten Grundrente mit
dem natürlichen Preise ablehnen wegen seiner Profittheorie, was
1) Works 39 (62).
2) Briefe an Malthus 128,
3) Works 117 (195).
496 -Philipp Spitz,
noch zu zeigen ist. Mit der Unmöglichkeit ihres zeitlichen Zugleich-
seins ist aber ihr zeitliches Nacheinander nicht ausgeschlossen. Und
dieses ist in der Weise möglich, daß die natürliche Preisbestimmung
z. B. für Getreide nach Aufhebung von dessen Vermehrbarkeit weg-
fällt und die Monopolpreisbestimmung an ihre Stelle tritt. Da Ge-
treide erst Monopolpreis erhält und dadurch abgeleitete allgemeine
Grundrente möglich macht, wenn es nicht vermehrbar geworden ist,
so lautet die letzte Frage in bezug auf die allgemeine Grundrente
bei Ricardo: In welchem Zeitpunkte und unter welchen Bedingungen
werden normalerweise vermehrbare Bodenprodukte, z. B. Getreide,
nicht vermehrbar?
Diese Bedingungen faßt Ricardo unter dem Namen des statio-
nären Zustandes der Gesellschaft zusammen. Wann tritt also nach
Ricardo der stationäre Zustand der Gesellschaft ein?
Zwecks Beantwortung dieser Frage wird die folgende Darlegung
zeigen müssen, daß nach Ricardo allgemeine Grundrente überhaupt
unmöglich ist als Bestandteil des Preises von Produkten, die durch
menschlichen Fleiß beliebig vermehrt werden können, daß zweitens
abgeleitete allgemeine Grundrente stets möglich ist als Bestandteil
des Preises normalerweise nicht vermehrbarer Bodenprodukte, daß
sie aber bei Getreide, also bei normalerweise vermehrbaren Produkten
erst möglich wird, sobald deren normale Vermehrbarkeit unter den
zu bestimmenden Umständen des stationären Zustandes der Gesell-
schaft aufgehoben wird.
2. Die Entwicklung der Gesellschaft bis zu ihrem
stationären Zustande.
Für die Darstellung des Bewegungsganges der Gesellschaft bis
zu ihrem stationären Zustande in einem fernen Zeitpunkte ist es
an und für sich gleichgültig, bei welchem Punkte der Zeitreihe die
Betrachtung einsetzt. Es kommt ihr auf die Tendenz der ganzen
gesellschaftlichen Bewegung an. Wenn wir trotzdem mit dem An-
fangspunkt der gesellschaftlichen Entwicklung im Sinne Ricardos
beginnen, obwohl wir mit Rücksicht auf die allgemeine Grundrente
ebensogut von jedem anderen Punkte ausgehen könnten, so geschieht
dies aus Gründen der äußeren Darstellung, um durch Gegenüberstellung
von Anfang und Ende der gesellschaftlichen Entwicklung das Ge-
samtbild der letzteren bei Ricardo vollständig und abgerundet zur
Anschauung zu bringen.
„Der fruchtbarste und am günstigsten gelegene Boden pflegt
zuerst bebaut zu werden“ '!), sagt Ricardo im Rentenkapitel seines
Hauptwerkes. Ob Ricardo hierbei an Kolonien gedacht hat, wie
Rodbertus und Marx meinen, und ob Careys Kritik an diesem Satz
richtig ist oder falsch, soll hier, wo alles auf die allgemeine Grund-
rente ankommt, kein Interesse erwecken. Wir können von diesem
1) Works 37 (59).
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 497
Satze einfach als Hypothese ausgehen, die also darin besteht, daß
zuerst die fruchtbarste Bodenklasse I (Boden I) in Anbau genommen
wird, dann Boden II, Boden III usw.
„Boden I werde vom Grundeigentümer, oder von irgend jemand
anders“ !) mit Lohnarbeitern bebaut ?).
Von den 180 Maltern Getreideertrag ziehe der Bebauer des
Bodens I 60 Malter als Ersatz für sein aufgewandtes „fixes“ Kapital
und 60 Malter für das „umlaufende“ Kapital bzw. Lohn ab. Es
bleibt ihm ein Reinertrag von 60 Maltern, aber nichts für Grund-
rente.
Ricardo schildert diese Größenverhältnisse bei alleiniger Be-
bauung des Bodens I in folgenden Sätzen:
» +. . in einem jungen Lande, wo fruchtbarer Boden im Ver-
gleich zur Bevölkerung reichlich vorhanden ist, wo infolgedessen
nur Klasse I bebaut zu werden braucht, wird der ganze Reinertrag
dem Landwirte zufallen und den Profit seines angelegten Kapitals
bilden“ 3),
„Bei der ersten Besiedlung eines Landes, das an fruchtbarem
und der Besitzergreifung eines jeden freistehendem Boden reich ist,
bildet die ganze Ernte nach Abzug der Auslagen für die Bearbeitung
den Kapitalgewinn und fällt dem Eigentümer des verwendeten Kapi-
tals zu, ohne daß daran für Bodenrente etwas zu kürzen wäre“ 4).
„+. -. denn niemand würde etwas für die Benutzung eines
Bodens bezahlen, von dem noch eine Fülle herrenlos daläge und den
ein jeder infolgedessen nach Belieben bebauen könnte“ 5).
Die Profitrate, die in unserem Zahlenbeispiel 50 Proz. be-
P 60 Profit
ugt (nämlich 60 Lohn + 60 fixes Kapital
Zeit hindurch „auf derselben Höhe halten, da gleich fruchtbarer und
gleich gut gelegener Boden in großer Ausdehnung vorhanden sein,
und sich dadurch der Anbau bei einer Vermehrung des Kapitals der
ersten Ansiedler wie der später hinzukommenden auch weiterhin
unter den nämlichen günstigen Bedingungen wie anfangs vollziehen
könnte“ 6).
Diese Profitrate kann sich aber in folgender Weise verändern:
Ertrag (180) und fixes Kapital (60) bleiben konstant, sinkt der
Lohn, so muß der Profit steigen.
Bleiben das fixe Kapital (60) und der Lohn (60) konstant, steigt
aber der Ertrag über 180 infolge verbesserter Technik, so muß der
Profit ebenfalls steigen.
1) Works 36 (57).
2) Daß Ricardo bereits jetzt den Lohnarbeiter einführt, geht am deutlichsten aus
seiner Schrift aus dem Jahre 1815 hervor. Vgl. „Ein Versuch über den Einfluß eines
niedrigen Getreidepreises auf den Kapitalgewinn“. Sammlung Wäntig IV, David
Ricardos kleinere Schriften; I. Getreidezölle, S. 5 und 6.
3) Works 36 (57).
4) Works (Wäntig IV, 5).
5) Works 35 (55).
6) Works (Wäntig IV, 6).
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 32
). könnte sich eine längere
498 Philipp Spitz,
Beide Gründe seines Steigens, sinkender Lohn und verbesserte
Technik können zusammentreffen.
„Das sind Momente“, sagt Ricardo, „die mehr oder weniger zu
allen Zeiten ihre Wirksamkeit ausüben“ !).
Nun wollen wir mit Ricardo von diesen Veränderungen des
Prinzips absehen, indem wir einmal voraussetzen,
„daß keine Verbesserungen der landwirtschaftlichen Betriebs-
weise stattfinden, und daß Kapital und Volkszahl im richtigen Ver-
hältnisse zunehmen, so daß der Sachlohn der Arbeit unverändert
derselbe bleibt“ ?), und zwar macht Ricardo diese Annahme, „um zu
ermitteln, welche eigentümlichen Wirkungen dem Wachstum des
Kapitals, der Vermehrung der Volksmenge und der Ausdehnung des
Ackerbaues auf die abgelegenen und weniger fruchtbaren Grundstücke
beizumessen sind“ 3).
Solange nun unter der Voraussetzung der gleichen Reallöhne
und der gleichen Technik Boden I allein bebaut ist, und „der Ge-
winn bei dem in der Landwirtschaft verwandten Kapital 50 Proz.
beträgt, wird auch bei allem anderen Kapital der Gewinn 50 Proz.
sein“ +). Ricardo fügt in der Anmerkung hinzu: „Es soll damit nicht
gesagt werden, daß_der Kapitalgewinn in der Landwirtschaft und in
der Industrie genau die gleiche Höhe hat, sondern nur, daß der eine
zum anderen ein bestimmtes Verhältnis zeigt. Für meine Beweis-
führung ist es ohne Bedeutung, wie sich das Verhältnis unter den
ungleichen Gewinnsätzen gestaltet, weil ich nur zeigen will, daß
sich der Gewinn, den das Kapital in der Landwirtschaft abwirft,
nicht erheblich ändern kann, ohne eine entsprechende Veränderung
in den Gewinnsätzen des industriellen und kaufmännischen Kapitals
herbeizuführen.“ Der Einfachheit halber können wir von der Un-
gleichheit der Gewinnsätze in Industrie und Landwirtschaft absehen
und den Satz in den Vordergrund stellen, daß nach Ricardo die all-
gemeine Profitrate in ihrer Bewegung von derjenigen der landwirt-
schaftlichen Profitrate abhängig ist, d. h. die Konkurrenz gleicht alle
Profite auf das Niveau des landwirtschaftlichen Profits aus. „Wäre
der Gewinn an dem im Handel angelegten Kapital mehr als 50 Proz.,
so würde Kapital dem Boden entzogen, um im Handel angelegt zu
werden. Wäre er weniger, so würde Kapital aus dem Handel in die
Landwirtschaft übertragen.“
Dieser Umstand, daß die Konkurrenz es ist, welche die all-
gemeine Profitrate reguliert in Abhängigkeit von der landwirtschaft-
lichen Profitrate, bewirkt es, daß im Reinertrag auf Boden I kein
Grundrentenbestandteil enthalten sein kann. Der selbstwirtschaftende
Grundeigentümer des Bodens I hat keine Grundrente, sondern nur
Profit.
Welche Wirkung wird nun, worauf Ricardo ja hinaus will, die
Bebauung des Bodens II haben? Diese setzt eine solche Bevölke-
1) Works (Wäntig IV, 6).
2) Works (Wäntig IV, 8).
3) Ebendort.
4) Ebendort.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 499
rungsvermehrung voraus, daß Boden I nicht mehr zur Ernährung des
Bevölkerungszuwachses ausreicht. Wir müssen also weiter fragen:
Welches sind nach Ricardo die Faktoren, welche eine Veränderung der
Bevölkerungszahl bewirken? Ricardo antwortet: „Die Bevölkerung
reguliert sich nach den sie beschäftigenden Mitteln selbst, weshalb
sie stets mit der Zu- oder Abnahme des Kapitals wächst oder
schwindet“ !).
„Nichts ist ausgemachter, als daß das Angebot der Arbeiter
letzthin immer im Verhältnis zu den für ihren Unterhalt erforder-
lichen Mitteln zu stehen pflegt“ ?).
Nimmt also das Kapital zu, so nimmt die Bevölkerung zu und
umgekehrt. Und was bestimmt die Zu- und Abnahme des Kapitals?
Ricardo antwortet wiederum selbst: „Auf den verschiedenen Ent-
wicklungsstufen geschieht die Ansammlung von Kapital oder den
zur Beschäftigung der Arbeiter dienenden Mitteln mehr oder weniger
schnell und muß in jedem Falle von der Produktivität der Arbeit
abhängen. Im allgemeinen ist diese am größten, wenn fruchtbarer
Boden im Ueberflusse vorhanden ist“ ®).
Letzteres ist bei alleiniger Bebauung der fruchtbarsten Boden-
klasse I der Fall. Ist also Boden I allein bebaut, so ist die Pro-
duktivität der Arbeit und die Kapitalakkumulation am größten.
Die erhöhte Nachfrage nach Arbeitern steigert den Reallohn über
60 Malter.
Die Arbeiter könnten nun ihren realen Lohnzuwachs dazu ver-
wenden, ihren Konsum an gewerblichen Produkten auszudehnen oder
zu intensivieren. „Wenn dies auch die Folge hoher Löhne sein
könnte“, schränkt Ricardo aber ein, „so sind doch die Annehmlich-
keiten des häuslichen Lebens so groß, daß man in Wirklichkeit als
Folge besserer Lage des Arbeiters eine Bevölkerungszunahme un-
abänderlich finden wird“ +). Letzthin wird also, trotz dieser „nichts-
sagenden Annahme“ „die Nachfrage nach Arbeit, wenn die Zunahme
des Kapitals allmählich und stetig erfolgt, wie ein anhaltendes Reiz-
mittel für die Vermehrung der Bevölkerung wirken“). Als deren
Folge tritt einmal die Notwendigkeit ein, die Bodenklasse II in
Anbau zu nehmen.
Die größte Produktivität der Arbeit auf dem fruchtbarsten, zu-
erst allein bebauten Boden I bedingt also: größten Reinertrag.
stärkste Kapitalanhäufung, stärkste Steigerung der Nachfrage nach
Arbeitern und somit des Reallohns, der höhere Reallohn bewirkt
Vermehrung der Bevölkerung und damit Bebauung des Bodens Il.
Die Bebauung des Bodens Il ist also letzten Endes durch die Pro-
duktivität der Arbeit auf Boden I, also durch die Fruchtbarkeit des
Bodens I bedingt, wenn sich die Bevölkerung bei Wohlstand ver-
1) Works 41 (66).
2) Works 41 (66).
3) Works 176 (296).
4) Works 248 (412).
5) Works 51 (83 84).
500 Philipp Spitz,
mehrt und das Kapital sich nach Maßgabe des Profits, also der Pro-
duktivität der Arbeit auf Boden I anhäuft.
Solange also ein Teil der Bevölkerung Kapital anhäuft nach
Maß ihres Profits und solange ein anderer größerer Teil der Be-
völkerung sich bei Wohlstand regelmäßig vermehrt, so lange wird im
Fortgang der gesellschaftlichen Entwicklung ein Uebergang von der
produktiven zur unproduktiven Arbeit stattfinden, vom fruchtbaren
Boden zum unfruchtbaren Boden. Kapital und somit auch die Be-
völkerung sind nach Ricardo bestimmt von der Produktivität der
Arbeit, und da diese auch den Rohertrag bestimmt, so sind alle
Größen Kapital und Bevölkerung, Profit und Lohn auf die Pro-
duktivität der Arbeit in einheitlicher Weise bezogen.
Wird die Arbeit durch Bebauung des Bodens Il unproduktiver, so
werden dadurch alle abhängigen Größen berührt. Wir verstehen
bereits, warum Ricardos Interesse sich hierauf konzentrierte, „zu
wissen“, „welche eigentümlichen Wirkungen dem Wachstum des
Kapitals, der Vermehrung der Volksmenge und der Ausdehnung des
Ackerbaus auf die abgelegeneren und weniger fruchtbaren Grund-
stücke beizumessen sind“ !).
Boden 11 muß also bebaut werden, und wir wissen, warum dies
nach Ricardo geschehen muß. Der Bebauer erzielt mit 60 Lohn und
60 fixem Kapital nur 150 Malter Rohertrag statt 180 Malter auf
Boden I. Während der Reinertrag auf Boden I weiter 60 Malter,
also 50 Proz. (54,60) beträgt, bleiben dem Bebauer des Bodens II
nach Abzug von 120 Maltern Auslagen nur 30 Malter als Rein-
ertrag bzw. Profit. Seine Profitrate beträgt also nur !/,, 25 Proz.
Obwohl nun der Reinertrag auf Boden I unverändert geblieben
ist, bildet er doch nicht mehr in seiner ganzen Größe den Profit
des vom Bebauer des Bodens I angelegten Kapitals. Denn „da der
allgemeine Gewinnsatz. sich nach demjenigen Gewinn richtet, den
das an der unergiebigsten Stelle angewendete landwirtschaftliche
Kapital abwirft, so tritt eine Teilung der 60 Malter ein“ ?). 30 Malter
berechnet sich der Bebauer des Bodens I ebenso als Profit seines
Kapitals von 120 Maltern, wie dies der Bebauer des Bodens ll in
gleicher Weise tut. Die 30 Malter Ueberprofit bilden aber auf
Boden I die Differentialrente.
„Sobald die Bevölkerung derartig zugenommen hat, daß auch
zweitklassiger Boden bebaut werden muß, entsteht auf No. 1 eine
Rente. Denn entweder muß es jetzt zwei Profitraten vom land-
wirtschaftlichen Kapitale geben), oder es müssen 30 Malter für
irgendeinen anderen Zweck von dem auf No. 1 erzielten Ertrage
in Abzug gebracht werden. Mag der Grundeigentümer oder irgend
jemand anderes No. 1 bebauen, jene 30 Malter werden immer Rente
1) Works (Wäntig IV, 9).
2) Works (Wäntig IV, 9).
3) 50 Proz. auf Boden I, 25 Proz. auf Boden II.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 501
bilden, denn der Bewirtschafter des zweitklassigen Bodens wird mit
seinem Kapitale dasselbe Resultat erzielen, ob er nun No. 1 bebaut
und 50 Malter Rente zahlt oder aber No. 2 noch weiter in Kultur
hat, dafür aber keine Rente entrichtet“ !).
Es zerfallen also: die 180 Malter Rohertrag auf Boden I in
60 Reallohn, 60 fixes Kapital, 30 Profit und 30 Differentialrente;
die 150 Malter Rohertrag auf Boden II in 60 Reallohn, 60 fixes
Kapital und 30 Profit. Boden II trägt keine Rente. Die Profitrate
von 25 Proz. auf Boden II wird von der Konkurrenz zur allge-
meinen Profitrate erhoben; die allgemeine Profitrate fällt also von
50 Proz. bei alleiniger Bebauung des Bodens 1 auf 25 Proz. nach
Bebauung des Bodens II.
„Der Kapitalgewinn fällt, weil der gleich fruchtbare Boden nicht
mehr zu haben ist, und auf allen Stufen der gesellschaftlichen Ent-
wicklung wird der Kapitalgewinn bestimmt?) durch die Schwierig-
keit oder Leichtigkeit, Nahrungsmittel zu erhalten.“ „Das ist“,
hebt Ricardo hervor, „ein höchst wichtiges Gesetz, das in den
Schriften der Nationalökonomie fast unbeachtet geblieben ist“ 3).
Bei weiterem Uebergang zu Boden III führt dieses Gesetz der
sinkenden Profitrate bis zum Verschwinden des Profits.
Zwar nehmen Profit, Kapital und Bevölkerung relativ ab, aber
doch absolut zu, solange es überhaupt noch Profit gibt. Die Be-
bauung des Bodens III ist nun von der absoluten Bevölkerungs-
zunahme abhängig, diese jetzt von der Produktivität der Arbeit auf
Boden II. Wie also unter der Voraussetzung, daß Kapital- und
Bevölkerungsbewegung von der Produktivität der Arbeit abhängig
sind, die absolute Fruchtbarkeit des Bodens I die Bebauung des
Bodens Il bedingt, so bedingt die absolute, wenn auch relativ ge-
ringere Fruchtbarkeit des Bodens II die Bebauung des der Annahme
nach unfruchtbarsten Bodens III. Wird Boden III bebaut, so zer-
fällt der Rohertrag von
180 auf Boden I in 60 Lohn 60 fixes Kapital, 60 dr und o Profit
150 „ n u ”„ 60 „ 60 ” » 30 ”» „ o »
120 „ » II„60 „u60 „ A O gov O: ir
Auf Boden I steigt die Differentialrente (dr) von 30 auf
60 Malter, auf Boden Il entsteht eine dr von 30 Maltern, auf
Boden III besteht keine Grundrente, aber auch kein Profit, über-
haupt kein Reinertrag, weil der ganze Rohertrag zum Ersatz des
aufgewandten Kapitals gerade nur hinreicht. „So steigt, wenn nach
und nach schlechterer Boden oder solcher, der ungünstiger gelegen
ist, zum Anbau kommt, die Rente auf dem früher bebauten, und
genau in gleicher Weise sinkt der Kapitalgewinn, und wenn nicht
die geringe Höhe des Kapitalgewinns der Kapitalbildung ein Ende
macht, so gibt es kaum eine Grenze für das Steigen der Rente und
1) Works 36 (57). Im Texte sind die Zahlen unseres Beispieles eingesetzt.
2) Im englischen Text: regulated.
3) Works (Wäntig IV, 9).
502 Philipp Spitz,
das Sinken des Gewinns“ !). Hohe Bodenrente und niedriger Profit
sind „das Ergebnis des natürlichen Laufs der Dinge“. „Sie sind
der unzweideutigste Beweis des Reichtums und Gedeihens und einer
Volkszahl, die im Vergleich mit der Fruchtbarkeit des Bodens
stark ist“ 2).
Das Sinken des Gewinns und das Steigen der Differentialrente
haben aber ihre Grenze in dem Augenblick erreicht, wo genau ge-
nommen der landwirtschaftliche Reinertrag z. B. auf Boden III ver-
schwindet, in welchem Augenblick die dr zugleich am größten ist.
Jede Akkumulation von Kapital hört alsdann auf, ebenso auch jede
Bevölkerungszunahme. Ja, jede Bewegung hört auf, die Gesellschaft
hat ihren stationären Zustand erreicht.
Ehe wir nun Ricardo selbst über diesen „stationary state“ der
Gesellschaft zu Worte kommen lassen, wollen wir die Entwicklung
der Gesellschaft bis zu diesem Zeitpunkte noch in einem anderen
Zusammenhange, nämlich in ihrer Beziehung zum Preise betrachten,
weil die Sätze, in denen Ricardo vom stationären Zustande spricht,
alle Bezug auf die Preiserscheinung haben. Sachlich ändert sich an
dem bisher Gesagten nichts. Was sich ändert, ist nur der Ausdruck.
Ricardo unterscheidet den Marktpreis eines Produktes und der
Arbeit von ihrem natürlichen Preise. Der Marktpreis ist bestimmt
durch Angebot und Nachfrage und bewegt sich um den natürlichen
Preis als sein Schwankungszentrum. Die dauernde Bewegung des
Marktpreises ist beherrscht von derjenigen des natürlichen Preises *).
Dieser steigt, wenn die Produktivität der Arbeit abnimmt; er sinkt,
wenn sie zunimmt. Ueber die wesentliche Beziehung zwischen der
Arbeit und dem Wert bzw. Preisqualität findet sich bei Ricardo
entweder gar nichts oder nur ganz seltene Andeutungen, die dann
noch entsprechend gedeutet werden müssen. Es genügt für uns, daß
die Produkte nach den Arbeitsmengen, welche zu ihrer Produktion er-
forderlich waren, getauscht werden. Die Größe der Produktivität
der Arbeit bestimmt die Wertgröße Was wir bisher in Getreide-
quantum ausdrückten, läßt sich nun als nominelles Maßquantum fassen.
Wenn z. B. bei alleiniger Bebauung des Bodens I der natürliche
Preis des Malters Getreide 5 Geldeinheiten beträgt, so beläuft sich
der nominelle Rohertrag auf 180 X 5 — 900. Nun ist das Getreide
ein Hauptlebensmittel des Arbeiters, weshalb sich nach Ricardo der
natürliche Preis der Arbeit nach demjenigen des Getreides richtet.
Die 900 nomineller Reinertrag zerfallen demnach in 300 konstantes
Kapital (c) (Rohstoff und Maschinen etc.), 300 variables Kapital (v)
Areir Preis der Arbeit) und 300 nominellen Reinertrag bzw.
Profit.
Diese 300 Profit werden angehäuft zu Kapital, dieses vermehrt
die Nachfrage nach Arbeit, treibt dadurch den Marktpreis der Arbeit
1) Works (Wäntig IV, 10).
2) Works (Wäntig 1V, 20).
3) Der natürliche Preis ist lediglich der Geldausdruck des natürlichen Wertes,
wenn der Geldwert konstant gesetzt ist.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 503
über ihren natürlichen Preis. Nun ist der natürliche Preis der Arbeit
derjenige, „bei welchem die Arbeiter, einer wie der andere, existieren
und ihr Geschlecht fortpflanzen können, ohne sich zu vermehren
oder zu vermindern“'). Steigt der Marktpreis über den natürlichen
Preis der Arbeit, so steigt der Reallohn, die Annehmlichkeiten des
Lebens reizen, wie wir bei Ricardo sahen, zur Vermehrung der Ar-
beiter, der Boden II muß letzten Endes bebaut werden. Der natür-
liche Preis des Getreides muß steigen z. B. auf 6 pro Malter, in-
folge der Abnahme der Produktivität auf Boden Il. Der rohe Preis-
ertrag von 150 x 6 == 900 zerfällt jetzt in 360 c, 360 v und 180
„nominal profit“. Auf Boden I steigt der Preisertrag auf 180 X 6
= 1080, der in 360 c X 360 v X 180 p x 180 dr (Differentialrente)
zerfällt. Da der Profit seinem Werte nach von 300 auf 180 ge-
sunken ist, nimmt die Kapitalanhäufung relativ ab, damit auch die
Nachfrage nach Arbeit und die Zunahme der Bevölkerung. Alle
nahmen aber nichtsdestoweniger absolut zu nach Maßgabe der ab-
soluten Höhe des allgemeinen Profits von 180, so daß Boden IJI
bebaut werden muß, um den absoluten Bevölkerungszuwachs er-
nähren zu können. Der natürliche Getreidepreis steigt weiter bis
7,5. Der Preisertrag auf Boden III von 120 X 7,5 = 900 zerfällt in-
folgedessen in 60 X 7,5 = 450 c und 60 X 7,5=450 v Kapital. Für
Profit bleibt nichts mehr übrig. Die alte Sache, nur ist sie statt
stofflich oder real jetzt nominell im Preis ausgedrückt.
Die Entwicklung beginnt beim niedrigsten natürlichen Boden-
produktpreis (5), dem niedrigsten natürlichen Preis der Arbeit (300),
der niedrigsten dr (=0), dem höchsten Profit (300) der stärksten
Kapitalanhäufung und Bevölkerungsvermehrung.
Ihr natürlicher Lauf drückt sich zunächst in einem Steigen des
natürlichen Bodenproduktpreises aus. Die Verbesserung der Technik
wirkt dieser Tendenz entgegen. „Während der Entwicklung der
Gesellschaft wirken zwei entgegengesetzte Ursachen auf den Wert
des Getreides: die eine (nämlich die Zunahme der Volkszahl und die
Notwendigkeit, weniger ergiebiges Land mit gesteigerten Kosten an-
zubauen), die immer eine Steigerung im Wert des Getreides bewirkt;
die andere (nämlich die Verbesserung im Ackerbau . . .), die immer
darauf hinwirkt, den Wert zu verringern“ ?). Ist die letztere Tendenz
zeitweise stärker, so tritt eine Rückwärtsentwicklung „der Preisrück-
gang trifft unabänderlich den Grundeigentümer (von Boden I, lI)
bis seine ganze Rente (dr) verschwunden ist“®). „Boden von ge-
ringerer Ertragsfähigkeit wird aufgegeben . . . und zuletzt wird nur
noch Land von besserer Qualität (Boden I) angebaut, das dann keine
Rente (dr) abwirft“*). Dies steht im Einklang mit Ricardos Grund-
satz; daß die dr Folge des Preises ist. Darum gilt, was Ricardo
sagt, „Da die Rente (dr) die Folge eines hohen Getreidepreises
1) Works (82).
2) Works (Wäntig IV,, 80).
3) Works 259 (442).
4) Works 31 (62).
504 Philipp Spitz,
(höher als 5 pro Malter) ist, so stellt sich ein Verlust an Rente als
die Wirkung eines niedrigen Preises dar“!). Auf die Wirkungen
verbesserter Technik folgen Gegenwirkungen. Sie steigert den Profit,
die Kapitalanhäufung, die Bevölkerungszunahme und führt so zu in-
tensiverem Ackerbau, dessen Intensivierung sehr bald auf das optimum
des Gesetzes vom abnehmenden Bodenertrag stößt, von dem ab jeder
weitere Aufwand geringeren Ertrag erzielt. Die alte Tendenz zum
Steigen der Preise bricht letzten Endes wieder durch. Die natürliche
Entwicklung drückt sich doch auf die Dauer in einem Steigen des
natürlichen Preises sowohl der Bodenprodukte als auch der Arbeit aus.
Daraus folgt das Sinken des Profits als ebenso natürliche Tendenz.
„Die natürliche Tendenz des Profits“, sagt Ricardo an einer viel-
zitierten Stelle?), „drückt sich in einem Sinken aus, denn bei fort-
schreitender sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung wird die er-
forderliche größere Menge an Nahrungsmitteln durch Hingabe von
immer mehr Arbeit erlangt. Diese Tendenz, dieses Gravitieren des
Profits sozusagen. wird glücklicherweise durch Verbesserungen an
den zur Erzeugung der notwendigen Bedarfsartikel benötigten
Maschinen gehemmt, die uns in den Stand setzen, einen Teil der
vorher erforderlichen Arbeitsmenge zu eliminieren, und infolgedessen
den Preis des hauptsächlichsten Subsistenzmittels des Arbeiters zu
erniedrigen“. Doch wird die sinkende Tendenz des Profits nur ge-
hemmt. Das Hemmnis wird von der Grundtendenz des Steigens
überwunden. Auf die Dauer steigen der Preis und der Lohn und
sinkt der Profit. „Doch ist das Steigen des Preises der unentbehr-
lichen Bedarfsartikel und des Lohnes begrenzt. Denn sobald der
Lohn die Gesamteinnahme?) des Landwirts betragen sollte, müßte
die Kapitalansammlung aufhören, weil dann kein Kapital noch irgend
welchen Profit abwerfen, keine Nachfrage nach weiterer Arbeit vor-
handen sein könnte, und die Bevölkerung infolgedessen ihren höchsten
Punkt erreicht haben würde. Zweifellos wird lange Zeit vorher der
niedrige Profitsatz alle Kapitalanhäufung zum Stillstand gebracht
haben, und nahezu-der Gesamtertrag des Landes wird nach Bezahlung
der Arbeiter +) in das Eigentum der Grundbesitzer und der Empfänger
von Zehnten und Steuern übergegangen sein)“. Das wird not-
wendigerweise“, fügt Ricardo etwas später hinzu, „durch die Natur-
gesetze, welche der Produktivität des Bodens Schranken gesetzt haben,
ein dauernder Zustand werden“ 6).
Kurz und prägnant hat Ricardo die Entwicklung dieses Zu-
standes in seiner Broschüre „Essay on the Funding System“ formuliert:
1) Works 259 (442).
2) Works 259 (442).
3) Ricardo berücksichtigt nicht das c k, weshalb in unserem Zahlenbeispiel der
Lohn auf Boden III nur die halbe, nicht die gesamte Einnahme des Landwirts aus-
macht, was nur ein rechnerischer Unterschied ist.
4) und Ersatz des c Kapitals müßte hinzugefügt werden.
5) Works 66 (112).
6) Works 70 (118).
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 505
„Mit jeder zunehmenden Schwierigkeit, weitere Mengen an Roh-
produkten zu erzeugen, würden Korn und andere Subsistenzmittel
des Arbeiters im Preise steigen; dadurch würden die Löhne steigen.
Ein wirkliches Steigen der Löhne ist notwendig von einem Fallen
des Profits begleitet; wenn daher der Boden eines Landes auf den
höchsten Kulturstand gebracht ist, wenn mehr auf ihn verwandte
Arbeit nicht mehr Nahrung abwerfen wird, als zur Ernährung der
mehr beschäftigten Arbeiter notwendig ist, dann ist das Land an
der Grenze seines Wachstums sowohl an Kapital, als auch an Be-
völkerung angekommen“ !). Diese Grenze ist von dem absoluten -
Naturmonopol des Bodens schlechthin und vom Naturgesetz des Ab-
nehmens des Bodenertrages gezogen. An ihr angelangt, bleibt die
Maschine der gesellschaftlichen Entwicklung wie vor einem Prell-
blocke stehen.
3. Der stationäre Zustand der Gesellschaft.
Diesen Zustand bezeichnet Ricardo selbst als den stationären
Zustand der Gesellschaft. In seiner Broschüre aus dem Jahre 1822
„Zollschutz zugunsten der Landwirtschaft“ sagt er: „Ein niedriger
Zinsfuß ist das Zeichen einer großen Anhäufung von Kapitalien,
aber er ist auch das Zeichen eines niedrigen Kapitalgewinnes und
der Annäherung an einen wirtschaftlichen Stillstand (stationary state),
bei dem der Reichtum und das Einkommen eines Landes keine Zu-
nahme mehr gestatten“ ?).
Dieser Zustand der Gesellschaft kann darum stationär genannt
werden, weil in ihm alle Größen des Ricardoschen Systems ihr
Extrem erreicht haben, auf dem sie fortan beharren.
Die Reihe der stationären Größen eröffnet der stationäre Preis
des Getreides. „Innerhalb eines stationären gesellschaftlichen Zu-
standes, wo die Leichtigkeit der Getreideproduktion keinen Schwan-
kungen unterliegt ... wird das Getreide einen unveränderlichen
Preis haben“ 8). Dies gilt für jeden denkbaren stationären Zustand
der Gesellschaft, also auch für den stationären Endzustand der Ge-
sellschaft, in welchem der „unveränderliche“ natürliche Getreidepreis
zugleich auch der höchste ist, der jemals erreicht worden ist.
Dieser höchste stationäre natürliche Getreidepreis bestimmt nun
den höchsten stationären natürlichen Preis der Arbeit. In folgendem
Satze spricht Ricardo vom stationären Lohne: „Beim natürlichen
Entwicklungsgange der Gesellschaft pflegen die Arbeitslöhne, inso-
fern sie durch Angebot und Nachfrage bestimmt werden, eine sinkende
Tendenz zu haben, denn das Angebot von Arbeitern wird in gleichem
Maße, die Nachfrage nach ihnen in einem geringeren weiter steigen.
Wenn die Löhne z. B. durch eine jährliche Kapitalszunahme im Be-
trage von 2 Proz. reguliert wären, so würden sie, wenn die An-
1) Works 534.
2) Works (Wäntig IV, 79).
3) Works 104 (173).
506 Philipp Spitz,
sammlung nur 1!/, Proz. ausmachte, heruntergehen. Sie würden noch
tiefer sinken, falls das Kapital nur im Betrage von 1 Proz. oder
!/, Proz. wüchse, und immer tiefer, bis es stationär geworden wäre;
in welchem Falle auch die Löhne stationär werden und gerade hin-
reichen würden, die Zahl der vorhandenen Bevölkerung aufrechtzu-
erhalten“ }).
Dieser Passus steckt voller Widersprüche Ricardos mit seinen
eigenen Grundsätzen. Zunächst ist als ricardisch anzuerkennen, dad
das stationäre Kapital den stationären Lohn bedingt, und daß zweitens
die stationären Löhne „gerade hinreichen würden, die Zahl der vor-
handenen Bevölkerung aufrecht zu erhalten“. Letzteres trifft aber
nur auf den stationären natürlichen Preis des Getreides zu, weil
ja Ricardo den natürlichen Preis der Arbeit als denjenigen Lohn
definiert, „bei dem die Arbeiter, einer wie der andere, existieren und
ihr Geschlecht fortpflanzen können, ohne sich zu vermehren oder
zu vermindern“ ?). Die stationäre Bevölkerung vermehrt weder noch
vermindert sie ihre Zahl, darum muß der stationäre Lohn, von dem
sie lebt, der dem stationären natürlichen Preise des Getreides ent-
sprechende natürliche Preis der Arbeit, d. h. der jemals höchste Preis
der Arbeit sein.
In obiger Stelle erscheint aber der stationäre Lohn nicht als
höchster natürlicher Preis, sondern als niedrigster Marktpreis der
Arbeit. Daß hier etwas nicht in Ordnung ist, kommt in dem zum
Vorschein, was Ricardo zu obiger Stelle hinzufügt. Er sagt: „Doch
dürfen wir nicht vergessen, daß der Lohn auch durch den Preis
derjenigen Güter bestimmt wird, für welche man ihn verausgabt.
Bei zunehmender Bevölkerung werden auch diese notwendigen Be-
darfsartikel im Preise steigen, weil mehr Arbeit für ihre Produk-
tion erforderlich wird“). Diese steigende Tendenz des natürlichen
Preises der Arbeit wirke der sinkenden Tendenz ihres Marktpreises
entgegen: „Der Geldlohn der Arbeit würde statt herunter, in die
Höhe gehen, aber doch nicht so hoch, um den Arbeiter in den Stand
zu setzen, sich soviel Annehmlichkeiten und Bedarfsartikel zu ver-
schaffen, als er vor dem Steigen des Preises dieser Güter konnte“ ^).
Im Laufe der natürlichen Entwicklung im Sinne Ricardos, hat
also der natürliche Preis der Arbeit die Tendenz zu steigen, weil
der natürliche Existenzmittelpreis steigt. Der Marktpreis der Arbeit
sinkt, „weil das Angebot von Arbeitern im gleichen Maße weiter-
steigt“ °). In dieser Begründung liegt der Widerspruch. Denn sinkt
der Marktlohn unter den natürlichen Preis der Arbeit, so vermindert
sich nach Ricardo die Bevölkerung und kann nicht in gleichem Maße
wie früher steigen. Ricardo weicht hier von dem Grundsatz ab,
wonach die Bevölkerung sich nach dem Kapital reguliert. Nimmt
1) Works 54 (90).
2) Works (82).
3) Works 54 (90).
4) Works 54 (90).
5) Works 54 (90).
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 507
das Kapital relativ ab, so tut es danach auch die Bevölkerung. Die
Nachfrage nach Arbeitern und deren Angebot halten sich stets das
Gleichgewicht, der Marktpreis der Arbeit kann sich nicht vom natür-
lichen Preise loslösen, er muß diesem vielmehr folgen bis zu seinem
höchsten Stand, auf welchem er stationär wird. Der stationäre Lohn
ist als Folge des höchsten natürlichen Preises des Getreides der
höchste natürliche Preis der Arbeit und wird seiner allgemeinen
Definition gemäß „gerade hinreichen, die Zahl der vorhandenen Be-
völkerung aufrechtzuerhalten“ !).
Außer durch das stationäre Kapital, stationäre Bevölkerung und
den stationären natürlichen Preis des Getreides und der Arbeit, ist
der stationäre Zustand der Gesellschaft gekennzeichnet durch die
stationäre Differentialrente auf Boden II und I, durch das Ver-
schwinden des Profits und der Nichtexistenz einer allgemeinen
Grundrente vom Getreide.
Dieser stationäre Zustand der Gesellschaft schwebt Ricardo
öfters vor Augen als eine Gefahr für die Gesellschaft. Aus dieser
Vorstellung heraus entspringen verschiedene praktisch - politische
Stellungnahmen Ricardos. Er verwirft alle staatlichen Eingriffe in
den natürlichen Entwicklungsgang der Gesellschaft, welche das
Herankommen ihres stationären Zustandes beschleunigen oder über-
haupt bewirken.
Er bekämpft aus diesem Grunde die Armengesetze. Zwar haben
nach ihm glücklicherweise „diese Gesetze während einer Periode
zunehmenden Wohlstandes ihre Wirksamkeit entfaltet, wo die dem
Unterhalt der Arbeit dienenden Mittel regelmäßig gewachsen sind,
und wo eine natürliche Nachfrage nach einer Zunahme der Bevöl-
kerung vorhanden sein mußte“ ?). Aber solange sie gelten, „geht es
ganz mit natürlichen Dingen zu, wenn der Vermögensfonds für den
Unterhalt der Armen nach und nach so anwachsen muß, daß er vom
Reineinkommen des Landes so viel in sich aufsaugt, als der Staat
übrig läßt“ 3). Dieses Aufsaugen des Reineinkommens führte in seiner
Konsequenz zum stationären Zustand, nur daß er nicht „natürlich“,
sondern künstlich herbeigeführt wäre. Ricardo warnt vor dieser
den Profit mindernden Wirkung der Armengesetze, und in die Zukunft
schauend, ruft dieser „Realist“ prophetisch aus: „Wenn unsere Ent-
wicklung langsamer vonstatten gehen sollte, wenn wir einen statio-
nären Zustand erreichen sollten, von dem wir aber hoffentlich (!)
noch weit entfernt sind, dann wird die schädliche Natur dieser Ge-
setze offenkundiger und beängstigender werden, und dann wird außer-
dem ihre Beseitigung auf weit größere Schwierigkeiten stoßen“ +).
.. Ferner warnt Ricardo vor Steuern, die das Kapital treffen, denn
„je nachdem das Kapital eines Landes abnimmt, wird sich seine
Produktion selbstverständlich verringern, ..... werden die Hilfs-
1) Works 54 (90).
2) Works 59 (99).
3) Works 59 (98).
4) Works 59 (99).
508 Philipp Spitz,
quellen von Volk und Staat immer schneller versiechen, und Elend
und Verfall wird die Folge sein“ !).
Das gleiche gilt von Steuern, welche das Reineinkommen zu
stark treffen. Denn dieser Teil des Reineinkommens „kann viel-
leicht so groß werden, daß er für diejenigen, welche das Kapital des
Landes durch ihre Ersparnisse vermehren, keinen genügenden Ertrags-
überschuß zur Förderung dieser Tätigkeit mehr übrig läßt“. Ein
derartiger Zustand hätte auf die Dauer „die schrecklichsten Szenen
von Elend, Hungersnot und Entvölkerung zur Folge“ ?).
Schließlich läßt sich aus der folgenden Stelle herauslesen, daß
der Schutzzoll zum stationären Zustande der Gesellschaft hin, der
Freihandel von ihm wegführt. Ricardo sagt: „Wie groß auch immer
ein Land, wo der Boden von geringer Qualität und der Import von
Nahrungsmitteln verboten ist, sein mag, so wird doch die beschei-
denste Kapitalanhäufung von einem so bedeutenden Rückgange der
Profitrate und einem rapiden Steigen der Rente begleitet werden.
Dagegen kann ein kleines, aber fruchtbares Land (England), besonders
wenn es den Import von Nahrungsmitteln freiläßt, eine große
Kapitalmasse, ohne irgendwelche erhebliche Verringerung des Profit-
satzes oder ein bedeutendes Steigen der Grundrente, anhäufen“ ?).
Der Schutzzoll verteuert die Lebensmittel, steigert den natürlichen
Preis der Arbeit und senkt infolgedessen den Profit, der Freihandel
nicht.
Schutzzoll, Armengesetze, Steuern auf das Kapital, zu große
Steuern auf das Reineinkommen hemmen die Entfaltung der Pro-
duktivkräfte und beschleunigen den Eintritt der „Götterdämmerung“
(Marx) des stationären Zustandes. Viel fruchtbarer Boden, hoch-
entwickelte Technik, Vermeidung schlechter Steuern und Freihandel
bewahren die Gesellschaft vor ihrer Erstarrung an Haupt und Gliedern,
von welcher Ricardo ja noch „weit entfernt“ zu sein hofft.
4. Die allgemeine Grundrente vor und nach Eintreten
des stationären Zustandes.
Es drängt sich zunächst die Frage auf: Ist vor Eintreten des
stationären Zustandes der Gesellschaft allgemeine Grundrente mög-
lich? Da der stationäre Zustand der natürlichen Preisbestimmung
ein Ende setzt, oder, was dasselbe ist, weil der stationäre Preis der
höchste natürliche Preis ist, so fällt diese Frage mit der anderen
Frage zusammen, ob nämlich die allgemeine Grundrente bei Ricardo
als Bestandteil des natürlichen Preises möglich ist. Ricardo hat
diese Fragen selbst klar und deutlich beantwortet. Er sagt: „Ich
hoffe es vollständig klargelegt zu haben, daß bis zu der Zeit (I),
wo ein Land in jedem seiner Teile (!) und zwar bis zum höchsten
Grad (!) in Anbau genommen worden ist, stets ein in den Grund
1) Works 88 (146/47).
2) Works 109/10 (182).
3) Works 70 (119).
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 509
und Boden investierter Kapitalsbetrag vorhanden ist, welcher keine
Rente einbringt, und daß gerade dieser Teil, dessen Ertrag genau
wie bei den gewerblichen Unternehmungen in Profit und Lohn zer-
fällt, den Getreidepreis bestimmt“ 1).
Ricardo glaubt an einer anderen Stelle, „daß es bis jetzt in jedem
Lande, vom rohesten bis zum zivilisiertesten, noch solche Böden
gibt, welche keinen höherwertigen Ertrag liefern können, als der ge-
rade hinreicht, um das darauf verwandte Kapital samt dem in diesem
Lande gewöhnlichen Profit einzubringen“ ?). Ja, hätte England den
stationären Zustand erreicht, „wäre es Tatsache, daß England in
seinem Ackerbau so weit fortgeschritten wäre, daß es heutzutage
keine Ländereien mehr besäße, die keine Rente einbrächten, so
würde es nicht minder wahr sein, daß es früher solche gehabt haben
müßte“). Dabei ist es für Ricardo gleich, „ob in Großbritannien
ein Kapital auf altem oder jungem Boden verwandt wird, wenn es
daselbst überhaupt nur ein solches gibt, das bloß so viel einbringt,
um sich selbst samt seinem üblichen Profit bezahlt zu machen“.
Dieser „übliche“, „gewöhnliche“ Profit ist aber nach Ricardo in
allen Ländern und zu allen Zeiten von derjenigen Arbeitsmenge ab-
hängig, die zur Beschaffung der für die Arbeiter nötigen Bedarfs-
mittel auf jenem Boden oder mit jenem Kapital erforderlich ist, das
keine Rente abwirft“ 4).
Die Sache liegt nun aber nicht so, daß die allgemeine Profitrate
an die landwirtschaftliche Profitrate gebunden ist, weil keine all-
gemeine Grundrente im natürlichen Preise des Produkts enthalten
ist, sondern umgekehrt; es gibt stets ein Bodenstück oder ein Kapital,
das keine Rente abwirft; oder, was dasselbe ist, es ist im natürlichen
Preise des Produkts, das auf dem jeweils unfruchtbarsten Boden
oder mit dem unergiebigsten Kapitalaufwande produziert worden
ist, und das den Marktpreis des Produkts aller übrigen Böden und
Kapitalaufwände bestimmt, niemals ein Grundrentenbestandteil ent-
halten, weil die landwirtschaftliche Profitrate die Höhe der all-
gemeinen Profitrate bestimmt und von der Konkurrenz durch das
Mittel der Kapitalwanderung auf dieses Niveau stets ausgeglichen
wird.
Natürliche Preisbestimmung und abgeleitete allgemeine Grund-
rente schließen sich aus diesem Grunde bei Ricardo aus, und weil
die Zeit vor dem stationären Zustande der Gesellschaft die Periode
der natürlichen Preisbestimmung für vermehrbare Güter ist, so be-
steht in dieser ganzen Zeit auch keine allgemeine Grundrente als
natürlicher Preisbestandteil.
In dieser Zeit gibt es eben neben den beschränkt vermehrbaren
Bodenprodukten, welche der natürlichen Preisbestimmung unter-
worfen sind, auch noch nicht vermehrbare Seltenheitsgüter, die einen
1} Works 151 (254).
2) Works 197/98 (334).
3) Works 198 (334).
4) Works 70 (118).
510 Philipp Spitz,
Monopolpreis haben, der über ihrem natürlichen Werte steht. Zum
Beispiel: „Der Preis des Weines wird gesteigert durch die Selten-
heit des Landes, auf welchem die Reben wachsen, und würde haupt-
sächlich dem Grundeigentümer in Form der Rente zugute kommen“ !).
„Die Rente solcher Weinberge kann über jedes Maß und Ziel hinaus-
gehen, denn da kein anderer Boden imstande ist, derartige Weine
hervorzubringen, so kann auch keiner in Konkurrenz mit ihm
treten“ ?). Diese allgemeine Grundrente nannten wir bereits Natur-
inonopolrente. Sie ist ihrer Höhe nach gleich der Differenz zwischen
Monopolpreis und natürlichem Wert, der zum Monopolpreis keine
innere Beziehung hat.
Die Naturmonopolrente gilt vor Eintreten des stationären Zu-
standes der Gesellschaft für Güter, die normalerweise nicht vermehr-
bar sind. Da sie aber für nicht vermehrbare Güter schlechthin gilt,
so besteht sie, wenigstens der Möglichkeit nach, auch für diejenigen
Güter, welche normalerweise beschränkt vermehrbar sind, z. B. Gold,
Getreide, die aber nach Eintreten des stationären Zustandes der Ge-
sellschaft nicht vermehrbar, d. h. zum Monopolgut werden.
Solange sich „Getreide und andere Rohprodukte durch größere
Kapitalinvestierungen in den Boden an Quantität vermehren lassen“,
haben sie „schon deshalb keinen Monopolpreis“ ), sondern einen
natürlichen Preis, der keinen Grundrentenbestandteil enthält. Erst
wenn das Getreide „in keinerlei Weise“ vermehrbar geworden ist,
was mit dem stationären Zustand der Gesellschaft eintritt, ist die
Möglichkeit eines dauernden Steigens des Preises über den natür-
lichen Wert gegeben. Ricardo schreibt hierüber an Malthus:
„Es gibt einen Fall, in dem ein solches Steigen möglich ist,
das ist unter der Voraussetzung, daß das ganze Kapital eines Landes
darauf verwandt wurde, Korn zu produzieren, und es doch nicht in
genügender Menge produzieren konnte, um die Nachfrage anderer
Länder zu befriedigen. In diesem Falle würde Korn auf einem
Monopolpreis stehen in derselben Weise wie seltene Weine, die nur
in besonderen Distrikten zu einem Monopolpreis produziert werden
können, weil die Konkurrenz nicht ihre volle Wirkung entfalten
konnte“). Abgesehen von der Spezialität dieses Falles, interessiert
an ihm, daß infolge des Gesetzes der abnehmenden Erträge Kapital
keinen Mehrertrag abwirft, das Getreide selten wird, wie kostbare
Weine Monopolpreis erhält und Monopolrente ermöglicht.
Noch deutlicher spricht Ricardo diesen Gedanken in der folgenden
vielzitierten Stelle aus: Der Verkauf von Getreide und Rohprodukten
zu Monopolpreisen „kann nur dann dauernd durchgeführt werden,
wenn sich kein Kapital mehr mit Profit in den Grund und Boden
stecken und ihre Produktion sich infolgedessen nicht vergrößern
läßt. Zu solchen Zeiten wird jedes in Anbau befindliche Ackerstück
1) Briefe an Malthus 203.
2) Works 150 (252).
3) Works 150 (252).
4) Briefe an Malthus, 202.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 511
und jeder in den Boden investierte Kapitalsbetrag eine Rente cin-
bringen, die sich in den entsprechenden Erträgen unterscheidet“ !).
Aus dieser Stelle ist zu schließen, daß der Zeitpunkt, in welchem
das Getreide zum Monopolgute wird und Monopolpreis erhält, der
allgemeine Grundrente einschließt, mit dem Zeitpunkte zusammen-
fällt, in welchem der Profit streng genommen auf Null gesunken ist.
Dies ist aber der Zeitpunkt, in welchem die Gesellschaft in ihren
stationären Zustand eintritt.
Nun hat sich zwischen Diehl und Oppenheimer eine Kontro-
verse über die allgemeine Grundrente bei Ricardo entsponnen, als
deren eigentlichster Streitgegenstand eben dieser Zeitpunkt anzusehen
ist, in welchem das vermehrbare Getreide zu unvermehrbarem Mo-
nopolgute wird. Da dies aber der Zeitpunkt des stationären Zu-
standes der Gesellschaft ist, in welchem aller Profit verschwunden,
so läuft der ganze Streit auf die Frage hinaus, ob Ricardos allge-
meine Grundrente, über deren Naturmonopolcharakter kein Streit
bestehen kann, Ueberprofit ist oder nicht.
Die allgemeine Grundrente als Ueberprofit.
(Diehl contra Oppenheimer.)
Stellen wir den umstrittensten Abschnitt im Urtexte voran.
Ricardo schreibt:
„The corn and raw produce of a country may, indeed, for a
time, sell a monopoly price; but they can do so permanently only
when no more capital can be profitably (I) employed on the lands,
and when, therefore, their produce cannot be increased. At such a
time, every portion of land in cultivation and every portion of
capital employed on the land, will yield a rent, differing, indeed, in
proportion to the difference in the return.“
Diehl interpretiert diese Stelle folgendermaßen: „Wenn alle
Böden bebaut sind, und wenn weitere Kapitalzusätze nicht mehr
vorteilhaft?) auf den Boden angelegt werden können und deshalb
eine weitere Ausdehnung der landwirtschaftlichen Produktion zu
den alten Preisen unmöglich ist, dann kommt der Monopolcharakter
des Bodens tatsächlich zum Vorschein, und aller Boden resp. alle
Kapitalanlagen auf dem Boden werfen Renten ab“ ®).
Nach Ricardo könne einmal die sehr entfernte Zukunftmöglich-
keit „wirklich werden“, daß die Kapitalaufwände infolge des Ge-
setzes vom abnehmenden Bodenertrag so wenig ergiebig werden, daß
sie „nicht mehr vorteilhaft (!)“ angelegt werden können, weil sie bei
den alten Preisen nicht mehr den üblichen Profit einbringen würden.
An die Stelle der „alten Preise“ müssen neue, höhere Preise treten,
die aber Monopolpreise sind und Monopolrente enthalten. Diehl
setzt also als Schranke der Produktionserweiterung im Sinne Ri-
1) Works, 150 (252).
2) Diehl, „Erläuterungen“, I. 169.
3) Diehl, „Erläuterungen“, I. 169.
512 Philipp Spitz,
cardos einen gewissen Profitsatz, der den „alten Preisen“ entspricht,
durch Steigen der Kosten aber geschmälert wird, dessen Existenz
höhere Preise bedingt. Nach Diehl enthält der Monopolpreis nicht
nur Monopolrente, sondern auch Profit. Er sieht Ricardos Monopol-
rente als Ueberprofit an.
So hat ihn auch Oppenheimer verstanden, wenn er sagt, Diehl
deute die strittige Stelle so, „als handle es sich um Dinge, die sich
innerhalb der Sphäre der privatwirtschaftlichen Rentabilitätsberech-
nung abspielen“. „Zu irgendeiner Zeit machen die landwirtschaft-
lichen Unternehmer die Entdeckung, daß sie kein Kapital auf die
Bodenkultur anwenden können, weil es sich nicht rentiert. Sie in-
vestieren daher ihr verfügbares Kapital in Handel und Industrie,
der Rohertrag der Aecker wächst nicht mehr — und nun entsteht
bei weiterer Zunahme der Bevölkerung Monopolpreisrente“ !).
Diehl will in seiner Replik auf Oppenheimers Kritik auch so
verstanden sein, und beruft sich dafür auf den Zusammenhang, in
welchem die strittige Stelle bei Ricardo steht. Man brauche nicht
an „eine kosmische Perspektive und nicht an Menschheitstragödie*,
d. h. also in Ricardos Worten, nicht an einen stationären Zustand der
Gesellschaft zu denken. Die Sache liege viel „einfacher, nüchterner,
realpolitischer“. Ricardo untersuchte nämlich, wie Steuern auf den
Grund und Boden wirken. Hierbei mußte er realistisch vorgehen
und zog der Reihe nach einzelne Fälle heran, die möglich sind:
1) den häufigeren Fall, wo der schlechteste Boden keine Rente gibt,
2) den selteneren, aber auch möglichen Fall, wo auch der schlechteste
Boden eine Rente abwirft. Dies ist aber keineswegs ein Casus hypo-
theticus irrealis, sondern ein praktisch durchaus möglicher Fall?).
Für diese Auffassung kann sich Diehl auf Ricardo stützen. Dieser
spricht im Zusammenhang mit der strittigen Stelle von der Steuer
auf Rohprodukte zur Zeit des Entstehens von Monopolrente. „Der
Pächter“, sagt Ricardo, „kann den Preis seines Getreides nicht er-
höhen, weil es nach obiger Voraussetzung bereits auf dem höchsten
Preise steht, zu welchem die Käufer nehmen wollen oder können.
Er wird nicht mit einem niedrigeren Profitsatze(!) als die anderen
Unternehmer vorlieb nehmen wollen, und deshalb bleibt ihm nichts
weiter übrig, als einen Rentenabzug zu erwirken oder die Bewirt-
schaftung aufzugeben“ 3).
Ricardo spricht hier zweifellos von einem „niedrigeren Profit-
satze, als ihn die anderen Unternehmer“ erhalten, als zugleich mit
der Monopolrente existierend, also von der allgemeinen Grundrente
als Ueberprofit. Wenn wir aber auch Diehls Interpretation dieser
Stelle zustimmen müssen, so ist doch die Frage aufzuwerfen: Steht
die allgemeine Grundrente als Ueberprofit auch im Einklang mit
Ricardos System? Mit anderen Worten, wenn sich Diehl auf Ri-
1) Oppenheimer, David Ricardos Grundrententheorie, 72/73.
2) Vergl. diese Jahrbücher, III. F. 41. Bd. S. 767.
3) Works, 151 (252/253).
Das Problem der allgemeinen Grundreute bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 513
cardo berufen kann, kann er dann auch Ricardos System für die
allgemeine Grundrente als Ueberprofit anführen? Diese Frage ist
mit Ricardo gegen Ricardos zitierte Stelle verneinend zu beantworten.
Profit und allgemeine Grundrente schließen sich im System Ricardos
tatsächlich aus. Das heißt aber behaupten, daß im Falle der Existenz
von Monopolrente, der natürliche Wert nur aus Lohn und zwar dem
stationären natürlichen Preise der Arbeit besteht. Gerade dies be-
streitet Diehl, gestützt auf obige Stelle bei Ricardo, daß nämlich die
Existenz von Monopolrente und die quantitative Gleichheit des
natürlichen Preises des Bodenprodukts sich wechselseitig bedingen.
Da wir Diehls Interpretation zustimmen mußten und doch am Gegen-
teil festhalten, daß die allgemeine Grundrente bei Ricardo nicht
Ueberprofit sein kann, so müssen wir bei Ricardo einen Widerspruch
nachweisen können, auf den sich Diehl dann als Beleg für die all-
gemeine Grundrente als Ueberprofit stützt. Dazu braucht nur be-
wiesen zu werden, daß die Voraussetzungen, unter denen nach Ri-
cardo Getreidemonopolrente entsteht, und die Voraussetzungen, unter
denen der Profit verschwindet, ein und dieselben sind. Es läuft
dies auf den Nachweis hinaus, daß die Getreidemonopolrente Ricardos
an den stationären Zustand der Gesellschaft als notwendige Bedin-
gung geknüpft ist.
a) Ricardo läßt die Getreidemonopolrente eintreten, wenn, wie
wir sahen, „das ganze Kapital eines Landes darauf verwandt wurde,
Korn zu produzieren, und es doch nicht in genügender Menge pro-
duzieren konnte“, „wenn sich seine Produktion nicht mehr ver-
mehren läßt“. Umgekehrt existiert keine Getreidemonopolrente, so-
lange nicht ein Land „im Ackerbau so weit fortgeschritten“ ist, daß
es „in jedem seiner Teile und zwar bis zum höchsten Grade in
Anbau genommen worden ist“.
b) Der stationäre Zustand und damit das Verschwinden des
Profits tritt ein, sobald „der Lohn die Gesamteinnahme des Land-
wirts betragen sollte, die Kapitalansammlung aufhören würde, weil
dann kein Kapital noch irgendwelchen Profit abwerfen könnte und
die Bevölkerung ihren höchsten Punkt erreicht haben würde.
Kapital und Bevölkerung haben aber ihren höchsten Punkt erreicht,
„wenn der Boden eines Landes auf den höchsten Kulturstand ge-
bracht ist, wenn mehr aufgewandte Arbeit nicht mehr Nahrung ab-
werfen würde, als zur Ernährung der mehr beschäftigten Arbeiter
notwendig ist“.
Wenn man die Voraussetzungen für das Eintreten der Getreide-
monopolrente und des stationären Zustandes miteinander vergleicht,
so wird man sie in der Tat als identische ansehen müssen.
Solange Böden und Kapitalien überhaupt noch Profit abwerfen,
besteht freie Konkurrenz und natürliche Preisbestimmung. Letztere
weicht erst der natürlichen Monopolpreisbestimmung, wenn der natür-
liche Preis des Bodenproduktes sein oberes Extrem erreicht hat und
mit dem natürlichen Preis der Arbeit zusammengefallen ist. Das
sagt Ricardo nirgends in ausdrücklicher Formulierung, aber doch der
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 33
514 Philipp Spitz,
Sache nach und ist auch die einzig mögliche Konsequenz aus seinen
Prämissen, ja wir betrachten die wechselseitige Bedingtheit der
Nichtexistenz des Profits und der möglichen Existenz der Getreide-
monopolrente als den dynamischen Schlußpunkt seines Systems. Der
stationäre Zustand gibt erst die Möglichkeit ab für das Eintreten
einer Getreidemonopolrente.
Wenn wir Oppenheimer richtig verstehen, so teilt er diese
Auffassung der allgemeinen Grundrente bei Ricardo. Es ist Oppen-
heimer durchaus zuzustimmen, wenn er sagt: „Mit dem Nachweis,
daß keine Grundrente in den Tauschwert der Waren eingeht, steigt
und fällt die Wertlehre“ !). „Erst wenn die Ergiebigkeit der Acker-
produktion kraft des Gesetzes der sinkenden Erträge so tief gesunken
ist, daß der Arbeitslohn fast den ganzen oder, mathematisch de-
duziert, den ganzen Gewinst verschlungen hat, erst dann kann
Monopolrente entstehen“ ?).
Aber auch Diehl hat trotz seiner Auffassung von Ricardos all-
gemeiner Grundrente als Ueberprofit, den Grundgedanken seiner
Rententheorie präzise hervorgehoben. So z. B. wenn er sagt: „Eine
Entschädigung für die Bodenbenutzung bildet keinen allgemeinen
Preisbestandteill Es gibt keine allgemeine Rente. Die Tatsache des
privaten Grundeigentums bewirkt eine Aenderung des Wertgesetzes“ *).
„Es ist eine Eigentümlichkeit der Ricardoschen Theorie, daß sie die
schlechteste Bodenklasse oder richtiger die ungünstigste Kapital-
anlage auf den Boden rentenlos sein läßt“ +).
Den eigentlichen Differenzpunkt sehen wir nur darin, daß Diehl
die Monopolrente als Ueberprofit vor dem stationären Zustande,
also vor Aufhebung des Wertgesetzes „als praktisch möglichen Fall“
eintreten lassen will, ohne zu beachten, daß mit dem Wertgesetz
auch die Profittheorie aufgehoben ist. Dies ist wohl auf nur zu
starke Betonung des „Realpolitikers“ Ricardo, der er sicher war,
zurückzuführen. Denn es ist wohl der unrealistische Zug am
stationären Zustande der Gesellschaft, der durch Oppenheimers Be-
zeichnungen wie „ungeheure Tragödie des jüngsten Menschheits-
tages“, „Weltende“, „Götterdämmerung der menschlichen Gesellschaft“
noch verstärkt wird, der Diehl davon abhält, den „Realpolitiker“
Ricardo ein solches Zukunftsbild entwerfen zu lassen. Aber Wort
und Bedeutung des stationären Zustandes lassen sich sowohl aus
Ricardos Worten als auch aus den Prämissen und Grundsätzen seines
Systems auf einfache Weise logisch ableiten.
B. Kritische Betrachtungen.
1. Inkonsequenzen Ricardos.
Ricardo hat in seinen Briefen von einer „mäßigen“ allgemeinen
Grundrente als Bestandteil des natürlichen Bodenproduktpreises und
1) Oppenheimer, a. a. O. 77.
2) Diehl, a. a. O. I. 159.
3) Diehl a. a. O. I, 159.
4) Diehl a. a. O. I, 169.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 515
von einer aus dem Monopolpreis des Bodens abzuleitenden allge-
meinen Grundrente geschrieben.
a) Die „mäßige Rente“.
Die beiden hier in Betracht kommenden Briefstellen lauten:
„Die Rente ist die Wirkung des Monopols, welches die Erde
genießt, und muß sich mit dem Werte des Bodens erhöhen und mit
den Schwierigkeiten, welche es macht, mehr davon zu bekommen.
Aber das letzte Brot, welches diese Schwierigkeiten überwindet, be-
zahlt nur wenig oder gar keine Rente dem Eigentümer“ ').
Außerdem schreibt Ricardo an Say: „Was wir wissen wollen,
ist das allgemeine Gesetz, welches den Wert des Brotes reguliert,
verglichen mit dem Werte aller übrigen Dinge, und ich glaube, daß
wir finden werden, daß der eine dieser Teile, und zwar der, welcher
von dem Boden stammt, der wenig (!) oder keine Rente zahlt, den
Wert alles Brotes bestimmt“). Zweifellos spricht Ricardo hier von
einer kleinen allgemeinen Grundrente als Bestandteil des natürlichen
Preises gerade desjenigen Produkts, das den allgemeinen Marktpreis
reguliert und von dem Ricardo immer und immer wieder behauptet
hat, daß es keine Grundrente abwerfe.
So klein diese allgemeine Grundrente auch ist, so große
Schwierigkeiten hat es gemacht, für sie ein Plätzchen im Systeme
Ricardos zu finden.
Diehl begrüßt diese „kleine Rente“ als Bestätigung dafür, daß
„Ricardo durchaus die Möglichkeit einer, wenn auch nur geringen,
Rente für den schlechtesten Boden oder für die schlechteste Kapital-
anlage auf den Boden anerkennt“ 3). Diese im Zusammenhang mit
der ersten Briefstelle gemachte Aeußerung ist nur so zu verstehen,
daß Ricardo nach Diehl tatsächlich eine allgemeine, wenn auch
kleine, Grundrente, im Rahmen des „allgemeinen Gesetzes, welches
den Wert des Brotes reguliert“, für möglich gehalten habe, was der
schon oben besprochenen Diehlschen Auffassung von der allgemeinen
Grundrente als Ueberprofit entspricht. Nach Diehl verträgt sich
die allgemeine Grundrente sehr wohl mit Ricardos Wert- und Profit-
theorie. Das ist die Konsequenz von seiner Auffassung, für die er
zweifellos die oben zitierten Briefstellen ins Feld führen kann.
Von hier aus findet es Diehl konsequenterweise für unrichtig,
was Lassalle von der allgemeinen Grundrente bei Ricardo sagt:
„Gewiß, wäre es wahr, daß auch noch der schlechteste Boden
Grundrente abwerfen muß, so ist die ganze Ricardosche Theorie
unhaltbar, und ich würde sie seit langem aufgegeben haben“ 4).
Unter der Voraussetzung, von der Lassalle ausgeht, wird man
seine Meinung durchaus nicht „als irrig abweisen“ °) können. Lassalle
1) Zitiert bei Diehl, „Erläuterungen“ I 17.
2) Zitiert bei Diehl, „Erläuterungen“ I 174.
3) Diehl, Gibt es bei David Ricardo eine allgemeine Grundrente? Diese Jahr-
bücher, III. F. 41. Bd. S. 764.
4) Zitiert bei Diehl, „Erläuterungen“,
5) a. a. O. 235.
98%
516 Philipp Spitz,
geht aus von der natürlichen Preisbestimmung, und solange diese
gilt, treffen seine Worte unbedingt zu.
Dagegen hat Lassalle und haben alle diejenigen, welche eine all-
gemeine Grundrente bei Ricardo überhaupt ablehnen, nicht gesehen,
daß Ricardo eine allgemeine Grundrente nach Aufhebung der natür-
lichen Preisbestimmung sehr wohl für möglich halten kann, die er
ja auch tatsächlich nach Eintreten des stationären Zustandes der
Gesellschaft für „dauernd“ möglich hält. Lassalles Worte treffen nur
für die Zeit vor dem Eintreten des stationären Zustandes zu.
Oppenheimer will in der „kleinen“ allgemeinen Grundrente
keinen Widerspruch Ricardos mit sich selbst sehen, sondern deutet
sie als Resultat eines zeitweisen, aus einem monopolistischen Ver-
hältnis von Angebot und Nachfrage entspringenden Steigens des
Marktpreises über den natürlichen Preis. Diese Deutung ist aber
nicht stichhaltig, denn aus der zweiten Briefstelle, die Oppenheimer
in diesem Zusammenhange nicht vorgelegen hat, geht deutlich her-
vor, daß Ricardo die „kleine Rente“ ausdrücklich auf das „allge-
meine Gesetz“ der natürlichen Preisbestimmung und nicht auf den
Marktpreis bezieht.
Es bleibt nichts anderes übrig, als die „kleine Rente“ des Brief-
schreibers Ricardo in Widerspruch mit dessen System zu setzen.
b) Die „Bodenmonopolpreisrente“.
Unter der Bodenmonopolpreisrente ist eine allgemeine Grund-
rente zu verstehen, die zwar in den Bodenproduktpreis eingeht,
diesen erhöht, aber ihrerseits aus dem Monopolpreise des Bodens
abgeleitet ist.
Von einer solchen Grundrente ist in folgender Briefstelle die
vede. Ricardo schreibt an Trowers: „In Amerika, denke ich, gibt
es kein Land, für das nicht eine Rente gezahlt würde, aber das ist
seinen besonderen Einrichtungen zuzuschreiben. Die Regierung ist
Eigentümerin alles unbebauten Bodens im Innern des Landes und
sie ist bereit, den Acre zu verkaufen, und verkauft ihn täglich zu
dem bescheidenen Preise von 2 $. Die Rente muß deshalb in jedem
Teile Amerikas sich letzthin auf die Zinsen von 2 $ belaufen“ !).
Zweierlei soll in diesen Sätzen auseinandergehalten werden:
1) Der Boden hat einen Monopolpreis durch rechtliche „Sperrung“
des unbebauten Bodens gegenüber der Bebauung hier durch den
Staat. Der Boden hat Rechtsmonopolpreis, aus dem
2) die allgemeine Grundrente abzuleiten ist, die dann ihrerseits
den Produktpreis um ihren Betrag erhöht.
Punkt 1 soll im Abschnitt B 3 behandelt werden. Vorerst inter-
essiert uns nur die Ableitung der allgemeinen Grundrente aus dem
Bodenpreis überhaupt, ganz gleich, ob dieser rechtlicher oder natür-
licher Monopolpreis ist.
Diehl beruft sich auch auf obige Briefstelle als Beleg für seine
Auffassung der allgemeinen Grundrente Ricardos?). Er akzeptiert
1) Briefe an Trowers 58.
2) Diehl, „Erläuterungen“ I 171/172.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 517
sogar die allgemeine Grundrente als „Verzinsung des Kaufpreises“
des Bodens; sie wird von ihm allerdings nicht wie in Ricardos Brief-
stelle aufgefaßt als Resultat des Rechtsmonopols, sondern als Re-
sultat des „absoluten Monopols“, das dann eintritt, „wenn Grund
und Boden so selten geworden ist, daß kein Stück Land umsonst zu
haben ist“) Nach Diehl ist dann „der Besitz jeder einzelnen
Bodenparzelle die Quelle eines Extraeinkommens“.
Hier stimmt also Diehl dem Grundgedanken zu, die allgemeine
Grundrente aus dem Bodenpreis überhaupt abzuleiten. Nur läßt er
den Bodenpreis die Folge des absoluten, also des natürlichen Boden-
monopols sein, während er in Ricardos Briefstelle Folge der recht-
lichen Beschränkung des unbebauten Bodens ist.
Die Bodenpreisrente ist antiricardisch, denn nicht nur steht sie
in direktem Widerspruch zu dem allgemeinen Grundgedanken Ricardos,
daß nämlich die Grundrente stets die Folge des Bodenprodukt-
preises sei, sondern sie steht noch in einem speziellen Gegensatz zu
Ricardos sonstiger Ansicht von dem Bodenpreis als kapitalisierter
Grundrente.
Erster Widerspruch: In der Amerikabriefstelle erscheint der
Bodenpreis als das Primäre, aus dem nach dem herrschenden Zins-
fuß die „Bodenpreisrente“ abzuleiten ist. Es ist dann nur denkbar,
daß diese allgemeine Grundrente in den Preis des Bodenprodukts
eingeht. Dieses kann nicht mehr zum natürlichen Preise, sondern
nur zu einem den natürlichen Preis um den Betrag der „Boden-
preisrente“ übersteigenden Preise verkauft werden. Der Verkauf
über dem natürlichen Preise erscheint so durch den Bodenpreis be-
dingt, wobei die „Bodenpreisrente“ als Mittelglied fungiert. In bezug
auf den Bodenpreis ist die Grundrente abgeleitet, in bezug auf den
Produktpreis ist sie aber ursprünglich primär, was der Grundlage
des Ricardoschen Systems, der Wertlehre, widerspricht.
Zweiter Widerspruch: Der primäre Bodenpreis steht außerdem
in Widerspruch zu dem, was Ricardo in seiner Broschüre „High
price of bullion“ schreibt: „Der Preis der Staatsanleihe muß sich
nach dem allgemeinen Stande des Geldzinses richten. Wenn ich vor
der Entwertung beim Ankauf von Land den Jahresertrag mit 30,
beim Ankauf einer Leibrente diese mit 25 kapitalisiere, so kann ich
nach der Entwertung größere Summen für den Ankauf von Grund
und Boden geben, ohne einen vervielfachten Jahresgewinn zu ver-
ausgaben, weil der Ertrag des Bodens zu einem größeren Nominal-
werte verkäuflich ist“ 2).
Mag nun unter dem „Jahresertrag“ die Grundrente oder mehr
als diese verstanden werden oder nicht, jedenfalls ist „der vor der
Entwertung mit 30%, nach der Entwertung „zu einem größeren
Nominalwerte verkäufliche“ und mit einer größeren Ziffer kapitali-
sierte „Ertrag des Bodens“ der primäre Ausgangspunkt, und der
1) Diehl, „Erläuterungen“ I 279.
2) Works 287.
518 Philipp Spitz,
Bodenpreis erscheint nun umgekehrt wie in dem Amerikabeispiel
aus dem Produktpreis abgeleitet. Bodenpreis und Produktpreis haben
ihre Rollen getauscht.
Der Bodenpreis als kapitalisierter „Jahresertrag“ steht in eben-
solchem Einklang mit Ricardos System, weil er dessen primären
Produktpreis wie alle übrigen Glieder des Systems zur Voraussetzung
hat, wie der primäre Bodenpreis, der einen Bestandteil, das Resultat
seiner „Verzinsung“ in den Bodenproduktpreis entsendet, mit ihm
in Widerspruch steht, weil ja der Produktpreis und nicht der Preis
der Produktionselemente die Einheit des natürlichen Preissystems
Ricardos bildet.
Indem sich Diehl im Interesse seiner Auffassung auf die ur-
sprüngliche in den Produktpreis eingehende Bodenpreisrente beruft,
stützt er sich wiederum auf einen Widerspruch Ricardos mit sich
selbst.
Nun stützt sich Diehl, wie wir sahen, auch auf die „kleine
Rente“. Diese ist aber in den zitierten widerspruchsvollen Brief-
stellen abgeleitete allgemeine Grundrente, die Bodenpreisrente geht
aber ursprünglich in den Produktpreis ein, indem sie ihn erhöht.
Die „kleine Rente“ und die „Bodenpreisrente* haben also entgegen-
gesetzten Charakter. Wenn sich daher Diehl auf beide in gleicher
Weise zugunsten seiner Auffassung beruft, begeht er allerdings einen
Widerspruch innerhalb seiner Interpretation.
2. Die Naturmonopolrente im stationären Zustand
der Gesellschaft.
Wenn der stationäre Zustand der Gesellschaft eintritt, wird das
Getreide streng genommen gerade zum höchsten natürlichen Preise
den es jemals besessen hat, verkauft. Damit nun allgemeine Grund-
rente entstehen kann, muß der Preis des Getreides noch über diesen
höchsten natürlichen Preis steigen, denn in diesem ist ja kein Grund-
rentenbestandteil enthalten.
Wie ist eine solche Preissteigerung möglich? Diese Frage soll
vom Standpunkte Ricardos aus beantwortet werden.
Eine Expansion der Nachfrage nach Getreide, welche eine solche
Preissteigerung bewirken könnte, hat offenbar eine Bevölkerungs-
vermehrung zur Voraussetzung. Aber die Bevölkerung hat ja nach
Ricardo im stationären Zustande der Gesellschaft „die Grenze ihres
Wachstums“, ihren „höchsten Punkt“ erreicht. Die Bevölkerung ist
stationär geworden, der Konsum kann sich nicht erweitern, Monopol-
preis ist von dieser Seite aus unmöglich und damit auch die Getreide-
monopolrente.
Bis dahin war jeder neue Anstoß von der absoluten Zunahme
der Bevölkerung ausgegangen, die ihrerseits der absoluten Zunahme
der Kapitalmasse und letzthin der Produktivität der agrikolen Arbeit
parallel lief. Die absolute Zunahme dieser drei Größen bedeutete
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 519
aber stets zugleich eine relative Abnahme, so daß mit dem Aufhören
der relativen Abnahme der Produktivität und der Kapitalmasse an
den absoluten Naturschranken der landwirtschaftlichen Produktion
auch die Bevölkerung aufhörte relativ abzunehmen. Mit dem Auf-
hören der relativen Abnahme hat auch die absolute Zunahme dieser
drei Größen ihr Ende erreicht, sie werden alle drei stationär, die
Bevölkerung kann über die Grenze ihres Wachstums hinaus keinen
Anstoß mehr zu irgendwelcher Bewegung geben. Der Motor versagt,
und der ganze Mechanismus der Gesellschaft verharrt in Ruhe.
Es ist jetzt noch denkbar, daß die Grundeigentümer einen
Monopolpreis bieten können, nämlich dann, wenn sie früher nicht
ihre ganze Grundrente verzehrten. Die Arbeiter können mit dem
natürlichen Preise ihrer Arbeit nicht mehr als den natürlichen Preis
ihres natürlichen Lebensmittelquantums zahlen, wollen sie dieses nicht
verringern. Was wäre aber die Wirkung eines solchen Monopol-
preises? Die Arbeiter könnten nicht mehr ihr natürliches Lebens-
minimum kaufen; da dieses gerade hinreicht, die Zahl der vorhandenen
Bevölkerung aufrechtzuerhalten, so würde sich diese gemäß der
Definition des natürlichen Preises der Arbeit vermindern. Die Nach-
frage nach Getreide würde sinken, damit auch der Getreidepreis und
zwar gerade so stark und im selben Umfange, wie der Monopolpreis
den höchsten natürlichen Wert des Getreides überstiegen hätte. Ein
Monopolpreis und damit auch die Getreidemonopolrente höben sich
auf Basis der natürlichen Preisbestimmung der Arbeit von selbst
auf, womit alles wieder auf den stationären Punkt zurückfiele.
Nach Ricardos eigenen Grundsätzen ist die Naturmonopolrente
von nicht vermehrbar gewordenem Getreide selbst im stationären
Zustande der Gesellschaft auf die Dauer unmöglich, weil sie sich,
wie gezeigt, bei „zeitweiligem“ Eintreten selbst aufhebt und weil es
nach Ricardo selbst unmöglich ist, „daß die Intensität des Bevöl-
kerungszuwachses stets dieselbe bleibt“ !), mit welchen Worten Ricardo
seinem Grundsatze widerspricht, daß die Bevölkerung sich nach
ihren Beschäftigungsmitteln reguliere.
Wenn daher Ricardo selbst von einer dauernden allgemeinen
Grundrente als Bestandteil des Getreidepreises auch erst nach Ein-
treten des stationären Zustandes der Gesellschaft spricht, so setzt
er sich in ebensolchen Widerspruch mit seiner Bevölkerungslehre,
als er sich dort in Widerspruch mit seiner Wertlehre und seiner
Profittheorie gesetzt hat, wo er von einer allgemeinen Grundrente
als Ueberprofit, als Bestandteil eines natürlichen Preises gesprochen
hat. Auf seinem bis zu Ende gedachten Standpunkte ist eine all-
gemeine Grundrente selbst als Naturmonopolrente von nicht ver-
mehrbar gewordenen, vor dem Zeitpunkt des stationären Zustandes
der Gesellschaft vermehrbar gewesenen Bodenprodukten auf die Dauer
unmöglich.
1) Works 54 (88).
520 Philipp Spitz,
3. Das Grundeigentum im Systeme Ricardos.
„Die Rente ist keine Neuschaffung, sondern bloß eine Ueber-
tragung von Vermögen“!), Mit diesen Worten hat Ricardo die
Stellung des Grundeigentümers in seinem Systeme gekennzeichnet.
Da nun die Grundrente im Falle der Selbstbewirtschaftung durch
den Grundeigentümer noch nicht einmal äußerlich wahrnehmbare
Uebertragung ist, so ist in dem vorangestellten Satze Gewicht darauf
zu legen, daß die Grundrente keine Neuschaffung von Vermögen ist.
Das heißt, die Grundrente ist ohne Rücksicht darauf, ob sie im Pacht-
zins äußerlich in die Erscheinung tritt oder nicht, Bestandteil des
bereits vorhandenen Vermögens bzw. Reichtums. Dessen Entstehung
ist aber an keine Eigentumsform gebunden.
Die Entstehung von Differentialrente als Folge der natürlichen
Preisbestimmung und die der allgemeinen Seltenheitsmonopolrente
als Folge der Monopolpreisbestimmung ist ein natürlicher Vorgang,
der ohne Zutun des Grundeigentümers abläuft. Was auf diesen zu-
rückgeführt werden kann, ist lediglich die äußere, rechtliche Formung
eines Teils oder des Ganzen dessen, was bereits auf natürliche
Weise entstanden ist. Die Grundrente Ricardos hat ihrem Inhalte
nach mit dem Grundeigentume gar nichts zu tun. Sie ist als Diffe-
rentialrente Folge „teilweisen Monopols“ an fruchtbaren Böden, als
allgemeine Grundrente ist sie Folge des vollen Monopols am Boden
schlechthin. Das Monopol aber ist in beiden Fällen kein Rechts-
monopol, sondern ein Naturmonopol, das nur unter den Umständen
des kapitalistischen Grundeigentums formalrechtlichen Ausdruck findet,
die Grundrente Ricardos demzufolge keine historisch rechtliche,
sondern eine natürliche Größe, sie ist keine Rechtsmonopolrente,
sondern Differentialrente bzw. allgemeine Naturmonopolrente.
Von hier ausgehend, glaubt Oppenheimer in Ricardos System
einen logischen Zirkel hineinzeichnen zu können. Sein Gedanken-
gang ist etwa folgender:
Ricardo sei Verteidiger des Grundeigentums gegen die Angriffe
des zeitgenössischen Agrarsozialismus, darum lasse er das Grund-
eigentum keine Grundrente schaffen. Weil das Grundeigentum keine
Rente schafft, werden die Bodenprodukte zum natürlichen Preise
verkauft.
Nun gehe aber Ricardo in seiner Darstellung vom Wertgesetze
aus und komme zum Schlusse: weil die Bodenprodukte zum natür-
lichen Preise verkauft werden, darum enthält dieser keinen Grund-
rentenbestandteil.
Der logische Zirkel bestehe also darin, daß Ricardo die Nicht-
existenz einer allgemeinen Grundrente aus ihrer Nichtexistenz ableite.
Dieser angebliche logische Zirkel läßt sich allgemeiner formu-
lieren: weil Ricardo eine historisch-rechtliche Institution ver-
teidigen wolle, lasse er alles in natürlicher Weise geschehen,
1) Works 117 (194).
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 521
was er dann so umdrehe: weil alles natürlich zugeht, darum bleiben
die Träger einer historischen Rechtsinstitution passive Zuschauer
der ökonomischen Naturvorgänge.
Darin ist zweierlei ausgesprochen: 1) ein logischer Zirkel. 2) Die
Tatsache, daß Ricardo dem „Natürlichen* die Priorität gegenüber
dem „Historisch-Rechtlichen“ zuweist.
Zum logischen Zirkel bei Ricardo, den Oppenheimer behauptet,
ist zu sagen, daß er da ist, sobald Oppenheimers Prämisse zutrifft,
daß Ricardo nämlich von der Rechtfertigung des Grundeigentums
ausgegangen ist. Tatsächlich aber verrät Ricardo nirgends einen
antiagrarsozialistischen Eifer. Er ist überhaupt weder Freund noch
Feind irgendeiner Klasse; seine „Grundsätze“ stellen nicht Beur-
teilungen, sondern nackte Urteile über die Veränderungen des Reich-
tums, der Bevölkerung und ihrer Teile dar.
Abgesehen davon, daß Ricardo es einmal für höchst bedauerlich
finden würde, „wenn die Fürsorge für irgendeine einzelne Klasse
den Fortschritt des Reichtums und der Volkszahl des Landes auf-
halten darf“ '), ist der Freihandel, den Ricardo letzten Endes fordert,
doch gerade nicht geeignet, die Grundrente zu fördern, was doch
auch für die Frage, ob Ricardo Freund oder Feind des Grundeigen-
tums ist, ins Gewicht fällt.
Ja, man könnte noch Ricardos Worte vorbringen, daß „das
Interesse des Grundeigentümers dem des Konsumenten und Gewerbe-
treibenden stets entgegen sei“ ?), weil hohe Grundrente (dr) mit hohen
Lebensmittelpreisen einerseits, hohen Löhnen und darum niedrigen
Profiten andererseits verbunden sei. Aber das darf Ricardo eigent-
lich von seinem eigenen Standpunkt gar nicht sagen, denn der Grund-
eigentümer kann doch nichts dafür, wenn die dr groß ist; den Grund-
eigentümer in Gegensatz zu den anderen Klassen stellen hieße ja,
ihn für die hohe dr, bzw. für die hohen Bodenproduktpreise ver-
antwortlich machen.
Gewiß ist deren Höhe dem Grundeigentümer sehr angenehm,
aber sie erreichen ihre Höhe ohne sein Zutun lediglich infolge der
Bevölkerungsvermehrung und steigenden Aufwandes, und weil sie
natürlich wachsen, d. h. ohne Hemmnis oder Förderung durch irgend-
eine Klasse, darum darf Ricardo nicht, selbst wenn er es tut, von
einem Klassengegensatz, sondern nur von einem Klassenverhältnis
sprechen, wie er es im Vorworte zu seinem Hauptwerke tut, das er
mit der einfachen Feststellung beginnt, daß die Bevölkerung in
drei Klassen und demzufolge der Reichtum in drei Revenuen zerfällt.
Ricardos System ist ganz gewiß ein System der „Natur“, aber
Ricardo hat ebenso gewiß zur „Natur“ nicht als zu einem Mittel
der Rechtfertigung gegriffen, sondern als zu einem Mittel seines
Denkens, das, worauf schon viele hingewiesen haben, ganz im Banne
des Newtonschen Naturmechanismus steht. Wenn daher Oppen-
1) Works (Kleine Schriften I 42).
2) Works (342/43).
522 Philipp Spitz,
heimer in Ricardo einen Apologeten sieht, so schiebt er damit un-
bewußt Ricardo sein eigenes Motiv, anzugreifen und zu recht-
fertigen, unter, was aber auf keinen Fall ein Motiv Ricardos war,
der nur urteilen und nicht beurteilen darf, selbst wenn er es getan
hätte.
Außerdem bedeutet Oppenheimers „psychologischer Nachweis“,
wonach Ricardo von der Grundrente zum Wert und von diesem
wieder zurück zur Nichtexistenz der allgemeinen Grundrente ge-
gangen sei, nichts anderes, als, Ricardo sei von der Nichtexistenz
des Grundrententeils ausgegangen, um dann hinterher festzustellen,
daß er im Wertganzen auch wirklich nicht enthalten ist. Aber
Ricardo geht stets vom Reichtum zu den Einkommensarten, von der
Bevölkerung zu den Klassen, kurz vom Ganzen zu den Teilen.
Ricardos Grundsätze der Volkswirtschaft enthalten ein System, in
dem alle Ursprünglichkeit in seiner Einheit konzentriert ist, dessen
Teile darum nur abgeleitete Größen sein können. Nur weil alle
Bedingtheit vom Einheitsganzen ausgeht, darum kann kein Teil
z. B. das Grundeigentum bedingend, renten- d. h. wertschaffend auf-
treten. Die Passivität des Grundeigentümers in bezug auf die
Schaffung von Grundrente im Sinne einer Schaffung und nicht bloß
Uebertragung von Vermögen befriedigt nicht ein apologetisches,
sondern das logische Bedürfnis Ricardos, sein System zu schließen.
Er sagt nicht dem Grundeigentümer zuliebe: Grundrente besteht
nicht und darum soll das Wertgesetz gelten, sondern umgekehrt:
weil das Wertganze gilt und alle Ursprünglichkeit in sich trägt,
darum duldet es keine zweite wertschöpferische Kraft, z. B. das
Grundeigentum, neben sich, Ricardo erkauft die Geschlossenheit
seines Systems mit der Nichtexistenz einer ursprünglichen, geschaf-
fenen allgemeinen Grundrente.
Es ist klar, der Grundeigentümer, der Rente erzwingt, wann
und wo er kann, reißt das Ricardosche System auseinander. Hier-
über sei folgende Betrachtung angestellt:
Ricardo geht von Verhältnissen aus, in welchen der Grund-
eigentümer keine Grundrente durch Zwang schaffen kann, selbst
wenn er die redlichste Absicht dazu hätte. Ricardo geht nämlich
von der Voraussetzung aus, daß, wenn z. B. Boden I bebaut ist,
„niemand etwas für die Benutzung eines Bodens bezahlen würde,
von dem noch eine Fülle herrenlos daläge, und den ein jeder infolge-
dessen nach Belieben bebauen könnte“ !). Der Grundeigentümer be-
zieht also keine Rente, weil niemand sie zahlen würde, solange er
ungehindert zur Bebauung noch frei daliegenden Bodens fort-
schreiten kann. Nun geht aber Ricardo so weit, daß er das Nicht-
können des Grundeigentümers, solange Boden rechtlich und wirt-
schaftlich frei daliegt, in ein Nichtwollen verwandelt; der Grund-
eigentümer will allgemein keine Grundrente schaffen, weil er
ursprünglich einmal nicht konnte, auch dann nicht, wenn, selbst bei
1) Works 35 (55).
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 523
Annäherung an die Bebauung aller Böden, die rechtliche Okkupation
der wirtschaftlichen Okkupation vorausgeeilt ist. Weil auf diese
Weise rechtliche und wirtschaftliche Okkupation des Bodens nicht
zeitlich auseinanderfallen, darum ist bei Ricardo das Rechtsmonopol
nichts anderes als der rechtliche Ausdruck des Naturmonopols; darum
kennt Ricardo keine ursprüngliche, erzwungene, sondern lediglich
eine abgeleitete, gewordene bzw. nicht gewordene allgemeine Grund-
rente. š
Bei der Annäherung an den stationären Zustand der Gesellschaft
fällt Ricardos Voraussetzung von der Fülle unbebauten Bodens,
tatsächlich bekommt doch der rechtliche Okkupant des Bodens jetzt
die Macht in die Hand, beim Pachtverhältnis indirekt über den
Pächter, bei Selbstbewirtschaftung direkt auf die Preisbildung der
Bodenproduktion einzuwirken. Trotzdem verwandelt sich bei Ricardo
die jetzt doch mögliche allgemeine Rechtsmonopolrente nicht in wirk-
liche allgemeine Grundrente. Das Grundeigentum als solches ist für
Ricardo keine direkte oder indirekte Schranke des Angebots der
Bodenprodukte, weil ja nach Ricardo nicht das Grundeigentum den
Boden anbietet, sondern die Natur.
Durch Verallgemeinerung der früher einmal zutreffend ge-
wesenen Voraussetzung des in jeder Hinsicht freien Bodens räumt
sich Ricardo die Schwierigkeit aus dem Wege, auf das Grundeigen-
tum ein Stück der Ursprünglichkeit zu übertragen, welche er bereits
schon in der Werteinheit seines Systems konzentriert hat. Der
Grundeigentümer, der lediglich Grundrente nimmt, wenn sie ihm von
der Preisbildung hingeworfen wird, ermöglicht es Ricardo, die zu
Beginn seines Grundrentenkapitels gestellte Aufgabe, nämlich zu
untersuchen, ob das Grundeigentum die natürliche Wertbestimmung
modifiziere, dahin zu erledigen: Weil der natürliche Preis die ur-
sprüngliche Einheit des Systems ist, kann aus logischen Gründen
das Grundeigentum die Preisbestimmung nicht durch einen ursprüng-
lichen allgemeinen Grundrentenaufschlag modifizieren, selbst dann,
wenn es faktisch kann und will. Ricardos Fehler besteht darin, daß
nach ihm der Grundeigentümer Grundrente durch Modifikation der
Preisbildung faktisch nicht erhalten kann, weil er es logisch nicht kann,
wobei dann sein Wollen von selbst nebenhin gerät. Oder anders
gesagt: Die Logik Ricardos schreibt dem Grundeigentümer vor, wie
er sich zu verhalten hat. Die logisch unmögliche ursprüngliche allge-
meine Grundrente ist gerade darum, weil sie vom Standpunkte der
natürlichen Preisbildung unmöglich ist, auch faktisch unmöglich.
Aus logischer Notwendigkeit im Ricardoschen System heraus ver-
zichtet der Eigentümer des letzten Bodenstückes auf Grundrente
oder bebaut er seinen Boden selbst. Die Dinge und Menschen
richten sich nach der Logik, was ihnen aber gar nicht einfällt. Die
Nichtexistenz der ursprünglichen allgemeinen Grundrente ist ledig-
lich logisch erschlossen, ist lediglich eine logische Notwendigkeit
für die Geltung der allein ursprünglichen Preisbestimmung, aber
darum ist sie durchaus noch nicht eine notwendige Wirklichkeit.
524 Philipp Spitz, Das Problem der allgemeinen Grundrente ete.
Vielmehr sind tatsächlich alle Böden bereits rechtlich in Besitz
genommen, bevor alle bebaut sind, so daß lange vor dem Zeitpunkt
des stationären Zustandes der Gesellschaft die Möglichkeit einer
allgemeinen Rechtsmonopolrente vorhanden ist, eine Möglichkeit, die
zur Wirklichkeit wird, sobald der Grundeigentümer sich seiner
Monopolmacht bewußt wird und sein charakteristisches Streben nach
Grundrente bei gegebenen Marktverhältnissen in die Tat umsetzt.
So viel steht fest, lange vor Eintritt des stationären Zustandes der
Gesellschaft muß die allgemeine Rechtsmonopolrente in das Ricardo-
sche System Eingang finden.
Sie könnte neben dem das Wertgesetz Ricardos modifizierenden
ursprünglichen Aufschlag auf den natürlichen Preis noch Abzug vom
Profit sein. Aber diese allgemeine Abzugsrente modifizierte Ricar-
dos Satz, daß die allgemeine Profitrate durch die landwirtschaftliche
Profitrate bedingt ist. Wenn daher die allgemeine Rechtsmonopol-
rente als bei bestimmten Marktverhältnissen in die Erscheinung
tretendes Faktum in Ricardos System hinein muß, so tritt die Alter-
native ein:
Entweder: der Grundeigentümer macht einen Abzug vom Profit
des Pächters und modifiziert Ricardos Theorie von der allgemeinen
Profitrate. Anders ausgedrückt für den Fall der Bewirtschaftung
durch den Eigentümer: der Grundeigentümer rechnet sich einen
Teil seines Reinertrages als Grundrente an. Aber welchen Maßstab
benutzt er dabei? Ist denn der Profit als Rest des Reinertrages
durch die Grundrente, das Kapital also durch das Grundeigentum
bestimmt, oder besteht eine allgemeine Profitrate als in gegebenem
Zeitpunkte fixe Größe, welche der Grundeigentümer zuerst vom
Reinertrag abzieht, um dann den Rest sich als Grundrente zuzu-
rechnen? Im letzten Falle müßten dann allerdings andere Bestim-
mungsgründe der allgemeinen Profitrate als diejenigen Ricardos noch
beigebracht werden.
Dieser Weg geht auf den Boden der Arbeitstheorie Rodbertus’.
Oder: Der Grundeigentümer schafft allgemeine Grundrente, in-
dem er indirekt über den Pächter oder direkt bei Bewirtschaftung
seines eigenen Bodens einen Aufschlag auf den natürlichen Preis
bewirkt, wodurch allerdings Ricardos Werttheorie modifiziert würde.
Marx setzt hier ein, indem er die Arbeitswerttheorie anders
wie Ricardo und zwar so gestaltet, daß der aufschlagende Grund-
eigentümer der Ursprünglichkeit des Wertes keinen Eintrag tut.
Im folgenden bleiben wir bei Ricardo stehen, um von hier aus
zu sehen, welche Umgestaltungen sein System unter den Händen
von Rodbertus und Marx in dem Bestreben erfahren hat, die all-
gemeine Grundrente widerspruchslos in ein Arbeitswertsystem ein-
zufügen.
(Der zweite Teil dieses Aufsatzes folgt im Mai-Heft.)
Miszellen. 525
Miszellen.
VIII.
Die Ansiedelung der Kriegsinvaliden in Stadt
und Land.
Von Dr. phil. et rer. pol. Strehlow, Oberhausen.
Bereits seit längerer Zeit beschäftigt man sich in der Oeffentlich-
keit mit der Frage der Ansiedelung der Kriegsinvaliden. Das deutsche
Volk will seinen Verteidigern dadurch danken, daß es jedem deutschen
Kriegsteilnehmer oder seiner Witwe die Möglichkeit eröffnet, auf dem
vaterländischen Boden ein Familienheim auf eigener Scholle zu erringen.
Das erste Anrecht haben hier naturgemäß die Kriegsinvaliden, die einen
Teil ihrer Gesundheit dem Vaterlande geopfert haben.
Wir müssen, sagt Mewes in den Mitteilungen des Rheinischen
Vereins für Kleinwohnungswesen, mit Bestimmtheit darauf rechnen,
daß eine große Menge von Feldzugsteilnehmern mit Erkrankungen der At-
mungs- oder der Verdauungsorgane, des Herzens, mit ernsten rheuma-
tischen oder nervösen Beschwerden zurückkommen werden, die den
Aufenthalt und die Beschäftigung im städtischen und gewerblichen
Leben nicht mehr dauernd vertragen oder zum mindesten gegen die
daraus drohenden Schädigungen einen kräftigen Ausgleich durch freies,
ländliches Wohnen brauchen. Man denke sodann an die unglücklichen
Verstümmelten, die sich trotz des höchst vervollkommneten Glieder-
ersatzes und wohlwollender Berufsberatung nicht alle im gewerblichen
Leben (und zwar meist doch in abhängiger Stellung) werden zurecht-
finden und zur Geltung bringen können, — ferner an diejenigen In-
validen, die aus ländlicher Gegend und landwirtschaftlichem Berufe
stammen, aber nicht von Hause aus begütert sind, — und schließlich
an die Witwen von Kriegern der letzteren Art, auf deren Schultern
häufig die ganze Sorge um die Familie ruht, die aber von der Hinter-
bliebenenrente allein ihren Unterhalt nicht bestreiten können. Für diesen
ganzen Kreis erscheint es dringend erwünscht, rechtzeitig Einrichtungen
zu treffen, um geeigneten Kriegsinvaliden oder ihren Hinterbliebenen
Gelegenheit zum Erwerb ländlicher Siedelungen zu schaffen.
Es gilt aber auch ganz allgemein, durch eine weitsichtige Siede-
lungspolitik gesunde Grundlagen zu schaffen für die Entwicklung
unseres Volkes, den Familiensinn zu heben im gemeinsamen Schaffen
für den eigenen Besitz und die Hemmungen zu beseitigen, die einer
natürlichen Fortpflanzung im engen Zusammenwohnen, fern von der
526 Miszeilen.
ausgleichenden Wirkung der Natur entgegenstehen. Die Aufgabe, die
uns gestellt ist, erhält dadurch allgemein volkswirtschaftlich eine weit
breitere Grundlage, Bodenpolitik an Hand einer weitgehenden Siede-
lungspolitik in Stadt und Land. Möglichst jedem, der will und kann,
soll Gelegenheit gegeben werden, sich in einer Art anzusiedeln, die
ihm und seinen Nachkommen nach jeder Richtung hin günstige Daseins-
bedingungen bietet, und der Kreis dieser Ansiedler soll nach Möglich-
keit erweitert werden.
Innerhalb dieser allgemeinen Aufgabe aber sollen die Kriegsteil-
nehmer und in erster Linie die Kriegsinvaliden bevorzugt werden.
Wir wollen unserer Dankespflicht ihnen gegenüber dadurch genügen,
daß wir es ihnen nach Möglichkeit erleichtern, sich einen eigenen Be-
sitz zu erwerben und dadurch günstigere Daseinsbedingungen zu er-
langen.
Eine allgemeinere Auffassung der Siedelungsaufgabe ist aus vielen
Gründen erwünscht. Die Beschränkung auf die Kriegsteilnehmer würde
den Gedanken an ein Almosen nahelegen, und das soll doch auf alle
Fälle vermieden werden; eine Mischung Zusammenwohnender nach
Weltanschauung, wirtschaftlicher und sozialer Lage hat sich ferner
immer als besonders günstig erwiesen, und endlich scheint es sehr
zweifelhaft, ob bei einer Beschränkung auf die Kriegsteilnehmer der
Siedelungsgedanke so weit durchgeführt werden könnte, wie es aus all-
gemein volkswirtschaftlichen Gründen gerade nach dem Kriege not-
wendig erscheint.
Der von der Bodenreform gegründete „Hauptausschuß für Krieger-
heimstätten“ hat folgende „Grundsätze für ein Reichsgesetz zur Schaf-
fung von Kriegerheimstätten“ aufgestellt:
1. Das Reich dankt seinen Verteidigern, indem es jedem deutschen Kriegs-
teilnehmer oder seiner Witwe die Möglichkeit eröffnet, auf dem vaterländischen
Boden ein Familienheim auf eigener Scholle (Kriegerheimstätte) zu erringen. Die
Kriegerheimstätten sollen, gemäß den Lehren dieses Läuterungskrieges, das deutsche
Boden- und Siedelungswesen auf das Ziel hinlenken, einen körperlich und sittlich
esunden Volksnachwuchs zu sichern, die Wehrkraft des Volkes zu erhöhen und
ie Erträgnisse des heimischen Bodens zu steigern.
2. Jeder deutsche Krıegsteilnehmer hat im Rahmen dieses Gesetzes einen
Anspruch auf eine Heimstätte im Reich oder in seinen Kolonien. Unter den Be-
werbern sollen die ortsangehörigen Kriegsbeschädigten, Witwen und kinderreichen
Familien zuerst berücksichtigt werden.
3. Die Kriegerheimstätten sind entweder:
Wohnheimstätten: Kleinhäuser mit Nutzgärten, die allen Kriegsteilnehmern
verliehen werden können, oder
Wirtschaftsheimstätten: gärtnerische oder landwirtschaftliche Anwesen, von
geeigneter, nach Bodenart und Bodenpreis verschiedener Größe, die nur Bewerbern
mit entsprechender Vorbildung und angemessenem Betriebskapital verliehen
werden dürfen.
Bestehender Besitz kann in Kriegerheimstätten umgewandelt werden.
4. Die Heimstättenversorgung geschicht durch ein Heimstättenamt, das dem
Reichsamt des Innern ein- und untergeordnet und in geeigneten Bezirken durch
Heimstättenamtmänner vertreten wird. Diese haben in Fühlung mit den zustän-
digen Behörden (Bezirkskommandos usw.) die Auskunftserteilung und Vermittlung
jeder Art bei Begründung, Ausführung und Bewirtschaftung der Heimstätten zu
bewirken und jedem Mißbrauch mit ihnen zu vereiteln.
Miszellen. 527
5. Das Reich kann die Ausgabe von Heimstätten übertragen an öffentlich-
rechtliche Verbände und an sonstige gemeinnützige Vereinigungen. Um Boden
zur Errichtung von Kriegerheimstätten zu gewinnen, haben die Heimstätten-
ausgeber ein Vorkaufsrecht bei jeder Zwangsversteigerung und bei der Veräußerung
von Grundstücken, die in einem Jahrzehnt zweimal freihändig ihren Besitzer ge-
wechselt haben. Bei diesen Grundstücken haben sie auch ein Enteignungsrecht
und zwar grundsätzlich zu dem Wert, der in der Selbsteinschätzung vor dem
Kriege zum Wehrbeitrag angegeben und angenommen worden ist.
Weigern sich öffentlich rechtliche Verbände oder sonstige gemeinnützige
Vereinigungen, die Ausgabe von Kriegerheimstätten zu bewirken, obwohl sie im
Besitz von geeignetem elände sind, so ist das Reichsheimstättenamt berechtigt,
diese Gelände zwecks Gründuug von Kriegerheimstätten zu enteignen.
6. Die Kriegerheimstätte wird zum Eigentum übertragen gegen eine unkünd-
bare Bodenrente (Weiterbildung des § 1202 Abs 2 des BGB.).
7. Eine Veräußerung der Kriegerheimstätte ist nur mit Genehmigung der
Ehefrau zulässig. Die Rente (§ 6) kann nur gesteigert werden, wenn der Besitzer
die Kriegerheimstätte freiwillig aufgibt, oder wenn nach dem Tode beider Eltern
das jüngste Kind großjährig wird oder sie nicht selbst bewohnt und bewirtschaftet.
Für die Steigerung ist nicht der für die Heimstätte gebotene Preis allein maß-
gebend, sonder es muß eine allgemeine Steigerung des Bodenwertes in der be-
treffenden Gegend nachweisbar sein. Der Heimstättenbesitzer hat Anspruch auf
Herabsetzung der Rente, wenn die Bodenwerte eine nicht nur vorübergehende
Verminderung erfahren haben. Der Heimstättenausgeber hat bei allen Verkäufen
von Kriegerheimstätten das Vorkaufsrecht.
8. Eine Beleihung der Kriegerheimstätten kann nur in Form von unkünd-
baren und löschungspflichtigen Tilgungsdarlehen erfolgen. Mindestens 10 v. H.
der Baukosten muß der Heimstättenbewerber selbst aufbringen. Das Reich er-
möglicht die Beleihung der Kriegerheimstätten bis zu 90 v. H. der reinen Bau-
kosten entweder durch Erweiterung des bereits bestehenden Reichsbürgschaftsfonds
oder durch Schaffung einer Reichspfandbriefanstalt, unbeschadet der weitergehenden
Fürsorge für die Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen durch Nutzbarmachung
des entsprechend verstärkten Reichswohnungsfürsorgefonds.
Gemeinnützige Kassen, welche für Unbemittelte die fehlenden 10 v. H. der
Baukosten aufbringen, ebenso teilweis kapitalisierte Invaliden- oder Hinter-
bliebenenrenten erhalten das Recht der hypothekarischen Eintragung. Für alle
sonstigen Eintragungen ist das Grundbuch geschlossen.
9. Die Kriegerheimstätte kann durch privatrechtliche Forderungen nicht in
Zwangsversteigerung gebracht werden; sie ist unteilbar und durch Erbgang nur
auf einen Erben übertragbar.
10. Zur Bestreitung der Kosten und Schaffung eines Reservefonds für
etwaige Verluste erhebt das Reich eine ÖOedlandsteuer von 2 v. H. auf alles
Privatland, das seit mehr als 5 Jahren nicht unter dauernder forstwirtschaftlicher,
landwirtschaftlicher oder gärtnerischer Kultur gehalten worden ist, und zwar
nach dem Werte, den der Eigentümer selbst angibt, der aber zugleich die Grund-
lage des Enteignungspreises bildet, wenn das Land für Kriegerheimstätten be-
nötigt wird.
Die Forderungen dieser Grundsätze gipfeln in der Aufstellung eines
eigenen Bodenrechtes für die Heimstätten. Ohne zunächst auf die Be-
rechtigung dieser Forderungen einzugehen, wird es doch von vornherein
zweifelhaft sein, ob es angebracht erscheint, bei dieser Gelegenheit
theoretische Versuche anzustellen oder eine grundsätzliche Aenderung
des Bodenrechtes durchsetzen zu wollen. Der von erschwerenden Be-
dingungen befreite Weg wird zunächst immer der praktischere sein
und später leicht zeigen, ob und wie weit solche Bedingungen not-
wendig und erwünscht erscheinen.
Die praktische Lösung der Aufgabe ist, wenn auch das Ziel klar
erscheint, durchaus nicht so einfach. Sie ist in ihren Grundlagen schon
528 Miszellen.
zweifach, streng getrennt, Siedelung in der Stadt und Siedelung auf
dem Lande.
Bei der Siedelung auf dem Lande handelt es sich im allgemeinen
um die Schaffung landwirtschaftlicher Vollstellen. Die Landwirtschaft
muß den Mann mit seiner Familie ernähren. Beim Kriegsinvaliden
kann allerdings noch die Rente zu Hilfe genommen und dadurch der
erforderliche Flächenbesitz herabgedrückt werden; aber man muß dabei
doch bedenken, daß für die folgende Generation die Rente in Wegfall
kommt, und ein abhängiger Bauernstand, da wo die Möglichkeit ge-
werblicher Nebenarbeit nicht vorhanden ist, wie es gewöhnlich der Fall
ist, volkswirtschaftlich durchaus nicht erwünscht erscheint. Wie grob
hier der Flächenbesitz sein muß, das hängt von dem einzelnen Fall ab,
von der Bodengüte, der Wirtschaftsart und den Absatzbedingungen.
Schon die Beurteilung dieser Frage erfordert außerordentlich viel land-
und volkswirtschaftliche Kenntnisse und kann nur von einer Organi-
sation geleistet werden, der diese Kenntnisse in hervorragendem Maße
eigen sind.
Der Krieg hat uns aber auch gezeigt, wie notwendig es ist, unsere
landwirtschaftliche Erzeugungskraft zu steigern. Das ist vor allem
möglich durch Kultivierung unseres Brach-, Heide- und Moorlandes.
Gerade solches Neuland eignet sich in hervorragendem Maße für Siede-
lungen, weil es nur, von kapitalskräftiger, sachverständiger Hand vor-
bereitet, im kleinen Besitz wirtschaftlich gemacht werden kann. Hier
kann erst recht nur eine hervorragende landwirtschaftliche Organisation
Gutes leisten, die ihre Arbeit nicht mit der Besitzübergabe abge-
schlossen sieht, sondern auch den weiteren Betrieb im Auge hat, mit
Rat und Tat zu Hilfe geht und auch für den Zusammenschluß der
einzelnen Besitzer, wo es notwendig erscheint, Sorge trägt.
Die städtische Siedelung geht von wesentlich anderen Gesichts-
punkten aus. Hier handelt es sich im allgemeinen darum, der städti-
schen Bevölkerung, die in den gewerblich gegebenen Ortsverhältnissen
ihre Lebensbedingungen findet, günstige Wohnverhältnisse zu bieten mit
einem Stück Land, das ihren Umgang mit der Natur vermittelt und
die Durchbringung einer großen Familie erleichtert. Hier kommt es
also darauf an, möglichst billige und möglichst günstige Wohngelegen-
heit zu schaffen für solche, die befähigt und in der Lage sind, sich
aus den gegebenen Ortsverhältnissen einen Verdienst zu verschaffen.
Während man also auf dem Lande im allgemeinen nur solche
Kriegsteilnehmer ansiedeln kann, die, aus landwirtschaftlicher Gegend
stammend, mit ihrer Familie einem vollen landwirtschaftlichen Betriebe
gewachsen sind, ist in den Städten und Industriebezirken, die ersteren
ungefähr gleich zu erachten sind, die Auswahl eine weit größere. Zu
der großen Zahl der früher in der Stadt und Industrie Beschäftigten
kommen hier die aus landwirtschaftlichen Gegenden Stammenden, die,
keinem landwirtschaftlichen Vollbetrieb gewachsen, sich erfahrungs-
gemäß einer gewerblichen Nebentätigkeit sehr leicht anpassen, ferner
Invaliden und Kriegerwitwen aus beliebiger Gegend mit erwach-
senen oder bald erwachsenen Kindern, die in der Stadt oder in der
Miszellen. 529
Industrio eine Tätigkeit finden können, ohne aus dem Elternhaus aus-
zuscheiden.
Die Beurteilung der Siedelung in der Stadt, der Wahl und Preise
der Grundstücke, der Art ihrer Bebauung, des Bedarfs an gewerblichen
Arbeitskräften und der Auswahl derselben nach ihren Fähigkeiten er-
gibt sich aus dem engeren Rahmen der ÖOrtsverhältnisse. Nur eine
Organisation, die nach Kenntnissen und Aufbau diesen angepaßt ist,
vermag deshalb hier Ersprießliches zu leisten.
Die allgemeinen Gesichtspunkte für die landwirtschaftliche Siede-
lung sind für das ganze Reich im wesentlichen gleich, innerhalb der
einzelnen Provinzen jedenfalls nicht verschieden. Zur Durchführung
derselben eignen sich deshalb am besten gemeinnützige Siedelungs-
gesellschaften auf provinzieller Grundlage. Solche Gesellschaften sind
durch ihre umfangreiche Aufgabe in hohem Maße geeignet, Erfahrungen
zu sammeln, an Hand derer sich zweifellos recht bald ein festes Ver-
fahren herausbilden wird, das nicht nur der landwirtschaftlichen Siede-
lung, sondern auch nach manchen Richtungen, z. B. für die Finanzierung
des Ganzen, der Siedelung in der Stadt zugute kommen wird.
In den Städten und Industriebezirken weist die Natur der Auf-
gabe ihre Durchführung den gemeinnützigen Baugenossenschaften zu.
Hier steht die bauliche Tätigkeit im Vordergrunde, für die die bei den
Baugenossenschaften bereits vorhandenen Erfahrungen nutzbar gemacht
werden können. Die aus den ÖOrtsverhältnissen und dem ÖOrtsbedarf
geborenen Baugenossenschaften sind ferner besonders geeignet, den
Forderungen einer ländlichen Siedelung um ein städtisches Zentrum
mit allen ihren Wechselbeziehungen zu diesem gerecht zu werden. Sie
bieten endlich den Vorteil, daß man an bereits Vorhandenes, Bewährtes
anschließen kann.
Wenn so Siedelungsgesellschaften und Baugenossenschaften die
hauptsächlichsten Träger der Siedelungsdurchführung sind, so müssen
doch neben diesen alle Kräfte nutzbar gemacht werden, die geeignet
erscheinen, erfolgreich mitzuarbeiten. Hier kommen in Frage die Pro-
vinzen, Kreise, Städte und Gemeinden, in den Industriebezirken die
Industrie und selbst Private, die einen großen Grundbesitz haben.
Aber abgesehen von der Industrie, die sich auch hier ihre Selbständig-
keit bewahren muß und ihren Grundbesitz, den sie nicht aus der Hand
geben kann, nur im Erbbaurecht zur Verfügung stellen kann, werden
sie alle nur im einzelnen Falle zur direkten Mitarbeit berufen sein.
Ihre Mitarbeit wird sich im allgemeinen auf die Zurverfügungstellung
von Grundstücken und auf finanzielle Unterstützung beschränken, auf
die wir noch zurückkommen werden.
Das Anstreben ländlicher Siedelungen in der Umgebung der Städte
ist bereits eine alte Forderung städtischer Bodenpolitik, die man unter
der Bezeichnung Dezentralisation der Städte zusammenzufassen pflegt.
Ihren notwendigen Bedingungen, niedere Bauart und große Gärten,
stellen die hohen Bodenpreise große Schwierigkeiten entgegen. Man
muß meist schon weit hinausgehen, um diesen Bedingungen genügen
zu können.
Jahrb. f. Nationalök. u, Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 34
530 Miszellen,
Eine Grundstücksgröße von 1/, Morgen wird wohl die untere
Grenze für eine Ansiedelung der Kriegsteilnehmer sein. Diese Größe
vermag bei wirtschaftlicher Ausnutzung die meisten Bedürfnisse der
Küche einer Familie zu bestreiten. Die Viehhaltung wird allerdings
erst bei größeren Flächen lohnen; sie wird aber oft durch Zupacht
möglich, besonders bei weiter Bebauung, wie die reiche Schweine- und
Ziegenzucht im rheinisch-westfälischen Industriebezirk zeigt.
Ein Einfamilienhaus mit Stall und Einfriedigung ist heute kaum
mehr unter 5—6000 M. zu bauen, ein 21/,-stöckiges Zweifamilienhaus
mit reichlich Raum für jede Familie bereits für 8000 M. Für das
erstere ist die Grenze der Anwendungsfähigkeit etwa bei 1000 M., für
das letztere bei 2—3000 M. Grundstückspreis gegeben, da bei einer
Abgabe von 300 M. (5 v. H. des Auslagekapitals) der Kreis der in
Frage kommenden Bewerber schon recht klein sein wird. Eine AL-
gabe von 300 M. wird aber beim Einfamilienhaus selbst bei nur 1000 M.
für den Grundstückspreis und bei Annahme billigen Geldes aus öffent-
lichen Mitteln, dessen Erlangung wir für unsere Kriegsinvaliden wohl
voraussetzen können, kaum zu vermeiden sein.
Die ländliche Siedelung mit Grundstücken in einer Größe von
1/, Morgen wird deshalb unter Einschluß des Zweifamilienhauses erst
da beginnen können, wo ein solches Grundstück für 2—3000 M. zu
haben ist. Das entspricht etwa der Preislinie von 4— 5000 M. für den
Morgen Rohland, da die Kosten der Straßenflächen, die Kosten für
Aufschließung und Wegebau und der Zinsverlust für die Aufschließungs-
zeit hinzugerechnet werden müssen. Diese Rechnung stimmt natürlich
nur dann, wenn die Städte ihre Anforderungen an Wegebau usw. dem
ländlichen Charakter des Ganzen entsprechend auf ein MindestmaL
herabsetzen.
Von dieser Linie beginnend, kann sich die ländliche Siedelung
nach außen ausbreiten bis zur Preislinie von etwa 1000 M. für den
Morgen, bei der die landwirtschaftliche Siedelung einsetzen kann, weil
dieser Preis im allgemeinen in der Nähe der Städte bereits dem land-
wirtschaftlichen Nutzungswert entspricht. Auf dem Gürtel der länd-
lichen Siedelung wird man sich dann ja nach den Preislagen, ven
1/ Morgen beginnend, für verschiedene Grundstücksgrößen, für das
Ein- oder Zweifamilienhaus entscheiden. Bei der Auswahl der zu er-
werbenden Flächen spielen natürlich die Verkehrsverhältnisse eine be-
deutsame Rolle.
Die Einwendungen, die man gegen das Zweifamilienhaus gemacht
hat, kann ich als durchaus stichhaltig nicht anerkennen. Natürlich ist
das Einfamilienhaus idealer und soll überall da angewandt werden, wa
es möglich ist. Aber eine alte Erfahrung lehrt, daß dasselbe nur für
einen recht kleinen Kreis in Frage kommt, und daß Baugenossenschaften,
die sich auf das Einfamilienhaus beschränken, meist nur für Leute
bauen, die ohnehin nicht auf die schlechtesten Wohnungen angewiesen
sind. Der Erwerber, und erst recht der Kriegsinvalide, stellt sich
seine Rechnung auf, und diese ist beim Zweifamilienhaus im all-
gemeinen günstiger. Breite Kreise der Kriegsinvaliden werden nur
Miszellen. 531
dann für die Ansiedelung gewonnen werden können und diese als
Dankestat empfinden, wenn wir ihnen nicht nur gute, sondern auch
billige Wohnungen beschaffen. Der Ansiedler, der sich durch die
Uebernahme eines Einfamilienhauses später wirtschaftlich überlastet
fühlt, was schon heute gar nicht so selten der Fall ist, wird ohnehin
meist gezwungen sein, Kostgänger zu nehmen, und wenn dies auch an
und für sich nicht so schlimm ist, vorausgesetzt, daß genügend Räume
vorhanden sind, so wohnt er doch dann noch weniger allein als im
Zweifamilienhaus. Die Frage, ob Ein- oder Zweifamilienhaus, muß des-
halb nach allen Richtungen unter Berücksichtigung der Verhältnisse
des einzelnen Falles eingehend geprüft werden, denn wir werden nur
dann des Dankes der Kriegsinvaliden sicher sein können, wenn wir sie
wirtschaftlich günstig stellen. In jedem Falle ist es verkehrt, sich hier
einseitig festzulegen und das Bessere zum Feind des Guten werden zu
lassen.
Der Gürtel für die ländliche Siedelung um unsere Städte, der so
weit reicht wie die ausstrahlende Wirkung der Bodenwerte des Zen-
trums, liegt vielfach ganz oder zum Teil außerhalb der politischen
Grenzen der Stadt. Das bietet eine große Schwierigkeit, weil diese
Grenze für die Interessen der Stadt eine fast unübersteigbare Schranke
bedeutet, anderseits aber die Siedelung ohne Mitwirkung dieser Inter-
essen kaum durchführbar ist. Der offene Gürtel um eine Stadt bildet
mit dieser ein organisches Ganze und muß diesem nach der Art des
Aufbaues und des Verkehrsnsschlusses angepaßt werden. Die Siede-
lungsdurchführung muß den Interessen der Stadt, aus denen ihr Be-
dürfnis entstanden, entsprechen, und liegt deshalb am besten in der
Hand von Baugenossenschaften, die Hand in Hand gehen mit den
Stadtbehörden. Daraus ergibt sich die Bedeutung einer weitsichtigen
Eingemeindungspolitik, die den Städten im eigenen Rahmen Raum
schafft für eine ländliche Siedelung.
Anderseits müssen aber die Städte einer solchen Siedelung die
Wege ebnen und sich frei machen von der Auffassung, Stadt sein,
heißt eng und hoch gebaut sein, selbst auf die Gefahr hin einer höheren
finanziellen Belastung. Diese Gefahr wird ja auch eine mehr vermeint-
liche als tatsächliche sein, wenn man dem ländlichen Charakter des
äußeren Gürtels nach jeder’ Richtung hin Rechnung trägt.
Auch Siedelungen in weiterem Zusammenhang mit Städten und
Industriebezirken, die in landwirtschaftlicher Gegend gelegen, den An-
gesiedelten noch Gelegenheit bieten, in diesen einer gewerblichen Arbeit
nachzugehen, werden in vielen Füllen möglich sein, wenn eine gute
Verkehrsverbindung vorhanden ist. Dem Vorteil billigen Landes steht
hier der Zeit- und Geldverlust durch die Fahrt gegenüber. Im allge-
meinen haben sich solche Beziehungen zwischen Stadt und Land nur
dort herausgebildet, wo eine an sich arme oder durch starke Bevölke-
rungszunahme verarmte Landgegend nach einer Stadt hin aufgeschlossen
wurde. Deshalb muß es meines Erachtens auch als verfehlt angesehen
werden, von vornherein solche Klassen anzusiedeln, die auf diese Be-
ziehungen angewiesen sind. Die Vollstelle ohne Hinzurechnung der
34*
532 Miszellen.
Invalidenrente wird daher auch hier das Richtige sein. Eine gute
Verbindung mit einer naheliegenden Stadt wird allerdings immer recht
hoch einzuschätzen sein, weil sie einen Ableiter bildet für überschüssige
Kräfte, ohne daß dieselben aus der Siedelung auszuscheiden brauchen.
Solche Siedelungen eignen sich deshalb hervorragend für kinderreiche
Kriegsinvaliden oder deren Witwen aus landwirtschaftlicher Gegend.
Die Kinder können dann, wenn sie erwachsen sind, bis zu ihrer Heirat
im Hause bleiben und sich Beschäftigung in der Stadt suchen.
Es fragt sich noch, ob der Staat die Aufgabe hat, auf die allge-
meinen Siedelungsvorgänge Einfluß zu erlangen, ob er vor allem be-
rufen ist, auf die Verteilung der Massen im großen Rahmen durch Be-
einflussung der Siedelungsgrundlagen einzuwirken. Behörden, Militär
und wissenschaftliche Institute sind zweifellos sehr bedeutsame Ent-
wickelungsträger, bei deren Verteilung der Gesichtspunkt einer geeig-
neten allgemeinen Massenverteilung, einer Bevorzugung kleinerer und
mittlerer Städte mit günstigen Siedelungsverhältnissen die Hand des
Staates leiten kann und in Zukunft mehr als bisher leiten sollte; aber
es ist nicht zu verkennen, daß hier auch andere Gesichtspunkte mit-
sprechen, die vielfach ausschlaggebend sind. Im Anschluß an den Bau
von Kanälen hat es der Staat auch schon mehrfach versucht, durch
Erwerb des anliegenden Geländes der Niederlassung der Industrie die
Wege zu ebnen. Die zwar noch nicht abgeschlossenen Erfahrungen
ermuntern nicht sum Fortschreiten auf diesem Wege. Der Staat scheint
sich, abgesehen vom einzelnen Falle, für diese Aufgabe nicht zu eignen.
Die berufenen Träger für dieselbe sind in den Städten diese selbst
— sie widmen sich derselben auch mit einem Eifer, der bereits die
eigenartigsten Konkurrenzblüten getrieben hat —, auf dem Lande die
Siedelungsgesellschaften. Diese eignen sich in hohem Maße dazu, durch
Vermittlung zwischen den Kreisen und der Industrie der Niederlassung
der letzteren die Wege zu ebnen und können im Anschluß an diese
Aufgabe eine für alle Teile segensreiche Siedelungspolitik treiben. Ich
stehe nicht an, diese Aufgabe, die allerdings die Mitwirkung technisch
und volkswirtschaftlich gebildeter Männer erfordert, als eine der wich-
tigsten unserer Siedelungsgesellschaften zu betrachten.
Kehren wir nun nach dieser Abschweifung zurück zu unseren
Kriegsinvaliden, so entsteht zunächst die wichtige Frage der Finan-
zierung des Ganzen. Es ist ohne weiteres klar, daß die Ansiedelung
von Kriegsinvaliden nur dann in größerem Umfang zur Durchführung
gelangen kann, wenn möglichst wenig Geld von diesen aufzubringen,
die Beleihung also möglichst hoch ist. Der Hauptausschuß will bis zu
90 v. H. der reinen Baukosten gehen und verlangt, daß mindestens
10 v. H. der Baukosten von dem Heimstättenbewerber selbst aufzu-
bringen sind. Wer soll dann aber die Kosten des Grund und Bodens
tragen, die bei der landwirtschaftlichen Siedelung meist höher sind als
die Baukosten ?
Meines Erachtens kann man unbedenklich bis zu 90 v. H. des
Gesamtwertes gehen. Ich kenne private Bauunternehmungen, denen
es durch unser Schätzungswesen ermöglicht wurde, erststellige Be-
Miszellen. 533
leihungen bis zu 90 v. H. des wirklichen Wertes zu erlangen, und ein
Fall ist mir sogar bekannt, in dem der Bauherr von einer öffentlichen
Kasse mehr erhielt, als Haus und Boden ihn zusammen gekostet hatten.
Trotz der allgemein hohen Beleihung im Westen unserer Monarchie
hat der Hausbesitz bis jetzt selbst im Kriege standgehalten. Wenn
man auch einer solchen hohen Beleihung im allgemeinen schon aus
bodenpolitischen Gründen nicht das Wort reden kann, so ist sie doch
weit unbedenklicher bei einer gemeinnützigen Siedelung, die nach ihrem
ganzen Aufbau größere Sicherheiten bietet durch den Tilgungszwang,
wirtschaftlichen Grunderwerb, Auswahl günstiger und gangbarer Bau-
formen und nicht zum wenigsten durch die Ausscheidung jeglicher
Spekulationsmöglickeit.
Wenn trotzdem große Anstalten bei größerer Ausdehnung der Siede-
lungen gegen die Höhe der Beleihung Bedenken tragen, da bei der
Größe der Verantwortung auch nur die Möglichkeit eines Verlustes
schwer empfunden wird, so könnte man diese durch Garantien der Ge-
meinde und Kreise ausschalten, und so die Möglichkeit eines Verlustes
auf die Schultern derjenigen verteilen, die am besten geeignet sind,
die Höhe der Sicherheit aus den Verhältnissen ihrer Umgebung zu be-
urteilen. Als Gegenleistung könnte man alsdann den Kreisen und Ge-
meinden ein Rückkaufsrecht einräumen, dadurch jegliche Spekulations-
möglichkeit ausschließen und die steigende Grundrente über den Kreis
der Erwerber hinaus der Allgemeinheit zukommen lassen. Wo Kreis
und Gemeinden diesen Aufgaben nicht gewachsen sind, hätte der Reichs-
bürgschaftsfonds einzutreten.
Durch Schaffung einer Reichspfandbriefanstalt, unbeschadet der
weitergehenden Fürsorge für die Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen
durch Nutzbarmachung des entsprechend verstärkten Reichswohnungs-
fürsorgefonds, will der Ausschuß die Gelder beschaffen. Für die land-
wirtschaftlichen Siedelungen ist die Anlehnung an das altbewährte
Rentengutsverfahren zweifellos gegeben, und ein Ausgleich zwischen
Reichs- und Landeskompetenz ließe sich auch wohl finden; aber es
scheint mir doch zweifelhaft, ob es zweckmäßig erscheint, dem Reich
allein die Aufgabe der Geldbeschaffung aufzubürden. Mewes sagt hier-
über: Die Fürsorgepflicht des Reiches durchkreuzt sich hier mit dem
bundesstaatlichen Interesse an der inneren Kolonisation (zumal ja keine
reinen Invalidenkolonien gebildet werden können), und sie trifft auf
ihrem Wege auch die volksgesundheitsfördernden Bestrebungen der
sozialen Versicherung an. Zwischen dem Reich und Preußen wird
nötigenfalls wohl eine Verständigung über die Tragung und Verteilung
der finanziellen Lasten zu suchen sein. Es wäre nur dringend erwünscht,
daß da, wo die Ansiedelung auf Grund der preußischen Rentenguts-
gesetzgebung, also unter Vermittlung der Generalkommission erfolgt,
auch die Rentenbank wenigstens äußerlich in der bisherigen Form ein-
tritt. Eine andere Frage könnte sein, ob das Reich etwa für den
Absatz und die spätere Abwicklung der entsprechenden Rentenbriefe usw.
in geeigneter Weise eintreten kann oder soll. Da auch die Landes-
versicherungsanstalten vom weitesten volkshygienischen Gesichtspunkte
534 Miszellen.
aus an einer gesunden Unterbringung der Invaliden (soweit sie zu dem
Versicherungskreise gehören), sowie an einem gesunden Aufwachsen der
Jugend als der künitigen Versicherten Interesse haben, so werden wohl
auch von dieser Seite Mittel für die Ansiedelung minderbemittelter
Kriegsbeschädigten zu erwarten sein. Diese Mittel können entweder
als Nachhypotheken für Rentengüter oder als erststellige Darlehen für
bestimmte Siedelungsstellen gegeben werden. Da hier die Beleihung
regelmäßig wohl sehr hoch gehen muß, so wäre es notwendig und be-
rechtigt, daß das Reich auf Grund des sinngemäß zu ergänzenden
Bürgschaftsfonds-Gesetzes vom 18. Mai 1914 diese Darlehen durch seine
Bürgschaft sicherstellte. Eine Erhöhung der Beleihung von 75 v. H.
auf 90 v. H. ist hier ganz besonders notwendig und angebracht.
Es wird ohnehin kaum eine größere Anzahl Kriegsbeschädigter die
restlichen 10 v. H. aufbringen können. Besonders bei landwirtschaft-
licher Siedelung, wo dieser Betrag verhältnismäßig hoch sein kann,
wird man eine zweite Hypothek nicht immer vermeiden können. Auch
dann wird hier noch vielfach eine Lücke bleiben, deren Schließung
Aufgabe der Siedelungsgesellschaften und Baugenossenschaften sein
wird, wenn den Kriegsbeschädigten als eigener Beitrag ein Teil ihrer
Rente als Kapital ausgezahlt wird. Das letztere wird sich kaum um-
gehen lassen, wenn die Siedelungen, wie wir ja wünschen, einen größeren
Umfang annehmen sollen. Die Beteiligung der Bewerber wird nötig
sein, um die Siedelungsgesellschaften und Baugenossenschaften nach
Möglichkeit zu entlasten; sie wird aber noch mehr nötig sein, um das
Interesse der Angesiedelten an ihren Besitz zu binden.
Bedenken gegen die Auszahlung eines Teiles der Rente als Kapital
sind zweifellos vorhanden; schon die Möglichkeit eines Verlustes des-
selben ist schwerwiegend. Aber ich schätze diese Bedenken immer
noch nicht so hoch ein, wie die eines völlig risikofreien Besitzes, dessen
Entäußerungsmöglichkeiten nur von subjektiven Erwägungen abhängig
sind. Um es auch unbemittelten Kriegsteilnehmern oder deren Hinter-
bliebenen zu ermöglichen, einen Besitz zu erwerben, wird man deshalb
einen wenn auch noch so kleinen Teil der Rente kapitalisiert zur Hilfe
nehmen müssen.
Zur Beschaffung des notwendigen Kapitals der Siedelungsgesell-
schaften und der Baugenossenschaften, für zweite Hypotheken und als
Betriebskapital, müssen alle Kräfte, die an der Siedelung ein Interesse
haben, herangezogen werden. In Frage kommen Provinz, Kreise und
Gemeinden, Industrie und Privatpersonen, die Kriegsteilnehmer selbst,
sowie wohltätige Stiftungen. Die Liebesarbeit während des Krieges
kann hier ihre natürliche Fortsetzung finden und muß durch öffentliche
Werbetätigkeit im Fluß gehalten werden.
Nach No. 6 der Grundsätze des Hauptausschusses scheint dieser
ausschließlich das Erbbaurecht als Besitzform im Auge zu haben. Es
unterliegt keinem Zweifel, daß dieses sich für unsere Siedelungen in
hervorragendem Maße eignet, und daß es die einzig richtige Besitzform
darstellt, wenn von der Gemeinde, der Industrie oder von Privaten
der Grund und Boden ohne Kapital gegen eine Rente zur Verfügung
Miszellen. 535
gestellt wird. Das wird in einzelnen — hoffentlich sehr vielen —
Fällen möglich sein; sich allgemein auf diese beschränken, hieße aber,
dem Siedelungsgedanken sehr enge Grenzen ziehen. Eine Erweiterung
des Erbbaurechtes auf erst zu erwerbende Grundstücke ist schon des-
halb nicht möglich, weil dadurch die Finanzierung des Ganzen zu sehr
erschwert wird. Wer soll das Kapital für den Grund und Boden
stellen, und wer soll dauernd Eigentümer desselben sein? Die Siede-
lungsgesellschaften sowohl als auch die Baugenossenschaften kann man
sich doch nicht gut als ewige Persönlichkeiten denken; es bliebe nur
die Uebernahme durch die Gemeinde.
Auf dem Gemeindebesitz sollte man das Erbbaurecht in möglichst
umfangreicher Weise zur Anwendung bringen. Die viel erörterten Vor-
züge desselben sind nicht zu verkennen. Für den Grundbesitz der In-
dustrie bietet es überhaupt neben dem eng begrenzten Eigenbau die
einzig mögliche Siedelungsform, weil sie die Aufgabe des Grundbesitzes
nicht zur Voraussetzung hat. Man würde ihm hier selbst in einer
weniger sozialen Form, die der Industrie das Recht gibt, über ihren
Besitz in bestimmten Fällen zu verfügen, das Wort reden müssen. Ich
habe diese Frage wiederholt behandelt und kann mich auf das Gesagte
beziehen.
Aber man muß es doch vermeiden, sich auf das Erbbaurecht allein
zu beschränken, weil man dadurch leicht gezwungen sein könnte, die
Siedelungstätigkeit selbst zu beschränken. Für die Ausscheidung jeder
Spekulationsmöglichkeit genügt das nach mancher Richtung günstigere
Rückkaufsrecht für die Gemeinde, auf das wir schon früher hingewiesen
haben, und damit ist das Interesse der Allgemeinheit im Rahmen des
Möglichen gewahrt.
Die Grundsätze des Ausschusses wollen die Kriegerheimstätten
nach verschiedenen Richtungen außerhalb des bestehenden Rechtes stellen.
Nach No. 8 soll das Grundstück für alle sonstigen Eintragungen ge-
schlossen sein, und nach No. 9 kann die Kriegerheimstätte durch privat-
rechtliche Fordernngen nicht in Zwangsversteigerung gebracht werden;
sie ist unteilbar und durch Erbgang nur auf einen Erben übertragbar.
Der Zweck dieser Forderungen ist, den Besitz der Kriegerheimstätte
dauernd sicherzustellen und diese jeglichen Warencharakters zu ent-
kleiden. Das einzige Bedenken gegen diese Forderungen könnte sein,
ob die durch sie erwirkte Besitzfestlegung in unsere Zeit paßt und im
Interesse der Besitzer liegt. Jedenfalls sind sie nicht so wichtig, daß
man von ihnen die Durchführung des ganzen Siedelungsgedankens ab-
hängig machen sollte.
No. 5 der Grundsätze fordert ein Vorkaufs- und Enteignungsrecht
zum Erwerb des Grund und Bodens für die Kriegerheimstätten. Diese
Forderung wäre berechtigt, wenn es auf anderem Wege nicht möglich
wäre, den erforderlichen Boden zu erlangen. Solange dies nicht der
Fall ist, wird man sich hüten müssen, die Durchführung einer so weit-
gehenden Aufgabe von einer so einschneidenden Rechtsänderung ab-
hängig zu machen. Tatsächlich ist die Anwendung des Enteignungs-
rechtes im allgemeinen nicht so günstig, wie man vielfach anzunehmen
536 Miszellen.
scheint, und die Zurückführung der Wertbestimmung auf die Selbst-
einschätzung vor dem Kriege zum Wehrbeitrag, wie sie der Ausschuß
wünscht, ist meines Erachtens nicht durchführbar. Behörden wie die
Industrie benutzen das Enteignungsrecht nur dann, wenn der freie
Erwerb ausgeschlossen erscheint. Das Enteignungsrecht steht ihnen
auch nur für solche Unternehmungen zur Seite, die an gewisse Linien
gebunden sind. Der Großindustrielle Thyssen hat im Kreise Dinslaken
etwa 4000 ha freihändig zu durchaus angemessenen Preisen erworben;
ich möchte auf Grund langjähriger Erfahrung bezweifeln, ob er ver-
mittelst des Enteignungsrechtes billiger zum Ziele gekommen wäre.
Die Siedelungen sind nur in weiterem Sinne an den Ort gebunden;
man wird deshalb zunächst nur da siedeln, wo Boden zu angemessenem
Preise zu haben ist, und ich bin überzeugt, daß man sonach die Be-
dürfnisse vieler Jahrzehnte befriedigen kann.
Völlig verfehlt ist in diesem Zusammenhang die Forderung einer
Oedlandsteuer unter No. 10 der Grundsätze. Ohne auf diese Forderung
näher einzugehen, wird man sagen müssen, daß sie mit der Ansiede-
lungsaufgabe an sich durchaus nichts zu tun hat und wohl nur des-
wegen in die Grundsätze aufgenommen wurde, weil sie dem physio-
kratischen Charakter der Bodenreform entspricht.
Miszellen. 537
1X.
Die Jahresberichte der genossenschaftlichen Zentral-
verbände.
Von Dr. Willy Krebs, Berlin-Steglitz.
Es ist in diesen Jahrbüchern an anderer Stelle zu einer Zeit, in
welcher die Jahresberichte der genossenschaftlichen Zentralverbände
für das Jahr 1914 noch nicht erschienen waren, über die Er-
fahrungen und Leistungen des gesamten deutschen Genossenschafts-
wesens von erster Autorität bereits eingehend berichtet worden !). Trotz-
dem wird man den eigenen Berichten der einzelnen Verbände über die
Kriegszeit ein besonderes Interesse entgegenbringen als den eigentlichen
Quellen aller Forschung, und weil ein Allgemeinbericht nicht die Einzel-
heiten und Eigenarten einer jeden Organisation genügend berücksich-
tigen kann. Wer z. B. über die Leistungen und Erfahrungen der länd-
lichen Genossenschaften eingehende Auskunft sucht, wird in erster
Linie nach den Berichten der ländlichen Verbände greifen. Ein kurzer
Ueberblick über die erschienenen Berichte, über ihre Anordnung und
ihren Inhalt dürfte daher erwünscht sein. Wir legen dabei das Haupt-
gewicht der Betrachtung auf die Art der Berichterstattung und schicken
den Besprechungen jedesmal eine kurze Charakteristik des betreffenden
Verbandes voraus.
Bekanntlich bietet das deutsche Genossenschaftswesen kein ein-
heitliches Bild. Eine bunte Mannigfaltigkeit von Formen, selbst inner-
halb der Verbandsorganisationen drängt sich dem Beschauer auf,
Formen, deren Verschiedenheit teils theoretischer Natur ist, d. h. auf
grundsätzlichen Anschauungen beruht, teils praktischer Natur, d. h.
durch die Eigenart des Wirtschaftsbereiches bedingt wird, vielfach auch
nur rein historisch zu erklären ist. Zurzeit zählen wir nicht weniger
als 132 Revisionsverbände im deutschen Reich mit etwa 32 000 einge-
tragenen Genossenschaften. Außerdem gibt es noch rund 4000 verbands-
freie, sogenannte „wilde“ Genossenschaften. Von den 132 Revisions-
verbänden sind 99 mit rund 28000 Genossenschaften und 5,4 Millionen
Mitgliedern ihrerseits wieder als Unterverbände fünf großen Zentral-
verbänden angeschlossen °). Diese Zentralverbände sind Anwaltschafts-
1) Justizrat Prof. Dr. Crüger, Die deutschen Genossenschaften während des
Krieges. Jahrbücher, III. F., Bd. 50, 1915, S. 1—24 und 145—182.
2) Sie sind aufgezählt im Jahrbuch des Allgemeinen Verbandes für 1914,
Jahrg. 18, S. 83, und im Adreßbuch der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften im
Deutschen Reiche 1915, herausgegeben von der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse
unter Mitwirkung der statistischen Landeszentralstellen, Berlin 1915, S. XIII.
538 Miszellen.
verbände, denen die allgemeine Vertretung der Interessen der in ihnen
vereinigten Richtungen des deutschen Genossenschaftswesens obliegt
und die mit Ausnahme des Generalverbandes nicht das Recht der Re-
vision besitzen.
Sie heißen, nach dem Alter geordnet:
1) Allgemeiner Verband der auf Selbsthilfe beruhenden deutschen
Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (1859), mit 32 Re-
visionsverbänden und 1559 Genossenschaften.
2) Generalverband ländlicher Genossenschaften für Deutschland
(1877), mit 14 Revisionsverbänden und 5680 Genossenschaften.
3) Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossen-
schaften (1883), mit 30 Revisionsverbänden und 18810 Ge-
nossenschaften.
4) Hauptverband deutscher gewerblicher Genossenschaften (1901),
mit 16 Revisionsverbänden und 979 Genossenschaften.
5) Zenlralverband deutscher Konsumvereine (1903), mit 9 Unter-
verbänden und 1149 Genossenschaften.
Diese Zentralverbände verkörpern die wesentlichsten Richtungen im
deutschen Genossenschaftswesen und kommen für uns hier nur in Be-
tracht. Denn aus ihnen allein kann man sich über den Umfang der
wirtschaftlichen Tätigkeit der Genossenschaften unterrichten, da
es noch keine deutsche Reichsstatistik gibt, ähnlich der der Sparkassen.
Die amtliche Genossenschaftsstatistik der Preußischen
Zentralgenossenschaftskasse erfaßt nur den Bestand und die äußeren
Merkmale der juristischen Struktur der Genossenschaften, wozu ihr die
Genossenschaftsregister der Gerichte als Unterlagen dienen. Zwar ist
das Material, besonders das statistische, in den Verbandsberichten weder
ganz vollständig noch auch gleichartig in der Bearbeitung. Dennoch
hat man ein gutes Bild von der großen Bedeutung der Genossenschaften
auf fast allen Gebieten des Wirtschaftslebens. Am vollständigsten,
aber auch nicht lückenlos, bringt alljährlich das Jahrbuch des Allge-
meinen Verbandes den statistischen Stoff aller berichtenden Genossen-
schaftsverbände in übersichtlicher Zusammenstellung. Um welch unge-
heures Zahlenmaterial, welche statistischen, alljährlich wiederholten
Riesenarbeiten es sich bei der Beschaffung von Tatsachen der wirt-
schaftlichen Leistungen der Genossenschaften, einzeln wie insgesamt,
handelt, davon bekommt man einen schwachen Begriff, wenn man nur
einen Blick auf den Umfang der letzten Jahresberichte der fünf Zentral-
verbände wirft, die zusammen 1655 Seiten in Großfolioformat und 1885
Seiten in Großoktavformat zählen; hiervon sind gut t; mit statistischen
Tabellen gefüllt, und nur !/, mit Text. Dabei ist des statistischen
Stoffes noch nicht gedacht, der wegen der mit der Veröffentlichung ver-
bundenen hohen Kosten ungedruckt bleibt, und der teils Sondererhebungen
betrifft, teils die eigentlichen, zur Veröffentlichung gekürzten Geschäfts-
statistiken. So ist z. B. der Umfang der in Handschrift vorliegenden
Geschäftsstatistik der dem Generalverbande angeschlossenen Genossen-
schaften doppelt so groß als die veröffentlichte. Im allgemeinen sind
Miszellen. 539
alle diese Statistiken vollständig bis auf wenige Genossenschaften, von
denen die Erhebungspapiere nicht ausgefüllt wurden. Sie haben auf
das Gesamtbild keinen merklichen Einfluß. Uns sind keine auf Selbst-
hilfe und Freiwilligkeit beruhenden Wirtschaftsorganisationen mit einer
gleichen Anzahl kleiner, weitverzweigter und verschiedenartiger Mit-
glieder bekannt, die in gleicher Weise solche umfassenden statistischen
Nachweise über Umfang und Leistung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit
vorzuweisen und zu veröffentlichen vermögen. Es ist bewundernswert,
wenn man sich die außerordentlichen Schwierigkeiten freiwilliger Sta-
tistiken vergegenwärtigt. Jahresrechnung und Bilanz werden vom Ge-
setz gefordert; die Angaben für ihre Statistiken erbitten die Ver-
bände von ihren Genossenschaften. Ohne Zwangsmittel, ohne irgend-
welche gesetzliche Handhabe, alle für die Statistik erforderlichen An-
gaben zu beschaffen, wird hier eine freiwillige Arbeit im Dienste der
gemeinsamen Sache geleistet, die ein beredtes Zeugnis von dem ge-
nossenschaftlichen Geiste, der in diesen Organisationen lebt, ablegt.
Auf eine gewisse Zuverlässigkeit der Statistiken, zum mindesten in den
wichtigeren Gegenständen, darf man bauen, sie wird bestätigt durch die
verschiedensten Verhältniszahlen, die im Laufe der Jahre niemals eine
sprunghafte Bewegung zeigen, was bei falschen Angaben der Fall sein
würde.
Nun wird freilich derjenige, der sich unterrichten möchte über die
Wirkungen des Krieges auf das Genossenschaftswesen, in der Hoffnung,
in diesen umfangreichen Jahresberichten alles Wissenswerte zu erfahren,
eine kleine Enttäuschung erleben. Denn nur zwei der bisher erschienenen
Berichte bringen die Statistik über die Geschäftsergebnisse — auf die
es als einziges genaues Tatsachenmaterial bei so weitverzweigten und
vielgliedrigen Organisationen ankommt — für das erste Kriegsjahr 1914,
die Statistik der übrigen bezieht sich auf das Jahr 1913.
Von den letzteren wird erst in den diesjährigen Berichten die
Statistik für 1914 und erst im nächsten Jahre diejenige für das volle
Kriegsjahr 1915 erscheinen. Das liegt in der Natur der Sache, denn
Sammlung und Aufbereitung solcher Zahlenmassen erfordern sehr viel
Mühe und vor allem Zeit!). ;
Was im übrigen über die Erfahrungen und Leistungen der Ge-
nossenschaften im Kriege berichtet wird, begnügt sich mit der Fest-
stellung der Tatsache, daß das deutsche Genossenschaftswesen in jeder
Hinsicht die Probe des Kriegsausbruches wie der Kriegsdauer aufs
glänzendste bestanden hat. Abschließende und in allen Einzelheiten
begründete Urteile vermochten diese inmitten der Ereignisse ausge-
arbeiteten Berichte nicht zu fällen. Das wird erst nach dem Ende des
Krieges nach Beschaffung und Bearbeitung des Zahlen- und Nach-
richtenmaterials möglich sein. Aber schon — wie es im Jahresbericht
des Generalverbandes heißt — das bloße Erscheinen der Jahresberichte
1) Die Statistiken großer amtlicher Erhebungen erscheinen bekanntlich oft erst
viele Jahre nach der Aufnahme.
540 Miszellen.
in größerem Umfange als im Vorjahr gibt die beste Antwort auf die
Frage, ob sich das Genossenschaftswesen auch in diesem größten aller
Kriege, der wie nie zuvor auch ein Wirtschaftskrieg auf Leben und
Tod einer ganzen Volkswirtschaft ist, bewährt hat. Bilder friedlicher
Weiterarbeit mitten im Kriege, Zeugnisse ehrlichen und erfolgreichen
Bemühens, sich den veränderten Verhältnissen zum Wohle des Vater-
landes anzupassen, bieten uns diese Berichte.
Was zunächst an den Berichten auffällt, ist die hervortretende
Solidarität der Interessen, denn die Berichte begnügen sich nicht damit,
den Stand und die Entwicklung der Genossenschaften innerhalb der zu-
gehörigen Verbände zu schildern, sondern sie bringen regelmäßig auch
eine größere oder kürzere Uebersicht über Stand und Entwicklung der
den übrigen Verbänden angehörigen Genossenschaften. Am weitesten
geht hierin das Jahrbuch des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine,
welches regelmäßig eine Darstellung der Zentralverbände, ihres Cha-
rakters und ihrer Organisation gibt und ihre Entwicklung seit Beginn
dieses Jahrhunderts in nicht weniger als 21 Tabellen veranschaulicht.
Reiht dieses Jahrbuch indessen die Tatsachen ganz objektiv aneinander,
so bringt das Jahrbuch des Allgemeinen Verbandes vergleichende,
mit großem Geschick zusammengestellte Uebersichten über Stand und
Entwicklung der deutschen Genossenschaften. Es gibt bis jetzt, wie
oben schon erwähnt wurde, die möglichst vollständige, in vielen
Punkten aber auch noch lückenhafte Auskunft über die wirtschaftliche
Seite des gesamten Genossenschaftswesens. Von ihnen machen auch die
von der Preußenkasse herausgegebenen „Mitteilungen zur deutschen
Genossenschaftsstatistik“ regelmäßig Gebrauch. Die textlichen Aus-
führungen des Anwalts des Allgemeinen Verbandes zu diesen statistischen
Uebersichten und über die Entwicklung des deutschen Genossenschafts-
wesens im allgemeinen können dagegen nicht den gleichen Anspruch auf
Objektivität erheben.
Die Jahresberichte erscheinen nicht zu gleicher Zeit. Am frühesten
tritt der Jahresbericht des Zantralverbandes deutscher Konsumvyereine
auf den Plan, gewöhnlich in dem auf das Berichtsjahr folgenden Früh-
jahr, und bringt zu dieser Zeit auch bereits die vollständige Statistik
der Mitgliedergenossenschaften (am 1. Januar 1915: 1149). Im Herbst
erscheint dann das Jahrbuch des Zentralverbandes in zwei Bänden,
welches im ersten Bande den bereits erschienenen „Jahresbericht“ noch
einmal vollständig abdruckt und im zweiten Band einzeln über die 9
angeschlossenen Revisionsverbände aufs ausführlichste berichtet. An
zweiter Stelle folgt der Jahresbericht des Anwalts des Reichsverbandes
im Laufe des Monats Juni oder Juli, gewöhnlich zum landwirtschaft-
lichen Genossenschaftstag (Verbandstag des Reichsverbandes), und be-
richtet über die Entwicklung der landwirtschaftlichen Genossenschaften
im allgemeinen in der Zeit vom 1. Juni des Vorjahres bis 31. Mai des
laufenden Jahres. Er bildet den ersten Teil des um die Mitte des
folgenden Jahres erscheinenden Jahrbuches und bringt bereits die
Statistiken der Zentralgenossenschaften für die zuletzt abgeschlossenen
Geschäftsjahre. Im Laufe des Sommers erscheinen dann ungefähr zu
Miszellen. 541
gleicher Zeit!) die Jahrbücher des Allgemeinen Verbandes und des
Reichsverbandes sowie der Jahresbericht des Generalverbandes, der
erstere mit der Statistik seiner Mitglieder für das Berichtsjahr, die
beiden letzteren mit der Statistik der Genossenschaften für das dem
Berichtsjahr vorhergehende Jahr. Zuletzt, gewöhnlich im zweiten des
auf das Berichtsjahr folgenden Frühjahres, erscheint das Jahrbuch des
Hauptverbandes deutscher gewerblicher Genossenschaften ?).
Mit diesen Ausführungen geraten wir bereits zu den einzelnen Be-
richten selbst, deren kurze Würdigung wir nachstehend in der oben
schon angegebenen, sich nach dem Alter der Zentralverbände richtenden
Reihenfolge bringen.
1) Jahrbuch des Allgemeinen Verbandes der auf
Selbsthilfe beruhenden deutschen Erwerbs- und Wirt-
schaftsgenossenschaften e. V. für 1914. (Des Jahresberichtes
neue Folge) 18. Jahrgang (56. Folge des Jahresberichts). Herausge-
geben vom Anwalt Dr. Hans Crüger. Berlin, Verlag Guttentag.
128 und 281 SS. Preis 10 M.
Der Allgemeine Verband ist der älteste der genossenschaftlichen
Zentralverbände, und ist, seine Entstehung auf den ersten Vereinstag
deutscher Vorschuß- und Kreditvereine zurückführend, von dem Gründer
des deutschen Genossenschaftswesens, Schulze-Delitzsch, selbst
im Jahre 1864 errichtet worden. Von den ihm am 1. April 1915 an-
geschlossenen 1559 Genossenschaften sind 974 Kreditgenossenschaften,
285 Konsumvereine und 217 Baugenossenschaften. Trotzdem eine nicht
geringe Anzahl von Landwirten Mitglieder der Schulze-Delitzschschen
Genossenschaften sind, rechnet man doch den Allgemeinen Verband zu
den Organisationen mit vorwiegend städtischem Charakter. Auch setzen
sich seine Genossenschaften vornehmlich aus dem wohlhabenden Mittel-
stande zusammen, was schon aus dem Geldumsatz der Kreditgenossen-
schaften hervorgeht, der mit mehr als 17 Milliarden denjenigen aller
anderen Zentralverbände weit überragt.
Das Jahrbuch gliedert sich in drei Teile. Die beiden ersten Teile
enthalten Allgemeines über die Lage und Entwicklung des deutschen
Genossenschaftswesens überhaupt; der dritte Teil beschäftigt sich nur
mit dem Allgemeinen Verband und den Geschäfisergebnissen seiner Ver-
bandsgenossenschaften. Gegenüber den früheren Jahrgängen bringt der
erste Teil eine Verbesserung in den statistischen Uebersichten insofern,
als erstmalig allen an der Statistik beteiligten Genossenschaften das
gleiche Geschäftsjahr zugrunde gelegt wurde. Der frühere Fehler des
Zusammenwerfens der Statistiken aus verschiedenen Jahren brachte eine
Verschiebung der Verhältnisse zuungunsten der anderen für ein früheres
Jahr berichtenden Verbände mit sich und trübte damit das Bild. Es
ist daher zu begrüßen, daß jetzt die Uebersichten getrennt worden sind,
indem die geschäftlichen Ergebnisse, die für das Jahr 1914 bereits vor-
und Verschiebung erlitten.
2) Das Jahrbuch für 1914 war zur Zeit der Niederschrift dieser Ausführungen
Ende Februar 1916) noch nicht erschienen.
542 Miszellen.
lagen, zusammengestellt und in weiteren Uebersichten alle vorhandenen
Ergebnisse für 1913, also natürlich auch derjenigen Verbände, die
schon für 1914 berichtet haben, gebracht wurden. Von dem Einfluß
des Krieges ist also in den letzteren noch nichts zu bemerken.
Die textlichen Ausführungen des Anwalts über die Erfahrungen der
deutschen Genossenschaften im Kriege bringen im wesentlichen dasselbe,
was hier in den Jahrbüchern von demselben Verfasser mitgeteilt worden
ist), stellen aber den Allgemeinen Verband und seine Grundsätze stark
in den Vordergrund, was hier wohl verständlich, aber mit einer objek-
tiven Gesamtbetrachtung des Genossenschaftswesens weniger vereinbar
ist. Es scheint danach nur der Allgemeine Verband Beschlüsse gefaßt,
Rundschreiben versandt und überhaupt auf dem Gebiete der Fürsorge
und Aufklärung der deutschen Genossenschaften tätig gewesen zu sein.
Diese nur auf die Tätigkeit des Allgemeinen Verbandes sich beziehenden
Dinge hätten in den dritten Teil, betreffend den Allgemeinen Verband,
gehört. Auch in den Ausführungen über das ländliche Genossenschafts-
wesen und die Bezirkskonsumvereinsbewegung wird ein mitunter recht
subjektives, von den Vertretern dieser Richtungen nicht geteiltes Urteil
gefällt. Sonst ist der Bericht in der Vollständigkeit und Vielseitigkeit,
mit der er die wichtigen Geschehnisse des Jahres und insbesondere der
Kriegszeit auf allen Gebieten genossenschaftlichen Lebens und Strebens
vor unseren Augen vorbeiziehen läßt, bewundernswert und ohnegleichen.
Auch nichts scheint dem wachsamen Forscherauge des Verfassers ent-
gangen zu sein von den Krachen und Konkursen an bis zu den zahl-
reichen genossenschaftlichen Kriegsgründungen auf allen Gebieten in
Gewerbe und Landwirtschaft und Handel.
Bei dieser Fülle des Gebotenen sieht man gern über eine Eigen-
schaft des Berichts hinweg, die störend auf den Leser wirkt. Das ist
der durch den ganzen Text hindurch ständige Wechsel der Berichtsform.
Einmal wird in der ersten, ein andermal in der dritten Person berichtet.
Kurz hintereinander schickten der „Allgemeine Verband“, der „Allgemeine
deutsche Genossenschaftsverband“, der „Anwalt“, einmal „Dr. Crüger“
und ein andermal „Ich“ irgend ein Rundschreiben an die Mitglieder
oder machten eine Eingabe an die Behörden. Einmal nahm der „An-
walt“, ein andermal „Ich“ an der Sitzung teil. Am meisten wird in
der ersten Person berichtet, so daß der Bericht mehr als der einer Person
als einer Korporation anmutet. Der alte Schulze-Delitzsch berichtete
wenigstens in der Form stets unpersönlich und ebenso sein Nachfolger
Schenck. Das Genossenschaftswesen ist zu groß und mannigfaltig, spielt
eine zu bedeutungsvolle Rolle im Wirtschaftsleben des deutschen Volkes,
um ganz und ausschließlich von einer Person, und sei es eine noch
so bedeutende, in Besitz genommen und vertreten zu werden.
Der dritte Teil des Jahrbuches bringt die altberühmte Statistik der
Genossenschaften des Allgemeinen Verbandes, mit der seinerzeit der
Gründer des Verbandes, Schulze-Delitzsch, bahnbrechend allen Genossen-
schaftsorganisationen voranging. Sie ist im Laufe der Zeit immer mehr
1) Siehe Anmerkung 1 S. 537.
Miszellen. 543
vervollkommnet worden und gibt die eingehendste Auskunft über den
Geschäftsumfang der Genossenschaften, deren Zahl sich am 1. April
1915 auf 1559 belief. Den Einfluß des Krieges auf den Geschäfts-
betrieb der Genossenschaften glaubt man an mehreren Verschiebungen
zu bemerken, was freilich auch täuschen kann, da erstens eine geringere
Anzahl von Genossenschaften berichtet hat und zweitens in das Jahr
1914 noch sieben Friedensmonate fallen, in welchen gegenüber dem Vor-
jahre das wirtschaftliche Leben eine günstige Aufwärtbewegung zeigte.
Es dürften daher die Unterschiede in den Geschäftsergebnissen gegen-
über dem Vorjahre bei einem Vergleich der fünf Kriegsmonate mit der
gleichen Zeit des Vorjahres zweifellos noch erheblich stärkere Rück-
gänge (z. B. im Kreditgeschäft, Umsatz usw.) oder Zunahme, z. B. an
fremden Geldern, aufweisen. Die Besprechungen der statistischen Er-
gebnisse sind daher auch sehr vorsichtig gehalten und nehmen weniger
auf die Kriegslage Bezug.
2. Jahresbericht des Generalverbandes ländlicher
Genossenschaften für Deutschland, e. V., für 1914 und
Statistik der Raiffeisenschen Genossenschaften für
1913. Berlin 1915, Verlag des Generalverbandes. 112 u. 379* SS.
Preis 10 M.
Es ist der Bericht desjenigen Zentralverbandes, welcher seine Ent-
stehung unmittelbar der Gründung des rheinischen Bürgermeisters Fried-
rich Wilhelm Raiffeisen in Neuwied, von seinen Anhängern verehrt als
„Vater Raiffeisen“, verdankt und in der Oeffentlichkeit als Raiffeisen-
Organisation bekannt ist. Einleitend skizziert der Bericht in knappen
Strichen die Wirtschaftslage des Jahres 1914, um dann einen leider
etwas reichlich kurzen Ueberblick über die Erfahrungen der ange-
schlossenen Genossenschaften während des Krieges, besonders auch in
den Grenzgebieten Ostpreußen und Elsaß-Lothringen zu geben. Be-
achtenswert erscheint der Abschnitt über die Literatur des genossen-
schaftlichen Zentralkassenproblems in den letzten Jahren. Nach einem
flüchtigen Blick auf den gegenwärtigen Stand des deutschen Genossen-
schaftswesens werden in größter Ausführlichkeit die statistischen Er-
gebnisse der Geschäftstätigkeit der angeschlossenen Genossenschaften
in allen ihren Zweigen im Jahre 1913 besprochen, indem auch Er-
gebnisse von im Tabellenteil nicht veröffentlichten Auszählungen ver-
wertet werden. Die Abschnitte über die Verbandsbildungen, die Or-
ganisation des Geld- und Warenverkehrs spiegeln die Vielgestaltigkeit
dieser Vereinigung wieder und zeigen, daß hier noch manche Orga-
nisationsfragen ihre Lösung nicht gefunden haben.
Wohl haben wir hier die einzige kreditgenossenschaftliche Orga-
nisation, welche sich aus eigener Kraft heraus eine eigene unabhängige,
nicht mit Staatsmitteln unterstützte Geldausgleichstelle, die Land-
wirtschaftliche Zentral-Darlehnskasse für Deutsch-
land, als Aktiengesellschaft geschaffen und so den Grundsatz der
reinen Selbsthilfe bis zur Spitze durchgeführt hat. Indessen nimmt
diese Zentralkasse nach ihren Satzungen nur Kreditgenossenschaften
(Raiffeisenvereine) als Aktionäre auf. Für den Geldverkehr der Betriebs-
544 Miszellen.
genossenschaften waren Genossenschaftsbanken in den Verbandsbezirken
errichtet worden, die aber zum größten Teil wieder liquidiert haben
oder im Begriff stehen zu liquidieren. Eine Satzungsänderung vom
Jahre 1912 hat dann durch Ausgabe von Schuldverschreibungen die
Zentralkasse in den Stand gesetzt, auch Betriebsgenossenschaften Kredit
zu gewähren. Zurzeit bestehen nur noch sechs Genossenschaftsbanken
(E. G. m. b. H.), die aufgelösten haben ihren gesamten Geschäftsbetrieb
auf die Landwirtschaftliche Zentral-Darlehnskasse übertragen. Die
Organisation des Warenverkehrs zeigt eine ähnliche, noch nicht ab-
geschlossene Entwicklung. In sieben Filialbezirken ist das Waren-
geschäft von der Zentralkasse abgetrennt und selbständigen Handels-
gesellschaften übertragen worden, von welchen eine Genossenschaft
m. b. H. und eine Aktiengesellschaft und fünf Gesellschaften m. b. H.
sind. Ausführliche statistische Angaben über den Warenumsatz wie
über die Tätigkeit der Wareninstitute finden wir in dem Jahresbericht,
denen gegenüber die Mitteilungen über die Kreditinstitute recht dürftig
erscheinen. Gern erführe man mehr über den Geldverkehr zwischen
der Zentralkasse und den Genossenschaften.
Im Anhang wird der Geschäftsbericht nebst Bilanz der Zentralkasse
für 1914 gebracht, der insofern von besonderem Interesse ist, als er
uns bestätigt, daß diese auf freier Selbsthilfe beruhende genossenschaftliche
Zentralkasse die Probe des Kriegsausbruches bestanden hat. Das zeigen
schon ein paar Zahlen: Die Gesamtguthaben der Raiffeisen-Vereine stiegen
im Jahre 1914 um 17,3 Mill. M. auf 96,4 Mill. M., während die Schulden
um 8,6 Mill. M. auf 73,4 Mill. M. zurückgingen. Es sei hier ein-
geschaltet, daß diese Geldflüssigkeit im Laufe des Jahres 1915 eine
ganz ungeahnte Steigerung genommen hat.
Der Abschnitt über die Tätigkeit des Generalverbandes bringt
allgemeine Auskunft über das Revisionswesen, die Versicherungs-
abteilung, die statistische Abteilung und die Rechtsauskunftsstelle.
Letztere erledigte im Jahre 1914 560 Rechtssachen schriftlich und 750
mündlich. Im Anhang wird noch eine Auswahl der durch den General-
verband erwirkten Entscheidungen gegeben.
Der letzte Teil bringt die große Statistik für 1913, die für die
Spar- und Darlehnskassenvereine nicht weniger als 73 Spalten zählt (in
der Handschrift 161). Insgesamt berichteten für die Statistik 5127
Genossenschaften.
3. a) Jahrbuch des Reichsverbandes der deutschen
landwirtschaftlichen Genossenschaften für 1914. (21. Jahr-
gang.) Berlin 1915, Verlag des Reichsverbandes. 548 SS. Preis 6 M.
b) Jahresbericht des Anwalts des Reichsverbandes
der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften
für die Zeit vom 1. Juni 1914 bis 31. Mai 1915. (Teil 1
des Jahrbuchs für 1915.) 76 SS.
Der Reichsverband ist nach der Zahl der angeschlossenen Genossen-
schaften der größte der Zentralverbände und leitet seinen Ursprung von
der „Vereinigung der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften“
her, zu der sich eine Anzahl von Genossenschaften und Verbände land-
Miszellen. 545
wirtschaftlicher Konsumvereine und Molkereigenossenschaften zusammen-
geschlossen hatten, welche der Raiffeisen-Organisation ferngeblieben
waren. Diese Vereinigung nannte sich von 1890—1903 „Allgemeiner
Verband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften“ und seit
1903 „Reichsverband...... “ Manche Gegensätze zwischen Ge-
neralverband und Reichsverband — die religiös-sittliche Auffassung der
Genossenschaftsarbeit gegenüber der stärkeren Betonung des rein ge-
schäftlichen, die Verschiedenheit der Systeme in der Verbandsorgani-
sation wie der Einzelgenossenschaft — haben sich im Laufe der Zeit
mehr und mehr abgeschwächt. Lediglich ein Unterschied von allerdings
großer grundsätzlicher Bedeutung ist bestehen geblieben, das ist die
Organisation des Geldverkehrs auf provinzieller Grundlage mit staat-
licher Rückendeckung. Jeder Verbandsbezirk hat seine eigene Zentral-
kasse, fast stets eine e. G. m. b. H., die den Geldausgleich für die
ihr angeschlossenen Genossenschaften besorgt, aber bei der Kleinheit
des Bezirks ohne Rückendeckung einen befriedigenden Geldausgleich
nicht herbeizuführen vermag. Diese notwendige Rückendeckung gibt
ihnen der Staat, in Preußen durch die Preußische Zentral-
Genossenschafts-Kasse und in den übrigen Bundesstaaten direkt
in Form von niedrig verzinslichen Staatsdarlehen. Ein im Jahre 1902
unternommener Versuch, durch Gründung der Landwirtschaftlichen
Reichsgenossenschaftsbank eine eigene unabhängige Geldausgleichstelle
zu schaffen, mißlang. 10 Jahre später trat die Bank in stille Liqui-
dation aus Gründen, die zu erörtern hier zu weit führen würde.
Der vorliegende Jahresbericht des Anwalts bringt zunächst
eine eingehende Schilderung über Entwicklung und Stand und Er-
fahrungen des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens im allgemeinen
während des Berichtsjahres. Ausführliche statistische Uebersichten ver-
anschaulichen die Verteilung der ländlichen Genossenschaftsarten in den
Bundesstaaten und Landesteilen (Provinzen), die Dichtigkeit im Ver-
hältnis zur ländlichen Bevölkerung und zur landwirtschaftlich benutzten
Fläche. Sie geben zurzeit die beste Auskunft über die Verbreitung der
landwirtschaftlichen Genossenschaften. Es folgen Uebersichten über
Gesetzgebung, Rechtsprechung im Berichtsjahre und über die genossen-
schaftliche Literatur. Die folgenden Teile des Jahresberichts sind der
Organisation und Tätigkeit des Reichsverbandes gewidmet und
bringen die Mitgliederbewegung im Berichtsjahre, die Geschäftsergebnisse
der Zentralkassen für das Jahr 1914 mit sehr ausführlichen Angaben
über die Zinssätze, monatliche Geldbewegung, Durchschnittszahlen über
Geschäftsanteile, Haftsummen, eigenes Vermögen usw. Ferner eine noch
ausführlichere Statistik der Geschäftsergebnisse der Zentraleinkaufs-
genossenschaften. Sie geben ein unschätzbares Material, um den Ein-
fluß der Kriegsverhältnisse auf das landwirtschaftliche Genossenschafts-
wesen im Geld- und Warenverkehr zu studieren.
Auch hier zeigt sich wie bei der Landwirtschaftlichen Zentral-Dar-
lehnskasse f. D. eine große Geldflüssigkeit, eine Zunahme der Einlagen
der Genossenschaften bei den Zentralkassen um 60,2 Mill. M. auf
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 35
546 Miszellen.
263,1 Mill. M. und ein Rückgang der Schulden um 25,6 auf 187,9 Mill. M.,
dementsprechend eine Steigerung der Guthaben der Zentralkassen bei
der Preußischen Zentral-Genossenschaftskasse von 2,9 auf 27,1 Mill. M.
und eine Verminderung der Schulden von 30,2 auf 9,4 Mill. M. Auch
hier hat diese Bewegung im Jahre 1915 mit gleicher Intensität an-
gehalten.
Das Jahrbuch des Reichsverbandes für 1914 bringt in seinem
ersten Teil den bereits im Sommer erschienenen Jahresbericht für 1914, im
zweiten Teil den stenographischen Verhandlungsbericht des 30. deutschen
landwirtschaftlichen Genossenschaftstages zu Breslau am 9./10. Juli
1914 mit mehreren wissenschaftlich wertvollen Vorträgen. Der dritte
und letzte Teil bringt die Statistik von 15256 angeschlossenen Genossen-
schaften für 1913 mit ausführlichen Besprechungen.
4. Jahrbuch des Hauptverbandes deutscher gewerb-
licher Genossenschaften, e. V., für 1913, 10. Jahrgang.
Herausgegeben von dem Hauptverband deutscher gewerblicher Genossen-
schaften. Berlin (Puttkammer u. Mühlbrecht) 1915. LXIV u. 141 SS.
Preis M. 4.—.
Der Hauptverband deutscher gewerblicher Genossenschaften ver-
dankt seine Entstehung mittelbar der Gründung der Preußischen Zen-
tral-Genossenschafts-Kasse im Jahre 1895, welche durch die Aussicht
auf Staatshilfe das Signal zur Bildung zahlreicher Handwerkerkredit-
genossenschaften gab. Die grundsätzliche Ablehnung jeder Staatshilfe
durch den Allgemeinen Verband war einer der Hauptgründe, warum die
neu sich bildenden Genossenschaften sich nicht dem Allgemeinen Ver-
band anschlossen. Sie vereinigten sich in Revisionsverbänden und
bildeten in Preußen Verbandskassen, um an den von der Preußenkasse
bereitgestellten Krediten teilnehmen zu können, denn die Preußenkasse
verkehrt nur mit Verbandskassen. Eine Anzahl dieser Verbände grün-
dete zusammen mit 4 Handwerkskammern im Jahre 1901 den Haupt-
verband der deutschen gewerblichen Genossenschaften. Entstanden als
Gebilde mehr der Staatshilfe als der Selbsthilfe, hat die Außeracht-
lassung der genossenschaftlichen Selbsthilfe zu manchen ungesunden
Gründungen geführt. Später hat dann die Preußenkasse diese junge
Handwerkergenossenschaftsbewegung immer mehr in eine gesunde
Finanzpolitik, gegründet auf Selbsthilfe und tatsächlicher Kreditwürdig-
keit gelenkt, nur ergänzt durch Staatshilfe.
Der vorliegende Bericht bezieht sich auf das Jahr 1913; da er
erst im Frühjahr 1915 erschien, konnte er den inzwischen ausge-
brochenen Weltkrieg und seinen Einfluß auf die gewerblichen Genossen-
schaften nicht ganz außer acht lassen. Ueber die Erfahrungen heißt
es im Hinblick auf die Staatshilfe sehr bescheiden: „Es muß hervor-
gehoben werden, daß die Kreditgenossenschaften ihre Aufgabe, das
Kreditbedürfnis des Mittelstandes zu befriedigen, bisher durchaus zu-
friedenstellend gelöst haben; und zwar muß der Krieg als Probe aufs
Exempel gelten: diestaatlich geförderten Genossenschaften
haben sich nicht schlechter bewährt, als die auf reiner
Selbsthilfe beruhenden. Daß für die Lösung ihrer Aufgabe die
Miszellen. 547
einen so notwendig wie die anderen waren(?), wird vielleicht zu einer
Milderung der noch immer bestehenden Gegensätze führen.“
Im übrigen wird über das Jahr 1913 berichtet. Nach einem Ueber-
blick über den Stand und die Geschäftsergebnisse der deutschen Ge-
nossenschaften überhaupt wird die Genossenschaftsstatistik für 1913
eingehend besprochen. Danach gehörten dem Verbande 16 Revisions-
verbände mit 979 Genossenschaften, 39 Handwerkskammern und 5 Ge-
werbekammern an. Die Statistik und ihre textliche Bearbeitung steht
an und für sich den Statistiken der übrigen Zentralverbände nicht nach,
leidet aber sehr darunter, daß 195 Verbandsgenossenschaften, das sind
20 Proz., aus verschiedensten Gründen nicht berichtet haben. Immer-
hin hat man ein Bild von der Mannigfaltigkeit der in diesem Verband
vereinigten Genossenschaftsarten und deren Geschäftsbetrieb.
5. Jahrbuch des Zentralverbandes deutscher Kon-
sumvereine, 13. Jahrgang, 1915. Herausgegeben im Auftrage
des Vorstandes des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine von
dessen Mitglied Heinrich Kaufmann. Hamburg 1915, Druck der
Verlagsgesellschaft deutscher Konsumvereine m. b. H. Preis 10 M.
1. Bd XXIII u. 975 SS., 2. Bd. VII u. 910 SS.
Der Zentralverband deutscher Konsumvereine wurde im Jahre 1903
in Hamburg gegründet von sieben Revisionsverbänden, die bis dahin
zum Teil dem Allgemeinen Verband angehört hatten, aber infolge tief-
gehender Meinungsverschiedenheiten wirtschaftlicher und politischer Art
mit den Kreditgenossenschaften des gleichen Verbandes teils von diesen
ausgeschlossen wurden, teils freiwillig austraten. Er nahm eine rasche
Entwicklung; die Zahl seiner Vereine stieg von 685 im Jahre 1903
auf 1149 im Jahre 1914 und deren Mitgliederzahl von 576000 auf
1,7 Millionen, so daß der Zentralverband heute in bezug auf seine Mit-
gliederzahl an erster Stelle steht. Die Zahl der Mitglieder ist also viel
schneller gewachsen als die Zahl der Genossenschaften. Die letztere
ist sogar in den letzten Jahren infolge der Konzentrationsbewegung,
des Bestrebens, für einen größeren Bezirk nur eine Genossenschaft be-
stehen zu lassen, zurückgegangen.
Die Organisation hat sich eine Großeinkaufsgesellschaft
deutscher Konsumvereine und eine Verlagsgesellschaft
deutscher Konsumvereine m. b. H. geschaffen. Zur Erleichte-
rung des Geschäftsverkehrs mit der Großeinkaufsgesellschaft, und um
den gemeinsamen Warenbedarf der Konsumvereine für bestimmte Zeit-
räume im voraus unter möglichster Ausnutzung des günstigsten Augen-
blicks vorteilhaft durch Abschlüsse einzudecken, haben die benach-
barten Konsumvereine sich zu freien Einkaufsvereinigungen zusammen-
geschlossen, deren es zurzeit 48 mit 918 Vereinen gibt.
Der vorliegende 13. Jahrgang des Jahrbuches bringt mit rund
2000 Druckseiten in 2 Bänden ein schier unerschöpfliches Material zum
Studium dieser vielgestaltigen Organisation und geht in der textlichen
wie statistischen Berichterstattung am weitesten von allen Zentral-
verbänden. In der alljährlich wieder aufgerollten Darstellung der ge-
schichtlichen Entwicklung und der Organisationsformen des eigenen wie
35*
548 Miszellen.
der übrigen genossenschaftlichen Zentralverbände mit nicht weniger als
131 verschiedenen Tabellen, denen nur die Zahlen für das letzte Be-
richtsjahr zugefügt wurden, möchte einem manches überflüssig er-
scheinen. Dennoch freut man sich, alles wieder schwarz auf weiß zur
Hand zu haben.
Die Wirkung der gewaltigen wirtschaftlichen Umwälzungen des
Weltkrieges auf die deutschen Konsumgenossenschaften stehen im vor-
liegenden Bericht natürlich im Vordergrund der Betrachtungen.
Der erste Band bringt gleich eingangs eine eingehende Darstellung
„Weltkrieg und Konsumgenossenschaften“. Soweit sich die Konsum-
genossenschaftsbewegung während des Krieges bereits statistisch er-
fassen ließ, konnte diese Untersuchung feststellen, daß bei 962 be-
richtenden Konsumvereinen im zweiten Halbjahr 1914, also in den
ersten Kriegsmonaten, eine Verminderung des Umsatzes im Waren-
geschäft von insgesamt 7,8 Mill. M. eingetreten war, trotz gesteigerter
Mitgliederzahlen, trotz der Masseneinkäufe im ersten Kriegsmonat und
der Aufwärtsentwicklung der Warenpreise. Unter dem Einflusse des
Krieges muß demnach die Kaufkraft der Bevölkerungsschichten, die
den Hauptteil zu den Konsumvereinsmitgliedern stellte, wesentlich zurück-
gegangen sein, was nicht weiter schwer zu erklären ist. Die Mit-
gliederzahlen der einzelnen Kriegsmonate zeigten größere Verluste in
den ersten Monaten nach Kriegsausbruch, die erst in den letzten
Monaten des Berichtsjahres durch vermehrten Beitritt wieder völlig aus-
geglichen wurden. Diese Erscheinung wird damit erklärt, daß nach
Kriegsausbruch viele Familien die aufgesammelten Geschäftsguthaben
dazu verwendeten, um dem ins Feld rückenden Familienvater einen
Zehrpfennig mitzugeben und ihn auszurüsten. Nachdem die ersten von
panikartiger Stimmung erfüllten Kriegswochen vorüber waren, hatte sich
wieder eine etwas erträglichere Preisgestaltung durchgesetzt, die an-
fänglich den Anreiz zum Beitritt zu Konsumvereinen verminderte. Erst
später, als die Preiskurve immer steiler nach oben strebte, stieg die
Anziehungskraft der Konsumgenossenschaften wieder.
Die Statistik des Sparkassenverkehrs zeigt im allgemeinen eine
Verminderung des Aus- und Eingangs von Spargeldern gegenüber dem
Vorjahr, aber doch immer noch ein Ueberwiegen der Einzahlungen über
die Auszahlungen. Freilich betrifft hier dies Verhältnis nicht die Kriegs-
monate, sondern der Ueberschuß an Einzahlungen rührt allein aus den sieben
Friedensmonaten des Jahres 1914 her. Im Gegensatz zu den
ländlichen Spar- und Darlehnskassenvereinen wie den
Sparkassen, bei welchen nach vorübergehenden starken Abhebungen
ein nie zuvor dagewesener Zustrom von Spargeldern einsetzte, über-
stiegen bei den Konsumvereinen in den fünf Kriegsmonaten die Auszah-
lungen die Einzahlungen, und zwar bei 468 berichtenden Genossen-
schaften insgesamt um 3,7 Mill. M.
Es folgen noch interessante Angaben über die Entwicklung der
Rückvergütung der Außenstände für gelieferte Waren und der Geschäfts-
unkosten, ferner Statistiken über die Einziehung von Angestellten zum
Heeresdienst, Inanspruchnahme des Fuhrparks der Konsumgenossen-
Miszellen. 549
schaften durch die Heeresverwaltung, über die Lieferungen an das Heer
und über die Beteiligung an der Kriegsanleihe.
In weiteren Abschnitten werden die wirtschaftlichen Kämpfe der
Genossenschaften behandelt, das Steuerwesen, die allgemeine Konsum-
genossenschaftsbewegung im Jahre 1914. Ferner enthält der Band die
Geschäftsberichte der Großeinkaufsgesellschaft deutscher Konsumvereine,
der Verlagsgesellschaft und der sonstigen Einrichtungen des Zentral-
verbandes für 1914, wie auch die Berichte über die Konferenzen und
Generalversammlungen.
Den Schluß bildet ein geschichtlicher Rückblick auf die Gründung
und Entwicklung des Verbandes der Konsumvereine der Provinz Bran-
denburg usw. von 1864 bis 1913.
Der zweite Band des Jahrbuches ist den 9 Revisionsverbänden
gewidmet und bringt für jeden Verband den Bericht über die Entwick-
lung und die Verbandstage im Berichtsjahre und eine Statistik über
die Geschäftsergebnisse. Mit den ausführlichen Schilderungen der Kriegs-
maßnahmen der einzelnen Verbände enthält er unschätzbares und un-
entbehrliches Material für jeden, der sich über die Einwirkungen des
Krieges auf die Konsumgenossenschaften unterrichten will.
550 Miszellen.
X.
Soziale Klassenbildung in der Bevölkerungsstatistik.
Von Dr. Wilhelm Feld, Zürich.
Eine der wichtigsten und zugleich schwierigsten Fragen der Be-
völkerungs- und Sozialstatistik ist die Ermittelung der statistischen
Tatsachen getrennt nach sozialen Klassen. Immer wieder haben
die Forscher auf die Notwendigkeit einer Klassifikation hingewiesen,
die den wirklichen Verhältnissen entspräche; mancherlei methodische
Vorschläge und praktische Versuche in dieser Richtung sind ausgeführt
worden, die in besonders glücklichen Fällen die Schwierigkeiten erfolg-
reich überwanden, oft aber auch mehr oder weniger an ihnen scheiterten.
Wenn man nicht, wie z. B. Rubin und Westergaard!) in
ihren schönen Arbeiten, die Möglichkeit hat, unmittelbar aus dem Ur-
materiale der individuellen Beobachtungen heraus eine direkte Grup-
pierung der Bevölkerung nach sozialen Schichten vorzunehmen, bleibt
häufig nichts anderes übrig, als sich mit indirekten Verfahren zu be-
gnügen, welche die individuelle Differenzierung der beobachteten
Personen durch eine räumliche Gliederung der Bevölkerung ersetzen;
dergestalt, daß man Gebiete einander gegenüberstellt, die sich durch
abweichenden sozialen Charakter der Hauptmasse ihrer Bevölkerung
voneinander unterscheiden.
Dieses Verfahren ist schon recht früh angewandt worden. Und
zwar einmal mehr in der Richtung, die Unterschiede in der wirtschaft-
lichen Struktur und der gewerblichen Eigenart größerer Gebiete hervor-
zuheben. Um den Gegensatz zwischen der industriellen und der agra-
rischen Bevölkerung zu erfassen, hatte Engel ein recht brauchbares
Verfahren in der seinerzeit viel beachteten Bearbeitung der Bevölke-
rungsbewegung des Königreichs Sachsen für die Jahre 1834—1850?)
angewandt. Statt die Bevölkerung persönlich nach ihrer Berufszuge-
hörigkeit zu gliedern, verglich er in detailgeographischer Gegenüber-
stellung die Gebiete überwiegend landwirtschaftlichen und mehr indu-
striellen Charakters. Das Verfahren war, wie Engel selbst hervorhob,
damals „etwas durchaus neues“. Er bemaß den gewerblichen Charakter
einer Bevölkerung nach dem Prozentanteil, den die industrie- und
handeltreiberden Bewohner (Selbsttätige und Angehörige) an ihr aus-
machten. So ergaben sich ihm 7 Klassen „mit vorwaltender Gewerbe-
1) Man vergleiche auch die grundsätzlichen Bemerkungen der beiden Verfasser
in ihrer Statistik der Ehen. Jena 1890.
2) Statistische Mitteilungen aus dem Königreich Sachsen, 2. Band (1852), Ein-
eitung S. 10.
Miszellen. 551 l
und Handelsbevölkerung“ von Gebieten mit 100—91 Proz. industrieller
Bevölkerung bis zu jenen mit 40—31 Proz. Analog bildete er 7 Klassen
nach dem Prozentanteil der ackerbautreibenden Bewohner. — Engels
Methode bürgerte sich bald ein. Mit gutem Erfolge bediente sich ihrer
u.a. auch J. Durrer bei Betrachtung der schweizerischen Bevölkerungs-
bewegung von 1871—90 1). Im Hinblicke auf die geschichtliche Ent-
wicklung der statistischen Methodik verdient der Versuch Erwähnung,
den der Pfarrer Muret von Vevey bereits im Jahre 1766 unternommen
hat in einer wertvollen Abhandlung über die Entvölkerung der Waadt 2).
Hier teilte er die Gemeinden in die 8 Klassen der Städte, Dörfer,
Alpen, Jura, Getreideland, Reb-, Berg- und Sumpfland, und ermittelte
für jede Kategorie die Sterblichkeit. — In etwas abweichender Rich-
tung als Engel und bereits vor ihm, nämlich 1837 und 1838, hatte
J.G. Hoffmann einen Versuch detailgeographischer Gliederung unter-
nommen, indem er für Preußen durch Zusammenlegung benachbarter
Landkreise von ungefähr gleicher Beschaffenheit des Bodens und der
Bevölkerung 70 Abteilungen bildete, für welche er dann die mittlere
Lebensdauer berechnete8). Bekannt ist dann die statistisch-geographi-
sche Methode namentlich durch Georg v.Mayrs vortreffliche Unter-
suchungen über die Säuglingssterblichkeit in Bayern und durch seine
anschließende theoretische Behandlung des Gegenstandes geworden ®).
Auf der anderen Seite, wo man mehr die verschiedenen sozialen
Klassen, die individuelle Lebenshaltung und Wohlhabenheit auf dem
indirekten Wege räumlicher Differenzierung erfassen wollte, hat men,
mit Vorliebe Vergleiche zwischen verschiedenen Stadtbezirken ange-
stellt. Viel bemerkt wurden vor Jahrzehnten die Berechnungen, die
Villermé über die Sterblichkeit in den reichen und armen Bezirken
der Stadt Paris gemacht hat. In neuerer Zeit ist einer der bekannteren
Versuche dieser Art von J. Bertillon durchgeführt worden. Er
zeichnet sich aus durch die Besonderheit der Merkmale, die hier als
„Thermometer“ des sozialen Zustandes in den einzelnen Quartieren
verwendet sind. Die Grundsätze seiner Klassifikation entwickelte Ber-
tillon vor der Berner Versammlung des Internationalen Statistischen
Instituts im Jahre 18955). Die praktische Nützlichkeit seiner Methode
belegte er dabei mit den charakteristischen Unterschieden, welche die
eheliche Fruchtbarkeit in den Pariser Arrondissements je nach ihrer
1) Schweizerische Statistik, Lieferung 103, S. 18*. Die statistische Methodik
Durrers ist zum Vorbild genommen in der lesenswerten Studie von Xaver Schmid,
Die Einwirkung wirtschaftlicher und konfessioneller Zustände auf Eheschließung und
Ehescheidung. Staatswissenschaftliche Dissertation Freiburg i. Ue. 1905.
2) Mémoire sur létat de la population dans le pays de Vaud. Mémoires et ob-
servations recueillies par la Société oeconomique de Berne, 1766, S. 88 ff.
3) Vgl. Sammlung kleiner Schriften staatswissenschaftlichen Inhalts (1843), 8. 78 ff.,
sowie Nachlaß kleiner Schriften (1847), S. 315 ff.
4) Zeitschrift des Bayerischen Statistischen Bureaus, 1870 und 1871. Vgl. auch
v. Mayr, Theoretische Statistik, 2. Aufl. (1914), 8. 144 ff.
5) Des méthodes à suivre pour l’&tude des differentes classes sociales. Bulletin
de l'Institut international de statistique, Tome IX, 1896, Livr. 2, p. 212. Vgl. auch
den Verhandlungsbericht daselbst $. CII.
552 Miszellen.
Wohlhabenheit ergab. Er empfahl das Verfahren für viele andere
Untersuchungen: mit Bezug auf die Ehefrequenz, das Heiratsalter, die
Häufigkeit der Legitimationen, die uneheliche Fruchtbarkeit, die
Körpergröße, die Gebrechen usw. En general, meinte er, il me parait
qu’il n’existe pas encore de methode meilleure pour étudier, avec la
précision de la statistique, les mours des différentes classes sociales.
Dem verdienten französischen Statistiker ist jedenfalls darin bei-
zustimmen, daß derartige stadtkreisweise Untersuchungen häufiger unter-
nommen werden sollten. Das Statistische Institut hat denn auch seiner-
zeit in Bern den Vorschlag angenommen, welcher die allgemeinere
Durchführung solcher Studien empfahl. Immerhin ist nicht zu leugnen,
daß in manchen Städten die Stadtkreise sich nicht mit genügender
Schärfe durch Besonderheiten ihrer sozialen Schichtung voneinander
abheben. Oft hat der einzelne Bezirk tiberhaupt nicht eine so einheit-
liche Struktur, daß man ihn als durchschnittlich arm, mittel oder sehr
wohlhabend bezeichnen kann 1).
Aber auch dort, wo gewisse Quartiere eine ganz ausgesprochene
soziale Eigenart aufweisen, darf man diese nicht immer unmittelbar
zur Erklärung ihrer demologischen Besonderheiten heranziehen. Die
letzteren hängen nämlich mitunter sehr empfindlich von anderen Um-
ständen ab, auf welche die Wohlhabenheit der Bezirke, ihre Berufs-
gliederung u.dgl.nur mittelbar von Einfluß sind. Vor allem kommen
hier die Unterschiede im Altersaufbau der Bevölkerung in Betracht.
Wie vorsichtig man also solche Vergleiche anzustellen hat, möchte ich
im folgenden an einigen neuen Ermittelungen zeigen, die ich im Auf-
trage des Statistischen Amtes der Stadt Zürich gemacht habe aus An-
laß einer ausführlichen Studie über die Züricher Heiraten 2).
Bertillon legte dem X. internationalen Kongreß für Hygiene
und Demographie, der 1900 in Paris tagte, u. a. eine vergleichende
Tabelle über die Heiratshäufigkeit in 8 europäischen Großstädten vor.
Er hatte dafür die Stadtbezirke von Paris, Berlin und Wien in 6
Gruppen nach Wohlhabenheitsgraden zusammengestellt und für jede
1) Mit Rücksicht darauf verdient das sehr interessante Verfahren des Bremi-
schen Statistischen Amtes besondere Beachtung, die Bevölkerungsvorgänge nach
einzelnen Straßen statt nach zusammenhängenden Stadtvierteln zu ermitteln. Auf
Grund dieser Nachweise, die zum Teil bereits bis in die 1870er Jahre zurückreichen,
hat neuerdings J. Funk die Sterblichkeit nach sozialen Klassen in der Stadt Bremen
untersucht, indem er eine Auswahl der Straßen in drei Gruppen mit wohlhabender,
Mittelstands- und ärmerer Bevölkerung einteilte und für jede dieser Gruppen die Sterb-
lichkeit, sogar nach Alter und nach Todesursachen berechnete. Vgl. Mitteilungen des
Bremischen Statistischen Amtes im Jahre 1911, No. 1.
2) Die ziemlich umfangreich geratene Monographie erscheint in Kürze als Heft 19
der Statistik der Stadt Zürich. — Da das statistische Urmaterial über die Bevölkerungs-
bewegung in Zürich dank den Bemühungen von Dr. H. Thomann in sehr eingehen-
der Gliederung aufbereitet wird, und namentlich auch die Bearbeitungstabellen der Ehe-
schließungen manche Kombinationen und Differenzierungen berücksichtigen, die ander-
wärts nur selten ermittelt werden, so dürften die Untersuchungen vielleicht etwas mehr
als bloß lokales Interesse haben; zumal ich versuchte, internationales Vergleichsmaterial
heranzuziehen, und auch der geschichtlichen Entwicklung der Methodik einige Auf-
merksamkeit widmete.
Miszellen. 553
Gruppe die Zahl der Eheschließenden auf die heiratsfähige Bevölkerung
bezogen. Es kamen hierbei auf 1000 nicht verheiratete Männer von
über 20 und Frauen von über 15 Jahren Eheschließungen:
i in Paris in Berlin in Wien
Wohlbabenheiugrd | -16961696 1886—1895 1891—1897
in beide Geschlechter | beide Geschlechter| männlich | weiblich
Zn nr _ = we
Sehr arm 29.1 44,0 | 90,1 67,0
Arm 27,9 44,4 80,6 52,7
Wohlhabend 24,7 36,3 84,0 48,9
Sehr wohlhabend 24,5 26,5 71,6 40,7
Reich 21,0 26,0 56,6 28,7
Sehr reich f 21,1 20,5 1 43,4 | 19,1
Durchschnitt | 25,4 | 31,8 | 730 | 42,3
Mit auffallender Regelmäßigkeit zeigt sich also die Heiratshäufigkeit
überall in den reichen Distrikten viel schwächer als in den armen 1).
Man hat gegen diese Beweisführung unter anderem geltend gemacht,
daß die Unterschiede in der Altersbesetzung zwischen den einzelnen
Stadtkreisen so groß seien, daß sie auch noch bei der Berechnung der
besonderen Heiratsziffer (auf sämtliche Heiratsfähige, wie sie Bertillon
durchführte) sich durchsetzen müßten. Wie sehr das in der Tat
der Fall ist, erweisen nun unsere Zürcher Erhebungen.
Indem wir nämlich die Verehelichungshäufigkeit außer für die Gesamt-
heit der Heiratsfähigen auch noch getrennt für die wichtigsten Alters-
stufen im besonderen ermittelten, in den letzteren Werten also die
ungleiche Altersgliederung des Bevölkerungsstandes ausschalteten, können
wir durch einen Vergleich der beiden Berechnungen den Einfluß fest-
stellen, welchen die Unterschiede im Altersaufbau auf die Reihenfolge
der Stadtkreise nach der Heiratsfrequenz ausüben.
Es heirateten in Zürich im Durchschnitt der Jahre 1911/12 von
je 1000
Stadtkreise Junggesellen Stadt- Jungfrauen
(mach der alten der Altersklassen kreise der Altersklassen
Einteilung) | 20—25 | 25—30 | 30—35 20—25 | 25—30 | 30—35
III 57,7 | 144,3 | 132,9 III 123,6 177,4 | 114,9
II 36,4 128,1 113,2 IV 62,3 105,8 | 79,6
IV | 29,9 122,5 | 102,6 II 57,8 73,9 74,5
vV | 32,0 98,7 | 111,2 V 55,1 81,2 | 48,3
I | 284 89,2 958 | I 53,5 82,3 66,5
Hier sind die Bezirke nach der Heiratshäufigkeit der wichtigsten
Altersgruppe, nämlich der 25—30-jährigen Junggesellen bzw. der 20-
bis 25-jährigen Jungfrauen geordnet. Aber auch für die beiden anderen
1) Mouvement de population et causes de décès selon le degré d’aisance à Paris,
Berlin, Vienne. X° Congrès international d’hygiöne et de démographie à Paris en 1900.
Compte rendu, p. 963. Die Tabelle ist auch abgedruckt in der Statistischen Monats-
schrift, N. F. Bd. 5, 1900, S. 568, sowie in der Zeitschrift f. Sozialwissenschaft, Bd. 6,
1903, S. 550.
554 Miszellen.
Altersklassen folgen sich die Stadtkreise ähnlich; nur daß bei den
Männern der 4. und 5. Kreis ihre Plätze vertauschen und bei den
Mädchen der 2. Kreis für die späteren Alter zum heiratsärmsten herab-
sinkt. Das charakteristischste Ergebnis ist, daß im 3. Kreise, dem
Industrie- und Arbeiterviertel, die Heiraten weitaus
am häufigsten sind. Erst in ansehnlichem Abstande folgen die
übrigen Bezirke. Das trifft für die männliche und die weibliche Be-
völkerung in gleicher Weise zu. Sonst zeigen sich für beide Geschlechter
einige Unterschiede. Bei den Männern hat die niedrigsten Werte durch-
wegs die Altstadt, das Zentrum des Geschäftslebens (Kreis 1). Obgleich
der 2. Kreis zum großen Teil ein ausgesprochenes Villenqguartier wie
Kreis 5 ist, erfolgen in ihm doch relativ entschieden mehr Ehe-
schließungen, möglicherweise, weil dort die weniger wohlhabende Be-
völkerung (Wollishofen) stärker sich bemerkbar macht als in den immer-
hin meist „besseren“ Mietshäusern des Kreises 5. Beachtung verdient
auch die niedrige Heiratsfrequenz des 4. Kreises, die teilweise sogar
unter diejenige des 5. herabgeht; vielleicht daß hier die vielen Stu-
denten und die sonstigen möbliert wohnenden Junggesellen die Ziffer
herunterdrücken. Für die Vermutung spricht auch, daß der 2. Kreis,
bei dem jene Ursache fortfällt, der Heiratshäufigkeit der weiblichen
Bevölkerung nach deutlich unter dem 4. Kreise steht, bei der Alters-
klasse 25—30 sogar erheblich unter Kreis 5 und 1.
Vergleichen wir dann aber die Reihenfolge, wie sie hierüber für
das häufigste Eheschließungsalter der ledigen Männer und Mädchen
festgestellt wurde, mit dem Range, den die Stadtkreise nach der all-
gemeinen Heiratshäufigkeit einnehmen, so ergeben sich auffällige
Abweichungen. Hierunter sind zunächst sämtliche heiratende Männer
und Frauen (einschließlich der Verwitweten und Geschiedenen) ohne
Berücksichtigung ihres Alters auf die Gesamtheit der heiratsfähigen
Personen ihres Geschlechtes innerhalb der einzelnen Stadtkreise be-
zogen, entsprechend den Berechnungen von Bertillon, nur mit etwas
anderer unterer Altersgrenze der Ehemündigkeit. Danach rangieren die
Bezirke folgendermaßen:
Es kamen Eheschließungen auf 1000 nicht verheiratete
Männer Frauen
(von 18 und mehr Jahren) (von 16 und mehr Jahren)
III 35,0 31,0
I 31,2 25,7
II 27,1 22,5
Vv 26,4 20,5
IV 24,6 22,1
Durchschnitt 30,6 25,6
Diese Zahlen geben nur die hohe Ehefrequenz des 3. Stadtkreises
korrekt wieder; dagegen täuschen sie für den 1. Kreis eine viel zu
hohe Heiratlichkeit vor. Während die Altstadt in Wirklichkeit unter
Berücksichtigung des Alters bei den Männern stets und in der Haupt-
sache doch auch bei den Frauen untenan steht, finden wir sie hier
unmittelbar auf das Maximum des Arbeiterviertels folgend.
Miszellen. 555
Außer den üblichen Beziehungen der Heiraten auf sämtliche Heirats-
fähige habe ich sie auch auf nur den Teil der Ehemündigen bezogen,
welche bei der Volkszählung zwischen 20—50 Jahren stand. Hiermit
sollten wenigstens jene Abweichungen zwischen den einzelnen Stadt-
kreisen ausgeschaltet werden, die in der verschiedenen Besetzung der
für die Heiraten nur verschwindend selten in Betracht fallenden jüngsten
und ältesten Altersklassen der Ehemündigen bestehen. Und schließlich
wurde noch die allgemeine Heiratsziffer beigefügt, welche überhaupt
keine Rücksicht auf das Alter nimmt und die gesamte Bevölkerung
einschließlich der Unerwachsenen als Bestandsmasse in Rechnung stellt.
Die Ergebnisse sind die folgenden:
Es entfielen Eheschließende des betreffenden nEhNeR (ein-
schließlich der wiederholt Heiratenden)
aufs Tausend der 20—50-jährigen jaufs Tausend der gesamten Bevölkerung
unverheirateten (einschließlich der Kinder) bei den
Männer | Frauen Männern Frauen
II 44,0 43,0 23,4 | 21,0
I 42,1 37,7 23,7 21,3
II 38,0 33,1 18,5 17,6
v 36,1 30,4 18,6 | 16,1
IV 32,8 31,5 17,0 16,4
Durchschnitt | 40,1 | 36,6 | 21,1 | 18,9
Man sieht, in der Reihenfolge ändert sich nichts wesentliches
gegenüber den unmittelbar vorher mitgeteilten Zahlen. Selbst wenn
man die Kinder nicht aus der Bestandsmasse ausscheidet, ist die Rang-
ordnung der Kreise nicht stärker irreführend als bei der Berücksichtigung
sämtlicher Heiratsfähigen.
Erst wenn man für einzelne eng begrenzte Alters-
stufen die Ziffern berechnet, erhält man ein wirklich-
keitsgetreues Bild.
Maßgebend für die Gestaltung der Verhältnisse sind also diejenigen
Abweichungen zwischen den einzelnen Stadtbezirken, welche sich aus
dem Altersaufbau der Erwachsenen, und zwar etwa zwischen 20
bis 50 Jahren, beziehen. Diese Unterschiede hängen aber wohl im
wesentlichen unmittelbar von der beruflichen Gliederung der einzelnen
Kreise ab und werden stark von der Zuwanderung der erwerbstätigen
jungen Leute beeinflußt sein. Insofern ist es etwas ungenau, wenn
Prinzing!) gegen die Bertillonschen Berechnungen den Einwand erhebt,
sie berücksichtigten nicht die Unterschiede in der Altersbesetzung, die
durch die kleinere Zahl der Geburten in den höheren Gesellschafts-
schichten entstehen.
1) Heiratshäufigkeit und Heiratsalter nach Stand und Beruf. Zeitschrift f. Sozial-
wissenschaft, Bd. 6, 1903, S. 550.
556 Literatur.
Literatur.
IV.
Fränkel, Franz, Die Gesellschaft mit beschränkter
i Haftun
g.
Eine volkswirtschaftliche Studie. Tübingen, J. C. B. Mohr (Paul Sie-
beck), 1915. 8%. XVI u. 293 SS. Preis 8 M.
Besprochen von Geh. Justizrat Prof. Dr. Karl Lehmann, Göttingen.
Für den 31. Juristentag zu Wien im September 1912 war die Frage
der Vereinheitlichung des deutschen und österreichischen Rechts der
Gesellschaften m. b. H. auf die Tagesordnung gesetzt worden mit der be-
sonderen Unterfrage, welche Bestimmungen des österreichischen Gesetzes
von 1906 sich zur Aufnahme in das deutsche Recht empfehlen. Reichs-
gerichtsrat Neukamp von deutscher, Oberlandesgerichtspräsident
von Pitreich von österreichischer Seite erstatteten hierüber kurz-
gefaßte Gutachten. Wegen Zeitmangels kam es in Wien zu einer Ver-
handlung indessen nicht, der in Aussicht genommene Referent, Justizrat
Liebmann in Frankfurt a./M., veröffentlichte im Jahre 1913 sein
Referat in der Zeitschrift für das gesamte Handels- und Konkursrecht,
Bd. 73, im übrigen wurde die Erörterung auf den 32. Juristentag zu
Düsseldorf 1914 verschoben. Inzwischen nahm sich der mitteleuropäische
Wirtschaftsverein des Gegenstandes ebenfalls an. Im Januar 1914 wurde
auf seiner Tagung zu Budapest das Problem der Vereinheitlichung der für
Erwerbsgesellschaften geltenden gesetzlichen Bestimmungen in Deutsch-
land, Oesterreich und Ungarn diskutiert, in dessen Mittelpunkt die Frage
stand, ob die G. m. b. H. auch für Ungarn zu empfehlen sei. Gerade
diese Frage, für die Hachenburg ein ausgezeichnetes, viel Material
enthaltendes Gutachten geliefert hatte, rief das lebhafteste Interesse auf
dem Budapester Kongreß hervor!) Dem ehemaligen österreichischen
Justizminister Klein und mir waren die Referate zugefallen, und ich
konnte nicht gewisse schwere grundsätzliche Bedenken über das ganze
Gebilde verhehlen. Möglicherweise gab die Budapester Tagung den Anlaß,
die Formulierung des Themas für den 32. Juristentag zu erweitern.
Es lautete nunmehr nicht bloß wie in Wien, ob eine Vereinheitlichung
des deutsch-österreichischen Rechts zu erstreben sei, sondern weiter
gehend, ob es sich empfehle, das Recht der G. m. b. H. einer Neu-
1) Das Material und die Verhandlungen sind abgedruckt in „Mitteleuropäische
Wirtschaftsvereine in Deutschland, Oesterreich und Ungarn‘, Budapest 1914.
Literatur. 557
ordnung zu unterziehen. Hierüber waren zwei neue Gutachten
eingefordert und erstattet, von deutscher Seite von dem bekannten Kom-
mentator des Genossenschafts- und G. m. b. H.-Gesetzes Professor
Hans Crüger, von österreichischer Seite wiederum von Pitreich.
Obwohl der ausgebrochene Krieg die Düsseldorfer Tagung verhinderte,
erfuhr die literarische Bewegung durch den Krieg nicht den Stillstand,
den sonst juristische Fragen erhielten. Nachdem kurz vor Beginn des
Krieges in der Zeitschrift für das gesamte Handels- und Konkursrecht
Bd. 76, S. 65 ff., eine Abhandlung von A. Hollaender, Zur Reform der
G. m. b. H., erschienen war, wurde während des Krieges vorliegende
umfangreiche Schrift Fränkels veröffentlicht, welche das Thema auf
breitester, volkswirtschaftlicher Grundlage erörtert und zum Schlusse
eine Anzahl Reformvorschläge macht (S. 250 ff.).
Sicher wird die Reform der G. m. b. H. eine der ersten Aufgaben
sein, deren Lösung der Gesetzgeber, wenn der Friede in das Land ge-
kommen ist, unternehmen wird. Mit Dank ist es daher zu begrüßen,
wenn der Juristentag und späterhin der Gesetzgeber durch eingehende
Untersuchungen die genügende Vorbereitung für die unerläßliche Reform
erhalten. Wir haben es mit einem außerordentlich wichtigen Gegen-
' stand zu tun. Mag, was die Größe der Werte und den Kreis der in
Mitleidenschaft gezogenen Personen betrifft, die Aktiengesellschaftsfrage
wichtiger sein, für die innere Gesundung unseres Erwerbslebens ist eine
Besserung der bestehenden Rechtszustände der G. m. b. H. nachgerade
zur dringenden Notwendigkeit geworden, die Augen lassen sich hier-
gegen nicht mehr verschließen.
Daß die Vertagung der Diskussion in Wien den Anlaß gab, die
ganze Frage grundsätzlich anzuschneiden, ist nur gut. Die Gut-
achter und der Referent für den Wiener Juristentag hatten es im All-
gemeinen vermieden, über die Vorzüge und Nachteile der G. m. b. H. ein Ur-
teil abzugeben. Ihre Erörterungen drehten sich den an sie gestellten
Fragen entsprechend lediglich um die Vergleichung des österreichischen und
deutschen Gesetzes, und ihre Vorschläge beschränkten sich darauf, das
vermeintlich Bessere des österreichischen Gesetzes anzuführen, wobei es
sich meist um Dinge der juristischen Technik handelte. Andere Wege
beschreitet dagegen bereits das fürıBudapest erstattete Gutachten Ha-
chenburgs. Er untersuchte Licht- und Schattenseiten der G. m. b. H.,
legte den Finger auf wunde Stellen und zog Reformvorschläge in erpst-
hafte Betrachtung. Die Neuformulierung des Themas für den Düssel-
dorfer Juristentag gab dann den weiteren Anlaß, daß die neuen Gut-
achter, wie sonstige juristische Schriftsteller sich über die grundsätz-
lichen Fragen Rechenschaft ablegten. Es ist vorauszusehen, daß nun-
mehr die ganze Frage in Fluß kommen wird. Die vorliegende Schrift
darf das Verdienst beanspruchen, unter Heranziehung eines reichen
statistischen Materials und unter fleißigster Verwertung der wissen-
schaftlichen Literatur wie der Aeußerungen der zeitgenössischen Tages-
presse den grundsätzlichen Fragen auf den Leib zu rücken.
Denn darum, nicht bloß um technisch-juristische Einzelpunkte
handelt es sich. So zweifellos es ist, daß die österreichische Regelung
558 Literatur.
die deutsche, auf deren Schultern sie steht, in Einzelheiten übertrifft,
so sicher wird mit der Uebernahme dieser besseren Einzelheiten für
Deutschland die Sache nicht erledigt. Auch der Vertrauensseligste wird
sich nicht einbilden, daß damit jene tiefen Schäden in unserem Erwerbs-
leben beseitigt sein werden, die sich in den zwei Jahrzehnten seit Erlaß
des Gesetzes von Jahr zu Jahr in steigendem Grade offenbart haben.
Denn diese beunruhigenden Erscheinungen entspringen nicht technischen
Unvollkommenheiten — gerade in technischer Hinsicht läßt das deutsche
Gesetz nicht viel zu wünschen übrig — sondern dem ganzen Aufbau
der Gestaltung, und in diesem ahmt das österreichische Gesetz das
deutsche nach. Mag sein, daß Oesterreich nicht in gleichem Maße von
ihnen heimgesucht werden wird, wie Deutschland — noch ist die Zeit
der Geltung in Oesterreich zu kurz, als daß sich hierüber etwas Sicheres
sagen läßt, auch bei une haben die bösen Folgen sich erst im zweiten
Jahrzehnt geäußert — die Gefahr besteht dort nicht minder und es
wird geraten sein, auch dort beizeiten vorzubeugen. Uns steht die
Erfahrung zu Gebot, und was wir erfahren haben, kann nur den Wunsch
rechtfertigen, daß bald und gründlich an dem Gesetz gebessert werden
möge.
. Das Gesetz ging bekanntlich aus dem Streben hervor, eine neue
Form für Vereinigungen mit beschränkter Haftung aller Mitglieder zu
finden, welche die Härten und Umständlichkeiten des Aktienrechts ver-
mied. Ob dieses Streben wirklich so dringend war — nachdem durch
das Schutzgebietsgesetz von 1888 für Kolonialgesellschaften gesorgt
war — um die Abbröckelung des Aktienrechts zu rechtfertigen und das
deutsche Recht um einen zweifelhaften Typus zu bereichern, kann ge-
fragt werden. Nach dem von Fränkel zusammengetragenen Material
(S. 11 ff.) waren die Ansichten der 1888 befragten deutschen Handels-
kammern über die Schaffung einer solchen neuen Rechtsform sehr ge-
teilt, die Mehrheit lehnte sie auf kollektivistischer Grundlage ganz ab,
eine starke Minderheit war auch gegen Schaffung auf individualistischer
Grundlage. Aber wenn man selbst das Vorhandensein eines drängenden
Bedürfnisses anerkannte, wäre es weiser gewesen, die neue Form —
die ja doch ein Versuch sein mußte — auf das Gebiet des Erwerbs-
lebens zu beschränken, wo dies Bedürfnis unstreitig war, und sie so
auszugestalten, daß von vornherein die Bürgschaft soliden Funktionierens
bestand. Oechelhäuser, der von Verteidigern des geltenden Rechts-
zustandes jetzt als ihr Eideshelfer angerufen wird, hatte diese Be-
schränkung geübt. Er wünschte (vgl. Fränkel S. 23) eine Gesell-
schaftsform auf der Basis der offenen Handelsgesellschaft mit soli-
darischer Haftbarkeit der Gesellschafter auf ein bestimmtes Maximum,
also eine Gesellschaft von lauter Kommanditisten, nur daß deren Haf-
tung nicht auf die Einlage beschränkt wird (vgl. C. Wieland in Z. f.
Schweiz. R., N. F. Bd. 14, S. 205 ff.). Eine solche Form, gestattet zunächst
nur für das Gebiet des Handels, hätte die notwendigsten Bedürfnisse
befriedigt und den Gläubigern genügende Sicherheit gegeben; ihre Aus-
dehnung auf andere Gebiete konnte im Laufe der Zeit erfolgen. Die
Gesellschafter wären Träger der Firma gewesen, und man konnte die
Literatur. 559
Sätze von der soliden offenen Handelsgesellschaft auf sie anwenden.
Aber der Entwurf der Reichsregierung beschritt in Anlehnung an die
Wünsche der Mehrheit der Handelskammern andere, gefährliche Wege.
Er schlug eine Rechtsform vor, die das Prinzip der beschränkten Haf-
tung für das ganze Gebiet menschlicher Betätigung zuließ, er kleidete
sie in die Form der juristischen Person und nahm damit den Mitgliedern
nicht bloß die Firmenträgerschaft, sondern entzog sie auch dem direkten
Zugriff der Gläubiger. Nach innen ließ er die Mitglieder grundsätzlich nur
für den Nennbetrag ihrer Einlage einstehen, wenn er auch gestattete, durch
Statut eine Nachschußverpflichtung einzuführen (ein großer Gebrauch
ist hiervon bekanntlich nicht gemacht worden) und Nebenleistungen auf-
zuerlegen, wovon bekanntlich ein reicher Gebrauch gemacht wurde. Nur
in dem den Meisten unbekannten $ 24 des jetzigen Gesetzes ließ er einen
Rest der Oechelhäuserschen Auffassung bestehen, der seltsam mit
dem sonstigen Aufbau des Gesetzes kontrastiert. Hatten noch die Aeltesten
der Kaufmannschaft von Berlin und der Deutsche Handelstag einen
Mindestbetrag des Geschäftsanteiles von 5000 M. verlangt (Fränkel
S. 20 ff.), so wurde dieser jetzt auf 500 M. beziffert und damit die
Form dem kleinsten Gewerbetreibenden eröffnet, während man doch die
Aktie auf 1000 M. gestellt hatte. Im Uebrigen völlige Freiheit der
inneren Ausgestaltung, Anpassungsmöglichkeit an kleine wie große Mit-
gliederzahlen, ein nur geringes Quantum von Schutzvorschriften zugunsten
der Gläubiger; von dem, was die zweite Aktiennovelle für die Aktien-
gesellschaft kunstvoll gezimmert hatte, war das Wenigste übernommen.
Lediglich die Fernhaltung der Geschäftsanteile vom Börsenhandel sollte
der $ 15 verhüten, der seine Aufgabe auch nicht einmal erfüllt hat
(vgl. Fränkel S. 156 ff.).
Man kann sagen, die Reichsregierung war in der Geberlaune. Es
dürfte kaum ein zweiter Fall sich finden, in dem über die Wünsche
des Handelsstandes hinaus ein Gesetzentwurf Entfesselung von Schranken
gab, die man einige Jahre vorher gegen eine Sturmflut errichtet hatte.
Liest man bei Fränkel S. 15 ff. die Gründe, welche die Einfüh-
rung der neuen Form rechtfertigen sollen, so stößt man auf ein selt-
sames Gemisch von Tatsachen, von denen keine zwingend ist, bei jeder
der Einwand unerledigt bleibt, daß es doch nicht bloß darauf ankomme,
dem Unternehmer unter die Arme zu greifen, sondern auch dessen Kredit-
geber zu schützen. Insbesondere die Unternehmungen zur Ausnutzung
von Erfindungen, auf die die Begründung des Entwurfs S. 30 hinweist,
und die in der Folgezeit immer das Lehrbeispiel bilden, gehörten zu
dieser zweifelhaften Gruppe, die dann auch mit verwandten Fällen zur
traurigen Berühmtheit gelangt ist. Aber selbst alle diese Gründe konnten
jene generelle und zugespitzte Gestaltung nicht rechtfertigen, die der
Entwurf der Reichsregierung präsentierte und die nach schneller Durch-
peitschung der Vorlage Gesetzeskraft erhielt.
Man muß leider als bis in die Gegenwart reichende Zeitstimmung
des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Deutschland einen Zug der Ge-
ringschätzung von Theorie und Wissenschaft hinstellen. Die warnenden
Stimmen der wenigen Juristen, die sich gegen die neue Gesellschafts-
560 Literatur.
form aussprachen, insbesondere Bährs und Goldschmidts, wurden
nicht gehört, das Gesetz hielt seinen Einzug unter festlicher Stimmung,
man erwartete von ihm eine Hebung der Unternehmungslust und wurde,
wie es scheint, in der Erwartung nicht betrogen. Freilich dauerte es
geraume Zeit, bis die große Masse von soliden und noch mehr schwindel-
haften Unternehmungslustigen sich klar machte, was alles mit dem Ge-
setze anzufangen sei. Mit Ablauf der ersten 6 Jahre (1898) erreichte
die Zahl der tätigen, d. h. nicht in Konkurs oder Liquidation stehenden
Gesellschaften noch nicht das volle zweite Tausend, ihr gesamtes Stamm-
kapital noch nicht 700 Mill.M. (Fränkel S. 32), dann ging es rapide
vorwärts. Bereits 1900 ist das vierte Tausend überschritten, 1904 sind
es über 7500, 1909 über 17000, Ende 1914 über 27000. Ob in Oester-
reich, wie Verf. (S. 33) annimmt, bei friedlichen Verhältnissen die Entwick-
lung ein etwas langsameres Tempo eingeschlagen hätte, ist nicht sicher.
Seine Statistik (S. 34) reicht dort nur bis Ende 1913, wo er 2312 Ge-
sellschaften m. b. H. mit einem Gesamtstammkapital von 551 Mill. K.
verzeichnet. Die Zahl wäre demnach, obwohl die österreichischen Lande
doch nur die halbe Bevölkerung Deutschlands umfassen, nach 7 Jahren
wohl nicht viel kleiner als in Deutschland, das Kapital allerdings er-
heblich geringer. Es ist vielmehr anzunehmen, daß bei dem Mangel
eines dem Normativsystem folgenden österreichischen Aktiengesetzes der
Gebrauch in Oesterreich relativ von Anfang an ein stärkerer war, und
das scheint die obige Statistik zu bestätigen. Die weitere Entwicklung
ist aber in Deutschland wie in Oesterreich durch den Krieg zunächst
unterbrochen, die seit August 1914 in Deutschland gegründeten Gesell-
schaften m. b. H. sind an Zahl gering und haben zum Teil gemein-
wirtschaftliche oder altruistische Zwecke (vgl. die Statistik S. 49 ff.).
Wie es nach dem Kriege werden wird, wird zum Teil davon abhängen,
ob an die notwendige Reform des Gesetzes bald herangetreten werden
wird. Die obige Statistik lehrt aber für deutsche Verhältnisse ein
weiteres. Seit 1892—1914 haben gute und schlechte Zeiten gewechselt,
die G. m. b. H. hat in ihrem Fortschreiten sich wenig an sie gehalten.
Seit 1900 geht sie ununterbrochen vorwärts, auch in den Zeiten des
Balkankrieges, die ja doch Geldknappheit hervorriefen, wurden Tausende
von Gesellschaften m. b. H. Jahr für Jahr gegründet, und erst der Welt-
krieg macht diesem Prozeß zunächst ein Ende. In der Zeit der wirt-
schaftlichen Krise von 1900—1904 hat sich die Zahl der G. m. b. H.
in Deutschland beinahe verdoppelt (von 4077 auf 7570 vgl. S. 32). Die
„Steigerung des Unternehmungsgeistes“ hat also mit der wirtschaftlichen
Prosperität gar nicht Schritt gehalten, sie ist nicht im Hinblick auf
letztere, sondern unabhängig davon, also um der bequemeren Rechtsform
willen erfolgt. Und dies wird dann endgültig dadurch bestätigt, daß
in Deutschland die G. m. b. H. der Aktiengesellschaft zwar auch, aber
ungefährliche Konkurrenz bereitet, eine um so gefährlichere aber Einzel-
kaufleuten, der offenen Handelsgesellschaft und Kommanditgesellschaft
(vgl. S. 86 ff... Dies ist die wichtigste und bedenklichste Erscheinung.
Nach der Statistik auf S. 35 haben für das Amtsgericht Berlin-Mitte von
1903 bis 1914 jene um 30 Proz., die G. m. b. H. um 672 Proz. zu-
Literatur. 561
genommen, 1913 ist dort sogar die Zahl der Einzelkaufleute, offenen
Handelsgesellschaften und Kommanditgesellschaften zurückgegangen!
Auch wenn die G. m. b. H. alle Garantien für ein solides Gebaren
böte, wäre diese Entwicklung, die an die Stelle der lebenden Menschen
juristische Personen setzt, wenig erfreulich. Aber sie wird besorgnis-
erregend, wenn man die Gefahren, die sie den Gläubigern bietet, in
Erwägung zieht.
Die Zahl der liquidierenden und in Konkurs fallenden Gesellschaften
m. b. H. ist in Deutschland eine hohe und wächst mit jedem Jahr. 1909
befanden sich in Liquidation fast 12 Proz, 1913 und 1914 über 13 Proz.;
in Konkurs 1909 3,1 Proz., 1914 3,5 Proz. (Fränkel S. 214, 216). Mit
Recht hebt Fränkel hervor, daß ein sehr erheblicher Teil der Liqui-
dationen nur versteckte Konkursfälle sind. Offene Handelsgesellschaften
wie Aktiengesellschaften schneiden erheblich besser ab (F rän kel S. 222).
Hinzu kommt, daß bei den Gesellschaften m. b. H. die mangels hin-
reichender Masse abgelehnten oder zurückgenommenen Konkursanträge
und die deswegen eingestellten Konkurse von Jahr zu Jahr im Wachsen
begriffen sind, 1913 auf fast !/, der im Reich gestellten Konkursanträge
(Fränkel S. 224); in Berlin sind 1912 und 1913 von 271 Anträgen
auf Eröffnung des Konkursverfahrens 208 mangels Masse abgelehnt
worden! Und ebenso stehen jetzt die Gesellschaften m. b. H., was die
mangels hinreichender Masse eingestellten Konkursverfahren betrifft, an
der Spitze (225). Vielfach wird der Konkurs durch außergerichtlichen
Vergleich erledigt, oder man stellt, da es sich doch nicht lohnt, über-
haupt keinen Antrag auf Konkurseröffnung (226, 227). Und endlich
ist, wie Fränkel darlegt, auch wenn der Konkurs eröffnet wird, dessen
Ergebnis für die gewöhnlichen Gläubiger jedenfalls ungünstiger als bei
der Aktiengesellschaft, aber auch ungünstiger als bei der offenen
Handelsgesellschaft (S. 229 ff.), um so mehr, als durch die bevorrech-
tigten Forderungen der Geschäftsführer auf ihr Dienstäquivalent die
Masse für die gewöhnlichen Gläubiger geschmälert wird (S. 244 ff.).
Diesen Resultaten entspricht denn auch das Mißtrauen, das die
Banken und die Kaufmannswelt der ganzen Gestaltung entgegen-
bringen. Es ist eine Art Nemesis, daß diejenigen Kreise, die für die
Einführung der neuen Form sich so ins Zeug legten, wenn es sich
darum handelt, ihr zu kreditieren, mit Voreingenommenheit an sie
herantreten. Greulich hat in diesen Jahrbüchern, III. F. Bd. 32, S. 733 f.
(1906) selbst anschaulich geschildert, auf welche Widerstände die G. m.
b. H. bei Geldgebern stößt, und andere Zeugnisse führt Fränkel
S. 202 ff. an. Nicht die Juristen, sondern die Kaufleute selbst sind es,
die diese pessimistische Auffassung hegen. Und trotz alledem nahm
bis zum Kriege die Zahl der Gesellschaften m. b. H. von Jahr zu
Jahr zu.
Da lohnt es sich denn einmal, den Blick auf die einzelnen Klassen
von Gesellschaften m. b. H. zu werfen. Nach der Statistik beiFränkel
S. 36 ff. gehören die meisten dem Handelsgewerbe (mehr als !/,), dann
gewissen Industriezweigen an. Aber auch der Grundstückshandel weist
über 6 Proz. auf, wobei das treibende Motiv Steuerersparnis ist (S. 108 ff.),
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 36
562 Literatur.
Bergbau und Landwirtschaft zeigen geringe Ziffern. Besonders beliebt
ist die Verwendung zu Kartellzwecken (S. 96 ff.) Sehr groß ist die
Zahl der Gesellschaften m. b. H. mit Sacheinlagen. Von dem Ge-
samtstammkapital der am 30. September 1909 tätigen Gesellschaften m.
b. H. entfiel über 42 Proz. auf Sacheinlagen, in den Jahren 1910—14
begegnen ähnliche Ziffern. Ist bei Aktiengesellschaften der Prozentsatz
in den Jahren 1910—14 ein wenig niedrigerer, so zeigt sich, daß es sich
hier mehr um Umwandlungen bestehender Unternehmungen handelt; bei
Neugründungen übersteigen die Sacheinlagen der Gesellschaften
m. b. H. die der Aktiengesellschaften beträchtlich (S. 54 f.). Fränkel
geht auf die einzelnen Sacheinlagen ein und zeigt an einer Anzahl von
Beispielen, die sich bei Lektüre des Zentralhandelsregisters verviel-
fachen lassen, welche grotesken, Spott und Hohn herausfordernden Fälle
in der Praxis sich ereignen (S. 56 ff.) Neues wird er damit dem Ju-
risten kaum bringen, diese Dinge sind längst offenes Geheimnis. Es
ist aber gut, wenn weitere Leserkreise an solchen drastischen Beispielen
ersehen, wohin wir gelangt sind. Die Umwandlungen in Gesellschaften
m. b. H. sind zum Teil aus Gründen der Steuerersparnis erfolgt (S. 73 f.),
ein Grund, der heute freilich nicht mehr zutrifft.
Charakteristisch ist die Richtung der Entwicklung auf kleine
Stammkapitale (bis 50000 M., vgl. S. 81ff.); der Prozentsatz der
Millionengesellschaften ist bis 1913 auf 2,1 Proz. gesunken, charakte-
ristisch, daß das Stammkapital häufig gar nicht der Ausdruck des
wirklichen Kapitalbedarfes ist, dieser vielmehr auf anderem Wege
(Darlehn, Schuldverschreibungen) gedeckt wird, nicht einmal die Nach-
schußpflicht spielt in Deutschland eine große Rolle (S. 102 ff., 119 ff...
Auch hier wird an Beispielen gezeigt, wie ungesunde Verhältnisse be-
stehen, wie wenig die Rechtsform der Ausdruck für die wirkliche
Unternehmung ist. Am leidlichsten schneiden noch die Banken ab,
bei denen das Gesetz Veröffentlichung der Bilanz vorschreibt, erfreulich
ist das Bild auch hier aber nicht (S. 128 ff.) Besonders stark tritt
das Mißverhältnis von Stammkapital und dem notwendigen Anlage-
kapital bei den sogenannten Versuchsgesellschaften auf, zumal
Patentverwertungsgesellschaften, wo das Patent zudem ganz oder vor-
wiegend das Stammkapital darstellt (S. 240 ff.).
Sehr lehrreich sind schließlich die Zusammenstellungen über die
Mitgliederzahlen und den Handel in Anteilen, der trotz $ 15 des Ge-
setzes floriert (S. 148—198). Die letzteren Mißbräuche sind dem Ju-
risten leider nur zu bekannt; das Reichsgericht führt gegen sie einen
Kampf, aber seine Waffen sind nicht so scharf, wie der Zweck des
Gesetzes es gebietet. Und so hat die Findigkeit der Spekulanten und
Kommissionäre Wege gefunden, den § 15 mattzusetzen. Die Zahl
der „one man companies“ betrug 1905 etwas über 10 Proz. (S. 289),
wird inzwischen aber wohl stark gestiegen sein.
Es ist ein wenig erfreuliches Bild, das das Buch des Verfassers
vorführt. Zwar gleicht es nicht dem wüsten Schwindel der Law-Zeit,
solchen läßt das Gesetz denn doch nicht aufkommen, auch sind wir
heute nicht mehr so naiv wie vor zwei Jahrhunderten. In engeren
Kreisen spielt sich das Treiben ab, die große Masse des Volkes wird
Literatur. 563
davon nicht berührt. Und dies mag der Grund sein, warum es ver-
hältnismäßig still bis vor kurzem mit der Reformfrage gewesen ist.
Aber es tritt die Verderbnis unseres Erwerbslebens darin grell genug
zutage. Will man diese faulen Zustände bessern, so muß die Reform
nicht an Aeußerlichkeiten haften.
In dem Schlußkapitel macht Fränkel eine Anzahl von Reform-
vorschlägen (S. 250 ff.), von denen nur die wichtigsten hervorgehoben
werden sollen. Der Handel in Anteilen muß mit allen Mitteln
verhindert werden, insbesondere ist die Ausstellung aller Anteilscheine
zu verbieten. Die Gesellschaftsform sei nur für eine beschränkte
Zahl von Gesellschaftern zuzulassen (höchstens 30) Sukzessiv-
gründungen, überhaupt jede öffentliche Anwerbung von Ge-
sellschaftern sei zu untersagen, ebenso die Ausgabe von Genuß-
scheinen und Schuldverschreibungen durch die Gesellschaften
m. b. H. Diese Vorschläge lehnen sich an das englische Recht an.
Zum Schutze der Gläubiger sei, wie bei der Genossenschaft mit be-
schränkter Haftpflicht und bei der englischen „reserve liability“, eine
Garantiehaftung jedes Gesellschafters einzuführen in Höhe einer Quote
des Geschäftsanteils (S. 264—271). Entschlösse man sich in Verwertung
der Oechelhäuserschen Ideen hierzu, so sei die vielfach geforderte
Revision der Gründung damit bei Sacheinlagen überflüssig (S. 271—274..
Dagegen tritt Fränkel im Anschluß an Hachenburg für eine
Gründerhaftung ein, von der aber der Exkulpationsbeweis befreien
soll (S. 276). Nicht erwärmen kann sich Verfasser für das von Dal-
berg und v. Pitreich angeregte Verbot der Anrechnung ideeller Werte
und für den aktienreichlichen Ausbau der inneren Verfassung. Nur soll
jeder Gesellschafter mindestens eine Stimme erhalten und seien die
Minderheitsrechte in Einzelheiten zu verstärken. Die Vorschriften des
österreichischen Rechtes über das Anteilbuch seien einzuführen, die
über die Mitgliederliste zu vervollständigen (S. 285). Die „one man
companies“ seien zu verbieten. Eine Gesellschaft, die länger als 3
Monate mit einem Gesellschafter wirtschafte, sei zu schließen, und der
Gesellschafter habe dann unbeschränkt zu haften.
Ob der wichtigste dieser Vorschläge, der eine Garantiehaftung
jedes Gesellschafters in gewisser Höhe verlangt, Aussicht auf Verwirk-
lichung hat, ist freilich sehr zu fragen. Daß er bei der Erwerbs- und
Wirtschaftsgenossenschaft über Erwarten Erfolg hatte, erklärt sich
daraus, daß er hier eine Abschwächung gegenüber dem älteren Typus
der Gesellschaft mit unbeschränkter Haftpflicht darstellte. Bei der
G. m. b. H. wäre über ihn zu reden, wenn es sich um völlige Neu-
einführung dieser Gesellschaftsform handelte (vgl. Wieland a. a. O.).
Jetzt, wo sich die G. m b. H. so breit gemacht und eingebürgert hat,
wird kaum Neigung bestehen, von den Grundlinien des alten Gesetzes
abzuweichen. Meines Erachtens wird vielmehr die Hauptaufgabe sein
müssen, dieSacheinlagenfrage gründlich zu regeln !). EineHaftung
1) Das verkennt selbst das sonst ablehnende, übrigens sehr an der Oberfläche
haftende, Gutachten von Crüger nicht.
36*
564 Literatur.
des Gründers für den Wert der Sacheinlage wird nicht ab-
zulehnen sein, wohei meines Erachtens die Schuldfrage gleichgültig sein
muß, denn es handelt sich um die Idee der Garantie. Behufs Beweis-
sicherung wird sich dann vielleicht auch ohne gesetzliche Vorschrift
eine Art Gründungsrevision in der Praxis einführen. Eine Haftung der
Gesellschafter für Erhaltung des Stammkapitals, wie sieOechel-
häuser wünschte, wird leider heute kaum Aussicht auf Annahme
haben, die Dinge haben sich nun einmal in einer Richtung entwickelt,
daß wir mit den bestehenden Verhältnissen rechnen müssen, und der
widerechtlichen Auszahlung des Stammkapitals begegnen ja heute schon
Vorschriften. Zu erwägen wäre dagegen, ob die Haftung für den Wert
der Sacheinlagen nicht allen Gründern als Gesamthaftung aufzuerlegen
wäre. Zu erwägen weiter, ob nicht die Mindeststammeinlage jedes Ge-
sellschafters auf 5000 M. zu erhöhen, und auch von den Gesellschaftern,
die Sacheinlagen machen, eine bestimmte Mindestsumme als Bar-
einlage zu fordern wäre!), Die Einmännergesellschaft wäre mit allen
Mitteln zu unterdrücken. Gänzlich verhüten werden auch solche Vor-
schriften den Schwindel nicht, aber sie werden wenigstens die schlimmsten
Auswüchse treffen, eine Menge zweifelhafter Existenzen von der Grün-
dung der G. m. b H. abhalten, vielleicht auch eine Zurückstauung der
Entwicklung zu den alten soliden Formen bewirken. Jedenfalls muB
der Versuch gemacht werden, tiefgreifenden Wandel zu schaffen; die
an sich sehr lobenswerten kleinen Mittel, mit denen die Reformvor-
schläge vieler Juristen operieren, genügen nicht, sie haben nur ganz
sekundäre Bedeutung. Und eine gänzlich ablehnende Haltung, wie sie
H. Crüger und die Vertreter des Handelsstandes einnehmen, heißt
eine Vogel Strauß-Politik betreiben.
1) Hierfür mit Recht Pitreich im Gutachten zum 32, Juristentag.
Uebersicht über die neuesten‘ Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 565
Uebersicht über die neuesten Publikationen
Deutschlands und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Siegfried, Dr. Bernh., Repetitorium der schweizerischen Volkswirtschaft.
Zürich, Orell Füßli, 1916. 8. 92 SS. M. 3.—.
Spann, Prof. Dr. Othmar, Die Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre auf
dogmengeschichtlicher Grundlage. (Wissenschaft und Bildung. 2. verm. Aufl. Einzel-
darstellungen aus allen Gebieten des Wissens, Bd. 95.) Leipzig, Quelle u. Meyer, 1916.
8 156 SS. M. 1.—.
Wiese, Leop. v., Staatssozialismus. (Sammlung von Schriften zur Zeitgeschichte,
Bd. 17.) Berlin, S. Fischer, 1916. kl. 8. 120 SS. M. 1.—.
Gide, Charles, Les sciences &conomiques. Paris, Larousse, 1915. 8. 19 pag.
avec portrait. 50 cent. (La Science française.)
Blom, D. van, De economie als juristenvak. Rede, uitgesproken bij de ann-
vaarding van het hoogleeraarsambt aan de rijksuniversiteit te Leiden, den 19en Januari
1916. Delft, Technische boekhandel en drukkerij J. Waltman Jr. gr. 8. 27 blz.
fl. 0,50.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Slokar, Johann, Geschichte der österreichischen Industrie und
ihrer Förderung unter Kaiser Franz I. Wien 1914.
Antwort auf die Kritik des Dr. Gustav Aubin.
(Diese Jahrbücher, III. Folge Bd. 49, S. 553 ff.)
Gustav Aubin hat vor längerer Zeit!) in diesen „Jahrbüchern“
mein Buch über die Geschichte der österreichischen Industrie und ihrer
Förderung unter Kaiser Franz I. einer kurzen Besprechung unterzogen
und dabei in sachlicher Weise mit großer Offenheit auf jene Seiten
des Buches hingewiesen, welche er als Mängel auffassen zu müssen
glaubte.
Jede vorurteilsfreie Besprechung eines Werkes trägt zweifellos
dazu bei, dem Verfasser und anderen Forschern bei künftigen Arbeiten
auf ähnlichen Gebieten mehr oder weniger wertvolle Fingerzeige zu
geben. In diesem Sinne will ich den größten Teil der Aubinschen
Ausführungen für künftige Arbeiten auf dem Gebiete der Geschichte
der österreichischen Industrie in der francisceischen Periode ohne wei-
teres gelten lassen, während ich sie in ihrer Anwendung auf mein
Buch als unzutreffend bezeichnen muß.
1) Da Herr Dr. Aubin zurzeit im Felde steht, ihm aber Gelegenheit gegeben
werden mußte, zu den Ausführungen des Herrn Dr. Slokar Stellung zu nehmen, konnte
der Abdruck der Entgegnung leider erst jetzt erfolgen. (Der Herausgeber.)
566 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Im letzten Abschnitt seiner Besprechung gibt Aubin nach Anerken-
nung der „Fülle des wertvollen Stoffes“ die Vollständigkeit und un-
bedingte Zuverlässigkeit des Werkes zu und schließt mit folgendem
Urteil: „Der Verfasser hat damit zweifellos ein Nachschlagewerk von
großem Werte geschaffen, auf das jeder, der sich künftig mit der öster-
reichischen Industriegeschichte beschäftigen will, mit Nutzen zurück-
greifen wird. Und solche Forscher werden sich hoffentlich bald finden.
Denn die Geschichte der österreichischen Industrie muß selbst für die
francisceische Periode erst noch geschrieben werden. Slokar hat nur
ihre Abfassung durch seine Materialsammlung dankenswert erleichtert.“
Dieser Anschauung des Rezensenten brauche ich mich nicht erst
anzuschließen, da ich derselben mit voller Klarheit schon im Vorwort
zu meinem Buche Ausdruck verliehen habe. „Ich kann mir unmöglich
schmeicheln“, heißt es daselbst, „die Arbeit als eine abgeschlossene zu
betrachten ; sie schließt weiteres Forschen auf diesem Gebiete nicht nur
nicht aus, sondern sollte es vielmehr nur noch anregen. Diese Zusammen-
stellung eröffnet dem Fachmann einen Einblick in die Fülle von Fragen
auf den einzelnen Gebieten des Gewerbewesens und der Gewerbepolitik,
die einer eingehenden, erschöpfenden monographischen Darstellung
dringend bedürfen. Denn nur auf diesem Wege wird es einmal möglich
sein, zu einer befriedigenden Geschichte der österreichischen Industrie
zu gelangen. Darin lag ja die Hauptschwierigkeit dieser Arbeit, daß
die meisten Fragen auf Grund archivalischer Originalquellen behandelt
werden mußten, deren erschöpfende Erforschung die Arbeitskraft eines
Menschen auf viele Jahre hinaus in Anspruch nehmen würde.“ „Nicht
immer steht der Erfolg“, heißt es an einer zweiten Stelle im Vorwort,
„mit der aufgewendeten Arbeit in Einklang. Dennoch wäre es sehr
zu wünschen, daß die unermeßlichen Schätze, die noch in den Archiven
schlummern, in größerem Maßstabe als bisher durchforscht und der
wissenschaftlichen Verwertung zugeführt würden. Wenn die vorliegende
Arbeit hinsichtlich der auf die Geschichte der Industrie Bezug habenden
archivalischen Quellen dies beschleunigen sollte, so wird sie damit ihren
Hauptzweck erfüllt haben.“
Nach diesen meinen Ausführungen kann ich die Meinung des Kri-
tikers, mein Werk sei nur eine wertvolle Materialsammlung für eine
künftige Geschichte der österreichischen Industrie, nicht als Vorwurf
auffassen, da sie sich meiner von vornherein betonten Ansicht über
den Hauptzweck meines Buches vollkommen anschließt, nämlich den
Zweck, weitere Forschungen auf diesem Gebiete anzuregen und zu be-
schleunigen, um zu einer eingehenden, erschöpfenden Darstellung der
wichtigsten Fragen zu gelangen und so künftighin eine befriedigende
Geschichte der österreichischen Industrie zu ermöglichen.
Von diesem Standpunkt aus anerkennt auch Aubin den Wert des
Buches vollkommen, was ich aus dem letzten Absatze seiner Be-
sprechung unzweideutig entnehmen zu können glaube.
Da es niemals möglich ist, den Inhalt eines Buches im Titel in
vollkommen befriedigender Weise zum Ausdruck zu bringen, habe ich,
um jedem diesbezüglichen Mißverständnis von vornherein zu begegnen,
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 567
durch die oberwähnten Ausführungen in meinem Vorwort auseinander-
zusetzen versucht, was ich bieten wollte und welchem Zwecke mein
Buch dienen sollte. Wollte ich die umfangreichen archivalischen Ma-
terialien über die Geschichte der österreichischen Industrie in der
francisceischen Zeit der wissenschaftlichen Verwertung allgemein zu-
gänglich machen, so konnte ich mich als Historiker nicht damit be-
gnügen, auf Grund der eingesehenen Akten ein selbständiges Urteil
wiederzugeben, wobei künftige Forscher auf demselben oder einem
verwandten Gebiete dieses Urteil bedingungslos anerkennen oder aber
auf Grund der benützten Materialien erst nachprüfen müßten. Nach
meiner Ansicht muß sich eine Arbeit, die auf Originaldokumenten basiert,
unmittelbar an die Quellen anschließen, ja sogar an den Wortlaut der
Quellen möglichst anlehnen, um die nicht jederzeit und überall zur
Hand liegenden archivalischen Akten für alle Zukunft in weitgehendem
Maße zu ersetzen. Mein Buch ist nicht etwa als Lehr- oder Lesebuch
der Industriepolitik jener Zeit gedacht, sondern ist für den Fachmann
geschrieben, der auf verwandten Gebieten arbeitet, und in diesem Falle
wird sich der Forscher aus den gebotenen, sich an die Akten unmittel-
bar anschließenden Erörterungen ein viel klareres Bild über die Ent-
wicklungstendenzen der damaligen industriepolitischen Strömungen
machen können, als wenn er nur meine vielleicht irrigen Anschauungen
vor sich hätte.
Daß mich dieser Standpunkt schon bei der Abfassung des Werkes
geleitet hat, erhellt zur Genüge aus folgendem Satz in meinem Vor-
wort: „Die Verhandlungen im ersten Buche sind auch dort, wo dies
nicht durch Anführungszeichen gekennzeichnet ist, fast wörtlich wieder-
gegeben, so daß sie ein getreues Bild der damaligen Beratungen und
Erörterungen darstellen.“
So viel wollte ich von vornherein bieten und absichtlich in der
von mir gewählten Form. Dem Rezensenten scheint aber mein Vor-
wort gänzlich entgangen zu sein, welches davor warnen sollte, mehr
im Buche zu suchen, als darin enthalten ist, denn sonst wäre er von
vornherein auf einen „Exzerptenbandwurm“ mit einer vom Aktenstil
sichtlich beeinflußten Schreibweise vorbereitet gewesen und hätte alles
eher denn einen spannenden Roman darin vermutet.
Wenn überhaupt jemand das Grundprinzip der Teilung der Arbeit
geläufig sein sollte, müßte man dies von einem Volkswirt in erster
Linie erwarten. Einem Hause kann nicht zugleich mit der Grundstein-
legung das Dach aufgesetzt werden. Ich wollte daher durch mein
Buch eine Plattform liefern, welche als Grundlage zu weiteren Arbeiten
auf diesem Gebiete dienen sollte und habe diese Absicht im Vorwort
ausdrücklich hervorgehoben.
Auch bezüglich des zweiten Buches, welches die einzelnen Industrie-
zweige behandelt, schwebte mir derselbe Gedanke vor Augen. „Viele
Kapitel des zweiten Buches sind einstweilen nur als ein erster Versuch
anzusehen, der noch einer weitgehenden Vervollständigung und Ver-
tiefung bedarf“, so heißt es im Vorwort und etwas später: „Vielleicht
gibt die vorliegende Arbeit die Anregung zur Entstehung weiterer, die
568 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslander.
Geschichte eines Industriezweiges oder der industriellen Verhältnisse
einzelner Teilgebiete unseres Vaterlandes behandelnden Darstellungen,
wie sie bisher von D’Elvert, Hallwich, Grunzel, Migerka, Deutsch, Cron-
bach, Salz u. a. vorliegen. Dann erst wird die Zeit gekommen sein,
um die Geschichte der österreichischen Industrie am Ende des 18. und
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf besserer Grundlage zu
schreiben.“
Nach diesen meinen Erklärungen wirkt es geradezu befremdend,
daß der Rezensent, der die Vollständigkeit und unbedingte Zuverlässig-
keit des Gebotenen anerkennt, tadelnden Tones hervorhebt, es sei im
Buche so manches Wichtige nicht entbalten. So vermißt der Kritiker
eine kraftvolle Betonung der großen Linien der Entwicklung, einen
Versuch, „die hohen und niederen Beamten, deren Namen schemenhaft an
uns vorübergleiten, zu Menschen von Fleisch und Blut zu gestalten uud ihre
oft bedeutende Persönlichkeit in ihrer Wirkung auf die Entwicklung
der ihnen anvertrauten Geschäfte nahezubringen“, „einen Blick über
die österreichische Grenze, der aus der vergleichenden Heranziehung des
in anderen Ländern Erreichten den Ausgangspunkt für eine kritische
Würdigung des im Inlande weniger durch die Politik der Regierung
als durch private Initiative Geschaffenen gewinnen ließe“. Im zweiten
Buche fehlt ihm „jede Durchdringung des Stoffes unter sozialökonomi-
schen Gesichtspunkten“, „die Herausarbeitung der Momente, die uns
dieses Werden, Sein und Vergehen erst verständlich machen sollen“,
und vieles andere.
Mein Buch enthält dies alles nicht, dies kann nicht bestritten
werden. Es enthält dies nicht, weil ich nicht alles auf einmal bieten
wollte noch konnte und mich darauf beschränkt habe, eine sichere und
zuverlässige Grundlage für alle weiteren Forschungen auf diesem Ge-
biete zu schaffen. Jede weitere Arbeit ist dadurch wesentlich erleichtert
worden. Weitere Forscher auf diesem Gebiete werden sich, wie Herr
Aubin selbst hervorhebt, hoffentlich bald finden, und auch ich werde,
sobald mir genügende Zeit und Muße dazu zur Verfügung stehen wird,
mein Werk ganz im Sinne der selbstverständlichen Wünsche Aubins
fortsetzen.
Herr Aubin hat mit seinen Ausführungen nicht unrecht; dennoch
glaube ich nach dieser meiner Entgegnung behaupten zu können,
er hätte bei Beachtung meines Vorwortes den größten Teil der
Kritik nicht geschrieben. Ein Landwirt, der ein wüstes Gebiet mit
großer Mühe urbar macht, verdient die ihm gebührende Anerkennung,
auch wenn er nicht selbst sät und erntet, sondern letzteres anderen
überläßt.
Wien, im Oktober 1915. Dr. Johann Slokar.
Erwiderung
auf die vorstehende Antwort des Dr. Slokar.
Als Batterieführer an der Westfront verfüge ich leider nicht über
die Zeit, um auf die obige Antwort auf meine Kritik des näheren ein-
zugehen. Nur den Vorwurf, das Vorwort des rezensierten Buches nicht
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 569
gelesen zu haben, möchteich kurzzurückweisen. Das Vorwort eines Buches
liest selbst der flüchtigste Rezensent. Und daß meine Besprechung nur
auf einem flüchtigen Studium seines Buches beruhte, wird auch Herr
Dr. Slokar nicht behaupten. Wenn ich trotz der Kenntnis des Vor-
. wortes meine Kritik so und nicht anders schrieb, so spielen dabei Fragen
der Anschauung über Ziel und Methode der Wirtschaftsgeschichte herein,
die mir hoffentlich in einer späteren Zeit ausführlicher darzulegen ver-
gönnt ist. Gustav Aubin.
Bosse, Dr. Ewald, Norwegens Volkswirtschaft vom Ausgang der Hansaperiode
bis zur Gegenwart, mit besonderer Berücksichtigung der internationalen Handels-
beziehungen. 2 Tle. (Probleme der Weltwirtschaft. Schriften des Kgl. Instituts für
Seeverkehr und Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Kaiser Wilhelm-Stiftung. Hrsg.
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1916. 8. VIII—416 SS. mit 40 Taf. u. 6 farb. Karten. M. 8,50.
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3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung
und Kolonisation.
Bloeck, Dr. Rich., Dewtsch-völkische Erbpacht-Siedlung. Berlin, Deutsche
Kanzlei, 1916. kl. 8. 39 SS. M. 0,50.
Meyer, Alfred, (Ob.-Reg.-R.), Organisations- und Pflichtfragen zur Ansiedlung
der Kriegsinvaliden und zur Schaffung von „Kriegerheimstätten“. Berlin, Carl Heymams
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Dr. G. Fingerling. Berlin, Paul Parey, 1916. 8. XII—639 SS. mit 1 Bildnis. M. 14,50.
Lemberg, Heinr., Jahrbuch der Steinkohlenzechen und Braunkohlengruben
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édité par la Société centrale pour la protection de la pêche fluviale, A loccasion du
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selben und die weitere Entwickelungstendenz. Göttingen, Ernst Kelterborn, 1916. gr. 8.
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Beutler, Dr. ing., Die geplante staatliche Elektrizitätsversorgung im Königreich
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Buomberger, Dr. Ferd., Gewerbliche Frauenarbeit in der Schweiz. Ergeb-
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Eisenbahn-Technik, Die, der Gegenwart. Unter Mitwirkung von Abt, hrsg.
von (Geh.-Reg.-R.) Prof. a. D. Dr. ing. Barkhausen, (Wirkl. Geh. Ober-Baur.) Dr. ing.
Blum, (Oberbaur.) Courtin, (Geh.-Rat) v. Weiss. 1. Bd. 2. Abschn. 1. Eisenbahn-
Maschinenwesen, Das, der Gegenwart. 2. Abschn. Die Eisenbahn-Werkstätten. 2. um-
gearb. Aufl. Bearb. von Meyeringh, Richter, Troske, Wagner, v. Weiss. Mit 303 Abb.
im Text und 6 lith. Taf. Wiesbaden, C. W. Kreidel, 1916. Lex.-8. X u. S. 1107
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Fischer, Dr. Rud., Die Elektrizitätsversorgung, ihre volkswirtschaftliche Be-
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Cressy, Edward, An outline of industrial history, with special reference to
problems of the present day. London, Macmillan. Cr. 8. 378 pp. 3/.6.
6. Handel und Verkehr.
Bestrebungen, Die, für eine wirtschaftliche Annäherung Deutschlands und
Oesterreich-Ungarns. Protokoll der Verhandlungen, die am 9. I. 1916 zwischen der
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 571
sozialdemokratischen Fraktion des Deutschen Reichstags, dem sozialdemokratischen Partei-
vorstand und Parteiausschuß, der Generalkommission und den Vorständen der deutschen
Gewerkschaften, einer Vertretung des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine und
einer Vertretung der sozialdemokratischen Partei Oesterreichs und der österreichischen
Gewerkschaften in Berlin über die wirtschaftliche Annäherung Deutschlands und
Oesterreich-Ungarns stattfanden. Hrsg. vom Vorstand der sozialdemokratischen Par-
tei Deutschlands. Berlin, Buchhdlg. Vorwärts Paul Singer, 1916. gr. 8. 64 SS.
M. 1.—.
Bleyer (1. Bürgermstr.), Josef, Großschiffahrtsweg Donau—Main—Rhein.
Referat, erstattet in der Versammlung der Donau-, Main- und Rhein-Interessenten zu
Nürnberg am 13. II. 1916. Regensburg, Josef Habbel, 1916. 8. 29 SS. M. 0,60.
Bürklin, Wilh., Handbuch des belgischen Wirtschaftslebens mit Einschluß von
Belgisch-Kongo und einer Uebersetzung der wichtigsten Handelsgesetze des Landes.
2 Tle. u. Anh. in 1 Bd. geb. Teil 1: Text. Teil 2: Statistik. Anh.: Bibliographie.
Schlagwortregister und (farbige) Uebersichtskarte von Belgien. Göttingen, Otto Hapke,
1916. 8. XIV, 430 u. 279 SS. mit 5 Tab. M. 14,60.
Diehl, Prof. Dr. Karl, Deutschland als geschlossener Handelsstaat im Welt-
kriege. Rede zur Feier des Geburtstages S. M. des Kaisers am 27. I. 1916 in der
Aula der Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg i. B. Stuttgart, Deutsche Verlags-
Anstalt, 1916. gr. 8. 38 SS. M. 0,50.
Gothein (M. d. R.). Georg, Die wirtschaftlichen Aussichten nach dem Kriege.
(Handelspolitische Flugschriften, hrsg. vom Handelsvertragsverein, Verband zur Förde-
rung des deutschen Außenhandels. Heft 10.) Berlin, Liebheit u. Thiesen, 1915. gr. 8.
19 SS. M. 0,50.
Harms (Dir.), Prof. Dr. Bernhard, Deutschlands Anteil an Welthandel und
Weltschiffahrt. (Deutsche Bücher, Bd. 3.) Stuttgart, Union Deutsche Verlagsgesellschaft,
1916. 8. VII—215 SS. M. 2,80.
Hassack (Handelsakad. Dir. Reg.-R.), Dr. Karl, Warenkunde. II. Organische
Waren. 3. erg. Aufl. (Sammig. Göschen No. 223.) Berlin, G. J. Göschen, 1916.
kl. 8. 165 SS. M. 0,90.
Heinemann, Bruno, und J. Neumann, Drs. Die feindlichen Grenzgebiete
in ihrer Bedeutung für das deutsche Wirtschaftsleben. Mit 9 Kartenskizzen u. Schau-
bildern. Berlin, Reichsverlag Hermann Kalkoff, 1916. gr. 8. 80 SS. M. 1,50.
Krieg dem deutschen Handel. Neue Folge. Die englischen Maßnahmen und
Vorschläge zur Verdrängung von Deutschlands und Oesterreichs Handel und Industrie.
Aus dem Englischen übersetzt von (Sprachlehr.) Reinhold Anton. Hrsg. und mit einer
Einführung versehen von (Chefred.) Anton Kirchrath. Leipzig, Otto Gustav Zehrfeld,
1915. kl. 8. VII—100 SS. M. 1.—.
Meyer (Senator), Die Großschiffahrtsstraße von der Nordsee (Bremen) durch
Thüringen nach Bamberg und Nürnberg mit dem Anschluß an die Schiffahrt des Rhein-
Weser-Kanals und des Mains in Verbindung mit Gewinnung bedeutender Wasserkräfte
im Weser- und Maingebiete durch Anlage von Talsperren. Hauptanteiliges Projekt der
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mit 1 farb. Taf. u. 1 farb. Karte. M. 3.—.
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nach den Daten des Jahres 1912. Berlin, Verlag für Fachliteratur, 1916. 33 X 25,5 cm.
3 SS. M. 1.—.
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hrsg. vom k. k. Handelsministerium. Wien, Manz, 1915. Lex-8. XXXV—708 SS.
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Zuckermann, S., Der Warenaustausch zwischen Rußland und Deutschland, wie
er tatsächlich vor dem Kriege war und wie er in Zukunft zu sein verspricht. 2. Aufl.
572 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Berlin, Russischer Kurier, 1916. 24 X 31 cm. 16 SS. mit 12 farb. Taf. Mit deutschem
und russischem Text. Gezeichnet und erläutert. M. 5,50.
Depeaux, F., Importation des houilles étrangères en France. Rouen, impr.
Lecerf fils, 1915. 4. 34 pag. et tableaux graphiques.
Hubert, Lucien, L’effort brisé. La situation économique de l’Allemagne à la
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Drachmann, Povl, Industrial development and commercial policies of the
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1915. 8. 129+6 pp. $ 1,50.
Wohman, Leo, The boycott in American trade unions. Baltimore, Johns Hopkins
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Movimento della navigazione del regno d’ Italia nell’ anno 1914. Vol. II. Roma,
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Gothein (M. d. R.), Georg, Die Kriegslasten und ihre Deckung. Berlin, Lieb-
heit u. Thiesen, 1916. gr. 8. 24 SS. M. 0,50.
Hirschfeld (Ger.-Assess.), Dr. Erwin, Leitfaden zum Gesetz über vorbereitende
Maßnahmen zur Besteuerung der Kriegsgewinne, mit Abdruck des Gesetzes und der
Ausführungsbestimmungen. Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1916. 8. 36 SS. M. 0,50.
Passow, Prof. Dr. Rich., Die Bilanz der preußischen Staatseisenbahnen. (Finanz-
wirtschaftliche Zeitfragen. Hrsg. v. Proff. Drs. Reichsr. Georg v. Schauz und Geh.
Reg.-R. Julius Wolf. Heft 21.) Stuttgart, Ferdinand Enke, 1916. Lex.-3. 119 S8.
M. 4,60.
Rhbeinstrom (Rechtsanw.) Dr. Heinr., Kriegssteuergesetze. 1. Gesetz über vor-
bereitende Maßnahmen zur Besteuerung der Kriegsgewinne vom 24. XII. 1915. Mit
Einleitung, Erläuterung unter Berücksichtigung der Ausführungsbestimmungen des
Bundesrats, einem Anhang und einem Sachregister. München, C. H. Becksche Ver-
lagsbuchhdlg. (Oscar Beck), 1916. kl. 8 XXI[—53 SS. M. 1,80.
Strutz (Sen.-Präs. Wirkl. Geh. Oberreg.-R), G., Die Besteuerung der Kriegsgewinne.
(Finanzwirtschaftliche Zeitfragen. Hrsg. v. Reichsr. Prof. Dr. Georg v. Schanz und
Geh. Reg.-R. Prof. Dr. Julius Wolf. Heft 22.) Stuttgart, Ferdinand Enke, 1916. gr. 8.
48 SS. M. 1,80.
Wilm, Werner, Das Kriegsgewinnsteuer-Sperrgesetz. Für den praktischen Ge-
brauch erläutert. Zwickau i. Sa., Hugo Kretzschmar u. Sohn, 1916. 8. 36 SS. M.3.—.
Raedt, F., De wetsontwerpen tot regeling der financien van rijk en gemeenten,
met het nieuwe stelsel van uitkeering aan de gemeenten, toegelicht en beoordeeld.
Amsterdam, J. H. de Bussy. gr. 8. 89 blz. fl. 0,90.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Hoefliger, Walter, Die finanzielle Kriegsbereitschaft der
schweizerischen Eidgenossenschaft unter besonderer Berücksichtigung
der Schweizerischen Nationalbank. Zürich (Füßli) 1914. XI u. 254 SS.
Preis 5 fres. (4 M.).
Die vorliegende Studie ist kurz vor dem Weltkrieg abgeschlossen
worden; der Verfasser hat sie in unverändertem Zustande nunmehr
veröffentlicht und glaubt, daß eine vergleichende Prüfung seiner Vor-
schläge mit den getroffenen Maßnahmen reiche Anregungen geben müßte.
Man wird dem Verfasser hierin zweifellos recht geben müssen und nur
bedauern, daß er von dieser Gelegenheit selbst keinen Gebrauch ge-
macht hat; denn direkt praktischen Nutzen wird man wohl kaum mehr
von H.s Buch haben können, da der von ihm behandelte erste Mobil-
machungsmonat schon bei der Veröffentlichung längst verstrichen war.
Außerdem war der Verfasser, soweit er im voraus beschreiben wollte,
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 573
weitgehend auf Vermutungen angewiesen, an deren Stelle heute die
tatsächlichen Angaben gesetzt werden können.
Diese Kritik richtet sich gegen ungefähr die zwei ersten Drittel
des Buches, die kaum mehr dasselbe Interesse wie vorher in Friedens-
zeiten beanspruchen dürften. Dagegen hat der Verfasser im letzten
Drittel seiner Untersuchung ein währungspolitisches Programm ent-
wickelt, welches nach wie vor ungeteilte Aufmerksamkeit beanspruchen
darf, zumal es das unbestreitbare Verdienst hat, wirklich interessant
zu sein, da hier verschiedene grundlegende währungspolitische Fragen
in den Vordergrund gerückt worden sind.
In interessanter Weise entwickelt hier der Verfasser sein weit-
ausgreifendes Programm, als dessen erste Stufe die Loslösung der
Eidgenossenschaft aus der lateinischen Münzunion erscheint, welche sich
bekanntlich rein finanziell für die Eidgenossenschaft wegen der aus-
bedungenen Entschädigungen recht vorteilhaft gestaltet und manchmal
schon ein gutes Drohmittel Frankreich gegenüber gewesen ist. Diese
Entschädigungen sollen benutzt werden, um die Goldwährung einzu-
führen, und diese soll zu einer Goldkernwährung im Plengeschen Sinne
ausgebaut werden, so daß neueingeführte kleine Banknoten das Gold
aus dem freien Verkehr zur Zentralnotenbank führen. Der Verfasser
ist aber ein bedingungsloser Anhänger der „staatlichen Theorie des
Geldes“ und will den Notenumlauf von den metallistischen Fesseln
möglichst befreien; da die Eidgenossenschaft wegen des sonst drohenden
Abflusses den Nutzen von der Erweiterung des Notenumlaufs nicht
haben würde, erscheint auch aus diesem Grunde die Trennung von der
lateinischen Münzunion geboten, wodurch die beiden Maßnahmen sich
zu einem geschlossenen Ganzen ergänzen. Das Gold in der Zentral-
notenbank soll dann im Sinne der „exodromischen Verwaltung“ von
Knapp behandelt werden, unterstützt von Devisenpolitik. Durch die
Möglichkeit der verminderten Golddeckung kann die Bank dem Bunde
finanziell im Kriegsfalle mehr entgegenkommen; H. empfiehlt schon in
Friedenszeiten eine erweiterte Notenausgabe gegen Lombardunterlage
als eine Möglichkeit der Entmetallisierung der Banknote und hat erst
für den Kriegsfall den Zwangskurs mit Aufhebung der Einlösungspflicht
vorgesehen.
Da anzunehmen ist, daß man nicht nur wie H. aus Kriegs-
finanzerwägungen heraus auf die Knappsche Theorie geführt wird,
sondern wohl auch manche Erfahrungen des Weltkrieges im Sinne
dieser Theorie ausgelegt werden, mag ein kritisches Wort dazu wohl
am Platze sein.
Wir wollen dann mit einer Kritik der Knappschen Theorie — so-
weit sie wie bei H. praktisch gemeint ist — beginnen, einer Kritik,
die nicht schlechter geworden ist dadurch — daß sie 100 Jahre vor
Knapp geschrieben wurde:
„Es ist aus dem Gesagten klar, daß das hier (d. h. bei Fichte)
aufgestellte System, wenn es zur wirklichen Ausführung kommen sollte,
in allen seinen Teilen angenommen oder verworfen werden müßte; und
daß keine Regierung etwa bloß die beschriebene Geldoperation, als ein
574 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
bequemes Mittel, sich zu bereichern, vornehmen, dagegen die Verschließung
des Handelsstaates, die Regulierung des öffentlichen Verkehrs, die Fest-
setzung der Preise, die Garantie des Zustandes aller, als beschwerliche
Geschäfte unterlassen .... dürfe.“ (Fichte, Der geschlossene Handels-
staat.)
Mit anderen Worten, es muß die Gesamtorganisation der sozialen
Wirtschaft betrachtet werden. Wo diese vom Staate reguliert wird,
da reguliert der Staat auch das Geldwesen, aber eben nur in einer
derartig regulierten ökonomischen Periode. Das ist es eben, was all
die praktischen Vorschläge vergessen, die sich auf Knapp berufen, daß
sie nicht das Geldwesen allein betrachten dürfen, sondern die gesamte
soziale Wirtschaft, in der die allein vorherrschende Machtstellung des
Staates als eine vorübergehende Erscheinung unter vielen auftreten kann,
und worin andererseits auch Perioden vorkommen, die orientiertsind an ge-
wissen, für die Allgemeinheit sofort greifbaren, fungiblen Werten (z. B.
Edelmetalle). Das wird immer von dieser ganzen Richtung vergessen, so,
um bei H. selbst ein paar Beispiele anzuführen, wenn H. schon S. 3
unter finanzieller Mobilmachung des Staates nur ein Geldproblem ver-
stehen will, nicht eine gesamte Neuorientierung der gesamten staatlichen
Wirtschaftstätigkeit, die auch wirtschaftlich mehr wie eine in Geld
ausdrückbare Kostenfrage ist. Dieselbe Tendenz, das Geldproblem allein
für sich zu behandeln, kehrt wieder bei der Frage der Auflösung der
lateinischen Münzunion. Wir müssen es den Schweizer Wirtschafts-
politikern überlassen, zu entscheiden, inwiefern durch die lateinische
Münzunion eine Erleichterung des Handelsverkehrs und des Fremden-
verkehrs der Eidgenossenschaft feststellbar ist; uns interessiert hier
bloß das für diese ganze Richtung Charakteristische, daß H. diese Frage
überhaupt nicht einmal erwähnt hat — er sieht nichts als das Wäh-
rungsproblem, das allein für sich gelöst werden soll, ebenso wie es
allein für sich besteht. Er begnügt sich wiederum damit, festzustellen,
daß der „Wert“ in der Volkswirtschaft „nicht metallistisch“ bestimmt
wird — während wir natürlich eine Gesamtanalyse der möglichen Wert-
bestimmungsfaktoren brauchten, einschließlich der scheinbar als „me-
tallistisch“ auftretenden. Das bekommen wir von dieser Richtung nicht,
und so passiert es z. B. dem Verfasser, daß er keine Analyse zu geben
hat, die die — natürlich höchst wechselnden und in Kriegs- und
Friedenszeiten ganz verschiedenartigen — Wertbestimmungsgründe der
Waren erklärt. Weil er das nicht hat, ist die Ware für ihn etwas
schlechthin Wertvolles. Er erklärt daher, in Kriegszeiten dürfte der
Staat keinen Personalkredit bei der Notenbank suchen, sondern es
müßte eine „reale Deckung“ vorhanden sein. Der Ausdruck „reale
Deckung“ klingt merkwürdig bei einem Knappianer, der offenbar nicht
gesehen hat, was in der Volkswirtschaft alles Wert haben kann, Waren
und Nicht-Waren, ebenso wie Wert entstehen und verschwinden kann.
Immerhin scheint aber der „naive Waren-Materialismus“ nicht viel
besser als der „naive Geld-Metallismus“ zu sein.
Ein Anhänger der staatlichen Theorie des Geldes kann nun ver-
schiedene staatlichen Maßnahmen nachweisen: Zwangskurs und Auf-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 575
hebung der Noteneinlösung, ausgedehnter Staatskredit, weitestgehende
Staatskontrolle und staatliche Kapitalbeteiligung, die zu den zweck-
mäßigen oder notwendigen Eigenschaften der Banknote gehören. Ihr
Vorhandensein ist auch bei einem „privaten“ Noteninstitut einfach
selbstverständlich, ohne den „privaten“ Charakter dieses Instituts zu
tangieren, was mit Rücksicht auf die Okkupationsgefahr im Kriegsfall
besonders wertvoll ist. Es bleibt nur die Frage, ob der General einer
eventuellen feindlichen Okkupationsarmee, der vielleicht nicht so über-
zeugter Knappianer ist, ganz derselben Ansicht sein wird wie H., was
zu dem privaten Charakter einer Notenbank gehört und gehören darf.
Aber darüber haben wir ja nicht zu urteilen.
Man braucht nicht einmal „naiver Metallist“ zu sein, um die nur-
staatliche Theorie des Geldes, die nicht gestärkt wird durch den Hin-
weis auf die allumfassende Wirtschaftspolitik des Staates im Weltkriege,
die sich selbstverständlich auch auf das Geldwesen erstreckt hat, nach
wie vor dem Weltkriege mit einer gewissen Skepsis zu betrachten, in
der Erkenntnis, daß ein die gesamte soziale Wirtschaft umfassendes
System nicht ersetzt werden kann durch — ein System von Fremd-
wörtern.
Es ist ja umstritten, inwiefern Knapp selbst dafür zu reklamieren
ist, daß aus seinem System praktische Schlußfolgerungen gezogen werden,
ob Knapp überhaupt „Knappianer“ ist. Aber die Anerkennung wird
man den Knappianern nicht vorenthalten dürfen: sie sind meistens
interessant. Das gilt nun zweifellos auch für die diesbezüglichen Teile
des H.schen Buches, deren Lektüre durchaus empfehlenswert ist. Eine
weitergehende Anerkennung als die, interessant zu sein, müssen wir
bedauern, nicht geben zu können.
Gothenburg. Sven Helander.
Hulftegger, Otto, Die Bank von England mit besonderer Be-
rücksichtigung der Reservefrage und der Entwertung der englischen
Rente. Zürich (Füßli) 1915. 423 SS. 10 fres. (8 M.), gebd. 12 fres.
(10 M.).
Ein neues Buch über die Bank von England hat zunächst seine
Existenzberechtigung nachzuweisen, daß es entweder etwas prinzipiell
Neues bringt oder etwas auf prinzipiell neue Art beschreiben kann.
Der Verf. hat nicht nur dieses unterlassen, sondern außerdem auch
nicht verstanden, daß man sogar rein formell sehr hohe Ansprüche an
neue Darstellungen über die Bank von England stellen muß — so
zahlreich sind schon die wissenschaftlich belangreichen Darstellungen
des Themas. Wer also den Report des Bullion Committee, der die
theoretische Grundlage für die ganze spätere Entwicklung gibt, über-
haupt nicht in die Hände bekommen hat und wer die — wenigstens
teilweise — höchst interessanten Schriften von Lord ÖOverstone nur
aus zweiter Quelle kennt, der sollte lieber die Finger davon lassen,
er hat hier nicht mitzureden. Der Verf. hat weder nachgewiesen, daß
es notwendig war, die Welt mit einer neuen Beschreibung der Peelschen
576 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Bankacte zu beglücken, noch hat er bewiesen, daß er zu dieser Be-
schreibung — falls sio notwendig gewesen wäre — berufen wäre.
Die ganzen Ausführungen Hulfteggers hierüber gehören zu einer
Kategorie von Untersuchungen, von der es gilt, daß jedes neue Wort
ein Wort zu viel ist, und die erbarmungslos niederzumähen Pflicht
jedes Bücherrezensenten ist.
Glücklicherweise bringt aber das Buch Hulfteggers noch etwas
anderes, indem die neueren Reformvorschläge besonders ausführlich
behandelt werden — was allerdings möglich gewesen wäre ohne lange
Beschreibungen über die Peelsche Bankacte etc., deren Kenntnis der
Verf. bei einem nationalökonomisch gebildeten Publikum — und ein
anderes kommt ja bei dem Buch nicht in Betracht — einfach als be-
kannt voraussetzen darf. Wenn aber der Verf. diese neuen Reform-
vorschläge ausführlicher als bisher in der deutschen Literatur behandelt,
was also die Existenzberechtigung dieses Teiles seines Buches nach-
weisen würde, muß man bedauern, daß der Verf. sich hier mit einer
einfachen Aufzählung der verschiedenen Vorschläge begnügt hat. Die
nahe Verwandtschaft einzelner Vorschläge würde wohl zu einer Syste-
matisierung besonders einladen. Man würde übrigens durch eine solche
Systematisierung manche interessanten Beobachtungen machen können,
vor allem vielleicht über die allmähliche Verschiebung der Prinzipien-
frage selbst. Die bekannten Vorschläge von Lord Goschen, wodurch
eine zweite Reserve gebildet werden sollte, gehörten wirklich noch zur
„Reservefrage“. Aber aus dem ursprünglichen bloßen Währungsproblem
ist jetzt ein gleichzeitiges Währungs- und Kreditproblem geworden —
denn wenn heute Sir Felix Schuster an die Frage, die man immer noch
die Reservefrage nennt, herantritt, ist es mit einem ausführlichen System
von consultative committee usw., was alles ebenso stark auf Kredit-
wie auf Währungsreform hinausläuft — eine Verknüpfung, die ja be-
kanntlich auch in Deutschland nachzuweisen ist.
Wenn Hulftegger zu diesen systematischen Fragen auch etwas
beigetragen hätte, es nicht mit der bloßen Materialangabe hätte be-
wenden lassen, wäre dieser Teil der Arbeit vielleicht recht wertvoll
geworden. Jetzt hat dieser Teil der Arbeit nur den Wert, eine Zu-
sammenstellung des Materials zu bringen. In den übrigen Teilen der
Arbeit wird sich, wie oben erwähnt, irgendein selbständiger wissen-
schaftlicher Wert schwerlich nachweisen lassen.
Gothenburg. Sven Helander.
Herzfelder, Emil, Haftpflichtversicherung. (Versiche-
rungs-Bibliothek, Bd. 4.) Berlin (E. S. Mittler & Sohn) 1914. 173 SS.
Preis 4 M.
In drei Teile gliedert der Verfasser den Stoff. Der erste Teil
bringt in 5 Paragraphen einige Vorbemerkungen. Der zweite Teil
führt die Ueberschrift „Der Haftpflichtversicherungsvertrag bis zum
Versicherungsfall“, und der dritte Teil ist der „Technik der Haftpflicht-
versicherung“ gewidmet.
Der erste Teil beginnt mit einem kurzen geschichtlichen Abriß der
Haftpflichtversicherung. Die Haftpflichtversicherung im jetzigen Sinne
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 577
ist erst jungen Ursprungs. Die mit der Ausbreitung der Maschine
wachsende Gefährlichkeit der Fabrikation und des Verkehrs gab den
Anstoß zur modernen Haftpflichtversicherung. Das Reichshaftpflicht-
gesetz vom 7. Juni 1871 brachte für Bahnbetriebe die reine Betriebs-
haftung ohne Rücksicht auf Verschulden, für Bergwerke, Steinbrüche,
Gräbereien und Fabriken die Haftung für Verschulden der Bevoll-
wmächtigten oder Repräsentanten oder einer zur Leitung der Beauf-
sichtigung des Betriebes oder der Arbeiter angenommenen Person. Nach
§ 4 des Gesetzes ist die dem Ersatzberechtigten aus der Versicherung
bei einer Versicherungsanstalt zukommende Leistung auf die Ent-
schädigung anzurechnen, wenn die Mitleistung des Betriebsunter-
nehmers nicht unter einem Drittel der Gesamtleistung beträgt. Noch
im Jahre 1871 nahmen drei Gesellschaften die Haftpflichtversicherung
auf dem Gegenseitigkeitswege auf. Die Entwicklung war jedoch in den
ersten Jahren nicht günstig. Es herrschte bei Versicherten und Ver-
sicherer noch keine Klarheit über das Wesen der Haftpflichtversicherung
und Unfallversicherung. Beide wurden häufig verwechselt. Verschärft
wurde die Lage durch die heraufziehende staatliche. Arbeiterunfallver-
sicherung. Doch infolge des Vorgehens des 1875 von Molt begründeten
Allgemeinen Deutschen Versicherungs-Vereins Stuttgart erhob sich die
Haftpflichtversicherüng wieder zu neuem Leben. Die Unternehmer sahen
ein, daß die staatliche Unfallversicherung allein nicht ausreiche Es
begann eine neue Entwicklung der Haftpflichtversicherung. Im Jahre
1900 schlossen sich die einzelnen Gesellschaften zu einem Verband zu-
sammen, der zunächst zur Wahrung der gemeinsamen Interessen dienen
sollte, dann aber über gemeinsame Bedingungen und Minimalprämien
Vereinbarungen traf. Infolge innerer Reibungen zerfiel jedoch die Ver-
einigung 1912. Mit der Auflösung des Verbandes ist die Haftpflicht-
versicherung innerhalb kaum 40 Jahren bereits in die 4. Epoche ein-
getreten. Der Verfasser erörtert sodann die Zukunft. Er ist der An-
sicht, daß die Entwicklung zur Verbandslosigkeit nicht im Sinne der
Versicherungsnehmer liegt. In kurzen Zügen werden sodann wirtschaft-
liche Bedeutung und Unternehmungsformen geschildert. Der erste Teil
wird abgeschlossen mit einer Darstellung der staatlichen Beaufsichtigung
und einer Erörterung über die Haftpflichtarten.
Der zweite Teil der Arbeit ist dem Umfang des Versicherungs-
schutzes gewidmet. Der Außendienst in der Haftpflichtversicherung
erfordert ein vorheriges gründliches Studium, der Umfang der Deckung
ist nur schwer zu übersehen. Das erste Kapitel handelt daher von
der Geltung des Versicherungsschutzes und beleuchtet die örtliche,
sachliche und zeitliche Geltung. Das zweite Kapitel bespricht die Form
des Antrages, den Versicherungsschein, Fälligkeit und Zahlung der
Prämie, sowie die Versicherungssumme.
Der dritte Teil, die Technik der Haftpflichtversicherung, bietet in dem
ersten Kapitel eine kurze, aber recht interessante Darstellung des inneren
und äußeren Betriebes einer Haftpflichtversicherungsunternehmung. Das
zweite Kapitel stellt die einzelnen Haftpflichtgefahren und die Art,
wie sich die Versicherung ihrer annimmt, fest. Hierbei sind voraus-
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 37
578 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
gestellt die Haftpflichtgefahren, die allgemeiner Natur sind, da sie in
den meisten Versicherungen an sich enthalten sind und wiederkehren,
während dann die speziellen Haftpflichtgefahren der einzelnen Betriebe
und Berufe und deren Deckung dargestellt werden. In dem dritten
Kapitel werden die Fragen des Schadensersatzes, sowie die Art der
Regulierung geschildert. Weiterhin geht der Verfasser auf die Ab-
tretung, Verjährung und Verwirkung der Ansprüche aus dem Ver-
sicherungsvertrag ein. Das letzte Kapitel behandelt dann die Frage
der Rückdeckung der Gesellschaft, die Versicherung für fremde Rech-
nung sowie die Rechnungslegung. Ein kurzer Hinweis auf die Be-
handlung der Haftpflichtversicherung-Unternehmen in der Steuergesetz-
gebung und eine Statistik bilden den Schluß des Kapitels und der
Arbeit. In einem Anhang sind beigefügt Literatur und Sachverzeichnis.
Die Arbeit des Verfassers soll das Wissen dessen, der die Haft-
pflichtversicherung technisch studieren will, in ein System bringen.
Der Verfasser hat es verstanden, das System durch Beispiele aus der
Praxis zu beleben. Die Darstellung ist durchaus klar und verständlich
und gibt einen guten Ueberblick über das Wesen der Haftpflicht-
versicherung.
Halle a. S. Walter Hoffmann.
Borght (Präs. a. D.), R. van der, Der städtische Realkredit nach dem Kriege.
(Finanzwirtschaftliche Zeitfragen. Hrsg. v. Reichsr. Prof. Dr. Georg v. Schanz u. Geh.
Reg.-R. Prof. Dr. Julius Wolf. Heft 23.) Stuttgart, Ferdinand Enke, 1916. Lex.-8.
68 SS. M. 2,60.
Deumer, Dr. R., Der private Kriegskredit und seine Organisation. (Staats- und
sozialwissenschaftliche Forschungen. Hrsg. von Gust. Schmoller und Max Sering. Heft 186.)
München, Duncker u. Humblot, 1916. gr. 8. XVI—210 SS. M. 5,70.
Helander (Doz.) Dr. Sven, Theorie und Politik der Zentralnotenbanken in
ihrer Entwicklung. 1. Hälfte. Theorie der Zentralisation im Notenbankwesen. Jena,
Gustav Fischer, 1916. gr. 8. IX—149 SS. M. 3,60.
Crédit, Le, maritime mutuel. Son but. Ses avantages. Notions élémentaires
sur les opérations des caisses de crédit maritime. Les coopératives maritimes. Paris,
Impr. nationale, 1915. 16. 64 pag. (Sous-secrétariat d’État et de la marine mar-
chande. Service des pêches maritimes.)
Leigh, Samuel George, Life assurance. A handbook of the practical and
scientific aspects of the business. London, Pitman. Cr. 8. 192 pp. 2/.6.
Kirkaldy, Adam W., Credit, industry and the war. Pref. by William Robert
Scott. London, Pitman. 8. 2/.6.
Barbaglio, Enrico, Gli istituti italiani di credito e la crisi prodotta dalla guerra
europea. Milano, Tip. La Stampa commerciale. 8. 1. 2.—.
Jaarboekje, Eerste, uitgegeven namens de Vereeniging van directeuren van
hypotheekbanken. Amsterdam, J. H. de Bussy. 8. 494 blz. m. 1 portr. en 2 uit-l.
tab. fl. 3.—.
9. Soziale Frage.
Fessmann, Karl, Gelbe Gewerkvereine in Frankreich, „Syn-
dicats jaunes“. Berlin (Bernh. Simion) 1914. 8%. 119 SS. 3 M.
Die „gelbe“ oder „wirtschaftsfriedliche“ Arbeiterbewegung, diese
in nicht wenigen Ländern zu beobachtende Erscheinung neueren Datums,
hat ihren Ursprung in Frankreich. Ihre zahlenmäßige Bedeutung ist
in Deutschland, absolut betrachtet, nicht gering, wenn sie auch im
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 579
Verhältnis zur numerischen Stärke der Gewerkschaften verschiedener
Richtungen sehr zurücktritt. Aber das Tempo ihrer bisherigen Ent-
wicklung erhöht ihre Bedeutung, und vor allem löst die Gegensätz-
lichkeit ihrer Bestrebungen zu denen der Gewerkschaften einen be-
sonderen Anreiz aus, sich näher mit ihnen zu beschäftigen. Denn
während sie einerseits mit diesen am selben Strange — der Wahr-
nehmung und Förderung der Arbeiterinteressen — zu ziehen bestrebt
scheinen, stehen sie doch, indem sie den Kampf, und vor allem den
Klassenkampf, grundsätzlich verwerfen, auf entgegengesetztem Stand-
punkte. Und dabei zeigt sich alsbald wieder ein neuer Widerspruch,
insofern die „Gelben“ den Streik zwar ablehnen, aber in ihren pro-
grammatischen Bekenntnissen doch nicht unbedingt verwerfen, sondern
sich als äußersten Behelf für alle Fälle vorbehalten.
Um diese Widersprüche zu lösen und die jedenfalls problematische
Eigenart der „gelben“ Bewegung verstehen zu lernen, ist es nötig, ihrer
Entstehung nach Ort, Zeit und bedingenden Umständen nachzugehen.
Diesen Weg hat der Verf. eingeschlagen und auf Grund eingehender
Studien, die vor allem den großen Vorzug gepflogener direkter Ver-
bindungen mit den dabei in Betracht kommenden Personenkreisen selbst
haben, ein sehr anschauliches, über alle Einzelfragen reichlichen Auf-
schluß verbreitendes und auch in der Form der Darstellung anziehendes
Bild von der Entstehungsgeschichte der „syndicats jaunes“ geliefert.
Ein reichhaltiges Literaturverzeichnis ist beigegeben.
Aus den Umständen ihrer Begründung und dem geschichtlichen
Verlauf ihrer bisherigen Wirksamkeit erkennt man den Charakter der
Bewegung als solcher wie auch die nationale Sonderart der französischen
gelben Gewerkvereine und kommt dadurch zu einem induktiv be-
gründeten Urteile über die Aussichten einer „wirtschaftsfriedlichen“
Bewegung überhaupt. Auch über den Namen der „Gelben“ bringt der
Verf. ganz neues Licht. Die bisherige Ableitung von dem gelben
Papier, mit dem arbeitswillige, von ihren streikenden Kameraden be-
drohte Bergarbeiter an Stelle der eingeschlagenen Scheiben die Fenster
ihres Zufluchtsortes verklebt hätten, verwirft er. Der Name sei viel-
mehr aus der Farbensymbolik zu erklären. Die Gegner der „roten“
Syndikalisten auf der Arbeitnehmerseite habe man zufolge einem natür-
lichen Streben durch eine unterscheidende Farbe gekennzeichnet, und
dazu Gelb genommen, weil dieses, im Gegensatz zum Orient, in ganz
Europa als Symbol einer schlechten Eigenschaft, und speziell in Frank-
reich als Symbol der Untreue und mithin auch der Feigheit und des
Verrates gelte. In Creuzot entstanden, hat diese Bezeichnung sich über
ganz Frankreich verbreitet und ist von der sozialdemokratischen Presse
dann in Deutschland eingeführt worden, zuerst gegen die christlichen
Gewerkschaften, dann, seit 1906, gegen die neuentstandenen „Werk-
vereine“ und „nationalen Arbeitervereine“, die jetzt im „Hauptausschuß
nationaler Arbeiterverbände“ vereinigt sind. Auch in England heißen
die Anhänger des mit Arbeitgeberhilfe begründeten „nationalen freien
Arbeiterbundes“ Gelbe. Aber in Frankreich hat die Bedeutung des
Ausdrucks gewechselt. Sie bezeichnet jetzt nicht mehr den Anhänger
37%
580 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
eines nichtsozialistischen Syndikates, sondern einen Streikbrecher und
„Fuchs“.
Die Arbeit entrollt zunächst ein kurzes Bild der französischen
Arbeiterbewegung von 1789—1884, wo die Arbeiter das gesetzliche
Koalitionsrecht erlangten, und schildert dann das Wesen und Werden
der gelben Vereine seit diesem Jahre. Es treten dabei drei deutlich
voneinander verschiedene Perioden hervor. In der ersten wird (1899)
dem roten Streiksyndikate in Le Creuzot, bei den Eisenwerken von
Schneider & Comp., wegen seiner terroristischen Uebergriffe ein „Syn-
dikat No. 2“ seitens der gemäßigten, der friedlichen Wahrnehmung
ihrer Interessen geneigten Arbeiter entgegengesetzt. Mit dem Kampfe
zwischen beiden Richtungen und durch ihn wächst dle „gelbe“ Be-
wegung empor. Das Gleiche geschieht bei den Bergwerken von Chagot
in Montceau-les-mines. Unternehmer, wohlmeinende Sozialpolitiker,
sozial gesinnte Geistliche, auch ehrgeizige Politiker wetteifern nun,
nach diesem Typus überall gelbe Gewerkvereine ins Leben zu rufen.
Besonders in den industriereichen Gegenden des nördlichen Frankreich
(Lille, Roubaix, Tourcoing, Valenciennes, St. Quentin), wo seit lange die
Arbeiter in zwei scharf getrennten Lagern, Sozialisten und Katholiken,
sich gegenüberstehen, glückt dies zunächst. Daher der religiöse Grund-
ton dieser Schöpfungen!). Das Recht auf den Streik als äußerstes
Mittel wird jedoch dabei stets betont. Es kommt sogar vor, daß gelbe
Vereine sich gegen die im Jahre 1900 in Kraft getretene gesetzliche
Herabsetzung der Arbeitszeit von 12 auf 11 und weiterhin auf 101),
Stunden heftig wehren. Sehr beachtenswert ist dabei, daß in ihnen
eine Wiedergeburt des französischen Nationalgefühls gegenüber dem
internationalen Radikalismus der „Roten“ sich vollzieht. Diese Erfolge
der neuen Bewegung rufen gleichartige Gründungen in Paris, zuerst
bei den Buchdruckern, hervor. Zentralisationsbestrebungen führen zum
ersten gelben Kongreß unter dem ehrgeizigen Lanoir, zwischen dem
und seinen Mitarbeitern, besonders Bietry, es aber zum Bruch kommt.
In der zweiten Periode (1902—08) ist Bietry Haupt und Führer
der gelben Bewegung, die auch einige Deputiertenmandate erobert.
Der Nationalverband der Gelben wird neu begründet, und eine eifrige
Örganisationstätigkeit setzt ein. Aber der französische Individualismus
verträgt sich schlecht mit dem Zentralisationsgedanken und die in der
französischen Arbeiterschaft wurzelnde Abneigung gegen die Zahlung
von Vereinsbeiträgen wirkt nach gleicher Richtung. Trotz starker
Sympathien für die Betätigung der gelben Vereine — auch Männer
der Wissenschaft nehmen an ihren Kongressen teil — gerät der National-
verband in das politische Fahrwasser der Klerikalen und löst sich
schließlich durch Spaltungen auf ?).
1) Ob nicht etwa Gelb als die päpstliche Farbe der neuen Richtung den Namen
gegeben hat, scheint mir in diesem Zusammenhange eine berechtigte Frage zu sein.
Die konfessionelle Färbung des Verbandes von Tourcoing wird, wie S. 102 mitgeteilt
wird, in einer Schrift von Petitcollot über die Gewerkvereine in der Liller Textil-
industrie durch die Bezeichnung „gelb-katholisch“ hervorgehoben.
2) Ueber Bietrys Programm siehe den Aufsatz von Schellwien im Dezemberheft 1907
dieser Jahrbücher (III. F. Bd. 34 S. 821 fg.). Die Gewinnbeteiligung spielt darin eine
wichtige Rolle.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 581
In der dritten Periode wird vergeblich versucht, die Ueberreste
der gelben Bewegung wieder zu verschmelzen. Es verbleibt eine un-
organische, zersplitterte Vielheit, die der Bewegung die Kraft zu
höherem Aufschwung raubt. Der Verband der unabhängigen Gewerk-
vereine von Südostfrankreich bildet in ihr, zusammen mit der ihm eng
verbündeten „Pariser Arbeitspartei“, die weitaus stärkste Gruppe.
Zum Schluß wird eine kurze Charakteristik dieser Trümmer der
gelben Bewegung in Frankreich gegeben. Als erfolglos haben sich alle
Versuche erwiesen, solche Organisationen von außen her künstlich ins
Leben zu rufen. Günstige Erfolge haben dagegen derartige Vereine
gehabt, die auf der Unterlage gegenseitigen Einvernehmens zwischen
den Arbeitgebern und ihren Arbeitern über die Gemeinsamkeit ihrer
Interessen errichtet und gepflegt worden sind. Wo diese Voraus-
setzungen bestehen und wirken, da scheint die gelbe Bewegung aus-
sichtsreich zu sein, aber dieser Zustand ist nicht allgemein und wird
es auch wohl nie werden. Eine erfolgreiche Uebertragung dieser Be-
strebungen auf die gesamte Arbeiterbewegung hält der Verf. sonach
für ausgeschlossen. Der bisherige Verlauf scheint ihm darin recht zu
geben.
Marburg (Lahn). H. Köppe.
Robbins, Edwin Clyde, Railway Conductors, a study in
organized labor. New York (Columbia University) 1914. 80. 164 SS.
u. 5 Anhänge.
Die fleißige und sorgfältige Studie gibt ein abgerundetes und gut
gegliedertes Bild von einer in verschiedenen Hinsichten besonders inter-
essanten Arbeitnehmerorganisation, dem Verbande der nordamerika-
nischen railway conductors (Zugführer und Schaffner). In drei Ab-
schnitten werden seine Entstehung, Verfassung und Verwaltung, seine
gewerbliche Politik und die Mittel zu ihrer Durchführung und endlich
sein Unterstützungswesen behandelt. Als Angehörige eines der wichtig-
sten „gemeinnützigen“ Gewerbe verdienen die „Eisenbahner“, ihre
Organisationsbestrebungen und ihre Verbandspolitik, schon an sich eine
vorzügliche Beachtung. Daneben treten hier die Eigenheiten im Charak-
ter der amerikanischen Gewerkvereine wie auch diejenigen des amerika-
nischen Eisenbahnwesens in Verbindung mit mancherlei Seiten des ge-
samten amerikanischen Wirtschaftslebens besonders in Erscheinung.
Der drohende Ausbruch eines weitumfassenden Eisenbahneraus-
standes im Sommer 1913 hat die gesetzliche Einsetzung eines nationalen
Vermittlungs- und Einigungsamtes zur Folge gehabt, das sich mit den
Eisenbahnerfragen zu befassen hat. Der Konflikt entsprach dem vor-
geschrittenen Stande der Organisation. Diese ist aber aus sehr be-
scheidenen Anfängen herausgewachsen. Sie begann erst seit 1860,
umfaßt jetzt aber alle Arten von Eisenbahnpersonal, nach Dienstzweigen
zusammengefaßt. Zu den vier bedeutendsten, die weitaus meisten An-
gehörigen ihres Zweiges in den Vereinigten Staaten und Kanada um-
fassenden, gehören die railway conductors mit über 49 000 Mitgliedern
oder 90 v. H. aller Angehörigen dieses Berufs und einer Jahresgesamt-
ausgabe von fast 1/, Mill. $. Mit den Angehörigen jener drei anderen
582 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Verbände (Lokomotivführer, Heizer, Unterbeamten) haben sie gemein-
sam, dab sie wegen der besonderen Art ihres Dienstes und der mit
diesem verbundenen großen Verantwortlichkeit im Falle eines Aus-
standes oder einer Aussperrung fast unersetzbar sind, anderseits daß
sie den Sympathiestreik milbilligen und dem „open shop“ anhängen,
d. h. nicht darauf bestehen, daß nur Mitglieder ihres Verbandes an-
gestellt werden. Alle vier sind bisher noch nicht Gegenstand sozial-
wissenschaftlicher Untersuchung gewesen.
Der order of railways conductors begann als Temperenz- und
Unterstützungsverein auf Gegenseitigkeit. Gegen die Beteiligung an
Arbeitskonflikten war er so sehr, daß bis 1890 streikende Mitglieder
ausgeschlossen wurden und Verbandsangehörige oft als Arbeitswillige
eintraten. Bezeichnenderweise fällt aber sein Hauptaufschwung zu-
sammen mit seiner im Jahre 1890 nach inneren Kämpfen erfolgten
Umwandlung zu einem echten, typischen Gewerkverein unter koopera-
tivem Verhältnis zu den drei anderen großen Verbänden. Seither bildet
er, wie diese, eine von den Eisenbahngesellschaften respektierte Macht,
und ist auch kein Konkurrenzverband neben ihm hochgekommen.
Gleichwohl hat er keinen der Zwecke aufgegeben, für die er gegründet
ward. Das System tarifvertraglicher Regelung des Arbeitsverhältnisses
ist bei ihm so hoch entwickelt, daß die Führer des Nationalverbandes
hauptsächlich nach ihrer Eignung hierfür gewählt werden und fast ihre
ganze Zeit dieser Tätigkeit widmen.
Der Verband ist aus Ortsvereinen zusammengesetzt, die zusammen
den nationalen Zentralverband (grand division) bilden. Seine Ver-
waltungsmaschinerie und ihre Entstehung aus den Bedürfnissen eines
nach Vervollkommnung strebenden organischen Gemeinschaftslebens
heraus werden anschaulich geschildert. Das Schwergewicht ruht in
der Generalversammlung, die, aus je einem Vertreter der Ortsvereine
nebst den gegenwärtigen und ehemaligen Zentralvorstandsmitgliedern
bestehend, über 600 Mitglieder zählt und die oberste Gesetzgebung,
Verwaltung und Gerichtsbarkeit in ihrer Hand vereinigt. Ihre Haupt-
ausschüsse wirken mit denjenigen der Bruderverbände zusammen in
allen Fragen und Bewegungen, die den Arbeitslohn, die Arbeitszeit
und die sonstigen Arbeitsbedingungen betreffen, und zwar neuerdings
so, daß möglichst ein einziger Generaltarifvertrag für alle Bahngesell-
schaften, unabhängig von deren Größe und Gebiet, zustande kommt.
Besonders hinsichtlich der Lohnfrage entfaltet sich hier ein weites
Arbeitsgebiet, denn die Bahnen haben bisher eine ganz außerordent-
liche Verschiedenheit der Lohnbemessung und Lohnpolitik walten lassen.
Meistens geht die Entwicklung auf Zugrundelegung der Meilenlänge,
jedoch so, daß der aufgewendeten Arbeitszeit dabei ein mitbestimmen-
der Einfluß zuerkannt wird. Die Arbeitnehmer vertreten dabei den
Standpunkt, daß sie zwei Dinge verkaufen: ihre Zeit und ihre Arbeit.
Es sei billig, daß sie ebensowohl für die Zeit, die sie zur Verfügung
der Gesellschaft halten, wie für die in deren Dienst aufgewendete
Arbeit angemessen entschädigt würden. Die Bahngesellschaften leugnen
ihrerseits namentlich die Möglichkeit einer Normalisierung der Löhne,
zum Teil mit Gründen, die eine stark unsoziale Denkweise verraten.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 583
So wenn sie für das Festhalten an niedrigeren Löhnen im Osten gegen-
über dem Westen als Grund angeben, daß die dortige größere Bevölke-
rungsdichte kürzere Fahrten und größere Kosten für Doppelgeleise und
für Verstärkung der Betriebseinrichtungen im Interesse größerer Sicher-
heit und Leichtigkeit des intensiveren Verkehrs erfordere, wofür die
Löhne „natürlich“ niedriger sein müßten. Der betonten Verschieden-
heit in der Gestaltung der Unkosten und damit der Erträge wird von
der anderen Seite die Tatsache der verschachtelungsförmigen Ver-
trustung der Eisenbahnen und der darinliegenden Ausgleichung der Un-
kosten wie der Erträgnisse entgegengehalten. Eine gute Zusammen-
stellung der von jeder der beiden Parteien wie von der Oeffentlichkeit
ihren Auffassungen über Arbeitslohn und Arbeitszeit zugrunde gelegten
Gesichtspunkte wird in einem besonderen Kapitel geboten, das auch
interessante Aufschlüsse über die Steigerung der Lebenshaltungskosten
enthält.
Besonderes Interesse erweckt die Beschreibung der Einrichtungen
des Verbandes für Einigungs- und Schiedswesen. Die Leiter der Orts-
vereine bilden für den Bereich jeder Bahn einen Generalausschuß. Für
die großen Gebiete des Westens, Ostens und Südens sind wiederum
die Leiter dieser Ausschüsse zu einer Vereinigung der letzteren zu-
sammengefaßt. Alle Beschwerden müssen den Weg friedlicher Ver-
handlung, Einigung oder Vermittlung, je nach ihrer Wichtigkeit bis
zu dieser höchsten Instanz nehmen. Die Gesetzgebung stützt dieses
System der Freiwilligkeit durch den im Jahre 1915 verbesserten Erd-
man act von 1898, der ein geordnetes Vermittlungs- und Schiedsver-
fahren vor einem ständigen Amte für Arbeitskonflikte bei Eisenbahnen
vorschreibt, das schon öfter mit Erfolg angewendet worden ist. In
Kanada erstrebt der industrial disputes act von 1907 dasselbe Ziel
für alle Arten von Gewerbe öffentlichen Charakters. Von 1907—11
fand er dort in 109 Fällen Anwendung; in 105 von ihnen wurde da-
durch Ausständen und Aussperrungen vorgebeugt. Dagegen haben sich
die Eisenbahnverbände Nordamerikas stets gegenüber jedem Verfahren
gleicher Richtung mit Zwangscharakter, nach Art der neuseeländisch-
australischen Gesetzgebung, ablehnend vorhalten, weil die Macht zu
streiken ihnen heute als der Grundgedanke des modernen Gewerk-
vereins erscheint. Indessen muß über den Streikantrag von allen Mit-
gliedern, die bei der davon betroffenen Bahn in Dienst stehen, abge-
stimmt und er mit Zweidrittelmehrheit angenommen werden. Wer
dann aber den Streikbeschlüssen zuwiderhandelt, wird ausgeschlossen.
Bisher hat der Verband vom Streik freilich sparsamen Gebrauch ge-
macht. Die Führer sind extremen Maßregeln an sich abgeneigt, und
überdies gewährleistet schon die Tatsache der Macht zum Streik eine
sorgsame Behandlung der Beschwerden des Verbandes.
Auch auf die Gesetzgebung der Union und ihrer Staaten sucht
der Verband Einfluß zu gewinnen. Sehr beachtenswert ist endlich auch
die Klarlegung und das verständnisvolle Eingehen des Verfassers auf
die mannigfachen Einzelprobleme, die aus der Pflege des vom Ver-
bande besonders ausgebildeten Unterstützungswesens sich ergeben.
Marburg a. d. Lahn. H. Köppe.
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Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahrg. 16,
1916, No. 2: Die Kriegslasten und ihre Deckung. — Mitteleuropäische Annäherung
und Meistbegünstigung. — Englands board of trade, von Dr. N. Hansen. — Rohstoff-
bezug naeh Friedensschluß. — etc.
Bank, Die. Februar 1916, Heft 2: Amerika als Weltbankier und das amerika-
nische Zentralbank-Systeım (Schluß), von Alfred Lansburgh. — Gedanken über die
Kapitalverwendung nach dem Kriege, von Ludwig Eschwege. — Der ungedeckte Speku-
lationskredit, von A. L. — Der Handel mit ausländischen Zahlungsmitteln. — Schützungs-
ämter. — Die Effektenausfuhr und die Banken. — Krieg und Wohnungsmarkt. —
Kreditgenossenschaften. — ete.
Bankarchiv. Jahrg. 15, 1916, No. 10: Zur Förderung des bargeldsparenden
Zahlungsverkehrs. — Stärkung der Reichsbank durch Ersparnis von Umlaufsmitteln,
von (Bankier) Dr. jur. Paul Damme. — Der Krieg und die stillen Reserven im Aktien-
recht und Steuerrecht, von (Rechtsanw.) Dr. Fritz Haußmann. — ete. — No. 11: Die
vierte Kriegsanleihe, von (Geh. Justizr.) Prof. Dr. Riesser. — Zum Entwurf des Kriegs-
vermögenszuwachssteuergesetzes, von (Geh. Justizr.) Heinrich Dove. — Kriegskreiit-
banken von (Dir. der n.ö. Kriegskreditbank) Dr. Max Sokal. — Die Kriegsgewinn-
steuer (Ein Ueberblick über die bisherigen Erörterungen und Maßnahmen), von
(Rechtsanw.) Dr. Fritz Haußmann. — ete.
Blätter, Kommunalpolitische. Jahrg. 7, 1916, No. 2: Unser Kommunalpro-
gramm. Kommunale Mitwirkung bei Neugestaltung der Arbeiterverhältnisse, von (Stadt-
verordn. M. d. R. u. d. A.) J. Giesberts. — Die Belastung der Gemeinden mit Reichs-
und Staatsaufgaben, von (Stadtverordn.) Carl Heckhausen. — Stadtschaften und
Scehätzungsämter, von (Stadtverordn.) Dr. Brockmann. — Lebensmittelversorgung: Zweck-
vereinigung zum Einkauf von Lebensmitteln. — ete.
Coneordia. Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Jahrg. 23, 1916,
No. 4: Erklärung zur Organisation der Wohlfahrtspflege. — Arbeitsnachweis und Woh-
nungsnachweis für Kriegsbeschädigte, von (Zentralwohnungsinspektor) Dr. Löhner. —
Außerordentliche Tagung der deutschen Vereinigung für Krüppelfürsorge zu Berlin am
7. II. 1916. — ete. — No. 5: Ausbildung für die soziale Arbeit, von Dr. R. v. Erd-
berg. — Kriegsfürsorgetätigkeit der christlichen Gewerkschaften, von Johann Bergmann.
— Ueber Arbeiterschutzkommissionen und Unfallstatistik, von Dr. A. Bender. — etc.
Export. Jahrg. 38, 1916, No. 10—13: Adel und Volk in Rußland, von Dr.
Frhr. v. Mackay. — Nochmals gegen die Flaumacherei!, von Dr. R. Jannasch. — Der
Weltkrieg und die deutsche Sozialversicherung. — Zur Lage in Spanien. — Zur Ge-
schäftslage in Spauien. — Zur Lage in Portugal. — Zur Geschäftslage in Portugal, in
der Schweiz, in Griechenland. — Zur Devisenfrage. — Amerikanischer Bericht (Origi-
nalbericht aus New York). — Bedenkliche Schönfärbereien. — Deutsche Arbeit in
Südamerika, von Dr. R. Jannasch. — etc.
Gegenwart, Die. 1916, No. 8: Sozialität, von Speetator. — Universität und
höheres Schulwesen, von Prof. Dr. Budde. — ete. — No. 9: Amerika und die Deutsch-
Amerikaner, von Johannes Gaulke. — ete. — No. 10: Das Los der Kriegerwitwen und
Kriegerwaisen, von Spectator. — ete. — No. 11: Kriegssteuern und Kriegsanleihen, von
Spectator. — ete.
Jahrbücher, Preußische. Bd. 163, März 1916, Heft 3: Bauerntum und länd-
liches Proletariat?, Gedanken über preußische Vergangenheit und deutsche Zukunft,
von (Pastor) Lie. Petras. — Palästina im Weltkrieg, von Dr. Fritz Grobba. — Die
russische Staatsidee, von Oscar Trautmann. — Frankreich, Spanien, England, von Dr.
E. Daniels. — Amerika zwischen Deutschland und England; die Resolution der Budget-
kommission des Abgeordnetenhauses, von Hans Delbrück. — ete.
Kartell-Rundschau. Jahrg. 13, 1915, Heft 12: Das Kartelljahr 1915, von
Dr. Tschierschky. — Trusts und Kartelle in Australien, von Dr. W. Notz. — ete.
Kultur, Soziale. Jahrg. 36, März 1916, Heft 3: Beschlagnahme mit Wehr-
und Schulpflicht unter einem Gesichtspunkt, von Prof. Dr. A. Mayer. — Die Unter-
nehmer, von (Hofrat) Prof. Dr. E. Schwiedland. — Gemeindliche Wohnungspflege in
der Schweiz, von Dr. L. Katscher. — Zur Ausbeutung der deutschen Kohlenschätze,
von Dr. P. Hausmeister. — Großstadtarbeiterschaft und Gartenstadtbewegung, von Dr. L.
Katscher. — Kupfermarkt, Kupferbörse und Kupferspekulation, von Dr. H. Pudor. — ete.
590 Die periodische Presse Deutschlands.
Monatshefte, Sozialistische. Jahrg. 22, 1916, Heft 3: Rohstoffversorgung und
Kolonialwirtschaft, von Carl Severing. — Was stand hinter der Internationale?, von
Emil Kloth. — Unser Kurs bleibt der gleiche, von Rudolf Wissell. — Ueber die Schlag-
worte vom Klassenkampf und vom Klassenstaat, von Heinrich Peus. — Die Zukunft
unserer Jugend, von Hermann Mattutat. — ete. — Heft 4: Das Imperium und die
Arbeiter, von Hugo Poetzsch. — Der englische Arbeiter im Weltkrieg, von Karl
Leuthner. — Vom Alkoholismus der Ententevölker, von Dr. Ludwig Quessel. —, Steuer-
probleme, von Julius Kaliski. — Zur Frage eines Elektrizitätsmonopols, von Josef
Kurth. — ete.
Monatsschrift, Politisch-Anthropologische. Jahrg. 14, März 1916, No. 12:
Die deutsche Krankheit der Ausländerei, ihre Ursachen und ihre Heilung, vom Heraus-
geber. — Wirtschaftslehren des Krieges, von Adolf Harpf. — Die Germanen — der Jung-
brunnen der Völker Europas, von Dr. Th. Arldt. — Aus der Geschichte der Germanen-
forschung in Skandinavien, etwa 1550—1840 (Schluß), von Theobald Bieder. — Be-
völkerungspolitik, von Herman W. Siemens. — ete.
Oekonomist, Der Deutsche. Jahrg. 34, 1916, No. 1729: Die zunehmende
Monopolisierung als Folge des Handelskrieges. — Zur Förderung des bargeldersparenden
Zahlungsverkehrs. — Unkündbare Tilgungshypothek und Pfandbriefämter (Schluß), von
Dr. Otto Stein. — etc. — No. 1730: Neue Krisis im Handelskriege. — Die Schätzungs-
ämter. — ete. — No. 1731: Die neuen Steuern. — ete. — No. 1732: Die vierte Kriegs-
anleihe. — ete. — No. 1733: Nochmals die neuen Steuern. — ete.
Plutus. Jahrg. 13, 1916, Heft 7,8: Die Amerikalegende. — Die französischen
Banken im Kriege, von Hermes. — etc. — Heft 9/10: Kriegsanleihe. — Das Devisen-
problem und die Bank von Frankreich, von Fritz Zutrauen. — ete.
Recht und Wirtschaft. Jahrg. 5, März 1916, No. 3: Der Friedenswert der Ver-
ordnungen zur Entlastung der Gerichte (Forts.), von (Wirkl. Geh. Oberjustizrat, Ober-
landsgerichtspräs.), Dr. v. Staff. — Die Rechtsprechung zum Höchstpreisgesetz, von
(Oberlandesgerichtsrat) Dr. Feisenberger. — Städtische oder staatliche Polizei?, von
(Oberverwaltungsgerichtsrat) Prof. Dr. Lotz. — Die Kriegsausgaben der einzelnen
Staaten, von Dr. jur. W. Peters. — Die Bundesratsbekanntmachung vom 8. November
1915 über Beschlagnahme der Oele und Fette, von (Rechtsanw.) Dr. Sigbert Feucht-
wanger. — Das Geld bleibt im Lande, von (Landgerichtsrat) W. Kulemann. — Be-
merkungen zu dem Entwurf eines Schätzungsamtsgesetzes, von Ferdinand Zimmermann.
— eic.
Rechtsschutz, Gewerblicher, und Urheberrecht. Jahrg. 20, November-Dezem-
ber 1915, No. 11/12: Schädigung der deutschen Patentinhaber durch die Kriegsbestim-
mungen der verschiedenen Länder, von G. A. Fritze. — Die Anmeldung und Ertei-
lung von Patenten in Belgien während der Besetzung, von (Patentanwalt) Dr. Julius
Ephraim. — Die Pariser Uebereinkunft und die deutschen Zentralbehörden, von (Justiz-
rat) Dr. Hugo Cahn. — Patent- und Musterschutzgesetzgebung in Süd- und Mittel-
amerika während des Krieges, von Dr. jur. Alfredo Hartwig. — Der gewerbliche Rechts-
schutz und der Krieg. Zusammenstellung von M. Mintz und A. Österrieth. — ete.
Revue, Deutsche. Jahrg. 41, März 1916: Italien und die Adria. — Italien und
Montenegro (1908—14), von (Titularbischof) Dr. Wilhelm Fraknöı. — Der Suezkanal
und dessen Beziehungen zur europäischen Mächtegruppierung, von (Feldmarschall-
leutnant a. D.) v. Wannich. — Krieg und Wille, von (Generalarzt u. Geh. Mediz.-Rat)
Prof. Dr. Goldscheider. — Die völkerrechtliche Stellung des Papstes, von Karl v. Sten-
gel. — Irland (Schluß), von Prof. Dr. Siegm. Günther. — Die Finanzen Deutschlands
und seiner Gegner im Krieg und Frieden (Schluß), von Prof. Eberhard Gothein. — etc.
Revue, Soziale. Jahrg. 16, 1916, Heft 1: Die Bagdadbahn, eine Hochstraße
des Weltverkehrs in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, von Dr. Claus v. Bichtlingen.
— Einheitsschule nach dem Kriege?, von Dr. Otto Müller. — Entwicklungstendenzen
in der Arbeiterbewegung, von Th. Brauer. — Die deutsche Sozialdemokratie im Kriege,
von Dr. Berger. — Unsere katholischen Arbeitervereine nach dem Kriege?, Gedanken
und Vorschläge, von Joseph Schabl. — ete.
Rundschau, Deutsche. Jahrg. 43, März 1916: Japan und Nordamerika, von
Alfredo Hartwig. — Die Politik Oesterreichs im griechischen Freibeitskampfe 1822—29,
von Josef Krauter. — ete.
Rundschau, Masius’, Blätter für Versicherungswissenschaft. Jahrg. 28, 1916,
Heft 1 u. 2: 1915. Ein Rückblick. — Das Bereicherungsverbot und der Versiche-
Die periodische Presse Deutschlands. 591
rungswert von Haushalts- und sonstigen Gebrauchszegenständen, Arbeitsgerätschaften und
Maschinen ($ 86 V.V.G., § 13 A.V.B.), von v. Haselberg. — Die öffentlich-rechtliche
Lebensversicherung im Jahre 1914. — Amerikanische Sozialversicherung. — etc.
Sozial-Technik. Jahrg. 15, 1916, Heft 4: Zur Fürsorge der Kriegsbeschä-
digten, von Dr. ing. G. Rohn. — Unfallverhütung und Gewerbehygiene, Vortrag von
Dr. A. Neuburger. — ete.
Verwaltung und Statistik (Monatsschrift für deutsche Beamte). Jahrg. 6,
1916, Heft 3: Zum Ausbau und Umbau des steuerlichen Kinderprivilegs, von (Reg.-R.)
Ludwig Buck. — Die preußischen Sparkassen und die Beteiligung ihrer Sparer an den
Kriegsanleihe-Zeichnungen. — Die Privatversicherungsgesellschaft Oesterreich-Ungarns.
— ete.
Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Hrsg. vom Kaiserl.
Statistischen Amte. Jahrg. 24, 1915, Heft 4: Die landwirtschaftliche Bodenbenutzung
im Jahre 1913. — Hopfenernte 1915. — Konkurs-Statistik für das 3. Vierteljabr 1915.
(Vorläufige Mitteilungen.) — Tabakanbau im deutschen Zollgebiet 1915. Vorläufige
Nachweise. — Bestands- und Kapitaländerungen der deutschen Aktiengesellschaften, im
3. Vierteljahr 1915. — Bestands- und Kapitaländerungen der deutschen Gesellschaften
mit beschränkter Haftung im 3. Vierteljahr 1915. — Konkursstatistik für das Jahr
1914. —- Streiks und Aussperrungen. Vorläufige Uebersicht. 3. Vierteljahr 1915. —
Zur Statistik der Preise. (Viebpreise in 10 deutschen Städten, im 3. Vierteljahr 1911
1915; Rindvieh- und Schweinepreise in 5 deutschen Städten Januar bis September
1908—1915; Viehpreise im Ausland im 3. Vierteljahr 1911—1915; Fleischpreise in
Berlin in den Jahren 1910—1914; Marktpreise von Hülsenfrüchten in 24 preußischen
Städten 1895—1914; Lebensmittelpreise in Straßburg i. E. in den Jahren 1910—1914.)
— Ergänzungs-Heft zu 1915. II.: Die Geschäftsergebnisse der deutschen Aktien-
gesellschaften im Jahr 1913/4.
Weltwirtschaft. Zeitschrift für Weltwirtschaft und Weltverkehr. Jahrg. 5,
Februar 1916, No. 11: England und der Suezkanal, von (Geh. Baurat) Prof. G. de Thierry.
— Die Bedeutung der baltischen Provinzen für Rußlands Stellung in der Weltwirt-
schaft, von Axel Schmidt. — Bulgariens Donau-Verkehrswege, von Prof. Dr. Karl
Kassner. — Die Aussichten des künftigen Wettbewerbs zwischen dem Piräus, Saloniki
und Konstantinopel, von Eugen Löwinger. — Richtlinien der künftigen mitteleuropäischen
Wasserstraßenpolitik, von Dr. J. Neumann. — etc.
Wirtschafts-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 12, 1916, No. 4: Die staatliche
Regelung des Devisenhandels, von (Prof. an der Handels-Hochschule) Dr. W. Prion. —
Krieg und Wirtschaft, von E. Fitger. — Deutschlands wirtschaftliche Aufgabe in der
Türkei. — Das Borgwesen im Kleinbandel. — Mitteilungen des Deutsch-amerikanischen
Wirtschaftsverbandes: Die Greizer Wollindustrie und ihre Exportbeziehungen zu Amerika.
— Das erste Jahr der amerikanischen Zentralbank. — ete. — No. 5: Zur Frage der
Auslandshochschule, von Prof. Dr. Max Apt. — Die Verbesserung des Auskunftswesens
im Wege der Selbsthilfe, von (Kgl. Rat) Max Guttmann. — Mitteilungen des Deutsch-
amerikanischen Wirtschaftsverbandes: Amerikas Stellung zum Weltkriege, von J. L.
Stoddard. — ete.
Zeit, Die Neue. Jahrg. 34, 1916, No. 21: Die nationalen Triebkräfte, von
Fr. Austerlitz. — Theorie und Praxis, von Gustav Eckstein. — Der rote Faden in der
preußischen Geschichte (Forts.), von Franz Mehring. — ete. — No. 22: Der rote Faden
in der preußischen Geschichte (Forts.), von Franz Mehring. — Theorie und Praxis
(Forts.), von Gustav Eckstein. — Vom Wirtschaftsmarkt. Englands Handelsentwicklung
seit Kriegebeginn, von Heinrich Cunow. — ete. — No. 23: Noch einige Bemerkungen
über nationale Triebkräfte, von K. Kautsky. — Theorie und Praxis (Schluß), von
Gustav Eckstein. — Phantasie und Statistik, von Emanuel Wurm. — ete. — No. 24: Sozial-
demokratische Steuerpolitik, von K. Kautsky. — Die Sorge für die Kapitalanhäufung,
von Eduard Bernstein. — Belgien, von Spectator. — etc.
Zeitschrift des Kgl. bayerischen Statistischen Landesamts. Jahrg. 47, 1915,
No. 3 u. 4: Anbau, Ernte und Ernteschäden im Jahre 1914. — Bayerische Verbände
von Arbeitgebern, Angestellten und Arbeitern im Jahre 1913. — Die gewerbsmäßige
Stellenvermittlung in Bayern im Jahre 1914. — Geschäftsergebnisse der bayerischen
Sterbe-, Kranken- und Pensionskassen unter Aufsicht des Kaiserl. Aufsichtsamts für
Privatversicherung im Jahre 1913. — Die Bayerische Landesvermittlungsstelle für den
Verkehr mit Brotgetreide und Mehl im 1. Kriegsjahr. — Die Heilanstalten in Bayern
592 Die periodische Presse Deutschlands.
im Jahre 1913. — Die Gemeindewahlen in den Gemeinden mit städtischer Verfassung
in Bayern rechts des Rheins im Jahre 1914. — Der Verkehr auf den bayerischen
Wasserstraßen im Jahre 1914. — Statistik der bayerischen Knappschaftsvereine im
Jahre 1914. — Hopfenanbau und Hopfenernte in Bayern im Jahre 1915. — Die amt-
liche Statistik und der Krieg. — ete.
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Bd. 57, 1916, Heft 4: Das
juristische Kausalproblem als Problem der passendsten Fiktion, von Prof. Dr. Krück-
mann. — Bindings Lehre von der Abstimmung im Strafgericht, von Prof. Dr. Ernst
v. Beling. — Die Strafbarkeit des Abdrucks von Beiträgen zu Zeitschriften und Zeitungen,
von (Geh. Hofrat) Dr. Allfeld. — Die strafrechtlichen Bestimmungen des englischen und
französischen wirtschaftlichen Kampfrechts August 1914 bis Oktober 1915, von Prof.
Dr. Leo Strisower. — Die Strafbestimmungen in dem Gesetz über vorbereitende Maß-
nahmen zur Besteuerung der Kriegsgewinne, von (Geh. Justizrat) Prof. Dr. Franz
v. Liszt. — Krieg und Kriminalwissenschaft, von (Amtsrichter) Dr. A. Hellwig. — ete.
Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft. Bd. 16, 1916, Heft 2:
Volksversicherung und Krieg, von (Geh. Reg.-R.) Dr. phil. Hermann Broecker. — Der
Auslandsbegriff in der Sozialversicherung. Unter besonderer Berücksichtigung der
Kriegszeit untersucht, von Prof. Dr. jur. Fritz Stier-Somlo. — Neue dänische Frivat-
versicherungs-Gesetze, von (Geh. Justizr.) Prof. Dr. jur. Lehmann. — Die Herab-
setzung der Altersgrenze für die Altersrente, von (Landesrat) Seelmann. — etc.
Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis. Jahrg. 8. März 1916,
Heft 12: Die Anstellungsverträge (Arbeitsverträge) während des Krieges und nach dem
Kriege, von (Stadtrechtsrat, Dozent) Dr. Anton Erdel. — Marktpreis. Eine zeitgemäße
Untersuchung (Schluß), von Prof. Eugen Schigut. — Die Vereinheitlichung des deutsch-
österreichischen Bahntarifsystems, von Eugen Löwinger. — etc. — Beiblatt: Krieg
und Zahlungsstundung. Die Regelung des Zahlungsverkehrs in den kriegführenden
Ländern (III), von (Red.) Otto Jöhlinger. — Der Krieg und die Sprache des Kauf-
manns (III), von (Dir.) Th. Blum. — Der Krieg gegen den deutschen Handel nach
Süd-Amerika, von Dr. M. Ritzenthaler. — etc.
Zeitschrift für Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik, Jahrg. 6, 1916,
Heft 3/4: Erwerbs- oder Gemeinwirtschaft. Ein Nachwort zur Kriegstagung des Ver-
eins für Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik, von (Bürgermeister) Lueken. —
Warum sollen Reich, Staat und Gemeinde dem Geburtenrückgang steuern?, von Bürger-
meister) Dr. Most. — Zur Frage der Errichtung einer Westfälischen Siedlungsgesellschaft,
von (Landrat) v. Laer. — Kriegsarbeiten in Landgemeinden, von (Gemeindevorsteher)
Dr. Berthold. — Die Einrichtung eines Hauptarbeitsnachweises in Oldenburg, von (Rfdr.;
Brand. — Die Kriegsbeschädigtenfürsorge und die Gemeinden, von (Berufsvormund)
Niestroy. — Richtlinien des Vorstandes des deutschen Städtetages zur Realkreditfrage
— ete. — No. 5: Die Einquartierungslast der Städte während der Kriegszeit, von (Ober-
bürgermeister) Lübke. Krieg und Jugendarbeit, von (Bürgermstr.) Mueller. — Die
Ueberweisung der Besteuerung der niedrigen Einkommen an die Gemeinden. (Ein Stück
Verwaltungs- und Finanzreform), von (Stadtsekr.) Gerling. — Die kommunale Arbets-
Anstalt in ihren Beziehungen zu den Aufgaben und Zielen des Strafvollzuges, von
(Wohlfahrts-Polizeikommissar) R. Winkler. — Fürsorgeerziehung und Tuberkulose-
bekämpfung. — Unsere kommunalen Giroverbände, von Plate. — etc.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. 7, 1916, Heft 3: Welche Umstände
verteuern das städtische Bauland? (Schluß), von Prof. Dr. Wilhelm Gemünd. — Innere
Einflüsse der Bevölkerungswanderungen auf die Geburtenzahl (Schluß), von R. Manschke.
— Der Baumwollbau in Turkestan (I), von Dr. Ernst Schultze. — Die Bevölkerung
Kurlands, von H. Fehlinger. — Die Wasserstraßen Frankreichs, von G. Kreuzkam. —
Schwedens Kriegswirtschaft, von H. Hassel. — etc.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena.
Philipp Spitz, Das Problem der allgemeinen Grundrente etc. 593
VII.
Das Problem der allgemeinen Grundrente
bei Ricardo, Rodbertus und Marx.
Von
Dr. Philipp Spitz.
u
Fortentwicklung des Problems der allgemeinen
Grundrente auf dem Boden der Arbeitswerttheorie
durch Rodbertus und Marx.
Inhalt: A. Die allgemeine Grundrente als Ueberschuß des Preises über den
Wert. a) Die allgemeine Grundrente als Folge des Monopolpreises. b) Die allgemeine
Grundrente als Ursache des Monopolpreises. B. Die allgemeine Grundrente als Bestand-
teil des Arbeitswertes. a) Die allgemeine Grundrente als Abzug vom Werte, bei Rod-
bertus. b) Die allgemeine Grundrente als Aufschlag auf den Produktionspreis, bei Marx. —
Wert und Produktionspreis. — Rückblick.
A. Die allgemeine Grundrente als Ueberschuß des Preises über
den Wert.
In Uebereinstimmung mit Ricardo versteht Marx unter Monopol-
preis „einen Preis, der nur durch die Kauflust und Zahlungsfähigkeit
der Käufer bestimmt ist... . unbhängig von dem durch den Wert
der Produkte bestimmten Preis“!), Das Angebot muß dabei als be-
schränkt vorausgesetzt werden.
Nun kann die allgemeine Grundrente Ursache oder Folge des
Monopolpreises, Aufschlag auf den Wert oder Abzug vom Monopol-
preis sein. „Man muß unterscheiden“, sagt Marx, „ob die Rente
aus einem Monopolpreis fließt, weil ein von ihr unabhängiger Mono-
polpreis der Produkte oder des Bodens selbst existiert, oder .ob die
Produkte zu einem Monopolpreis verkauft werden, weil eine Rente
existiert“ ?).
Wir betrachten daher: a) die allgemeine Grundrente als Folge
des Monopolpreises; b) als Ursache des Monopolpreises.
a) Der von der Grundrente unabhängige Monopolpreis ist Mono-
polpreis, weil er durch die Nachfrage bestimmt ist. Er ist unab-
hängig von der Grundrente, weil der Grundeigentümer keinen Einfluß
auf das Angebot ausübt. Ganz wie Ricardo sagt Marx: „Ein Wein-
berg, der Wein von ganz außerordentlicher Güte erzeugt, Wein,
der überhaupt nur in relativ geringer Quantität erzeugt werden
1) Das Kapital (hinfort zitiert K.) III,, 308.
2) K. III, 308,
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 38
594 Philipp Spitz,
kann, trägt einen Monopolpreis. Der Weinzüchter würde infolge
dieses Monopolpreises, dessen Ueberschuß über den Wert des Pro-
dukts allein durch den Reichtum und die Liebhaberei der vornehmen
Weintrinker bestimmt ist, einen bedeutenden Surplusprofit realisieren.
Dieser Surplusprofit, der hier aus einem Monopolpreis fließt, ver-
wandelt sich in Rente und fällt in dieser Form dem Grundeigentümer
anheim, infolge seines Titels auf dies mit besonderen Eigenschaften
begabte Stück des Erdkörpers. Hier schafft also der Monopolpreis
die Rente“ !). Das Angebot ist hier absolut beschränkt durch Natur-
faktoren. Der Monopolpreis entsteht ohne Zutun des Grundeigen-
tümers. Dieser könnte ihn auch nicht steigern, weil dieser Monopol-
preis durch die Kauflust und Zahlungsfähigkeit der Weintrinker
schon begrenzt ist. Marx und Ricardo sind also gleicher Ansicht
in bezug auf die Weinbergmonopolrente, aber auch ebenso ver-
schiedener Ansicht in bezug auf die Getreidemonopolrente, wie wir
jetzt sehen werden.
b) Die Monopolrente als Ursache des Monopolpreises.
Ricardo stellte die Getreidemonopolrente des stationären Zu-
standes mit der Weinbergmonopolrente auf die gleiche Stufe Auch
das Getreide wird zum Monopolpreis verkauft, wenn seine Produk-
tion an der absoluten Naturgrenze ihrer Ausdehnung angelangt ist.
Anders bei Marx.
Nach Marx existiert Monopolpreis schon lange, bevor die Aus-
dehnbarkeit der Produktion ihre absolute Grenze erreicht hat. Das
Grundeigentum nutzt sein Naturmonopol aus, indem es die Natur-
grenze der Bodenbebauung noch künstlich verengert. Die Getreide-
produktion stößt zuerst auf die historisch-soziale Schranke des Grund-
eigentums, ehe sie ihre absolute Naturgrenze erreicht. Hier schafft
das Grundeigentum Monopolpreis, weil es Monopolrente erzwingt.
Marx sagt hierüber: „Umgekehrt würde die Rente den Monopolpreis
schaffen, wenn Getreide über seinem Wert verkauft würde, infolge
der Schranke, die das Grundeigentum der rentelosen Anlage von
Kapital auf unbebautem Boden zieht“ ?). Marx hält eine ursprüng-
liche Monopolrente für möglich: „In einer kleinen Insel, wo kein
auswärtiger Handel existierte, könnte unbedingt das Korn, Nahrungs-
mittel überhaupt, wie jedes andere Produkt zum Monopolpreise ver-
kauft werden“ 3). Er bezeichnet aber diesen Fall als „eine Ausnahme,
von der keine Rede in den europäischen Ländern ist“.
Ricardo ist eigentlich durch nichts daran gehindert, neben der
Differentialrente und der abgeleiteten Monopolrente von absolut
nichtvermehrbaren Bodenprodukten eine konstitutive Monopolrente
von hıstorisch-relativ unvermehrbaren Bodenprodukten anzuerkennen,
als durch die absolute Bestimmung des Begriffs der Vermehrbarkeit
des Getreides. Die Einteilung der Güter in absolut vermehrbare
und absolut nichtvermehrbare Güter und die entsprechende An-
wendung des natürlichen Preises für die ersteren und des Monopol-
1) K. III,, 308.
2) K. III, 309.
3) Theorien über den Mehrwert (hinfort zitiert: Th.) II, 111.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 595
preises für die letzteren hat es Ricardo von vornherein unmöglich
gemacht, eine konstitutive Grundrente anzuerkennen, weil der Grund-
eigentümer an der absoluten Nichtvermehrbarkeit nichts ändern kann.
Hätte Ricardo sie gekannt, dann hätte er die Einteilung der Güter
in absolut vermehrbare und absolut nichtvermehrbare nicht aufrecht-
erhalten können. Hier sehen wir deutlich, wie starr und unbiegsam
Ricardos Bestimmungen sind, was ja eine selbstverständliche Folge-
rung aus der Unterwerfung der gesellschaftlichen Entwicklung unter
die „Naturgesetze des Feldbaues“ ist. Diese absolute Starrheit der
Begriffsbestimmungen muß allgemein dort zum Vorschein kommen,
wo an die ihrer Natur nach historisch bestimmten ökonomischen
Probleme mit absoluten Gesetzen der physischen Natur heran-
getreten wird.
Eine konstitutive Monopolrente bei Ricardo schränkte lediglich
den Geltungsbereich der Wertbestimmung zeitlich ein. Es bliebe
aber immer noch ein Zeitpunkt, vor dem die Bodenprodukte zum
Werte verkauft werden, wie das bei Marx der Fall ist. Für
das Arbeitswertprinzip ist es gleichgültig, ob es früher oder später
außer Wirkung tritt, wenn es überhaupt nur eine Periode seiner
Geltung gibt.
Die Monopolrente, ganz gleich, ob sie konstitutiv oder abgeleitet
ist, tritt neben den Arbeitswert als gleichberechtigter Preisbildungs-
faktor. Ist die Monopolrente abgeleitet, wie bei Ricardo, so ist es
die absolute Beschränkung der Produktion, ist sie konstitutiv, wie
bei Marx, so ist es das Grundeigentum, welches das Wertgesetz
beiseite setzt. Ricardo und Marx ist in dieser Hinsicht die Auf-
hebung der Wertbestimmung gemeinsam, nur erfolgt sie bei Ricardo,
wenn die Vermehrbarkeit der wertbestimmten Bodenprodukte ihre
absolute Naturgrenze erreicht hat, bei Marx, wenn sie auf die
historisch-soziale Schranke des Grundeigentums stößt. Gäbe also
Ricardo eine konstitutive Monopolrente zu, so würde er lediglich
die Grenze des zeitlichen Geltungsbereichs der Arbeitswertbestim-
mung historisch-sozial statt absolut-natürlich bestimmen.
Was heißt es nun: Aufhebung des Wertgesetzes durch den
M onopolpreis ?
Daß diese Aufhebung stattfindet, bestätigt Marx mit den Worten:
„Es findet ein Aufschlag auf den Preis statt, und das Gesetz der
Warenwerte ist durchbrochen durch das Monopol des Grundeigen-
tums“!), Marx will damit offenbar sagen, daß die Preise nicht mehr
vom Arbeitswerte reguliert werden. Wollte man es anders etwa so
verstehen, daß die Durchbrechung des Wertgesetzes etwa gleich-
bedeutend sei mit seiner vollständigen Ungültigkeit, so hieße das Auf-
hebung des Marxschen Systems. Marx hat denn auch das Verhältnis
zwischen Monopolpreis und Wertgesetz genauer fixiert:
Findet die Ausdehnung der Produktion von Bodenprodukten
„ein Hindernis am Monopol des Grundeigentums, so daß ein Monopol-
1) Th. II, 2.
38*
596 Philipp Spitz,
preis möglich würde, der über den Produktionspreis und über den
Wert der Waren stiege, auf die das Monopol wirkt, so würden die
durch den Wert der Waren gegebenen Grenzen dadurch nicht auf-
gehoben“. „Ginge die Ware mit Monopolpreis in den notwendigen
Konsum des Arbeiters ein, so würde sie den Arbeitslohn erhöhen
und dadurch den Mehrwert vermindern, falls der Arbeiter nach wie
vor den Wert seiner Arbeitskraft bezahlt erhielte. Sie könnte den
Arbeitslohn unter den Wert der Arbeitskraft herabdrücken, aber
dies nur, soweit jener über der Grenze seines physischen Minimums
stände. In diesem Falle würde der Monopolpreis durch Abzug am
realen Arbeitslohn und an dem Profit der anderen Kapitalisten
bezahlt. Die Grenzen, innerhalb deren der Monopolpreis die normale
Regulierung der Warenpreise affizierte, wären fest bestimmt und
genau berechenbar“ !).
Marx will offenbar sagen: Wenn Monopolpreis vom Grund-
eigentümer erzwungen wird, so ist das Wertgesetz, insofern es den
Preis bestimmt, „affiziert“. Damit wird aber die Produktion von
Wert nicht aufgehoben, sondern es findet nur eine Uebertragung
eines Teiles vom Lohn und Profit auf den Grundeigentümer statt.
Die Monopolrente hätte demnach ihre Grenze in den Größen von
Profit und der Differenz zwischen Lohn und dem physischen Existenz-
minimum. Wenn auch nicht in bezug auf das Grundeigentums-
monopol, so finden sich diese Gedanken bereits der Sache nach in
den folgenden Worten Ricardos: „Zweifellos ist der Besitzer eines
seltenen Gutes reicher, wenn er damit über mehr Erfordernisse und
Genüsse des menschlichen Lebens verfügen kann. Da aber der Ge-
samtfonds, aus welchem der Reichtum jedes Einzelnen hervorgeht,
um alles, was irgend jemand daraus entnimmt, an Quantität ver-
ringert wird, so müssen sich die Anteile der anderen notwendiger-
weise in dem Maße verkürzen, als sich der Begünstigte eine größere
Menge selbst anzueignen imstande ist“?. Was Ricardo hier all-
gemein ausgesprochen hat, hat Marx auf das „begünstigte* Grund-
eigentum angewandt.
Der Grundeigentümer kann die Regulierung der Preise durch
das Wertgesetz durchbrechen, aber nicht die Produktion von Wert
aufheben. Der Monopolpreis ist nur das Mittel einer anderen Ver-
teilung des gesellschaftlichen Gesamtwerts. Die Monopolrente ist
auf den Grundeigentümer übertragener Wert, übertragen von „dem
Mehrwert anderer Waren, d. h. der Waren, die gegen diese Ware,
die einen Monopolpreis hat, ausgetauscht werden“ °). Der Zeitpunkt
ihres Eintretens ist nicht vom Grundeigentümer, sondern von „der
allgemeinen Marktlage“ 4) bestimmt. Wann die Möglichkeit der kon-
stitutiven Monopolrente zur Wirklichkeit wird, ist abhängig von kon-
kreten Verhältnissen innerhalb der Angebots- und Nachfragesphäre.
1) K. III, 397.
2) P. 280.
3) K. III,, 368.
4) K. III, 297.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 597
Jedenfalls kann sie nicht die Regel sein innerhalb der kapitalistisch
betriebenen Agrikultur; sie gehört nicht zu den „einzig normalen“
Formen der Grundrente.
Welche Formen der Grundrente sind die normalen?
Der Monopolpreis bedeutet eine Abweichung von der Bestim-
mung der Preise durch Arbeit. Nun ist nach Marx die Abweichung
aus der Regel zu erklären. Der Monopolpreis ist also erst aus dem
Wertgesetz zu entwickeln. Die Beiseitesetzung der Wertbestimmung
setzt deren Geltung voraus. Letztere ist das Normale, und die nor-
male Form der Grundrente muß in den Bereich der normalen Be-
stimmung der Preise durch den Wert fallen. Eine normale Rente
ist dann nur denkbar als Bestandteil des Wertes, dessen Grenze
genau bestimmt ist gegenüber Lohn und Profit. „Rente in kategori-
schem Sinn des Wortes“, sagt Marx, „ist derjenige Preisbestandteil,
der in selbständigem Gegensatz zu Arbeitslohn und Profit steht.
Abzüge von Lohn und Profit sind nicht Rente“ !),
Wir müssen also die allgemeine Grundrente vor den Zeitpunkt
des Eintretens der Monopolrente verlegen und zusehen, wie all-
gemeine Grundrente als Bestandteil des Wertes möglich ist. Die
Grenzen eines solchen Bestandteils wären genau festzustecken nach
unten gegen die Summe von Lohn und Profit, nach oben gegen die
Monopolrente. Läßt sich also zwischen Lohn plus Profit und Mono-
polrente noch eine Wertgröße denken, welche die Form der all-
gemeinen Grundrente annimmt?
B. Die allgemeine @rundrente als Bestandteil des Arbeitswertes.
Wie ist Grundrente als Bestandteil des Arbeitswertes möglich ?
Zur Beantwortung dieser Frage kann sowohl vom Monopolpreis als
auch vom Preis gleich Wert ausgegangen werden.
Gehen wir vom Monopolpreis aus, so fragen wir nach einer
allgemeinen Grundrente neben der Monopolrente. Der Unterschied
zwischen beiden wäre dieser: Die Monopolrente ist Wert, der in
nichtagrikolen Produktionszweigen produziert und von dort vermittels
des Monopolpreises von dem Grundeigentümer auf sich übertragen
ist. Sie ist in Grundrente verwandelter nichtagrikoler Wert.
Die allgemeine Grundrente, welche Bestandteil des Wertes ist,
ist dagegen in Grundrente verwandelter agrikoler Wert, der auf dem
Boden des Grundeigentümers selbst produziert worden ist.
Abgesehen vom extremen Charakter des Monopolpreises absolut
vermehrbarer Produkte, ist es bei der Betrachtung der allgemeinen
Grundrente als Bestandteil des Wertes nicht notwendig, über die
Grenzen des Bodenproduktwertes hinauszugehen. Es genügt, von
der Voraussetzung auszugehen, daß die Bodenprodukte zum Werte
verkauft werden. Zwei Fälle sind wieder möglich: Entweder der
Grundeigentümer zieht eine Grundrente, weil die Bodenprodukte
zum Werte verkauft werden; oder die Bodenprodukte werden zum
1) K. III, 288.
598 Philipp Spitz,
Werte verkauft, weil der Grundeigentümer eine Rente zieht. Das
erste behauptet Rodbertus, das zweite lehrt Marx.
a) Der Grundeigentümer bezieht Grundrente, weil die Boden-
produkte zum Werte verkauft werden. (Die allgemeine Grundrente
als Abzug vom Werte, bei Rodbertus.)
Rodbertus will stets von Ricardos Voraussetzung ausgehen, daß
die Bodenprodukte zum Werte verkauft werden. Obwohl er den
Verkauf zum Werte erst für die Zukunft fordert, stellt sich Rod-
bertus auf den Boden Ricardos, um unter gleichen Bedingungen mit
ihm die Klinge zu kreuzen.
Aber Rodbertus nimmt von vornherein eine andere Position ein
als Ricardo, wenn er vom „Prinzip des Grundeigentums“ ausgeht
und dieses in aggressiver Weise wirksam sein läßt. Indem Rod-
bertus von der Tatsache des Rechtsmonopols am Boden ausgeht,
muß er notwendig auf dem Boden der Arbeitswerttheorie ein System
aufführen, dessen Teile anders angeordnet sind als im Systeme Ri-
cardos.
Der Grundeigentümer bezieht Grundrente als Abzug vom Werte.
Der kapitalistische Bodenbebauer läßt sich einen Abzug nur gefallen,
wenn auf jedes gleiche Kapital nicht mehr Profit entfällt, als ihm
der Grundeigentümer übrig läßt. Damit aber Grundrente und Profit
nicht beständig je nach dem Drucke des Grundeigentümers ineinander
überfließen, ist es notwendig, die Grenze zwischen beiden allgemein
zu bestimmen, so daß gesagt werden kann: hier hört aus allgemeinen
Gründen der Profit notwendig auf und beginnt der allgemeine
Grundrentenbestandteil des Wertes. Eine solche Grenze will denn
auch Rodbertus durch Aufstellung eines festen Teilungsmaßstabes
ziehen.
Rodbertus stellt sich die entscheidende Frage:
„Woher kommt es, daß dem, der in landwirtschaftlicher Unter-
nehmung arbeiten läßt, in der Regel noch außer der üblichen Kapital-
rente eine andere besondere Rente, Grundrente genannt, zufällt,
während jedem Unternehmer in Fabrikation und Transportation nur
die übliche Kapitalrente zufällt ?“ 1)
Die Antwort sieht Rodbertus im Grundeigentumsprinzip und
in der Verteilungsweise der „Rente“ ?).
Der Arbeiter produziert nach Rodbertus zunächst seine Unter-
haltsmittel und, wenn seine Arbeit produktiv genug ist, auch noch
einen Ueberschuß, Mehrprodukt, „Rente“. Diesen beziehen die
Eigentümer des Bodens und der Produktionsmittel. „Das Eigentum
an der Hauptsache macht auch zum Eigentümer der Früchte“ 3). Wie
vollzieht sich nun die Teilung der „Rente“ in Kapitalrente und
Grundrente ?
Die Größe der „Rente“ wird nach Rodbertus bestimmt: „nicht
durch die Größe des Kapitals, auf das der Gewinn berechnet wird,
sondern durch die unmittelbare Arbeit, sie sei landwirtschaftliche
= 1) Zur Erkenntnis, 8.
2) Unter Rente versteht Rodbertus den Reinertrag, den Mehrwert.
3) Zur Erkenntnis, 74.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 599
oder Fabrikationsarbeit plus derjenigen Arbeit, die wegen der ver-
nutzten Werkzeuge und Maschinerie aufzurechnen ist“!1). Der
Materialwert hat also keinen Einfluß auf die Größe der „Rente“,
„figuriert aber doch mit in dem Kapitalvermögen, auf das der Be-
sitzer den auf das Fabrikationsprodukt fallenden Rentenanteil als
Gewinn zu berechnen hat“. „In dem landwirtschaftlichen Kapital
fehlt aber dieser Kapitalteil.e Die Landwirtschaft bedarf nicht der
Produkte einer ihr vorangehenden Produktion zu Material, sondern
beginnt erst die Produktion, und der dem Material analoge Ver-
mögensteil in der Landwirtschaft würde der Boden selbst sein, der
aber kostenlos vorausgesetzt wird.“
„Die Landwirtschaft hat also mit der Fabrikation zwar die
beiden Kapitale gemeinsam, die auf die Bestimmung der Größe der
Rententeile von Einfluß sind, aber nicht denjenigen, der hierzu nicht
beiträgt, auf den aber der durch jene Kapitalteile bestimmte Renten-
teil mit als Gewinn berechnet wird; dieser findet sich in dem Fa-
brikationskapital allein.“ Also ist „bei gleicher Größe der auf das
Rohprodukt und das Fabrikationsprodukt fallenden Rententeile das
Fabrikationskapital um den ganzen darin enthaltenen Materialwert
größer als das landwirtschaftliche Kapital, und da dieser Material-
wert zwar das Fabrikationskapital, auf das der abfallende Rententeil
als Gewinn berechnet wird, aber nicht auch diesen Gewinn selbst ver-
größert, und also auch zugleich noch dazu dient, den Kapitalgewinn-
satz, der auch in der Landwirtschaft normiert, zu erniedrigen, so
muß notwendig auch von dem in der Landwirtschaft abfallenden
Rententeil ein Teil übrigbleiben, der nicht von der Gewinnberech-
nung nach diesem Gewinnsatz absorbiert wird.“ Und dieser nicht
absorbierte Teil der „Rente“ ist Grundrente.
In diesen Sätzen ist Rodbertus’ Grundrententheorie vollständig
enthalten. Ihre Quintessenz sei in folgendem Schema veranschau-
licht:
"ara Unterhalt z er A
Rohmat. Maschinerie 4. Arbeiter „Rente Profitrate
I. Agrikultur: o 100 100 50 32 = 25 Proz.
200
ieX: I eaa
II. Industrie X: 50 100 100 50 79% 377 once)
Die Grundrente in I ist dann 5 Proz., also 10 auf den „Unter-
nehmungsfonds“ von 200.
Diese Rodbertussche Grundrententheorie ruht auf dem Grund-
pfeiler der Rodbertusschen allgemeinen Profitrate, und diese stützt
sich auf den fehlenden Materialwert.
1) Der fehlende Materialwert und die allgemeine Grundrente.
Wir stellen folgendes Schema voran:
Materialwert Maschinerie Lohn Mehrwert Profitrate
I. Agrikultur: a) 25 100 100 50 50/95, = 22,2 Proz.
b 50 100 100 50 5 = 20 Proz.
1]. Industrie: 5o 100 100 50 9 = 20 -y
1) 3. soz. Brief, 110.
600 Philipp Spitz,
Die allgemeine Profitrate ist mit Rodbertus der industriellen
Profitrate gleichgesetzt (20 Proz.).
Man kann zunächst sagen, Rodbertus hat seine Grundrenten-
theorie nur im Widerspruche mit der Tatsache des landwirtschaft-
lichen Materialwertes durchgeführt. Aber es wäre schon zu weit ge-
gangen, wenn man die Rodbertussche Grundrententheorie lediglich
unter Hinweis auf den fehlenden Materialwert als erledigt auf die
Seite werfen wollte, weil ihr Grundgedanke von der Existenz oder
Nichtexistenz des landwirtschaftlichen Materialwertes gar nicht be-
rührt wird.
Die Rodbertussche Grundrente verschwindet nicht, wenn der
Materialwert in die Rechnung des Landwirts eingeht. Berechnet
sich z. B. der Landwirt nach obigem Schema einen Materialwert
von 25, so beträgt auf Basis der allgemeinen Profitrate (gleich
20 Proz.) die Grundrente 2,2 Proz. oder 4,4 auf diejenigen 200 des
Gesamtkapitals, die nach Rodbertus einen Einfluß auf die Bildung
des Mehrwertes (50) haben. Erst wenn der Landwirt ebensoviel
Materialwert verarbeitet wie der Fabrikant, nämlich 50, dann wird
seine individuelle Profitrate gleich der industriellen bzw. allgemeinen
Profitrate.e Mit der Aufhebung jeder Differenz zwischen der land-
wirtschaftlichen und der industriellen Profitrate verschwindet die
Rodbertussche Grundrente.
Nach Zulassen des Materialwertes existiert also immer noch so
lange Grundrente, als der landwirtschaftliche Materialwert kleiner
ist als der industrielle. Selbst wenn wir also den Widerspruch der
Rodbertusschen Grundrententheorie mit der einfachen Tatsache des
landwirtschaftlichen Materialwertes nicht nur in der Produktion,
sondern auch in der Rechnung des Landwirts aufheben, ist durchaus
nicht der Rodbertussche Satz aufgehoben, daß eine allgemeine Grund-
rente existiert, weil die Bodenprodukte zum Werte verkauft werden.
Es ist lediglich seine absolute Geltung in eine historisch -relative
verwandelt. Nach Rodbertus existiert immer Grundrente, solange
die Produkte zum Werte verkauft werden, die allgemeine Profitrate
von der industriellen Profitrate reguliert ist, und weil der Material-
wert in der Landwirtschaft absolut fehlt. Unter Beibehaltung der
ersten beiden Voraussetzungen existiert jetzt Grundrente nur so
lange, als der landwirtschaftliche Materialwert kleiner ist als der
industrielle. Entwickelt sich die Technik der Bodenbearbeitung
derart, daß die landwirtschaftliche Arbeit verhältnismäßig gerade so
viel Materialwert verarbeitet wie die industrielle, dann tritt einmal
ein Zeitpunkt ein, in dem der Rodbertussche Satz von der Existenz
der Grundrente, weil die Bodenprodukte zum Werte verkauft werden,
sich in sein Gegenteil umwandelt: Trotzdem die Bodenprodukte zum
Werte verkauft werden, existiert keine Grundrente, weil die in-
dividuellen Profitraten nicht mehr differieren.
Die Rodbertussche Grundrententheorie ist also nicht widerlegt,
wenn man auf den fehlenden Materialwert hinweist. Widerlegt ist
nur ihre absolute Geltung für alle Zeiten. Auf dem Boden der
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 601
Rodbertusschen Werttheorieund Profittheorie nimmt aber die historisch
beschränkte Geltung der Grundrente die Gestalt an, daß die Grund-
rente abhängig ist von dem historisch bestimmten Verhältnis der
Materialwerte zueinander. Wenn wir von Rodbertus zu Marx über-
gehen, ist zweierlei zu beachten: Es muß einmal am Grundgedanken
festgehalten werden, daß die Grundrente überhaupt von historischen
Differenzen in der Zusammensetzung der Kapitalien abhängig ist.
Zweitens ist von der besonderen Art der Variationen der Kapital-
zusammensetzungen durch Veränderungen des Materialwertes bei dem
fortgebildeten Rodbertus hinüberzuleiten zu den Marxschen Faktoren
der Veränderungen in der organischen Zusammensetzung der Kapitalien.
Daß die Grundrente überhaupt von der Kapitalzusammensetzung
abhängig ist!), ist Rodbertus und Marx gemeinsam. Daß Rodbertus
keine historischen Variationen zuläßt, unterscheidet ihn von Marx,
und daß bei Rodbertus eine historische Variation in der Kapitals-
zusammensetzung nicht anders denkbar ist als eine Veränderung der
Materialwerte, darin liegt eine’weitere Differenz zwischen Rodbertus
und Marx, bei dem die Veränderung aller Bestandteile der Kapitalien
zur historischen Variation ihrer organischen Zusammensetzung bei-
trägt.
2) Die allgemeine Profitrate und die allgemeine Grundrente bei
Rodbertus:
Bei der Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Grundrente
und Materialwert war immer vorausgesetzt, daß die allgemeine Profit-
rate sich nach der industriellen Profitrate richte. Umgekehrt wie
Ricardo, der die allgemeine Profitrate von der landwirtschaftlichen
Profitrate reguliert sein läßt, setzt Rodbertus die allgemeine Profit-
rate der industriellen gleich. Diese Gleichsetzung, diese Verall-
gemeinerung der industriellen Profite ermöglicht ihm erst seine
ganze Grundrentenberechnung, der sie den Rechnungsmodus liefert.
Diese Verallgemeinerung ist zwar eine Notwendigkeit im Rod-
bertusschen System, aber nicht der Sache.
Wenn Rodbertus die Grundrente scharf gegen den Profit ab-
grenzen will, so muß er einen Teilungsmaßstab anwenden, der un-
abhängig vom Grundeigentümer ist, sonst würde dieser zum Re-
gulator für die Ausgleichung der Profite, die Grundrente begrenzte
den Profit, das Grundeigentum das Kapital.
Geht man aber davon aus, daß das Kapital gegenüber dem Grund-
eigentum zwar historisch sekundären, aber doch theoretisch primären
Charakter besitzt, weil das Kapital die ihm entsprechende Grund-
eigentumsform sich anzupassen strebt, d. h. geht man von der Herr-
schaft des Kapitals in allen Produktionszweigen aus, dann ist es
unmöglich die Grundrente als Grenze des Profits aufzufassen.
Rodbertus begrenzt denn auch die Grundrente umgekehrt durch
den Profit. Er geht vom Satze der Gewinnausgleichung durch die
Konkurrenz aus. Diese Ausgleichung muß in Einklang mit der Wert-
1) S. auch Bortkiewiez, Archiv für die Gesch. d. Soz., 1. Jahrg. 1911. S. 419.
602 Philipp Spitz,
bestimmung gebracht werden, was Ricardo, Rodbertus und Marx
jeder in seiner Weise getan haben.
Ricardo setzt die allgemeine Profitrate der landwirtschaftlichen,
Rodbertus der industriellen Profitrate, Marx einer idealen, d. h. nicht
zu konkreter Wirklichkeit gelangenden Durchschnittsprofitrate gleich.
Ricardo mußte zur Ablehnung der allgemeinen Grundrente ge-
langen, weil er den Reinertrag auf dem schlechtesten Boden zugrunde
legte. Rodbertus ließ den Grundeigentümer einen Abzug an diesem
Reinertrag machen. Er muß also Ricardos allgemeine Profitrate ab-
lehnen und muß sich fragen: wie weit erstreckt sich die Grundrente
innerhalb der „Rente“? Er sucht also nach einem festen Abzugsmodus
und findet ihn in der Regulierung der allgemeinen Profitrate durch die
industrielle Profitrate. Die Grundrente findet ihre Grenze in der
industriellen Profitrate, die dem Landwirt als Berechnungsgrundlage
dient. Die Grundrente Rodbertus’ rührt also aus der Differenz zwischen
landwirtschaftlicher und industrieller Profitrate her. Sie ist nicht
tatsächlicher Ueberprofit, sondern bloß berechneter Ueberprofit,
sie ist nicht Resultat der Produktion, sondern Ergebnis der Buch-
führung des Landwirts. Die Rodbertussche Grundrente ist nur mög-
lich, weil sich der Rodbertussche Landwirt einen Marxschen „Pro-
duktionspreis“ berechnet, der wegen des fehlenden Materialwertes
absolut kleiner ist als der Wert. Nach unserem ersten Schema beträgt
der „Produktionspreis“ 240, nämlich 100 Maschinerie + 100 Lohn
+ 20°, von 200 Gesamtkapital. Daran änderte auch nichts das
Eingehen eines Materialwertes unter 50. Erst wenn der Landwirt
so viel Materialwert sich berechnete wie der Industrielle, nämlich 50,
dann fielen Produktionspreis und Wert zusammen, weil die Profit-
raten zusammenfielen. Solange aber der Materialwert in der Land-
wirtschaft fehlt oder kleiner ist als der industrielle Materialwert
(auf gleiche Kapitalien bezogen), so lange existiert in der Landwirt-
schaft ein „Produktionspreis“ unter dem Werte. Die Grundrente ist
dann gleich der Differenz zwischen Wert und diesem Produktionspreis.
Vom fehlenden Materialwert abgesehen, hat Rodbertus den Grund-
gedanken der Marxschen Rententheorie antizipiert. Marx selbst hebt
nach Abstreifung spezifisch Rodbertusscher Anhängsel „als Kern“
der Rodbertusschen Grundrententheorie hervor: „Wenn die Roh-
produkte zu ihren Werten verkauft werden, steht ihr Wert über den
Produktionspreisen der anderen Waren oder über ihrem eignen Pro-
duktionspreis, das heißt, ist größer als die Produktionskosten plus
dem Durchschnittsprofit, läßt also einen Ueberprofit, der die Grund-
rente bildet.... Damit wäre also in einem besonderen Industriezweig
das allgemeine von mir entwickelte Gesetz ausgesprochen“ !).
Dieses von Marx entwickelte allgemeine Gesetz besagt, daß die
Waren in der Regel nicht zum Werte, sondern zum Produktions-
preise verkauft werden. Wie er dies entwickelt hat, darüber soll
noch gesprochen werden. Hier ist vorerst auf die Konsequenz dieses
1) Th. II, 258.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marz. 603
Gesetzes hinzuweisen. Nach Marx werden die Bodenprodukte in der
Regel unter ihrem Werte zum Produktionspreise verkauft, die ab-
solute Grundrente bewirkt eine Abweichung von dieser Regel, nämlich
den Verkauf zum Werte. Rein äußerlich sagen Marx und Rodbertus
dasselbe. Werden die Bodenprodukte unter dem Werte zum „Pro-
duktionspreise“ verkauft, so ist Grundrente unmöglich. Rodbertus
sagt dies mit folgenden Worten: „Wenn der Wert des Rohprodukts
unter die Kostenarbeit fällt, ist es möglich, daß auch in der Land-
wirtschaft der ganze auf das Rohprodukt fallende Rententeil von
der Kapitalgewinnberechnung absorbiert wird, denn dann ist es mög-
lich, daß dieser Rententeil so verringert wird, daß dadurch zwischen
ihm und dem landwirtschaftlichen Kapital, obwohl darin ein Material-
wert fehlt, doch ein gleiches Verhältnis erzeugt wird, wie es zwischen
dem auf das Fabrikationsprodukt fallenden Rententeil und dem
Fabrikationskapital besteht, obwohl in diesem letzteren ein Material-
wert enthalten ist; nur dann ist es also möglich, daß auch in der
Landwirtschaft keine Rente außer Kapitalgewinn übrig bleibt“ !).
Nicht mit Worten, aber der Sache nach sagt hier Rodbertus, daß
die Grundrente kleiner wird, wenn die Bodenprodukte unter dem
Werte verkauft werden, daß sie verschwindet, wenn der Preis so
weit unter den Arbeitswert sinkt, daß die ganze „Rente“ von der
„Gewinnberechnung“ absorbiert wird.
Das Schema hierzu ist folgendes:
I. Agrikultur Material- 1. hinerie Lohn „Rente“ Wert Preis Grund- Profitrate
wert rente
a)i o 100 100 50 250 250 10 25 Proz.
b) o 100 100 50 250 240 o 20 w
II. Industrie 5o 100 100 50 300 300 o 2 ,
In diesem Schema ist nun von Rodbertus Voraussetzung ab-
gewichen, daß die Produkte zum Werte verkauft werden. Werden
sie nicht zum Werte verkauft, dann muß eben nach Rodbertus auf
Basis des fehlenden Materialwertes und der verallgemeinerten in-
dustriellen Profitrate die Grundrente beeinträchtigt werden. Rodbertus’
Grundsatz wird dadurch nur nochmals, nur negativ ausgesprochen.
Es ist aber hinzuzufügen, daß zur Existenz der Rodbertusschen
Grundrente der Verkauf der Bodenprodukte zum Werte nicht not-
wendig ist. Es genügt bereits der Verkauf über dem Rodbertusschen
„Produktionspreise* 240, um die Grundrente wirklich zu machen.
Die Aufmerksamkeit konzentriert sich jetzt auf den „Produk-
tionspreis“. Es war ohne weiteres einleuchtend, daß das Einsetzen
eines landwirtschaftlichen Materialwertes in obiges Schema nur quan-
titative Bedeutung besitzt. Es läßt sich leicht berechnen, daß z. B.
bei einem solchen Materialwerte von 25 der „Produktionspreis“ be-
trüge: 270 — 25 Materialwert + 100 Maschinerie + 100 Lohn + 20
Proz. von 225 = 45. Die Grundrente betrüge demnach bloß 5, und
der Preis braucht bloß um 5 statt wie früher um 10 unter den Wert
zu fallen, wenn die Grundrente verschwinden oder unmöglich sein
1) 3. soz, Brief 113.
604 Philipp Spitz,
soll. Auf den fehlenden Materialwert kommt es also nicht grund-
sätzlich an, wohl aber auf das Zustandekommen, die Berechnungs-
weise desjenigen Preises unter dem Wert, den wir aus Zweckmäßig-
keitsgründen mit dem Marxschen Terminus „Produktionspreis* be-
legten. Den „Produktionspreisen“ bei Rodbertus und Marx ist in
bezug auf die Grundrente gemeinsam, daß, wenn Preis und „Produk-
tionspreis“ zusammenfallen, die Grundrente unmöglich wird.
Unter Produktionspreis wollen wir verstehen Wert der Arbeits-
kraft und der verbrauchten Produktionsmittel plus allgemeiner Profit,
der vermittels einer allgemeinen Profitrate berechnet wird. Diese
Bedeutung ist so lange formal, als nicht gesagt wird, was unter der all-
gemeinen Profitrate zu verstehen ist. Die Prüfung der Rodbertusschen
Grundrente macht also eine solche seiner allgemeinen Profitrate,
seines Berechnungsmodus notwendig. Weil er die allgemeine Profit-
rate identifiziert mit der industriellen Profitrate, so ergibt sich die
Frage an Rodbertus: Ist die industrielle Profitrate als allgemeine
Profitrate auf dem Boden seiner Werttheorie möglich und durch-
führbar ?
Diese Beziehung zwischen Grundrente und allgemeiner Profit-
rate ist denn auch von den Kritikern Rodbertus von Marx bis
Bortkiewicz hervorgehoben worden. Bortkiewicz kommt zum Re-
sultate, „daß das Operieren mit dem ursprünglichen Wertgesetz unter
Nichtbeachtung des Gesetzes der Gleichmäßigkeit der Kapitalgewinne
die Achillesferse der Rodbertusschen Grundrententheorie ist und dab
es sich, sobald man diesen ihren wundesten Punkt erkannt hat, kaum
noch verlohnt, ihre sonstigen Lücken und Schwächen einer eingehen-
den Betrachtung zu unterziehen“ !). Der hierin steckende richtige
Gedanke ist ungenau zum Ausdruck gebracht. Wenn die „Gleichmäßig-
keit der Kapitalgewinne“ als Resultat einer Ausgleichung verschieden
großer Profite durch die Konkurrenz aufgefaßt wird, dann ist
es notwendig, zu sagen, welche besondere Art von Gewinnausgleichung
man im Auge hat. Denn auch Rodbertus kann von der „Gleich-
mäßigkeit der Kapitalgewinne“ reden, nur würde er hinzufügen können,
daß nach ihm die industrielle Profitrate das Ausgleichungsniveau
abgibt, daß also die Industrie die allgemeine Profitrate normiert.
Vom Standpunkte eines Gesetzes der Gleichmäßigkeit der Gewinne
kann dann nur von einer Achillesferse der Rodbertusschen Grund-
rententheorie gesprochen werden, wenn man sich das Zustande-
kommen dieser Gleichmäßigkeit der Gewinne in anderer Weise denkt,
als dies Rodbertus getan hat.
Wenn also Bortkiewicz vom „Gesetz der Gleichmäßigkeit der
Kapitalgewinne“ spricht, so ist die Unbestimmtheit dieses Ausdrucks
geeignet, Mißverständnisse und Zweideutigkeiten hervorzurufen, weil
die Gewinne immer gleichmäßig sind, mögen sie nun durch die Kon-
kurrenz wie bei Ricardo auf die landwirtschaftliche Profitrate, wie
bei Rodbertus auf die industrielle Profitrate reduziert oder wie bei
1) Archiv für die Geschichte d. Sozialismus, 1. Jahrg., 1911, S. 537.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 605
Marx auf eine in der konkreten Wirklichkeit mehr oder minder er-
reichte ideale Durchschnittsprofitrate ausgeglichen werden. Bort-
kiewicz hätte also nicht von dem Gesetz, sondern von einem be-
stimmten Gesetz der Gleichmäßigkeit der Kapitalgewinne sprechen
müssen. Sein Wort von der Achillesferse der Rodbertusschen Grund-
rententheorie ist nur verständlich vom Standpunkte einer allgemeinen
Profitrate, die mit einer Durchschnittsprofitrate identisch ist. Diese
Achillesferse hat schon Marx von seiner Durchschnittsprofitrate aus
erspäht. Er sagt ganz im Sinne Bortkiewiczs: Da Rodbertus schon
die Profitrate unterstellt, was er „Kapitalgewinnsatz“ benennt, ist
die Voraussetzung falsch, daß sich die Waren im Verhältnis ihrer
Werte verkaufen“). Es ist in der Tat unmöglich, daß die Produkte
zum Arbeitswerte verkauft werden und daß auf gleiche Kapitalien
gleiche Profite gemäß einer Durchschnittsprofitrate entfallen, weil
der Verkauf zum Werte notwendig ungleiche Profitraten und um-
gekehrt die Durchschnittsprofitrate den regelmäßigen Verkauf gerade
nicht zum Werte, sondern über oder unter dem Werte bedingt, wie
das bei Marx auch der Fall ist. Marxens soeben zitierter Satz ist
aber auch nur dann verständlich, wenn man unter dem Rodbertusschen
Kapitalgewinnsatz eine Durchschnittsprofitrate im Marxschen Sinne
versteht. Aber Rodbertus hat eben keine Durchschnittsprofitrate.
Gerade deshalb steht der Verkauf zum Werte bei ihm nicht im Wider-
spruch zur „Gleichmäßigkeit der Kapitalgewinne“ oder zum „voraus-
gesetzten Kapitalgewinnsatz“. Zwischen der allgemeinen Profitrate
und der Werttheorie Rodbertus’ besteht kein Widerspruch. Es ist
also verfehlt, die Achillesferse der Rodbertusschen Grundrententheorie
in die Beziehung zwischen der Rodbertusschen allgemeinen Profit-
rate (gleich industrielle Profitrate) und seiner Wertlehre zu verlegen,
sondern sie liegt einseitig in der allgemeinen Profitrate.
Es läßt sich leicht zeigen, daß Rodbertus’ Ansicht von der all-
gemeinen Profitrate sich nur durchführen ließ vermittels des absolut
fehlenden landwirtschaftlichen Materialwertes. Zwischen dem fehlen-
den Materialwert und der allgemeinen Profitrate Rodbertus’ besteht
ein logisch notwendiger Zusammenhang, der ebenso sehr zwischen
ihm und der Rodbertusschen Grundrente fehlt.
Stellen wir nur folgende Betrachtung an. Wir lassen Rodbertus
entgegen den Materialwert in die Landwirtschaft eingehen und stellen
dann folgendes Schema auf:
I. Agrikultur Materialwert Maschinerie Lohn Mehrwert Profitrate
a) 50 100 100 50 20 Proz.
b) 75 100 100 50 rund 18 Proz.
JI. Industrie 50 100 100 50 20 Proz.
Wir sahen früher, daß, wenn die Materialwerte gleich sind (50)
auch nach Rodbertus die individuellen Profitraten gleich sind (20 Proz.)
Grundrente ist deswegen unmöglich. Schon jetzt ist es nicht ohne
weiteres ersichtlich, ob die allgemeine Profitrate von 20 Proz. von
1) Th. II, 220.
606 Philipp Spitz,
der landwirtschaftlichen oder von der industriellen Profitrate be-
stimmt ist. Ist aber die Landwirtschaft so entwickelt, daß in ihr
ein Kapital mehr Materialwert (75) aufsaugt als ein gleiches
Kapital in der Industrie, dann hebt sich die Rodbertussche Identi-
fikation der allgemeinen Profitrate mit der industriellen Profitrate
von selbst auf. Die Konkurrenz kettet nun die allgemeine Profitrate
an die landwirtschaftliche Profitrate, und wir haben Ricardos Lehre
von der allgemeinen Profitrate vor uns. Daß Ricardo die industrielle
Profitrate vernachlässigt oder stillschweigend auf die landwirtschaft-
liche Profitrate reduziert sein läßt, unterscheidet ihn von der zu
Ende gedachten Rodbertusschen Lehre, die in obigem Schema im
Falle b zu einem industriellen Ueberprofit gelangen muß. Die Grund-
rente Rodbertus’ muß verschwinden, und im nächsten Augenblick muß
die Regulierung der allgemeinen Profitrate durch die industrielle
Profitrate in ihr gerades Gegenteilumschlagen, sobald man den Material-
wert überhaupt in die Landwirtschaft einläßt. Rodbertus’ Lehre vom
Profit hebt sich dann, zu Ende gedacht von selbst auf. Damit dies
nicht eintreten kann, läßt Rodbertus den Materialwert in der Land-
wirtschaft absolut fehlen.:
Der Materialwert muß in der Landwirtschaft absolut fehlen,
wenn die allgemeine Profitrate immer durch die industrielle Profit-
rate reguliert sein soll und wenn Grundrente immer existieren soll.
Fehlt er nicht absolut, dann wird die allgemeine Profitrate so lange
durch die industrielle Profitrate reguliert und existiert zugleich
Grundrente, solange als der landwirtschaftliche Materialwert kleiner
ist als der industrielle. Sobald beide gleich groß oder der erstere
größer ist als der zweite, findet der Umschlag statt: die allgemeine
Profitrate wird durch die landwirtschaftliche reguliert, und an die
Stelle der Grundrente tritt ein Ueberprofit in der Industrie. Industrie
und Landwirtschaft vertauschen ihre Rollen.
#% Der absolut fehlende Materialwert verbürgt die Dauerhaftigkeit
der Rodbertusschen allgemeinen Profitrate und der Grundrente; der
relativ gegenüber dem industriellen Materialwert fehlende landwirt-
schaftliche Materialwert berührt lediglich diese Dauerhaftigkeit. Er
berührt nicht die Existenz der Grundrente direkt, sondern indirekt
über die allgemeine industrielle Profitrate als Mittelglied. Es ist
dieses damit gemeint: Rodbertus’ Grundrente existiert, weil und
solange die allgemeine Profitrate von der industriellen Profitrate
reguliert ist. Sie existiert also nur, solange als, aber nicht weil der
landwirtschaftliche Materialwert absolut fehlt oder relativ kleiner ist als
der industrielle Materialwert. Im Materialwert liegt nur der Grund
ihrer Zeitdauer und Größe. Der Grund ihrer Existenzmöglichkeit
dagegen liegt in der allgemeinen Profitrate, der Grund ihrer Wirk-
lichkeit im „Grundeigentumsprinzip“, wenn die Möglichkeit ge-
geben ist.
Durch diese Betrachtung ist jetzt eine wohl klare Position zur
kritischen Stellungnahme geschaffen.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 607
Was eigentlich zu kritisieren ist, ist nicht die Bedingung der
Zeitdauer der Grundrente, der fehlende Materialwert, sondern die
Bedingung ihrer Existenz, und das ist die Regulierung der allgemeinen
Profitrate durch die industrielle.
Die Rodbertussche allgemeine Profitrate basiert aber auf dem
Satze, daß mit den gleichen „Unternehmungsfonds“ (100 Maschinerie
und 100 Lohn) gleiche Profite produziert (50) werden. Dieser Satz
widerspricht aber der Tatsache, daß mit gleichen Kapitalien ungleiche
Profite produziert werden. Und weil dieses die Regel ist, bedeutet
Rodbertus’ Ausgangspunkt, daß 200 Kapital sowohl in der Landwirt-
schaft als auch in der Industrie die gleiche „Rente“ von 50 ab-
werfen, die Verallgemeinerung eines Zufalls. Entzieht man der Rod-
bertusschen Profittheorie und der auf ihr aufgebauten Grundrenten-
theorie diese Grundlage, dann stürzt das ganze gekünstelte Ge-
dankengebäude zusammen, und die Trümmer begraben die Rechnung
des Landwirts, in welcher der Materialwert fehlt. Ein einziger
Pfeiler bleibt auf dem Boden der Arbeitswerttheorie stehen: der
Gedanke, daß die Grundrente von der Zusammensetzung des Kapitals
abhängig ist. Es ist dies ein ursprünglicherer Ausdruck für die Ab-
hängigkeit der Grundrente von einem Produktionspreise, der vermittels
einer irgendwie gearteten allgemeinen Profitrate berechnet ist. Diesen
Gedanken hat Rodbertus lediglich ausgesprochen, Marx hat ihn aus
dem Wertbegriff entwickelt. Zu dieser Entwicklung wollen wir jetzt
übergehen, indem wir den Marxschen Gedankenbau auf den Trümmern
des Rodbertusschen mit Hilfe des stehengebliebenen Pfeilers errichten.
b) Die Bodenprodukte werden zum Werte verkauft, weil der
Grundeigentümer eine Grundrente zieht. (Die Grundrente als Auf-
schlag auf den Produktionspreis bei Marx.)
Marx zeigt selbst den Punkt auf, an dem einzusetzen ist, wenn
man von Rodbertus zu seiner Lehre hinüberleiten will. Im Anschluß
an ein Zitat, in dem Rodbertus die Grundrente kleiner werden und
verschwinden läßt, wenn die Bodenprodukte unter ihrem Werte über
oder zu ldem „Produktionspreis“ aus 100 Lohn + 100 Maschinerie
+ 40 allgemeinem Profit verkauft werden, sagt Marx: „Der Umstand,
daß das Rohprodukt ‚unter die Kostenarbeit‘!) fällt, wäre durchaus
nur entsprechend dem Gesetz der Produktionspreise. Es ist viel-
mehr zu erklären, warum dieses ‚ausnahmsweise‘ in der Agrikultur
zum Teile nicht der Fall ist, und warum hier der gesamte Mehrwert
oder wenigstens mehr davon als in den andren Industriezweigen, ein
Ueberschuß über die Durchschnittsprofitrate, im Preise des Produkts
dieses besonderen Produktionszweiges belassen wird, statt verrechnet
zu werden in der Bildung der allgemeinen Profitrate Hier sieht
man, daß Rodbertus nicht weiß, was allgemeine Profitrate und Pro-
duktionspreis ist“ 1).
Er selbst hat hierin bereits ganz deutlich den entscheidenden
Differenzpunkt zwischen Marx und Rodbertus hervorgehoben, der
1) Th. II, 228.
608 Philipp Spitz,
sich noch deutlicher herausstellen wird, wenn wir Marx sich aus
Rodbertus entwickeln lassen.
Wir setzen in das Rodbertussche Schema die Tatsache ein, daß
mit gleich großen „Unternehmungsfonds“ (Lohn und Maschinerie)
ungleich große Profite produziert werden.
I. Agrikultur Materialwert Maschinerie Lohn Mehrwert Profitrate
a) 50 100 100 62,5 25 Proz.
b) 50 100 100 50 20 „
II. Industrie: ||
a) 50 100 100 so 20 Proz.
b) 50 100 100 37,5 IS. u
Die Kapitalzusammensetzung sei überall die gleiche. Die Material-
werte hätten in bezug auf den Mehrwert auch verschieden sein
können, weil nach Rodbertus nur Lohn plus Maschinerie einen Ein-
fluß auf die Bildung des Mehrwertes besitzen. Wir setzen sie gleich,
um die bloß quantitative Wirkung ihrer Differenz auf die Berechnung
: Mehrwert :
der Profitraten (en ME E) auszuschalten. Wir stellen
uns im Schema ferner vorläufig auf den Standpunkt Rodbertus’, daß
nur Maschinerie und Lohn den Mehrwert beeinflussen, verlassen da-
gegen seinen anderen Standpunkt, daß gleiche Unternehmungsfonds
gleiche Mehrwerte („Renten“) bedingen, indem wir in je zwei land-
wirtschaftlichen und industriellen Produktionszweigen verschiedene
Mehrwerte (62,5, 50, 37,5) mit den gleichen Unternehmungsfonds aus
100 Maschinerie und 100 Lohn produziert sein lassen. Die bloße
Einfügung der Tatsache der ungleichen Mehrwerte bei gleichen
„Unternehmungsfonds“ hebt Rodbertus’ allgemeine Profitrate (gleich
industrieller Profitrate) auf. Denn bei ungleichen Mehrwerten, d. h.
bei verschieden großen Profitraten, deren Differenz nicht, wie
bei Rodbertus, auf ungleiche Materialwerte zurückgeführt werden
kann, weil diese gleich gesetzt sind, ist eine allgemeine Profit-
rate nur denkbar als Durchschnittsprofitrate, auf deren Niveau die
Konkurrenz die ungleichen individuellen Profitraten ausgleicht. Da-
bei bleibt vorläufig dahingestellt, woraus diese Ungleichheit selbst
zu erklären ist. Der Erklärungsgrund Marxens für diese Ungleich-
heit der Profitrate soll ja gerade von Rodbertus ausgehend ge-
sucht werden.
Es bleibt ferner vorausgesetzt, daß diese Ungleichheit gerade so
gestaltet ist, daß die landwirtschaftliche Profitrate (um 5 Proz.)
größer, die industrielle Profitrate (um 5 Proz.) kleiner ist als die
Durchschnittsprofitrate. Es ist mit anderen Worten zunächst einfach
vorausgesetzt, daß der Produktionspreis in der Agrikultur (I a, b)
und in der Industrie (ILa, b) gleich 300 ist (250 Kapital + 50
Durchschnittsprofit). Die Konkurrenz überträgt also der Voraus-
setzung nach den Ueberprofit in Ia auf IIb, wo der Wert kleiner
ist als der Produktionspreis, weil der Mehrwert um 12,5 kleiner ist
als der Durchschnittsprofit.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 609
Die in das Rodbertussche Schema eingesetzte Ungleichheit der
Profite auf gleiche Kapitalien führt notwendig zur Aufhebung der
Rodbertusschen Voraussetzung, daß die Produkte zum Werte ver-
kauft werden. Vielmehr werden jetzt alle Produkte zum Produktions-
preise verkauft, was schon aus der Durchschnittsprofitrate folgt. Der
Verkauf zum Werte tritt zufällig ein, wo Wert und Produktionspreis
zusammenfallen.
Rein äußerlich betrachtet, hat die Rodbertussche Grundrenten-
theorie durch das Hereinbringen der Durchschnittsprofitrate die Ge-
stalt der Marxschen Theorie von der absoluten Grundrente an-
genommen, die ja auf Marxens Lehre von der Durchschnittprofitrate
fundiert ist.
Aus Zweckmäßigkeitsgründen zeigen wir im folgenden, in welcher
Beziehung die allgemeine Grundrente zu dem Produktionspreis steht,
der einfach als fertige Größe vorausgesetzt ist. Der Weg führt uns
also von der „absoluten Grundrente“ zum Produktionspreis und von
diesem nach seiner Aufhebung als Voraussetzung zum Werte. Die
folgende Darlegung der Grundrente Marxens gleicht somit einer
Rechnung mit dem Produktionspreis als der unbekannten Größe,
die erst durch Auflösung der Formel bekannt gemacht werden soll.
Diese Art der Darlegung hat darum etwas für sich, weil sie uns in
die Zitadelle des Marxschen Systems, in die Wertlehre, führt. Hier
angelangt, gewinnen wir dann den Standpunkt einer allgemeinen
Uebersicht über die Beziehungen zwischen dem zentralen Wertproblem
und dem speziellen Verteilungsproblem der Grundrente.
Aus der Differenz zwischen Produktionspreis und Wert (312)
allein würde zunächst für die Grundrente nichts folgen. Marx sagt:
„Die bloße Tatsache eines Ueberschusses des Werts der Agrikultur-
produkte über ihren Produktionspreis würde jedoch für sich allein
in keiner Weise hinreichen, das Dasein einer, von der Differenz in
der Fruchtbarkeit der Bodenarten oder sukzessiver Kapitalanlagen
auf demselben Boden unabhängigen Grundrente zu erklären, kurz
einer von der Differentialrente begrifflich unterschiedenen Rente,
die wir daher als absolute Rente bezeichnen können“ !). Marx be-
gründet dies folgendermaßen: „Eine ganze Anzahl Manufakturprodukte
besitzen die Eigenschaft, daß ihr Wert über ihrem Produktionspreis
steht, ohne daß sie deshalb einen Ueberschuß über den Durchschnitts-
profit oder einen Surplusprofit abwärfen, der sich in Rente ver-
wandeln könnte. Umgekehrt. Dasein und Begriff des Produktions-
preises und der allgemeinen Profitrate, die er einschließt, beruhen
darauf, daß die einzelnen Waren nicht zu ihrem Werte verkauft
werden. Die Produktionspreise entspringen aus einer Ausgleichnng
der Warenwerte, die, nach Rückerstattung der respektiven, in den
verschiedenen Produktionssphären aufgezehrten Kapitalwerte, den
gesamten Mehrwert verteilt, nicht im Verhältnis, worin er in den ein-
zelnen Produktionssphären erzeugt ist, und daher in ihren Produkten
1) K. III, 293.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 39
610 Philipp Spitz,
steckt, sondern im Verhältnis zur Größe der vorgeschossenen Kapitale.
Nur so entspringt ein Durchschnittsprofit und der Produktionspreis
der Waren, dessen charakteristisches Element er ist.
„Es ist die stete Tendenz der Kapitale, durch die Konkurrenz
diese Ausgleichung in der Verteilung des vom Gesamtkapital er-
zeugten Mehrwerts zu bewirken, und alle Hindernisse dieser Aus-
gleichung zu überwältigen..... Es ist dabei vorausgesetzt, daß keine,
oder doch nur eine zufällige und temporäre Schranke die Konkurrenz
der Kapitale verhindert, z. B. in einer Produktionssphäre, wo der
Wert der Waren über ihrem Produktionspreis steht, oder wo der
erzeugte Mehrwert über dem Durchschnittsprofit steht, den Wert
auf den Produktionspreis zu reduzieren und damit den überschüssigen
Mehrwert dieser Produktionssphäre unter alle vom Kapital ex-
ploitierten Sphären proportionell zu verteilen“ !).
Findet also kein Hindernis in der Ausgleichung statt, so existiert
zwar der agrare Ueberprofit, nimmt aber die Form des Durchschnitts-
profits an, in dessen Bildung er eingeht. Grundrente, die nicht
Differentialrente ist, ist dann unmöglich. Im Produktionspreis als
solchem ist grundsätzlich keine Grundrente enthalten. Marx fährt
aber fort: „Tritt aber das Gegenteil ein, stößt das Kapital auf eine
fremde Macht, die es nur teilweise oder gar nicht überwinden kanı,
und die seine Anlage in besonderen Produktionssphären beschränkt,
sie nur unter Bedingungen zuläßt, welche jene allgemeine Aus-
gleichung des Mehrwerts zum Durchschnittsprofit ganz oder teil-
weise ausschließen, so würde offenbar in solchen Produktionssphären
durch den Ueberschuß des Warenwerts über ihren Produktionspreis
ein Surplusprofit entspringen, der in Rente verwandelt und als solche
dem Profit gegenüber verselbständigt werden könnte. Als eine solche
fremde Macht und Schranke tritt aber das Grundeigentum dem Ka-
pital bei seinen Anlagen in Grund und Boden, oder der Grundeigen-
tümer dem Kapitalisten gegenüber. Das Grundeigentum ist hier die
Barriere, die keine neue Kapitalanlage auf bisher unbebautem oder
unverpachtetem Boden erlaubt, ohne Zoll zu erheben, d. h. ohne
eine Rente zu verlangen“?). „Das Wesen der absoluten Rente be-
steht also darin: gleichgroße Kapitale in verschiedenen Produktions-
sphären produzieren ... (aus hier noch zu erörternden Gründen) ...
verschiedene Massen von Mehrwert. In der Industrie gleichen sich
diese verschiedenen Massen von Mehrwert zum Durchschnittsprotit
aus und verteilen sich auf die einzelnen Kapitale gleichmäßig als
auf aliquote Teile des Gesellschaftskapitals. Das Grundeigentum,
sobald die Produktion Grund und Boden braucht, sei es zur Agri-
kultur, sei es zur Extraktion von Rohstoffen, hindert diese Aus-
gleichung für die im Boden angelegten Kapitale, und fängt einen Teil
des Mehrwerts ab, der sonst in die Ausgleichung zur allgemeinen
Profitrate eingehen würde. Die Rente bildet dann einen Teil des
1) K. III, 293/294.
2) K. III, 294/295.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 611
Werts, spezieller des Mehrwerts der Waren, der nur statt der Ka-
pitalistenklasse, die ihn aus den Arbeitern extrahiert hat, den Grund-
eigentümern zufällt, die ihn aus den Kapitalisten extrahieren“ !).
Würde demnach einmal der geschichtliche Zustand eintreten,
daß gleiche Kapitalien unter gleichen Bedingungen gleiche Mehr-
werte produzieren, so wäre absolute Grundrente unmöglich, weil kein
allgemeiner Ueberprofit möglich wäre.
Dieser Ueberschuß des Wertes der Bodenprodukte über ihren
Produktionspreis, oder, was dasselbe ist, der Ueberschuß des agri-
kolen Mehrwerts über den Durchschnittsprofit, gibt überhaupt erst
die Möglichkeit der „absoluten Grundrente“ ab. Aber „die Mög-
lichkeit schafft nicht die Rente. Dies tut erst der Zwang, der aus
der Möglichkeit eine Wirklichkeit macht“?). Denn „daß dieser
Ueberschuß für das Produkt des Bergwerks oder des Bodens be-
zahlt und so absolute Rente gebildet wird, ist die Folge nicht dieses
Ueberschusses, der ja für eine ganze Reihe von Produktionszweigen
existiert, wo er jedoch in den Preis der Produkte nicht eingeht,
sondern ist die Wirkung des Grundeigentums“ ®). Während also
der Ueberschuß des Wertes über den Produktionspreis überhaupt
erst die Möglichkeit der absoluten Grundrente abgibt, ist es das
Grundeigentum, das diese Möglichkeit zur Wirklichkeit macht.
Diese Ansicht Marx’ nimmt nach seinen eigenen Worten mit der
Theorie des Monopols an, daß das Grundeigentum als solches mit
der Rente zu tun hat; sie nimmt mit Ricardo die Differentialrente an
und sie nimmt endlich an, daß durch die absolute Rente durchaus
kein Bruch im Gesetz des Wertes vor sich geht.
Danach ist also das typische Merkmal der Theorie von der ab-
soluten Grundrente dieses, daß die auf den agraren Ueberprofit ge-
richtete Aktivität des Grundeigentums durchaus in den Rahmen des
Wertgesetzes fällt, und zwar so, daß der Verkauf zum Werte erst
Folge der absoluten Grundrente ist, daß also „nicht die Verteuerung
des Produkts Ursache der Rente, sondern die Rente Ursache der
Verteuerung des Produkts ist“*). Kurz gesagt, der Wert wird zum
Monopolpreis durch das Grundeigentum, was in folgenden Worten
Marx’ zu konstatieren ist: „Als bloßer Ausfluß des Grundeigentums
ist die Rente Monopolpreis, da es nur durch die Intervention des
Grundeigentums geschieht, daß das Produkt mehr als den Pro-
duktionspreis zahlt, sich zu seinem Werte verkauft. Es ist in der
Tat ein Preis, der durch das Monopol des Grundeigentums er-
zwungen wird und darin als Monopolpreis sich vom Preise des
industriellen Produkts unterscheidetd5). Der Monopolpreis gleich
Wert unterscheidet sich also seiner Entstehung nach gar nicht vom
Monopolpreis, der über dem Werte steht und den wir früher bereits
1) K. III, 305.
2) K. II, 325.
3) Th. II, 105.
4) K. III, 296.
5) Th. II, 125.
39*
612 Philipp Spitz,
behandelt haben. Beide sind die Folge des Grundeigentums. Aber die
absolute Grundrente ist Differenz zwischen Wert und Produktions-
preis, die eigentliche Monopolrente Differenz zwischen Monopol-
preis und Wert. Die Wertgröße ist die Grenzscheide zwischen
beiden. Vom gesellschaftlichen Gesamtwert aus betrachtet, besteht
allerdings kein Unterschied, denn immer ist die Grundrente irgendwo
produzierter Wert. Der Unterschied kommt erst herein durch die
besondere Art und Weise der Realisierung des Wertes. Hierbei
spricht der Grundeigentümer mit. Die Preisform ist das Mittel der
Realisierung der stets gegebenen Wertgröße. Es kommt also für
den Grundeigentümer darauf an, die Preisgröße zu beeinflussen.
Ob und in welchem Maße er dies tut, hängt von den „Marktverhält-
nissen“ ab. Marx sagt: „Obgleich das Grundeigentum den Preis
der Bodenprodukte über ihren Produktionspreis hinaustreiben kann,
hängt es nicht von ihm, sondern von der allgemeinen Marktlage ab,
wie weit der Marktpreis über den Produktionspreis hinaus sich dem
Werte annähert und in welchem Maß also der über den gegebenen
Durchschnittsprofit hinaus in der Agrikultur erzeugte Mehrwert sich
entweder in Rente verwandelt, oder aber in die allgemeine Aus-
gleichung des Mehrwerts zum Durchschnittsprofit eingeht“ !). Marx
sagt hier mit anderen Worten: „Ob die Rente gleich der ganzen
Differenz zwischen dem Wert und dem Produktionspreis oder nur
gleich einem größeren oder geringeren Teil dieser Differenz, hinge
ganz und gar ab vom Stand der Zufuhr zur Nachfrage und vom
Umfang des in neue Bebauung gezogenen Gebiets“ ?). Das Gleiche
gilt vom Verkaufe über dem Werte, nur daß hier über die in der
Agrikultur produzierte Wertgröße hinausgegangen wird und im
Monopolpreis ein Wertteil realisiert, der in einer anderen Produktions-
sphäre produziert worden ist. Hier wird die Kasse des Gesamt-
kapitalisten, die Durchschnittsprofitrate, nicht nur um die absolute,
sondern auch um die eigentliche Monopolrente geplündert. Der
Unterschied liegt also in der Beziehung des Grundeigentums. In
der absoluten Rente bezieht sich das Grundeigentum auf den kapi-
talistischen Pächter, in der eigentlichen Monopolrente auf die übrigen
Kapitalisten. Diese Beziehung vollzieht sich nach Marx ohne Be-
wußtsein der Beteiligten, aber darum nicht minder tatsächlich.
Aber selbst wenn wir vom Monopolpreis über dem Werte ab-
sehen, „würden die Agrarkulturprodukte immer zu einem Monopol-
preis verkauft, nicht weil ihr Preis über ihrem Wert, sondern weil
er gleich ihrem Wert, oder weil er unter ihrem Wert, aber über
ihrem Produktionspreis stände“, ganz unabhängig davon, ob die ab-
solute Rente „gleich dem ganzen Ueberschuß des Werts über den
Produktionspreis oder nur gleich einem Teil desselben“ ist. „Ihr
Monopol bestände darin, nicht wie andere Industrieprodukte, deren
Wert über dem allgemeinen Produktionspreis steht, zum Produktions-
1) K. III, 297.
2) K. III, 295.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 613
preis nivelliert zu werden“!). Marx sieht die Differentialrente und
die absolute Grundrente als „die einzig normalen“ an?) und wirft
denjenigen, „die die Grundrente aus dem Monopol ableiten“, vor,
daß sie die Monopolrente aus der Differenz zwischen Monopolpreis
und Wert zur einzig normalen Grundrente machen.
Sie irren nach Marx darin, „daß sie glauben, das Monopol be-
fähige den Grundeigentümer, den Preis der Ware über ihren Wert
zu treiben. Es besteht umgekehrt darin, den Wert der Waren über
ihrem Produktionspreis zu halten, nicht die Ware über, sondern
zu ihrem Werte zu verkaufen“®). Marx hat zwar selbst diesen
„Glauben“, aber der Unterschied besteht eben darin, daß die Mono-
polrente aus Monopolpreis minus Wert nicht normal ist‘).
Marx sieht es also selbst als spezielle Leistung seiner Theorie
an, daß durch die absolute Rente „kein Bruch im Wertgesetze“ er-
folgte. Dieser Gedanke macht so sehr das Zentrum seiner Grund-
rententheorie aus, daß es sich nicht verlohnt, auf die letzten Details
ihrer Konkretisierung einzugehen. Ihr Kernsatz besteht eben darin:
die Bodenprodukte werden zum Werte verkauft, weil der Grund-
eigentümer eine Grundrente zieht. Das Verständnis dieses Satzes
würde nun erschwert, wollte man unmittelbar auf das Wertgesetz
zurückgreifen und diese Frage beantworten: Wie ist die absolute
Grundrente als allgemeiner Bestandteil des Wertes möglich? Diese
Frage lautet kürzer: Wie ist der Wert als Monopolpreis
möglich? Die Antwort ist im Marxschen System enthalten. Es
sollen nun von der absoluten Grundrente ausgehend alle die Mittel-
glieder aufgereiht werden, welche die Grundrente mit dem zentralen
Wertbegriff verbinden. Es ergibt sich folgender Gedankengang:
1) Existiert absolute Grundrente, so werden die Bodenprodukte
über dem Produktionspreis unter oder zu dem Werte verkauft.
2) Existiert also keine absolute Grundrente, so werden die Boden-
produkte unter dem Werte zum Produktionspreise verkauft.
3) Der Produktionspreis ist kleiner als der Wert, weil der Mehr-
wert in der Agrikultur größer als der Durchschnittsprofit ist und
der Produktionspreis bloß den Durchschnittsprofit enthält.
4) Es folgen daraus die Fragen: Wie ist es möglich, daß gleich
große Kapitalien in verschiedenen Produktionszweigen verschieden
große Mehrwerte produzieren? Warum ist der landwirtschaftliche
Mehrwert gerade größer als der Durchschnittsprofit und nicht kleiner ?
Diese Frage birgt in sich „die ganze Schwierigkeit in der
Analyse der Rente“, die nach Marx darin besteht, „den Ueberschuß
des agrikolen Profits über den Durchschnittsprofit zu erklären, nicht
den Mehrwert, sondern den dieser Produktionssphäre eigentümlichen
überschüssigen Mehrwert, also auch nicht das „Nettoprodukt“, son-
1) K. II, 296.
2) K. IIL 297.
3) Th. II, 260.
4) Normal, d. h. nicht zufällig. K. III, 182, 333.
614 Philipp Spitz,
dern den Ueberschuß dieses Nettoprodukts über das Nettoprodukt
der anderen Industriezweige“!).
Marx will diese Schwierigkeit lösen mit seiner Lehre von der
organischen Zusammensetzung des Kapitals. Abweichend von Rod-
bertus, der Lohn plus Maschinerie, nicht aber den Materialwert auf
die Größe des Mehrwertes wirken läßt, stellt Marx den Mehrwert
ausschließlich unter den Einfluß des variablen Kapitals, d. h.
des Lohns im Gegensatz zum konstanten Kapital (Materialwert
plus Maschinerie). Die Rodbertussche Formel der Mehrwertrate
m
v + c — Materialwert
Die Rodbertussche Formel der Profitrate war wie bei Marx
. r . ś m
verwandelt sich demnach in die einfachere i
-I nur fielen in der Landwirtschaft wegen des fehlenden Ma-
terialwerts Profitrate und Mehrwerte zusammen
m
(; e= Raar
Diese letztere Identifikation hob sich derart auf, als wir den Material-
wert in die Agrikultur eingehen ließen, daß die landwirtschaftliche
Profitrate PLoS sich genau so von der Mehrweıtrate unterschied
v+c
m ; ' : ;
(ea) wie die entsprechenden industriellen
Raten.
Marx behält die Formel für die Profitrate bei, vereinfacht aber
die Formel der Rodbertusschen Mehrwertrate zu — Das konstante
Kapital wird lediglich reproduziert, das variable Kapital produziert
allein Mehrwert. Bei einer konstanten Mehrwertrate von 100 Proz.
gelangt Marx zu dem bekannten Schema:
I. Industrie 90 c + 10 v + 10 m = 110 (— 10)
II. Durchschnittskapital 80 c + 20 v + 20 m = 120
lII. Agrikultur 70 c + 30 v + 30 m = 130 (+ 10)
Aus diesem Schema geht jetzt hervor, weshalb unter gleichen
Bedingungen gleiche Kapitalien (100) verschiedene große Profite
produzieren. Die Profitraten der einzelnen Produktionszweige ge-
stalten sich deswegen verschieden, weil in der Landwirtschaft mit
einem Kapitale von 100 mehr mehrwertbildendes variables Kapital
angewandt wird, als dies bei einem gleichen Kapitale in der Industrie
der Fall ist.
Die Konkurrenz gleicht nun die verschiedenen Profite zum
Durchschnittsprofit aus, und der agrare Ueberprofit, die Möglichkeit
der absoluten Grundrente ist da.
Nun ist nach Marx die organische Zusammensetzung des Kapitals
ein Indikator für den Entwicklungsstand der Produktivkräfte in
einem bestimmten Produktionszweig. Marx sagt: „Gleichzeitig mit
1) K. III, 316.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 615
der Entwicklung der Produktivkraft entwickelt sich die höhere Zu-
sammensetzung des Kapitals, die relative Abnahme des variablen
Teils gegen den konstanten“ t). Danach wäre also der agrare Ueber-
profit auf eine gegenüber der Industrie relativ geringere Entwick-
Jung der Produktivkräfte zurückzuführen. Damit wäre aber rein
der Möglichkeit nach auch ein Verschwinden des agraren Ueber-
profits in demjenigen Zeitpunkte gegeben, in welchem die organische
Zusammensetzung des landwirtschaftlichen diejenige des industriellen
Kapitals erreicht. Ob diese historische Möglichkeit jemals Wirk-
lichkeit erlangen kann, ist für eine prinzipielle Betrachtungsweise
ohne Bedeutung. Die Möglichkeit eines Verschwindens der absoluten
Grundrente muß zugegeben werden, wenn man die Möglichkeit einer
Entwicklung der agraren Produktivkräfte trotz des Gesetzes vom
abnehmenden Bodenertrage zugibt. Der Pessimist kann hier nur
die Verwirklichung dieser Möglichkeit bezweifeln. Marx stellt das
Verschwinden der absoluten Grundrente als Resultat einer Aus-
gleichung zwischen Industrie und Landwirtschaft in folgenden Worten
fest. Er sagt gegenüber Rodbertus: „Bei Herrn Rodbertus liegt die
Grundrente in der ewigen Natur, wenigstens der kapitalistischen
Produktion, wegen seines „Materialwertes“. Bei mir in einer histori-
schen Differenz in den agrarischen Bestandteilen des Kapitals, die
teils ausgeglichen wird, ja mit der Entwicklung der Agrikultur ganz
verschwinden kann. Allerdings bleibt dabei die Differenz, soweit
sie bloß aus dem Unterschied in der natürlichen Fruchtbarkeit des
Bodens hervorgeht, wenn auch die absolute Rente wegfiele“ ?). Daß
die Möglichkeit dieses Wegfallens schon allein mit der historischen
Grundlage gegeben ist, bestätigen folgende Worte: „Dieser Unter-
schied (in der organischen Zusammensetzung der Kapitalien) ist ein
historischer; kann also verschwinden. Dieselbe Schlußfolge, die die
Existenz der absoluten Grundrente als möglich zeigt, zeigt ihre
Wirklichkeit, ihre Existenz als bloß historische Tatsache, die nur
einem gewissen Entwicklungsgrad der Agrikultur eigen ist, auf
einem höheren verschwinden kann“). Da diese Bedingtheit durch
einen historisch bestimmten Entwicklungsstand der agraren Produktiv-
kräfte zugleich für die kapitalistische Agrikultur gilt, ist im Sinne
Marxens die absolute Grundrente der „adäquate Ausdruck“ ?) des
modernen Grundeigentums, welches das feudale ist, „aber verwandelt
durch die Aktion des Kapitals auf es“, und welches „in dieser Form
als modernes Grundeigentum abgeleitet, Resultat der kapitalistischen
Produktion ist“ 5).
Die Lehre von der organischen Zusammensetzung des Kapitals
findet ihren sinnfälligen Ausdruck in der Bildung der Durchschnitts-
profitrate und des Produktionspreises.
1) K. II, 230.
2) Th. II, 275.
3) Th. II, 15.
4) Th. II, 108.
5) Th. II, 295.
616 Philipp Spitz,
Wie der Durchschnittsprofit die Verbindung zwischen der ab-
soluten Grundrente und dem Mehrwerte herstellt, so schiebt sich
der Produktionspreis als Mittelglied zwischen die absolute Grund-
rente und den Wert. Jetzt schließt sich der Gedankenkreis folgender-
maßen: Wert, Mehrwert, organische Zusammensetzung des Kapitals,
verschiedene große Profitraten, Herstellung der Durchschnittsprofit-
rate, Herstellung des Produktionspreises, absolute Grundrente gleich
der Differenz zwischen agrikolem Mehrwert und Durchschnittsprofit
oder, was dasselbe ist, gleich der Differenz zwischen Wert und
Produktionspreis. Wir sahen, daß die absolute Grundrente kleiner
sein kann als diese Differenz, die Gesamtrente über dem Produktions-
preis konnte größer sein als diese Differenz durch Hinzutreten einer
Monopolrente über dem Werte. Bortkiewicz meint, Marx breche
seiner Theorie die Spitze ab, wenn die absolute Grundrente „beliebig
gekürzt“ oder dadurch ausgedehnt werden könne, „daß das Grund-
eigentum die Macht besitzt, der Unterwerfung der Bodenprodukte
unter die allgemeinen Regeln der kapitalistischen Preisbildung Wider-
stand zu leisten“. Bortkiewicz fragt: „Was verleiht dem ‚Wert‘
im Marxschen Sinne die Fähigkeit, hier als Schranke zu wirken?
Warum reicht die Macht des Grundeigentums nur gerade bis zu
diesem Punkt?“ Diese Fragen sind unberechtigt, weil nach Marx
nicht vom Wert als einer Schranke gesprochen werden kann, die das
Grundeigentum nicht oder tatsächlich überspringt. Das Grundeigen-
tum kann bei günstigen Marktverhältnissen über den Produktions-
preis und noch weiter über den Wert hinaustreiben. Der Möglichkeit
ist hier gar keine andere Schranke gesetzt als der Gesamtmehrwert
der gesellschaftlichen Produktion !). Es ist gar nicht vorstellbar,
wie sich Marx die agrikole Wertgröße als eine Schranke für den
Preis oder für den Grundeigentümer gedacht hat. Stets bewegen
wir uns in der Sphäre des Gesamtwertes, auch wenn über dem Werte
verkauft wird; nur setzt sich dann die Gesamtrente aus 3 Teilen
zusammen: Differentialrente, wenn solche vorhanden ist (Differenz
zwischen dem Marktproduktionspreis und den Einzelproduktions-
preisen), absolute Grundrente (Wert minus Produktionspreis) und
eigentliche Monopolrente (Monopolpreis minus Wert).
Bortkiewicz wendet nun seinen Blick nicht nur auf die Spitze,
sondern auch mit mehr Recht auf den Pfeiler der Marxschen Theorie,
der ihre Spitze trägt: das Verhältnis des Produktionspreises zum
Werte. Hier verweist Bortkiewicz auf eine Reihe Autoren (Lexis,
Böhm-Bawerk, Sombart usw.), die sich trotz aller Verschiedenheit
ihrer sonstigen Ansichten „in der glatten Ablehnung der These von
der geschichtlichen Priorität der Werte gegenüber den Produktions-
preisen einig seien“?). Aus dieser autoritären Prämisse schließt
Bortkiewicz: „Marx hat also nicht die Spur eines Beweises dafür
erbracht, daß dem von ihm konstruierten Begriff der absoluten Grund-
1) Siehe K. III, 397
2) Bortkiewiez a. a. O. 424.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 617
rente im Sinne eines Ueberschusses des Wertes über den Produktions-
preis der Bodenerzeugnisse irgend etwas Reales in dem Prozeß der
Preisbildung entspricht“) Man wird aber damit nur dann über-
einstimmen können, wenn man zwischen Band III und I des „Kapital“
einen logischen Widerspruch sieht. In der Tat ist eine Kritik der
absoluten Grundrente gleichbedeutend mit einer Kritik des Produk-
tionspreises. Diese Materie ist bekannt unter dem kritischen Marken-
zeichen: „Widerspruch zwischen dem III. und 1. Bande des Kapitals“.
Es sei darum auf dieses Thema näher eingegangen, weil ja in ihm
nichts anderes gesagt wird, als daß die Theorie von der absoluten
Grundrente auf einem logischen Widerspruch in der Sphäre des Preis-
problems aufgebaut ist ?).
Wert und Produktionspreis.
Ein „Widerspruch“ zwischen Wert und Produktionspreis ist in
dieser Weise denkbar. Aufgabe der Werttheorie kann nur sein, die
Preiserscheinung zu erklären. Marx liefere aber im Wert und dem
Produktionspreis zwei Preiserklärungsgründe, was ein offenbarer
Widerspruch sei, weil eine eindeutige Erscheinung nur aus einem
Grunde erklärt werden könne.
Es sei nun hier vorangestellt, daß zwischen dem Wert und dem
Produktionspreis Marxens tatsächlich ein „Widerspruch“ vorliegt,
aber ein Widerspruch im Marxschen Sinne, d.h. ein historisch-dialek-
tischer Widerspruch, also einer von jenen „Widersprüchen“, in denen
sich nach Marx die ganze geschichtliche Entwicklung vollzieht.
Worin besteht nun der „historisch -dialektische Widerspruch“
zwischen Produktionspreis und Wert?
Die Beantwortung erheischt Klarheit über den Sinn folgender
Sätze Marxens: 1) „Die Werte sind nicht nur theoretisch, sondern
auch historisch als das Prius der Produktionspreise zu betrachten.
Es gilt dies für Zustände, wo dem Arbeiter die Produktionsmittel
gehören, und dieser Zustand findet sich in der alten wie in der
modernen Welt, beim selbst arbeitenden grundbesitzenden Bauern und
beim Handwerker“ ).
2) „Ist der Wert des landwirthschaftlichen Produkts höher, als
der Produktionspreis sein würde, der bestimmt ist durch den in-
dustriellen Durchschnittsprofit, so bildet der Ueberschuß dieses
Wertes über den Produktionspreis die absolute Rente. Aber damit
dieser Ueberschuß des Wertes über den Produktionspreis gemessen
1) a. a. O. 425.
2) Folgende Stellen bezeugen, daß Marx den Produktionspreis bereits im I. Band
des „Kapital“ klar und deutlich vor sich stehen hatte: K. I 129...... „weil die
Durchschnittspreise nicht direkt mit den Wertgrößen zusammenfallen‘“ K. I 182 .
„Es wird nämlich unterstellt, daß der Preis gleich den Werten. Man wird in Buch III
sehen, daß diese Gleichstellung, selbst für die Durchschnittspreise, sich nicht in dieser
einfachen Weise macht“,
3) K. III, 156.
618 Philipp Spitz,
werden könne, muß der Produktionspreis das Prius sein, also der
Agrikultur von der Industrie als Gesetz aufgezwängt werden“ !).
In diesen Sätzen ist wohl folgendes ausgesprochen :
1) Der Wert ist das historische Prius des Produktionspreises.
2) Der Wert ist das theoretische Prius des Produktionspreises.
3) Der Produktionspreis ist das industrielle, kapitalistisch - prak-
tische Prius gegenüber der Agrikultur.
Welches ist nun der Inhalt dieser drei Sätze. Wo stecken die
Widersprüche mit und ohne Gänsefüßchen ?
1) Der Wert ist das historische Prius des Produktionspreises
besagt, daß in der vorkapitalistischen Warenproduktion die Waren
durchschnittlich zum Werte verkauft wurden, in der kapitalistischen
aber abweichend vom Werte zum Produktionspreise verkauft werden.
Abgesehen davon, ob in der Wirklichkeit die vorkapitalistisch pro-
duzierten Waren tatsächlich zum Werte verkauft wurden oder nicht,
so geht doch hieraus Marxens Grundgedanke hervor, den Marx im
Elend der Philosophie so formuliert hat: „Die Art, wie die Produk-
tivkräfte ausgetauscht werden, ist für die Art des Austausches der
Produkte maßgebend. Im Allgemeinen entspricht die Art des Aus-
tausches der Produkte der Produktionsweise“ ?). Der Reihe historisch
verschiedener Warenproduktionsformen „geht parallel“ eine Reihe
historisch verschiedener Austauschformen. Allen Produktions- bzw.
Austauschformen ist nun gemeinsam, daß in ihnen Wert produziert
bzw. realisiert wird. „In welcher Weise immer die Preise der ver-
schiedenen Waren zuerst gegeneinander festgesetzt oder geregelt sein
mögen, das Wertgesetz beherrscht ihre Bewegung. Wo die zu ihrer
Produktion erheischte Arbeitszeit fällt, fallen die Preise; wo sie steigt,
steigen die Preise, bei sonst gleichbleibenden Umständen“ °). Die
Herrschaft des Wertgesetzes kommt zum Ausdruck in der Gleichheit
der Preissumme aller Waren mit ihrer Wertsumme. Vom Standpunkte
des Gesamtwertes aus betrachtet, verschwinden alle historischen Unter-
schiede. Auf diese kommt es Marx gerade an, weil er nur historisch
bestimmte Gesellschaftsformen begreifen will. Zum Gemeinsamen
muß also der Unterschied hinzugefügt werden, wenn eine historische
Besonderheit begriffen sein soll.
Der Unterschied besteht im historischen Prius des Wertes vor dem
Produktionspreise. Nun ist, „damit die Preise, wozu Waren sich gegen-
einander austauschen, ihren Werten annähernd entsprechen, nichts nötig
als daß 1) der Austausch der verschiedenen Waren aufhört ein rein zu-
fälliger oder nur gelegentlicher zu sein; 2) daß, soweit wir den direkten
Warenaustausch betrachten, diese Waren beiderseits in den annähernd
dem wechselseitigen Bedürfnis entsprechenden Verhältnismengen pro-
duziert werden, was die wechselseitige Erfahrung des Absatzes mit-
bringt, und was so als Resultat aus dem fortgesetzten Austausch
selbst herauswächst; und 3), soweit wir vom Verkauf sprechen, daß
1) Th. III 113.
2) Elend der Philosophie 55.
3) K. III, 156.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 619
kein natürliches oder künstliches Monopol eine der kontrahierenden
Seiten befähige, über den Wert zu verkaufen, oder sie zwinge, unter
ihm loszuschlagen“ !).
Sind diese Bedingungen z. B. in der alten Handwerksproduktion
erfüllt, so erreichen die Durchschnittspreise den Wert. Dieses „natür-
liche Gesetz des Gleichgewichts“, aus dem die Abweichungen und nicht
umgekehrt aus den Abweichungen das Gesetz selbst zu erklären ist ?),
arbeitet sich erst allmählich aus den zahllosen zufälligen Tauschakten
heraus. „Das quantitative Verhältnis, worin sich Produkte austauschen,
ist zunächst ganz zufällig. Sie nehmen sofern Warenform an, daß
sie überhaupt austauschbare, d. h. Ausdrücke desselben Dritten sind.
Der fortgesetzte Austausch... hebt diese Zufälligkeit mehr und mehr
auf. Zunächst aber nicht für die Produzenten und Konsumenten,
sondern für den Vermittler zwischen beiden, den Kaufmann, der die
Geldpreise vergleicht und die Differenz einsteckt. Durch seine Be-
wegung selbst setzt er die Aequivalenz“°). Kommt auf diese Weise
das Wertgesetz zur sinnlichen Erscheinung, „werden die Waren zu
ihren Werten verkauft, so bleibt die Wertgröße in der Hand sowohl
des Käufers wie des Verkäufers unverändert. Nur seine Daseins-
form hat sich verändert“. Dagegen: „Werden die Waren nicht zu
ihren Werten verkauft, so bleibt die Summe der umgesetzten Werte
unverändert, was auf der einen Seite plus ist auf der andern minus“ $).
Das gleiche spricht Marx in bezug auf den Mehrwert aus: „Es be-
darf keiner Erörterung, daß, wenn eine Ware über oder unter ihrem
Werte verkauft wird, nur eine andere Verteilung des Mehrwerts
stattfindet und daß diese verschiedene Verteilung, das veränderte
Verhältnis, worin verschiedene Personen sich in den Mehrwert
teilen, weder an der Größe noch an der Natur des Mehrwerts etwas
ändert“ 5).
Ob also die Einzelware zum Werte verkauft wird oder nicht,
unter gleichen Umständen ist die Gesamtsumme aller Werte gleich
der Gesamtpreissumme. Im Einzelpreis kommt nur die Verteilung
des Mehrwertes auf die Verkäufer und Käufer zum Ausdruck; die
Preisform ist Mittel der Verteilung des Mehrwertes.
Dies zeigt sich in der vorkapitalistischen Warenproduktion in
reiner Form darin, daß der „unmittelbare Produzent“, als gleichzeitiger
Besitzer seiner Produktionsmittel, den von ihm produzierten Mehrwert
selbst einsteckt in dem Maße, wie er den Wert seines Produkts
realisiert‘). Die Produktion ist hier nicht basiert auf dem Klassen-
gegensatz zwischen Arbeitskraft- und Produktionsmittelbesitzer. Hier
ist also ein Abweichen des Einzelpreises vom Einzelwert mit einer
„ungleichen“ Verteilung des Mehrwertes gleichbedeutend. Der Ver-
1) K. II, 156.
2) K. II, 167.
3) K. III, 314.
4) K. II 100.
5) K. I, 17.
6) K. IN, 154/155.
620 Philipp Spitz,
kauf zum Werte ist aber das „Rationelle* und stellt das Gleich-
gewicht zwischen Käufer und Verkäufer her. Von allen empirisch
bedingten Abweichungen abgesehen ist der Verkauf zum Werte die
vorkapitalistische Realisierungsform des Wertes und Verteilungsform
des Mehrwertes.
Anders in der kapitalistischen Produktion, wo die Arbeitskraft-
besitzerund Produktionsmittelbesitzer getrennte Personen sind: Lohn-
arbeiter und Kapitalist. Die Konkurrenz der Kapitalisten gleicht die
ungleichen Profitraten aus zur Durchschnittsprofitrate, die Werte zu
den Produktionspreisen. „Bei der kapitalistischen Produktion handelt
es... sich darum, wenigstens als Minimum die Waren zu Preisen zu
verkaufen, die den Durchschnittsprofit liefern, d. h. zu Produktions-
preisen“ !). Die Größe des Gesamtwertes und des Gesamtmehrwertes
ist hier genau so gegeben wie in der vorkapitalistischen Produktion.
Nur bewirkt die Konkurrenz vermittels des Produktionspreises eine
andere Verteilung. Marx fragt: „Was ist es, das den einzelnen
Kapitalisten zwingt, z. B. seine Waren zu einem Produktionspreise
zu verkaufen — daß dieser Produktionspreis herauskommt, wird ihm
angetan, ist nicht seine freie Tat, er würde vorziehen, die Ware
über ihrem Werte zu verkaufen — zu einem Produktionspreis zu
verkaufen, der ihm nur den Durchschnittsprofit abwirft und ihm
weniger unbezahlte Arbeit zu realisieren erlaubt, als faktisch in seiner
eigenen Ware aufgearbeitet ist? Der durch die Konkurrenz ausgeübte
Zwang ider anderen Kapitalien“?).. Das Kapitalverhältnis, dieses
spezifisch historische Produktionsverhältnis schafft sich also selbst
eine ihm adäquate Verteilungsform des Mehrwertes in der Durch-
schnittsprofitrate und auch das Mittel dazu, „den Produktionspreis
als regulierenden Durchschnitt der Marktpreise“ 3).
Zusammenfassung: Die kapitalistische und vorkapitalistische
Warenproduktion sind in gleicher Weise Produktionsformen von
Wert, nur auf verschiedenen Entwicklungsstufen. Verschieden sind
ihre Bedingungen der Realisierung der produzierten Werte, d. h. der
Wert kommt in historisch verschiedener Weise zur sinnfälligen Er-
scheinung. Im Bewußtsein der vorkapitalistischen Produzenten kommt
der Wert, rein betrachtet, zur Erscheinung als Durchschnitt der
Marktpreise, in der kapitalistischen Produktion als Produktionspreis.
Wie der Durchschnittsprofit die kapitalistische Erscheinungsform
des Mehrwertes, so ist der Produktionspreis die kapitalistische Er-
scheinungsform des Wertes. Die Möglichkeit zu Mißverständnissen
liegt darin, daß in der vorkapitalistischen Produktion der Wert als
Durchschnittsniveau der Marktpreisschwankungen, also als Durch-
schnittspreis in der Preisgröße voll zur Erscheinung gelangt. In
diesem Sinne ist der Durchschnittspreis gleich Wert, das historische
Prius des Durchschnittspreises gleich Produktionspreis, d. h. „die
Verwandlung der Werte in Produktionspreise ist nur Folge und Re-
1) K. III, 175.
2) Th. II, 202.
3) K. III, 364.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 621
sultat der Entwicklung der kapitalistischen Produktion. Das Ur-
sprüngliche ist, für den Durchschnitt, daß die Waren zu ihren Werten
verkauft werden“!). Man kann auch so sagen: Der vorkapitalisti-
schen Einheit von Arbeitskraft und Produktionsmittel in einer Person
entspricht der Durchschnittspreis gleich Wert als Mittel der An-
eignung des vollen Mehrwertes durch seinen Produzenten. Der kapi-
talistischen Zweiheit von Arbeitskraft- und Produktionsmittelbesitzer,
also von Lohnarbeiter und industriellem Kapitalisten entspricht der
Durchschnittspreis gleich Produktionspreis als Mittel zur Aufteilung
des Gesamtmehrwertes in gleiche Teile auf gleiche Kapitalien. Immer
bedingt die Art der Verteilung und des Austausches der Produktions-
elemente im Produktionsprozeß die Art der Verteilung und des Aus-
tausches des fertigen Produkts. Danach ist der Wert gleich Durch-
schnittspreis ebenso der adäquate Ausdruck der vorkapitalistischen,
wie der Produktionspreis der adäquate Ausdruck der kapitalistischen
Wertproduktionsform ist. Wertproduktion ist immer vorhanden. Die
historische Verschiedenheit ihrer Bedingungen erzeugt historisch
verschiedene Erscheinungsformen des Wertes, d. h. historisch ver-
schiedene Austauschformen, die entsprechende Verteilungsformen an-
wendbar machen.
Wollte man im Werte als historischem Prius des Produktions-
preises einen logischen Widerspruch sehen, so hieße das behaupten,
bei Marx fände sich ein logischer Widerspruch zwischen der kapi-
talistischen und vorkapitalistischen Austausch-, Verteilungs- bzw.
Produktionsweise, also ein logischer Widerspruch zwischen zwei
historischen Erscheinungen. Davon kann keine Rede sein, wenn
man nicht zum Ausgangspunkt gemacht hat, daß zu allen Zeiten
die Waren in gleicher Weise ausgetauscht worden seien. Faßt man
aber den Preis als historische Erscheinung auf, so kann unmöglich
zwischen zwei historisch verschiedenen Austauschformen von einem
logischen Widerspruch, sondern, Hegelisch gesprochen, nur von einem
historisch -dialektischen „Widerspruch“ die Rede sein. Aber auch
derjenige, welcher den Preis unhistorisch auffaßt und zur Behauptung
eines „logischen Widerspruchs“ zwischen Durchschnittspreis gleich
Wert und Durchschnittspreis gleich Produktionspreis gelangt, muß
zuerst die Gründe liefern, aus welchen die Preiserscheinung un-
historischen Charakters ist. Er kann sich nicht mit einer bloßen
Ablehnung jeder historischen Bestimmtheit oder, wenn er sie zugibt,
mit ihrer Ausweisung aus der Nationalökonomie begnügen, sondern
er muß positive Gründe vorbringen, welche die Geschichte gegen
die Nationalökonomie abgrenzen. Mit der Behauptung eines „lo-
gischen Widerspruchs“ ist nichts getan, sondern es muß die Frage
beantwortet werden: Ist der Preis eine historische oder unhistorische
Erscheinung? Was zurückführt auf die allgemeine Frage: Worin
besteht das Wesen des Historischen und welches ist das Verhältnis
der Logik zur Geschichte?
1) Th. I, 111.
622 Philipp Spitz,
2) Die theoretische Priorität des Wertes vor dem Produktions-
preise will sagen, daß das Wertgesetz die Produktionspreise tat-
sächlich beherrscht. Gerade hierin ist ein logischer Widerspruch
besonders gesehen worden.
Marx hat die theoretische Priorität des Wertes besonders ener-
gisch betont und in folgenden Sätzen mit zunehmender Schärfe for-
muliert. Ersagt: „Nun weise ich aber nach, daß gerade, weil der
Wert der Ware durch die Arbeitszeit bestimmt ist, der Durchschnitts-
preis (oder Produktionspreis) der Ware nie gleich ihrem Wert sein
kann, obgleich diese Bestimmung des Produktionspreises nur ab-
geleitet ist aus dem auf der Bestimmung durch die Arbeitszeit ba-
sierten Werte“ !). „Dasein und Begriff des Produktionspreises und
der allgemeinen Profitrate, die er einschließt, beruhen darauf, daß
die einzelnen Waren nicht zu ihrem Werte verkauft werden“ ?\.
Trotzdem bleibt bestehen: „Diese bedeutende Abweichung der Pro-
duktionspreise von den Werten — die die kapitalistische Produktion
bedingt — ändert nichts daran, daß die Produktionspreise nach wie
vor durch die Werte bestimmt werden“ 3). Marx formuliert seinen
Gedanken noch schärfer: „Es ist klar“, sagt er, „daß, obgleich die
Produktionspreise der meisten Waren von ihren Werten abweichen
und daher ihre ‚Produktionskosten‘ von der Gesamtmenge der in
ihr enthaltenen Arbeit abweichen müssen, dennoch jene Produktions-
kosten und Produktionspreise nicht bloß durch den Wert der Waren
bestimmt werden, entsprechend dem Wertgesetz und nicht im Gegen-
satz dazu, sondern daß sogar nur auf der Grundlage des Wertes und
seines Gesetzes das Bestehen der Produktionskosten und der Pro-
duktionspreise selbst begriffen werden kann, und daß sie eine sinn-
lose Absurdität ohne diese Voraussetzung werden“ 4).
Daß das Wertgesetz dem Produktionspreis zugrunde liegt, kommt
einmal in der Gleichheit von Gesamtproduktionspreis und Gesamt-
wert, das andere Mal darin zum Ausdruck: „Alle Wechsel im Pro-
duktionspreis der Waren lösen sich auf in letzter Instanz in Wert-
wechsel.“ „Aber nicht alle Wechsel im Werte der Waren brauchen
sich in einem Wechsel der Produktionspreise auszudrücken, da dieser
bestimmt ist, nicht allein durch den Wert der besonderen Ware,
sondern durch den Gesamtwert aller Waren. Der Wechsel in Ware A
kann also ausgeglichen sein durch einen entgegengesetzten der Ware B,
so daß das allgemeine Verhältnis dasselbe bleibt“ 5).
Marxens Standpunkt, das Wertgesetz, bleibt also immer der
gleiche. Ein logischer Widerspruch kann dann hereinkommen, wenn
man ihn von einem anderen Standpunkte aus hineinträgt, und so
zwei einander fremde Gedankenverbindungen ineinander schachtelt.
Dann freilich löst sich dem einen immer alles das in Widerspruch
1) Th. IT, 195.
2) K. III, 293.
3) Th. III 201.
4) Th. III 91.
5) K. III, 185, s. auch K. III, 396.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 693
auf, was dem anderen widerspruchslos erscheint. Er kann auch von
demjenigen hineingelegt werden, der bei Marx nicht Wertproduktion
und Wertrealisierung auseinanderhält, d. h. nicht beachtet, daß nach
Marx die Möglichkeit einer quantitativen Inkongruenz zwischen
Wertgröße und Preisgröße schon in der Preisform enthalten ist), die
dann zur Wirklichkeit wird, wenn die Bedingungen der Wertreali-
sierung zu denen der Wertproduktion hinzutreten. Daß beides aus-
einanderzuhalten ist, geht deutlich aus folgenden Worten Marxens
hervor: „Die gesamte Warenmasse, das Gesamtprodukt, sowohl der
Teil, der das konstante und variable Kapital ersetzt, wie der, der den
Mehrwert darstellt, muß verkauft werden. Geschieht das nicht oder
nur zum Teil, oder nur zu Preisen, die unter den Produktionspreisen
stehen, so ist der Arbeiter zwar exploitiert, aber seine Exploitation
realisiert sich nicht als solche für den Kapitalisten, kann mit gar
keiner oder nur teilweiser Realisation des abgepreßten Mehrwertes,
ja mit teilweisem oder ganzem Verlust seines Kapitals verbunden
sein. Die Bedingungen der unmittelbaren Exploitation und die ihrer
Realisation sind nicht identisch. Sie fallen nicht nur nach Zeit und
Ort, sondern auch begrifflich auseinander. Die einen sind nur be-
schränkt durch die Produktivkraft der Gesellschaft, die anderen durch
die Proportionalität der verschiedenen Produktionszweige und durch
die Konsumtionskraft“?). Was für den Mehrwert gilt, trifft auch
für den Wert zu.
Die Bedingungen der Wertrealisierung hat Marx nicht ex pro-
fesso in ihren Details aufgezeigt. Es gehört dies dem Aufbau seines
Systems entsprechend in das große Schlußkapitel, in welchem die
breite Mannigfaltigkeit der sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungs-
welt des kapitalistischen Marktes als letztes Glied an die vom Wert-
begriff ausgehende Reihe zahlreicher Mittelglieder angeschlossen wird.
Man wird die Wertrealisierung von der Wertproduktion besser aus-
einanderhalten, wenn man sich die Methode stets gegenwärtig hält.
Marx?) geht als Forscher von der sinnlich wahrnehmbaren Er-
scheinungswelt aus, analysiert sie und dringt bis zum Allgemeinen
vor, das alle besonderen Erscheinungen innerlich zusammenhält. Er
sucht nach dem „realen Zusammenhang“, er spürt nach dem „inneren
Bande“ in den scheinbar zufälligen Erscheinungen. Diese Tätigkeit
Marxens kommt formell nicht in seinen Werken zum Ausdruck, weil
die Darstellung umgekehrt vom Allgemeinen ausgeht und von Glied
zn Glied zurückkehrt zum konkreten Ausgangspunkte. Wie das
Allgemeine durch unser Denken aus der konkreten empirischen
Wirklichkeit produziert wird, so erscheint in der Darstellung um-
gekehrt die konkrete Wirklichkeit als Resultat der Reproduktion
aus dem Allgemeinen, oder wie Marx sagt: Das „wirkliche“, d. h.
sinnlich wahrnehmbare Konkretum erscheint in der genetischen
Darstellung als Gedankenkonkretum, als Produkt unseres Denkens.
1) K. I 67.
2) K. III, 225.
3) S. Vorwort zu K. I und Einleitung zur Kritik der politischen Oekonomie.
624 Philipp Spitz,
Darin besteht der „Materialismus“ von Marxens Auffassung, von
den konkreten Verhältnissen der Erfahrung auszugehen und als
Produkt unseres Denkens nicht das Konkrete als solches, sondern
eben nur das Gedankenkonkretum hinzustellen. Auf unser Problem
angewandt, heißt dieses: Um zu den Bedingungen der reinen Wert-
produktion vorzudringen, sieht Marx von den Bedingungen der
Wertrealisierung in der Weise ab, daß er die Waren zu ihren
Werten verkauft werden läßt. Es besagt also gar nichts, wenn man
Marx etwa den Vorwurf machen wollte, durch Hereinbringen der
Konsumtion in die Preisbildung habe er sein Wertgesetz aufgehoben
oder eingeschränkt. Damit ist nur etwas gegen Marxens methodische
Voraussetzung des Verkaufs zum Werte gesagt, und nur ausge-
sprochen, daß Produktion von Wert und Verkauf zum Werte zwei
ganz verschiedene Dinge sind. Darum ist Marx empirisch nur
dann zu widerlegen, wenn in der Wirklichkeit alle entgegengesetzten
Faktoren der Wertrealisierung sich gegenseitig gerade aufheben, so
daß das Wertgesetz rein zur Erscheinung kommt. Die Abweichungen
widerlegen nicht, sondern verfälschen nach Marx nur das reine Bild,
das reine Gesetz setzt sich gerade in den Zufälligkeiten und Ab-
weichungen in den Einzelfällen durch. Der Gesamtpreis ist immer
beherrscht vom Gesamtwert, weil sich im ganzen die Abweichungen
aufheben; die Bewegung der Preise in historischen Perioden ist be-
herrscht von der Entwicklung der Produktivkräfte.
Darin kommt eben das theoretische Prius des Wertes gegenüber
dem Produktionspreis zum Ausdruck, was nichts anderes heißt als
daß auch die kapitalistische Produktion gesellschaftliche Produktion,
Wertproduktion ist. Der „logische Widerspruch“ im theoretischen
Prius reduziert sich auf die begriffliche Verschiedenheit der Be-
dingungen der Wertproduktion und Wertrealisierung.
3) Das praktische Prius des Produktionspreises vor dem Werte
ist überhaupt nur so zu verstehen, daß der Produktionspreis die sinn-
lich wahrnehmbare Gestalt des Wertes, seine Erscheinungsform ist.
Der Wert existiert im praktischen Bewußtsein des Kapitalisten als
Produktionspreis und nicht als Wert. „Der Produktionspreis ist eine
schon ganz veräußerlichte und prima facie begriffslose Form des
Warenwertes, eine Form, wie sie in der Konkurrenz erscheint, also
im Bewußtsein der vulgären Kapitalisten“!). Der Produktionspreis
ist eine „fertige Gestalt“ des Wertes in der kapitalistischen Pro-
duktion. „Und es sind diese fertigen Verhältnisse und Formen, die
in der wirklichen Produktion als Voraussetzungen erscheinen, weil
die kapitalistische Produktionsweise sich in den von ihr selbst ge-
schaffenen Gestalten bewegt und diese, ihr Resultat, im Prozeß der
Reproduktion, ihr ebenso sehr als fertige Voraussetzungen gegenüber-
treten. Als solche bestimmen sie praktisch das Tun und Treiben
der einzelnen Kapitalisten, geben die Motive her usw., wie sie als
solche in ihrem Bewußtsein sich widerspiegeln“ ?).
1) K. III, 178.
2) Th. III 558.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 695
„Der ‚Geist‘ der Produzenten, ihr Bewußtsein braucht durchaus
nicht zu wissen, für ihn mag nicht existieren, wodurch in Wirklich-
keit der Wert der Waren oder ihre Produkte als Werte bestimmt
sind. Sie sind in Verhältnisse gesetzt, die ihren Geist bestimmen,
ohne daß sie es zu wissen brauchen. Jeder kann Geld als Geld
brauchen, ohne zu wissen, was Geld ist“!). So kann auch jeder
Kapitalist in Produktionspreisen rechnen, ohne zu wissen, was Pro-
duktionspreis ist, und dieser ist qualitativ gleich Wert. „Die Wert-
bestimmung ist von vornherein etwas, was hinter dem Rücken des
Kapitalisten durch die Macht von ihm unabhängiger Verhältnisse
vorgeht, da nicht die Werte, sondern die von ihnen verschiedenen
Produktionspreise in ‚jeder Produktionssphäre die regulierenden Durch-
schnittspreise bilden“ ?). Die praktische Priorität des Produktions-
preises besteht demnach einfach darin, daß er tatsächlich Inhalt des
Bewußtseins, eine Zweckvorstellung ist, deren Verwirklichung durch
jeden einzelnen Kapitalisten gleichbedeutend ist mit dem Vollzug
des Wertgesetzes. Die Kausalität des Wertgesetzes läuft ab vermittels
der Motivation des Kapitalisten durch die Vorstellung des Pro-
duktionspreises.
Aber wie kommt der Produktionspreis in das Bewußtsein der
Kapitalisten ? Und wenn nach Marx das Wertgesetz, also ein soziales
Gesetz, im Bewußtsein der vorkapitalistischen Produzenten in Ge-
stalt des Durchschnittspreises gleich Wert, im Bewußtsein der kapi-
talistischen Produzenten in Gestalt des Durchschnittspreises gleich
Produktionspreis zur Erscheinung dringt, verallgemeinert sich obige
Frage nach Absehen von jeder historischen Bestimmtheit der Er-
scheinungsformen des Wertgesetzes zu folgender Frage: Wie kommt
überhaupt soziale Gesetzmäßigkeit durch das Einzelbewußtsein zu-
stande? Was geht „hinter dem Rücken“ der Individuen vor und
wie bestimmt dieses deren Tun und Treiben ?
Es scheint dies in der Tat die Grundfrage der Nationalökonomie
als Sozialökonomie zu sein, als welche sie doch kausale Gesetzmäßig-
keiten im sozialökonomischen Geschehen aufzeigen und erfassen will.
Marx will die Beziehungen zwischen den Menschen in ihrer
nach ihm für alle anderen geistigen Beziehungen grundlegenden
ökonomischen Bestimmtheit, gesellschaftliche Verhältnisse als Pro-
duktionsverhältnisse, den „vergesellschafteten“ Menschen als gesell-
schaftlichen Produzenten erfassen. Nun sind nach Marx alle Distri-
butions- und Austauschverhältnisse der Produkte bedingt durch die
Distributions- und Austauschverhältnisse der Produktionselemente
und der hinter ihnen stehenden Menschen. Die absolute Grundrente
als spezifisch kapitalistisches Verteilungsverhältnis fußt auf dem
Produktionspreis als spezifisch kapitalistischem Austauschverhältnis;
beide aber gehen zurück auf das Kapitalverhältnis: Arbeitskraftbesitzer
— Produktionsmittelbesitzer — Bodenbesitzer oder: Lohnarbeiter —
1) Th. III 195.
2) K. III, 409.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 40
626 Philipp Spitz,
Kapitalist — Grundeigentümer. Durch die Identifizierung der ge-
sellschaftlichen Arbeit mit wertbildender Arbeit ist alle sozial-
ökonomische Beziehung auf einen Wertausdruck gebracht. Alle öko-
nomischen Verhältnisse sind im Wertbegriff auf ihre Einheit be-
zogen, durch die erst eine durchgehende Aequivalenz aller ökonomischen
Verhältnisse hergestellt ist.
Nachdem nun im Fundamente der absoluten Grundrente kein
logischer Widerspruch gesehen werden konnte, ist der Angriffspunkt
der Kritik aus dem Verhältnis des Produktionspreises zum Werte
einseitig in die Wertlehre verlegt. Damit identifiziert sich eine
Kritik der absoluten Grundrente mit einer Kritik des Marxschen
Wertstandpunktes selbst.
Sind aber im Werte alle ökonomischen Beziehungen auf einen
einheitlichen Ausdruck gebracht, dann muß sich die Kritik der ab-
soluten Grundrente noch weiter rückwärts konzentrieren. Sie muĝ
sich, wenn sie sich nicht auf formallogische Prüfung beschränken
will, eine Kenntnis davon, wie das Wertgesetz, überhaupt wie soziale
Gesetze im Bewußtsein der praktischen Individuen zur Erscheinung
gelangen, zur Voraussetzung machen. Eine solche Kenntnis besitze
ich noch nicht.
Man könnte Marxens absolute Grundrente noch damit wider-
legen wollen, daß in der Wirklichkeit die kapitalistische Grundrente
gar nicht zu allgemeiner Geltung gelangt ist, weil die Bedingungen
für den kapitalistischen Betrieb in der Landwirtschaft ganz anders
gelagert sind als in der Industrie, in Deutschland anders als in Eng-
land. Der deutsche Kleinbauer kann aber nur als Argument gegen
Marxens andere Ansicht angesehen werden, daß die Entwicklung
auch außerhalb Englands zur Unterwerfung des Bodens unter das
„industrielle“ Kapital führen müsse. Ein Argument gegen die Ver-
breitungsmöglichkeit der kapitalistischen Agrikultur im Sinne Marxens
kann aber nichts gegen die absolute Grundrente als solche beibringen.
Wo keine kapitalistische Agrikultur, gibt es auch keine absolute
Grundrente. Wo die Hypothese wegfällt, fällt auch die entsprechende
Form der Rente weg!). Marx hat den Einwand auch vorausgesehen und
erwidert: „Für unsere Entwicklung ist es also ein ganz gleichgültiger
Einwurf, wenn erinnert wird, daß auch andere Formen des Grund-
eigentums und des Ackerbaus existiert haben oder noch existieren.
Es kann dies nur die Oekonomen treffen, welche die kapitalistische
Produktionsweise in der Landwirtschaft und die ihr entsprechende
Form des Grundeigentums nicht als historische, sondern als ewige
Kategorien behandeln“ ?).
Empirisch ist also die absolute Grundrente nur mit dem Er-
fahrungsmaterial des kapitalistischen Pachtbetriebes als herrschender
Form der kapitalistischen Bodenbewirtschaftung zu widerlegen. Der
Nachweis, daß bei kapitalistischer Selbstbewirtschaftung keine absolute
1) K. III, 293.
2) K. III, 153/154.
.
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx 627
Grundrente existiert, wäre andererseits so lange ein negativer Beweis
für die absolute Grundrente, als nicht auch nachgewiesen wird, daß
die Bodenprodukte ohne Zutun der Selbstwirtschafter als Grund-
eigentümer in der Regel über dem Produktionspreis verkauft werden,
wobei natürlich von allen Zufallsfaktoren wie Zölle usw. abzusehen ist.
Die Widerlegung kann statistisch der Möglichkeit nach auch
dadurch erbracht werden, daß man mit dem Material von freien
Konkurrenzbetrieben nachweist, daß der Produktionspreis schon für
die Industrie nicht gilt. Praktisch läßt sich dies wohl unmöglich
durchführen, weil die Bestimmung gesellschaftlicher Durchschnitte
in Einzelbetrieben auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen wird.
Die praktische Unmöglichkeit, die Wirkungen zahlreicher Zufalls-
faktoren abzuwägen, erlaubt auch nicht, aus empirischen Einzel-
abweichungen auf die Falschheit des Gesetzes zu schließen. Der
Widerstand der Luft und der Aviatiker heben ja auch das Fall-
gesetz nicht auf. Eben darum, weil dem Nationalökonomen keine
exakten Mittel zur Verfügung stehen, um, wie der Naturwissen-
schaftler, aus dem Chaos von Wirkungen die auf das reine Gesetz
passende Wirkung sinnlich wahrnehmbar zu isolieren, darum muß,
wie Marx sagt, die Abstraktionskraft das Experiment ersetzen.
Wenn also der empirische Weg der Kritik so gut wie versperrt
ist, und wenn auf ihrem formallogischem Wege nichts zu tun ist,
weil Marx seinem Standpunkte treu bleibt, so bleibt nichts übrig,
als den theoretischen Standpunkt Marxens selbst zum Gegenstand
der Kritik zu machen. Sie ist, gewissenhaft durchgeführt, zugleich
eine Kritik von Grund auf, die auf das Zentrum zielt. Will aber
eine solche aufs Ganze gehende Marxkritik sich nicht um ihrer selbst
willen breit machen, will sie nicht Marx kritisieren, um Marx eins
auszuwischen, sondern will sie Marx kritisieren, um ihn der Sache
nach zu „überwinden“, so setzt sie neben dem leider so oft fehlenden
Verständnis des Marxschen Denkens bis in alle seine Feinheiten
irgendeine positive Auffassung über das Wesen des nationalökonomi-
schen Problems und über die allgemeinen theoretischen Bedingungen
seiner Lösung voraus.
Rückblick.
Die Lösungsversuche des Problems der allgemeinen Grundrente
bei Ricardo, Rodbertus und Marx sollen zum Schluß gegenübergestellt
werden.
Gemeinsam ist der Ausgangspunkt, die Arbeitstheorie. Als Unter-
scheidungsmerkmal diene die Beziehung des Grundeigentums zur
Grundrenten- und Preisbildung.
Es ist zu unterscheiden, ob das Grundeigentum als solches irgend-
welchen Einfluß auf die Wertgröße (Aufschlag oder Abzug) ausübt
oder nicht, ob das Grundeigentum als solches es mit der Grundrente
zu tun habe oder nicht.
a) Fallen Wert und Produktionspreis, allgemeine Profitrate und
landwirtschaftliche Profitrate zusammen, so ist nur Differentialrente
40*
628 Philipp Spitz,
möglich. Wir kommen mit Ricardo zum Schlusse, daß im Geltungs-
bereich der Arbeitswerttheorie allgemeine Grundrente unmöglich ist,
weil sich der Wert aus v + c + allgemeinem Profit zusammensetzt,
also dem Produktionspreis gleichkommt.
Dort, wo das Wertgesetz nicht gilt, also bei nichtvermehrbaren
oder bei nichtvermehrbar gewordenen, früher vermehrbar gewesenen
Gütern, also bei Naturmonopolgütern ist ohne Zutun des Grund-
eigentümers Monopolpreis möglich. Die allgemeine Rente, d. h. die
allen Monopolprodukten gemeinsame Grundrente, ist gleich der
Differenz zwischen Monopolpreis und Wert, welche der Grundeigen-
tümer nur auf sich zu übertragen braucht. Ricardo und Marx kennen
diese abgeleitete Monopolrente bei seltenen Weinen usw., Ricardo
auch vom nichtvermehrbar gewordenen Getreide, Gold usw.
b) Der Grundeigentümer bewirkt durch Zwang, daß ein Bestand-
teil des Wertes oder ein Ueberschuß über den Wert in allgemeine
Grundrente verwandelt wird.
Bei Marx und Rodbertus fallen Wert und Produktionspreis aus-
einander. Die Differenz verwandelt der Grundeigentümer in all-
gemeine Grundrente.
Die Natur ihres Produktionspreises bewirkt es, daß die all-
gemeine Grundrente bei Rodbertus durch Abzug vom Werte, bei
Marx durch Aufschlag auf den Produktionspreis gewonnen wird.
Der Unterschied geht auf ihre Profittheorie und ihre Lehre von der
organischen Zusammensetzung des Kapitals zurück.
Marx kennt noch eine Grundrente als Differenz zwischen Mono-
polpreis und Wert, wobei das Grundeigentum den Preis über den
Wert hinausgetrieben hat.
In diesen Sätzen ist lediglich folgendes Schema in Worten aus-
gedrückt:
Arbeitswert.
3 r ee
z solches hat es mit der
Das Grundeigentum als solches Grundrentenbildung
hat mit der Grundrentenbildung zu tun
nichts zu tun. / Aufschl
IN Wert — Produktionspreis a 7E
auf den Wert
ei EN z X Marx
Preiswert Preis gleich Monopol- j
/ N
/ \
keine all- preis über dem Wert.
gemeine Die Monopolrente als
Grund- seine Folge bei Ricardo Abzug Aufschlag
rente und Marx Yom. Wert nt den
Ricardo | Produktions-
Rodbertus preis
Marx
Das Problem der allgemeinen Grundrente bei Ricardo, Rodbertus und Marx. 629
In bezug auf das Verhältnis der Grundrente zur Preisbildung
lassen sich folgende Sätze aufstellen:
1) Die Grundrente ist stets Folge des Preises bei Ricardo und
Rodbertus, und bei Marx in bezug auf die vom Monopolpreis sel-
tener Güter abgeleitete Monopolrente.
Bei Ricardo ist die Grundrente stets Folge des Preises. Das
Zusammenfallen der landwirtschaftlichen Profitrate mit der all-
gemeinen Profitrate bewirkt Gleichsetzung von Produktionspreis und
‘Wert, weshalb Wert und allgemeine Grundrente zugleich unmöglich
sind. Diese ist nur möglich als Folge eines Monopolpreises. Stets
beschränkt sich der Grundeigentümer darauf, objektiv gegebene,
ohne sein Zutun entstandene Differenzen in Grundrente zu ver-
wandeln.
Bei Rodbertus müssen die Produkte zum Werte oder wenigstens
über dem Produktionspreis (v + c + allgemeiner industrieller Profit)
verkauft werden, damit der Grundeigentümer einen Abzug machen
kann.
2) Die allgemeine Grundrente ist Ursache des Verkaufs über
dem Produktionspreis und selbst über dem Werte bei Marx.
Bei allen drei Schriftstellern hängt die besondere Gestaltung
der allgemeinen Grundrente mit ihren Ansichten über die allgemeine
Profitrate aufs engste zusammen. Die Nichtexistenz einer allgemeinen
Grundrente als Bestandteil des Wertes bei Ricardo ist logisch be-
dingt durch die Identifizierung der allgemeinen mit der landwirt-
schaftlichen Profitrate.
Die allgemeine Grundrente als Abzug vom Werte bei Rodbertus ist
nur möglich wegen der Verallgemeinerung der industriellen Profitrate.
Schließlich ist allgemeine Grundrente bei Marx, soweit sie Be-
standteil des Wertes ist, nur möglich durch die Bildung des Pro-
duktionspreises auf der Grundlage seiner Durchschnittsprofitrate.
630 Miszellen,
Miszellen.
XI.
Der Ersatz des Handels durch gemeinwirtschaftliche
Organisationen des Kriegsrechts.
Von Dr. Hermann Deite, Berlin.
Die eigenartigen Verhältnisse dieses Krieges haben die Struktur
unserer Volkswirtschaft in nie geahnter Weise von Grund aus verändert.
Vom Weltmarkt in weitem Umfange abgeschlossen, im wesentlichen wirt-
schaftlich auf uns selbst gestellt, haben wir in jähem Wechsel den Ueber-
gang zu dem in sich geschlossenen Handelsstaate finden müssen. Dieser
plötzliche Uebergang war nicht möglich ohne tiefgreifende Umwälzungern,
denen die Grundlage unseres bisherigen wirtschaftlichen Lebens, das
Prinzip der Gewerbefreiheit, fast völlig zum Opfer fiel. Statt dessen
erleben wir einen Kriegskommunismus, wie ihn sich kein Staats-
sozialist, ja, ich glaube, in Wirklichkeit selbst kein echter Sozialist
jemals hätte träumen lassen. Eine Kette gemeinwirtschaftlicher In-
stitutionen regelt alle Stufen und Zweige des Verkehrs, und deutsche
Organisationskraft schuf eine solche Fülle behördlicher und behörden-
ähnlicher Instanzen, daß kein Mensch sie mehr sämtlich überblicken
kann. Wohl aber stoßen wir alle — Erzeuger, Händler und Verbraucher —
ständig auf ihr Wirken, ständig auf neuen Zwang und neue Hemmung.
Insbesondere der Handel erscheint auf nicht wenigen Gebieten durch
eine Reihe solcher korporativer Gebilde mehr oder weniger ersetzt. Es
fehlt nicht an Leuten, die diesen Zustand als den Anbeginn einer neuen
Zeit begrüßen, seine Verewigung erhoffen, erwarten, empfehlen. Um
so mehr wird es notwendig sein, dieses ganze System der Kriegs-
gemeinschaft einmal einer vorurteilslosen Prüfung zu unterziehen.
Diese Ausführungen wollen dazu beitragen. Aber sie beschränken
sich auf einen Teil des Untersuchungsfeldes, freilich denjenigen, der als
der wichtigste erscheint und das System der Kriegsgemeinschaft in
seiner äußersten Zuspitzung zeigt: das Gebiet der kriegsgemein-
wirtschaftlichen Organisationen, und sie betrachten in-
sonderheit deren Leistungen und Wirkungen in bezug auf
den Handel.
Unübersehbar, sagte ich, ist die Fülle behördlicher und behörden-
ähnlicher Stellen, die im Zeichen des Krieges den Verkehr auf den
wichtigsten Warengebieten beherrschen, und wo einst der Kaufmann und
Händler in dem Bewußtsein stolzer Unabhängigkeit seine Kräfte zum
Miszellen. 631
eigenen Vorteil und zum Besten des Ganzen regte, steht heute die staat-
lich privilegierte Gesellschaft oder irgendeine Kriegsbehörde. So bunt-
scheckig Art und Gestalt dieser Kriegsorganisationen ist, so mannigfach
die Aufgaben, denen sie dienen, voneinander verschieden sind, so sind
es doch im wesentlichen zwei Ideen, die, gesondert oder vereinigt, als
alle beherrschende Organisationsprinzipien anzusprechen sind.
Auf der einen Seite die Absicht der Beeinflussung, der Niedrighaltung
der Preise, auf der anderen das Streben einer Lenkung, Ordnung, Ein-
schränkung der Warenverwendung, des Warenverbrauchs. Wo uns in
unserer isolierten Volkswirtschaft Waren, die wir nicht selbst oder nicht
in beliebigem Umfange erzeugen können, knapp zu werden drohten, wo
daher die Gefahr einer Teuerung und meist zugleich die Notwendigkeit
eines planmäßigen Haushaltens mit den Vorräten und den etwaigen Zu-
fuhren bestand, da hat man, wenn andere, kleinere Mittel allein oder
überhaupt unzureichend erschienen, nicht davor zurückgeschreckt, die
Hand auf den Umlauf dieser Güter oder doch eines Teils ihres Umlaufs
zu legen und ihm nach Kriegsrecht Wege und Grenzen vorzuschreiben.
Das Mittel, dessen man sich dazu bediente, das eben sind die Kriegs-
behörden und Kriegsgesellschaften, von denen hier die Rede ist.
Je nach der Verschiedenheit ihrer Struktur und der für sie er-
lassenen Bestimmungen ist die Art ihres Eingreifens eine ver-
schiedene. In dem hauptsächlich in Betracht kommenden Falle erfolgt
eine allgemeine Beschlagnahme der inländischen Warenvorräte
zugunsten der Organisation, die, in der Regel ohne diese Vorräte selbst
in effigie zu übernehmen, durch Enteignung beim Lagerhalter die Mög-
lichkeit gewinnt, die weitere Verwendung der Güter und die Bedingungen
dafür zu leiten und zu überwachen. Bisweilen hat man auch von der
allgemeinen Beschlagnahme abgesehen und der Organisation nur das
Recht gegeben, im einzelnen Falle selbst zu beschlagnahmen und
Verfügungsgewalt zu schaffen. Eine besondere Bedeutung hat die Be-
handlung der Auslandsware. Hierfür bestanden und bestehen ver-
schiedene Systeme. Bisweilen bleibt Auslandsware, die nach einem be-
stimmten Zeitpunkte ins Inland eintritt, von jedem Zwangszugriff der
Organisation frei. In anderen Fällen ist die Beschlagnahme auch auf
solche später eingeführte Auslandsware ausgedehnt, so daß dem Ein-
führer die Pflicht auferlegt ist, sie unter bestimmten Bedingungen an
die öffentliche Stelle auszuliefern. Drittens endlich wird die Ein-
fuhr Privaten überhaupt untersagt und der Organisation vorbehalten.
Neben der auf solchen Zwangsbefugnissen beruhenden Wirksamkeit der
Kriegsgemeinschaften geht regelmäßig eine freiere Tätigkeit im
Dienste ihrer Aufgaben einher. Viele unter ihnen sind bestrebt, außer-
halb ihres privilegierten Geschäftsbereichs Ware an sich zu bringen,
insbesondere Auslandsware, sofern sie nicht für solche Bezüge überhaupt
die einzige Stelle sind. Eine derartige Betätigung findet sowohl bei
den die Güter des Kriegsbedarfs bewirtschaftenden Rohstoffgesellschaften
statt als auch bei manchen für die Sicherstellung der Volksernährung
arbeitenden Organisationen. In beiden Fällen ist der leitende Gedanke
eine Vermehrung des der Gemeinschaft zur Verfügung stehenden Waren-
632 Miszellen.
vorrats und daneben, namentlich auf dem Gebiet der Lebensmittel,
die Absicht, mittels solcher Güterbeschaffung und ihrer planmäßigen
Austeilung regulierend in die Marktverhältnisse einzugreifen. In diesem
Zusammenhange ist auch der kommunalen Fürsorgepolitik zu
gedenken, der umfassenden Maßnahmen und besonderen Kriegseinrich-
tungen, die von den Kommunen getroffen worden sind, um einen nicht
unbeträchtlichen Teil des Nahrungsmittelverkehrs in ihre Hand zu be-
kommen.
Kein Zweifel, daß überall da, wo solche, mit oder ohne Zwang
vorgehende Gemeinwirtschaft Platz gegriffen hat, der Handel mehr
oder weniger aus seiner gewohnten Tätigkeit verdrängt worden ist.
Soweit er nicht vollends lahmgelegt worden ist, vegetiert er doch nur
im Schatten der allmächtigen Organisationen, die an seine Stelle traten,
und muß sich vielfach dabei begnügen, mager gelohnte Hilfsdienste
zu leisten.
Daß der Handel sich diese weitgehende Ausschaltung nicht wider-
spruchslos gefallen lassen will, ist selbstverständlich. Ständig wächst
die Zahl der Beschwerden, die von seinen berufenen Vertretungen
an die zuständigen Stellen gerichtet werden. Aber es muß festgestellt
und es muß anerkannt werden, daß in diesen Beschwerden fast durch-
weg eine weitgehende patriotische Selbstbescheidung und
volles Verständnis für die gegenwärtige Zwangslage zum Ausdruck kommt.
Die Notwendigkeit einer gemeinschaftlichen Vorratsversorgung und Vor-
ratsverwaltung während des Krieges wird heute im Prinzip wohl nirgends
mehr bestritten, nur über das Maß und die Anwendung im einzelnen
gehen die Meinungen auseinander.
Nur vielleicht in einem grundsätzlichen Punkte wird vielfach vom
Handel die Berechtigung dieser Kriegswirtschaft bestritten: das ist die
zwangsweise Einbeziehung auch des Einfuhrhandels auf so
vielen Warengebieten in den Bannkreis der Organi-
sationen. Zweifellos begegnet hier auch die gemeinwirtschaftliche
Versorgung ihren größten Schwierigkeiten, Schwierigkeiten, denen man
sich auch an amtlichen Stellen nicht hat verschließen können und noch
heute nicht völlig verschließt. Aber man ist doch in wachsendem Maße
dazu übergegangen, auch die Wareneinfuhr zum wenigsten unter die
Kontrolle und Regelung der Organisationen und weiter selbst völlig und
ausschließlich in deren Hand zu bringen. Die Gründe dabei waren
dieselben, die zur Schaffung des gemeinwirtschaftlichen Systems über-
haupt führten: Preisregelung und Verwendungsregelung. Man
mißgönnte dem privaten Händler die vielfach tatsächlich oder vermeint-
lich besonders großen Gewinne aus dem Einfuhrgeschäft und wollte
auch die Auslandsware einbeziehen in die geschaffenen Zwangsläufe des
Verkehrs. So setzte man Anzeige- und Ablieferungspflicht für solche
Einfuhrgeschäfte fest und sicherte durch obrigkeitliche Uebernahmepreise
der Gemeinschaft einen Anteilam Gewinn. In einer Anzahl von Fällen
glaubte man es auch dabei nicht bewenden lassen zu können. Man
mußte die Beobachtung machen, daß der ungehinderte Wettbewerb zahl-
reicher Einkäufer auf den Auslandsmärkten zu Preistreibereien führte,
Miszellen. 633
denen mit nachträglichen Maßnahmen im Inlande nicht beizukommen
war. Und so tat man denn auch den letzten Schritt und verbot die
private Einfuhr überhaupt. Neuerdings haben auch die ungünstigen
Kursverhältnisse und die Hoffnung, durch solche Zentralisierung
des Auslandsgeschäfts ihrer weiteren Verschlechterung eher entgegen-
wirken zu können, eine Rolle gespielt.
Der Handel steht dieser Zwangsregelung auch des Einfuhrgeschäfts
mit besonderen Bedenken gegenüber. Er weist, und im wesentlichen
mit Recht, darauf hin, daß meist schon die gesetzliche Ablieferungs-
pflicht bei der Unsicherheit für den Kaufmann, ob er bei den Ueber-
nahmepreisen sein Auskommen findet, in Wirklichkeit das Ende des
freien Einfuhrgeschäfts bedeutet. Und daß so, unmittelbar oder
mittelbar, die amtlichen Stellen das Monopol für solche Geschäfte be-
kommen, wird mit beachtenswerten Gründen bekämpft. In der Tat ist
von vornherein anzunehmen, daß die Mängel und Schwächen
eines bürokratisch geleiteten Warengeschäfts nirgends so
sehr in die Erscheinung treten werden wie bei einer Betätigung auf
dem Auslandsmarkt, und vollends unter den schwierigen Verhältnissen
dieses Krieges. Es ist oft gesagt worden, daß eine solche gemein-
wirtschaftliche Stelle nun und nimmermehr sich eine ausreichende
Kenntnis aller in Betracht kommenden Verhältnisse und Beziehungen
verschaffen kann, und daß sie auch nicht in der Lage ist, solche Be-
ziehungen so auszunutzen, wie es notwendig ist. Wer heute Waren aus
dem Auslande hereinbringen will, bedarf dazu nicht nur in vielen
Fällen eines besonderen Maßes von praktischer Erfahrung und Ge-
wandtheit, sondern er wird sich auch nicht scheuen dürfen, Wege ein-
zuschlagen und Mittel zu benutzen, deren Zuhilfenahme einer öffent-
lichen Organisation schlechterdings unmöglich ist. Es wird behauptet,
daß diese unleugbaren Mängel eines gemeinwirtschaftlichen Einkaufs
bereits in starken Mißerfolgen einer derartigen Tätigkeit zutage ge-
treten sind. Ich erinnere nur an die Kritik, die in der Oeffentlichkeit
und in der Presse an den amtlichen Getreidegeschäften in Rumänien
geübt worden ist. Demgegenüber ist andererseits darauf hinzuweisen,
daß es zahlreichen unserer Kriegsgesellschaften tatsächlich doch ge-
lungen ist und hoffentlich auch weiterhin gelingen wird, vielfach sehr
erhebliche Warenmengen, an denen wir Mangel haben, aus dem
Ausland hereinzubringen und damit in erwünschter Weise unsere
Bestände aufzufüllen. Soweit durch solche Bemühungen die Tätigkeit
des freien Handels nur ergänzt, nicht ausgeschlossen worden ist, ist
dagegen zweifellos nichts einzuwenden. Man wird aber auch zugeben
müssen, daß die Ausschaltung des Handels zugunsten eines Import-
monopols der Gesellschaften nicht immer zu vermeiden ist.
So wäre die Herbeiführung und Innehaltung eines einigermaßen erträg-
lichen Butterpreises unmöglich gewesen, wenn man dem regellosen
Aufkauf und den wilden Preistreibereien der verschiedensten deutschen
und österreichischen Einkäufer auf den nordischen Märkten nicht ein
Ende gemacht hätte. Die Ausschaltung des Handels durch die Zentral-
Einkaufsgesellschaft war hier einfach ein Gebot der Notwehr. Ein
634 Miszellen.
anderes Importmonopol derselben Gesellschaft, dasjenige für öster-
reichische Eier, beruht auf einem Zwange, den unser Bundesgenosse
uns auferlegt hat. Die österreichische Regierung hat sich zur Frei-
gabe einer bestimmten Menge von Eiern für die Einfuhr nach
Deutschland nur unter der Bedingung einverstanden erklärt, daß der
Erwerb durch eine öffentliche Stelle erfolgt. Dem mußten wir uns fügen.
Ich führe diese Beispiele nur an, um zu zeigen, daß selbst das ex-
tremste Einfuhrmonopol einer Kriegsorganisation innere oder äußere Be-
rechtigung haben kann. Im übrigen kann es nach meinen früheren Aus-
führungen keinem Zweifel unterliegen, daß eine derartige völlige
Lahmlegung eines Importzweiges höchstens als ultima
ratio Berechtigung haben kann. Dringend zu warnen ist vor
Bestrebungen, die nach dieser Richtung noch über die bisherigen Maß-
nahmen hinausgehen möchten, Bestrebungen, wie sie in der Forderung
des Reichstags zum Ausdruck gelangt sind, es möchte der Zentral-
Einkaufsgesellschaft ein Monopol für die gesamte
Lebensmitteleinfuhr aus dem Ausland gegeben werden. Die
Notwendigkeit eines derartigen Vorgehens müßte erst noch sehr
zwingend nachgewiesen werden, es müßte aber außerdem auch be-
wiesen werden, daß die Gesellschaft überhaupt imstande wäre, den
Einfuhrhandel auf diesem Gebiete in ganzer Linie voll zu ersetzen.
Erfreulicherweise hat es nicht den Anschein, als ob die Reichs-
regierung gewillt wäre, der radikalen Forderung des Reichstags nach-
zugeben. Wohl aber fährt sie in steigendem Maße fort, die Einfuhr
der verschiedensten Güter wenigstens unter die Kontrolle der öffent-
lichen Stellen zu bringen, indem sie diese Waren der Beschlag-
nahme und Auslieferungspflicht unterwirft. Es scheint nötig,
darauf hinzuweisen, daß auch bei solchen Maßnahmen Vorsicht am
Platze ist, besonders deswegen, weil sie in der Durchführung nur zu
leicht auf eine Abschreckung und damit tatsächlich doch auch auf eine
Lahmlegung des Handels hinauslaufen. Es wird daher jedenfalls zu
fordern sein, daß in solchen Fällen alle Vorsorge getroffen wird, um
dem freien Handel die Möglichkeit und Neigung zu weiterer Betätigung
zu erhalten. Was in dieser Hinsicht zu geschehen hat, und was zu
vermeiden ist, das liegt auf dem Gebiete der Bestimmungen über die
Beschlagnahme und Enteignung, bezieht sich insbesondere auf die Re-
gelung der Uebernahmepreise.
Damit kommen wir zu einem Punkt, der auch für die Betätigung
der Kriegsorganisationen auf dem Markt der inländischen Güter die
größte Bedeutung hat und zu den für den Handel wichtigsten Fragen
der technischen Ausgestaltung dieser Kriegsgemeinwirtschaft gehört. Es
ist bekannt, daß dieser Punkt wie kaum ein anderer Anlaß zu größter
Unzufriedenheit in den Handelskreisen bildet. Es gibt wohl kaum
eine beschlagnahmte Ware, bei der von den Beteiligten nicht die Be-
schwerde erhoben wird, die bewilligten Uebernahmepreise seien auch
für den soliden Fachhandel vielfach in hohem Maße verlustbringend.
Diese Beschwerden sind so zahlreich, daß an ihrer Berechtigung nicht
gezweifelt werden kann. Was ist dagegen zu tun?
Miszellen. 635
Das Entschädigungsverfahren für beschlagnahmte Güter
ist in den verschiedenen Verordnungen nach abweichenden Grundsätzen
geordnet. Bisweilen findet sich nur die Anordnung eines angemessenen
Uebernahmepreises, dessen Festsetzung im einzelnen der öffentlichen
Stelle überlassen bleibt. Für die Bewertung der nach Erlaß der Ver-
ordnung aus dem Ausland eingeführten Güter ist mitunter als Mindest-
grenze vorgesehen, daß jedenfalls die Gestehungskosten zuzüglich eines
bestimmten Gewinnes zu vergüten sind. Die Regel aber ist, daß in
der Verordnnng Uebernahme-Höchstpreise vorgesehen sind, die von der
Beschlagnahmestelle nicht überschritten werden dürfen. Gewöhnlich
besteht daneben ein Sachverständigen-Schiedsgericht, das in Streitfällen
zu entscheiden hat, das aber, insoweit Höchstpreise angeordnet sind,
ebenfalls an diese gebunden ist. Lediglich der staatlichen Aufsichts-
behörde pflegt das Recht gegeben zu sein, in Ausnahmefällen eine Ver-
gütung über solche Höchstpreise hinaus zuzulassen.
Die Erfahrung zeigt, daß diese Regelung nicht genügt. Ich will
mich gegen die besonders befehdeten Uebernahme-Höchstpreise
als solche nicht wenden. Sie können mitunter einer völligen Willkür
der Uebernahmestellen gegenüber das Bessere sein, und sie mögen sich
in manchen Fällen als Richt- und Normpreise selbst gegenüber dem
Einfuhrhandel rechtfertigen lassen; sie sind als solche vielleicht hier
und da geeignet, die Marktverhältnisse des Auslandes zu unseren Gunsten
zu beeinflussen und Ankäufe zu verhüten, deren Preis denn doch ohne
Verhältnis zu dem Nutzen für die Gesamtheit wäre. Zu fordern aber
ist einmal, daß solche Uebernahme-Höchstpreise im Einklang mit den
Verhältnissen und unter Mitwirkung von Sachverständigen festgesetzt
und, soweit es notwendig ist, dauernd kontrolliert werden; und es ist
zweitens zu fordern, daß den in allen Fällen zu bestellenden Sach-
verständigen-Schiedsgerichten das Recht gegeben wird, da,
wo es geeignet und der Billigkeit entsprechend erscheint, über die
Höchstpreise hinauszugehen. Richtziel in der ganzen Entschädigungs-
frage muß sein, zwar einesteils zu verhindern, daß ungesunde Preis-
treibereien einzelner auf Kosten der Gesamtheit von Reichs und
Staats wegen honoriert werden, andererseits aber Maßregeln zu treffen,
daß der solide ordentliche Handel vor unverschuldeten Verlusten be-
wahrt bleibt und namentlich auch das private Einfuhrgeschäft nach
Möglichkeit erhalten wird.
Bei dem Verfahren der Beschlagnahme und Enteignung bildet einen
weiteren, öfter wiederkehrenden Beschwerdepunkt, daß zwischen Be-
schlagnahme und Verfügung über die Ware vielfach ein zu
großer Zwischenraum besteht. Der Grund dafür liegt in dem
von den Kriegsgesellschaften beobachteten System, die Ware nach Mög-
lichkeit nicht selbst in effigie zu übernehmen, sondern sich lediglich
durch die Beschlagnahme Kontroll- und Verfügungsgewalt zu verschaffen,
von der sie erst im Falle eintretenden Bedarfs durch unmittelbare Ueber-
weisung an die Verbrauchsstelle Gebrauch zu machen pflegen. Dieses
Verfahren ist zweifellos für die Organisationen sehr praktisch, und ohne-
dem wäre ihnen die Bewältigung ihrer Aufgabe wahrscheinlich über-
636 Miszellen,
haupt unmöglich. Es darf aber nicht übersehen werden, daß daraus
für den Lagerhalter schwere Nachteile entstehen, dessen Kapital
brach liegt, der zudem noch für Lagerung und Aufbewahrung der
Güter zu sorgen hat. Es sollte deshalb in allen Fällen, wo sich der
Zustand der Beschlagnahme länger hinzieht, wenigstens eine an-
gemessene Zinsentschädigung und eine Vergütung für die Lagerhaltung
gewährt werden.
Der Kaufmann, dem heute im Widerspruch zu diesen Grundsätzen
seine Ware recht häufig unter beträchtlichen Verlusten fortgenommen
wird, hat infolgedessen ein ganz besonderes Interesse an dem weiteren
Schicksal dieses Gutes, insbesondere an den Bedingungen, unter denen
es von den Beschlagnahmestellen wieder in den Verkehr gebracht
wird. Er muß da nicht selten beobachten, daß dies zu einem Preise
geschieht, der zu dem ihm gewährten in keinem Verhältnis steht, um
hundert und mehr Prozent darüber hinausgeht. Ja, es kann vorkommen,
daß jemand mit solchem Zuschlage seine eigenen Waren zurückkaufen
muß; d.h. in Wirklichkeit hat diese Ware sein Lager überhaupt nicht
verlassen, Beschlagnahme und Enteignung erfolgten nur theoretisch,
praktisch stellt sich die Sache für den Betroffenen lediglich so dar, daß
er eine Summe Geldes, mitunter eine ganz stattliche, an die Kriegs-
organisation zu zahlen hat, er weiß eigentlich nicht, wofür. Wie sind
solche Fälle zu erklären und zu verstehen? Es handelt sich dabei auf
der einen Seite um gesetzliche Uebernahmepreise, die der Idee nach den
Gestehungskosten der im Lande vorhandenen Ware entsprechen. Die Ge-
sellschaft kann sich aber mit diesen Warenmengen nicht begnügen, sie
muß aus dem Auslande dazu kaufen, dafür regelmäßig wesentlich höhere
Preise anlegen. Sie ist jedoch nicht in der Lage, für die artgleiche
Ware verschiedene Verkaufspreise, je nachdem der Erwerb im Inlande
oder im Auslande erfolgte, festzusetzen, sie kann günstigstenfalls nur
mit einem Mischpreis arbeiten, der regelmäßig wesentlich über dem
Uebernahmepreis für Inlandsware liegen wird. Wenn daher verlangt
worden ist, es solle die Preispolitik der Kriegsgesellschaften in der
Weise rechtlich gebunden werden, daß dieser Uebernahme-Höchstpreis
mit einem bestimmten Aufschlag zugleich die Obergrenze ihrer Verkaufs-
preise bildet, so halte ich das nicht für möglich und nicht für durch-
führbar. Der berechtigte Widerspruch der Beteiligten in den bekannt
gewordenen Fällen scheint sich mir auch lediglich daraus herzuleiten,
daß die Beschlagnahmepreise, sei es allgemein, sei es in Rücksicht auf
die besonderen Verhältnisse, zu niedrig angesetzt waren, daß dadurch
direkte Verluste entstanden. Das ist natürlich zu verurteilen. Aber
die Kritik hat dann bei den Uebernahmepreisen einzusetzen, und hier
ist die Abhilfe zu schaffen. Auch dann noch werden in aller Regel
zwischen den Beschlagnahmepreisen für Inlandsware und den Verkaufs-
preisen der Kriegsgesellschaften erheblichere Unterschiede bestehen
bleiben. Diese Unterschiede bedeuten denn aber nichts anderes als die
Enteignung einer Gewinnmöglichkeit des einzelnen Händlers zugunsten
der Gesamtheit, und dagegen lassen sich aus dem Sinn der ganzen Ein-
richtung Bedenken nicht herleiten.
Miszellen. 637
Ein verschiedentlich gegen die Reichsgetreidestelle er-
hobener Vorwurf der Preistreiberei liegt anders und ist anders zu be-
urteilen. Man stößt sich daran, daß diese Organisation ihr Mehl je
nach dem Verwendungszweck zu erheblich verschiedenen Preisen in den
Verkehr bringt, zu wesentlich höheren Preisen für die Bereitung von
Gries, Nudeln usw. als für die Zwecke der gewöhnlichen Bäckerei; man
bemängelt ferner die hohen Verkaufspreise für Roggen, der zur Her-
stellung von Getreidekaffee dient u. ä m. In allen diesen Fällen
handelt es sich um ein System künstlicher Sozialtaxen, bei dem
die Preise der Waren je nach der vermeintlich größeren oder geringeren
Unentbehrlichkeit der aus ihnen herzustellenden Erzeugnisse gestaffelt
werden, in der Absicht, den Preis für das der Brotbereitung dienende
Getreide und Mehl so niedrig wie möglich zu halten. Ob dabei praktisch
das Richtige getroffen worden ist, kann vielleicht zweifelhaft erscheinen.
Wenn man berücksichtigt, daß Gries und Nudeln schließlich doch auch
Volksnahrungsmittel sind, wird man die gewählten Spannungen vielleicht
sehr hoch finden. Aber das sind schließlich untergeordnete Fragen. Gegen
das Prinzip wird man Einwendungen kaum erheben können — daß wir
teure Kekse und verhältnismäßig billiges Brot haben, entspricht dem
Ernst der Zeit. Ich glaube, mit diesem Ausläufer des Kriegssozialismus
können wir uns mehr noch als mit manchem anderen befreunden.
Außer in den hier gekennzeichneten beiden Richtungen wird aber
die Preispolitik der Kriegsorganisationen auch sonst noch bemängelt.
Ganz im allgemeinen wird gegen sie der Vorwurf erhoben, daß sie un-
geachtet ihrer gemeinnützigen Bestimmung vielfach reine Erwerbs-
tendenzen verfolgten. Zum Beweise wird Bezug genommen auf Ver-
kaufspreise der Z.-E.-G., die über den Marktpreisen gestanden haben
sollen, auf angeblich übermäßige und unberechtigte Provisionen, die sich
dieselbe Gesellschaft für die Beschaffung einer Einfuhrerlaubnis im sog.
Kompensationsverkehr hat bezahlen lassen u. ä. m. Ob diese Klagen
ausreichen, um darauf ganz allgemein den Vorwurf der Profitsucht und
Preistreiberei gegen die Kriegsgesellschaften gründen zu können, lasse
ich dahingestellt. Kein Zweifel, wäre dieser Vorwurf berechtigt, so wäre
es einer der schwersten, die man den Kriegsorganisationen machen
könnte, namentlich gegenüber denen, die auf dem Gebiete der Volks-
ernährung tätig sind. Denn es ist doch eine ihrer vornehmsten Auf-
gaben, die Versorgung mit den notwendigen Bedarfsgegenständen zu
möglichst billigen Preisen sicherzustellen, und für Verstöße in dieser
Richtung wäre es keine ausreichende Entschuldigung, wenn darauf hin-
gewiesen würde, daß ein Gewinn der Gesellschaft nach dem Frieden
der Gesamtheit wieder zufiele. Mit solchen Zukunftsgewinnen wäre
wenig genützt, um die gegenwärtige Stunde geht es, um die drängende
Not der Zeit und des Volkes. Ich meinesteils glaube allerdings gar
nicht an solche Gewinne, glaube nicht an eigentlich fiskalische Ten-
denzen der beteiligten Stellen. Wenn gelegentlich Dinge zu beobachten
sind, die eine solche Deutung nahelegen, so vermute ich dahinter eher
das Bestreben, Deckung für geschäftliche Mißerfolge zu suchen. Daß
eolche Verluste sich unvermeidlich aus dem gemeinnützigen Charakter
638 Miszellen.
des Betriebes ergeben können und werden, darf man ohne weiteres zu-
geben. Bedenklicher wäre es, wenn sie in größerem Umfange auf
Fehlern und Mißgriffen der Verwaltungen beruhten.
Der Verdacht mangelnder geschäftlicher Tüchtigkeit
und Sachkenntnis erscheint Gebilden wie den Kriegsgesellschaften
gegenüber von vornherein einigermaßen begründet. Manches, was ich
aus den Kreisen der Beteiligten hörte, ist geeignet, ihn zu stützen.
Auch wenn man hier nur die Tätigkeit der Organisationen im Inlande
in Betracht zieht, fehlt es nicht an Bemängelungen nach dieser Richtung.
So wird darüber geklagt, daß durch fehlerhafte Behandlung von Waren
große Verluste entstanden seien, man wirft einzelnen öffentlichen Stellen
vor, daß sie durch unzweckmäßige Dispositionen unnötige und kosten-
verursachende Transporte verschuldet hätten, u.ä.m. Manche dieser
Mißstände werden aber nicht den Gesellschaften selbst zur Last zu
legen sein, sondern beruhen auf den Verordnungen und Bestimmungen,
nach denen diese sich zu richten und zu arbeiten haben. Andererseits
ist der strenge Zwang öffentlicher Regelung, von dem die Tätigkeit der
Organisationen umrahmt ist, ein Grund dafür, daß die ihnen von Natur
aus anhaftende Schwerfälligkeit immerhin nicht allzusehr in die Er-
scheinung tritt. Da so vieles durch rechtliche Bestimmung bindend
vorgeschrieben ist, da es zur Ausführung dieser Vorschriften weniger
besonderer Geschicklichkeit als der Anwendung gegebener Zwangsmittel
bedarf, so ist die Gelegenheit für die Gesellschaften, kaufmännisch zu
versagen, zweifellos eingeschränkt.
Um so größer ist unter diesen Verhältnissen für sie die Gefahr, in
das Fahrwasser bürokratischer Rücksichtslosigkeit und An-
maßung gegenüber den ihnen vielfach geradezu ausgelieferten Gewerbe-
treibenden, bisweilen auch gegenüber dem Publikum zu geraten. Wer
Gelegenheit hat zu beobachten, wie sich vielfach der Verkehr zwischen
den öffentlichen Stellen und den Beteiligten abwickelt, weiß, daß diese
Gefahr nicht immer vermieden wird. Mich hat es namentlich wunder-
genommen, wie schnell oft gerade auch Kaufleute in diesen Organisationen
in einen „Beamtenton“ verfallen, der bei wirklichen Beamten, besonders
höheren, viel seltener ist.
Gleichwohl sind die betroffenen Erwerbskreise gewöhnlich bereit.
alle diese großen und kleinen Unzuträglichkeiten auf sich zu nehmen,
wenn ihnen überhaupt nur die Möglichkeit gegeben wird, mit den Or-
ganisationen zu arbeiten und dadurch einigen Anteil an Geschäft und
Verkehr zu behalten. Das bleibt doch die größte Klage, daß der
Handel sich in stärkerem Maße ausgeschaltet glaubt, als
durch das System der Kriegsgemeinschaft an sich erfordert er-
scheint. Ueber die Kardinalfrage des Einfuhrhandels habe ich bereits
gesprochen. Nachzutragen wäre etwa der Wunsch, daß da, wo ein Ein-
fuhrmonopol der Organisation nicht vermeidbar erscheint, oder wo über-
haupt das Einfuhrgeschäft von einer öffentlichen Stelle betrieben wird,
der orts- und fachkundige Handel wenigstens in weitem Umfang als
Kommissionär herangezogen wird. Das wird im beiderseitigen Inter-
esse sein.
Miszellen. 639
Aber auch im inländischen Wirkungskreis der Organisationen scheint
noch manche Möglichkeit zu bestehen, dem Betätigungsdrang des Han-
dels freieren Lauf zu lassen. Diese Möglichkeiten hier im einzelnen
aufzuzeigen, ist unmöglich. Bedingte es doch ein Eingehen auf die
Einrichtung und Struktur der verschiedenen in Betracht kommenden
Stellen, eine Nachprüfung ihrer ganzen geschäftlichen Praxis, was ebenso
sehr die Rücksicht auf den Raum wie die gegenwärtig durch das öffent-
liche Interesse erforderte Zurückhaltung in der Kritik verbietet. Ich
beschränke mich daher auf einen Punkt von grundsätzlichem allgemeine-
ren Interesse.
Er betrifft die Verhältnisse der Versorgung mit Lebens-
mitteln durch jenes System der Organisation, an dessen Spitze die
Zentral-Einkaufsgesellschaft steht. Diese Gesellschaft, deren
Bedeutung ständig zunimmt, erwirbt auf Grund ihrer Vorrechte oder in
freier Geschäftstätigkeit Waren, in denen eine Knappheit besteht oder
zu befürchten ist, um durch planmäßige Zuführung an den Verbraucher
dem Mangel zu steuern und die Preisgestaltung zu beeinflussen. Dieser
Verteilungsaufgabe widmet sich aber die Gesellschaft regelmäßig nicht
selbst, sondern bedient sich dazu der Vermittlung der Kommunen.
Anderes wirkt dazu, um diesen den Charakter großer Warenvertriebe
während des Krieges zu geben. Durch kriegsrechtliche Vorschriften
sind sie mehrfach ausdrücklich verpflichtet, für die Beschaffung von
Waren zu sorgen, und sie bemühen sich darüber hinaus wohl sämtlich
und teilweise in der umfassendsten Weise, auch durch freien eigenen
Einkauf die Versorgung ihrer Bevölkerung sicherzustellen. Der Absatz
dieser so bei den Kommunen zusammenströmenden Waren erfolgt gemäß
dem Ziel der ganzen Einrichtung nicht nach den Grundsätzen völlig
freien Verkehrs, sondern mehr oder weniger in zwangsläufigen Bahnen.
Für deren Anordnung und Durchführung sind den Gemeinden außer-
ordentlich weitgehende rechtliche Befugnisse gegeben worden. Durch
die Bundesratsverordnung über die Errichtung von Preisprüfungsstellen
und die Versorgungsregelung vom 25. Sept. 1915 und die ergänzende
Verordnung vom 4. Nov. 1915 haben sie das Recht erhalten, mit Zu-
stimmung der Landeszentralbehörde den Lebensmittel- und verwandten
Handel ihres Bezirks nicht nur weitgehend zu regeln und zu über-
wachen, sondern mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen völlig
zu monopolisieren. Es darf erwartet werden, daß die Gemeinden von
dieser letzteren Befugnis nur im äußersten Notfalle Gebrauch machen;
Klagen über eine mißbräuchliche Anwendung der Bestimmung sind mir
bisher nicht bekannt geworden. Die Gemeinden sind anscheinend klug
genug, dieses Danaergeschenk der Gesetzgebung zu verschmähen. Wohl
aber herrscht vielfach Beschwerde darüber, daß die Kommunen den
Handel beim Vertrieb der von ihnen erworbenen Waren nicht oder nicht
in ausreichender oder zweckmäßiger Weise heranziehen.
Die Grundsätze, nach denen die Kommunen sich die
Austeilung angelegen sein lassen, sind sehr verschiedene.
Aber wohl in jeder Gemeinde erfolgt, sei es in größerem oder in ge-
zingerem Umfange, eine Abgabe von Waren unmittelbar an
640 Miszellen. }
den Verbraucher durch eigene kommunale Stellen. Dieses Vər-
fahren scheint eine unbedingte Berechtigung nur insoweit für sich in
Anspruch nehmen zu können, als es sich um die Versorgung notleidender
Personen oder Bevölkerungsteile handelt zu Preisen, die hinter den Ge-
stehungs- und Verteilungskosten zurückbleiben. Für allen sonstigen
Warenvertrieb vermag ich eine Notwendigkeit für den unmittelbaren
städtischen Verkauf im allgemeinen nicht anzuerkennen. Die Sicher-
stellung niedriger Preise und selbst eine planmäßige Rationierung der
Vorräte lassen sich sehr wohl erreichen, auch wenn die Ware dem
Handel zum Vertrieb überlassen wird. Dies muß als das grundsätz-
lich Richtige und für alle Teile Zweckmäßige bezeichnet werden. Der
städtische Vertrieb bedingt schwerlich geringere Kosten als die Aus-
teilung durch den berufsmäßigen Handel. Dabei wird dieser regelmäßig
fachgerechter arbeiten und mit der großen Zahl seiner Verkaufsstellen
dem Verbraucher mehr Bequemlichkeiten gewähren als irgendwelche
kommunale Abgabestellen.
Vielfach hat man dies eingesehen, von dieser Erkenntnis jedoch
nur insoweit Gebrauch gemacht, als lediglich der Kleinhandel
für den Absatz der kommunalen Warenbezüge herangezogen wurde.
Auch das muß als eine Unvollkommenheit bezeichnet werden. Die Ge-
meinden sind auch bei diesem Verfahren noch mit einer Verteilungs-
arbeit belastet, auf die sie besser verzichteten, und die sie der berufs-
mäßigen Instanz, dem Großhandel, überlassen sollten. Der Vertrieb
der städtischen Waren wird sich am glattesten, bequemsten und billig-
sten vollziehen, wenn ihm die bestehende Absatzorganisation in allen
Schichten und Zweigen dienstbar gemacht wird.
Großhandel und Kleinhandel werden hierzu willig überall die Hand
bieten und sich denjenigen Beschränkungen unterordnen, die durch die
Rücksicht auf die Zeit und das Gesamtwohl gefordert sind. Freilich ist
es auch ein Interesse der Allgemeinheit, daß unnötige Beeinträch-
tigungen und Schädigungen dabei vermieden werden. Das ist,
soweit man überhaupt den Handel heranzog, nicht immer geschehen. Die
ihm in den kommunalen Lieferungsverträgen auferlegten Bedingungen
sind vielfach sehr rigoros und einseitig, so wenn, wie das Regel zu sein
scheint, jedes Einspruchsrecht gegenüber qualitativen und quantitativen
Mängeln der Ware glatt abgeschnitten wird. Auch die dem Handel
zugestandenen Gewinnzuschläge geben zu Klagen Anlaß. Ein grund-
sätzlicher Mangel ist es, daß das System der Versorgung mit Lebens-
mitteln durch die Kommunen den Aktionsradius des Handels mehr oder
weniger einengt. Wenigstens für das Gebiet der Z.-E.-G.-Waren galt
früher durchweg die Vorschrift, daß sie nur im Bezirk der den Bezug
vermittelnden Kommune abgesetzt werden dürften. Die Z.-E.-G. soll
neuerdings den Kommunen eine mildere Handhabung dieser Bestim-
mung gestattet haben. Hoffentlich wird von dieser Ermächtigung überall
Gebrauch gemacht und damit ein Uebelstand verringert, unter dem
namentlich der Großhandel sehr gelitten hat. Dessen Absatzkreis reicht
regelmäßig über den Bezirk der Kommune hinaus, und die lokale Be-
grenzung reißt ihm seine natürlichen Absatzbeziehungen entzwei.
Miszellen. 641
Abhilfe für diese im System begründete Unvollkommenheit wie für
andere Mißstände und überhaupt eine vollkommenere Durchführung der
kommunalen Lebensmittelversorgung erhofft man vielfach von gewissen
Organisationen, die mancherorts für diese Zwecke geschaffen worden
sind. Es handelt sich dabei einmal um die Vereinigung einer größeren
oder geringeren Zahl von Kommunen zu einer gemeinsamen Einkaufs-
zentrale — eine Sache, der lediglich verwaltungstechnisches Interesse
zukommt. Es sind aber neben oder in Verbindung mit diesen Ein-
kaufszentralen andere Organisationen entstanden, deren Grundgedanke
darin beruht, den beteiligten Handel mit den behördlichen Stellen zu
gemeinsamer Lösung insbesondere der Verteilungsaufgabe in Gesell-
schaften rein gemeinnützigen oder doch gemischt - wirtschaftlichen
Charakters zu vereinigen. Die Urteile über diese Gesellschaften und
über das, was der Handel von ihnen zu erwarten hat, gehen auseinan-
der. Vieles, ja alles hängt natürlich davon ab, wie der Gedanke im
einzelnen in die Tat umgesetzt ist. Auf solche Einzelheiten und die
Verschiedenheiten der technischen Organisation vermag ich hier nicht
einzugehen. Das Prinzip scheint mir richtig und begrüßungswert, und
ich hoffe, daß es gelingen wird, durch seine Anwendung dem Handel
in reichlicherem Maße als bisher die Stellung wiederzugewinnen, die
ihm für die Lebensmittelversorgung durchaus und gerade auch während
des Krieges zukommt. Wichtig scheint es mir allerdings, daß solche
Organisationen sich nicht auf den Bezirk einer einzelnen Kommune be-
schränken. Eine genügende Breite der geographischen Basis scheint
die Vorbedingung für die richtige Wirksamkeit einer solchen Einrich-
tung zu sein. In Straßburg, wo man mit Rücksicht auf den Festungs-
charakter die „Gesellschaft für Volksernährung m. b. H.“ lediglich für
diese eine Gemeinde installieren mußte, ist schließlich nichts weiter
herausgekommen als eine gemischt-wirtschaftliche Unternehmung, an
der von händlerischer Seite lediglich eine einzige Großfirma beteiligt
ist. Wo es irgend angeht, sollte man in möglichst weitem Umfange
die durch wirtschaftliche Lage und Beziehungen enger verbundenen
Kommunen zu solchen interlokalen Zentralen der Lebensmittelversorgung
und namentlich des Lebensmittelvertriebes zusammenfassen. Das wird
in der Tat neben manchen technisch - wirtschaftlichen Vorteilen ins-
besondere das Gute haben, daß dem Großhandel seine natürlichen Ab-
satzgebiete weniger verkümmert und beschnitten werden, als es andern-
falls und bisher noch meist geschieht.
Zweckmäßig wird es sein, derartige Einrichtungen nicht nur bei
städtischen, sondern auch bei ländlichen Kommunalverbän-
den zu treffen. In manchen Fällen wird es auch möglich sein und
hat es sich als möglich erwiesen, Stadt und Land in einer Organisation
zu vereinigen. Jedenfalls kann es nur erwünscht sein, wenn auf diese
Weise dem Handel immer weiteres Gebiet zurückgewonnen wird, und
die Einbeziehung der ländlichen Bezirke dürfte noch den besonderen
Vorteil haben, daß die bessere Versorgung dieser Gegenden mit dort
fehlenden Waren, wie etwa Heringen, die Neigung zur Zurückhaltung
der agrarischen Lebensmittel verringern wird.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 41
642 Miszellen.
Wenn ich die wesentliche Bedeutung der geschilderten Organi-
sationen darin erblicke, daß sie den Großhandel in der erforderlichen
Weise zur Geltung kommen lassen werden, so ist auf der anderen Seite
auch von Bestrebungen zu berichten, die in gewissem Gegensatze dazu
durch besondere Einrichtungen den Kleinhandel in den Vordergrund für
die Versorgungsregelung zu schieben suchen. Es handelt sich darum,
daß bestehende oder zu bildende Einkaufsvereinigungen des
Kleinhandels möglichst das Heft beim städtischen Nahrungsmittel-
vertrieb in die Hand bekommen sollen. Auch der Reichstag hat sich
dafür ausgesprochen, „daß bei der Versorgung der Bevölkerung mit Lebens-
mitteln die bestehenden Kleinhandelsvereinigungen beteiligt, von Be-
hörden und Gemeindeverwaltungen auf die Bildung und den örtlichen
Zusammenschluß weiterer derartiger Vereinigungen hingewirkt und die
Kleinhandelsvereinigungen eines Ortes als Großeinkäufer anerkannt
werden“. Gegen den Wortlaut dieses Beschlusses will ich mich nicht
wenden. Solche Kleinhandelsvereinigungen können in ihrer Art etwas
sehr Nützliches sein, und wo sie bestehen, dürfen sie verlangen, ent-
sprechend am Geschäft beteiligt zu werden. Es besteht aber der be-
gründete Verdacht, daß die Kreise, die jenes Reichstagsbeschlusses An-
reger und geistige Urheber sind, im Grunde auf viel mehr hinauswollen,
die zwangsweise Bildung solcher Vereine erstreben und eine Monopol-
stellung in der Lebensmittelversorgung für sie in Anspruch nehmen.
Das wäre weder im Sinne der Kleinhändler, die ihren Vorteil bisher
außerhalb der Einkaufsvereinigungen gesucht haben, noch wäre damit
der Sache gedient. Der Großhandel ist nicht, wie anscheinend selbst
Kaufleute manchmal meinen, ein überflüssiges Zwischenglied, und er
kann in seinen eigenartigen Funktionen durch anderes niemals voll er-
setzt werden.
Die Schwierigkeiten, die das System der Lebensmittelversorgung
durch die Kommunen unter allen Umständen für ihn im Gefolge haben
muß, haben zu dem Gedanken geführt, ob man nicht die städtische
Bezugsvermittlung einschränken und den Handel in unmittelbare
Beziehung zur Z.-E.-G. bringen sollte. Wenn es ginge, wäre das
gewiß erwünscht. Ich glaube aber nicht, daß die Gesellschaft, deren
Geschäfte ohnehin in ständiger Ausdehnung begriffen sind, gewillt und
imstande wäre, ihre Arbeit dadurch noch weiter zu erschweren und zu
komplizieren, daß sie zu der Last der Versorgung der Gemeinden —
ganz werden die sicher nicht zurücktreten können — den Verkehr mit Tau-
senden von Firmen hinzunimmt. Die Z.-E.-G. würde gegen einen solchen
Verkehr vermutlich auch das Bedenken haben, daß er ihr nicht mehr
die genügende Möglichkeit zur Kontrolle der Preise und zur gleich-
mäßigen Versorgung der verschiedenen Bezirke gäbe. Ich wüßte der-
artigen Einwendungen einstweilen nichts entgegenzustellen und kann daher
jenen Plänen, so sehr ich ihre Absicht würdige, keine praktische Be-
deutung beimessen.
Manches von dem, was hier über die Frage der Ausschaltung des
Handels gesagt wurde, streifte bereits ein Problem, auf das ich schließ-
lich noch mit einem Worte eingehen möchte. Es betrifft die Form der
Miszellen. 643
Kriegsorganisationen. Diese Form ist nach den mannigfachen Auf-
gaben und Funktionen, die sich jeweils in ihnen verkörpern, im einzelnen
eine sehr verschiedene. Aber es lassen sich doch deutlich zwei Typen
erkennen, die in den abweichendsten Ausgestaltungen immer wieder-
kehren.
Der eine Typ findet seine reinste und schärfste Ausprägung in den
Rohstoff-Gesellschaften. Eine Anzahl größerer Firmen aus einem
oder mehreren verwandten Geschäftszweigen, mit den Erfahrungen ihrer
Leiter und mit finanziellen Mitteln zusammengeschlossen, rechtlich meist
durch das Band der G. m. b. H., tatsächlich zu einer gemeinnützigen
Vereinigung, deren Bestimmung es ist, auf einem enger oder weiter
umgrenzten Warenverkehrsgebiet Kriegsordnung und Kriegsrecht durch-
zuführen. Also ein System der organisierten Selbsthilfe. Man könnte
geneigt sein, dies für das Ideale zu halten. Soweit den Organisationen
nicht erhebliche behördliche Zwangsbefugnisse gegeben sind, möchte
das auch zutreffen. Ich erinnere an das, was ich über die städtischen
Versorgungsgesellschaften ausgeführt habe. Anders liegt die Sache aber,
wo es sich, wie namentlich bei den Rohstoff-Gesellschaften, um Stellen
handelt, die mit einem gerüttelten Maße staatlicher Macht und staat-
lichen Zwanges ausgerüstet sind. Die Erfahrung zeigt, daß gerade
gegen die Rohstoff-Gesellschaften besonders heftige Klagen erhoben
werden. Diese Klagen beziehen sich allerdings einmal auf Verhältnisse,
die von den Gesellschaften nicht geschaffen sind, auf die ihnen selbst
von dem höheren Willen des Staates gesetzten Rechtsvorschriften. Aber
wenn man davon absieht, bleibt immer noch genug an Unzufriedenheit
und Erbitterung übrig, deren Gegenstand die eigene Betätigung der
Organisationen bildet. Den eigentlichen Angriffspunkt bildet dabei fast
immer die Zusammensetzung der Gesellschaften aus Beteiligten. Man
will sich vom Konkurrenten nicht in die Karten sehen lassen, fürchtet
Preisgabe wichtiger Geschäftsgeheimnisse und argwöhnt hinter jeder
beeinträchtigenden und schädigenden Maßnahme höchstpersönlichen Brot-
neid. Dieses Mißtrauen ist um so größer, wenn der Betroffene, wie es
leider der Fall ist, erleben muß, daß nicht einmal eigentliche Berufs-
genossen, sondern wirtschaftliche Gegner ihn regieren, Landwirte den
Kaufmann, Fabrikanten und Verbraucher den Händler. Wie weit unter
solchen Verhältnissen das Mißtrauen gehen kann, dafür nur ein Beispiel.
In einer auch sonst recht lehrreichen Eingabe, die eine Anzahl von
Firmen des Chemikalien-Großhandels vor einiger Zeit an das Reichsamt
des Innern richtete, findet sich die Behauptung, eine Rohstoff-Organi-
sation habe eine bestimmte Chemikalie ohne zureichende Grundlage
lediglich deswegen beschlagnahmt, um später durch das System der
Freigabescheine die für diese Ware in Betracht kommenden Abnehmer
kennen zu lernen. Ob diese Behauptung richtig ist, ist hier neben-
sächlich; es genügt, daß sie von angesehenen Kaufleuten aufgestellt
werden konnte.
Der Organisationsfehler liegt auf der Hand. Was soll man gegen
ihn tun, praktisch nämlich? Daß er gemacht wurde, ist historisch sehr
41*
644 Miszellen.
begreiflich. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie diese Organisationen
sozusagen aus der Erde gestampft wurden, ist es ohne weiteres klar,
daß man sich dabei so weitgehend auf Beteiligte stützen mußte und
auch über deren Zusammensetzung sich nicht lange den Kopf zerbrach.
Und nachdem alle diese Organisationen nunmehr geraume Zeit in Wirk-
samkeit sind, wird an eine völlige Umorganisierung jetzt vollends nicht
mehr zu denken sein. Das einzige, was vielleicht erreichbar wäre, ist
die Forderung, daß die Zusammensetzung der Gesellschaften daraufhin
nachgeprüft wird, inwieweit wenigstens eine Ergänzung angezeigt er-
scheint, um den Interessen aller Beteiligten Rechnung zu tragen. Grund-
sätzlich aber wird, zumal im Hinblick auf etwa noch hinzutretende Neu-
bildungen, daran festzuhalten sein, daß zur Durchführung der kriegs-
wirtschaftlichen Organisation Interessentenvereinigungen insoweit im all-
gemeinen ungeeignet erscheinen, als ihnen erhebliche Zwangsbefugnisse
gegenüber Wettbewerbern im eigenen oder in anderen Gewerbezweigen
übertragen werden müßten.
Im Gegensatz zu den Interessenten-Organisationen finden wir unter
den verschiedenen Kriegsstellen aber auch heute bereits einen anderen
Typ herausgebildet, der mehr oder völlig die gewohnten Züge be-
hördenmäßiger Gestaltung zeigt. Zwar findet sich auch hier,
bisweilen neben einer besonderen „Verwaltungsabteilung“, die rechtliche
Form der G. m. b. H. Aber ihre Gesellschafter sind in der Hauptsache
Personen des öffentlichen Rechts, das Reich, die Bundesstaaten, Kom-
munen und Kommunalverbände, daneben wohl auch Firmen und Einzel-
personen, die aber an dem bewirtschafteten Verkehr nicht besonders
beteiligt sind, lediglich als gemeinnützige Geldgeber erscheinen. Dem-
entsprechend erfolgt die Geschäftsführung durch staatliche Beamte oder
doch durch Personen, die, häufig den verschiedensten Berufszweigen ent-
stammend, nicht durch ein nebenher gehendes eigenes Geschäftsinteress>
in ihrer Objektivität gefährdet sind. Die Bedenken, die gegen die Roh-
stoff-Gesellschaften bestehen, sind demnach ausgeschaltet. Hier tritt
nur andererseits der staatswirtschaftlichen Unternehmungen von Natur
aus anhaftende Mangel unzureichender geschäftlicher Anpassungsfähig-
keit leicht schärfer in die Erscheinung. Hier muß deshalb zum Unter-
schied gefordert werden, daß keine Gelegenheit versäumt wird, Sach-
verständige zur Leitung und Ausführung heranzuziehen. So viele
Industrie- und Handelszweige sind heute völlig lahmgelegt und aus-
geschaltet, daß es möglich sein müßte, eine größere Anzahl erfahrener,
jetzt aber nicht am Geschäft beteiligter Personen zu gewinnen und sie
den behördlichen Organisationen einzuordnen. Es geschieht dies teil-
weise wohl schon heute, aber darauf müßte noch weiter Bedacht ge-
nommen werden. Schließlich sollte man auch die unmittelbar im Ge-
schäftsleben tätigen Gewerbetreibenden in geeigneten Fällen heranziehen.
sie, wo es ohne Gefährdung höherer Interessen angeht, durch ehren-
amtliche Tätigkeit beteiligen und namentlich ihren Rat und ihre Meinung
vor wichtigen Maßnahmen, von denen sie betroffen werden, einzuholen
niemals unterlassen. Das Gleiche ist in Anspruch zu nehmen für die
zuständigen Berufsvertretungen dieser Kreise, insbesondere ihre amt-
Miszellen. 645
lichen Berufsvertretungen. In der Vereinigung staatlicher Autorität und
Objektivität mit beruflicher Sachkenntnis und Erfahrung wird das er-
reichbare Ideal einer behördlichen Kriegsorganisation zu erblicken sein.
Ich sage ausdrücklich: das erreichbare Ideal. Unzählige Schwierig-
keiten und unendliche Schädigungen werden immer mit dieser Kriegs-
gemeinwirtschaft verbunden bleiben. Ich glaube mit meinen Ausführungen
den Beweis erbracht zu haben, daß, wie immer man sie auch gestalten
möge, sie doch nur einen Notzustand darstellt, einen Zustand, dem
man sich unter dem Zwange der Verhältnisse beugt, den aber, wenn
auch in gemilderter Form, verewigen zu wollen, schlechterdings ein
Unding wäre. Manche der geschaffenen Organisationen mögen auch
nach dem Kriege noch eine Weile in Wirksamkeit bleiben, um die Ueber-
leitung der Volkswirtscheft in den Friedenszustand zu sichern und zu
fördern. Dann aber werden wir uns schmerzlos von ihnen trennen, und,
nachdem die Welt erfahren hat, was es heißt, ohne den Handel, den
viel geschmähten, auskommen zu müssen, wird man ihm willig seine
Herrschaft zurückgeben. Sache der berufenen Stellen aber wird es sein,
Sorge zu tragen, daß der Handel dann überhaupt noch vorhanden ist,
daB sie ihn vor Auswüchsen und Mißständen der jetzigen Ordnung
schützen, die ihm das Durchhalten übermäßig erschweren und vielfach
geradezu seinen Bestand gefährden !).
1) Vorstehende Ausführungen beruhen auf einem Bericht, den der Verfasser am
10. Februar 1916 vor dem Ausschuß des Deutschen Handelstags in Berlin er-
stattet hat. Im Anschluß an diesen Bericht gab der Ausschuß einstimmig folgende Er-
klärung ab:
„Die aus den Verhältnissen des Krieges entstandene Zwangsregelung auf
weiten Gebieten des Warenverkehrs durch eine unübersehbare Fülle von be-
hördlichen und behördenähnlichen Stellen bedeutet eine schwere Last
für Industrie und Handel. Sie wird von ihnen in opferwilligem Verständnis für die
Not der Zeit getragen. Aber diese Stände betrachten es andererseits als ihr Recht
und ihre Pflicht, sich gegen Auswüchse und Uebertreibungen eines solchen Systems
zu wenden.
Sie warnen insonderheit davor, die gemeinwirtschaftliche Regelung in wach-
sendem Umfange ohne zwingende Gründe auch auf den Einfuhrhandel auszu-
dehnen, dessen Anforderungen an kaufmännische Regsamkeit und Anpassungsfähig-
keit öffentliehe Stellen nicht genügend gewachsen sind. Der Beschluß des Reichstags
vom 14. Januar d. J., der der Zentral-Einkaufsgesellschaft ein Monopol für den ge-
samten Einfuhrhandel in Lebensmitteln zugewiesen sehen will, entbehrt in dieser
Verallgemeinerung der zureichenden Begründung und kann nicht gebilligt werden.
Sowohl zum Zwecke der Aufrechterhaltung des privaten Einfuhrgeschäfts wie
zum Schutz des Kaufmanns gegen unverdiente Verluste bedarf es einer richtigeren
Ausgestaltung des Verfahrens der Beschlagnahme und Enteignung. — Die
Uebernahmepreise müssen so bemessen werden, daß sie, ohne Preistreibereien
zu unterstützen, doch dem ordentlichen Handel den Ersatz seiner Gestehungskosten
und einen angemessenen Gewinn gewähren. Zur Festsetzung und dauernden Ueber-
wachung dieser Preise sind Sachverständige aus den betroffenen Gewerbszweigen
heranzuziehen. Streitfälle sind durchweg von Sachverständigen-Schiedsgerichten zu
entscheiden; ihnen ist das Recht zu geben, in Ausnahmefällen über etwaige Höchst-
preise hinauszugehen. — Erfolgt Enteignung und Uebernahme erst längere Zeit nach
der Beschlagnahme, muß dem Lagerhalter ein Anspruch auf Entschädigung für
Zinsverlust und Aufbewahrung zugestanden werden.
In ihrer eigenen Preispolitik dürfen die öffentlichen Organisationen niemals
den gemeinnützigen Zweck, dem sie ihre Daseinsberechtigung verdanken, aus
646 Miszellen.
dem Auge verlieren und sind zu entsprechendem Verhalten erforderlichenfalls von
den Aufsichtsbehörden zu veranlassen.
Ihre bevorzugte Stellung dürfen sie nicht benutzen, um im geschäftlichen Ver-
kehr Rechte und Pflichten einseitig zu ihren Gunsten festzusetzen.
Bei der Durchführung der ihnen obliegenden Aufgaben haben sie den freien
Handel nicht nur so wenig wie möglich zu behindern, sondern unter Zuziehung
der amtlichen Handelsvertretungen nach Möglichkeit zu fördern und heranzu-
ziehen. — Auf dem Gebiet der Lebensmittelversorgung kann die Bildung besonderer
kommunaler Einkaufs- und Verteilungsstellen, wenn in ihnen Behörden
und Handel gemeinnützig zusammenwirken, ein geeignetes Mittel dafür bilden.
Die Form einer Interessentenvereinigung, wie sie die Rohstoff-
Gesellschaften darstellen, erscheint für eine mit erheblicheren öffentlichen
Zwangsbefugnissen ausgestattete Organisation nicht geeignet. Zum wenigsten müßte
Sorge getragen werden, daß ihr Vertreter aller beteiligten Interessen angehören.
Die mehr in behördlicher Form aufgebauten Organisationen be-
dürfen dagegen der stärkeren Durchdringung mit sachverständigen Persönlichkeiten
und sollten sich in größerem Umfange des Rates und der Unterstützung der Be-
teiligten bedienen.
Eine völlige Beseitigung aller mit den Kriegsorganisationen verbundenen Un-
zuträglichkeiten und Schäden wird niemals gelingen; den freien Handel wirklich zu
ersetzen, sind sie ihrer Natur nach außerstande. Sie finden ihre einzige Begründung
in den Verhältnissen dieses Krieges und sind nach seiner Beendigung so
rasch wie möglich wieder zu beseitigen.“ ‘6. ©.)
Miszellen. 647
XI.
Deutschland und der Balkanmarkt.
Von Arthur Dix, zurzeit Sofia.
I. Einleitung.
Auf dem Balkan vollziehen sich seit einer Reihe von Jahren poli-
tische Umwälzungen, die nunmehr einem gewissen Abschluß entgegen-
zugehen scheinen. Bis zum Jahre 1877 war die Türkei die Vormacht
des Balkans gewesen. Lange zuvor aber hatte bereits ein Abbröcke-
lungsprozeß begonnen, der einen ersten Höhepunkt im Frieden zu San
Stefano erreichte. Der Berliner Kongreß, der diesen Friedensschluß
außer Kraft setzte, gab einerseits der Türkei einen Teil der verlorenen
Macht wieder und legte andererseits den Grund zu einer politischen
Entwicklung, die bestimmt schien, auf dem Balkan keine Vormacht,
sondern eine Art Gleichgewicht der Mächte gelten zu lassen.
Auch als der türkische Abbröckelungsprozeß nach der Staats-
umwälzung eine neue Auflage erlebte, wurde zunächst diesem Gleich-
gewicht der Balkanmächte zugestrebt. Das letzte Viertel des Jahres
1915 hat dann jedoch mit jener ganzen Geschichtsperiode abgeschlossen
und eine neue Balkanvormacht lebendig werden lassen, die schon vor
Jahrhunderten einmal für kurze Zeit diesen Rang innegehabt.
Der Nordwestbalkan ist bestimmt, in dieser oder jener staatsrecht-
lichen Form zum Einflußgebiet Oesterreich-Ungarns zu werden. Ueber
das künftige Geschick Albaniens herrscht zurzeit noch einige Ungewil-
heit; doch kann dieses Land in keinem Falle eine starke politische
oder wirtschaftliche Rolle spielen. Griechenland wird trotz der aus
dem letzten Balkankrieg gezogenen Gewinne an das neue Bulgarien
weder an Umfang noch an Bevölkerung, weder an militärischer noch
an wirtschaftlicher Bedeutung heranreichen. Militärisch wie wirtschaft-
lich hat es in diesem Kriege einen wenig beneidenswerten Stand. Die
große Abhängigkeit von der Einfuhr bei geringer Eignung seiner Be-
wohner zur Steigerung der Gütererzeugung vom eigenen Boden lassen
das Land zu keiner erheblich ins Gewicht zu werfenden Kraft kommen.
Die politischen Umwälzungen haben zur sicheren Folgeerscheinung
beträchtliche wirtschaftliche Umgestaltungen auf dem ganzen Balkan-
markt, denen wir rechtzeitig unsere Aufmerksamkeit zu widmen haben,
Die nachfolgenden Untersuchungen sollen sich unter besonderer Bertick-
sichtigung der Beziehungen Deutschlands zum Balkanmarkt in Gegen-
wart und Zukunft auf das eigentliche Balkangebiet ohne die griechische
648 Miszellen.
Halbinsel beschränken, d. h. in politischer Abgrenzung auf das bis-
herige Serbien, Montenegro, Bulgarien und Albanien — über welch
letzteres wirtschaftlich freilich nur sehr wenig zu sagen sein wird.
Geographisch und verkehrspolitisch läßt sich Neugriechenland nördlich
von Salonik aus diesen Betrachtungen nicht ganz ausscheiden.
II. Deutschland und der alte Balkanmarkt.
Prüfen wir zunächst die Beziehungen zwischen Deutschland und
dem Balkanmarkt in seiner Gestaltung von 1912, so haben wir uns
sowohl an die deutsche Handelsstatistik wie an jene der Balkanländer
zu halten, dabei aber ins Auge zu fassen, daß weder diese noch jene
die wirklichen deutsch-balkanischen Handelsbeziehungen klar und rest-
los veranschaulichen. Der Verkehr zwischen Deutschland und den
Ländern des Zentralbalkans vollzog sich zum nicht unbeträchtlichen
Teil durch belgische, englische, griechische, türkische und österreichische
Vermittlung und war in dieser Form für uns statistisch nicht ganz
nach seinem wirklichen Ursprung erfaßbar.
Wenn wir die deutsche Handelsstatistik nach den deutschen Wirt-
schaftsbeziehungen befragen, so gibt sie uns das folgende Bild:
Es betrug in Millionen Mark die deutsche
Einfuhr Ausfuhr
im Verkehr 1912 1911 1910 1912 1911 1910
Bulgarien 18,0 10,6 6,3 28,6 23,9 19,0
Serbien 19,7 24,8 17,9 18,5 21,3 19,1
Montenegro 0,0 0,0 0,0 0,1 0,2 0,5
Türkei 77,6 70,1 67,4 112,8 112,8 104,9
Die Angaben bezüglich der Türkei sind für unsere Betrachtung
von sehr geringem Wert, da der Handel der europäischen Türkei nicht
getrennt aufgeführt wird. Nach dieser deutschen Statistik wäre etwa
zu schätzen, daß Deutschland mit dem ganzen Balkanmarkt (ohne
Griechenland) vor den Kriegen (1911) nur durch einen Gesamthandel
von rund 120 Mill. M. verbunden gewesen wäre — eine in Anbetracht
namentlich der belgischen, aber auch der österreichischen Vermitt-
lung sicher hinter den Tatsachen bedeutend zurückbleibende Ziffer.
Die Statistik der Balkanländer ihrerseits gibt ein zum Teil wesent-
lich abweichendes Bild. Nachstehend geben wir einen Gesamtüberblick
über ihre Handelsbeziehungen zu den verschiedenen Ländern, um da-
durch zugleich erkennen zu lassen, an welchem Platze sie den Handel
mit Deutschland führen (durchweg umgerechnet in Millionen Mark):
1. Bulgarien 1911.
Einfuhr Ausfuhr Einfuhr Ausfuhr
Gesamthandel 161 148 5. Türkei 13 23
1. Deutschland 34 18 6. Frankreich 20 9
2. Belgien 4 43 7. Italien 7 3
3. Oesterreich-Ungarn 39 8 8. Rumänien 7 I
4. England 24 19 9. Rußland 5 =
Miszellen. 649
2. Serbien 1911.
Einfuhr Ausfuhr Einfuhr Ausfuhr
Gesamthandel 92 94 6. Italien 3
1. Oesterreich-Ungarn 38 38 7. Belgien 2 5
2. Deutschland 25 2I 8. Rumänien I 5
3. Türkei 3 10 9. Bulgarien I 2
4. Frankreich 5 3 10. Rußland 3 —
5. England 8 —
3. Montenegro 1909.
Einfuhr Ausfuhr
Insgesamt 6 2
4. Türkei 1910/11.
Einfuhr Ausfuhr Einfuhr Ausfuhr
Gesamthandel 742 402 8. Belgien 27 11
1. England 151 99 9. Bulgarien 19 14
2. Oesterreich-Ungarn 139 42 10. Rumänien 19 10
3. Frankreich 7I 72 11. Ver. Staaten
4. Italien 67 27 v. Nordamerika 12 19
5. Deutchland 61 23 12. Niederlande 15 6
6. Rußland 50 17 13. Serbien 8 6
7. Aegypten 2I 29 14. Griechenland 4 7
Bezüglich der Türkei ist wiederum darauf zu verweisen, daß der
Handel der europäischen Türkei nicht von dem der übrigen Türkei ge-
trennt ist. Die Ausfuhr Montenegros ging überwiegend nach Oester-
reich, an der Einfuhr war Oesterreich mit über 50 Proz. beteiligt,
Deutschland nur mit 0,4 Mill.
Wollen wir versuchen, uns ein deutlicheres Bild von der Stellung
Deutschlands auf dem Balkanmarkt zu machen, so werden wir den
deutschen Handelsanteil in Vergleichen zu betrachten haben. Besonders
ist zum Vergleich das dem Balkan näher gelegene Oesterreich-Ungarn
heranzuziehen und ferner die Gruppe der verbündeten Mittelmächte in
ihren Handelsbeziehungen zum Balkan in Vergleich zu setzen mit der
Gruppe der feindlichen Mächte. Endlich bleibt ein Land besonders im
Auge zu halten: Belgien, das in bedeutendem Umfange am Balkanhandel
beteiligt war. Wenn dieser Anteil sich teilweise auch aus dem belgi-
schen Bedarf an Getreideeinfuhr erklärt, so ist er zu wesentlicheren
Teilen doch auch zurückzuführen auf die Zwischenhändlerstellung Belgiens
im Außenhandel Deutschlands. Diese Tatsache und die durch den Krieg
geschaffene Lage rechtfertigen es, den belgisch-balkanischen Handel
nicht zu betrachten als einen Teil des Balkanhandels mit den Gegnern
der Zentralmächte, sondern, zumal im Ausblick auf die Zukunft, als
Teil des Balkanhandels mit der mitteleuropäischen Gruppe.
Unter diesen Gesichtspunkten sind die folgenden Tabellen zu ver-
stehen und zu vergleichen :
1) Der Balkan, ohne Türkei, im deutschen Außenhandel nach
der Statistik der betreffenden Staaten für 1911 in Millionen Mark:
650 Miszellen.
Deutschlands
Ausfuhr Einfuhr
Bulgarien 34 18
Serbien 25 2I
zusammen 59 39
2) Der Balkan, ohne Türkei, im belgischen Außenhandel nach
der Statistik der betreffenden Staaten für 1911 in Millionen Mark:
Belgiens
Ausfuhr Einfuhr
Bulgarien 4 43
Serbien 2 5
zusammen 6 48
3) Deutschland und Belgien:
Ausfuhr nach dem Zentralbalkan ausschließlich Türkei 65 Mill. M.
Einfuhr aus %„ > u j 87 ser 5)
4) Der Zentralbalkan, ohne Türkei, im Außenhandel Oester-
reich-Ungarns nach der Statistik der betreffenden Staaten für 1911
in Millionen Mark.
Oesterreich-Ungarns
Ausfuhr Einfuhr
Bulgarien 39 8
Serbien 38 38
Montenegro 4 2
zusammen 81 48
Betrachtet man drei Viertel des belgischen und ein Fünftel des
österreichischen Balkanhandels als Zwischenhandel zwischen dem Balkan
und Deutschland — eine wohl zulässige Schätzung — so wäre Deutsch-
land mit dem außertürkischen Zentralbalkan durch einen Warenumsatz
im Werte von ungefähr 160—165 Mill. M. verbunden gewesen, d. i.
mit einem Betrage, der den Wert des österreichisch-ungarischen Eigen-
handels mit jenem Gebiet um 60 v. H. überstieg.
III. Deutschland und der neue Balkanmarkt.
a. Ostserbien.
Unter dem neuen Balkanmarkt werden wir in der Hauptsache den
Markt Groß-Bulgariens zu verstehen haben. Wie immer die endgültige
Regelung der politischen Dinge in Westserbien und Montenegro aus-
sehen mag, wird unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten voraus-
zusetzen sein, daß Oesterreich-Ungarn sich die Sicherung eines vor-
herrschenden wirtschaftlichen Einflusses im Nordwestbalkan nicht wird
entgehen lassen. Wird aber in jenem Gebiet der alte österreichische
Wunsch nach wirtschaftlicher Vorzugsstellung erfüllt, so können meines
Erachtens darüber hinaus ähnliche Ansprüche nicht geltend gemacht
bzw. deutscherseits nicht anerkannt werden, da Deutschland tatsächlich
schon mit dem alten Balkanmarkt umfassendere, wenn auch vielfach
nur mittelbare, Wirtschaftsverbindungen hatte, der neue Balkanmarkt
aber in noch höherem Grade ein Lieferant vorwiegend Deutschlands zu
werden verspricht, das demgemäß dort auch auf entsprechenden Absatz
wird bedacht sein müssen.
Miszellen. 2 651
Der groß-bulgarische Markt, den wir hier also vornehmlich in Be-
tracht zu ziehen haben, setzt sich nach jener Abgrenzung, die durch
die Zusicherungen Kaiser Wilhelms an den Zaren Ferdinand zu Nisch
am 18. Januar 1916 als feststehend zu bewerten ist, zusammen aus
Östserbien, Altbulgarien und den thrazisch-mazedonischen Erwerbungen
aus dem Bukarester Frieden und dem im Oktober 1915 begonnenen
Feldzug.
Ostserbien ist ein Landgebiet von beträchtlichem wirtschaftlichen
Wert. An Mineralschätzen birgt es Gold, Kupfer, Eisen, Blei, Zink,
Mangan. Es enthält unter anderem die reichste Kupfergrube Europas,
die nach Eroberung durch die deutsch-bulgarischen Truppen zufolge
einem Uebereinkommen für die Kriegszeit zunächst deutscherseits in
Ausbeute genommen worden ist, um später vom bulgarischen Staat be-
trieben zu werden. Ferner sind ausgedehnte Stein- und Braunkohlen-
lager vorhanden.
Ostserbien hat weiterhin einen bedeutenden und wohlgepflegten
Tabakhandel, einen allerdings nur binnenländischen, aber für seine
Teppichindustrie wichtigen Wollhandel, und es ist wichtig auch durch
seinen Hanf. Wie in ganz Serbien gibt es gutes Vieh und berühmte
Pflaumen.
Für Deutschland vornehmlich in Frage kommende Ausfuhrwaren
Östserbiens sind neben dem Kupfer: Futtermittel (Mais, Gerste, Hafer),
frisches Obst und getrocknete Pflaumen, Schweine- und Gänsefett und
Speck, Eier, Häute und Felle, Hanf und Seilerwaren, Seidenraupen-
kokons, Weizen und Mehl.
Wenn vor dem Kriege — wiederum unter Anrechnung angemessener
Teile des österreichischen und belgischen, sowie auch des türkischen
Zwischenhandels — Deutschland aus Altserbien (nach dem Stande von
1910) für etwa 35 Mill. M. Waren bezog (Oesterreich-Ungarn 23, die
Türkei 18 Mill.), so wird die Ausfuhr aus Ostserbien allein hinter dieser
Ziffer künftig kaum zurückbleiben, wenn die Ausbeutung der Mineral-
schätze eifrig gefördert wird und die gesamten Wirtschaftsbeziehungen
zwischen Deutschland und Groß-Bulgarien sich verengern. Ostserbien
vermag uns schätzungsweise bei geeigneter Fortentwicklung seiner Aus-
beute im Jahre für 10 Mill. Kupfer zu liefern, für etwa gleiche Be-
träge Mais, Weizen, Gerste, getrocknete Pflaumen, für 3 Mill. Fett und
Speck, für 2 Mill. Eier, ebensoviel Hanf und Seilerwaren sowie Seiden-
raupenkokons — deren Weiterverarbeitung wir früher Italien überließen,
um die Ware auf diesem Umwege zu beziehen —, so daß wir schwerlich
zu hoch greifen, wenn wir eine unseren volkswirtschaftlichen Inter-
essen dienliche Einfuhr aus dem ostserbischen Teil des großbulgarischen
Marktes in künftiger Höhe von ziemlich 60 Mill. M. in Rechnung
setzen, zumal wir auch noch beträchtliche Reserven an Blei, Zink,
Mangan, Tabak, Wolle und Erzeugnissen der Teppichindustrie außer
Ansatz gelassen haben.
b) Altbulgarien.
Bezüglich der allgemeinen Aussichten des altbulgarischen Produk-
tionsgebietes kann ich mich auf meinen Aufsatz: „Vom bulgarischen
652 Miszellen.
Wirtschaftsleben und seinen Aussichten“ im Januarheft dieser Jahr-
bücher beziehen !).
Auch unser Handel mit Altbulgarien erscheint in der Statistik weit
geringer, als er tatsächlich ist. Hier vor allem war es der belgische
Durchfuhrhandel, der das Bild völlig verwischte, daneben aber auch
wiederum der österreichische sowie der türkische.
Was die bulgarischen Ausfuhrmöglichkeiten bei intensiverer Ge-
staltung der Landwirtschaft und Pflege unmittelbaren Handelsverkehrs
mit Deutschland anbelangt, so ist Altbulgarien leicht imstande, uns für
je 50 Mill. M. Mais und Weizen zu liefern, für 20 Mill. Eier, des-
gleichen Industriepflanzen, und für 10 Mill. Rosenöl zur Weiterentwick-
lung unserer Riechstofferzeugung neben der französischen. Bereits 191?
waren wir stärkere Abnehmer bulgarischen Rosenöls als Frankreich.
Diese Posten allein würden sich bereits auf zusammen 150 Mill. be-
laufen, ohne etwa die wirkliche Leistungsfähigkeit des bulgarischen
Bodens auch nur annähernd zu erschöpfen.
Hier gerade erscheint es nun am Platze, die Gegenrechnung aví-
zumachen nnd nach den deutschen Ausfuhrmöglichkeiten im Wettbewerb
mit anderen Ländern zu fragen. Die eben geschätzte Summe — die
keineswegs sonderlich hoch gegriffen ist — legt die Frage nach den
Gegenwerten doch wohl nahe genug.
Ueber die bisherige Stellung Deutschlands in der Versorgung des
altbulgarischen Marktes besagt die bulgarische Statistik für 1912, dal
damals an der bulgarischen Einfuhr beteiligt waren:
1. Oesterreich-Ungarn mit 24,12 Proz.
2. Deutschland r: 20,43 ,„
3. England pa 14,91 ji
4. Frankreich Pr J04 »
5. Türkei 3 6,38 »
Nach der bulgarischen Statistik näherte sich Deutschland, Bulgariens
bester Kunde, immer mehr dem Hauptlieferanten Oesterreich-Ungarı
und ließ den Dritten — England — immer weiter hinter sich. Im
Durchschnitt der Jahre 1906—1910 waren die prozentualen Anteil
dieser drei Hauptlieferanten an der Einfuhr Bulgariens noch folgende:
1. Oesterreich-Ungarn mit 26,31 Proz.
2. Deutschland m 17,18.
3. England „ 16,35 „
Daß diese Entwicklung fortdauern wird, dafür bürgt unter anderen
wohl der Umstand, daß Deutschland als Hauptabnehmer bulgarischer
Erzeugnisse nach dem Kriege weit stärker und sichtbarer in den
Vordergrund treten wird als vor dem Kriege ?).
In absoluten Zahlen bezifferte sich die Einfuhr aus den Ländern
der Hauptlieferanten Bulgariens auf folgende Beträge (in 1000 fres.):
1) Oben S. 64ff. Vgl. auch meine Schrift: „Bulgariens wirtschaftliche
Zukunft“, Leipzig, S. Hirzel, 1916. (Auch in bulgarischer Sprache erschienen unter
dem Titel: „Deutsche Gedanken über Bulgariens wirtschaftliche Zukunft‘, Sofia, „Guten-
berg“, 1916.)
2) Vgl. meinen Aufsatz: ‚Die industriellen Lieferanten Bulgariens“ in den „Mit-
teilungen des Kriegsausschusses der deutschen Industrie“, No. 81, 8. 1253—1255.
Miszellen. 653
1. Oesterreich-Ungarn 48 226 3. England 30 034
2. Deutschland 39 837 4. Frankreich 24 927
Auf weiten Gebieten ist schon heute Deutschland der industrielle
Hauptlieferant Bulgariens. Im allgemeinen ist sein größter Wettbewerber
auf diesem Markt das ihm näher gelegene Oesterreich-Ungarn. In der
Textil- und Metallindustrie steht Deutschland ferner mit England, in
der Textilindustrie auch mit Italien, in der Lederindustrie mit Frank-
reich und in der Maschinenindustrie mit den Vereinigten Staaten und
England im Wettbewerb.
Vor allen Dingen kann Deutschland Alt- und Neubulgarien mit
landwirtschaftlichen Maschinen und Verkehrsmitteln versehen, deren
es in großem Umfange zur Entwicklung seiner eigenen Wirtschaft in
solchem Maße bedarf, daß eine Herstellung des Gleichgewichts in der
deutsch-bulgarischen Handelsbilanz auch beim Erreichen der oben ge-
schätzten Ausfuhrziffer durchaus nicht außerhalb des Bereichs des Mög-
lichen liegt.
c) Mazedonien und Thrazien.
Wenden wir uns den südlichen und südwestlichen Erwerbungen
Bulgariens von 1913 und 1915 zu, so versagt uns die Statistik völlig
den Dienst. Wir finden hier nur Anhaltspunkte in dem Handel des
Hafens von Salonik, können aber nicht scheiden, welcher Anteil auf
die heute griechische und die heute bulgarische Herkunft entfällt.
Schließlich aber besagt der alte Handel Mazedoniens und Thraziens
auch nicht entfernt, was in Zukunft aus diesen Ländern herauszuholen
ist. Mazedonien zumal gehört seiner Natur nach zu den weitaus
reichsten Landesteilen, die sich in Europa auffinden lassen. Nicht
ohne Grund war es im Altertum ein so viel umkämpftes Gebiet, nicht
ohne innere Fundamentierung im eigenen Reichtum konnte sich von
hier aus zeitweilig eine Weltmacht aufbauen. Die Alten priesen
Mazedoniens Schätze an Gold und Silber, an Oel und Wein. Der
Boden ist inzwischen nicht ärmer geworden; es fehlten nur die politisch-
rechtlichen Voraussetzungen für seine intensive Nutzung. Die bis-
herigen Rechtsformen für das Wirtschaftsleben machten den Abbau der
großen Mineralschätze nahezu zur Unmöglichkeit. Auch einer inten-
siven Landwirtschaft standen die geltenden Besitzverhältnisse hinder-
lich im Wege.
Das Klima des Landes ist sehr gesund. Es eignet sich bestens,
einen so kräftigen Volksstamm zu tragen und fortzuentwickeln, wie die
Bulgaren es sind. Der Bulgare ist der fleißigste Balkanbewohner und
den technischen Wirtschaftsfortschritten zugänglich. Insbesondere ist
der Bulgare der beste Gartenbauer Europas. Alljährlich ziehen viele
Tausende bulgarischer „Sachsengänger“ als Gartenbauer nach Rußland,
Öesterreich-Ungarn, England, Amerika. Sie werden es fortan nicht
nötig haben, den Staub der Heimat von den Füßen zu schütteln, denn
sie finden das ergiebigste Arbeitsfeld in Bulgarisch-Mazedonien, in jenen
gesegneten Tälern und Ebenen, die nun Europa ihre Schatzkammern
öffnen. Der Bulgare war auch seither schon der Hauptbewohner Binnen-
654 Miszellen.
Mazedoniens. In Skopje, der Stadt, die eine der herrlichsten Ebenen
dieses Landes beherrscht, leben neben vielen Türken und Juden vor-
züglich Bulgaren, wohl 10mal so viel als Serben, die kurzfristigen Be-
herrscher dieses Teiles von Mazedonien, die sich als Träger seiner
wirtschaftlichen Zukunft nicht entfernt so gut eigneten wie die Bul-
garen. Jetzt, da der Bulgare politisch und rechtlich Herr und Besitzer
des Landes wird, jetzt, wo obendrein der Organisationsgeist, das tech-
nische Können und die Kapitalkraft der mit Bulgarien verbündeten
Völker den Bulgaren hilfsbereit zur Seite steht, sind die wirtschaft-
lichen Entwicklungsmöglichkeiten in Mazedonien schrankenfrei.
Bezeichnend für die Vielseitigkeit der mazedonischen Reichtümer
ist die Tatsache, daß alle Zweige der Bekleidungsindustrie ihre Rob-
stoffe in Mazedonien finden können: Linnen, Tuch und Seide. Neben
Flachs und Hanf trägt der Boden den Maulbeerbaum zur Zucht der
Seidenraupe; die klimatisch und hydrographisch bevorzugten Ebenen
sind der Baumwollkultur zugänglich, und in reichem Maße wird Schat-
wolle gewonnen; auch die Angoraziege kann gezüchtet werden. Sehr
groß sind ferner die Möglichkeiten der Oelgewinnung aus der Olive
sowohl wie aus einer mannigfachen Reihe ölhaltiger Ackerprodukte
(Raps, Sesam, auch Mohn). Die Gärten tragen alle Arten von Gemüse,
vorzüglich Tomaten, Artischoken, Auberginen, Spinat, Melonen und alle
Obstsorten, äußerst schmackhafte und schöne Aepfel, Aprikosen, Mandeln,
und was das Herz des Feinschmeckers irgend begehrt. Ausgedehnt
und sehr entwicklungsfähig ist der Weinbau. Die Bienen tragen fleibig
Honig und liefern reichlich Wachs. Noch einen besonderen Export-
artikel liefert Mazedonien: den Blutegel. Sesam, Mais und Reis tragen
die Felder. Die beliebteste Pflanze aber ist der Tabak. Nichts wird
in Skopje so lebhaft gehandelt und mit so viel Eifer probiert, wie der
Zigarettentabak, den die serbische Regie in gewaltigen Depots gelagert
hatte, und weiter südostwärts im bulgarischen Grenzgebiet wächst das
teuerste Kraut, das als Zigarettentabak überhaupt gehandelt wird.
Wird endlich auch der vernachlässigten Viehzucht die verdiente Pflege
zuteil (das ganze Balkanvieh ist — mit Ausnahme des serbischen —
überwiegend degeneriert, aber von zäbem Schlage), dann haben wir
hier in jedem Sinne ein Land vor Augen, „wo Milch und Honig fließt“.
Unterstützt durch den Ingenieur für Wasser- und Bergbau, ist der
bulgarische Gartenbauer der berufene Pfleger dieses gesegneten Landes,
das unter bulgarischer Herrschaft eine große, dauernde Bereicherung
Mitteleuropas verspricht.
Die Verhältnisse in Thrazien sind dem Verfasser bisher nicht, wie
die mazedonischen, durch eigenen Augenschein bekannt. Doch gilt das
von Mazedonien Gesagte nach zuverlässigen Berichten auch für die
ägäischen Küstengebiete Neubulgariens. Das gesamte südliche und süd-
westliche Neubulgarien öffnet demnach einen fast als ganz neu anzu-
sprechenden Markt, wenn es in intensive Kultur genommen wird. Da-
gegen sind nennenswerte Beziehungen des albanischen Berglandes zum
Weltmarkt auch in Zukunft nicht zu erwarten. Das Land produziert
nicht über den eigenen Bedarf und tritt entsprechend auch nicht als
Käufer auf.
Miszellen. 655
Die Nutzbarmachung dieser neuen Gebiete ist eine Frage der
Menschenkräfte!), der Verkehrsmittel?), des Kapitals und der Organisa-
tion. Hinsichtlich der Volkskräfte sei hier nur erwähnt, daß der Ge-
burtenüberschuß in Altbulgarien sich belief:
im Jahre 1906 auf 21,7 vom Tausend
” ” 1907 „ 21,8
” » 1908 » 16,2 »
» » 1909 n» 14,0 ” »
”„ » 1910 » 18,5 » »
Innerhalb der Grenzen Großbulgariens kann mit einem jährlichen
Volkszuwachs um rund 150000 Köpfe gerechnet werden — eine Tat-
sache, die natürlich auch von erheblichem Belang ist für die Entwick-
lung der Aufnahmefähigkeit des Balkanmarktes.
Noch wird es — in Anbetracht der dünnen Bevölkerung, auch bei
erheblichem Rückstrom der mazedonischen Flüchtlinge — einiger Zeit
und vieler Arbeit, insbesondere auf dem Gebiet der Verkehrserschließung,
bedürfen, bis der südliche Teil des Balkanmarktes Waren in solchem
Umfange zu liefern vermag, wie wir es oben für Ostserbien schätzten.
Die spätere Entwicklung aber verspricht an unsere obigen Schätzungen
für Altbulgarien in raschem Tempo heranzuführen.
IV. Schluß.
Wenn sich auf dem neuen Balkanmarkt die wirtschaftlichen Kräfte
rühren und Deutschland in enge Beziehungen zu diesem Markt tritt,
dann ist die Zeit nicht fern, da Großbulgarien in der deutschen Ein-
fuhr hinter den Vereinigten Staaten, Rußland, Großbritannien, Oester-
reich-Ungarn, Frankreich, Britisch-Indien und Argentinien (nach der
Reihenfolge von 1914) auf einem der Plätze erscheinen wird, den bis
dahin Belgien, die Niederlande oder Italien, mindestens aber Australien
oder Brasilien einnahmen.
Vergegenwärtigen wir uns diese Aussicht, dann wird auf der
anderen Seite aber auch klar, welche Aufmerksamkeit wir als die vor-
aussichtlich weitaus bedeutendsten Kunden des neuen Balkanmarktes
der Aufnahmefähigkeit dieses Marktes für deutsche Ausfuhrgüter zu
schenken veranlaßt sind. Das Studium des Balkanmarktes in volks-
wirtschaftlicher Theorie und Praxis fordert in der Periode nach 1915
eine ganz andere Aufmerksamkeit und ganz andere Maßstäbe als bis
zu diesem großen Schicksalsjahr.
1) Vgl. meinen Aufsatz: „Die Volkskräfte Bulgariens“ in „Soziale Praxis‘,
25. Jahrg., No. 20, S. 470/71.
2) Vgl. meine Abhandlung: „Bulgariens Verkehrswege, -mittel und -aufgaben“ in
der Zeitschrift „Weltwirtschaft“, 5. Jahrg., No. 10, S. 214 ff.
656 Miszellen.
XIII.
Rumäniens Mühlenindustrie und Mehlhandel').
Von Dr. Emil Taubes, z. Zt. Bukarest.
Inhalt: 1. Zahl und Art der Mühlen. 2. Organisation der Handelsmühlen.
3. Absatzgebiete des Mehls. 4. Die rumänische Mehlausfuhr seit Ausbruch des Welt-
kriegs. 5. Mehlpreise. 6. Mehlkrisis. 7. Zollschutz. 8. Förderung der Mühlenindustrie
seitens der Regierung. 8. Schwierigkeiten der Mehlausfuhr.
1. Zahl und Art der Mühlen. Die Mühlənindustrie gehört
zu den wichtigsten landwirtschaftlichen Industrien Rumäniens. Man
unterscheidet:
1) Groß- oder Handelsmühlen,
2) Lohn- oder Bauernmühlen.
Die Handelsmühlen sind technisch besonders gut eingerichtet, be-
sitzen in der Regel eine große Vermahlungsfähigkeit und sind an Plätzen
errichtet, welche für die Zufuhr der Rohprodukte, als auch für den
Absatz der fertigen Fabrikate besonders günstig gelegen sind. In Rumä-
nien gibt es 98 Handelsmühlen, hiervon:
61 Privatunternehmungen,
28 öffentliche Handelsgesellschaften und
9 Aktiengesellschaften.
Die Bauernmühlen setzen sich zusammen aus 4800 Mühlenbetrieben
kleineren Umfanges. Dieselben betreiben hauptsächlich Lohnmüllerei
und versorgen in Mehl nur ihre nächste Umgebung.
Die Kraftquellen der Handelsmühlen sind folgende:
a) Dampf 10 650 H.P.
b) Diesel- und Explosions-Motore 8541 H.P.
c) Wasserkraft 1505 H.P.
d) Elektrizität 1425 H.P.
Die in den Handelsmühlen installierte motorische Kraft stellt sich daher
auf 22 121 Pferdekräfte, diejenige der 4800 Bauernmühlen auf 86 600 H.P.
Es arbeiten zusammen also in den 4903 Mühlen 108721 H.P.
Die motorische Kraft wird zum größten Teile durch inländische Brenn-
materialien erzeugt und zwar durch Erdöl, Derivate, Holz, Braunkohle
und Stroh. Außerdem werden Steinkohlen vom Auslande eingeführt.
Der Wert des im Jahre 1913 verwendeten inländischen Brennmaterials
wurde auf 1!/, Mill. Lei geschätzt.
Die Vermahlungsfähigkeit der Handelsmühlen ist verschieden und
beträgt 2—21 Waggons Weizen in 24 Stunden. Im Jahre 1913 wurden
in den Handelsmühlen insgesamt 360,7 Waggons Weizen täglich ver-
mahlen, d. i. durch das ganze Jahr 110 000 Waggons. Das in den Mühlen
verarbeitete Rohprodukt ist ausschließlich inländisch. Der einheimische
Bedarf wird selbst in den schlechtesten Erntejahren voll gedeckt.
1) Berichte der Gewerbeinspektoren. Rumäniens Außenhandel 1912/13. Höchst-
preisverordnung vom 9. November 1915, No. 39444. Bekanntmachung des Handels-
ministeriums 1916. Foaia de Informatii Comerciale des Industrie- und Handels-
ministeriums-
Miszellen. 657
Das in dieser Industrie investierte Kapital ist durchweg ein-
heimisches Kapital und betrug Ende 1913 41 Mill. Lei.
Die Bauernmühlen mahlen durchweg Mais und wenig Weizen, mit
Ausnahme der Mühlen der Dobroudjea und des Quadrilaters, wo sich
die Bevölkerung vorwiegend von Weizenbrot ernährt; in den dortigen
Bauernmühlen wurden im Jahre 1913 15000 Waggons Weizen ver-
mahlen.
Die Mühlen erzeugen verschiedene Mehlsorten, Futtermehl und
Kleie.
2. Organisation der Handelsmühlen. Zur Förderung der
Interessen der Mühlenindustrie und zur Behebung der Ausfuhrschwierig-
keiten, welche infolge des Krieges und der behördlichen Kriegsmaß-
regeln entstanden sind, wurde im Jahre 1915 ein Mühlensyndikat ge-
gründet. Diesem Mühlensyndikat gehören 83 Mühlen von einer Tages-
kapazität von 347 Waggons Weizen an, die unter Umständen um
10—15 Proz. erhöht werden kann. Die dem Syndikate nicht ange-
hörenden 15 Handelsmühlen sind kleineren Betriebes von einer ge-
samten Tageskapazität von 13,7 Waggons.
Das Mühlensyndikat hat während der Kriegszeit kollektiv mehrere
Mehllieferungen für die Zentralmächte und die Türkei übernommen.
Das Syndikat hat ferner mit der rumänischen Regierung über die Rege-
lung der Mehlausfuhr und Deckung des Inlandbedarfs verhandelt und
beide Fragen durch ein Uebereinkommen geordnet.
3. Absatzgebiete des Mehls. Für den Absatz des Mehls
kommt zunächst das Inland in Betracht. Außerdem werden große
Mengen nach dem Orient, und zwar nach der Türkei und Aegypten,
ausgeführt.
Die Weizenmehlausfuhr betrug im Jahre 1912 insgesamt 75 025 393 kg
im Werte von 21164 663 Lei, im Jahre 1913: 123125190 kg im
Werte von 34 044 116 Lei. Der Durchschnitt per 100 kg wurde mit
27,65 Lei angenommen. Hiervon verteilt sich die Ausfuhr nach:
Jahr 1913 Jahr 1912
England 2786 213 kg 3 251539 kg
Oesterreich-Ungarn 8424 341 „ 11585 236 „
Belgien 155 350 „ 336350 „
Bulgarien — 340 „
Aegypten 30 464 997 „ 23 262821 „
Frankreich 100 000 „, 109443 „
Deutschland 4592 225 , 1765725 „
Italien 1417417 „ 754910 „
Holland 2209940 „ 1951365 „,
Rußland — 2980 ,
Serbien 1965 781 , —
Spanien 15000 , —
Griechenland 10 877 642 „ 107 220 „
Türkei 59 222 869 „, 30 492 274 „
Schweiz — 54500 ,„
anderen Staaten 893 415 „ 1350690 „,
123 125 190 kg 75 025 393 kg
In den ersten 6 Monaten des Jahres 1914 wurden nach Aegypten
14 891 t im Werte von 4296 000 Lei ausgeführt.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 42
658 Miszellen.
Die Kleieausfuhr betrug im Jahre 1912 insgesamt 11 018354 kg
im Werte von 1442303 Lei, im Jahre 1913: 17 817 598 kg im Werte
von 1781760 Lei.
10 Lei angenommen.
Der Durchschnittswert per 100 kg wurde mit
Hiervon verteilt sich die Ausfuhr nach:
Jahr 1913 Jahr 1912
England 350 000 kg —
Oesterreich-Ungarn 6521 816 „ 5 199 749 kg
Belgien 1443500 ,„ 282 500 ,„
Bulgarien — —
Aegypten 2530 „ 25 000 „
Frankreich — —
Deutschland 7325 004 „ 4831 105 „
Griechenland 7500 „ —
Holland 1687 500 „ 630 000 ,„
Türkei 479748 „ =
anderen Staaten — 50000 ,„
17 817 598 kg
Die Maismehlausfuhr betrug im Jahre 1912 insgesamt 210 565 kg
11 018 354 kg
im Werte von 42113 Lei, im Jahre 1913: 30897 kg im Werte von
6179 Lei. Der Durchschnittswert per 100 kg wurde mit 20 Lei an-
genommen. Hiervon verteilt sich die Ausfuhr nach:
Jahr 1913 Jahr 1912
England — —
Oesterreich-Ungarn 30 792 kg 90040 kg
Frankreich 40 ,„ —
Deutschland 15 „ 120 225 „,
Griechenland 50 ,„ —
Türkei = 300 _,,
30897 kg 210 565 kg
Die Mehlausfuhr aller anderen Getreidesorten betrug im Jahre
1912 157 120 kg im Werte von 39 280 Lei, im Jahre 1913: 20 680 kz
im Werte von 5170 Lei.
mit 25 Lei angenommen.
Der Durchschnittswart per 100 kg wurd:
Hiervon verteilt sich die Ausfuhr nach:
Jahr 1913 Jahr 1912
England — —
Oesterreich-Ungarn 20680 kg 157 120 kg
Bulgarien — —
Frankreich — —
Deutschland — —
20 680 kg 157 120 kg
Die rumänische Mehlausfuhr ist seit dem Jahre 1888 im ständiger
Steigen begriffen.
klärung.
Hierüber gibt nachstehende Uebersichtstabelle Aui-
Uebersicht der Mehlausfuhr seit dem Jahre 1888
bis Kriegsausbruch August 1914.
Jahr Jahr
1888 1560 Waggons 1910 4049 Waggons
1890 886 fr 1911 6 492 se
1900 Pi: X 1913 12 867 m
1905 4307 n 1914 vom 1./1.—1./8. 4722
Die besondere Steigerung der Mehlausfuhr im Jahre 1912/13 ist
auf die Folgen des Balkankrieges und die durch den italienisch-tür-
kischen Krieg im Jahre 1911 geschaffenen Verhältnisse zurückzuführen.
|
Miszellen. 659
4. Die rumänische Mehlausfuhr seit Ausbruch des
Weltkrieges. Zwei Monate nach Ausbruch des Weltkrieges im
Oktober 1914 wurde die Mehlausfuhr in Rumänien verboten. Vor der
Inkrafttretung des Ausfuhrverbotes wurden besonders große Mehlmengen
ausgeführt, und zwar im August 1398 Waggons, im Monat September
1267 Waggons. Das Ausfuhrverbot war bis 1./14. August 1915 in
Kraft. Mit Ausnahme von geringen Mengen, die als Kompensation in
dieser Zeit ausgeführt wurden, war die gesamte Mehlausfuhr unter-
bunden. Die Mehlindustrie arbeitete nur für den Innenkonsum und
den Heeresbedarf im eigenen Lande. Erst am 1./14. August 1915,
gleichzeitig mit der Einführung der Goldausfuhrtaxe für Getreide und
Mehle, wurde die Mehlausfuhr gegen eine Ausfuhrtaxe von 6 Lei in
Gold für 100 kg und die von Fall zu Fall zu erteilende Ausfuhr-
bewilligung der gleichzeitig gegründeten Zentralausfuhrkommission frei-
gegeben. Infolge der Sperre der Dardanellen war die rumänische Mehl-
industrie nur auf den Absatz nach Oesterreich und Ungarn, Deutsch-
land und die Türkei angewiesen.
Die Ausfuhr beschränkte sich im Jahre 1915 auf 5440 Waggons,
welche hauptsächlich erst ab Mitte August 1915 ausgeführt wurden.
Uebersichtstabelle der Mehlausfuhr
seit Ausbruch des Weltkrieges im August 1914
bis Ende 1915 (monatsweise):
Jahr 1914 Jahr 1915
Monat: Monat: Transp.: 297 Waggons
August 1398 Waggons Januar 4 Waggons Juli 5 ji
September 1267 > Februar 8 3 August 278 =
Oktober 562 # März 189 „ September 963 Š
November 216 ss April 88 "a Oktober 990 »
Dezember 204 S Mai — November 1054 R
insgesamt: 3647 Waggons Juni 8 ” Dezember 1853 ”
297 Waggons gesamt: 5440 Waggons
Die Mehlausfuhr hat gegenwärtig unter dem Säckemangel und der
außerordentlichen Säcketeuerung sowie unter dem Mangel der Mühlen-
bedarfsartikel (Seide, Riemen, Gurte usw.) empfindlich zu leiden. Für
Säcke wurden zwar Höchstpreise festgesetzt, für neue Säcke 2,50 Lei,
alte Säcke 1,80 das Stück, für die Miete von 100 Stück 1 Lei täglich.
Tatsächlich werden aber noch höhere Preise bezahlt.
5. Mehlpreise. Die Regierung hat im November 1915 für Mehl
folgende Inlandhöchstpreise festgesetzt:
I. Qualität 33,— Lei für 100 kg
2. ” 25,— » „ 100 „
n 20,— » » 100 „
3.
Die Preise verstehen sich ab Mühle in den Säcken des Käufers. Die
Mehlausbeute wurde ebenfalls mittels Verordnung vorgeschrieben. —
Aus 100 kg Weizen dürfen erzeugt werden: 1. Qualität 18 Kilo,
2. Qualität 38 Kilo, 3. Qualität 20 Kilo. Die Marktpreise für Export-
mehl waren verschieden: Im Oktober 1915 wurden 41—42 Lei per
100 kg gezahlt, Anfang Januar 1916 ist der Preis auf 40 Lei zurück-
gegangen und seit Februar/März ist er wieder auf 58—59 Lei für 100 kg
42*
660 Miszellen.
gestiegen. Für die Türkei wurden sogar vorübergehend 70 Lei für
100 kg bezahlt.
6. Mehlkrisis. Infolge der starken ausländischen Nachfrage
nach Mehl, insbesondere seitens der Türkei, und der gebotenen hohen
Preise haben die Mühlenbesitzer hauptsächlich Ausfuhrmehl erzeugt und
das erzeugte Mehl dem inländischen Konsum infolge der bedeutenden
Preisdifferenz vorenthalten.
Andererseits aber ist diese Vorenthaltung auch auf die Tatsache
zurückzuführen, daß Personen, welche sich vorher weder mit der Mehl-
erzeugung noch mit dem Mehlhandel gewerbsmäßig beschäftigt haben,
durch Einfluß oder andere Mittel sich Mehlausfuhrbewilligungen be-
schafften und bestrebt waren, zur Deckung ihrer Lieferungen das Mehl
von den Mühlenbesitzern zu den inländischen Preisen anzukaufen. Die
Mühlenbesitzer wollten es verhindern, daß diese Personen die großen
und ungerechtfertigten Verdienste, welche sich aus der Preisdifferenz
zwischen dem inländischen und dem Exportmehl ergaben, einheimsen,
und stellten deswegen fast den ganzen Inlandsverkauf ein.
Es entstand infolgedessen im Lande eine richtige Mehlkrisis, welche
erst nach langwierigen Unterhandlungen zwischen dem Handelsminister
und dem Mühlensyndikate folgendermaßen geregelt wurde:
1) Die Mühlenbesitzer verpflichten sich, vom Gesamtquantum des
Mehlvorrats 40 Proz. zur Verfügung des Handels- und Industrie-Mini-
steriums für die Bedürfnisse der Gemeinden und der Kommission und
20 Proz. zur Verfügung des Kriegsministeriums vorrätig zu halten. Der
Rest von 40 Proz. ist ausschließlich für die Ausfuhr bestimmt. Die
Ausfuhrbewilligung wird aber erst dann erteilt, wenn die oben genannten
Vorräte gesichert sein werden. Das Kriegsministerium wird am 20.
eines jeden Monats seinen Mehlbedarf festsetzen, den gleichen Vorgang
wird aber auch das Ministerium des Innern befolgen. Nach Vollendung
der für den Gebrauch der Gemeinden und für das Kriegsministerium
notwendigen Produktion werden die Mühlenbesitzer den Ueberschuß an
Mehl mit Bewilligung der Zentralkommission unter der Bedingung der
Vorlage einer Bestätigung seitens des Kriegsministeriums und seitens
ihrer Gemeinden über die Erfüllung ihrer monatlichen Verpflichtungen
ausführen dürfen. Das Kriegsministerium und das Ministerium des Innern
werden gemeinsam mit dem Mühlensyndikate für jede Mühle das zur
Vermahlung überwiesene Quantum feststellen.
2) Ausfuhrbewilligungen für Mehl und dessen Derivate werden aus-
schließlich nur Mühlenbesitzern im Wege des Mühlensyndikates erteilt.
3) Die Mühlenbesitzer erklärten sich einverstanden, das zur Her-
stellung von Mehl für den inneren Bedarf nötige Getreide zum Preise
von 2000 Lei für einen Waggon ab Bahnhof des Verkäufers zu kaufen,
und verpflichteten sich gleichzeitig, das Mehl im Inlande zum Preise
von 33,— Lei I. Qualität, 25,— Lei II. Qualität und 20,— Lei III. Quali-
tät für 100 kg ab Mühle in Säcken des Verkäufers zu verkaufen.
Die Ausfuhrbewilligung betreffend die zur Ausfuhr verfügbare 40-proz.
Mehlexportquote erteilt die Zentral-Ausfuhrkommission. Gegenwärtig
sind mit den deutsch-österr.-ungarischen Einkaufsgesellschaften und der
rumänischen Zentralkommission Verhandlungen im Zuge zwecks Ankaufes
Miszellen. 661
der gesamten ausfuhrfreien Mehlmenge für die Zentralmächte. Die Mehl-
ausfuhr soll in derselben Weise wie die Getreideausfuhr organisiert werden.
7. Zollschutz. Weizen unterliegt bei der Einfuhr keinem Zoll,
während für Mehl ein Ausfuhrzoll von 12 Lei per 100 kg erhoben
wird. Mehl wird nicht eingeführt, Weizen kommt hingegen in großen
Mengen aus Bessarabien über den Pruth (Galatz) und Chilia und Reni auf
dem Donauwege zur Einfuhr. Seltener wird bulgarischer Weizen eingeführt.
Kleie unterlag seit 1912 einer fakultativen Ausfuhrtaxe von 2 Lei
pro 100 kg, welche nach Ermessen der Behörden eingeführt werden
konnte im Falle des nachweislichen Futtermangels für grobe Kleie.
Diese Ausfuhrtaxe wurde seit Oktober 1914 eingehoben, anfangs in Papier,
nachher, seit August 1915 mit Einführung der Getreide-Goldtaxe, in
Gold. Gleichzeitig sind die Goldausfuhrtaxen für Weizen und Roggen-
mehl in der Höhe von 600 Lei, für Maismehl 500 Lei pro Waggon in
Gold eingeführt worden.
8. Förderung der Mühlenindustrie seitens der Re-
gierung. Auf Grund des Gesetzes vom Jahre 1912 wird die ein-
heimische Industrie im allgemeinen staatlich gefördert. Der Mühlen-
industrie wurden folgende Vorrechte erteilt:
1) die Möglichkeit, zum Zwecke des Mühlenbaues öffentliche Grund-
stücke bis zum Ausmaße von 5 ha des Staats-, Bezirks- oder Gemeinde-
Eigentums zu erwerben,
2) das Recht, die Wasserkraft (Wasserfälle), welche sich auf den
gekauften Grundstücken befinden, im Betriebe der Mühlen kostenlos zu
verwenden,
3) Zollfreiheit für die im Betriebe benötigten zu importierenden
Maschinen,
4) vollständige Steuerfreiheit für die Dauer von ‘20 Jahren und Be-
freiung von allen Bezirks- und Gemeindeabgaben. Dieses Vorrecht gilt
sowohl für die systematischen als auch für die Bauernmühlen. Bis zum
März 1915 waren 1243 Bauernmühlen steuerfrei.
9. Schwierigkeiten der Mehlausfuhr. Die Ursachen der
Schwierigkeit der Mehlausfuhr sind folgende:
1) Mangel einer speziellen inländischen Mehlausfuhr-Organisation,
Mangel an speziellen Vertretern, die sich ausschließlich mit dem Ver-
kaufe des rumänischen Mehles befassen,
2) Mangel an Getreidemagazinen in der Nähe der Eisenbahn-
Stationen,
3) der teure Kredit,
4) Mangel einer einheitlichen Notierung und einer rigorosen Norm
bei der Qualitätssortierung,
5) der geltende Eisenbahn- und Wassertransport-Tarif (Waggon-
mangel u. dgl.)
Die Mehlausfuhr könnte noch erheblich gesteigert werden, falls
Rumänien für eine reguläre Dampferverbindung mit den verschiedenen
Häfen der Levante sorgen würde. Bisher ist das durch den rumänischen
Schiffahrtsdienst (Service Maritimi Roumaine) nur lückenhaft erfolgt.
Bukarest, im Mai 1916.
662 Literatur.
Literatur.
vV
Nationalstaat und Nationalwirtschaft. Unionstaat
und Unionwirtschaft. Mitteleuropa.
Besprochen von G. v. Below.
Amonn, Alfred, Nationalgefühl und Staatsgefühl. München
(Duncker u. Humblot) 1915. 46 SS.
Plenge, Johann, Wirtschaftsstufen und Wirtschaftsentwick-
lung. (Sonderdruck aus: Annalen für soziale Politik und Gesetzgebung,
Bd. 4, Heft 5.) Berlin (Julius Springer) 1916. 35 SS.
Mitscherlich, Waldemar, Nationalstaat und Nationalwirt-
schaft und ihre Zukunft. Leipzig (C. L. Hirschfeld) 1916. 51 SS.
Naumann, Friedrich, Mitteleuropa. Berlin (Georg Reimer)
1915. VIII u. 299 SS.
Auf den folgenden Blättern möchte ich mich über einige Fragen
äußern, die schon lange die Oeffentlichkeit beschäftigt, mit dem Krieg
eine steigende Bedeutung gewonnen haben und nach dem Frieden fort-
dauernd das allgemeine Interesse beanspruchen werden. Ich kleide
meine Erörterungen in die Form einer Besprechung jüngst erschienener
Schriften. Eine von ihnen, die von Plenge, hat scheinbar rein histo-
rische Streitfragen zum Gegenstand. Indessen bildet sie nur einen
einleitenden Abschnitt einer größeren Arbeit, die ganz speziell dem
Problem der künftigen Gestaltung unserer wirtschaftlichen Verhältnisse
gewidmet sein soll.
In einer eigentümlichen Lage befindet man sich gegenüber cer
Schrift von Naumann. Der Verf. arbeitet in einem Grad mit Anden-
tungen und Stimmungsmalerei, daß sich der Referent in einer wissenschaft-
lichen Zeitschrift darauf beschränken muß, das Buch in seinen allge-
meinen Tendenzen zu charakterisieren. Man wird vielleicht geltend
machen, daß es überhaupt nicht geeignet ist, in einem wissenschaft-
lichen Organ besprochen zu werden. Andererseits ist nicht zu leugnen,
daß der Verf. mit seinem Buch die umfassendste politische und wirt-
schaftspolitische Wirkung ausüben will und daß es tatsächlich bereits
in größtem Maßstab als Agitationsmittel in unendlich wichtigen Aus-
einandersetzungen verwertet worden ist. So wird denn die Bericht-
erstattung unserer Zeitschrift an diesem Buch nicht vorbeigehen dürfen.
Literatur. 663
Das Thema, das sich Amonn stellt, ist kompliziert und viel be-
handelt (aus den letzten Jahren kommt namentlich F. Meinecke, Welt-
bürgertum und Nationalstaat, 3. Aufl, Kap. I: Allgemeines über Nation,
Nationalstaat und Weltbürgertum, in Betracht). Man darf deshalb nicht
erwarten, daß A. in seiner kleinen Schrift etwas Abschließendes bietet.
Aber es ist ihr das Lob einer sauberen, klaren Erörterung zu erteilen.
Seine Arbeit wird dazu beitragen, bestimmtere Vorstellungen zu ver-
breiten auf einem Gebiet, auf dem recht viel Verwirrung herrscht.
Nicht mit allem freilich, was A. sagt, vermag ich mich einverstanden
zu erklären. Vom Standpunkt des Historikers möchte ich folgendes
geltend machen. S. 12 lesen wir: „Das Staatsgefühl beginnt erst da,
wo der Staat in die feudalen Abhängigkeitsverhältnisse eingreift, sich
selbst aktiv zwischen ‚Herrn und Knecht‘ dazwischen schiebt und dem
Recht des Herrn gegenüber seine Macht zur Geltung bringt.“ Hierzu
ist zu bemerken, daß in den Gemeinwesen, die man „feudal“. nennt,
der Feudalismus nie absolut gewesen ist. Etwas greift der Staat
überall in die feudalen Abhängigkeitsverhältnisse ein; bzw. er hat
überall ein eigenes Gebiet, neben den feudalen Beziehungen. Der
Unterschied gegenüber anderen Verfassungen ist also mehr nur ein
verhältnismäßiger. Ich verweise auf die Darstellung in meinem „Deut-
schen Staat des Mittelalters“, Bd. 1, und auf den zusammenfassenden
Ueberblick, den ich über diese Dinge in der „Internationalen Monats-
schrift“, Jahrgang 1914, Februarheft, gegeben habe. Hiernach müssen
wir auch das Urteil auf S. 26, daß „es im Ständestaat weder National-
gefühl noch Staatsgefühl geben könnte“, ablehnen; ebenso den Satz
(S. 27): „Die politische Gewalt, die gefühlt wurde, wurde nicht als
Staatsgewalt, sondern lediglich als Gewalt eines Einzelnen, des Fürsten
empfunden.“ Das Bewußtsein gemeinsamer Interessen von Fürst und
Ständen nahm doch einen beträchtlichen Raum ein. Man sprach nicht
vom „Staat“, aber vom „Land“, welches für die Menschen jener Zeit
großenteils dieselbe Bedeutung hatte wie für uns heute der „Staat“.
Das Wort „Land“ in „Landstände“ auf Grundbesitz zu deuten (wie
man es vielfach getan hat), ist ganz unmöglich; es handelt sich um
einen politischen Begriff. Die Behauptung (S. 27), daß die absolu-
tistische Formel „eine direkte Verneinung des Staates“ bedeute, läßt
sich doch auch nicht halten. Der absolutistische Staat ist nicht die
Verneinung des Staates, sondern die Brücke zum modernen Staat. Um
hier ein paar Stellen zu nennen, an denen solche Fragen erörtert
werden, so verweise ich auf meine Bemerkungen in der Historischen
Zeitschrift, Bd. 107, S. 144, auf Hintzes Aufsatz „Deutschland und
das Weltstaatensystem“ in: Deutschland und der Weltkrieg, S. Iff.,
auf meine akademische Rede „Deutschland und die Hohenzollern“
(Leipzig 1915) und meine Ausführungen im „Panther“, 1916, Januar-
heft, S. 52ff. Im einzelnen kann man ja verschiedene Auffassungen
vertreten (z. B. in der Deutung des preußischen Domänenedikts von
1713)1). Im ganzen bleibt es dabei, daß man im absolutistischen Staat
1) Vgl. dazu meinen „Deutschen Staat des Mittelalters“, Bd. 1, S. 209 Anm.
664 Literatur.
doch schon recht viel vom modernen findet, und der Terminus Staat
findet auf den absolutistischen durchaus Anwendung. Charakteristisch
ist es, daß Haller den Staat Friedrichs des Großen mißgünstig angesehen
hat wegen — seiner starken modernen Züge! So müssen wir es denn
auch bestreiten, wenn A. S. 29 in Deutschland erst die Revolution
von 1848 das Staatsgefühl mit dem modernen Verfassungsstaat bringen
laßt. Fruchtbar wäre es, das Aufkommen eines englischen National-
gefühls zu verfolgen. Eine derartige Untersuchung wäre auch ge
eignet, die von A. vertretenen Anschauungen zu berichtigen. Einen
interessanten Gesichtspunkt eröffnet die Bemerkung A.s auf S. 34, dal,
wie früher der Interessenwiderstreit der Stände dem Internationalis-
mus Nahrung gab, so heute der Klassengegensatz, insbesondere die
auf ihm fußende Arbeiterbewegung oder die Theorie vom Klassenkampf.
Freilich gelten dort wie hier Einschränkungen dabei. An einer späteren
Stelle (S. 37) mildert A. seine eben erwähnten Aeußerungen tber den
Absolutismus. Das pessimistische Urteil, das A. S. 42 Anm. 1 über
„die ganze innerpolitische Geschichte Oesterreichs seit Einführung der
Verfassung“ ausspricht, vermag ich in einer so schroffen Form nicht
zu teilen. Es sind eben doch große sachliche Schwierigkeiten vor-
handen. S. 46 scheint A. einen Weg vorzuschlagen, der aus solchen
Schwierigkeiten hinausführen und auf dem man das Ziel erreichen
würde, das die bisherige innere Politik Oesterreichs (der Parteien wie
der Regierung), die A. so scharf verurteilt, nicht erreicht hat. Dieser
Weg ist: „die fortschreitende wirtschaftliche und kulturelle Entwick-
lung der Nationen sowie die Demokratisierung der politischen Ein-
richtungen.“ Soweit meine historischen Beobachtungen ein Urteil ge-
statten, würde ich urteilen müssen, daß ein solcher Weg nicht zur
Lösung des österreichischen Völkerproblems führt, sondern eher von
ihr ablenkt. Der Historiker hat wenigstens bisher zu konstatieren ge-
habt, daß die zunehmende Demokratisierung der Verfassung die
Schwierigkeiten der Nationalitätsfragen in einem Staat, der mehrere
Nationen oder Nationensplitter beherbergt, nicht beseitigt, sondern
überwiegend vermehrt. Man denke an die Entwicklung in Deutsch-
land wie in Oesterreich. Die Schweiz hat ja ausgeprägte demokratische
Einrichtungen; aber auch sie haben sie nicht vor den gegenwärtig
hervortretenden nationalen Gegensätzen!) bewahrt. Ebensowenig ist
die „fortschreitende wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung“ ein
Gegenmittel gegen die nationalen Schwierigkeiten. S. 43 f. zählt A.
die Dinge auf, welche es bewirkt haben, daß in der Schweiz bisher
die drei Nationen sich leidlich gut vertragen haben. Als hauptsäch-
lich wirksam werden die geschichtliche Ueberlieferung und die be-
sondere gleichmäßige Wertschätzung der eigenen staatlichen Organi-
sationsform anzusehen sein. Der Stolz auf die eigene Verfassung ist
aber etwas anderes als die Verfassung selbst. Wirtschaftliche Unter-
1) Vgl. über sie die soeben erschienene ausgezeichnete Schrift von H. Bächtold,
Die nationalpolitische Krisis in der Schweiz und unser Verhältnis zu Deutschland
(Basel 1916).
Literatur. 665
schiede und Interessengegensätze gibt es auch in der Schweiz. Daß
sie aber politische Trennungsabsichten hervorgerufen haben, bemerkt
man ebensowenig, wie das, was von gemeinsamen wirtsthaftlichen
Verhältnissen vorhanden ist, jüngst die politische Spannung zwischen
Deutschen und Welschen gehindert hat. Aber es ist überhaupt ein
oft widerlegter Irrtum, daß die wirtschaftliche Entwicklung in den
Nationalitätenkämpfen die entscheidende Rolle spiele. Treffende Be-
merkungen in dieser Hinsicht findet man bei F. Fromme, Die Bedeu-
tung einer vlämischen Hochschule, Deutsche Rundschau, 1916, Februar-
heft, S. 161 ff. Seine Darlegungen liefern auch schon einen Beitrag
zur Beantwortung der Frage, ob die „kulturelle Entwicklung“ der
Nationen den Nationalitätenkampf mildern kann. Von einer einfachen
Bejahung dieser Frage würde mich schon die Erwägung fernhalten,
daß die Ausbildung einer geschlossenen nationalen Eigenart ja selbst
eine kulturelle Erscheinung ist, übrigens auch tatsächlich große kultu-
relle Leistungen hervorgebracht hat. Als Stütze für A.s Ansicht bleibt
nun freilich noch der vorhin berührte Umstand übrig, daß die modernen
Klassengegensätze oder die Klassenkampftheorie dem Internationalis-
mus Nahrung geben. Indessen dieser Satz gilt, wie schon angedeutet,
nur mit Einschränkungen. Der jetzige Krieg bat ja gezeigt, daß die
Internationale versagt. Beschränken wir uns auf die vor dem Krieg
gemachten Beobachtungen, so lehren uns die Verhältnisse Oesterreichs,
daß die tschechischen und polnischen Sozialisten sich viel eifriger in der
Wahrung des nationalen Standpunkts gezeigt haben als die deutschen.
Nachdem diese von jenen recht wenig rücksichtsvoll behandelt worden
waren, stellte sich bei den Deutschen etwas ein, was man gesunde
nationale Reaktion nennen darf. A. weist selbst darauf hin (S. 36,
Anm. 2). Aehnliche Beobachtungen kann man an anderen Stellen
machen. Die Deutschen haben sich wiederholt als die schwächeren er-
wiesen, weil sie sich zu sehr der Theorie des Internationalismus ge-
fangen gegeben haben.
Wenn ich als Historiker nach meinem Urteil über die Nationali-
tätenkämpfe und die beste Art, ihre Schwierigkeiten einzuschränken,
gefragt werde, so lehren meines Erachtens die historischen Beobach-
tungen, daß diejenige Ansicht durchaus und ganz und gar abzuweisen
ist, welche das Ideal in einer tunlichsten Zurückdrängung der nationalen
Besonderheiten sieht. Es kann ja nicht der mindeste Zweifel darüber
bestehen, daß, wie bereits angedeutet, die Entfaltung, die bewußte Aus-
bildung und die Stärkung der nationalen Figenart an sich in stärkstem
Maße erfreulich sind und so gewaltige Erscheinungen hervorgebracht
haben, daß der Historiker staunend davor steht. Nun stoßen sich
freilich in unserem beschränkten Erdenraum die Sachen. Es ist nicht
immer möglich, der nationalen Entfaltung ganz ungehemmte Freiheit
zu gewähren. Wie beseitigen wir die dadurch entstehenden Schwierig-
keiten? Die oft (und auch, wie es scheint, von A.) empfohlenen Mittel
für die Milderung der nationalen Gegensätze, nämlich die stärkere
Demokratisierung der Verfassung, die Förderung der kulturellen und
666 Literatur.
wirtschaftlichen Entwicklung, üben nicht die von ihnen gewünschte
Wirkung. Sie können sogar Werkzeuge zugunsten der nationalen Ent-
faltung werden und sind es wiederholt geworden. Nach einer in
Deutschland und Oesterreich ziemlich weit verbreiteten Vorstellung sind
allerdings Demokratisierung der Verfassung, Ausbreitung von Handel
und Industrie, Einführung des Freihandels, Förderung der Volksbildung
(namentlich auch durch Volkshochschulkurse) geeignete Mittel, um der
Wirkung der nationalen Idee entgegenzuarbeiten. Die Volkshochschul-
kurse sind tatsächlich auch mehrfach in diesem Sinne — etwa mit der
Tendenz der kosmopolitischen „Aufklärung“ des 18. Jahrhunderts —
gehalten worden. Aber das lag nicht an ihnen selbst (sie sind an sich
ein neutrales Mittel), sondern war bewirkt durch die Absicht der
Kreise, von denen sie ausgingen. Ueber die Wirkung der Ausbreitung
von Handel und Industrie brauche ich nach dem Obigen nichts mehr
zu sagen. Die Begünstigung des Freihandels ist wiederum ein neu-
trales Mittel. In der Hand Englands war die Agitation für seine Aus-
breitung ein Mittel, um die selbständige Entwicklung der kontinentalen
Völker und Staaten zu hindern, die eigene aber zu fördern. Wenn ein
Volk um der allgemeinen Völkerverträglichkeit willen dem Freihandel
irgendwie den Vorzug gibt, so schädigt es nur sich selbst. Doch ich
berufe mich hier auf Beobachtungen, die jedem unbefangenen Beurteiler,
heute zumal, vollkommen geläufig sind. Nur die allgemeine Bemerkung
möchte ich noch hinzufügen, daß wir es als tadelnswert bezeichnen
müssen, wenn die erwähnten Mittel in den Dienst einer prinzipiellen
Gegnerschaft gegen die Entfaltung der nationalen Idee gestellt werden.
Die Entfaltung der nationalen Idee bleibt an sich etwas Unanfechtbares.
Nun müssen wir ihr immerhin unter Umständen Schranken ziehen. Als
der Weg, der am ehesten hier zum Ziel führt, erscheint mir die klare
Erwägung, gelegentlich auch die egoistische Berechnung der in Betracht
kommenden Völker, daß die Verhältnisse, bei grundsätzlicher Festhaltung
des nationalen Ideals, ein mehr oder weniger friedliches Zusammen-
leben nötig machen. Das Bewußtsein gemeinsamer Kulturgüter kann
dabei förderlich wirken; aber man lege nicht zu viel Gewicht darauf.
Ueber ein gewisses Vertragsverhältnis (wobei ich natürlich nicht an
einen formellen Vertrag denke) wird man selten hinauskommen; ein
solches kann ja aber von langer Dauer sein. Verfehlt ist der Vor-
schlag, den kleinen Kampf (wie er in Oesterreich um die nationalen
Schulen geführt worden ist) aufzugeben. Er ist weit wichtiger als die
Mittel der Förderung von Handel und Industrie usw. Wer ihn auf-
gibt, gibt überhaupt die Interessen der eigenen Nation preis. Selbst-
verständlich gehöre ich zu den Verteidigern der preußischen Polen-
politik; fehlerhaft an ihr war nur der mehrmals einsetzende Rückzug.
Ich zweifle nicht, daß die Polen sich — im Sinne jenes Vertragsver-
hältnisses — mit einem System solcher Art schließlich abfinden werden.
Es wird um so mehr dazu geeignet sein, als es auf dem Grundsatz der
Verteidigung beruht. Leider haben weite Kreise es unterlassen, sich
von seinem wahren Charakter zu unterrichten.
Literatur. 667
Die Schrift von A.1), die mir zu den vorstehenden Bemerkungen
Anlaß gibt, enthält nur in ihren Schlußabschnitten Erörterungen, die
de lege ferenda geschrieben sind. Anders die Arbeit von Mitscher-
lich, die überwiegend Vorschläge für eine Zukunftspolitik machen will.
Sie operiert dabei mit der bekannten Stufentheorie: Haus-, Stadt-,
Volkswirtschaft. Bevor ich auf die Arbeit M.s näher eingehe, möchte
ich in bezug auf jene Stufentheorie einige literarhistorische Fragen
beantworten, die kürzlich aufgeworfen worden sind.
In den „Annalen für soziale Politik und Gesetzgebung“, Bd. 4,
S. 495 ff. hebt J. Plenge in einem Artikel „Wirtschaftsstufen und Wirt-
schaftsentwicklung“ die Verdienste von G. Schönberg um die Stufen-
theorie „Hauswirtschaft, Stadtwirtschaft und Volkswirtschaft“ nach-
drücklich hervor und gewiß mit vollem Recht. Ich habe selbst in
meiner Abhandlung „Ueber Theorien der wirtschaftlichen Entwicklung
der Völker“, Histor. Zeitschr., Bd. 86, S. 4 (vgl. auch meine Aufsätze
zur Würdigung der historischen Schule der Nationalökonomie in Jahrg.
1904 der Zeitschr. f. Sozialwissenschaft an mehreren Stellen — z. B.
S. 226 ff. — ferner Histor. Zeitschr., Bd. 91, S. 444, meinen Artikel
„Wirtschaftsstufen“ im Wörterbuch der Volkswirtschaft, 3. Aufl., und
Vierteljahrsschr. f. Sozial- u. Wirtschaftsgesch., 1915, S. 217 u. 223)
darauf hingewiesen, daß Schönberg eine selbständige Stellung in der
Geschichte jener Theorie zukommt. Plenge betont aber die Verdienste
von Schönberg, um zu zeigen, daß die Verdienste K. Büchers und auch
Schmollers um die Ausbildung jener Theorie entsprechend geringer sind.
Und er geht so weit, Bücher (merkwürdigerweise nicht Schmoller) aus
der Verschweigung der Verdienste Schönbergs einen Vorwurf zu machen.
Dieser Vorwurf ist meines Erachtens unbegründet. Ich verweise ein-
fach auf das, was ich in der angeführten Abhandlung S. 3 f.?) gesagt
habe. Nachdem ich erwähnt hatte, daß beim Erscheinen von Büchers
„Entstehung der Volkswirtschaft“ ein Streit um die Urheberschaft der
uns geläufigen Theorie von der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ent-
standen war, fahre ich fort: „Schmoller macht Bücher gegenüber
Prioritätsansprüche geltend. Dieser lehnte die Priorität ab und vindi-
zierte sie der 1867 veröffentlichten Abhandlung Schönbergs.“ Damit
ist doch Bücher gerechtfertigt, und die von Plenge erhobenen Vorwürfe
würden nur Schmoller treffen, der das für sich beanspruchte, was tat-
sächlich schon lange vorher Schönberg gesagt hatte.
Ich stimme, wie bemerkt, mit Plenge darin überein, daß die ge-
nannte Abhandlung Schönbergs „Zur wirtschaftlichen Bedeutung des
1) Um noch meine Zustimmung zu ein paar Aeußerungen A.s auszusprechen, so
betont er S. 7 Anm. 1 mit Recht, daß die Unterscheidungen und Abgrenzungen, die
wir machen (Staatsgefühl, Nationalgefühl usw.), nicht in den Dingen selbst liegen. „In
der Wirklichkeit fließt immer alles; erst die Begriffe trennen und unterscheiden.“ In
der Kritik der Verhandlungen des zweiten deutschen Soziologentages (ebenda) berührt
A. sich mit Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, S. 6.
2) In der Anm. 1 ebenda ist bei dem Hinweis auf Jahrg. 1893 des Jahrbuchs
für Gesetzgebung zu lesen: S. 1258 (ich hatte die Seite des betreffenden Heftes, nicht
des ganzen Bandes zitiert).
668 Literatur.
deutschen Zunftwesens im Mittelalter“ hoch zu schätzen sei. In-
dessen in dem Maße, wie die Darstellung Plenges vermuten läßt, ist
Schönberg doch nicht selbständig. Hätte Plenge jene meine Abhand-
lung gekannt, so würde er wissen (s. ebenda S. 4f.), daß vor Schön-
berg schon B. Hildebrand die mittelalterliche Stadtwirtschaft höchst
anschaulich geschildert hatte. Und Hildebrand hat auch sonst vieles
ausgesprochen, was Vertreter unserer Stufentheorie (so namentlich
Schmoller) nachher vorgetragen haben (s. Zeitschr. f. Sozialwissensch.
a. a. 0.)
Plenge will, soweit er Schönberg überhaupt von irgendeiner In-
stanz abhängig sein läßt, ihm Beeinflussung durch den „Sozialismus“
zuschreiben und bemerkt speziell (S. 527): „Es ist mir erzählt, daß
Schönberg zur Zeit der Abfassung der hier behandelten Arbeit eng mit
Lassalle verkehrt hat.“ In der Tat ist Schönberg mit Lassalle be-
freundet gewesen; aber damals konnte er nicht gut mit ihm verkehren:
1864 war ja Lassalle schon gestorben, während Schönberg seine Arbeit
1867 vorgelegt hat. Wir sind aber auch gar nicht genötigt, zu der
Vermutung einer Entlehnung von Lassalle unsere Zuflucht zu nehmen:
Schönberg fand ja in Hildebrands Abhandlung (die in denselben Jahr-
büchern für Nationalökonomie erschienen war, in denen Schönberg die
seinige veröffentlichte) die Theorie von der Stadtwirtschaft ausgebildet
vor; Hildebrand bot ihm unendlich viel mehr, als Lassalle ihm hätte
bieten können, und zwar in schon fertiger Darstellung. Will man neben
dieser literarischen noch von einer unmittelbar persönlichen Abhängig-
keit sprechen, so sei erwähnt, daß Schönberg zur Zeit der Abfassung
seiner Abhandlung mit Gierke, seinem engeren Landsmann und Jugend-
genossen, zusammenwohnte. Man werfe einen Blick in den damals er-
schienenen Band von Gierkes Genossenschaftsrecht und vergleiche dessen
Darstellung des Zunftwesens mit der von Schönberg. Schönberg wird
von Gierke schon zitiert; aber das schließt nicht aus, daß er von diesem
Anregungen erfahren hat. Da Plenge sich auf persönliche Mitteilungen
beruft, so möchte ich mich auf die mir gemachte Angabe eines Alters-
genossen und Freundes von Schönberg und Gierke berufen, daß Schön-
berg in der Tat solche Anregungen von Gierke für seine Abhandlung
erhalten hat.
Plenge läßt Schönberg, wie bemerkt, vom „Sozialismus“ beeinflußt
sein. Demgegenüber sei daran erinnert, daß (was auch bereits mit dem
eben Gesagten angedeutet ist) die historische Schule der National-
ökonomie als ein Ableger der historischen Rechtsschule aufkam. Ihr
Verhältnis zum Sozialismus ist nicht sowohl das, daß sie unmittelbar
Erkenntnisse von der sozialistischen Theorie übernahm, als vielmehr
dies, daß sie ihre Anschauungen aus der Beobachtung der sozialen Be-
wegung erweiterte Vgl. hierzu auch meine Abhandlung über die
deutsche Geschichtschreibung von den Befreiungskriegen bis zu unseren
Tagen, im Jahrg. 1915 der Internationalen Monatsschrift. Vom ent-
scheidenden Einfluß des Sozialismus in unserem Falle kann aber um so
weniger die Rede sein, als auch Hildebrand wieder für seine Schilde-
rung der Stadtwirtschaft noch Vorgänger gehabt hat, so in dem un-
Literatur. 669
sozialistischen J. G. Droysen (ferner in W. H. Riehl). Ich werde auf
diese Dinge in meinen „Problemen der Wirtschafsgeschichte‘‘ (deren
Erscheinen durch die Verhältnisse, die der Krieg mit sich gebracht hat,
aufgehalten worden ist) ausführlicher zurückkommen.
Wenn nun die ältere Geschichte der Stufentheorie zeigt, daß die
Formulierungen von Bücher und Schmoller keineswegs so ursprünglich
sind, wie diejenigen geglaubt haben, die nur die letzteren kennen ge-
lernt hatten, so werden wir doch Bücher einen eigenen Platz in der
Geschichte unserer Theorie zuerkennen, und zwar nicht bloß insofern,
als es ihm gelungen ist, sie im Publikum weithin bekannt zu machen.
Plenge bemerkt selbst (S. 499), daß Schönberg „die Theorie nicht als
solche geschlossen darstellt‘. Diese Arbeit durchgeführt zu haben, ist
eben auch ein Verdienst Büchers. Andererseits vermag ich Plenges
Urteil nicht zu unterschreiben, daß Schönberg mehr Theoretiker, Bücher
mehr Historiker sei. Ich leugne gar nicht die Verdienste Büchers um
die Geschichtswissenschaft. Aber die Historiker können sich mehr mit
Schönberg als mit Bücher befreunden. -Plenge mag die Einwände be-
rücksichtigen, die die Historiker gegen Büchers Stufentheorie geltend
gemacht haben.
Von Schmoller urteilt Plenge (S. 529), daß „er sich den methodi-
schen Gehalt der Theorie niemals ganz zu eigen gemacht hat; denn
er bleibt Historiker und wird nicht zum vergleichenden Theoretiker“.
Ich hoffe, daß hinter diesem Ausspruch nicht eine unzulässige Unter-
scheidung zwischen Geschichte und Theorie steckt (über welche man
Eduard Meyer, Kleine Schriften, S. 86 Anm. nachlesen mag). Jeden-
falls müssen wir gegen die Anschauung protestieren, daß der Historiker
darauf verzichten könne, sich irgend etwas, womit er sich beschäftigt,
klar zu machen. Man sollte doch endlich aufhören, uns Historikern
Schmoller deshalb aufzuladen, weil er die Strenge der Gedanken-
entwicklung vermissen läßt. Die Kritik, die die Geschichtswissenschaft
an seiner Stufentheorie und seinen Aufstellungen überhaupt geübt hat,
erhebt ebenso den Vorwurf, daß er die Probleme nicht genügend durch-
dacht habe, wie den der mangelhaften Quellenverwertung.
Wenn wir uns zu Mitscherlichs Schrift zurückwenden, so werden
wir ihren Aufstellungen in wichtigen Beziehungen zu widersprechen
haben. Aber es kommt ihr das Verdienst zu, eine interessante Ein-
führung in ein Problem zu geben, das die Gegenwart aufs stärkste
beschäftigt und die Zukunft nicht weniger stark beschäftigen wird.
Zunächst schildert M. den „Nationalstaat und seine Entstehung“;
ein fruchtbares Thema, dem er schon früher seine Aufmerksamkeit
gewidmet hatte. Es würde lohnend sein, diesen Gegenstand einmal in
großer Ausführung zu behandeln. Im einzelnen ließen sich hier mehr-
fach ähnliche Ausstellungen machen wie zu der entsprechenden Partie
von Amonns Schrift. Eingehender beschäftigt sich M. mit der „National-
wirtschaft und ihrer Entstehung“. Es ist richtig, daß, wie er be-
merkt, die Anschauungen der Vertreter der Nationalwirtschaft und die
ihrer Gegner keineswegs bloß aus materiellen Erwägungen hervor-
gegangen sind, daß vielmehr Weltanschauungsfragen mitspielten. Aber
670 Literatur.
er geht doch zu weit, wenn er die Frage des Freihandels gar zu sehr
in den Gegensatz von Universalismus (Liberalismus) und Nationalismus
stellt und in Zusammenhang damit Liberalismus und Nationalismus als
prinzipielle Gegensätze allgemeiner Natur zu deuten scheint. Es ist
ja eine interessante Tatsache, daß in der letzten Zeit, etwa seit dem
Ausgang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, Liberalismus
und Nationalismus in einen gewissen Gegensatz gegeneinander geraten,
daß auf der rechten Seite das nationale Moment immer stärker betont
wird, während man auf der linken auf dasselbe weniger Gewicht legt
oder es gar verflüchtigt. Ein Vorgang aus dieser Bewegung ist z. B.
die im Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts sich voll-
ziehende Spaltung der großen nationalliberalen Partei in zwei Flügel,
in einen rechten, ausgeprägt nationalen, und in einen linken, der sich
nur noch liberal nennt. Allein abgesehen davon, daß jüngst auch wieder
eine gewisse Wandlung eingetreten ist, lange Zeit sind Liberalismus
und Nationalismus in weitem Umfang ja verbündet aufgetreten. Und
es ist für die Zukunft gewiß auch nicht ausgeschlossen, daß einmal ein
Nationalstaat sich wirtschaftlich zum Freihandel bekennt. Wir wollen
jedoch auf diese Dinge nicht weiter eingehen, da zurzeit die Verhält-
nisse — auf der einen Seite Forderung des Nationalstaats und der
Nationalwirtschaft, auf der anderen „Universalismus‘ (mit einer gə-
wissen Neigung zum Kosmopolitismus), Liberalismus, Verteidigung des
Freihandels — in der Tat im allgemeinen ungefähr so sind, wie M.
sie schildert.
Der Kern der von M. vorgetragenen Anschauungen besteht nun
aber in folgendem. Nach seiner Ansicht haben sich Nationalstaat und
Nationalwirtschaft überlebt, sind untergraben, nicht mehr zu halten.
Die Zukunft gehört dem Unionstaat und der Unionwirtschaft.
Die nationalwirtschaftlichen Staaten müssen aus ihrer Nationalwirt-
schaft heraustreten, müssen sich ökonomisch vereinigen, sich zu
Unionwirtschaften zusammenschließen. Wenn Deutschland
nicht untergehen will, muß es die Nationalwirtschaft aufgeben und sich
mit anderen Staaten zu einer „Unionwirtschaft‘‘ zusammentun.
Nach M. drohen dem Nationalstaat und der Nationalwirtschaft
von zwei Seiten her unermeßliche Gefahren: ein innerer und ein äußerer
Feind.
„Der innere Feind ist die ökonomische Entwicklung, die über
den Rahmen der Volkswirtschaft hinauswächst; es sind die wirtschaft-
lichen Beziehungen und Wechselwirkungen von Staat zu Staat, die
eine immer inniger werdende Verflechtung der Volkswirtschaften unter-
und miteinander erzeugen.“ Die stets zunehmenden weltwirtschaftlichen
Beziehungen ‚zerstören mehr und mehr den unabhängigen Wirtschafts-
körper“. „Die reine Nationalwirtschaft befindet sich in Auflösung.“
Da nun eine Rückkehr zu dem ganz überwiegend autonomen Wirt-
schaftsleben des Staates nicht möglich ist, so bleibt nur ein Verlassen
der Nationalwirtschaft und ein Eintreten in neue Formen der Ge-
staltung des ökonomischen Lebens, d. h. in die „Unionwirtschaft“,
übrig. Die günstigen Folgen aber eines solchen — notwendigen —
Literatur. 671
Schrittes sind „unübersehbar“. Die Unionwirtschaft bringt ‚eine aus-
gesprochenere Unabhängigkeit vom Weltmarkt mit sich“ usw. „Trotz-
dem wird der Spielraum, weltwirtschaftlich sich zu betätigen, größer
sein.“ M. verheißt Deutschland ein goldenes Zeitalter, wenn es sich
entschließt, in eine „Unionwirtschaft‘ einzutreten.
Aber nicht nur die innere Entwicklung treibt die Nationalwirt-
schaften zur Auflösung, sondern auch ein äußerer Feind erhebt sich
drohend gegen ihren Bestand: die „Imperialwirtschaft“. Als
Imperialstaaten nennt M. Rußland, Greater Britain, die Vereinigten
Staaten von Nordamerika, später vielleicht Argentinien, Brasilien, China.
„Diese Riesenreiche drohen die Nationalwirtschaften alten Stils zu er-
drücken.“
Wenn wir eine Kritik der Darstellung M.s unternehmen, haben
wir von dem Begriff „Nationalwirtschaft‘‘ — er faßt ihn im Sinne der
Bücherschen „Volkswirtschaft“ — auszugehen. Die National- bzw.
Volkswirtschaft löst nach der erwähnten Stufentheorie die Stadtwirt-
schaft ab. Wie sind aber Stadt- und Volkswirtschaft zu verstehen ?
M. faßt sie als naturhafte Bildungen auf. Er hat aber zu wenig mit
ihren historischen Ursachen und Motiven gerechnet!). Er betrachtet
sie einseitig retrospektiv. Er rechnet zu wenig mit der bewußten
Politik, welche die Zustandsstufen mit herbeigeführt hat. Sogar die
„Hauswirtschaft“ ist nicht überall einfaches Produkt natürlicher Ver-
hältnisse.. Im klassischen Altertum (ich erinnere an Ed. Meyers
Forschungen) ebenso wie im Mittelalter beobachten wir an einigen
Stellen, wie sich die Grundherrschaft bewußt abzuschließen sucht. Wenn
es sich hierbei nur um etwas Nebensächliches handelt, so spielt bei
der mittelalterlichen Stadtwirtschaft die bewußte Politik der Stadt-
gemeinde schon eine beträchtliche Rolle. Mein Nachweis („Ueber
Theorien der wirtschaftlichen Entwicklung der Völker“, Histor. Zeitschr.,
Bd. 86, S. 65 ff.) ist von anderen Autoren (z. B. Alfred Schultze, Histor.
Zeitschr., Bd. 101, S. 502f., Gothein, Bächtold) anerkannt worden.
Das System der Abschließungen ist nicht etwas Ursprüngliches. Es
folgt vielmehr auf eine verkehrsfreundliche Zeit bei den mittelalter-
lichen Städten mit dem ausgehenden 12. Jahrhundert ein Richtungs-
wechsel in der städtischen Wirtschaftspolitik, die nunmehr durch be-
wußte Abschließung und durch Zurückdrängung und Reglementierung
der Fremden den heimischen Handel und das heimische Handwerk zu
fördern sucht. Gewiß zeigen sich in der mittelalterlichen Stadtwirt-
schaftspolitik manche Einseitigkeiten; sie treten besonders nach dem
Sturz des patrizischen Regiments hervor. Allein im ganzen genommen
hat die mittelalterliche Stadtwirtschaftspolitik kräftige erfreuliche Wir-
kungen hervorgebracht. Sie hat einen namhaften Anteil daran, daß
das Mittelalter eine gewaltige Zahl mittlerer blühender Städte auf-
1) Ueber M.s Buch „Der wirtschaftliche Fortschritt“ (1910), in dem er die Stufen-
theorie Büchers verwertet, s. meine Rezension in der Vierteljahrsschrift für Sozial- und
Wirtschaftsgeschichte, 1911, S. 238 ff. S. auch die Diskussion darüber zwischen Plenge
und M. in der Zeitschr. f. die ges. Staatswissensch., Jahrg. 1911 u. 1912,
672 Literatur.
weist. Und auch in manchen Einzelheiten läßt sich weiter ihr Erfolg
beobachten (vgl. z. B. A. Schultze, a. a. O. S. 502, Anm. 1).
Die mittelalterliche Stadtwirtschaftspolitik wird in späteren Jahr-
hunderten aufgenommen durch den Merkantilismus. Es bedarf keiner
näheren Darlegung, daß der Merkantilismus nicht Festlegung natürlicher
Verhältnisse, sondern wesentlich das Werk bewußter Politik ist. Und
auch darüber kann ja kein Zweifel bestehen, daß der Merkantilismus
— wie man über ihn auch im einzelnen denken mag — im ganzen
großer Erfolge sich rühmen darf (zur Würdigung des preußischen Mer-
kantilismus sei auf die Darstellungen von O. Hintze verwiesen).
Auf den Merkantilismus folgte die Freihandelszeit. Ihr machte in
Deutschland Bismarck im Jahre 1879 mit seiner neukonservativen
Politik ein Ende. Man hat seine Wirtschaftspolitik nicht mit Unrecht
„Neumerkantilismus“ genannt. Ganz wie bei der mittelalterlichen Stadt
folgte jetzt auf eine „verkehrsfreundliche“, d. h, freihändlerische Zeit
ein Richtungswechsel, der durch bewußte Abschließung, Zurückdrängung
des fremden Verkehrs und Reglementiernng den heimischen Handel,
die heimische Industrie und die heimische Landwirtschaft zu fördern
sucht. Ueber die unermeßlichen guten Wirkungen dieses Systems braucht
kein Wort verloren zu werden !). Das Neue, was die Bismarcksche
Wirtschaftspolitik hinzubringt, ist der Schutz der heimischen Land-
wirtschaft. Die mittelalterliche Stadtwirtschaft will die Landwirtschaft
nicht fördern, sondern im eigenen Interesse beherrschen. Der Merkan-
tilismus ist auch noch einseitig handel- und industriefreundlich (wiewohl
anerkannt werden darf, daß wenigstens Friedrich d. Gr. einen gewissen
Ausgleich zwischen den Interessen des Handels und der Industrie und
denen der Landwirtschaft gesucht hat). Der staatliche Schutz der
Landwirtschaft ist erst eine Errungenschaft der neuen, der neuesten Zeit.
Wenn wir die hier geschilderten Verhältnisse ins Auge fassen, er-
halten wir eine ganz andere Anschauung von dem Wesen der National-
wirtschaft, als sie M. zu vermitteln sich bemüht. Nach ihm bedeutet
die Nationalwirtschaft die Festhaltung einfacher überlieferter Verhält-
nisse, ist etwas wesentlich Reaktionäres. Ihre Befürworter gehen nicht
mit der Zeit mit, stemmen sich vielmehr gegen die fortschreitende Ent-
wicklung. Sie sind engherzige Vertreter des Alten und bringen den
Staat, dem sie die Nationalwirtschaft empfehlen, an den Rand des
Abgrunds. Wir haben indessen wahrgenommen, daß es sich tatsächlich
umgekehrt verhält. Das Programm der Stadtwirtschaft ist im Mittel-
alter, das des Merkantilismus im 17. und 18. Jahrhundert, das des
Neumerkantilismus in unserer Zeit das Programm des wirtschaftlichen
Fortschritts. Wer sich ihm nicht zugänglich zeigt, bleibt zurück. Ein
Geweinwesen, das dem Programm des Fortschritts sich nicht zugänglich
machen will oder kann, sinkt herab.
M. legt weniger auf die bekannten konkreten Argumente des Frei-
handels Gewicht, als darauf, daß die Nationalwirtschaft etwas Natur-
1) Nur ein Hinweis auf einen Stimmungswechsel mag hier angebracht werden.
Vgl. Diehls biographischen Artikel über Joh. Conrad, in diesen Jahrbüchern, II. F.
Bd. 49, S. 746 f., und dazu meine Schrift: „Deutschland und die Hohenzollern“, 8. 46.
Literatur. 673
haftes, Zurückgebliebenes, Veraltetes sei. Gerade bier aber müssen wir
ihm widersprechen. Wie die Herstellung des Nationalstaats, so ist
auch die Schaffung der mittelalterlichen Stadtwirtschaft, des Merkan-
tilismus und der Nationalwirtschaft wesentlich eine bewußte Tat und
ein Werk des Fortschritts!). Es werden nicht bloß gewisse allgemeine
Verhältnisse mit Bewußtsein festgehalten und schärfer ausgebildet,
sondern man setzt sich auch zum Ziel, der wirtschaftlichen Bewegung
eine neue Richtung zu geben. Nach M. ist das Ideal der National-
wirtschaft „ein ungeahntes Sichbeschränken“ (S. 17). Von einer Seite
betrachtet, mag es so angesehen werden. Umfassender aber wird es
dahin zu umschreiben sein, daß man als Ziel aufstellt, die wirtschaft-
lichen Verhältnisse zu beherrschen. Von außen her kommt eine
wirtschaftliche Bewegung, die unser Gemeinwesen unterjochen, wohl
gar vernichten, jedenfalls nicht gedeihen, nicht selbständig sich ent-
falten lassen will; dagegen lehnen wir uns auf?) Das ist die Auf-
fassung, von der die Systeme der Ausschließung ausgehen. Man handelt
von der Erwägung aus, daß die Fremden ihre Waren ja nicht zu uns
bringen, um uns zu beglücken und reicher zu machen, sondern, um an
uns zu verdienen, und sucht deshalb den Warenverkehr von heimischen
Gesichtspunkten aus zu regeln.
Von solchen Zielen aus ist zunächst die Entstehung der mittel-
alterlichen Stadtwirtschaft zu erklären. Nach M.s Anschauungen
müßte man annehmen, daß sie der Ausdruck einfacher alter Verhältnisse
ist und daß sie weggeschwemmt wird, so wie sich der Warenverkehr
hebt. Tatsächlich verhält es sich eher umgekehrt. Im 12. Jahrhundert
steigert sich der deutsche Warenverkehr. Er hätte — innerhalb eines
gewissen Rahmens, gewisser Grenzen 8) — einen Zustand hervorbringen
können, in dem einige wenige Städte Deutschland wirtschaftlich be-
herrschen; in dem vielleicht auch fremde Orte Deutschland zu be-
einflussen suchten. Eine Gegenbewegung hiergegen stellt die Auf-
richtung der mittelalterlichen Stadtwirtschaft dar. Eine große Vielheit
von Gemeinden bemüht sich, den Warenverkehr je in die eigene Hand
zu bringen. Ueber den Erfolg haben wir schon gesprochen.
Aehnlich der Merkantilismus. Er ist in seiner Zeit nicht das ver-
altete System, sondern die große Neuerung. Er beruht darauf, daß
man die Heimat wirtschaftlich unabhängig stellen will. Die deutschen
Staaten, insbesondere Preußen, wollen nicht von Frankreich und anderen
Stellen her beherrscht und ausgenutzt werden. Der sich steigernde
Warenverkehr soll nicht bloß zum Vorteil des Auslandes ausschlagen.
1) So treffend z. B. O. Hintze in: „Deutschland und der Weltkrieg“, S. 37.
2) Während M. über die Entstehung des Nationalstaats einen historischen Ueber-
blick gibt, fehlt ein solcher hinsichtlich der Nationalwirtschaft, obwohl M. im Inhalts-
verzeichnis eine entsprechende Ankündigung gibt. Er macht nur (S. 15) eine (an sich
zutreffende; vgl. Jahrbücher f. Nationalökonomie, Bd. 76, S. 449 ff.) Bemerkung gegen
Schmollers Theorie von der Territorialwirtschaft. Im übrigen spricht er lediglich über
Argumente, die für und gegen die Nationalwirtschaft vorgebracht werden.
3) Auf die Grenzen, die in dem mangelhaften Straßenwesen jener Zeit usw. lagen,
brauche ich nicht hinzuweisen. Im übrigen ist es bekannt, welche Rolle damals der
Kampf der Städte untereinander spielte.
Jahrb. f Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 43
674 Literatur.
Man will sich seiner selbst bemächtigen. Ohne den Merkantilismus
wäre Preußen ein Trabant des Auslandes geworden. Mit ihm ist es
aufgeblüht. Der Warenverkehr an sich ist durch den Merkantilismus
nicht eingeschränkt, sondern gehoben worden.
Endlich die Nationalwirtschaft Deutschlands. Ihre Begründung
(in gewisser Weise dürfen wir sie in ein bestimmtes Jahr, das Jahr
1879, setzen) fällt nicht etwa in eine verkehrsarme Zeit, sondern in
eine, in der sich der Verkehr gewaltig steigert. Aber dieser zu-
nehmende Verkehr droht Deutschland in Abhängigkeit vom Ausland
zu bringen. Dagegen lehnt sich die deutsche Industrie auf; die Land-
wirtschaft schließt sich an. Deutschland erlangt eine wirtschaftliche
Autonomie. Sie ist es, auf der im gegenwärtigen großen Krieg unsere
Selbständigkeit beruht. Aber auch der deutsche Export ist unter
ihrer Herrschaft gewaltig gestiegen.
M. erwähnt nicht das chronologische Datum der Begründung der
deutschen Nationalwirtschaft. Hätte er es erwähnt, so würden seine
Leser ohne weiteres wahrnehmen, daß sein Beweis hinfällig ist. Nach
ihm macht die steigende ökonomische Entwicklung die Nationalwirt-
schaft unmöglich, führt ihren Untergang herbei. Wir wissen indessen,
daß in einer Zeit stark steigender ökonomischer Entwicklung die
Nationalwirtschaft begründet worden ist, und zwar mit dem größten
Erfolg. 1879 erscheint sie zuerst, und heute soll schon ihr Begräbnis
stattfinden? Nachdem sie sich glänzend bewährt, die ökonomische Ent-
wicklung Dentschlands gewaltig gefördert hat?
Die von mir angeführten Tatsachen sind natürlich auch M. bekannt.
Aber im Zusammenhang seiner Urteile kommen sie nicht zur Geltung.
Ein Satz läßt in charakteristischer Weise den Maßstab, den er bei der
Beurteilung der Dinge anlegt, erkennen. S. 24f.: „Stände unser Wirt-
schaftsleben, so wie es ist, auf der Organisationshöhe des eng-
lischen, so wären wir ökonomisch schon lange ruiniert, und damit
würde unserer Kriegführung das Rückgrat gebrochen sein.“ England,
welches, wie M. weiter darlegt, erfolgreich den Zustand der National-
wirtschaft längst aufgegeben hat, steht nach ihm wirtschaftlich „höher“
als Deutschland. Man kann nun gerade hier wohl auch ganz anders
urteilen. Unter Benutzung des zweiten Teils seines Satzes werden
wir uns beglückwünschen, daß wir noch nicht auf der englischen „Or-
ganisationshöhe“ stehen.
S. 24: „Bestände noch die Nationalwirtschaft in ihrer alten Kraft.“
Ebenda: „Die reine Nationalwirtschaft befindet sich in Auflösung.“ In
welche Jahre verlegt M. die Nationalwirtschaft in „alter Kraft“, die
„reine“ Nationalwirtschaft? Seit 1879 datieren wir unsere National-
wirtschaft; seit diesem Jahr hat sie sich fortschreitend entwickelt.
S. 23 erwähnt M., daß die Masse des jährlichen Handels, der im
Mittelalter von Deutschland nach Italien ging, in einem einzigen Güterzug
zu 50 Wagen zu befördern gewesen wäre. Wie gewaltig haben in
jüngster Zeit im Vergleich dazu — ruft M. im Anschluß daran aus —
„die wirtschaftlichen Beziehungen von Land zu Land, von Erdteil zu
Erdteil zugenommen!“ Dies Beispiel verwertet er, um zu beweisen,
Literatur, 675
daß das „nationalwirtschaftliche Ideal mehr und mehr zerstört wird“.
Repräsentiert denn aber jenes Beispiel einen „nationalwirtschaftlichen“
Zustand? Keineswegs! Im Mittelalter herrschte ja nicht die National-,
sondern die Stadtwirtschaft, die auf einen viel kleineren Raum be-
schränkt war. Wie man sieht, schimmert auch in jener Aeußerung
bei M. der Gedanke durch, daß die Nationalwirtschaft etwas Ver-
altetes, mindestens Mittelalterliches, wenn nicht gar noch älteres sei.
M. spricht, wie erwähnt, von einer „reinen“ Nationalwirtschaft.
Eine solche hat es nie gegeben. Eine „reine“ Nationalwirtschaft ist
auch nie erstrebt worden. Als man sich in Deutschland 1879 zum
nationalwirtschaftlichen System entschloß, war man sich vollkommen
klar darüber, daß man eine „reine“ Nationalwirtschaft nicht herstellen
könne, daß man auf bestimmte Produkte des Auslandes oder ein be-
stimmtes Maß ausländischer Produkte immer angewiesen sein würde.
Auch eine „reine Stadtwirtschaft“ hat es nie gegeben und ist nie an-
gestrebt worden. Die mittelalterliche Stadt erkannte die Gewand-
schneider als die Verkäufer der von weither bezogenen flandrischen
Tuche und die Krämer als die Verkäufer südeuropäischer und orientali-
scher Produkte an und führte auch sonst Einschränkungen des stadt-
wirtschaftlichen Prinzips durch. Beim Merkantilismus nehmen wir
wohl — entsprechend dem rationalistischen Geist des 18. Jahrhunderts
— einige extravagante Bemühungen der Abschließung nach außen hin
"wahr. Eine „reine“ Abschließung ist aber auch jetzt keineswegs vor-
handen.
M. malt die „reine“ Nationalwirtschaft an die Wand, um zu zeigen,
daß die Nationalwirtschaft etwas an sich Minderwertiges sei. Wir
haben ja aber nie die „reine“ Nationalwirtschaft verlangt. Wir haben
stets auf starke Zolleinnahmen gerechnet.
Unser Urteil über M.s Beweisführung fassen wir dahin zusammen,
daß er die Unbrauchbarkeit, die Auflösung der Nationalwirtschaft ganz
und gar nicht nachgewiesen hat. Wurde sie begründet, damit Deutschland
sich im wirtschaftlichen Wettkampf behaupten konnte, so ist unser Vater-
land unter ihr mächtig aufgeblüht. Und der Krieg hat die Brauchbarkeit
des Systems von neuem gezeigt. Er hat gelehrt, daß aus der Notwendig-
keit oder der Tendenz, uns vom Ausland nach Möglichkeit unabhängig
zu halten, neue wertvolle Beobachtungen und Entdeckungen entspringen:
die Fruchtbarkeit der heimischen Produktion ist uns wie in der
Landwirtschaft so in der Industrie, von der Herstellung von Spreng-
stoffen bis zu der von Garn für die Schuhfabriken, entgegengetreten.
Wir sind wirtschaftlich noch selbständiger, als wir vor dem Krieg an-
nahmen.
M. empfiehlt uns die Ersetzung der Nationalwirtschaft durch die
U nionwirtschaft. Hierzu wäre zunächst zu bemerken, daß keine Union-
wirtschaft von denjenigen Mängeln frei sein würde, die M. an der
Nationalwirtschaft konstatiert. Unabhängig von den weltwirtschaft-
lichen Beziehungen wäre auch eine Unionwirtschaft nicht, mag man
neben Oesterreich-Ungarn noch die Türkei und andere etwa in Betracht
kommende Länder einbeziehen. Gewiß kann ein größerer Raum für
43*
676 Literatur.
das Wirtschaftsleben einer Gemeinschaft bedeutende Vorteile bringen.
Allein erstens hat man sich vor Illusionen zu hüten, die an die Her-
stellung weiterer Grenzen geknüpft werden!) Zweitens haben wir
abzuwägen, ob die Vorteile, die das neue größere Gebiet bringen würde,
die Nachteile aufwiegen, die mit dem Verlassen der bisherigen Wirt-
schaftsgrenzen gegeben sind. Und das Gute, das etwa der größere
Wirtschaftsverband bringen könnte, ließe sich auch auf anderen Wegen
erreichen: z. B. könnten die Stelle der Hinausschiebung der Zollgrenze
Handelsverträge einnehmen. Diese Fragen sind ja neuerdings von
zahlreichen Forschern, Diehl, Schumacher usw., gründlich erörtert
worden. Ich begnüge mich damit, hier einige Sätze aus dem aus-
gezeichneten Aufsatz von H. Schumacher, Die Hauptaufgabe der deut-
schen Handelspolitik nach dem Kriege, im „Neuen Deutschland“, vom
16. Okt. 1915, anzuführen. „Wenn man ein politisch -militärisches
Bündnis mit einem handelspolitischen verkoppelt, trägt man in das
freie Herrschaftsgebiet eines einheitlichen Willens die unabwendbaren
Interessengegensätze des Wirtschaftslebens hinein. Wie sie überall
Erbitterung erzeugen, können sie dann auch auf einem ihnen entrückten
Gebiet zum gefährlichen Sprengstoff werden. So kann eine „tiefere
Verankerung“ des Bundes mittels des Zollwesens den Zusammenschlus
eher lockern als stärken. ... . In richtiger Erkenntnis dieser Grund-
natur aller Wirtschaft hat Bismarck stets den Grundsatz verfochten,
Politik und Wirtschaft voneinander getrennt zu halten... ... Wenn
dem Deutschen Reich Möglichkeiten der Verselbständigung aus eigener
Kraft fehlten, dann würde es ein besonders wichtiges Ziel unserer
Politik sein müssen, die Selbständigkeit, die wir allein uns nicht er-
ringen können, uns wenigstens mit Hilfe unserer Bundesgenossen zu
schaffen. Da das nicht der Fall ist, muß doch die Aufgabe nationalen
Charakters einen Vorrang vor der gleichen Aufgabe internationalen
Charakters beanspruchen. Wie weit aber eigene Entwicklungsmöglich-
keiten sich uns bieten, hängt nicht allein von der Vergangenheit, son-
dern auch von der Zukunft ab. Es ist zu hoffen, daß die opferreichen
Siege die agrarische Basis unserer Volkswirtschaft, insbesondere im
Osten, durch Siedelungsland verbreitern“ ?).
Wenn Schumacher in jenen Sätzen davor warnt, Politik und Wirt-
schaft miteinander zu vermischen, so trifft eben diese Warnung auch M.s
Darstellung. Nach ihm muß Deutschland nämlich gleichmäßig wie von
der Nationalwirtschaft zur Unionwirtschaft, so auch vom Nationalstaat
zum Unionstaat eiligst fortschreiten, wenn es nicht zugrunde gehen
soll. Politisch stehe es für uns nicht anders wie wirtschaftlich. Im
Inhaltsverzeichnis verheißt M. eine Erörterung über die „Auflösung des
Nationalstaates“. Wenn wir freilich von dem betreffenden Kapitel den
Nachweis erwarten, daß unser deutscher Nationalstaat sich nicht mehr
halten könne, so sehen wir uns enttäuscht. M. setzt hier auseinander,
1) Vgl. kritisch gegen M.: K. Diehl, Deutschland als geschlossener Handelsstaat
im Weltkriege, Stuttgart 1916, S. 30 f.
2) Vgl. auch H. Schumacher, Meistbegünstigung und Zollunterscheidung (München
und Leipzig 1915).
Literatur. 677
daß Rußland und Großbritannien keine Nationalstaaten, sondern Im-
perialstaaten seien. Es wird darauf ankommen, in welchem Sinn man
das Wort Nationalstaat gebraucht. Unzweifelhaft wird Rußland von
den dort herrschenden Gewalten als Nationalstaat aufgefaßt und in der
Art eines solchen regiert. Freilich ist die Zahl der Fremdstämmigen
— wie P. Karge kürzlich in der Zeitschrift „Panther“, Januarheft von
Jahrg. 1916, in lehrreicher Zusammenfassung darlegt — so bedeutend,
ihr Streben nach Selbständigkeit so lebhaft und die Kultur der Groß-
russen der der Fremdstämmigen so wenig überlegen, daß von Rechts
wegen Rußland nicht als Nationalitätsstaat, sondern als „Nationalitäten-
staat“ konstruiert werden müßte. Die gegenwärtigen Herrschaftsver-
hältnisse stehen aber im Widerspruch zu jener Forderung der Gerech-
tigkeit. Die Fremdstämmigen — sagt Karge (S. 89) — können sich
selber nicht helfen; ihre waffenfähige Mannschaft steht im Felde, ist
gefangen oder tot; wir müssen ihnen helfen. Das wird zugleich im
Hinblick auf die künftige Sicherheit des Deutschen Reichs gefordert.
M. argumentiert anders. Er zieht aus der Tatsache der mangelnden
inneren Einheit Rußlands den Schluß, daß es nicht ein Nationalstaat,
sondern ein — Imperialstaat sei. Und weil Deutschland diesem Im-
perialstaat gegenüber zu schwach sei, müsse es sich „mit einem oder
mehreren anderen Staaten“ zu einem „Unionstaat“ zusammenschließen
(S. 41). In derselben Weise schildert M. das Verhältnis Englands zu
Deutschland. Auch Großbritannien sei kein National-, sondern ein Im-
perialstaat usw. Der Staat, der unter „Wahrung des nationalen Cha-
rakters sich den Imperialstaaten gegenüber behaupten“ will — also
Deutschland! —, eilt nach M. (S. 40) „früher oder später seinem Unter-
gang entgegen“.
Meines Erachtens ist es durchaus irrig, National- und Imperial-
staat als so ausschließende Gegensätze aufzufassen. Ein Imperialstaat
. kann sich auch auf nationalstaatlicher Grundlage erheben. Bei Groß-
britannien sind die nationalstaatlichen Elemente mit Händen zu fassen;
nicht weniger bei Rußland. Wenn wir nicht eingreifen, ist es ferner
möglich und ziemlich sicher, daß die herrschenden Gewalten in Ruß-
land das unitarische großrussische Moment bedeutend verstärken. Es
kann auch ein ursprünglich wenig nationales Gemeinwesen auf dem
Wege des Imperialismus zum Nationalstaat werden.
l Der Gegensatz zum Nationalstaat ist, wie es Karge und in bezug
‘ auf Rußland auch durchaus zutreffend Amonn (S. 19) beschreiben, der
. Nationalitätenstaat. Den Gegensatz zum Imperialstaat kann sowohl ein
Nationalstaat wie ein Nationalitätenstaat (z. B. die Schweiz!) bilden.
Ob ein Staat den Charakter eines Imperialstaats hat, das hängt lediglich
von einem bestimmten Quantum der Macht und dem Maß des ener-
gischen Willens, in die Weltverhältnisse einzugreifen, ab. Deutsch-
land ist ein Imperialstaat!) und ist zu einem solchen als Nationalstaat
geworden. M. sucht uns vor Rußland Angst zu machen, damit wir
unseren nationalen Charakter aufgeben.
1) Vgl. E. Marcks, Der Imperialismus und der Weltkrieg (1916), S. 12.
678 Literatur.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die im vor-
stehenden besprochenen Ausführungen M.’s unter dem Gesichtspunkt
eines ausgesprochenen Gegners der preußischen Polenpolitik — M. ist
ja als solcher bekannt — niedergeschrieben sind. Die bisherigen
historischen Beobachtungen gestatten das Urteil, daß M.'s Rat, den
nationalen Charakter unseres Staatswesens aufzugeben, um den Eintritt
in einen Unionstaat zu erlangen, dem Vorschlag, unsere Selbständigkeit
und das Schönste, was wir besitzen, für ein Linsengericht zu opfern,
gleichkommen würde. Hier, in einer nationalökonomischen Zeitschrift,
ist nicht der Platz für eingehendere politische Erörterungen. Es mag
jedoch daran erinnert werden, daß in den Diskussionen über die
künftige Gestaltung unserer Grenzen stets mit Recht die Notwendigkeit
betont wird, den nationalen Charakter unseres Staatswesens zu be-
wahren, und daß die Verhältnisse der „Nationalitätenstaaten“ so viel
Schwierigkeiten aufweisen, daß sie für uns gegenüber unserem National-
staat nichts Verlockendes haben. Denken wir selbst an die Schweiz,
in der die Zahl der Schwierigkeiten bisher noch am geringsten war,
so sind sie ja gegenwärtig auf dem besten Wege, sich zu vermehren
und zu verstärken. In der Sitzung des Nationalrats vom 7. März kon-
statierte der Abg. Bühlmann, daß in der welschen Schweiz Haß sich
gegen alles geltend macht, was deutsch ist, wohingegen in der deutschen
Schweiz nie ein verletzendes Wort gegen Frankreich gefallen ist. Die
welschen Schweizer setzen die Interessen des Gesamtstaats hinter ihre
besonderen Sympathien zurück. Aber auch vor dem Krieg zeigte die
Schweiz Verhältnisse, die uns doch nicht zu befriedigen vermögen. In
einer Schilderung dieser Beziehungen lese ich: „Der Deutschschweizer
erwirbt sich eine möglichst große Vollendung im Französischsprechen.
Der französische Schweizer eignet sich nicht im gleichen Grade die
Fähigkeit an, die deutsche Sprache zu beherrschen. Wo Deutsch-
und Welsch-Schweizer sich unterhalten, herrscht das Französische vor.
Dabei stehen 70 Prozent Deutschredende 22 Prozent Französisch
Sprechenden gegenüber.“ Erscheint jemand von uns ein solches Vor-
bild der Selbstbescheidung begehrenswert ?
Es mag sein, daß es sich für nns weiterhin empfehlen wird, in
einen „Unionstaat“ oder wenigstens in irgendeinen größeren politischen
Verband einzutreten. Aber den nationalen Charakter wollen wir un-
serem Staatswesen denn doch bewahren. Es hat fast den Anschein,
als ob M. mehr die Beseitigung des nationalen Charakters unseres
Staates und unserer Wirtschaft am Herzen liegt als die Erreichung
des Ziels, dem wir unseren schönen Besitz zum Opfer bringen sollen,
die Aufnahme Deutschlands in eine Unionwirtschaft und in einen Union-
staat. Von welcher Art und Zusammensetzung diese neuen Bildungen
sein sollen, darüber unterrichtet er uns nicht näher. Von seinem
Standpunkt aus ist mir dies auch durchaus verständlich. Für einen
Gegner des nationalen Prinzips in Staat und Wirtschaft können Ein-
richtungen wie Unionwirtschaft und Unionstaat ja nur vorübergehende
Mittel im Dienste des heiligen Zwecks, nämlich der Herstellung der
allgemeinen freien Bewegung, sein.
Literatur. 679
Schumacher warnt, wie bemerkt, vor dem Vermischen von Wirt-
schaft und Politik. Bei M. geht beides durcheinander. Seine Ab-
neigung gegen die Nationalwirtschaft steigert seine Ablehnung des
Nationalstaats, und umgekehrt glaubt er als Gegner des Nationalstaats
sich mit Antipathie gegen die Nationalwirtschaft erfüllen zu müssen.
Wie ich indessen schon angedeutet habe, liegt es nach meiner Ueber-
zeugung nicht in der freihändlerischen Auffassung an sich, einen
solchen Standpunkt einnehmen zu müssen.
Wenn ich bei M.s Schrift länger verweilt habe, so hat das den
Vorteil, daß damit zugleich in kritischer Beziehung das Wesentliche
über die Richtung des Buches gesagt worden ist, welches in den letzten
Monaten in der belletristischen Literatur, in den meisten Zeitungen,
aber teilweise auch in wissenschaftlichen Blättern über alles Maß an-
gepriesen worden ist: über F. Naumanns „Mitteleuropa“. Es steht
sachlich darin kaum etwas anderes als in der kleinen Schrift von
Mitscherlich. Was dieser Unionwirtschaft und -staat nennt, nennt
Naumann Mitteleuropa, übrigens mit der gleichen Unbestimmtheit in
der Zeichnung der künftigen Gestalt des ‘Verbandes.
Nach Naumann (S. 4) ist die Zeit der „kleinen und mittleren
Mächte“ vorbei. „Der Geist des Großbetriebes und der überstaatlichen
Organisation hat die Politik erfaßt.“ Die Quantität entscheidet. Es
ist „die Geschichtsperiode der Staatenverbände und Massenstaaten“.
Deutschland ist für sich „zu klein“, um Krieg zu führen. Es muß
deshalb in Mitteleuropa aufgehen.
Hierauf ist zunächst zu erwidern, daß der Gebietsumfang und die
Staatenvereinigung keineswegs entscheiden, auch nicht einmal die Be-
völkerungszahl. Sonst würden wir ja schon einem Teil unserer Feinde
längst unterlegen sein. Was uns stark macht, ist nicht bloß Gebiets-
umfang oder Bevölkerungszahl, sondern die energische Anspannung,
die unser Nationalstaat militärpolitisch möglich macht, die Organisation
unserer Nationalwirtschaft und ganz im allgemeinen die besondere
Qualität unserer öffentlichen Einrichtungen. Diese Tatsache zieht N.
indessen nicht in Betracht; denn er will, daß wir unsere Eigenart zu-
gunsten „Mitteleuropas“ aufgeben, insbesondere auch auf unseren
Nationalstaat verzichten sollen. Es ist aber die Frage, ob wir dann
noch das leisten können, was uns bisher möglich war,
; N. empfiehlt uns Mitteleuropa, d. h. zunächst die Vereinigung von
Deutschland und Oesterreich - Ungarn, damit wir einen ganz großen
Staatenverband darstellen. Wenn wir aber schon einmal in einen
großen Verband eintreten sollen, dann müßte er noch größer sein. Wir
kämpfen doch heute schon im Verein mit der Türkei und Bulgarien
und kommen wohl auch nicht gut ohne sie aus. Mitteleuropa müßte
sie also doch mindestens mitumfassen, der mitteleuropäische Mensch
zugleich osteuropäisch und kleinasiatisch sein.
Von der notwendigen Einheit Mitteleuropas spricht N. in ganz
überschwänglicher Weise. Er verlangt einen „Zustand der Wesens-
gemeinschaft“ (S. 29), „eine Lebensgemeinschaft von oben bis unten“
(S. 31). Es „muß ein mitteleuropäischer Staatsgeist über uns kommen“
680 Literatur.
(S. 34). „Der Eintritt in die mitteleuropäische Wirtschaft ist ein
seelenverändernder Entschluß“ (S. 128). S. 100 zählt N. die
Völker — mehr als ein Dutzend, darunter Franzosen (aus dem Elsaß),
Rumänen, serbische Ungarn, Tschechen usw. — auf, aus deren Geist
die mitteleuropäische Seele!) gebraut werden soll. Die Deutschen
müssen natürlich von ihrem eigenen Wesen einen entsprechenden
Prozentsatz opfern, um die Erlaubnis zum Eintritt in die neue Lebens-
gemeinschaft zu erlangen. Der Deutsche gilt fortan nicht mehr als
der serbische Ungar. Es ist charakteristisch, daß N. die Bayern und
die Tschechen vollkommen in Parallele miteinander stellt, und zwar
auch in bezug auf Treue gegenüber dem Gesamtstaat (S. 26 f.). Der
bayerische Stamm ist wohl nie so stark beleidigt worden ?). Und was
sollen die Süddeutschen ferner sagen, wenn N. sie als „die gegebenen
Vermittler“ (S. 132) für die Herstellung der neuen mitteleuropäischen
Gemeinschaft bezeichnet? Ist denn Süddeutschland etwa besonders
reich mit serbisch-tschechischen Elementen oder tschechisch-serbischem
Geist durchsetzt? In Süddeutschland ist auf dem Grund eines leben-
digen deutschen Nationalgefühls das deutsche landsmannschaftliche
Gefühl noch stärker als in Norddeutschland ausgeprägt. Es dem mittel-
europäischen Brei zu opfern, wird man keineswegs gesonnen sein 3).
Die N.sche mitteleuropäische Seelengemeinschaft geht noch über
die berüchtigte französisch-deutsche „Mischkultur“ hinaus, die von den
französierenden Honoratioren des Elsaß als Aushängeschild verwertet
wurde Denn für diese wurden doch nur zwei Kulturen gemischt,
nicht sogleich ein gutes Dutzend $).
Selbstverständlich wird sich kein Ungar, kein Pole, kein Serbe usw.
der N.schen mitteleuropäischen Seele einfügen. Wir würden auch keine
Achtung vor ihnen haben, wenn sie es täten. Die Kultur kann bei
nationaler Verschleifung nicht gedeihen.
Wie wir vorhin bemerkten, reicht N.s Mitteleuropa (Deutschland
und Oesterreich-Ungarn), an seinem eigenen Maßstab gemessen, nicht
hin, um uns gegen unsere Feinde zu verteidigen. Es ist noch „zu
klein“. Man wundert sich, daß er diese Beobachtung nicht selbst schon
gemacht hat. Wirtschaftlich genügt Mitteleuropa auch noch nicht, um
etwas ganz Selbständiges darzustellen; die „Unionwirtschaft‘‘ kommt
über die Nationalwirtschaft nicht so sehr viel hinaus. Endlich unter-
1) Das bunte Völkergemisch der Türkei läßt er dabei fort. Und doch müßte er
es bei der Konstruktion der gemeinsamen Seele hinzunehmen.
2) Während ich dies schreibe, kommt mir das Februarheft der Zeitschrift „Panther“
zu Gesicht, in dem schon gegen jene Parallele Protest eingelegt wird. Aus diesem Heft
mag man sich an weiteren Beispielen darüber unterrichten, wie gänzlich falsch Nau-
mann die österreichischen Verhältnisse beurteilt.
3) Formell will N. die Regelung der Sprachenfrage den Einzelstaaten vorbehalten
wissen. Materiell ist aber sein Standpunkt für Deutschland ganz anders. Und jener
Vorbehalt bedeutet vor allem eine Verbeugung vor Ungarn (8. 236).
4) Der Rezensent der „Frankfurter Zeitung‘ (5. Dezember 1915, No. 337), der
N.s Buch mit der denkbar größten Nachsicht beurteilt, wagt doch schon den Einwand,
daß das Deutschtum kaum geneigt sein werde, „einem verschwommenen mitteleuropäischen
Typus zu weichen“.
Literatur. 681
richtet uns N., wie angedeutet, nicht näher darüber, welche bestimmtere
Verfassung denn der mitteleuropäische Verband, dem wir unsere Rettung
verdanken sollen, haben wird!), Mit anderen Worten: N. hat sich nicht
darum bemüht, den Beweis für das zu erbringen, was er uns als un-
bedingte Wahrheit hinstellt; er hat sich aber auch nicht einmal die
Mühe gemacht, sein eigentliches Ziel näher zu beschreiben. Und doch
verstehen wir sein Verfahren vollkommen, wenn wir uns nämlich gegen-
wärtig halten, daß es ihm gar nicht so sehr auf die Arbeit für Her-
stellung eines großen leistungsfähigen Verbandes als vielmehr auf die
Zertrümmerung unseres deutschen Nationalstaats ankommt.
Wir erwähnten, daß nach N. der Deutsche auch zugunsten des
französischen Elsässers etwas von seiner Eigenart für das neue mittel-
europäische Fabrikat abgeben muß. S. 73 ergießt er seinen wohlfeilen
Spott über die Germanisierungsversuche im Elsaß. Ebenda agitiert
er gegen die an der nordschleswigschen Grenze beobachtete deutsche
Politik. Warum das? „Mitteleuropa“, d. h. die Verbindung mit Oester-
reich, würde ja gar nicht eine Auslieferung deutscher Interessen an
französische und dänische verlangen! Aber dies Verfahren N.s versteht
man von der angedeuteten Voraussetzung aus. S. 100 spricht er von
der Wahrscheinlichkeit, daß „die Aufrichtung Polens der stärkste An-
trieb zur Herstellung Mitteleuropas wird“. Man sollte meinen, daß
Mitteleuropa hergestellt werden muß von der einfachen Erwägung aus,
daß Deutschland und Oesterreich je für sich zu „kleine“ militärische
Mächte sind. Jene Motivierung läßt einen Blick in die besondere Ge-
dankenrichtung N.s tun.
S. 73 eröffnet N. uns, daß man die Kunst der Nationalitäten-
behandlung in Oesterreich und Ungarn viel besser verstehe als in
Deutschland; man bekunde dort „viel mehr Sachverständnis für diese
Art von Aufgaben“. Er spricht ein großes Wort gelassen aus! Wünscht
er, daß wir die rücksichtslose Energie der Ungarn in der Behandlung
der anderen Nationen, die in ihrem Staat sitzen, nachahmen? Ihm ist
ja schon die preußische Polenpolitik viel zu energisch! Sollen wir ferner
die Grundsätze des österreichischen Polenklubs uns aneignen? Im
übrigen urteile ich nicht so ungünstig über die österreichische Nationali-
tätenpolitik wie die Oesterreicher selbst (s. vorhin Amonns Urteil). Ich
empfinde Hochachtung für die Ausdauer, mit der die Deutschen in Wien
für die Aufrechterhaltung des deutschen Volksschulwesens eintreten.
Aber nach N.s Geschmack ist dies ja nicht; er würde auch hier dem
Laisser aller huldigen. Wenn er die Oesterreicher in jener Hinsicht
lobt, so geschieht es, weil ihm die größere Rolle gefällt, die dort die
Polen und Tschechen spielen. S. 84 spottet er über die Deutschen
(im Verhältnis zu den Tschechen): ‚Sie wollen mit Schule und Gesetz
durchsetzen, was sie mit Phantasie und Absichtslosigkeit nicht mehr
können.“ Es ist aber eine bekannte Tatsache, daß der deutsche Charakter
Wiens von der deutschen Volksschule abhängig ist. S.18 erzählt N.
1) N. verlangt, daß unser Bundesstaat in einen Staatenbund eintreten soll, Wie
ist das möglich?
682 Literatur.
uns, daß Oesterreich vor uns „die ältere Bildung‘ voraushat. Mit
diesem Urteil will er wohl auch jene seine Aeußerungen stützen. N.
tadelt es als „Aesthetenpolitik‘‘ (S. 27), wenn jemand in Oesterreich an
der vollkommen staatstreuen Gesinnung der Tschechen zweifelt. Die
„Aesthetenpolitik“ findet sich indessen hier doch wohl auf seiner Seite!
An den Polen in Deutschland irgend etwas auszusetzen, ist nach N.
(S. 75) nur „Uebertreibung“ der „Polengegner“. Ein Dichter mag ein
Theaterstück „Oesterreichs Einheit“ schreiben, in dem Deutsche, Slovenen,
Tschechen usw. aus einem Munde Hurrah schreien. Auf der Theater-
bühne ist etwas derartiges zulässig und wirkt auch gewiß gut. Wenn
man aber solche Dinge in einer historischen oder staatsrechtlichen oder
nationalökonomischen Darstellung berichtet, so setzt man sich dem Vor-
wurf aus, daß man von dem wahren Sachverhalt nichts weiß oder ihn
verschleiern will. Man treibt eben „Aesthetenpolitik“ 1).
Mit N.s mitteleuropäischem Ideal hängt eine bestimmte geschicht-
liche Auffassung zusammen, die er vorträgt und auf die er sich viel
zugute tut, nämlich eine Hinneigung zum ehemaligen deutschen Reich.
Mit N.s historischen Kenntnissen ist es freilich nicht aufs beste
bestellt. Im Anhang gibt er zur Belehrung für seine Leser einige
Bücher an, die „von einem Kreise fachkundiger Männer und Frauen
für diesen Zweck als Hilfsmittel mitteleuropäischer Annäherung [!]“
zusammengestellt worden seien. Wenn für die Zusammenstellung der
paar Büchertitel schon ein solcher Apparat ins Leben gerufen werden
mußte, dann wird die „mitteleuropäische Annäherung‘ uns wohl noch viel
kosten! Bei einigen Büchertiteln hat N., wie er hervorhebt, eigenhändig
„Kleine Zwischenbemerkungen“ beigesteuert, die zum Teil einfach naiv
sind. Ich will aber nur einige seiner parteipolitischen Urteile erwähnen.
Von Oskar Klein-Hattingens Buch ‚Bismarck und seine Welt“ rühmt
N.: „Liberal-kritische Geschichte Bismarcks“. Tatsächlich gibt es genug
Arbeiten, die mehr zu empfehlen wären, und ein so dilettantisches
Buch sollte N. dem Liberalismus als solchem nicht an die Rockschöle
hängen. Die „Geschichte des deutschen Liberalismus“ von demselben
Verfasser erhält das Prädikat „reichhaltiges historisches Material“ 3). In-
dessen nicht einmal dies Lob darf man der ganz kritiklosen Arbeit
spenden. Das Pamphlet von H. Preuß „Das deutsche Volk und die
Politik“ empfiehlt N. als „wertvolles politisch-liberales Gegenwartsbuch‘ 3).
Der Liberalismus steht viel zu hoch, als daß er irgendwie in einer
solchen plumpen Tendenzschrift (die schon durch ihre Form abstößt)
1) Soviel N.s Buch in den belletristischen Zeitschriften gefeiert wird, so hat sich
doch gegen seine gar zu starken Uebermalungen der österreichischen Verhältnisse selbst
hier ein Widerspruch hervorgewagt. H. Ullmann bemerkt im „Kunstwart“, Januar 1916,
S. 56: „Mit ein wenig ‚Tschechisch‘, das man bei mitteleuropäischen Verhandlungen ‚ein-
streut‘, wirds keineswegs gehn.“ Die Slaven sind für ein ernstlicheres „Mitteleuropa“
keineswegs eingenommen. Aber vielleicht gelingt es N., ihre Abneigung zu beseitigen,
indem er in seinem Mitteleuropa das Deutschtum auf ein Minimum reduziert.
2) Vgl. W. Andreas, Historische Zeitschrift, Bd. 107, S. 92ff. E. Brandenburg,
Die Reichsgründung, Bd. 1, S. IX: Klein-Hattingen „unter aller Kritik“.
3) Vgl. „Neues Deutschland“ 1916, No. 31.
Literatur. 683
sein „Gegenwartsbuch‘‘ sehen müßte. Doch diese Notizen über den
Anhang zu N.s Buch nur nebenbei.
In seiner Darstellung eröffnet uns N. (S. 39) folgendes Urteil:
„Die Geschichtschreiber der letzten Jahrzehnte sind schon alle mehr
oder weniger von der Reichsgründungshistorie abgerückt, entweder, wie
H. Delbrück, zur reinen organisatorischen und militärischen Staatlich-
keit an sich, oder, wie Helmolt und Schäfer, zur überseeischen Welt-
politik, oder wie Gumplowiez und Lamprecht, zur sozialen und psycho-
logischen Kulturgeschichte, oder vor allem zur ruhigen kritischen Wür-
digung vergangener Kämpfe. wie Friedjung auf österreichischem Boden“.
Wir unterlassen es, diese unglaubliche Zusammenstellung im einzelnen
zu analysieren!), Es genügt*zu bemerken, daß die Geschichtschreiber
keineswegs „von der Reichsgründungshistorie abgerückt sind“. Die
deutsche Geschichtschreibung widmet sich ihr vielmehr mit vollem Eifer.
N. hätte nur in dem Literaturverzeichnis, das er am Schluß seines Buchs
abdruckt, etwas zu blättern brauchen, um sich von seinem Irrtum zu
überzeugen (s. z. B. die Titel zweier Werke von F. Meinecke, die N.
selbst mit Bemerkungen versehen hat, ferner der Darstellungen von
Oncken, Brandenburg usw.!). Und Friedjung, den er eben hier nennt,
schreibt ja über die Reichsgründungszeit, Lamprecht über diese wie
über die ältere Geschichte. Schäfer und Delbrück halten sich auch
gar nicht von Reichsgründungsfragen fern. Ein anderes Urteil von
N. (S. 30): „Man wird bei den Historikern der deutschen Reichs-
gründungszeit zwei Hauptgruppen unterscheiden dürfen, die mittelalter-
lich-kaiserliche und die protestantisch-preußische Ich habe zwar mit
Hilfe eines viel erfahreneren Freundes vergeblich versucht, jede einzelne
Gestalt in eine der zwei Gruppen zu schieben .... Im Grunde aber
ist es doch so: altkaiserlich oder preußisch!“ Ehe N. seine vergeblichen
Schiebungsversuche machte, hätte er sich über die Sache selbst unter-
richten müssen. Der von ihm behauptete Gegensatz besteht nicht. Der
Streit dreht sich um die Beurteilung der italienischen Politik der
mittelalterlichen Kaiser. Das alte Reich an sich verwirft kein preußischer
Historiker. Aber selbst unter denen, die die italienische Politik der
mittelalterlichen Kaiser anerkennen, finden sich „preußische“ Historiker,
Vertreter der deutschen Nationalstaatsidee: so von den älteren K. W.
Nitzsch, von den lebenden D. Schäfer, den Naumann ja selbst nennt,
also kennen müßte. Und, war etwa der Berliner Giesebrecht, der Ver-
fasser der „Geschichte der deutschen Kaiserzeit“, antipreußisch? Und
Ranke?!
Diese eigenartigen Auslassungen N.s über die deutschen Historiker
leiten seine weitere Eröffnung ein, daß wir zu der mittelalterlichen
Kaiserpolitik, wie er sie sich denkt, zurückkehren müssen. Die mittel-
alterlich -kaiserliche Geschichtschreibung — sagt er — „wirkt jetzt
gerade beim Beginn der mitteleuropäischen Epoche mit neuer Frische“.
1) Welche Geschichtsdarstellungen des „Historikers‘ Gumplowiez mag N. wohl
gelesen haben?
684 Literatur.
Er durchsucht die Weltgeschichte nach „Mitteleuropäern“ (freut sich
z. B. in Metternich einen entdeckt zu haben) und findet sie vor allem
im mittelalterlichen Kaiserreich. Dessen Völkergemisch , seine Ent-
fernung von einem energischen Nationalstaat ist sein ganzes Entzücken.
Nun ist es ja bekannt, daß im Mittelalter die nationale Idee nicht die
entscheidende staatenbildende Kraft darstellte. Allein jedermann weiß
auch, daß die damalige Kulturgemeinschaft keineswegs etwas mit dem
N.schen „Mitteleuropa“ zu tun hatte. Es bestand ein romanisch-ger-
manischer, allgemein abendländischer Kulturkreis. N. müßte, wenn er
den Vergleich durchführen wollte, die Italiener, Franzosen, Portugiesen,
Engländer in sein Mitteleuropa aufnehmen, die Völker, zu deren Ab-
wehr sein Experiment dienen soll. Er vergißt, daß Italien und be-
trächtliche Teile des heutigen Frankreich (Burgund!) zum alten Reich
gehört haben. Aber auch dies Versehen ist verständlich: N. ist ja
schon ganz zufrieden, wenn uns nur der Nationalstaat abhanden kommt;
alles übrige steht in zweiter Linie. Was würden aber die Kritiker des
losen Gefüges des alten Reichs, was würden Pufendorf und Treitschke
zu N.s „Mitteleuropa“ sagen! Wie würden sie wettern über den
Wechselbalg, den er uns auftischen will!
Bleiben wir bei dem Bild der italienischen Politik der mittel-
alterlichen Kaiser und erinnern wir uns, daß diese damals ihre Pläne
weithin schweifen ließen, aber die Festigung der unmittelbaren Grenzen
Deutschlands im Osten und Westen vernachlässigten, so scheint N. die
Nachahmung dieser Politik in der Tat empfehlen zu wollen: die Ver-
stärkung oder Sicherung unserer Grenzen beschäftigt ihn nicht; die
baltischen Provinzen und Belgien fesseln ihn nicht; sie kommen für ihn
nicht einmal für die Konstruktion der mitteleuropäischen Seele in Be-
tracht; dafür aber empfiehlt er uns, daß wir zur Sicherung unserer
Stellung in der Welt uns um das Wohlwollen der französisch gesinnten
Kreise im Elsaß und der serbischen Ungarn bemühen.
Der Gedanke an sich, daß Deutschland und Oesterreich-Ungarn
zu einem näheren Verband zusammentreten sollten, ist ja nicht neu,
ist gar nicht N.s Eigentum, sondern unabhängig von ihm z. B. von
Mitscherlich, aber überhaupt von sehr vielen Stellen!) vertreten worden.
Längere Zeit vor dem Krieg sind für jenen Gedanken vor allem der
Alldeutsche Verband und der mitteleuropäische Wirtschaftsverband
(von dem N. auch den Namen „Mitteleuropa“ übernommen hat) ein-
getreten. Aber wenn irgendwo, so gilt hier das Wort: si duo faciunt
idem, non est idem. Der Titel lautet gleich; aber von den Tendenzen,
die Naumann verfolgt, sind jene beiden frei. Der Alldeutsche Verband
1) Allbekannt ist aus dem ersten Kriegsjahr die hier in Betracht kommende Schrift
von E. v. Philippovich. Um weitere Literatur, die mir zufällig zur Hand ist, zu ver-
zeichnen, so notiere ich: K. Angermann, Die Grundlagen eines mitteleuropäischen Wirt-
schaftsverbandes, Zeitschr. „Panther“, Jahrg. 1915, Augustheft. — J. Neumann-Frobnau,
Der mitteleuropäische Wirtschaftsblock, ebenda, Jahrg. 1916, Januarheft. — K. Irresberger,
Das deutsch - österreichisch - ungarische Wirtschafts- und Zollbündnis (Berlin 1916). —
Kontinentalpolitik, ein Zukunftsbild, von einem rheinischen Großindustriellen, Deutsche
Kriegschriften, 4. Heft (Bonn, A. Marcus u. E. Weber). — Jul. Wolf, Ein deutsch-
österreichisch-ungarischer Zollvereinsverband, 2. Aufl. (Leipzig 1915).
Literatur. 685
hat sich denn auch veranlaßt gesehen, gegen Naumanns Mitteleuropa
Stellung zu nehmen!), „Wir müssen“ — heißt es in diesem Protest
— „es als ein äußerst bedenkliches Unterfangen erachten, wenn Nau-
mann mit der Verkündigung seines Mitteleuropa das deutsche Volk von
seiner wesentlichsten und nächsten Aufgabe abzuziehen sucht. Von
allen Lehren, die der Krieg dem deutschen Volke erteilt hat, ist keine
so eindringlich gewesen wie diese: daß es selber gar nicht stark
genug sein kann. Diese eigene Stärke aber gewinnt es nicht durch
eine überstaatliche Organisation.“ Es verdient Beachtung, daß dieser
Protest von einer Seite ausgeht, die an sich gleichfalls eine mitteleuro-
päische Vereinigung empfiehlt.
Wenn N.s Buch nicht auf einem neuen Gedanken beruht, so ver-
dankt es doch seine große Verbreitung zum Teil eben dem Umstand,
daß der Gedanke einer mitteleuropäischen Einigung, dem es dienen will,
schon sehr viel vertreten und insofern populär war. Aber die außer-
ordentliche Verbreitung und das Meer von Lobsprüchen, die ihm zu-
teil geworden sind, gehen doch noch auf andere Dinge zurück. Vor
allem auch kommt hier in Betracht, daß der Verfasser mit den Mitteln
des Novellisten arbeitet. Heute ist alle Welt durch die politischen
Dinge angespannt. Aber natürlich ist es doch nur ein kleiner Teil,
der sich mit der kühl-sachlichen Erörterung zufriedengibt. Wie soll
da nicht ein Buch Beifall finden, welches den Leser mit schwierigeren
Erörterungen nicht bemüht, ihm vielmehr eine unterhaltende Lektüre
gewährt und zugleich politisches Urteil mitzuteilen scheint? Sodann
kommt eine Menge von Sonderinteressen in Betracht, von denen aus
das Buch zahlreiche Gruppen von Anhängerschaften findet. Wir können,
wie wir sagten, unsern Nationalstaat nimmermehr aufgeben. Aber es
ist leider bekannt genug, daß die nationale Idee, wenn sie in Deutsch-
land von Deutschen vertreten wird, viele und eifrige Gegner hat. Da
melden sich dann diejenigen, welche ihre Freude darüber empfinden,
daß Naumann mit den Polen in Preußen gegen die preußische
Regierung und mit den französisierenden Notabeln im Elsaß sym-
pathisiertt2). Da melden sich diejenigen, denen in anderer Hin-
sicht die Geltendmachung der nationalen Idee unbequem ist. Da
bekunden Freihändler ihren Beifall, welche durch die Verwirklichung
der Vorschläge Naumanns den allmählichen Abbau der Schutzzölle sich
vollziehen sehen; aber auch Schutzzöllner von besonderen Interessen
schließen sich an, welche von der mitteleuropäischen Konstruktion eine
Förderung gerade ihrer speziellen Wünsche erhoffen. Da steht die
große Aesthetengemeinde, welche von dem harten nationalen und staat-
lichen Zwang befreit zu werden hofft; wie viel behaglicher als der
deutsche Nationalstaat Bismarckscher Prägung ist ihr die „mittel-
1) Vgl. Alldeutsche Blätter vom 15. Januar 1916 (No. 3).
2) Charakteristisch ist in dieser Hinsicht eine ganz überschwänglich lobende An-
zeige von N.s Buch, die R. v. Nostitz-Rieneck SJ. in den „Stimmen der Zeit“ (Stimmen
aus Maria-Laach), Bd. 90, S. 617 ff. veröffentlicht. S. 619 wird die wohlfeilste Spötterei
N.s über die Deutschen als Germanisatoren mit wahrem Behagen verzeichnet. Freilich
geht selbst diesem Lobredner N. doch noch zu weit in der Empfehlung der Nach-
giebigkeit (s. S. 621).
686 Literatur.
europäische“ Vereiniguug mit ihrer einstweilen noch nicht bestimmten,
jedenfalls so bunten Zusammensetzung, daß die Vereinigung von der
Energie einer straffen Einheit und Einigkeit himmelweit entfernt sein
wird. Aber es gibt noch mehr Gruppen und Parteien, die ihr Sonder-
interesse durch Naumanns Unternehmen aufs beste gefördert glauben.
Es macht dabei zunächst nichts aus, daß die einzelnen im Verhältnis
zueinander vielfach widerstreitende Interessen haben. Es kommt ja
einstweilen nur auf die Beseitigung des deutschen Nationalstaates an.
An dieser Arbeit können sich die verschiedenen Gruppen zunächst
gemeinsam sehr gut beteiligen; sie denken nicht daran, nach Voll-
bringung dieses Werkes ihren ausgeprägten besonderen Standpunkt
aufzugeben, und das N.sche „Mitteleuropa“ wird ja auch viel zu weich
und schwach sein, um sie daran zu hindern!
Es ist von anderer Seite als überraschend bezeichnet worden, dab
N. „Mitteleuropa“ heute so eifrig fordert. Noch kurz vor Kriegsaus-
bruch hatte er diesen, wie wir wissen, schon vorher vertretenen Ge-
danken durchaus abgelehnt. In den ersten Kriegsmonaten ferner ver-
öffentlichte er eine Schrift, in der er schilderte, wie die Franzosen ihr
Gehirn über den traurigen Gang der Dinge zermartern und über den
Irrtum des Revanchegedankens grübeln. Im Anschluß an diese Schilde-
rung setzte er die Gemeinsamkeit „französischer und deutscher Inter-
essen“ auseinander und entwarf ein Zukunftsbild über gemeinsames
Handeln von Frankreich und Deutschland. Nun wird das alles zurück-
gestellt und „Mitteleuropa“ zur Abwehr Frankreichs gefordert. Ich
finde jedoch bei N.s Art keinen Widerspruch in dem Wechsel des
Standpunkts. Seine Art ist unter allen Umständen die Anlehnung an
äußere Bundesgenossen. Nicht der Ausbau der eigenen Kraft, sondern
die Lösung des staatlichen Zwangs (national, politisch und wirtschaft-
lich) ist sein Ideal, und eben deshalb sucht er stets nach äußeren
Bundesgenossen, welche es auch seien. Anschluß, Biegsamkeit!), Nach-
giebigkeit empfiehlt er immer und überall. Mehr oder weniger ist es
eine allgemeine Völkerverbrüderung, in der er das Heil sieht. Da
diese seine allgemeinen Anschauungen so vollkommen greifbar als
Motive seiner Darstellung hervortreten ?) und er sich auf eine Beweis-
führung in den konkreten Einzelfragen wenig einläßt®), so muß eine
Würdigung seines Buches sich in der Hauptsache darauf beschränken,
festzustellen, welches seine Ideale sind, und hervorzuheben, daß diese
1) Der Referent der „Frankfurter Zeitung‘ (s. oben) richtet gegen N. die be-
rechtigte ironische (und im Grunde N.s ganzes System umstürzende) Bemerkung: „Wir
haben ja gerade aus den Erfahrungen des Nachbarreichs gesehen, daß die Biegsamkeit
allein nicht immer zum Ziele führt.“
2) S. 15f. und S. 127 führt N. die angeblichen Motive der Gegner des von ihm
konstruierten „Mitteleuropa“ vor. Er spricht hier über diese Gegner sehr liebens-
würdig. Aber bei dem, was man gegen seine Pläne einwendet, handelt es sich um
viel einfachere und konkretere Dinge, als er es sich zu denken vermag.
3) Selbst ein so leidenschaftlicher Bewunderer der Schrift N.s wie Prof. Günther
in der Münchener „Allgemeinen Zeitung“ (vom 20. November 1915, No. 47) konstatiert
doch den Abfall, der bei N. von der Schilderung der ästhetischen Werte der Vergangen-
heit zu der Erörterung der eigentlichen Forderungen der Gegenwart zu beobachten ist.
Literatur. 687
recht einseitig, die eines Aestheten !) sind. F. Meinecke sagt in seinem
„Weltbürgertum und Nationalstaat“, 3. Aufl., S. 208 nach Anführung
einiger optimistischer Sätze H. Ludens über die friedvollen Aussichten
von Staat und Volk: „Durch diese idealisierende Ausmalung des
nationalstaatlichen Zukunftsdaseins zeigt er (L.), daß sein politisches
Denken noch im Unpolitischen und Doktrinären stecken blieb. Denn
nicht Friede und Ruhe, sondern Kampf, Sorge und Reibung ist das
Schicksal des echten Nationalstaates. Wie ganz anders berühren uns
die Worte eines jungen energischen Denkers, .. . Ottokar Thons, des
Adjutanten Karl Augusts von Weimar: ‚Es ist an sich unmöglich,
daß sich die Staaten anziehen; die Natur will, daß sie sich abstoßen‘!...
Dieses Urteil kam von einem Manne, der nicht nur das Wesen des
Machtstaates, sondern auch die Kraft der Nationen kannte und wußte,
‚was ein Volk kann, wenn es etwas bestimmt und kräftig will‘.“
Und um noch das Urteil eines anderen Historikers (D. Schäfer) an-
zuführen: „Die unentbehrlichen Daseinsbedingungen einer Nation wur-
zeln nicht in den Austausch von Volk zu Volk, sondern im starken,
selbständigen Staatsleben; mit diesem stehen und fallen sie.“
Wenn man sich die Tatsachen vergegenwärtigt, auf denen die in den
vorstehenden Sätzen ausgesprochenen Beobachtungen beruhen, dann hat
man das Material zur Kritik der Auslassungen Naumanns?) in der Hand.
Aus unseren kritischen Bemerkungen wird schon klar geworden
sein, was wir unsererseits den Forderungen, wie sie Mitscherlich und
Naumann erheben, als unser Ideal entgegenstellen zu müssen glauben.
Wir verschließen das Ohr den Sirenenklängen des Aestheten 3).
Eine uferlose Politik nach dem Muster der italienischen Politik der
mittelalterlichen Kaiser kann uns nicht helfen. Wir haben auch die
Politik von 1866 nicht zu bereuen. Erst durch sie wurde ein gutes
und gesundes Verhältnis zu Oesterreich hergestellt. Bei beiderseitiger
grundsätzlicher Selbständigkeit können die Aufgaben, die Deutschland
und Oesterreich-Ungarn zu lösen haben, und auch ihre gemeinsamen
Aufgaben am besten gelöst werden. Luftige Pläne von einem fabel-
haften mitteleuropäischen Gemeinwesen, die zu einer Vernachlässigung
unserer heimischen Aufgaben führen würden, verbannen wir. Wie die
1) Ich darf die Schilderung, die Th. Ziegler in seinem Buch „Die geistigen und
sozialen Strömungen des 19. Jahrhunderts“, 15.—20. Tausend, S. 511f. von dem poli-
tischen Aesthetentum Naumanns gegeben hat, als bekannt voraussetzen. Die oben er-
wähnte Schrift von H. Bächtold schildert das politische Aesthetentum in der Schweiz,
in der es eine noch größere Rolle spielt als bei uns. Vieles von dem, was Bächtold
sagt, trifft auch auf die von N. vertretene Art zu.
2) Der Historiker A. O. Meyer zeigt in seinem geschichtlichen Ueberblick ‚Die
Wurzeln der deutsch-französischen Erbfeindschaft“, in der Sammelschrift „Zum ge-
schichtlichen Verständnis des großen Krieges“ (Berlin 1916) sehr gut, daß derjenige
uns Trugbilder vorgaukelt, der die elementare Leidenschaft, mit der uns Frankreich
— siehe dagegen N.s Schilderung! — gegenübersteht, ignoriert.
3) Wir haben es schon als charakteristisch erwähnt, daß N. übersieht, daß all’ die
Völker, die er mit „Mitteleuropa“ beglücken will, keineswegs ohne weiteres von einem
solchen Plan angetan sind. Es mag aber noch darauf hingewiesen werden, welchen
Widerstand die N.schen Beglückungstheorien z. B. in der Schweiz finden würden. Vgl.
Joh. Wendland, Grenzboten vom 19. Januar 1916, S. 89 f.
688 Literatur.
konsolidierten inneren Verhältnisse unseres Reichs Voraussetzung
unserer Siege sind, so wird die feste Grundlage unserer heimischen
Verhältnisse zunächst und vor allem zu sichern sein, mit einer Festi-
gung und Verstärkung unserer Grenzen. Nicht das Wolkenkuckucks-
heim Mitteleuropa, sondern nur der verstärkte deutsche Staat kann
ferner auch die Basis für eine aussichtsreiche Kolonialpolitik abgeben.
Es wird heute eifrig darüber gestritten, ob der Staatsverband
oder ob der Nationalverband den Vorrang verdiene, und wem insbe-
sondere in der durch den Krieg bewirkten Neugestaltung der Dinge
der Vorrang zuzuerkennen sei. Unsere Meinung geht dahin, daß der
Staatsverband schärfer als bisher angezogen werden wird, daß aber
der Nationalverband keineswegs seine Rolle ausgespielt hat. Wenn man
uns schildert, wie bequem es sich im Unionstaat und in der Union-
wirtschaft, unter Ausschaltung der nationalen Prinzipien, leben wird,
so gaukelt man uns ein Trugbild vor. Wenn Naumann uns die um-
fassendste Nachgiebigkeit gegen alle nationalen Minoritäten empfiehlt,
so denken sie nicht daran, gleiches mit gleichem zu vergelten. Wir
haben allen Anlaß, unsere nationale Selbständigkeit zu behaupten und
zu verstärken. Die nationalen Minoritäten sind in Deutschland im
Rahmen der Allgemeinheit stets anerkannt worden. Aber die zuver-
lässigste Garantie für den innerstaatlichen Frieden wird durch eine
überragende Stellung des Deutschtums gegeben sein.
Wir lehnen es keineswegs ab, zu Oesterreich-Ungarn politisch
und wirtschaftlich in eine nähere Verbindung zu treten. Indessen es
wird darauf ankommen, daß beide Teile innerhalb des Unionstaats
und der Unionwirtschaft möglichst selbständig bleiben. Die Ein-
zwängung in eine enge formale Verbindung kann leicht die Wirkung
üben, daß die Verbundenen bald von gegenseitiger Abneigung gegen-
einander erfüllt werden. Zwei Wahrheiten aber möchten wir zum
Schluß nochmals einschärfen. Erstens ist es eine Selbsttäuschung, wenn
man von der „Unionwirtschaft“ erwartet, daß sie ihren Angehörigen
eine beträchtlichere Unabhängigkeit von den weltwirtschaftlichen Be-
ziehungen bringen werde, als sie dem Deutschen Reich, wie es jetzt ist
und wie wir es weiter auszubauen gedenken, zukommt. Zweitens hat sich
unsere Nationalwirtschaft so ausgezeichnet bewährt, daß wir sie im
Prinzip (bei Beweglichkeit im einzelnen) durchaus festzuhalten allen
Anlaß haben.
Die Schriften von Mitscherlich und Naumann sind nur geeignet,
die Aufmerksamkeit von der Hauptsache, von dem, was wahrhaft not
tut, abzulenken 1). (@ €.)
1) Während des Drucks erhalte ich die eindringende Kritik des N.schen „Mittel-
europa“ von F. Eulenburg, Weltwirtschaftliches Archiv 1916, S. 379 ff. Vgl. ferner
Fromme, Deutsche Rundschau 1916, S. 134 ff. Der Referent im Jahrbuch für Gesetz-
gebung 1916, S. 425 f. widmet N.s Buch das höchste Lob, übersieht aber, daß N. sich
sachlich im Gegensatz zu den Anschauungen des Referenten befindet. E. Pernerstorfers
Artikel gegen Hermann Bahr in der „Neuen Rundschau“ (Berlin), 1916, Märzheft,
kann großenteils auch als Widerlegung Naumanns gelten.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 689
Uebersicht über die neuesten Publikationen
Deutschlands und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spesielle
theoretische Untersuchungen.
Harms, Edmund, Die Ueberführung kommunaler Betriebe in
die Form der gemischt-wirtschaftlichen Unternehmung. Berlin (Julius
Springer) 1915. 68 SS.
In tatsächlicher Hinsicht bringt die Schrift nichts wesentlich
Neues. Der Verf. stützt sich bei der Darstellung des Wesens
und der Verbreitung der gemischt privaten und öffentlichen Unter-
nehmungen in der Hauptsache auf mein Buch über diesen Gegenstand.
Er hat aber meine Angaben mit solcher Flüchtigkeit verwertet, daß sie
an einer ganzen Reihe von Stellen unrichtig wiedergegeben sind. Anderer-
seits findet sich ein Schreibfehler von mir bei ihm wieder. Auch
abgesehen von diesen und anderen kleineren Inkorrektheiten genügt
die Schrift nicht den Anforderungen, die an eine wissenschaftliche
Arbeit gestellt werden müssen. Die Gliederung des Stoffes ist mangel-
haft, häufig sind Dinge in die Darstellung hineingezogen, die nur in
sehr losem Zusammenhang mit dem Thema stehen. Das Spezialproblem,
das der Verf. behandeln will, ist die Ueberführung kommunaler
Betriebe in private und öffentliche Gemeinschaftsunternehmungen. In
Wirklichkeit spricht er aber von solchen Gemeinschaftsunternehmungen
ohne Rücksicht darauf, ob sie aus kommunalen Betrieben entstanden
sind, oder nicht. So handelt es sich bei dem ausführlicher besprochenen
Rheinisch - Westfälischen Elektrizitätswerk (und verschiedenen anderen
der vom Verf. genannten Werke) gar nicht um die Ueberführung
eines kommunalen, sondern um die Ueberführung eines privaten Be-
triebes in ein Gemeinschaftsunternehmen, was doch ein wesentlich
anderer Tatbestand ist. Bei einem anderen der geschilderten Werke
(Elbtalzentrale) liegt weder das eine noch das andere vor, sondern
das Unternehmen ist von Anbeginn an als gemeinschaftliches projek-
tiert und ausgeführt worden. Die Schrift soll sich auf Wasserwerke,
Straßenbahnen, Gas- und Elektrizitätswerke erstrecken. In Wirklich-
keit haben die meisten Ausführungen aber nur auf die beiden letzten
Arten von Unternehmungen Bezug. Die andersartigen Verhältnisse bei
Straßenbahnen und Wasserwerken werden nicht erörtert.
Dem Verf. kommt es — wie auch der Untertitel „Ein Beitrag
zur Lösung der Frage nach der Zweckmäßigkeit gemischt wirtschaft-
licher Unternehmungen“ besagt — in der Hauptsache darauf an, „vom
kommunalen Standpunkt aus“ ein Urteil über die Zweckmäßigkeit der
gemischt privaten und öffentlichen Unternehmung zu geben. Nachdem
Jahrb. f. Nationalök. u, Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 44
690 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
er einige zur Empfehlung der gemischten Unternehmung angeführte
Gesichtspunkte erörtert hat, urteilt er: „Die in den vorstehenden
Ausführungen besprochenen Gründe für die Ueberführung in den ge-
meinsamen Betrieb haben sich nur teilweise als stichhaltig erwiesen:
die Personalfrage und die Schwerfälligkeit öffentlicher Regie dürfen
nicht als ausschlaggebende Gründe angesehen werden, die Verringerung
der Unkosten und die Verteilung des Risikos sind mit großer Vorsicht
als Gründe für den gemeinsamen Betrieb zu behandeln, nur die Be-
seitigung der Konkurrenz und die Lösung lästiger Verträge können
unter Umständen einen anderen Weg zum Ausgleich der Interessen-
gegensätze als die Ueberführung der Streitobjekte in gemeinsamen
Betrieb nicht zulassen.“ (S. 23, ähnlich S. 66.) Was sonst noch zur
Begründung dieser Ansicht angeführt wird, ist reichlich dürftig. Das
Urteil über die „Zweckmäßigkeit“ privater, öffentlicher und gemischter
Betriebe wird zu einem Teil stets durch subjektive Anschauungen be-
dingt sein, und zwar deshalb, weil über den „Zweck“, der mit mög-
lichst zweckgemäßen Mitteln erreicht werden soll, sehr verschiedene
und notwendig subjektive Meinungen bestehen. Solange aber darüber,
was am meisten dem „öffentlichen Interesse“ entspricht, die Ansichten
auseinandergehen (daß das der Fall ist, tritt nur deshalb oft nicht klar
in die Erscheinung, weil man es unterläßt, genauer zu präzisieren, was
man unter diesem sehr unbestimmten Ausdruck versteht), so lange
müssen auch die Ansichten darüber, wie das öffentliche Interesse am
„zweckmäßigsten“ befriedigt wird, notwendig auseinandergehen. Immer-
hin sind, wenn auch nicht alle, so doch viele der bei Ueberlegungen
solcher Art in Betracht kommenden Streitfragen tatsächlicher Art und
damit wissenschaftlicher Erforschung zugänglich; nur muß das in
wesentlich gründlicherer und tieferer Weise geschehen, als das der Verf.
getan hat.
Zum Schlusse noch eine terminologische Bemerkung: Während
man, als zuerst die gemischten Unternehmungen als neuartige Er-
scheinung behandelt wurden, von „privat-gemeinwirtschaftlichen“ Unter-
nehmungen sprach (so Jutzi, Elektrizitätsversorgung und Gemeinde-
verwaltung, Berlin 1907, S. 45), während ich den Ausdruck „gemischt
private und öffentliche“ Unternehmungen eingeführt habe und daneben
auch noch andere Ausdrücke wie „öffentlich -privater Gemeinschafts-
betrieb“ zur Verfügung stehen, hat man sich vielfach gewöhnt, von
„gemischt wirtschaftlichen“ Unternehmungen zu sprechen, und auch H.
folgt diesem Brauch. Diese Wortbildung ist völlig ungeeignet, denn
damit ist in keiner Weise gesagt, um was es sich handelt. Kein
Mensch kann daraus entnehmen, daß Fälle gemeint sind, in denen
Private und öffentliche Körperschaften sich zum gemeinsamen Betrieb
eines Unternehmens verbinden. Da nun derartige Ausdrücke aber da-
zu da sind, möglichst klar anzugeben, was man damit meint, so sei
der Wunsch ausgesprochen, daß jener Ausdruck in die wissenschaftliche
Literatur nicht eindringt, daß man vielmehr eine das Wesen der Sache
treffende Bezeichnung wählt.
Aachen. Richard Passow.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 691
Boudin, Louis Boudianoff, Socialism and war. New York, New Review
Pub. Assn., 1915. 12. 267 pp. $ 1.—.
Larnaude, F., Les sciences juridiques et politiques. Paris, Larousse, 1915.
8. 80 pag. avec portraits. 75 cent.
Materials for the study of elementary economics. Edited by Leon C. Marshall,
Chester W. Wright, and James A. Field. London, Camb. Univ. Press. 8. 11/.—.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Dix, Arthur, Bulgariens wirtschaftliche Zukunft. Leipzig
(S. Hirzel) 1916. 8°. 56 SS. (Preis 80 Pf.)
Im Januarheft dieser „Jahrbücher“ (oben S. 64 ff.) hat Arthur Dix
auf Grund seiner Studien an Ort und Stelle einen Aufsatz über das
bulgarische Wirtschaftsleben und seine Aussichten veröffentlicht, in dem
er darauf hinweist, daß Bulgarien infolge der politischen Umwälzungen
für die Zukunft „einer weiteren Verengung und einer direkteren Aus-
gestaltung seiner wirtschaftlichen Beziehungen ganz besonders mit
Deutschland“ entgegensieht. Gleichsam in Fortsetzung dieses Artikels
behandelt Dix im vorliegenden Heft (oben S. 647 ff.) Deutschland und
den Balkanmarkt, und sucht zu zeigen, daß wir als die voraussichtlich
weitaus bedeutendsten Kunden des neuen Balkanmarktes allen Anlaß
haben, unsere Aufmerksamkeit der Aufnahmefähigkeit dieses Marktes
für deutsche Ausfuhrgüter zu schenken. In der obigen, sehr lesens-
werten Schrift schildert er in ähnlicher Weise die wirtschaftlichen
Verhältnisse des jungen, aufstrebenden Staates, so daß die Leser der
„Jahrbücher“ vielfach bekannten Ausführungen begegnen. Aber von
besonderem Interesse ist das Kapitel über die Bildungsgrundlage Bul-
gariens. Der Verf. weist darauf hin, daß das Ministerium des öffent-
lichen Unterrichts, das ausschließlich Unterrichtszwecken dient und mit
keinen anderen Funktionen belastet ist, im Jahre 1886 noch mit dem
bescheidenen Etat von 1!/, Millionen arbeitete, der 1896 auf 8,8 Mil.,
1906 auf 13,2 Mill, 1911 aber bereits auf 22,7 Mill. gestiegen war und
damit weit mehr als ein Neuntel der staatlichen Gesamtausgaben be-
anspruchte Die Zahl der Volksschulen und der Progymnasien und
Gymnasien, sowie der Fach- und Wirtschaftsschulen ist beständig ver-
mehrt worden. Noch schneller stieg die Zahl der Unterrichtskräfte
und die der Schüler. Während im Jahre 1900 erst 361000 Schüler
öffentlichen Unterricht genossen, waren es 1910 schon 538000, von
denen 434000 die Elementarschulen, 71000 die höheren Schulen, der
Rest Fachschulen usw. besuchten. Die Landesuniversität in Sofia
zählte 1800 Studenten. Die gesamten Ausgaben für das Schulwesen
erhöhten sich durch die Aufwendungen der Gemeinden, sowie die natio-
naler und religiöser Körperschaften auf fast 30 Mill. Leva. Mit Recht
hebt Dix hervor, daß, je vollständiger die gesetzliche allgemeine Schul-
pflicht, die erst 1906 durchführbar war, praktisch zur Geltung komme,
um so schneller auch die Zahl der Schreibunkundigen in Bulgarien ver-
schwinden werde, — in einem Lande, in dem noch im Jahre 1887 erst
17 Proz. der Männer und 4 Proz. der Frauen lesen und schreiben
konnten! So sind die Leistungen Bulgariens auf dem Gebiete des
44%
692 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Unterrichtswesens in der Tat ganz gewaltige. Und daß diese die wirt-
schaftliche Entwicklung des Landes erheblich fördern müssen, liegt auf
der Hand.
Jedenfalls hat sich der Verf. durch sein eingehendes Studium der
wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse und durch seinen Hinweis
auf die wahrscheinlichen wirtschaftlichen Umgestaltungen Bulgariens
ein großes Verdienst erworben. L. E.
Engelhardt, A. v., Die deutschen Ostseeprovinzen Rußlands. Ihre politische
und wirtschaftliche Entwicklung. München, Georg Müller, 1916. 8. XI—278 SS.
mit 1 Karte. M. 3.—.
Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. Neue Folge
der „Märkischen Forschungen‘ des Vereins für die Geschichte der Mark Brandenburg.
In Verbindung mit Gustav Schmoller und Otto Hintze hrsg. von Melle Klinkenborgz.
28. Bd. 2. Hälfte. München, Duncker u. Humblot, 1915. gr. 8. IV, S. 357—649,
20 u. V SS. M. 6.—.
Schmidt, Dr. Franz, Die Balkanstaaten (außer Bulgarien und Türkei). Ver-
fassung, Verwaltung. Volkswirtschaft. (Staatsbürger-Bibliothek, Heft 35.) M.-Gladbach,
Volksvereins-Verlag, 1916. 8. 62 SS. M. 0,45.
Stezenbach, Gustav, Brasilien. Verfassung, Verwaltung, Volkswirtschaft.
(Staatsbürger-Bibliothek, Heft 65.) M.-Gladbach, Volksvereins-Verlag, 1916. 8. 48 38.
M. 0,45.
Lefeuvre-M&aulle, H., La Grèce économique et financière en 1915. Paris,
Felix Alcan. 8. fr. 3,50.
Walker, G. Thompson, Petroleum, its history, occurrence, production, uses
and tests. Minneapolis, Imperial Press, 1915. 8. 46 pp. $ 1.—.
Bijdragen tot de economische geschiedenis van Nederland. Uitgegeven door de
Vereeniging. Het Nederlandsch economisch historisch archief, gevestigd te ’s Gravenhage.
DI. I. ’s Gravenhage, Mart. Nijhoff. gr. 8. 8, 278 en 40 blz. fl. 6,25.
3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung
und Kolonisation.
Pfannenschmidt (landwirtschaftl. Sachverständ.), Dr. E., Landwirtschaft und
Kolonisation in Patagonien. (Berichte über Landwirtschaft und Forstwirtschaft im Aus-
lande. Mitgeteilt vom Auswärtigen Amt. Stück 23.) Berlin, Paul Parey, 1916. Lex.-S.
66 SS. M. 1.—.
Berne, Pierre, L’immigration européenne en Argentine. Paris, M. Rivière
et Cie. 8. fr. 5.—.
4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Boden, C. F., Unsere Landwirtschaft in Gegenwart und Zukunft. Hannover,
Deutsche Volkszeitung, 1916. 8. III—34 SS. M. 0,50.
Heyne (Schäfereidir.), Johs., Großes Handbuch der Schafzucht auf neuzeit-
licher Grundlage. Leipzig, Reichenbachsche Verlagsbuchhandlung Hans Wehner, 1916.
8. VIII—494 SS. Mit über 100 Abbildungen, zahlreichen Tabellen, Beilagen und
einem farbigem Modell. M. 12.—.
Kunze (Geh. Hofr.), Prof. Dr. Max Frdr., Anleitung zur Aufnahme des Holz-
gehaltes der Waldbestände. 3. durchges. Aufl. Berlin, Paul Parey, 1916. 8. 63 SS.
M. 3.—.
Mammen, Prof. Dr. Franz v., Die Bedeutung des Waldes insbesondere im
Kriege. (Bibliothek für Volks- und Weltwirtschaft. Hrsg.: Prof. Dr. Franz v. Mammen.
Heft 11.) Dresden, „Globus“, Wissenschaftliche Verlagsanstalt, 1916. gr. 8. VII—
96 SS. M. 1,50.
Schneider, D. Ida, Die schweizerische Milchwirtschaft mit besonderer Berück-
sichtigung der Emmentaler Käserei. (Zürcher volkswirtschaftliche Studien. Hrsg. von
Prof. Dr. Sieveking. Heft 1.) Zürich, Rascher u. Cie., 1916. gr. 8. 124 SS. M. 4,20.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 693
Schulte im Hofe, Dr. A., Die Welterzeugung von Lebensmitteln und Roh-
stoffen und die Versorgung Deutschlands in der Vergangenheit und Zukunft. Berlin,
E. S. Mittler u. Sohn, 1916. gr. 8. V—177 SS. M. 3,50.
Svensson, Sigurd, Viehlose Landwirtschaft. (Ein Zukunftsausblick sittlicher
und wirtschaftlicher Natur. Einzig erlaubte Uebersetzung aus dem Schwedischen von
C. Seegelke.) [Bibliothek für Volks- und Weltwirtschaft. Hrsg.: Prof. Dr. Franz
v. Mammen. Heft 10.] Dresden, „Globus“, Wissenschaftliche Verlagsanstalt, 1916. gr. 8.
XII—59 SS. M. 1,20.
Carver, T. Nixon, Selected readings in rural economics. New York, Ginn.
8. 8+ 974 pp. $ 2,80.
5. Gewerbe und Industrie.
Frölich, Fr., Die Stellung der deutschen Maschinenindustrie im
deutschen Wirtschaftsleben und auf dem Weltmarkte. Berlin (Julius
Springer) 1914. gr. 8%. 51 SS.
Die Schrift will, insbesondere durch umfassende und anschauliche
Vorführung des statistischen Materials, ein Bild geben von der großen
Bedeutung der deutschen Maschinenindustrie und speziell ihrer Export-
tätigkeit. In dem ersten kürzeren Abschnitt (S. 1—14) gibt Frölich
einen Ueberblick über Umfang und Verbreitung der von ihm behan-
delten Industrie, wobei vor allem die Zahlen der Berufs- und Betriebs-
zählung die Unterlagen bieten. (Nicht zutreffend ist das, was S. 5
über den Unterschied zwischen Berufs- und Betriebszählung gesagt ist.)
Diese Angaben werden durch eine kurze Erörterung der wirtschaft-
lichen Verhältnisse der Maschinenindustrie ergänzt. Der vom Verf.
erstrebte Zweck, eine Vorstellung von der Größe der deutschen Ma-
schinenindustrie zu geben, wird erreicht. Da die Schrift aber vom
„Verein deutscher Maschinenbauanstalten“ herausgegeben ist und der
Verein offenbar auf eine zutreffende Beurteilung der Verhältnisse
dieses Industriezweiges Wert legt, so sei hier die Anregung gegeben,
in einer weiteren Veröffentlichung die Ausführungen über die wirt-
schaftliche Struktur und die ganzen Daseinsbedingungen der Maschinen-
industrie zu erweitern und zu vertiefen.
Der Hauptteil (S. 14—51) beschäftigt sich mit dem Export der
deutschen Maschinenfabriken. Hier wird eine sehr gründliche und
wertvolle Bearbeitung handelsstatistischer Daten gegeben. Die ver-
schiedenen Länder, in die der Export geht, werden der Reihe nach
besprochen, und dabei wird neben der Einfuhr aus Deutschland auch
der Anteil der konkurrierenden Länder untersucht. Im Anschluß daran
werden die handelspolitischen Wünsche der Maschinenindustrie erörtert.
Auch hier wäre eine Ergänzung wünschenswert in der Richtung, daß
näher geschildert wird, in welcher Weise die Maschinenfabriken diese
Exporttätigkeit organisieren (S. 46f. werden diese Fragen nur kurz
gestreift), inwieweit es sich dabei um einen bloßen Verkauf handelt,
oder ob auch die Montage einzelner Maschinen und ganzer Fabrikations-
einrichtungen (z. B. Brauereien, Zuckerfabriken, Zementfabriken usw.)
übernommen wird, wieweit von den Maschinenfabriken sogar der An-
stoß zu solchen ausländischen Gründungen ausgeht und dergleichen mehr.
Endlich verdient auch die Frage der Gründung von Filialfabriken im
Ausland (Rußland !) durch deutsche Stammfabriken in diesem Zusammen-
hang eine eingehende Betrachtung.
694 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Ein richtiges Urteil über die Bedeutung des Exports für eine In-
dustrie gewinnt man regelmäßig erst dann, wenn man weiß, welchen
Anteil der Export an der Gesamtproduktion hat. Das läßt sich meistens
schwer beurteilen, weil man wohl die Höhe des Exports, nicht aber
die der Gesamtproduktion kennt. Für die Maschinenindustrie ließe sich
eine nähere Kenntnis wohl gewinnen mit Hilfe der privaten Produktions-
statistik des Vereins deutscher Maschinenbauanstalten. Frölich teilt
daraus nur zwei Zahlen mit: Für 1907 wird der Wert der Erzeugnisse
der reinen Maschinenindustrie auf 2 Milliarden M., für 1912 auf
2,5 Milliarden M. geschätzt. „Diese Summen sind von anderer sach-
verständiger Seite als noch erheblich zu niedrig bezeichnet worden.“
Aus den erwähnten Zahlen folgert Frölich: „Die Maschinenausfuhr im
Jahre 1907 bedeutete bereits mehr als ein Viertel der gesamten Jahres-
erzeugung des deutschen Maschinenbaues, heute ist der Anteil der Aus-
fuhr an der Gesamterzeugung noch größer geworden“ (8.16). Die Rich-
tigkeit dieser Schlußfolgerung ist unter anderem davon abhängig, ob
bei Berechnung des Wertes der Produktion und des Wertes der Aus-
fuhr die gleichen Grundsätze zur Anwendung gekommen sind. Es wäre
deshalb von erheblichem Interesse, Näheres über die Grundlagen dieser
Berechnungen zu erfahren, im besonderen auch sie für die einzelnen
Zweige des Maschinenbaues spezialisiert zu sehen, da die Exportquote
in den einzelnen Zweigen vermutlich eine sehr verschiedene ist.
Aachen. Richard Passow.
Bachmann, Organisationsbestrebungen in der deutschen Tuch-
und Wollwarenindustrie. (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der
Badischen Hochschulen, Neue Folge Heft 32.) Karlsruhe (G. Braun)
1915. 8°. VIII u. 123 SS. Preis 3 M.
Der Verf. behandelt nach einigen einleitenden Worten drei Arten
von Organisationen. Erstens die zur Wahrung allgemeiner wirtschaft-
licher Interessen der Tuch- und Wollwarenindustrie gegründeten Ver-
bände, die zu Unrecht als „gemeinwirtschaftliche Interessenvertretungen“
bezeichnet werden. An zweiter Stelle wird eine sehr interessante
Konvention, die deutsche Tuchkonvention, hinsichtlich ihrer langen und
verwickelten Entstehungsgeschichte verfolgt. Auf die sonstigen Kar-
tellierungsbestrebungen innerhalb der Branche geht der Verf. nicht ein.
An dritter Stelle folgen einige wenige Angaben über die Arbeitgeber-
organisation. „Der Arbeitgeberverband der deutschen Textilindustrie
ist nur in seiner Entstehungsgeschichte behandelt; die inneren Ver-
hältnisse und seine Wirksamheit entziehen sich aus bekannten und be-
rechtigten Gründen der öffentlichen Kenntnis.“
Wenn die Schrift sonach auch in keiner Weise eine erschöpfende
Darstellung der Organisation jener Industrie bietet, so kann sie doch
wegen der eingehenden Darstellung des Werdegangs der Tuchkonvention
willkommen geheißen werden. Ihr Wert würde wesentlich gewonnen
haben, wenn der Verf. die wichtigeren Vertragsbestimmungen u. dgl.
im Wortlaut mitgeteilt hätte.
Aachen. Richard Passow.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 695
Baritsch (Baumstr., Doz., Dipl.-Ing), K., Deutsche Industrien und der Krieg.
3. Tl.: Verarbeitende Industrien (chemische und mechanische) und Verkehrswesen.
Hamburg, Boysen u. Maasch, 1916. gr. 8. 48 SS. M. 1.—.
Handbuch der Strohhut- und Damenfilzhut-Fabrikation. 1. Tl.: Die Roh-
materialien und die Herstellung der Strohhüte und Damenfilzhüte sowie Handel damit.
Mit 40 Tafeln. Unter Mitwirkung von Fachleuten hrsg. vom Verlag der Strohhut-
Zeitung. Berlin, „Union“, Deutsche Verlagsgesellschaft, Zweigniederlassung, 1916. gr. 8.
. 237 SS. M. 12.—.
Lunge, Prof. Dr. Georg, Handbuch der Schwefelsäurefabrikation und ihrer
Nebenzweige. Zugleich 4. Aufl. des 1. Bandes des Handbuches der Sodaindustrie. In‘
2 Bänden mit 571 Abbildungen im Text und auf 18 Tafeln. (Neues Handbuch der
chemischen Technologie. Zugleich als 3. Folge von Bolleys Handbuch der chemischen
Technologie hrsg. v. Wirkl. Geh. Rat Prof. Dr. C. Engler. Heft 11 u. 12.) Braun-
schweig, Friedr. Vieweg u. Sohn, 1916. Lex.-8. XXII—1587 SS. M. 56.—.
Mannstaedt, Dr. Heinrich, Ursachen und Ziele des Zusammenschlusses im
Gewerbe unter besonderer Berücksichtigung der Kartelle und Trusts. Jena, Gustav
Fischer, 1916. gr. 8. VII—158 SS. M. 4—.
Schutzer, Dr. Hans, Das Murgkraftwerk. Maßgebende Gesichtspunkte beim
Bau elektrischer Wasserkraftanlagen. (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badener
Hochschulen, hrsg. von Karl Diehl, Eberh. Gothein, Gerh. v. Schulze-Gävernitz, Alfred
Weber, Otto v. Zwiedineck-Südenhorst. Neue Folge Heft 34.) Karlsruhe, G. Braun,
1916. gr. 8. XI—101 SS. mit 1 Tafel. M. 2,80.
Wildner (Synd.), Dr. Paul, Industrie und Handwerk mit besonderer Berück-
sichtigung der Betonbau-Industrie. Dresden, F. Emil Boden, 1916. 8. IV—104 S8.
M. 2.—.
Cohen, Julius H., Law and order in industry; five years’ experience. New
York, Macmillan. 12. 18 + 292 pp. $ 1,50.
Martin, Geoffrey, The salt and alkali industry, eg potassium salts
and the Stassfurt industry. London, Crosby Lockwood. 8. 7/.6
Bobertson, Dennis Holme, A study of industrial fluctuation. An enquiry
into the character 'and causes of the so-called cyclical movements of trade. London,
P. S. King. 8. 298 pp. 7/.6.
Bravetta, Ettore, L’ industria della guerra. Conferenza. Milano, Fili Treves.
8. lL 1.—.
Rizzini, E., L’industria dei colori e delle verniei. Milano, U. Hoepli. 8. 1. 6,50.
6. Handel und Verkehr.
Calwer, Rich., Das Wirtschaftsjahr 1912. Jahresberichte über den Wirtschafts-
und Arbeitsmarkt. Für Volkswirte und Geschäftsmänner, Arbeitgeber- und Arbeiter-
organisationen. II. Teil: Jahrbuch der Weltwirtschaft 1912. Statistik über den Wirt-
schafts- und Arbeitsmarkt. Jena, Gustav Fischer, 1916. gr. 8. VI—432 SS. M.27.—
Cambon, Victor, Ein Franzose über Frankreich. Frankreichs wirtschaftliche
Ziele. Vortrag, gehalten vor der Société des ingénieurs civils de France, ins Deutsche
übertragen von Prof. Dr. H. Großmann. (Sep.-Abdruck aus der Kolonialen Rundschau,
1915.) Berlin, Dietrich Reimer (Ernst Vohsen), 1916. gr. 8. 32 88. M. 0,80.
Kasdorf, Prof. ing. Otto, Der Wirtschaftskampf um Südamerika. Berlin
Dietrich Reimer (Ernst Vohsen), 1916. gr. 8. 83 88. M. 2.—.
Mammen, Franz v., Deutschlands und Oesterreich-Ungarns Holzzollpolitik vor,
während und nach dem Weltkriege. (Bibliothek für Volks- u. Weltwirtschaft. Hrsg.:
Prof. Dr. Franz v. Mammen. Heft 9.) Dresden, „Globus“, Wissenschaftliche Verlags-
anstalt, 1916. gr. 8. 87 SS. M. 1,50.
Moltke (Handelsk.-Biblioth.), Siegfried, Die deutsche Eisenbahn im Kriege.
Ihr Prophet Friedrich List und ihr Verdienst im Kampfe um Deutschlands Größe. Vor-
trag, gehalten in der Festsitzung am Vorabend der Eröffnung des Leipziger Haupt-
bahnhofs. (Unterm eisernen Kreuz, 1914/15, 16 Kriegsschriften des Kaiser Wilhelm-
Dank, Verein der Soldatenfreunde. Heft 48.) Berlin, Kameradschaft, 1916. 8. 36 SS.
M. 0,30.
Beichesberg, N., Die Entstehung der modernen Verkehrswirtschaft. Bern,
Akademische Buchhandlung von Max Drechsel, 1916. gr. 8. 64 SS. M. 1,80.
696 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Schär, Prof. Dr. Joh. Frdr., Der soziale Handel. Zur Feier des Geburtstages
S. M. des Kaisers am 27. I. 1916 in der Aula der Handelshochschule vorgetragen.
(Korporation der Kaufmannschaft von Berlin, Handelshochschule Berlin.) Berlin, Georg
Reimer, 1916. gr. 8. 23 SS. M. 0,80.
Stellungnahme, Die, der Regierungen und wirtschaftlichen Körperschaften in
Deutschland, Oesterreich und Ungarn zu der Frage der Neuregelung der Handels-
beziehungen zwischen den verbündeten Monarchien. (Hrsg. vom Deutsch-österreichisch-
ungarischen Wirtschaftsverband.) Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1916. gr. 8. VIII—
134 SS. M. 2.—.
Szter&nnyi (Wirkl. Geh. Rat, Staatssekr. a. D., M. d. R.), Josef, Wirtschaft-
liche Verbindungen mit Deutschland. (Flugschriften für Oesterreich-Ungarns Erwachen.
Hrsg.: Rob. Strache. Heft 6 u. 7.) Woarnsdorf, Ed. Strache, 1915. gr. 8. 47 SS.
M. 1,60.
Wirtschaftskrieg, Der deutsch-russische. Hrsg. vom Handelsvertragsverein (in
Berlin) und Verein deutscher Fabrikanten und Exporteure für den Handel mit Ruß-
land (in Remscheid). 1.—13. Heft u. Heft 14. Berlin, Georg Grunwald, 1916. gr. 8.
je M. 1,50.
Arthuys, F., Traité des sociétés commerciales. 3* éd. T. I. Paris, Libr. de
la Société du Recueil Sirey. 8. Für 3 Bde. fr. 25.—.
David, Eug., Nouveau manuel pratique des marques de fabrique et de com-
merce. Paris, H. Dunod et E. Pinat, 1914. 8. VII—136 pag. fr. 3,50.
Laudry. Adolphe, Notre commerce d'exportation avant, pendant et après la
guerre. Paris, Dunod et Pinat. 8. fr. 4,50.
Gras, Norman Scott Brien, The evolution of the English corn-market from
the 12th to the 18th century. Cambridge, Harvard Univ. 8. $ 2,50.
Smith, Jos. Russell, Commerce and industry. New York, Holt. 12.
8 + 596 pp. $ 1,40. 5
Dufour, L. H. N., Het seinwezen op de Nederlansche spoorwegen 1915. Utrecht,
Kemink en Zoon. roy 8. 8 en 181 blz. m. 77 fig. tusschen tekst, en op 18 pltn. fl. 3,50.
7. Finanzwesen.
Schmidt, Karl, Das Rentabilitätsproblem bei der städtischen
Unternehmung. (Tübinger Staatswissenschaftliche Abhandlungen,
herausgeg. v. Fuchs, Neue Folge Heft 10.) Stuttgart (W. Kohl-
hammer) 1915. 105 SS.
Die Schrift behandelt, was aus dem Titel nicht klar hervorgeht,
die rechnerische Feststellung der Rentabilität kommunaler Erwerbs-
betriebe. Der Verf. wollte ursprünglich, wie er im Vorwort mitteilt,
die wirtschaftlichen, insbesondere finanziellen Ergebnisse einer Anzahl
städtischer Unternehmungen vergleichend darstellen. „Umfangreiche
Vorarbeiten und eingehende Erhebungen an Ort und Stelle zeitigten
jedoch nur ein negatives Resultat. Ist es schon schwer, die lokalen
wirtschaftlichen Sonderverhältnisse gegeneinander zu würdigen, so bietet
noch mehr die Ungleichheit der Grundsätze, die in der rechnerischen
Behandlung der Unternehmungen herrscht, für eine vergleichende Dar-
stellung bedenkliche Schwierigkeiten.“ Aus diesem Grunde hat der
Verf. sich entschlossen, zunächst einmal die rechnerischen Grundlagen,
insbesondere die Vermögens- und Ertragsberechnung im allgemeinen
zu untersuchen. Er betont sehr richtig, daß eine zutreffende Vermögens-
und Ertragsberechnung auch für kommunale Erwerbsbetriebe von grober
Bedeutung sei, daß es in der Praxis aber sehr vielfach hieran fehle, was
für die Finanzpolitik der Kommunen üble Wirkungen haben könne, und
geht dann auf einige der dafür maßgebenden Gesichtspunkte näher ein.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 697
An erster Stelle weist er zutreffend darauf hin, daß die kommu-
nalen Erwerbsbetriebe in sehr engem Zusammenhang mit der übrigen
kommunalen Wirtschaft stehen und daß dadurch ein klarer Einblick in ihre
Ertragsverhältnisse erschwert wird. „Unter diesem Gesichtspunkte sind
es zunächst gegenseitige Dienstleistungen zwischen der Zentralverwal-
tung und den Betrieben, die vielfach rechnerisch unerfaßt bleiben, und
dadurch die tatsächlichen Verwaltungskosten der Unternehmung ver-
wischen. Oft kommen hier absichtliche Schiebungen vor, indem z. B.
unter den Ausgaben eines große Ueberschüsse erbringenden Betriebes
die Verwaltungskosten höher, als sie in Wirklichkeit sind, angesetzt
werden, dagegen bei einem anderen Betriebe niedriger, um ihn ren-
tabler erscheinen zu lassen. Oder es bleiben oft bedeutende Natural-
leistungen der Betriebe an die Stadt außer Rechnung. Die bedeut-
samste Verquickung ist aber diejenige der Geldleistungen. Auf der
einen Seite werden die Unternehmungen aus den Anleihenmitteln, die,
auf den öffentlichen Kredit gestützt, reichlich fließen, dauernd und
nach Maßgabe des Bedarfs finanziert. Auf der anderen Seite werden
ihnen die Mittel in Tilgungsquoten und insbesondere durch sogenannte
Ueberschußabführungen, die infolge wirtschaftlich unrichtigen Rechnens
zum großen Teil nicht Gewinne, also Früchte der Substanz, sondern
Vermögenssubstanz selbst sind, wieder entzogen, um anderen allge-
meinen Zwecken des öffentlichen Haushalts dienstbar gemacht zu werden“
(S. 21 f.). Mit Recht betont der Verf. gegenüber diesen Schwierig-
keiten, daß zur Erzielung einer klaren Uebersicht über die Vermögens-
und Ertragsverhältnisse es notwendig sei, daß die betreffenden Werke
rechnerisch als selbständige Unternehmungen behandelt würden (S. 56).
Die zweite Frage, die der Verf. erörtert, ist die der Buchhaltung
für kommunale Erwerbsbetriebe. Diese Frage ist in der Literatur ja
schon unendlich oft, freilich meist mit wenig Einsicht in das Wesen
der Dinge, behandelt worden. Regelmäßig wird dabei die Bedeutung
der Buchhaltungstechnik überhaupt überschätzt, und oft wird die Sache
so hingestellt, als ob nur ein ganz bestimmtes Buchführungssystem ge-
naue Vermögens- und Ertragsberechnungen ermögliche. Das ist, wie
ich schon mehrfach — z. B. in diesen Jahrbüchern, III. F. Bd. 37, S. 570,
in meiner Schrift „Die Bilanzen der privaten Unternehmungen“, Leipzig
1910, S. 29 ff. — dargelegt habe, falsch. Auch mit Hilfe der kamera-
listischen Buchführung kann man zu dem gewünschten Ziele kommen.
Auch Schmidt hat das erkannt. Er bemerkt sehr richtig, daß die
Frage der Buchführung eine Frage zweiten Ranges sei, „daß jede Buch-
führungsart zunächst nur eine Form ist, und daß es wesentlich auf den
Geist ankommt, der die Form ausfüllt, auf die Rechnungsgrund-
sätze, welche den Buchungen zugrunde liegen. Es kann in beiden
umstrittenen Formen gut und schlecht gerechnet und gebucht werden“
(S. 46).
Damit ist der Kern des Problems richtig gekennzeichnet. Das
Entscheidende ist nicht, ob diese oder jene Buchführungsmethode an-
gewendet wird, sondern ob die Grundsätze, die bei der Bewertung der
einzelnen Bilanzposten, bei der Bemessung der Abschreibungen usw.
698 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. ;
angewendet werden, derart sind, daß sie eine richtige Vermögens- und
Ertragsberechnung gewährleisten. Eine gründliche Untersuchung würde
also diese Fragen näher zu prüfen haben. In diesem Punkte enttäuscht
nun die vorliegende Schrift, denn diesen Hauptproblemen sind nur
8 Seiten gewidmet, und das dort Ausgeführte ist nicht in allen Punkten
richtig. (Manches hierher Gehörige siehe in der dem Verf. entgangenen
Aachener Dissertation: K. Eiler, Buchführung und Bilanzen kommunaler
Elektrizitätswerke, Hannover 1912.)
Von Bedeutung ist endlich noch, insbesondere wenn man die Rech-
nungsabschlüsse verschiedener Werke miteinander vergleichen will, die
Ausführlichkeit und die Gliederung der Bilanz. Den kurzen Aus-
führungen, die der Verf. hierzu macht (8. 60), kann ich nicht bei-
stimmen, ich halte es auch nicht für richtig, daß die im Anhang ab-
druckte Bilanz des Wiener städtischen Elektrizitätswerks „in ihrer Art
geradezu als ein Muster für städtische Bilanzen hingestellt werden
kann“.
Außer dem im Vorstehenden Berührten bringen die Einleitung und
das erste Kapitel der Abhandlung ansprechend geschriebene Aus-
führungen über das Wesen der öffentlichen Unternehmung, die aber
mit dem Hauptthema nur lose zusammenhängen.
Aachen. Richard Passow.
Bamberger (Just.-R.), Georg, Auswanderungssteuer. Hannover, Helwingsche
Verlagsbuchhdlg., 1916. gr. 8. 16 SS. M. 0,60.
Cunow, Heinr., Praktische Steuerpolitik oder Steuerdogmatik? Neun Artikel
über Steuer- und Monopolfragen. Berlin, Buchhdig. Vorwärts Paul Singer, 1916. 8.
48 SS. M. 1.—.
Fechner, Die Hinterbliebenen- und Kriegsbeschädigtenfürsorge (in Kriegs- und
Friedenszeiten) sowie das Besoldungs- und Pensionswesen. 4. Bd. Berlin-Wilmersdort,
Fechners Gesetzgebungs-Bibliothek, 1916. kl. 8 IV—117 u. IV—83 SS. M. 2,60.
Hantos (M. d. R., Dir), Dr. Elemér, Die finanzielle Kraftentfaltung der
österreichisch-ungarischen Monarchie. Die Kriegsanleihen der österreichisch-ungarischen
Monarchie. (Flugschriften für Oesterreich-Ungarns Erwachen. Hrsg.: Rob. Strache.
Heft 11.) Warnsdort, Ed. Strache, 1916. gr. 8. 38 SS. M. 0,80.
Herz (Amtsger.-R.), Dr. Ludwig, Kriegskosten und Deckung. (Der deutsche
Krieg. Politische Flugschriften. Hrsg. von Ernst Jäckh. Heft 74.) Stuttgart, Deutsche
Verlagsanstalt, 1916. gr. 8. 37 8S. M. 0,50.
Koszyüski (Hofr.), Dr. Stefan, Ueber Wesen und Bedeutung der jüngsten
Verkehrssteuerreform. Nach einem in der Wiener Juristischen Gesellschaft gehaltenen
Vortrage. Wien, Manz, 1916. 8. III—54 SS. M. 0,85.
Kriegsgewinnsteuer, Zur. Darlegungen der Handelskammer in Duisburg.
Duisburg, „Rhein“, Verlagsgesellschaft, 1916. 8. 47 SS. M. 1,20.
Kriegssteuer, Zur eidgenössischen. — Impôt fédéral de guerre. Der Kriegs-
steuerartikel der Bundesverfassung vom 5. IV. 1915. Bundesbeschluß, vom 22. XI.
1915. Vollziehungsverordnung, vom 30. XII. 1915. Erläuterungen des schweizerischen
Finanzdepartements zum Bundesbeschluß und Vollziehungsverordnung, vom Januar 1916.
(Deutsch u. französisch.) Bern, K. J. Wyß, 1916. 8. 89 Doppels. M. 2.—.
Loebl, Dr. Alfr. H., Der Sieg des Fürstenrechtes — auch auf dem Gebiete der
Finanzen — vor dem 30-jährigen Kriege. (Staats- u. sozialwissenschaftliche Forschungen.
Hrsg. von Gustav Schmoller u. Max Sering. Heft 187.) München, Duncker u. Humblot,
1916. gr. 8. VII—134 SS. M. 3,50.
Myrbach-Rheinfeld (Hofr.), Prof. Dr. Franz Frhr. v., Grundriß des Finanz-
rechts. 2. veränd. Aufl. (Grundriß des österreichischen Rechts in systematischer Be-
arbeitung. Unter Mitwirkung von Prof. Dr. J. Frhr. v. Anders hrag. von Proff. Drs.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 699
A. Finger u. O. Franke. [In 3 Bdn.] 3. Bd. 7. Abt.) München, Duncker u. Humblot,
1916, Lex.-8. XIV—359 SS. M. 9,40.
Nay (Vortr. Rat, Geh. Reg.-R.), Johs., u. (Reg.-Assess.) Otto Kniebe, Brannt-
weinsteuergesetz vom 15. VII. 1909. Unter Berücksichtigung der für das Reich er-
lassenen Ausführungsbestimmungen. Mit Einleitung, Kommentar und Anhang, enthaltend
Kriegsverordnungen. 1. Aufl., bearbeitet von N.; in 2. Aufl. durchgesehen u. erweitert
von K. (Guttentagsche Sammlung deutscher Reichsgesetze. Textausgaben mit Anmer-
kungen. Bd. 96.) Berlin, J. Guttentag, 1916. kl. 8. 250 SS. M. 4.—.
Steiger, Prof. Dr., Die Vorschriften über die eidgenössische Kriegssteuer. Mit
einer Darstellung über Entstehung, Aufbau und finanzielle Tragweite der Steuer und
smem alphabetischen Sachregister. Zürich, Orell Füßli, 1916. gr. 8. III —168 SS.
. 3,20.
Bocquet, L., L’impöt général sur le revenu. Paris, Libr. de la Société du
Recueil Sirey. 9. fr. 3.—.
Jèze, Gaston, Les finances de guerre de l’Angleterre. Suppl. 1 (jusqu’au
31 Mai 1915). 8. fr. 2,50. — Les finances de guerre de la France. 8. fr. 7.—.
Paris, Giard et Brière.
Edgeworth, Fs. Ysidro, The costs of war and ways of reducing it suggested
by economic theory; a lecture. New York, Oxford Univ., 1915. 8. 48 pp. 35 c.
Gerstenberg, C. W., Materials of corporation finance. 2d ed. New York,
Prentice Hall, 1915. 21 + 1023 pp. $ 4.—.
McFall, Rob. Ja., Railway monopoly and rate regulation. New York, Long-
mans, 8. 222 pp. $ 2.—. (Columbia Univ. Studies in history, economics and
public law.)
Plehn, Carl Copping, Introduction to public finance. 3d ed. completely
rev. and enlarged. New York, Macmillan, 1915. 12. 15 -+480 pp. $ 1,75.
Underhay, F. G., Income tax. A summary of the law of income tax, super-
tax, and zys profits duty under the finance acts, 1915. London, Ward, Lock. Cr. 8.
192 pp. 1/.—.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Leiske, Walter, Die Finanzierung der Hypothekenanstalten
deutscher Großstädte für den bestehenden Hausbesitz. Berlin (Franz
Siemenroth) 1914. 188 SS. Preis 4,50 M.
Derselbe, Die gemeindliche Kriegshilfe im großstädtischen
Bodenkredit. Berlin (J. Guttentag) 1915. 52 SS. Preis 1,50 M.
In dem ersten Abschnitt seiner interessanten Arbeit „Die Finan-
zierung der Hypothekenanstalten deutscher Großstädte für den be-
stehenden Hausbesitz“ bespricht der Verf. die heutige Lage des
städtischen Bodenkredits. Die Hauptorganisationen des städtischen
Bodenkredits, namentlich des großstädtischen, werden heute verkörpert
durch die Hypothekenbanken, die den Hypothekenkredit als Selbst- _
zweck pflegen, und durch die Sparkassen und Versicherungsunter-
nehmungen, für die die Beteiligung am Bodenkredit nur als Mittel
zum Zweck gelten kann. Diesen Hauptorganisationen des städtischen
Bodenkredits, die eine 60-proz. bezw. 5O-proz. Belastung von insge-
samt 28 Milliarden M. umfassen, sind jene relativ geringen Summen
gegenüberzustellen, die die Landesversicherungsanstalten und die zu-
gelassenen Sonderanstalten als Träger der Invaliden- und Hinter-
bliebenen-Versicherung Hypothekenanlagen zuwenden. Ungleich be-
deutender, sagt der Verf. richtig, werden jene Summen sein, die die
Reichsversicherungsanstalt für Angestellte als Trägerin der Angestellten-
versicherung nach dem Reichsgesetz vom 26. Dezember 1912 dem städt-
700 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
ischen Bodenkredit zuführen wird. Neben diesen Hauptorganisationen
wird der private Geldgeber mehr und mehr zurückgedrängt und auf die
zweitstellige Anlage oder die mobilisierte erststellige Anlage, die
Hypothekenpfandbriefe, verwiesen. Als eine besondere Eigentümlichkeit
des so organisierten Bodenkredits hebt der Verf. seine Tendenz her-
vor, sich in einzelne Brennpunkte des großstädtischen Wirtschaftslebens
mehr und mehr zu konzentrieren, unter gleichzeitiger Konzentration
auf einzelne hochwertige Beleihungsobjekte. Als treffendstes Beispiel
führt der Verf. Groß-Berlin an. Eine zweite Eigentümlichkeit des
heutigen städtischen Bodenkredits ist der Stillstand und relative Rück-
gang der natürlichen Verschuldungsform, der unkündbaren Tilgungs-
bypothek. Als dritte Eigentümlichkeit nennt der Verf. periodische
Erschütterungen von verschiedener Ursache. Mit Recht weist er auf
den wesentlichen Unterschied zwischen der Organisation des städtischen
und der Organisation des landwirtschaftlichen Bodenkredits hin. Bei
dem städtischen Bodenkredit liegt die Hauptschwierigkeit in der Ab-
bängigkeit der Kreditinstitute vom allgemeinen Geldmarkt. Sie besteht
zwar, wie der Verf. richtig bemerkt, auch für den ländlichen Boden-
kredit, ist jedoch für den städtischen Bodenkredit viel größer. Der
Verf. geht sodann auf die Selbsthilfeschöpfungen ein, zu denen die
Mängel der Organisation des städtischen Bodenkredits geführt haben.
In dem zweiten Abschnitt wird nun die Entwicklung der städtischen
Hypothekenanstalten in Verbindung mit der Stellung der preußischen
Staatsregierung behandelt. Die allgemeine Abwendung des anlage-
suchenden Kapitals vom Bodenkredit hatte eine Kreditkrisis entstehen
lassen. Zur teilweisen Linderung der Erschwerung des besonders
hart getroffenen Berliner Bodenkredits wurde 1868 unter wohlwollender
Unterstützung seitens der Staatsregierung das Berliner Pfandbrief-
institut gegründet, das seine Kräfte für eine erststellige Beleihung
des bestehenden Hausbesitzes einsetzen sollte und durch seine Ver-
bindung mit der städtischen Verwaltung Berlins als die erste städtische
Hypothekenanstalt anzusehen ist. Das Berliner Pfandbriefinstitut sollte
zunächst selbst in den großen Städten keine Nachfolge finden. Die
allgemeine Wirtschaftskrisis des Jahres 1900 durchbrach jedoch die
bisherige Entwicklung. Dresden stand am Vorabend einer schweren
Grundstückskrise und errichtete im Oktober 1900 eine Grundrenter-
und Hypothekenanstält für den bestehenden Hausbesitz, und Düssel-
derf folgte in demselben Jahre mit der Errichtung einer durch Stadt-
anleihen zu finanzierenden Hypothekenanstalt zur Förderung des bestehen-
den Hausbesitzes und der Neubautätigkeit. Unabhängig von diesen
Gründungen entwickelte sich in einzelnen Mittelstädten des Rheinlandes
und des rheinisch-westfälischen Industriebezirkes das Bedürfnis, den
Wohnungsbestand und den Wohnungsbau durch städtische Maßnahmen,
insbesondere durch Vermittlung von Kreditkapital für bestehende und
neu zu errichtende Kleinwohnungshäuser zu fördern. Anfang 1913
waren schon in 29 Städten unter 100000 Einwohnern der Rheinprovinz,
Westfalens und Hessens derartige Anstalten vorhanden, oder doch
vorgesehen. Inzwischen batte die preußische Staatsregierung der
Düsseldorfer Hypothekenanstalt für erststellige Darlehen durch Ge-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 701
nehmigung von drei 20-Millionenanleihen das weitgehendste Wohlwollen
entgegengebracht. Als nun im Laufe des Jahres Köln, Magdeburg
und Neukölln mit ähnlichen Projekten herantraten, erkannten die zu-
ständigen Ministerien, daß das Düsseldorfer System vor allem der
volkswirtschaftlichen Bedeutung der unkündbaren Tilgungshypothek
so gut wie gar nicht gerecht würde, daß durch eine entsprechende
Umbildung des Düsseldorfer Systems bei vermehrten Gründungen von
Hypothekenanstalten für erststellige Darlehen eine gerade dem groß-
städtischen Grundbesitz so notwendige Entschuldung mit Nachdruck
durchgeführt und dadurch vielleicht eine entsprechende Beeinflussung
der Beleihungspolitik der Hypotheken-Aktienbanken erreicht werden
könnte. Die nächste Folge war eine Verfügung der preußischen
Minister des Innern, für Landwirtschaft und der Finanzen an
die Regierungspräsidenten, betreffend die Neuerrichtung städtischer
Hypothekenanstalten, die für den Grundcharakter der kommenden An-
stalten bestimmend wurde. Die Verfügung besagt, daß die Errichtung
von kommunalen Hypothekenanstalten nur dann gerechtfertigt sei,
wenn ihr Zweck ausschließlich auf die Beschaffung wohlfeilen und die
Schuldabbürdung fördernden Kredits gerichtet ist. Schon vor dem
Erlaß dieser Verfügung war die auf gleichen Grundsätzen aufgebaute
Satzung eines Pfandbriefamtes der Stadt Magdeburg genehmigt worden.
Auch die nächste Gründung (Neukölln März 1913) war im wesentlichen
von der Verfügung beherrscht, und ganz unter ihrem Einfluß stand die
am 1. April 1915 eröffnete Anstalt der Stadt Köln. Der Verf. kommt
sodann auf die Maßnahmen einzelner Städte zur Befriedigung zweit-
stelliger Kreditgesuche zu sprechen.
In dem dritten Abschnitt, betitelt: „Die Tatsachen der Finan-
zierung der großstädtischen Kreditanstalten“ folgt eine eingehende
Darstellung der Organisation und der Tätigkeit einer Reihe von
Hypothekenanstalten. Es werden zuerst behandelt die Hypotheken-
anstalten für erststellige Darlehen, alsdann die für zweitstellige Dar-
lehen und als letzte Gruppe die Hypothekenanstalten in Trier, Aachen,
Crefeld, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Hannover, Posen als Kredit-
vermittler für den Kleinwohnungsbau. Gründungsvorgänge, Darlehens-
bedingungen, Beleihungspolitik usw. werden eingehend erörtert.
Nach dieser ausführlichen Darstellung der Tatsachen der Finan-
zierung werden in einem vierten Abschnitt kritische Einzelfragen dieser
Finanzierung betrachtet. Der Verf. gliedert diesen Abschnitt der Arbeit
in drei Teile: 1) Die Differenzierung der Kapitalbeschaffung nach der
Kapitalverwendung; 2) Der Grundsatz der Haftung der Stadtgemeinde
für die Finanzierungsmittel und 3) Der Grundsatz der Gewinnwirtschaft.
Der fünfte Abschnitt bringt sodann Vorschläge für die Organi-
sation großstädtischer Anstalten und ihre Finanzierung. Der Verf.
prüft zunächst die Frage, ob die Großstadtverwaltung treuhände-
:ische Funktionen im Bodenkredit ihres Stadtgebietes übernehmen
kann. Er sagt mit Recht, daß hierzu insofern ein Bedürfnis vorliegt,
als die ungeheuren Beträge, die angeblich die Kapitalisten zum Aus-
gleich von Kursverlusten u. dgl. als Damnospesen bei der zweiten
Hypothek fordern müssen, oft zum großen Teil in die Taschen einer
702 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
ganzen Reihe von ungetreuen Maklern wandern, die die Gutgläubigkeit
des Kapitalisten und vor allem die Notlage des Darlehensnehmers über
Gebühr ausnutzen. Nächst dem Ausbau treuhänderischer Funktionen
liegt das Hauptgewicht in einer Stellungnahme der Großstadtver-
waltung zum zweitstelligen Bodenkredit. Der Verf. hält ein proviso-
risches Eingreifen der Stadtverwaltung bei zweitstelligen Darlehen in
kreditwürdigen Fällen für erwünscht. Die Kredithilfe soll jedoch nur
kurzfristig sein. Durch dieses Eingreifen soll der Darlehnsnehmer beim
Fälligwerden der zweiten Hypothek zunächst vor dem 10—12 Proz.
Damno usw. Unkosten bewahrt werden. Durch den Nachweis einer
städtischen Beleihung in der zweiten Stelle wird es dann, wenn in-
zwischen die städtische Vermittlungsstelle für ihn nicht erfolgreich ein-
gegriffen haben sollte, den zögernden Kapitalisten einen Anreiz geben,
die Kreditnachfolge der städtischen Anstalt anzutreten. Eine nicht
minder wichtige Aufgabe der Großstadtverwaltung wäre eine ähnlich
subsidiäre, kurzfristige, erststellige Darlehnshilfe und vor allem eine
Einflußgewinnung auf die Entschuldung des grolßstädtischen Besitzes.
Die Pflege der unkündbaren Tilgungshypothek müßte die vornehmste
Pflicht der städtischen Anstalt sein. Die Finanzierung der städtischen
Anstalt sollte nur mit Stadtanleihen vorgenommen werden.
In dem letzten Abschnitt seiner interessanten Arbeit: „Ausblick
auf die weitere Entwicklung der großstädtischen Hypothekenanstalten“
kommt der Verf. zu dem Ergebnis, daß den Ausschlag für die künftige
Entwicklung der großstädtischen Hypothekenanstalten in letzter Linie
die Regierung zu geben haben wird. Jetzt ist die Lage in den Haupt-
fragen des großstädtischen Bodenkredits noch völlig ungeklärt. Wenn
die eifrigen Bestrebungen des deutschen Hausbesitzes nach Errichtung
von Pfandbriefinstituten auf genossenschaftlicher Grundlage unter An-
gliederung an die Provinzen von weiterem Erfolg begleitet werden
sollten, so dürfte die Neuerrichtung großstädtischer Anstalten für erst-
stellige Darlehen zum Teil der Voraussetzungen entbehren. Das Feld
der zweiten Hypothek bietet ein wesentlich anderes Bild. Hier dürfte,
wenn die jetzigen Verhältnisse anhalten, der Ruf nach der Mitarbeit
der Städte nicht verstummen. Und böte die subsidiäre Hilfe keine
Aussicht auf Erfolg, so solle auch die Notwendigkeit der langfristigen
Kreditgewährung niemals vergessen lassen, daß sie nur den Charakter
einer Notstandsmaßregel haben soll.
Zuweisung einer nur subsidiären Rolle an die städtischen An-
stalten, das ist der Grundzug der Arbeit.
Die zweite Arbeit ist eine kleine Broschüre und behandelt die
gemeindlichen Kriegshilfen im großstädtischen Bodenkredit. Der Verf.
weist auf die außerordentlich mannigfachen Formen der Kriegshilfe
hin, die er nach dem Ziel der einzelnen Organisationen scheidet;
Vermittlung, Einigung, Beleihung, Bewilligung sind die Leitgedanken
für die dankenswerte Arbeit.
Beide Arbeiten bieten für denjenigen, der sich mit den Realkredit-
verhältnissen befassen will, sehr viel Anregung und Interessantes.
Halle (Saale). Walter Hoffmann.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 703
Michel, Erwin, Barzahlung und Kreditverkehr in Handel
und Gewerbe in der Provinz Posen. Stuttgart (J. G. Cottasche Buch-
handlung Nachfolger) 1915. 8° VIII u. 91 SS. Geh. 3 M.
Vor einigen Jahren ist in den „Münchner volkswirtschaftlichen
Studien“ eine Arbeit von Heinrich Oexmann erschienen, die es sich
zur Aufgabe gemacht hat, den Zahlungs- und Kreditverkehr im rheinisch-
westfälischen Industriebezirk darzustellen. In gleicher Weise soll dies
für die Provinz Posen durch die vorliegende Arbeit von Michel er-
folgen. Der Verf. untersucht die Kreditgewährung in einem geschlossenen
Wirtschaftskreise, in einem Kreise, der beim Produzenten beginnt und
beim Konsumenten aufhört. Er behandelt, wie er selbst im Vorwort
ausdrückt, die Produkte in ihrem Umlaufe von der ersten bis zur
letzten Hand hinsichtlich der Veränderung ihrer Zahlungsfristen. Mit
anderen Worten, der Verf. will die Produkte in ihrem Umlauf von
der ersten bis zur letzten Hand hinsichtlich der Veränderung ihrer
Zahlungsfristen, Diskonthöhe und Risikoprämie beim Uebergang von
einem Vermittler zum anderen darstellen. Folgende Geschäftszweige
werden behandelt: Getreidehandel, Futter-Terminhandel, Mühlenindustrie,
Viehhandel, Maschinenhandel, Destillationsgewerbe, Braugewerbe, Ko-
lonialwarenhandel, Schneidergewerbe, Schuhmacherei und Sattlerei,
Fleischerei und Bäckerei. Die Technik dieser Handels- und Gewerbe-
zweige wird überall kurz und doch meist recht anschaulich dargestellt.
Für die Richtigkeit des Tatsachenmaterials muß der Verf. die Verant-
wortung übernehmen. Einzelne Fälle scheinen mir aber doch etwas
verallgemeinert zu sein, so z. B. wenn der Verf. (S. 73) sagt: „Ist
der Kredit nun überspannt, und erhält der Bäcker Ware nicht mehr
geborgt, so meldet er einfach sein Gewerbe ab, um es sofort auf den
Namen seiner Frau oder eines Kindes wieder anzumelden. ..... Es
ist dies keine Einzelerscheinung, man könnte fast sagen, in Posen die
typische Entwicklung“. — Das Remboursgeschäft dürfte in der Regel
wohl auch in der posenschen Mühlenindustrie nicht so kompliziert gehand-
habt werden, wie es (S. 29) dargestellt ist. — Ich teile die Ansicht
des Verf., daß bankmäßige Geschäfte nicht vom Händler, sondern von
Banken gemacht werden sollen, d. h. der Bankkredit soll mehr und
mehr an die Stelle des Lieferantenkredits treten (S. 86). Die hierbei
sehr oft als Unterlage gegebene Sicherheitshypothek hat aber — das
weiß ich aus meiner Bankpraxis — Banken und Bankiers in vielen
Fällen schwere Enttäuschungen gebracht.
Der Verf. kommt am Schluß seiner von guter Beobachtungsgabe
zeugenden, privatwirtschaftlichen Arbeit zu dem Ergebnis, daß in den
untersuchten Betrieben meistens beim ersten Gliede der Umlaufskette,
bei den Produzenten, das Barsystem durchgeführt ist, und daß in ab-
steigender Linie bis zu den letzten Gliedern, den Konsumenten, die
Kreditwirtschaft immer zunimmt. Eine Erklärung hierfür findet der
Verf. in den Konkurrenzrücksichten. Am größten ist die Konkurrenz
naturgemäß in den Betrieben, deren Errichtung am leichtesten, d. h.
mit geringem Kapital erfolgen kann, und dies ist naturgemäß bei
Kleinhandels- und Handwerksbetrieben der Fall.
704 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Es wäre sehr wünschenswert, wenn solche privatwirtschaftlichen
Untersuchungen, wie von Michel und vorher schon von Oexmann, auch
für andere Provinzen und die für diese typischen Geschäftszweige
angestellt werden würden. Das Gesamtergebnis würde dann sicher-
lich zur Umgestaltung unseres Wirtschaftslebens in mancherlei Be-
ziehung führen.
Breslau, Georg Obst.
Fisher, Irving, Die Kaufkraft des Geldes. Ihre Bestimmung und ihre Be-
ziehung zu Kredit, Zins und Krisen. Unter Mitwirkung von (Doz.) Harry G. Brown.
Aus dem Englischen übersetzt von Ida Stecker, durchgesehen von Prof. Dr. St. Bauer.
Berlin, Georg Reimer, 1916. Lex.-8. XX—435 SS. M. 8.—.
Hamacher (Reg.-Baumeister a. D., Gemeinde-Baur.),, Thdr., Die Kredit-
gefährdung beim großstädtischen Grundbesitz. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1916.
8. 189 SS. M. 4.—.
Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften. Jahrbuch der deutschen Börsen.
Ausgabe 1915/16. Nebst einem Anhang, enthaltend: Deutsche und ausländische Staats-
papiere, Provinz-, Stadt- und Prämienanleihen, Pfand- und Rentenbriefe, ausländische
Eisenbahn- und Industriegesellschaften sowie deutsche Gewerkschaften und Kolonial-
gesellschaften. Ein Hand- und Nachschlagebuch für Bankiers, Industrielle, Kapitalisten.
Behörden etc. 20. umgearb. u. verm. Aufl. 2. Bd. Berlin, Verlag für Börsen- und
Finanzliteratur, 1916. Lex.-8. CXXIX, 1878 u. 109 SS. M. 2650.
Just, Dr. Rob., Die Kapitalanlage in Staatsrenten. Berlin, Paul Parey, 1916.
gr. 8 83 SS. M. 1,60.
Kahn (Handelsred.), Ernst, Gegen den Bargeldverkehr. (Dringliche Win-
schaftsfragen, Heft 1.) Leipzig, Veit u. Comp., 1916. gr. 8. 48 SS. M. 1.—.
Lübstorff, Dr. Frdr., Methodisches zur wirtschaftswissenschaftlichen Erforschung
der aktuellen Probleme des Versicherungswesens. (Abhandlungen aus dem Gebiet der
Feuerversicherungswissenschaft. Hrsg.: Dr. Wilh. Schaefer. Bd. 14.) Hannover, Rechts,
staats- u. sozialwissenschaftlicher Verlag, 1916. 8. 9 SS. M. 0,80.
Mering, Dr. O. Frhr. v., Die Liquidität der deutschen Kreditbanken mit Be-
rücksichtigung der gegenwärtigen durch den Krieg hervorgerufenen außerordentlichen
Verhältnisse. Jena, Gustav Fischer, 1916. gr. 8. II—79 SS. M. 2.—.
Schaefer, Dr. Wilhelm, Die Feuerversicherungsliteratur. (Abhandlungen aus
dem Gebiet der Feuerversicherungswissenschaft. Hrsg.: Dr. Wilh. Schaefer. Bd. 18.)
Hannover, Rechts-, staats- u. sozialwissenschaftlicher Verlag, 1916. 8. S. 465—524
M. 2,40.
Recueil de documents relatifs aux assurances sur la vie réunis par le ministère
du travail et de la prévoyance sociale. (Service du contrôle des assurances privées.)
No. 2: Réglementation du contrôle des assurances sur la vie, des entreprises de capi-
talisation et des sociétés d’&pargne. Paris, Berger-Levrault, 1915. 8. 176 pag. fr. 2,50.
Cahn, Herman, Capital to-day. London, Putnam. Cr. 8. 6/.—.
Willis, Henry Parker, The federal reserve. A study of the banking system
of the United States. Garden City, New York: Doubleday, Page and Co. 8. $ 1.—.
Maaten, E. J. van der, De termijnhandel in effecten en goederen. Een leerboek
voor studeerenden. ’s Gravenhage, G. Delwel. gr. 189 blz. fl. 3.—.
9. Soziale Frage.
Women in Public Life. The Annals of the American Aca-
demy of Political and Social Science Philadelphia, Vol. 56, Whole
No. 145. Herausgegeben von James P. Lichtenberger Ph. D.
Die American Academy of Political and Social Science in Phila-
delphia, die, im Jahre 1889 gegründet, es sich zur Aufgabe gesetzt
hat, ein nationales Forum für politische und soziale Fragen zu sein,
veröffentlicht alljährlich 6 Bände ihrer „Annals“, welche sich mit den
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 705
jeweils brennendsten und bedeutsamsten Fragen sozialer und politischer
Art beschäftigen.
Um jedem Band ein möglichst einheitliches Gepräge zu geben,
werden sämtliche Abhandlungen einem Generalthema unterstellt; für
den vorliegenden 56. Band wurde das gemeinsame Thema: „Frauen
im öffentlichen Leben“ gewählt.
Der Inhalt des Bandes zerfällt in drei Unterabteilungen: die
Frauenbewegung, die Frau im öffentlichen Leben, die Frau und das
Wahlrecht.
Für die einzelnen Abhandlungen wurden eine Reihe namhafter
Persönlichkeiten gewonnen; interessant ist es, die so verschieden-
artigen Auffassungen und Ansichten kennen zu lernen, denen doch
zweierlei gemeinsam ist, ihr entschiedenes Eintreten für eine Gleich-
stellung der Frau in wirtschaftlicher und sozialer Beziehung und die
unbedingte Befürwortung des Frauenstimmrechts, das fast in sämt-
lichen Abhandlungen gefordert wird.
Von den verschiedenen interessanten Abhandlungen des ersten
Teils verdient ganz besonders diejenige von Jane Addams, der Vor-
steherin der Hull House Association, Chicago, und Verfasserin der be-
kannten Schrift: „20 Jahre soziale Frauenarbeit in Chicago“, er-
wähnt zu werden. An historischen Belegen zeigt sie, daß die Frauen-
bewegung ein Teil jenes sich langsam durch Jahrhunderte entwickeln-
den Begriffs der Selbstregierung einzelner Persönlichkeiten sei, der,
um wirksam zu werden, erst zum Allgemeingut breiterer Kreise werden
mußte. Erst als die ungenügende soziale Lage der Frauen die allgemeine
Aufmerksamkeit auf sich lenkte, erst dann war die Zeit für die poli-
tische Freiheit der Frauen angebrochen. Die Stimmrechtsbewegung
der Frauen hat nach und nach an Umfang zugenommen; in den Ver-
einigten Staaten besitzen jetzt von 8 Millionen durch ihre Erwerbs-
tätigkeit unabhängigen Frauen 3 Millionen volles Wahlrecht. In den
gesetzgebenden Kreisen hat man sich auch nach und nach dazu ver-
standen, dem Urteil der Frau, sofern es sich um Gebiete, wie
Wohnungsfürsorge, öffentliche Gesundheitspflege, Erziehung und Unter-
richt handelt, mehr Beachtung als früher zu schenken. In ihren
weiteren Ausführungen sucht sie darzulegen, daß die Leistungen der
Frauen gleichwertig denen der Männer seien und daß in den weitesten
Kreisen diese Ueberzeugung verbreitet sei; ein Beweis dafür sei z. B.
die Einstellung weiblicher Lehrkräfte, die in den Vereinigten Staaten
etwa 80 Proz. betragen. Sie gibt am Schluß der Hoffnung Ausdruck,
daß bald ein Weg gefunden würde, auf welchem Mann und Frau in
gemeinsamer, wechselseitiger Ergänzung zum allgemeinen Wohle arbeiten.
Die beiden folgenden Arbeiten behandeln „Der Platz der Frau in
der neuen Kultur“ von Earl Barnes und „Die wirtschaftliche Basis
der Frauenbewegung“ von Maurice Parmelee, der nachzuweisen sucht,
daß, wenngleich die Frau nur etwa 2/, der physischen Kräfte des
Mannes besitzt, sie das Ideal der Frauenbewegung — gleiche wirt-
schaftliche Erfolge wie der Mann — erreichen könnte, wenn Hinder-
nisse sozialer und biologischer Natur verringert würden.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 45
706 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Sehr wertvoll ist der Beitrag von George Elliott Howard über
die „wechselnden Ideale und den Stand der Familie und den Anteil
der Frauen am öffentlichen Leben“, doppelt wertvoll deshalb, weil hier
nachdrücklich der Standpunkt vertreten ist, daß um der Familien-
erhaltung willen, die im allgemeinen ethisch-sozialen Interesse unbe-
dingt gefordert wird, der Platz der Frau immer Haus und Familie
sein müsse. Aber, um die Frau fähig zu machen, ihre Kinder gut zu
erziehen, müsse man ihr Gelegenheit geben, sich an den groben all-
gemeinen Aufgaben zu beteiligen; ihr würde durch das Wahlrecht
der Blick für die großen Aufgaben geweitet, sie würde dadurch in
wechselseitiger Ergänzung neben dem Manne und nicht hinter ihm
marschieren.
Es folgen sodann noch zwei kleinere Arbeiten: „Die Erziehung
der Frauen und die Gleichheit der Geschlechter“ von Gertrude S.
Martin und „Die Frauenbewegung und die gesellschaftlichen Ge-
bräuche“ von Elsie Clews Parsons.
In dem zweiten Hauptteil, „Die Frau im öffentlichen Dienst“,
interessiert besonders eine Abhandlung von Florence Kelley: „Die
Frauen und die soziale Gesetzgebung in den Vereinigten Staaten“.
Verfasserin hebt hervor, daß es ihre Absicht gewesen sei, den Anteil
der Frauen an der sozialen Gesetzgebung während der letzten Dezennien
zu schildern. Der Ausbruch des Weltkrieges veranlaßte sie jedoch,
Betrachtungen über die Ursachen des Krieges anzustellen, der, wie sie
ausführt, seit 40 Jahren von den kriegführenden Ländern vorbereitet
sei. Die politischen Parteien, die Wähler seien für diese Tragödie
verantwortlich zu machen. Wenn jetzt in Europa alle Früchte der
sozialen Gesetzgebung nach Ansicht der Verfasserin vernichtet würden,
so sei dies eine Folge des mangelhaften Wahlrechtes. Wenigstens
3 Millionen Frauen und, wie sie hofft, bald mehr, „can help to decide
that never again shall the fruits of social legislation be swept away
by men in arms‘. Die Auffassung über die Ursachen des Krieges
muten sonderbar an; eine Entschuldigung für diesen Ausspruch ist
nur darin zu suchen, daß Verfasserin mit den europäischen politischen
Verhältnissen nicht vertraut ist, und besonders, daß sie nicht die erhebende
Einmütigkeit eines Volkes in den Tagen schwerster und tiefeinschnei-
dender Entscheidung miterlebt hat. Nach diesen nicht unmittelbar
zum Thema gehörigen Ausführungen geht Verf. eingehender auf den
Inhalt von vier Gesetzen ein, die ihr Zustandekommen zum großen
Teil der Mitwirkung und Initiative der Frauen zu danken haben:
das Gesetz über die Regelung der Gefangenenarbeit, der Kinderarbeit,
der Sicherheit zur See und einer Resolution für die Bewilligung, dab
Untersuchungen über die Kosten des Lebensunterhalts in dem Distrikt
von Columbia angestellt werden.
Außerordentlich interessant schildert Neva R. Deadorff in ihrem
Beitrag „Frauen in städtischen Diensten“ das allmähliche Eindringen
der Frauen in die öffentlichen Berufe, die ihrer Eignung entsprechen.
Durch eine straffe Organisation, „the woman’s club“, gelang es den
Frauen, einmal die sozialen Probleme eingehend zu erforschen, anderer-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 707
seits einen gewissen Einfluß in der städtischen Verwaltung zu erlangen;
wo irgend ein neuer Zweig sozialer Arbeit in der städtischen Ver-
waltung entstand, haben sie ihre Mitarbeit angeboten und Tüchtiges
geleistet. Der Erfolg ist, daß kaum eine soziale Tätigkeit ohne die
Mitarbeit der Frau ausgeführt wird.
Anschließend gibt Mary I. Wood eine eingehende Schilderung
der Anfänge der Women’s Clubs und ihrer Tätigkeit bis zur Neuzeit.
Sehr fein beobachtet und psychologisch bemerkenswert ist die
kurze, lebendige Abhandlung über die Mitarbeit der Frau bei den
Jugendgerichten von Emily Foot Runge; sie zeigt, daß gerade bei
den Verhören mit den weiblichen Jugendlichen eine gebildete und
tüchtige Frau einen größeren Einfluß hat, mehr Vertrauen besitzt als
ein Mann. Sie schließt mit den Worten: „Die Frauen werden mehr
und mehr in den Jugendgerichtshöfen anerkannt und gewürdigt werden,
jedoch muß sie darauf achten, daß sie eine feingebildete wahrhaftige
Frau sei, mit ebensoviel Intellekt als Takt, mit viel Sympathien und
Lebensklugheit, denn nichts ist notwendiger bei der Arbeit an diesen
Jugendlichen als ein weiter Gesichtskreis und ein richtiges Verständnis
für das Volk“.
Die folgenden Abhandlungen des dritten Hauptteils beschäftigen
sich eingehend mit dem Problem des Frauenstimmrechts; es wird
die historische Entwicklung gezeigt, die Ausbreitung in den verschie-
densten Ländern, die Systeme und ihre Erfolge, soweit solche zu ver-
zeichnen sind.
In einem Anhang „Sind Lebensmittel Kriegskonterbande?“ von
Harley W. Nehf wird Stellung dazu genommen, ob es von England
berechtigt sei, auch andere Artikel als Waffen für Kriegskonterbande
zu erklären und danach zu behandeln. An historischen Beispielen
wird die Stellung Amerikas zu diesem Problem dargestellt. Die Ver-
einigten Staaten hatten lange anerkannt, daß Nahrungsmittel außer
denen für den militärischen Gebrauch niemals als Konterbande ange-
sehen werden dürfen. Verf. geht sodann auf die beiden Arten von
Konterbande, der absoluten, wie Kriegsmaterial usw., und der bedingten,
wie Nahrungsmittel usw., ein. Die gewöhnliche Regel ist, daß, wenn
Nahrungsmittel dem Feind nützen, sie Konterbande sind, denn der
Kriegführende muß ohne Nahrungsmittel aufhören zu kämpfen. So
unterstützen sie die Kriegführung ebenso wie die Waffen, dies ist
die neuere Meinung, während die frühere auf einem anderen Stand-
punkt stand.
Die Nationen sind fast alle übereingekommen, daß die absolute
Konterbande, wie Kriegsmaterial, immer ergriffen werden kann, wenn
sie sich auf dem Transport zum Feindesland befindet, und daß sie nicht
vor dem Kapern geschützt werden kann durch die Tatsache, daß sie
von dem Fabrikationsort zu ihrem endgültigen Bestimmungsort ver-
sandt wird. Die Artikel der „bedingten“ Konterbande können nur dann
gekapert werden, wenn sie auf dem Wege zum Feinde sind, aber die
Lehre von einer dauernden Reise sollte dabei nicht angewendet werden.
Berlin. Dr. Käte Winkelmann.
; 45*
708 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Dieck (Volksbureauleit) Heinr., Handbuch der praktischen Kriegsfürsorge.
Köln, Christlicher Gewerkschaftsverlag, 1916. kl. 8. 184 SS. M. 1,20.
Erhaltung und Mehrung, Die, der deutschen Volkskraft. Verhandlungen der
8. Konferenz der Zentralstelle für Volkswohlfahrt in Berlin vom 26.—28. X. 1915.
(Schriften der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. 12. Heft der neuen Folge der Schriften
der Zentralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen.) Berlin, Carl Heymanns Verlag,
1916. gr. 8. VII—-291 SS. M. 7.—.
Köhler, D. Curt, Die Privatbeamtenpolitik nach dem Kriege. (Ein Vo
zur Neugruppierung der Angestelltenverbände.) (Deutsche Kriegsschriften, Heft 21.)
Bonn, A. Marcus u. E. Weber, 1916. gr. 8. 40 SS. M. 0,80.
, Langemann, Prof. Dr., u. Dr. Helene Hummel, Frauenstimmrecht und
Frauenemanzipation. Denkschrift des deutschen Bundes gegen die Frauenemanzipation.
Berlin, Deutsche Kanzlei Dr. Theodor Scheffer, 1916. 8. 156 SS. M. 1,60.
Langstein (Dir.), Prof. Dr. L., Säuglingsfürsorge, die Grundlage für Deutsch-
lands Zukunft. Dringliche Aufgaben des Säuglingsschutzes. Berlin, Julius Springer,
1916. 8. 22 SS. M. 0,60.
Sanitätswesen, Das österreichische. Hrsg. vom Sanitätsdepartement des k. k.
Ministeriums des Innern. 28. Jg., 1916. Beiheft. Veröffentlichungen des österreichischen
Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose. 6. Heft. — Verhandlungen der
IV. Tagung des österreichischen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose.
Wien, 23. V. 1914. Verhandlungen des IV. österreichischen Tuberkulosetages. Wien,
24. V. 1914. Im Auftrage des Präsidiums des Zentralkomitees hrsg. von dessen Schrift-
führer (Privatdoz.) Dr. Ludwig Teleky. Wien, Alfred Hölder, 1916. gr. 8. Ill—
101 SS. M. 1,80.
Somogyi (Doz., Min.-Sekr.), Dr. Eman, Der Arbeitsmarkt nach dem Kriege.
Wien, Moritz Perles, 1916. gr. 8. 51 88. M. 1.—.
Verwendungsmöglichkeiten, Die, der Kriegsbeschädigten in der Industrie,
in Gewerbe, Handel, Handwerk, Landwirtschaft und Staatsbetrieben, mit 360 Abbildungen
und praktischen Ratschlägen. Im Auftrage des Württembergischen Landesausschusses
für Kriegsinvalidenfürsorge unter Mitwirkung ärztlicher Autoritäten und der maŝ-
gebenden Körperschaften des Deutschen Reiches hrsg. vom (Handelsk.-Mitgl., Komm.-R.)
Felix Krais. Stuttgart, Felix Krais Verlag, 1916. Lex.-8. 455 SS. M. 5.—.
Nasmyth, G., Social progress and the Darwinian theory; a study of force as a
factor in human relations, with an introduction by Norman Angell. New York, Putnam.
12. 23+417 pp. $ 1,50.
10. Genossenschaftswesen.
Kretzschmar, H., Das ländliche Genossenschaftswesen im König-
reich Sachsen. Eine kritische Untersuchung zwanzigjähriger genossen-
schaftlicher Entwicklung. (Tübinger Staatswissenschaftliche Abhand-
lungen, N. F. Heft 8.) XVIII u. 501 SS. geh. 8 M.
Das 500 Seiten umfassende Werk ist im wesentlichen eine
statistische Beschreibung mit außerordentlich reichem Zahlenmaterial.
Letzteres stand dem Verfasser in den vorzüglichen Statistiken des Ver-
bandes der landwirtschaftlichen Genossenschaften im Königreich Sachsen
zur Verfügung, welche er durch Sondererhebungen für die Zwecke seiner
Arbeit noch ergänzte. Was das Buch tatsächlich an „kritischer Unter-
suchung“ bringt, würde, zusammengedrängt, kaum 100 Seiten füllen.
Indessen bietet der mit Fleiß gesammelte geschichtliche und volks-
wirtschaftliche Stoff einen vorzüglichen Ueberblick über die bedeutende
genossenschaftliche Arbeit, die in den letzten zwei Jahrzehnten im
Königreich Sachsen geleistet worden ist. Dem aufmerksam Leser ver-
mag das Buch über manche Fragen Aufklärung zu geben, und aus den
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 709
mitgeteilten lückenlosen statistischen Ergebnissen läßt sich noch manches
entnehmen, worauf der Verfasser nicht weiter eingegangen ist.
Einleitend werden in großen Zügen an der Hand der Statistik
die natürlichen und wirtschaftlichen Vorbedingungen für die Entwick-
lung der Landwirtschaft im Königreich Sachsen, ihre Rechtsverhältnisse,
die Grundbesitzverteilung, sowie die ersten organisatorischen Bestre-
bungen zu ihrer Hebung geschildert. Diese Entwicklung ist um so
interessanter, als es sich doch um ein Land handelt, welches von allen
Staaten Europas die dichteste Bevölkerung hat und eine hochentwickelte
blühende Industrie besitzt. Der Verfasser schildert nun die Schwierig-
keiten, die sich aus dem Umschwung und den veränderten Wirtschafts-
und Verkehrsformen im Laufe des 19. Jahrhunderts im Absatz der
landwirtschaftlichen Erzeugnisse, sowie im Bezug von Bedarfsartikeln
ergaben. Er findet die wesentlichen Ursachen, die in der sächsischen
Landwirtschaft ein lebhaftes Bedürfnis nach Personalkredit entstehen
ließen, in dem Umstand, daß die Bauern vorwiegend Eigentümer des
von ihnen bewirtschafteten Landes sind, und in der Notwendigkeit, sich
infolge der Einfuhr ausländischen Getreides, die durch den günstigen
natürlichen Wasserweg, die Elbe, noch erleichtert wurde, einerseits in
verstärktem Maße der Milch- und Fleischerzeugung zuzuwenden, anderer-
seits aber auch in den ausgesprochenen Getreidegegenden aus klima-
tischen und betriebswirtschaftlichen Gründen den Getreidebau nicht
aufzugeben, sondern intensiver zu gestalten. Die Notwendigkeit, inten-
siver wirtschaften zu müssen, rief einmal das Bedürfnis nach Wirt-
schaftskredit hervor, und als man eine Quelle erschlossen hatte, aus der
Geldmittel fließen konnten, entstand alsdann aus den Erfahrungen, die
man auf dem freien Markte und beim Einkauf sammelte, der Wunsch,
die soeben in gemeinwirtschaftlicher Weise erlangten Geldmittel auch
gemeinwirtschaftlich zu verwenden. Es galt hier, den Zwischenhandel
auszuschalten, der in der von kapitalistischem Geist ergriffenen Be-
völkerung Sachsens im Uebermaß entstanden war.
In klarer Darstellung schildert der Verfasser die Nachteile des
Zwischenhandels, die Schwierigkeiten des Getreideabsatzes für die
kleinen Landwirte infolge der Vernichtung der kleinen Mühlen durch
die großen Dampfmühlen und zeigt, wie an all den mißlichen Verhält-
nissen das gut ausgebildete landwirtschaftliche Vereinswesen — 67 000
Landwirte oder 98 Proz. der die Landwirtschaft als Hauptberuf be-
treibenden Personen sind in Sachsen in landwirtschaftlichen Vereinen
organisiert — nichts zu ändern vermocht hat trotz steter Aufklärungs-
arbeit des Landeskulturrats und der landwirtschaftlichen Kreisvereine.
Der eigentlichen Darstellung der Genossenschaftsorganisationen und
ihrer Entwicklung schickt der Verfasser eine beachtenswerte, bisher
unseres Wissens noch nie unternommene Produktionsstatistik
der Genossenschaften voraus, die einen Einblick in die wirtschaft-
liche Struktur und Bedeutung der landwirtschaftlichen Kreise, die sich
im Königreich Sachsen in landwirtschaftlichen Genossenschaften zu-
sammengefunden haben, gibt. Nach dieser Statistik hat der groß-
bäuerliche Besitz (21—100 ha) am meisten genossenschaftlichen An-
710 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
schluß gesucht (45 Proz.), hierunter die Größenklassen 30—40 ha und
40—50 ha mit 54 und 65 Proz. Der Großgrundbesitz ist mit fast
30 Proz. überraschend stark vertreten, und zwar steigt hier der Anteil
mit der Größe. Verhältnismäßig geringer ist dagegen die Beteiligung
der Klein- und Mittelbauern, von welchen nur 12,3 und 23,3 Proz. sich
in Genossenschaften zusammengefunden haben. In den einzelnen Kreis-
hauptmannschaften ist diese Reihenfolge der Beteiligung die gleiche,
nur daß die Verschiedenheit teilweise noch stärker zur Geltung kommt.
So sind die großbäuerlichen Größenklassen in der Kreishauptmannschaft
Bautzen bis zu fast 95 Proz. Genossenschaften angeschlossen, gegen
nur 22 Proz. der kleinbäuerlichen und 38 Proz. der mittelbäuerlichen
Besitzgrößen. Der Verfasser glaubt diese Erscheinung damit begründen
zu können, daß teilweise ein Abschließen der Genossenschaften gegen
neue, minder bemittelte Mitglieder eingetreten sei, welche Annahme in
der Tatsache, daß die Mitgliederzahl einzelner Genossenschaften seit
Jahren stagniert, ihre Bestätigung findet. Die Unterscheidung nach
der Größe der bewirtschafteten Gesamtfläche der Genossenschaftsmit-
glieder ergab, daß von 219 Kreditgenossenschaften 34 nur bis zu 300 ha,
64 nur 301—500 ha bewirtschafteten, die ebenfalls, wie Verfasser nach-
weist, trotz dieser geringen Fläche eine rege Geschäftstätigkeit zeigten.
Bei den Bezuggenossenschaften war dagegen deutlich festzustellen, daß
größere Bezirke und Flächen zugrunde liegen müssen, wenn sie existenz-
fähig sein sollen.
Die Anbaufläche und die Ernteerträge der Genossenschaftsmit-
glieder, verglichen mit den amtlichen Ermittlungen für das Königreich,
ergab, daß die durchschnittlichen Ernteerträge innerhalb des Bezirkes
von 262 Genossenschaften bis auf 2 (Klee im Bezirk Leipzig und
Weizen im Bezirk Dresden) sich höher stellten als die Zahlen der amt-
lichen Ermittlung. Bei aller Unsicherheit der Erntestatistik überhaupt
glaubt der Verfasser doch, daß diese Erscheinung nicht als rein zufällig
zu betrachten sei, was wohl berechtigt ist, wenn man bedenkt, was den
:Grenossenschaftsmitgliedern an besseren einwandfreien Waren (Dünger-
mitteln, Futtermitteln, vermehrter Viehhaltung usw.) geboten wird.
Aehnliche Ergebnisse zeigte die Ermittlung des Viehstandes.
Bei der Schilderung der genossenschaftlichen Organisationen scheint
der Verfasser ursprünglich bei der Abfassung seines Werkes von den
Einzelgenossenschaften ausgegangen zu sein, um bei den Zentralorganen
(Verband, Zentralgenossenschaft und Zentralkasse) zu enden. Später
hat Verfasser — wahrscheinlich aus dem Grunde, weil die Gründung
des Verbandes denjenigen fast aller ihm heute angeschlossenen Ge-
nossenschaften vorangegangen ist — dann die Abschnitte in umgekehrter
Reihenfolge gebracht, was auf den ganzen Aufbau des Buches störend
wirkt; denn es wird in den ersten Kapiteln die Kenntnis der letzteren
vielfach vorausgesetzt und sogar darauf hingewiesen, „wie wir sahen‘
(S. 165), „wie schon bei der Erörterung der ... auseinandergesetzt
wurde“ (S. 181). Diese Umkehr der Schilderung, indem von oben
her von den Zentralinstituten ausgegangen wird, macht Wiederholungen
in der Darstellung unvermeidlich und dürfte auch dem tatsächlichen
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 711
Aufbau der genossenschaftlichen Organisation widersprechen; denn die
Einzelgenossenschaft ist der wesentlichste Bestandteil der Organisation,
die Zentralinstitute nur Mittel zur leichteren Erreichung der Zwecke der
ersteren. Dabei tut es nichts zur Sache, ob die Gründung ohne Mithilfe
der Zentralorgane vor sich geht oder durch sie veranlaßt wurde. Die
Einzelgenossenschaften sind doch die Träger der Organisation, ohne sie
haben Verband und Zentralkasse ihre Daseinsberechtigung verloren,
während umgekehrt die allein auf sich gestellte Genossenschaft ohne
Verband und Zentralkasse nicht nur denkbar ist, sondern auch tat-
sächlich sich vorfindet.
Die Darstellung im einzelnen ist die übliche, man möchte fast
sagen, wie in Verbandsjubiläumsschriften und Besprechungen der Jahres-
statistiken. Prunkende Zahlenreihen vermitteln ein Bild von der groß-
artigen Entwicklung des ländlichen Genossenschaftswesens im König-
reich Sachsen, tiefer gehende Probleme werden nur sehr flüchtig be-
handelt oder gar mit einseitigen Schlagworten abgetan. So heißt es
z. B. bei der Frage der Erhöhung der Geschäftsanteile, daß „die nied-
rigen Geschäftsanteile .... noch ein Ueberbleibsel der irrigen Auf-
fassung Raiffeisens von der Funktion des Geschäftsanteils überhaupt“
sei und es sei im Interesse der inneren Kräftigung der landwirtschaft-
lichen Kreditgenossenschaften nachdrücklich anzustreben, daß „dieser
Ueberrest einer endgültigüberwundenen Auffassung nun end-
lich bald verschwinde“. Es bleibe dahingestellt, ob man angesichts der
Tatsache, daß noch viele Tausende von ländlichen Kreditgenossenschaften
diesem Grundsatz huldigen, von endgültig überwundener Auffassung
reden kann. Der Verfasser will den Haupteinwand Raiffeisens, daß
schwächeren Elementen der Zutritt zu den Kreditgenossenschaften durch
eine Erhöhung des Geschäftsanteils erschwert würde, nicht gelten lassen,
da die ratenweise Einzahlung zugelassen sei. Wie verträgt sich aber
damit die oben schon angeführte Annahme des Verfassers gelegentlich
der Feststellung, daß von dem klein- und mittelbäuerlichen Grundbesitz
ein bedeutend geringerer Teil als von dem großbäuerlichen und Groß-
grundbesitz den Genossenschaften beigetreten ist? Hierfür glaubte der
Verfasser die Erklärung darin zu finden, daß ein Abschließen der Ge-
nossenschaften gegen neue minderbemittelte Mitglieder einge-
treten sei und die Mitgliederzahl einzelner Genossenschaften seit Jahren
stagniere,
Die kurzen Ausführungen des Verfassers über Selbsthilfe und
Staatshilfe und seine versuchte Rechtfertigung der letzteren erfahren
eine eigenartige Beleuchtung durch die in den Abschnitten über die
Einzelgenossenschaften angeführten Zahlen über die Staatsgelder, wo-
nach im Jahre 1912 im Durchschnitt kommen, bei den
Molkerei- Bezugs- Kredit-
genossenschaften genossenschaften genossenschaften
auf eine Genossenschaft M 45 336 7800 1817
auf ein Mitglied s5 722 100 30
Im Durchschnitt erhält demnach das einzelne Molkereigenossen-
schaftsmitglied vom Staate indirekt ein Darlehen von über 700 M. (im
712 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslander.
Jahre 1900 waren es noch über 1500 M.), und man darf wohl die Frage
aufwerfen, was solche Bevorzugung vor den übrigen Berufsständen recht-
fertigt. Auch die in den letzten Jahren dauernde verhältnismäßig hohe
Zinsspannung von 1!/, Proz. zwischen den Zinsfüßen für Guthaben und
Schulden, wobei die der letzten nur ganz selten niedriger, zeitweise
sogar höher waren als der Reichsbankdiskont, sind bei einem Staats-
kredit zu 1!/, Proz. von einem Drittel des gesamten Betriebskapitals
nicht gerade zur Verteidigung der Staatshilfe geeignet.
Als eins der interessantesten Ergebnisse dürfte die Tatsache gelten,
daß die Raiffeisensche Genossenschaftstheorie und -praxis, die den ge-
gemeinschaftlichen Warenbezug als eine Aufgabe der Spar- und Dar-
lehnskassenvereine betrachtet, in der Hauptsache, trotz dem entgegen-
gesetzten Standpunkt der Verbandsleitung in Sachsen gesiegt hat, denn
von der Mehrzahl der Kreditgenossenschaften ist der Bezug landwirt-
schaftlicher Bedarfsartikel als Gegenstand des Geschäftsbetriebes in
das Statut aufgenommen worden. 75 Proz. aller ländlichen Kreditge-
nossenschaften des Verbandes sind heute „Spar-, Kredit- und Bezugs-
vereine“. „Die Entwicklung sei über die schönsten theoretischen Er-
wägungen hinweggegangen, da die strenge Trennung von Geld- und
Warenverkehr in verschiedenen Genossenschaften und Gegenden nicht
durchzuführen war, und wo sie durchgeführt ist, herrscht doch meistens
in der Geschäftsführung Personalunion“ (S. 218/19 und 277/78).
Durch die Trennung der Bezugs- und Absatzgenossenschaften in
große und kleine, der Molkereigenossenschaften in ländliche und städ-
tische in der Statistik des Geschäftsbetriebes werden bemerkenswerte
Unterschiede festgestellt. Wertvolles Material liefern auch die Er-
gebnisse der Sondererhebungen über die wirtschaftliche und soziale Be-
deutung der Kreditgenossenschaften und Bezugsgenossenschaften, die
der Verfasser mit Unterstützung des Verbandes veranstaltet hat. In
allen Untersuchungen kehrt die Beobachtung wieder, daß der genossen-
schaftliche Zusammenschluß in der Landwirtschaft nicht alle Zukunfts-
träume erfüllen konnte. Die geringe Geneigtheit des Landwirtes, einer
Veränderung der Psychologie und Technik seines Betriebes zuzustimmen,
seine Unlust zur Unterordnung des Eigenwillens unter die Interessen
der Gesamtheit und die genossenschaftliche Uutreue bewirken, daß das
Genossenschaftswesen im allgemeinen nicht über die Durchschnitts-
leistung hinauskommt, was wiederum die besten veranlaßt, ihm den
Rücken zu kehren.
Das ganze Buch mag zeigen, welch reiches Material über das Ge-
nossenschaftswesen noch vorhanden ist und weiterer Bearbeitung harrt.
Berlin-Steglitz. Willy Krebs.
11. Gesetzgebung, Staats- und Verwaltungsrecht. Staatsbürgerkunde.
Bornhak, Conrad, Grundriß des deutschen Staatsrechts. 4. durchges. Aufl.
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Deutschen Reiche. 5. durchges. Aufl. VI—205 SS. M. 4.—. Leipzig, A. Deichertsche
Verlagsbuchhälg. Werner Scholl, 1916. gr. 8.
Donzow, Dmytro, Großpolen und die Zentralmächte. Berlin, Verlag Carl
Kroll, 1915. gr. 8 63 SS. M. 1.—.
%
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 713
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Frank, Prof. Dr. Reinhard, Das Seekriegsrecht in gemeinverständlichen Vor-
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Güthe (Geh. Justizr., vortr. Rat), Dr. Georg, u. Franz Schlegelberger
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und der gesamten Rechtsprechung und Rechtslehre. 2. Bd. (Jahrbuch des deutschen
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1916. gr. 8. 27 SS. M. 0,60.
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lach u. Wiedling, 1916. 8. 154 SS. M. 1.—.
Illing (Wirkl. Geh. Oberreg.-R., vortr. Rat), Handbuch für preußische Ver-
waltungsbeamte im Dienste des Staates, der Kommunalverbände, der Korporationen und
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10. Aufl. 4. Bd. Berlin, A. Haack, 1916. gr. 8. III-379 SS. M. 9.—.
Kirchhoff (Wirkl. Geh. Rat), Dr. Herm., Der Bismarcksche Reichseisenbahn-
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Oertmann, Prof. Dr. Paul, Die Aufrechnung im deutschen Zivilprozeßrecht.
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Pannier, Karl, Die Verfassung des Deutschen Reichs nebst dem Einführungs-
gesetz für Elsaß-Lothringen, dessen Verfassungs- und Wahlgesetzen und Gesetzen ver-
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Bibliothek, No. 2732.) Leipzig, Philipp Reclam jun., 1916. 16. 136 SS. M. 0,60.
Sanftenberg (Geh. Reg.-R.), Reichsversicherungsordnung nebst Einführungs-
gesetz. Textausgabe mit Einleitung, Sachregister und Anmerkungen. (Universal-Biblio-
a No. 5331—35. 4. Aufl.) Leipzig, Philipp Reclam, 1916. 16. 560 SS. mit Tab.
. 1,25.
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(Ob.-Verwaltsger.-R.) und (Gen.-Leutn. z. D.) v. Wrochem, Preußen, Deutschlands
Vergangenheit und Deutschlands Zukunft. Vier Vorträge. Mit einem Geleitwort von
Prof. Adolph Wagner. 2. Aufl. Berlin, Reimar Hobbing, 1916. 8. III—115 SS. M.2.—.
Sermond (Schulr.), H., Grundzüge der deutschen Bürgerkunde, und zwar der
Gesellschafts-, Staats- und Gesetzeskunde, sowie der Volkswirtschaftslehre. Für höhere,
Mittel- und Fortbildungsschulen, wie zur Belehrung für jedermann. Halle a. S., Otto
Hendel, 1916. kl. 8. XII—256 SS. M. 1,75.
Sommer (Ing., Patentanw.), Frdr., Erfindung und Erfindungsschutz nach
schweizerischem Patentrecht. Bern, Akademische Buchhandlung von Max Drechsel, 1916.
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Verwaltungsvorschriften und Gesetze für preußische Gemeinde-, Polizei-
und Kreisbehörden. Sammlung von Gesetzen und zentralbehördlichen Erlassen zur Aus-
führung und Erläuterung der Staats- und Reichsgesetze. Begründet von W. Maraun.
Nach dem Stande des gegenwärtigen Rechts bearbeitet u. hrsg. von (Geh. Reg.-R.) Kurt
v. Rohrscheidt u. a. Jahrg. 1915. 2. Teil. Lex.-8. 468 SS. Nebst: Verzeichnis der
ergänzten, geänderten und aufgehobenen Erlasse mit Hinweis auf die neuen Bestimmungen
714 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
in den Ergänzungsbänden, chronologisch geordnet. Stand vom 1. I. 1916. 63 S8.
Berlin, Klemens Reuschel, 1916. gr. 8. M. 10.—.
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Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt, 1916. gr. 8. 42 SS. M. 0,50.
Meister, Al., Die deutsche Presse im Kriege und später. Hildesheim, Franz
Borgmeyer, 1916. gr. 8. 91 SS. M. 1.—.
Renner (Reichsr.-Abg.), Dr. Karl, Oesterreichs Erneuerung. Politisch-program-
matische Aufsätze. Wien, Wiener Volksbuchhdig. Ignaz Brand u. Co., 1916. gr. 8.
VIII—160 SS. M. 3.—.
Spranger, Prof. Dr. Eduard, Das humanistische und das politische Bildungs-
ideal im heutigen Deutschland. (Deutsche Abende im Zentralinstitut für Erziehung
und Unterricht. 6. Vortrag.) Berlin, E. S. Mittler u. Sohn, 1916. 8. 36 SS. M. 0,50.
Wagner, Ludwig, Der Völkerhaß. Ein Kultur- und Sittenspiegel der Völker
im Kriege. Eßlingen a. N., Wilh. Langguth, 1916. 8. VIII—193 SS. M. 2,50.
Weck, Herm., Das Deutschtum im Ausland. München, Georg Müller, 1916.
gr. 8. VI—246 SS. M. 3.—.
Kiersch, H.J. P. A., Het pangermanisme en de oorlog. Amsterdam, Van Holkema
en Warendorf. gr. 8. 4 en 75 blz. fl. 0,90.
Die periodische Presse des Auslandes.
B. England.
Century, The Nineteenth, and after, March 1916, No. 469: The reorganisation
of the Empire: Counsels of perfection, by Franeis Piggott. — Vox populi, by the Earl
of Cromer. — Infant mortality: a problem of the land, by William A. Brend. — The
forests of Russia and their present importance to the Allies, by E. P. Stebbing. — etc.
Journal of the Institute of Bankers. Vol. 37, Part III, March 1916: „Ad-
venturous‘“ banking, and the part played by them in financing trade, by Ernest Sykes.
— The foreign banks in London, by W. J. Rogers. — A numerical system for English
banks, by Ernest M. E. Lewis. — The transfer of stocks and shares, by J. H. Rainey.
— ete.
Review, The Contemporary. March 1916, No. 603: America and the war, by
Charles Hobhouse. — The war and the national temper: a year later, by W. Ryland
D. Adkins. — Persia and the Allies, by Dr. E. J. Dillon. — The national idea, by
Prof. J. Holland Rose. — The shaping of Mid-Europe, by H. N. Brailsford. — Ireland
during the war, by J. M. Hone. — The Ukrainians (Ruthenians) and the war, by
Bedwin Sands. — Belgium and Pan-Netherlandism, by Raymond Colleye de Weerdt.
— ete.
Review, The Fortnightly. March 1916: The war and the problem of Empire,
by Sidney Low. — Is democracy to blame? by Arthur A. Baumann. — Secrets of tbe
admirality (II), by Archibald Hurd. — Factors in the problem of the Near East: Russia
and Turkey, by J. A. R. Marriott. — Italy’s part in the Balkan operations, by Julius
M. Price. — The finances of the belligerents, by J. M. Kennedy. — President Wilson
in the toils, by James Davenport Whelpley. — etc.
Review, The National. March 1916: „The Germans in England“: a word with
critics, by Jan D. Colvin. — Life in Berlin before the war, by Mrs. Reginald Berkeley.
— etc.
C. Oesterreich-Ungarn.
Handelsmuseum, Das. Hrsg. von der Direktion des k. k. österreichischen
Handelsmuseums. Bd. 31, 1916, No. 9: Donaufracht und Bahnverkehr, von Dr. Victor
Krakauer. — Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen (Oesterreich, Ungarn, Deutsch-
land, Großbritannien, Schweiz, Niederlande, Bulgarien). — Zinnproduktion in den Ver-
einigten Staaten. — etc. — No. 10: Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen (Oester-
reich, Deutschland, Italien, Schweiz, Schweden). — ete. — No. 11: Kriegsmaßnahmen
und Kriegswirkungen (Oesterreich, Ungarn, Deutschland, Italien, Schweiz). — Der Stand
der Fischzucht und des Fischereigewerbes in Russisch-Polen. — Die Bergbauproduktion
Norwegens. — ete. — No. 12: Der Brünner Handelskammerbericht über das Jahr 1915.
—- Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen (Oesterreich, Deutschland, Schweiz, Schweden,
Die periodische Presse Deutschlands. 717
Türkei). — Bulgariens Holzindustrie. — Die Lage der Viehzucht in Rußland. — etc. —
No. 13: Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen (Oesterreich, Deutschland, Italien,
Niederlande, Dänemark, Bulgarien, Rumänien). — Gründung einer Landesagrarbank in
Warschau. — Die Glasindustrie im russischen Südwestgebiet. — etc.
G. Holland.
Economist, De, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. Jaarg. 65, Maart 1916,
No. 3: De autonomie der bijzondere spaarbanken (Slot), door J. A. Levy. — Duitsche
regeeringsmaatregelen omtrent de volksvoeding, door Dr. G. Briefs. — Leening en
heffing, door W. M. Westerman. — ete.
H. Schweiz.
Bibliothèque Universelle et Revue Suisse. Tome 81, Mars 1916, No. 243:
Ce quon peut espérer pour la Pologne, par Louis Leger. — La Suisse et le blocus
naval, par Archibald Hurd. — La domination allemande en Russie, par N. Gay. — ete.
Blätter, Schweizerische, für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Jahrg. 22, 1915/16,
Heft 11: Der Pacifismus im heutigen Holland, von Dr. Sigismund Gargas. — Die Ent-
stehung der modernen Verkehrswirtschaft (Forts.), von N. Reichesberg. — etc.
Die periodische Presse Deutschlands.
Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volks-
wirtschaft. Jahrg. 48, 1915, No. 10—12: Die Entwicklung des deutschen Verkehrs-
wesens. Vortrag von (Geh. Rat, Ministerialrat) Karl v. Völeker. — Nationalökono-
mie und Politik, von (Priv.-Doz.) Dr. phil. Bruno Moll. — Das Recht des Verwal-
tungszwangs in Bayern, von (Bezirksamtsassess.) Dr. Georg Ziegler. — Die Wasser-
nutzung im internationalen Verwaltungsrecht, von (Univ. Prof.) Dr. Karl Neumeyer. —
Handelsgebräuche und Kartellsatzungen, von Dr. L. Tschierschky. — Rechtspflege und
Justizirrtum, von (Amtsrichter) Dr. Albert Hellwig. — Die Haftung der Eisenbahn für
Verlust und Beschädigung des Frachtgutes sowie für Ueberschreitung der Lieferfrist
unter Berücksichtigung der Kriegslage, von (Rechtsanw.) Dr. Werneburg. — Viehzucht
und deutsches Bauerntum im Kriege, von Kuno Waltemath. — Die Güterzertrümme-
rungen und landwirtschaftlichen Zwangsveräußerungen in Bayern, von Dr. Johann Stechele,
— ete.
Archiv für Eisenbahnwesen. Hrsg. im Kgl. Preußischen Ministerium der öffent-
lichen Arbeiten. Jahrg. 1916, März u. April, Heft 2: Die österreichischen Staats-
bahnen im ersten Kriegsjahr, von Dr. Victor Krakauer. — Die Hedschasbahn. — Der
Norden des europäischen Rußlands und der Weg an den Ozean, von Dr. Mertens. —
Die königlich sächsischen Staatseisenbahnen in den Jahren 1913 und 1914. — Die Eisen-
bahnen im Großherzogtum Baden in den Jahren 1913 und 1914. — Die bulgarischen
Eisenbahnen im Jahre 1913, von W. K. Weiß-Bartenstein. — Die Eisenbahnen der Ver-
einigten Staaten von Amerika in den Jahren 1910/11, 1911/12 und 1912/13 (Schluß).
— ete.
Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahrg. 16,
1916, No. 3: Das Zollvereinsprojekt unserer Feinde, von Dr. N. Hansen. — Die Ge-
fahren der Vorzugszölle. — Die Entwicklung des englischen Außenhandels. — etc.
Bank, Die. März 1916, Heft 3: Das Gold im Kriege, von Alfred Lansburgh.
— Die Kehrseite der Kriegswirtschaft, von Ludwig Eschwege. — Die Kriegsanleihen
und die Finanzierung der Friedensarbeit, von Karl Hildebrand. — Vorläufiges zu den
Großbank-Abschlüssen 1915, von A. L. — Die vierte deutsche Kriegsanleihe. — Der
Quittungsstempel und die Veredelung des Zahlungsverkehrs. — Konkurs und Geschäfts-
aufsieht. — Die Besetzung der Schätzungsämter. — etc.
Bank-Archiv. Jahrg. 15, 1916, No. 12: Der Entwurf des Kriegsgewinnsteuer-
gesetzes, von (Synd.) Dr. Gustav Sintenis. — Der Gesetzentwurf über den Quittungs-
stempel, von (Rechtsanw.) Otto Bernstein. — Die stillen Reserven und der Entwurf
eines Kriegsgewinnsteuergesetzes, von Prof. Dr. Flechtheim. — Kriegskreditbanken
(Schluß), von (Dir. der n.-ö. Kriegskreditbank) Dr. Max Sokal. — ete. — No. 13: Die
Einschränkungen des Stadtkredits auf dem Kapitalmarkte, von (Beigeordn.) Dr. Mat-
718 Die periodische Presse Deutschlands.
thias. — Ist die Ausgabe eines Zentralpapiers der Pfandbriefanstalten für Hausgrund-
stücke zweckmäßig und durchführbar?, von (stellvertret. Direktor des Brandenburg.
Pfandbriefamtes für Hausgrundstücke) Dr. Fritz Pabst. — Die Sicherungsübereignung.
Eine Ehrenrettung, von (Geh. Rat, Senatspräs.) Max Hallbauer. — etc.
Blätter, Kommunalpolitische. Jahrg. 7, 1916, No. 3: Unser Kommunalpro-
gramm. Gemeindeaufgaben gegenüber dem gewerblichen Mittelstande, von (Stadtverordn.)
Thomas Esser. — Kriegsaufgaben und Gemeindefinanzen, von (Stadtverordn., Bürger-
mstr. a. D.) Fleuster. — Versorgung der Kriegswaisen, von (Stadtverordn.) F. Lahr.
— ete.
Concordia. Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Jahrg. 23, 1916,
No. 6: Zu den Maßnahmen gegen die Verwilderung der Jugend, von Dr. Auguste
Jorns. — ete. — No.7: Erste deutsch-österreichische Tagung für Volkswohlfahrt. —
Ueber die Beschäftigung kriegsverletzter Arbeiter im gewerblichen Betriebe, von Dr.
A. Bender. — Die Unterstützung der Kriegseltern und ihre Abgrenzung gegenüber der
Armenpflege, von (Amtsgerichtsrat) Dr. E. Levi. — Die Viehversorgung in Preußen.
— etc.
Export. Jahrg. 38, 1916, No. 14—17: Deutsch-südamerikanische Handelsbezie-
hungen. — Skandinavien und der Krieg. — Zur Geschäftslage in Spanien. — Zur Ge-
schäftslage in Holland. — Zur Weltwirtschaft hinauf! (Forts), von Dr. R. Jannasch.
— Nordamerikanischer Bericht (Eigenbericht aus New York). — etc.
Gegenwart, Die. Jahrg. 45, 1916, No. 12: Der Wirtschaftskrieg gegen Deutsch-
land, von Georg Horwitz. — Kriegsende und Kriegssteuern, von Erich Everih. — etc.
— No. 13: Steuerpsychologie, von Spectator. — ete. — No. 14: Das Familienleben
nach dem Kriege, von Spectator. — England im deutschen Urteil, von Chr. Boeck. —
etc. — No. 15: Kriegslehren für das Handwerk, von H. Henschel vom Hain. — Krieg
und Finanzumwälzungen, von Georg Horwitz. — ete. — No. 16: Bethmanns Friedens-
ziel, von Spectator. — Nahrungs- und Genußmittel, von Johannes Gaulke. — etc.
Jahrbücher, Landwirtschaftliche. Bd. 49, 1916, Heft 2: Der neue Versuchs-
betrieb für Gemüse- und Obstbau an der Kgl. landwirtschaftlichen Akademie in Bonn-
Poppelsdorf, von Prof. Dr. Th. Remy, (Kgl. Reg.-Baum.) Hunger und (Gartenbaulehrer)
P. Lange. — Ueber schädliche Stickstoffumsetzungen in Hochmoorböden als Folge der
Wirkung starker Kalkgaben. II. Teil (Mitteilung aus dem bakteriologischen Labora-
torium der Moor-Versuchsstation Bremen), von Dr. Th. Arnd. — Zur Kenntnis der
Wirkung starker Düngesalzgaben auf die Entwicklung und den Bau der Pflanzen, von
Dr. Heinrich Warnebold.
Jahrbücher, Preußische. Bd. 164, April 1916, Heft 1: Politik und Moral in
Deutschland und in der Schweiz, von Prof. Dr. Johannes Wendland. — Die Kapitu-
lationen. Beurteilt nach Völkerrecht und türkischem Staatsrecht, von Dr. jur. Wilhelm
Bein. — Das Kino als Steuerquelle, von Erich Schlaikjer. — Die Kriegsereignisse im
März; der Rücktritt des Admirals von Tirpitz; Monarchie und Parlamentarismus im
Kriege, von Hans Delbrück. — etc.
Kultur, Soziale. Jahrg. 36, April 1916, Heft 4: Wirtschaftliche Aussichten
nach dem Kriege, von Dr. Alexander Elster. — Zur Kulturkritik, von (Hofrat) Prof.
Dr. E. Schwiedland. — „Deutsche Lebensfragen‘“, von Dr. Franz Schmidt. Mit einem Nach-
wort von Prof. Dr. M. Spahn. — Die Zukunft des deutschen Außenhandels. Die deutsch-
österreichisch-ungarische Annäherung, von (Kgl. Rat) Osel. — Zehn Jahre Kriminal-
statistik, von A. Schulze. — Die wirtschaftliche Entwicklung Belgiens, von Dr. W. Liese.
-— ete.
Monatshefte, Sozialistische. Jahrg. 22, 1916, Heft 5: Die Neuorientierung
der Sozialdemokratie, von Heinrich Peus. — Eine Probe auf den 4. August, von Wil-
helm Kolb. — Der Gemeinschaftsgedanke nach dem Weltkrieg. Aufgaben der Sozial-
demokratie, von Paul Kampffmeyer. — Aegypten, von Hermann Kranold. — ete. —
Heft 6: Nationale Politik, von Wolfgang Heine. — Der englische Frieden, von Dr. Lud-
wig Quessel. — Flottenpolitik, Parteien und Regierungen, von Max Schippel. — Die
ausländischen Arbeiter in Deutschland, von Friedrich Kleeis. — Landwirtschaft und
Volksernährung. Eine Erwiderung, von Georg Schmidt. -- ete. — Heft 7: Das
Nationalitätsprinzip und das Recht der Entwickelung, von Paul Kampffmeyer. — Die
Parteikrise, von Max Schippel. — England und die deutsche Seeschiffahrt, von Julius
Kaliski. — Die Heeresverwaltung als Förderin höherer Produktionsform, von Robert
Die periodische Presse Deutschlands. 719
Schmidt. — Das Problem der Kriegsinvalidenfürsorge, von Paul Umbreit. — Die Woh-
nungsfrage nach dem Krieg, von Dr. Hugo Lindemann. — etc.
Monatsschrift, Politisch-Anthropologische. Jahrg. 15, April 1916, No. 1:
Der große Umschwung, vom Herausgeber. — Deutschland den Deutschen! — Erhaltung
und Veredelung der germanischen Rasse, von Dr. Theodor Meinecke. — Freihandel,
von Dr. phil. Franz Haiser, — Kritik der Rassenhygiene, von Hermann W. Siemens.
— etc.
Oekonomist, Der Deutsche. Jahrg. 34, 1916, No. 1734: Die Auslandspolitik
des nordamerikanischen Bankwesens. — ete. — No. 1735: Deutschlands auswärtiger
Handel nach dem Friedensschluß. — Der Reichshaushaltsetat für das Jahr 1916. —
ete. — No. 1736: Das Ergebnis der Kriegsanleihen und der Gesamtstand des Völker-
ringens. — etc. — No. 1737: Politik, Krieg und Wirtschaft. — Die Reichsbank 1915.
— ete. — No. 1738: Politik, Krieg und Wirtschaft. — Die deutschen Abrechnungs-
stellen im Jahre 1915. — etc.
Plutus. Jahrg. 13, 1916, Heft 11/12: Schwedisches Gold. — Mitteleuropa, von
Myson. — Das englisch-rumänische Getreidegeschäft, von Dr. E. Jenny. — etc. —
Heft 13/14: Handelskrieg. — Der Quittungsstempel, von (Bankier) Georg Hermann
Löwy. — Verkaufsorganisation in Maschinenfabriken, von (Ing.) Bruno Rosemann. —
ete. — Heft 15/16: Noten, Schulden, Steuern. — Mehreinnahmen aus dem Fernsprech-
betrieb, von Emil Schiff. — Verkaufsorganisation in Maschinenfabriken (Forts.), von
(Ing.) Bruno Rosemann. — etc.
Recht und Wirtschaft. Jahrg. 5, April 1916, No. 4: Regelung des wirtschafts-
politischen Verhältnisses zwischen Oesterreich-Ungarn und dem Deutschen Reich, von
(Wirkl. Geh. Rat, Präs. des Bayerischen Landwirtschaftsrats) Dr. Frhr. von Cetto. —
Wirtschaftliche Wehrordnung der Zentralmächte, von Prof. Dr. Last. — Ein Markstein
soziologischer Rechtsprechung, von (Rechtsanw.) Ernst Fuchs. — Das Geld bleibt im
Lande, von Prof. Dr. Ph. Heck. — Arbeits- und Lohnverhältnisse im Militärschneider-
gewerbe Groß-Berlins, von (Magistratsrat) v. Schulz. — Das Papier im Kriege, von
Siegmund Ferenczi. — etc.
Rechtsschutz, Gewerblicher, und Urheberrecht. Jahrg. 21, Februar 1916,
No. 2: Die Zurückverweisungsentscheidungen im Patentnichtigkeits-- und -Erteilungs-
verfahren. Sind die unteren Instanzen an die darin vertretene Rechtsauffassung ge-
bunden?, von (Geh. Reg.-R.) Karl Hüfner. — Fragen des Lizenzrechte, von (Justizrat)
Dr. J. Oppenheimer. — Die Privatklage bei Nachdrucksverfolgungen?, von (Synd.) A.
Ebner. — etc.
Revue, Deutsche. Jahrg. 41, April 1916: Die inneren Grundlagen der deut-
schen Wehrkraft, von Dr. Frhr. v. der Goltz. — Seelische Massenerscheinungen im Kriege,
von Prof. Dr. A. Hoche. — Zur Psychologie des Staates, von (Rektor der Univ. Wien)
Prof. Dr. Adolf Menzel. — Der deutsche Ackerbau im Kriegsjahr 1916, von Prof. Dr.
F. Wohltmann. — Kriegslandwirtschaft an der galizischen Front, von Frhr. la Valette
St. George. — etc.
Revue, Soziale. Jahrg. 16, 1916, Heft 2: Krieger und Kriegerfamilie auf dem
Lande in und nach dem Kriege, von Dr. Franz Keller. — Die volkswirtschaftliche
Grundlehre des Krieges. — Der Arbeitsmarkt in Oesterreich während des Krieges, von
Dr. Hans Graschopf. — Zur Frage der praktischen Bekämpfung des Geburtenrückgangs,
von Dr. Hans Rost. — Die Bagdadbabn. Eine Hochstraße des Weltverkehrs, in ihrer
wirtschaftlichen Bedeutung (II), von Dr. Claus v. Bichtlingen. — etc.
Rundschau, Deutsche. Jahrg. 43, April 1916: Die Politik Oesterreichs im
griechischen Freiheitskampfe 1822—1829 (Schluß), von Josef Krauter. — Friedrich
Neumanns ‚Mitteleuropa‘, von Franz Fromme. — etc.
Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im
Deutschen Reiche. Jahrg. 40, 1916 Heft 1: Fünfhundert Jahre Hohenzollern-Herr-
schaft, von Gustav Schmoller. — Der preußisch-deutsche Staat und seine Machtorgani-
sation, von Georg Jäger. — Die neue belgische Notenbank, von Felix Somary. — Die
Nalirungsmittelversorgung Deutschlands im ersten und zweiten Kriegsjahre, von Karl
Ballod. — Der Bodenwert in Frankreich, von Hans L. Rudloff. — Der Geigenbau in
Mittenwald, von Otto Reinhard. — Lebenskosten und Lebenshaltung. Ihre Beziehungen
zur Bevölkerungsfrage und Volkswirtschaft und ihre Beeinflussung durch den Krieg
(I.), von Adolf Günther. — Teuerung und Kriegsfürsorge, von Rudolf Feuß. — Kriegs-
720 Die periodische Presse Deutschlands.
invalidenfürsorge, von Clemens Heiß. — Allianzschuldverschreibungen, von Carl v. Peez.
— Getreidezölle und Bodenpreise. Eine Literaturbetrachtung, von August Skalweit. —
Zur Methodik der theoretischen Handelspolitik, von Oswald Schneider. — etc.
Sozial-Technik. Jahrg. 15, 1916, Heft 6: Einfluß des Krieges auf Zahl und
Art der Unfälle. Besprechung von (Ob.-Ing,) Karl Seidel. — Betriebsbesichtigungen
während der Kriegsdauer. Besprechung von Dr. phil. Max Trzecick. — etc.
Verwaltung uud Statistik (Monatsschrift für deutsche Beamte). Jahrg. 6, 1916,
Heft 4: Zum Ausbau und Umbau des steuerlichen Kinderprivilegs, von (Reg.-B.) Lud-
wig Buck. — Ergebnis der preußischen Einkommensteuer-Veranlagung für 1916. — etc.
Weltwirtschaft. Zeitschrift für Weltwirtschaft und Weltverkehr. Jahrg. 5,
März 1916, No. 12: Die Gefährdung der wirtschaftlichen Vormachtstellung Europas
durch den Krieg, von Dr. H. Blink. — Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutsch-
land und der Türkei, von (Geh. Reg.-R.) Dr. jur. Seidel. — Die Bedeutung des Welt-
kriegs für Australien, von Prof. Dr. Alfred Manes. — Ungarns wirtschaftliche Aufgaben im
mitteleuropäischen Wirtschaftsbündnis der Zukunft (Bericht von Szegedin), von (Bank-
direktor) Max Gäl. —
Wirtschafts-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 12, 1916, No. 6: Deutschlands
Kriegswirtschaft und die neuen Steuern, von E. Fitger. — Gesetzgebung und Verwal-
tung in Diensten des Realkredits, von Dr. Fritz Terhalle. — Mitteilungen des Deutsch-
Amerikanischen Wirtschaftsverbandes: Amerikas Stellung zum Weltkriege (Forts.), von
John L. Stoddard. — ete. — No. 7: Das „System“ in den Kriegssteuervorlagen, von
(Geh. Reg.-R.) Prof. Dr. Julius Wolf. — Kriegsgewinnsteuer und stille Reserven, von
Prof. Friedrich Leitner. — Zum Quittungssteuer-Entwurf, von (Justizrat) Wilhelm Haus-
mann. — Die neuen Steuern auf den Eisenbahn- und Postverkehr, von (Kaiserl. Präs. a. D.)
Dr. R. van der Borght. — Zur Frage der Tabakbesteuerung. — Mitteilungen de
Deutsch-Amerikanischen Wirtschaftsverbandes: Wirtschaftliches aus den Vereinigten Staaten
von Amerika — Amerikas Stellung zum Weltkrieg (Forts.), von John L. Stoddard. — ete.
Zeit, Die Neue. Jahrg. 34, 1916, No. 26: Die ukrainische Frage, von A. Stein.
— Geld und Kapital in der Kriegswirtschaft, von Eugen Varga. — Die Konsumvereine
und der Krieg, von H. Fleißner. — etc. — No. 27: Der Hundertmarkschein in
Mitteleuropa, von Adolf Braun. — Der rote Faden in der preußischen Geschichte
(Forts.), von Franz Mehring. — ete. — Jahrg. 34, Bd. 2, No. 1: Die Spaltung der
Reichstagsfraktion, von Eduard Bernstein. — Die Tagung des preußischen Landtags,
von Paul Hirsch. — Die Kolonien der europäischen Mächte in handelswirtschaftlicher
Beziehung, von Spectator. — Die Konzentrierung der Unternehmermacht in der deut-
schen Textilindustrie, von H. Krätzig. — etc. — No. 2: Die Spaltung der Fraktion,
von K. Kautsky. — Die soziale Unrast in Amerika, von J. Köttgen. — Die Kolonien
der europäischen Mächte in handelswirtschaftlicher Beziehung (Schluß), von Spectator.
— Bevölkerungsvermehrung und Frauenarbeit, von H. Mattutat. — etc.
Zeitschrift für Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik. Jahrg. 6, 1916,
No. 6: Die Hypothekennot im Kriege und die Mittel zu ihrer Beseitigung. Referate
von (Justizrat) Dr. Fritz Meyer und von (Stadtsynd.) Sembritzki. — Ist die Hypo-
thekennot eine Geldbeschaffungsfrage?, von (Bürgerm.) Dr. Geisler. — Ist der An-
spruch der Konsumgenossenschaften auf Zulassung als Großhändler bei der Verteilung
stadtseitig beschaffter Lebensmittel begründet oder nicht?, von (Bürgerm.) Mueller. —
Zur Neuregelung der Kriegsunterstützungen, von (Stadtrat) Perker. — Ueber den An-
teil der Gemeinden an den Kriegssteuerzuschlägen des Staates und der Kriegsgewinn-
steuer des Reiches, von (Bürgerm.) Dr. jur. Werner Sporleder. — etc.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. 7, 1916, Heft 4: Die Bedeutung der
neuen Rechtsreformbewegung für das Wirtschaftsleben (I), von Dr. jur. Alexander Elster.
— Der Baumwollbau in Turkestan (II), von Dr. Ernst Schultze. — Zur Bevölkerungs-
und Wirtschaftsgeographie Kanadas, von H. Fehlinger. — Ein neues Industriegebiet
am Niederrhein, von Dr. G. Kreuzkam. — Ein Beitrag zur Bevölkerungspolitik, von
(Med.-R.) Dr. Keller. — Die Kohle in Rußland, von Dr. Ernst Schultze. — Preußisches
Staatsschuldbuch, von Dr. P. Martell. — etc.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena,
a
H.Köppe, Die Kriegsanleihen Frankreichs u. die englisch-französische Anleiheete. 721
VIII.
Die Kriegsanleihen Frankreichs
und die englisch-französische Anleihe in den
Vereinigten Staaten.
Von
Prof. Dr. H. Köppe in Marburg a. d. Lahn.
Inhaltsübersicht. Vorwort. I. Die Vorgeschichte. 1. Die Bank von Frank-
reich. 2. Privatbanken und Börse. Die „politique financière“ und ihre üblen Folgen.
3. Die Staatsfinanzen. Budget und Staatsschuld. 4. Die 3!/,-proz. Anleihe vom Juli
1914. II. Die finanziellen Notbehelfe. 1. Die staatlichen Finanzmaßnahmen bei Kriegs-
beginn. 2. Die Vorschüsse der Notenbank an den Staat. 3. Die Kriegsschatzscheine.
a) Die Nationalverteidigungsbons. b) Die Nationalverteidigungsobligationen. 4. Die
gegenseitigen finanziellen Beziehungen unserer verbündeten Feinde. III. Die aus-
wärtigen Wechselkurse und die englisch-französische Anleihe in den Vereinigten Staaten.
IV. Die „Siegesanleihe“. V. Die weiteren Finanzmaßnahmen. Rückblick.
Eine Darstellung der Kriegsanleihen unserer Feinde!) stößt in
mannigfachen Hinsichten auf erhebliche Schwierigkeiten. Infolge der
Zerstörung allen direkten Verkehrs sind wir in bezug auf die finan-
ziellen Vorgänge in den feindlichen Ländern fast ganz auf Nach-
richten aus dem neutralen Auslande angewiesen. Diese Nachrichten
fließen uns sehr unregelmäßig und ungleichmäßig zu. Durch die
notgedrungenen Umwege leidet aber ihre Genauigkeit, Zuverlässigkeit
und Klarheit, bekommt dieser Nachrichtendienst überhaupt mehr den
Charakter des Zufälligen und Gelegentlichen als des Regelmäßigen
und Authentischen. Dazu kommt, daß unsere Feinde das natürliche
Streben haben, alles, was bei ihnen vorgeht, in einem für ihre Zwecke
und besonders für ihre Kriegslage möglichst günstigen Lichte er-
scheinen zu lassen. Gerade der Zustand der Staatsfinanzen erscheint
ihnen aber, wie wir aus dem berühmten Worte von den „silbernen
Kugeln“ bei Beginn des Krieges wissen, die am schwersten wiegende
Voraussetzung für das Gelingen ihrer Kriegspläne zu sein. Das
Irrige dieser Grundanschauung haben sie bisher noch nicht oder
doch nicht zur Genüge erkannt. Unterdrückungen und Verschleie-
rungen finanzieller Tatbestände, wohl auch phantasievolle Ergänzungen
1) Die Kriegsanleihen Deutschlands sind in Heft 3 (oben S. 321 fg.) und die-
jenigen Oesterreich-Ungarns in Heft 4 (oben S. 449 fg.) dieser „Jahrbücher“ von mir be-
handelt worden. Abschluß dieser Arbeit am 22. März 1916.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 46
722 H. Köppe,
sind deren notwendige Folgen. Die Auslassungen unserer Feinde auf
diesem Gebiete verdienen jedenfalls nicht mehr Vertrauen als ihre
Kriegsberichte. Die Mitteilungen aus neutralen Ländern andererseits
sind auf ihre Richtigkeit nicht zu kontrollieren und bedürfen daher,
auch soweit Objektivität und Neutralität sich bei ihnen decken,
vorsichtiger Bewertung. Aber diese Quellen fließen wenigstens
reichlich und von vielen Seiten. Daher und namentlich dank der
guten Kenntnis von den finanziellen und wirtschaftlichen Verhält-
nissen der uns feindlichen Länder, die man in Deutschland bei Aus-
bruch des Krieges besaß, läßt sich bei uns sehr wohl ein im ganzen
übersichtliches und einigermaßen anschauliches Bild gewinnen, wie
es bei unseren Feinden in finanzieller Hinsicht aussieht. Freilich
gilt das von den verschiedenen gegen uns verbündeten Nationen in
verschiedenem Grade. Am meisten noch von Frankreich, am wenigsten
von Rußland, in dessen Verhältnisse hineinzuschauen ja auch in
Friedenszeiten, dem Charakter seiner Verfassung und seines poli-
tischen Lebens entsprechend, schwer ist.
Die Kriegsanleihen insbesondere, um die es sich hier
handelt, sind für die neutralen Länder und namentlich für die
kapitalistisch interessierten Kreise in ihnen, dank der „Internatio-
nalität des Kapitals“, Ereignisse von stärkstem eigenen Interesse.
Die enormen Kapitalaufhäufungen, die Zinsfußverschiebungen und
vieles andere, was sich durch ihre Auflegung und Durchführung
vollzieht, hat weitgreifende internationale Bedeutung und Wirkung.
Es sind große, folgenschwere weltwirtschaftliche Vorgänge, obwohl
die Weltwirtschaft in ihren Zusammenhängen und ihrem Gefüge
während des Krieges zerrissen und zerstört ist. Nicht nur, soweit
das neutrale Ausland sich selbst an diesen Anleihen beteiligt, sondern
durchgängig tritt das zutage. Man braucht beispielsweise nur auf
die enormen Verkäufe amerikanischer Wertpapiere durch England
hinzuweisen, die diesem Lande die nötige Kreditunterlage für die
Maßnahmen zur Besserung seiner Wechselkurse verschaffen sollen
und einen wichtigen Teil seiner finanziellen Kriegsmaßnahmen bilden.
Ihre Folgen für die Vereinigten Staaten — die völlige Umgestaltung
ihrer Zahlungsbilanz, die Umwandlung der Union aus einem Schuldner-
in einen Gläubigerstaat — liegen zutage. Für andere neutrale Länder
ist zum mindesten die Gestaltung ihrer Devisenkurse oder die Be-
einflussung ihres Zinsfußes durch die kriegsfinanziellen Maßregeln
der Großmächte (so der enorm günstige Stand der Wechselkurse
und andererseits die Erhöhung des Anleihezinsfußes von 3 auf 5 v. H.
in den Niederlanden) von äußerster Wichtigkeit. So bringt die große
weltwirtschaftliche Bedeutung der Kriegsanleihen es mit sich, dab
Material genug fließt, welches zu einem einheitlichen Bilde sich
verarbeiten läßt. Daß wir Deutsche gerade während des Krieges
das größte Interesse daran haben, zu erkennen, wie unsere Gegner
ihrerseits mit der finanziellen Seite der Kriegführung fertig werden,
braucht nicht weiter ausgeführt zu werden. Dieses Interesse ist so
groß, daß es den Versuch rechtfertigt, auch trotz der Mängel des
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 723
gegebenen Materials dieses mit aller gebotenen Vorsicht zu einer
geschlossenen Darstellung zu verarbeiten, der freilich die hier nur
kurz angedeuteten Schwierigkeiten zugute gehalten werden müssen.
Sie beginnt mit Frankreich und zieht in ihren Bereich die englisch-
französische Anleihe in den Vereinigten Staaten vom Oktober 1915.
Die Schilderung der übrigen Kriegsanleihen Englands sowie der-
jenigen von Rußland und Italien wird nachfolgen !).
I. Die Vorgeschichte.
Für die Finanzierung der Kriegführung Frankreichs ist die Tat-
sache von entscheidender Bedeutung, daß, im Gegensatze zu allen
anderen kriegführenden Ländern, diese Großmacht erst nach länger
als 11/, Jahre währendem Kriege es zuwege gebracht hat, eine feste
Anleihe im eigenen Lande zur öffentlichen Zeichnung aufzulegen.
Im Auslande hat sie eine solche auch nur einmal, und zwar kurz
vorher in den Vereinigten Staaten zur nicht mehr länger aufzu-
schiebenden Bezahlung des von dort bezogenen Kriegsmaterials,
hauptsächlich Munition und Proviant, und in Gemeinschaft mit
England aufgenommen. Diese kriegsfinanzgeschichtlich einzigartige
Anomalie ist nur zu verstehen einerseits aus der äußerst schwierigen
1) Aus der Literatur seien hervorgehoben:
I. Bücher:
1. Elemér Hantos, Volkswirtschaft und Finanzen im Weltkriege, 1915.
. Julius Landmann, Die Kriegsfinanzen der Großmächte, 1915.
. J. Jastrow, Geld und Kredit im Kriege, 1915 (Ergänzungsheft zum „Welt-
wirtschaftlichen Archiv‘).
4. Georg Sydow, Theorie und Praxis in der Entwicklung der französischen
Staatsschuld seit 1870, 1903.
5. Georg Schmidt, Der Einfluß der Bank- und Geldverfassung auf die Diskonto-
politik, 1910.
II. Zeitschriften:
1. Das „Bankarchiv“, besonders:
`a) Hartung, Die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung Frankreichs und
der Krieg, XIV, 7.
b).Derselbe, Der Kriegszustand bei den Zentralnotenbanken, XIV, 9.
c) Köbner, Der Einfluß des Weltkrieges auf die Finanzen Frankreichs, XIV, 15.
d) v. Gwinner, Kriegsanleihen, XIV, 21.
e) Jacobi, Die Staatsschulden des ersten Kriegsjahres, nebst statistischer Zu-
sammenstellung, XIV, 1.
f) Hartung, Die englisch-französische Anleihe in den Vereinigten Staaten,
‚4
g) Schwarz, Kriegskosten und deren Deckung beim Vierverband, XV, 7. u. 8.
2. Im „Finanzarchiv“:
a) Schwarz, Die Finanzen der europäischen und der wichtigeren außereuro-
päischen Staaten, Jahrg. 32 (1915) u. 33 (1916), Bd. 1.
b) Vogel, Die direkten Steuern Frankreichs und ihre Reform, Jahrg. 32.
3. Der „Oesterreichische Volkswirt‘, hrsg. von W. Federn u. Dr. G. Stolper,
Jahrg. 7 u. 8, mit reichhaltigen Informationen und Aufsätzen.
4. Der „Plutus“, hrsg. von Georg Bernhard, mit vielfachen Mitteilungen und
Aufsätzen.
IL Die große Tagespresse, darunter besonders die „Frankfurter Zeitung“
mit reichem Quellenmaterial.
ww
46*
724 H. Köppe,
finanziellen Lage, in der sich der französische Staat und die fran-
zösische Volkswirtschaft bei Kriegsbeginn befanden und die alles
andere als eine Kriegsbereitschaft darstellte, andererseits aus der be-
sonderen Verfassung des französischen Finanzwesens. Mit der letzteren
empfiehlt es sich zu beginnen.
l. Die Bank von Frankreich.
Da Frankreich sich die Mittel zur Kriegführung und zur finan-
ziellen Unterstützung Rußlands und der kleineren Verbündeten bis
zum Eingange des mageren baren Ertrages seiner ersten und bisher
einzigen inneren Anleihe ausschließlich durch Inanspruchnahme des
Kredits der Bank von Frankreich, also der Notenpresse, sowie durch
unablässige Aufhäufung schwebender Schulden verschafft hat, bei
deren Aufnahme wie Unterbringung wiederum die Bank von Frank-
reich eine wichtige Rolle als Helferin spielte, so steht diese Bank
— ihre Verfassung, ihre Politik, ihre Tradition — im Vordergrunde
des Interesses. Sie könnte sich dafür, daß sie dem Staate bis zur
äußersten Anspannung ihrer Kräfte als Kriegshilfe dient, auf ihre
ganze bisherige Geschichte, ja auf ihre Entstehung berufen. Denn
sie ward im Jahre 1800 zu dem Zwecke gegründet, dem Staate
Kredithilfe nach Bedarf zu gewähren. Damit sie dies besser könne,
ward ihr Privileg der Notenausgabe drei Jahre später zu einem
Monopol erhöht. Ihren Zweck erfüllte sie gleich von Anbeginn
durch Anlegung ihres gesamten Aktienkapitals in französischen
Staatsschuldverschreibungen und durch Gewährung von Vorschüssen
an den Staat bei jeder Erneuerung ihres Monopols, die sie während
dessen Dauer nicht zurückfordern und für die sie seit 1896 auch
keine Zinsen nehmen darf. Um sie zu dieser Kreditgewährung in
möglichst guten Stand zu setzen, ward ihrer Notenausgabe bis 1871,
von einer zeitweiligen Begrenzung in den kritischen Jahren 1848
bis 1850 abgesehen, keine gesetzliche Grenze gezogen. Dann zwang
freilich die außerordentlich starke Inanspruchnahme der Bank durch
den Staat für die Regelung der Kriegskosten und namentlich der
5 Milliarden frcs. Kriegsentschädigung zur Festsetzung einer solchen
Grenze. Aber sie ward sehr hoch gesteckt und außerdem bei Bedarf
immer wieder erhöht, so daß sie von 2,4 bis auf 6,8 Milliarden frcs.
bei Beginn des jetzigen Krieges gestiegen war. Diese Höhe hatte
sie seit dem 29. Dezember 1911 inne. Andererseits mußte, damit
sie im Kriege 1870/71 und zur Beseitigung seiner Schäden dem
Staate wirksame Hilfe leisten konnte, ihren Noten damals der Zwangs-
kurs verliehen werden. Im August 1875 konnte sie bereits wieder
zur Einlösung ihrer Noten in Währungsgeld ermächtigt werden,
doch verblieb den Noten die Eigenschaft des allgemeinen gesetzlichen
Zahlungsmittels, wodurch die Stellung und damit die Fähigkeit der
Bank, dem Staate Kredit zu gewähren, sehr gestärkt wurde.
Die Tätigkeit der Bank wird nun charakterisiert teils durch
ihre Diskont-, teils durch ihre Prämienpolitik, von denen die
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 725
letztere wiederum auf das engste mit dem Zustande der hinkenden
Doppelwährung zusammenhängt, in dem sich das französische Geld-
wesen befindet. Im volkswirtschaftlichen Interesse sucht sie ihren
Diskont so niedrig und zugleich so stetig wie möglich zu halten.
Bei der Stabilität der Bevölkerung und dem daraus sich ergebenden
Mangel an Arbeitskräften, besonders industriellen, die einer starken
Entfaltung der Industrie und besonders der Ausfuhr sehr im Wege
steht, hat die französische Volkswirtschaft diese Wohltat besonders
nötig. Der Staat wirkt dabei mit, indem er die Bank gesetzlich
verpflichtet hat, bei einem Diskont über 5 v. H. den Mehrertrag
zu !/, in den Reservefonds und zu ®/, dem Staate zuzuführen, so
dab sie also an einer solchen Erhöhung kein eigenes Interesse hat.
Ihre Prämienpolitik besteht darin, daß sie von dem ihr nach der
bestehenden Doppelwährung zustehenden Wahlrecht als Schuldnerin,
ihre Noten in Gold oder in silbernen Fünffrankenstücken (den sil-
bernen Währungsmünzen) einzulösen, in der Regel durch Zahlung
in letzteren Gebrauch macht, die durch den Silberpreisfall innerlich
stark entwertet und daher für Zahlungen in das Ausland nicht zu
gebrauchen, mithin „Kreditmünzen“ sind. Wer auf Gold besteht,
bekommt es nur bei kleinen Beträgen in französischen, aber ab-
genutzten und daher für Auslandzahlungen ungeeigneten Goldmün-
zen, bei großen Beträgen dagegen in Barrengold oder ausländischen
Goldmünzen und nur gegen Abzug einer in Promille berechneten
„Prämie“, deren Höhe sie beliebig und in wechselnder Höhe fest-
setzt. Vollwichtige französische Goldmünzen gibt sie ohne Prämie
nur beim Nachweise ihrer Verwendung zur Bezahlung gewisser wich-
tiger Einfuhrartikel. Sie ist bei diesem Verfahren sicher, daß zwar
das zu Auslandzahlungen unentbehrliche Gold dem berechtigten Be-
darfe an solchem zukommt, der Inlandverkehr ihr aber kein Gold
für seine Zwecke entzieht. Solche Entziehung wäre auch unnötig,
da ja die silbernen Fünffrankenstücke im Inlande wie auch bei den
öffentlichen Kassen der übrigen Länder des lateinischen Münzbundes
(Italien, Belgien, Schweiz und Griechenland) den Goldmünzen gleich-
berechtigte Währung sind.
Die Prämie ist auch das wirksame Mittel der Kontrolle dar-
über, daß aus ihren Beständen nur das zur Regelung der Zahlungs-
bilanz unbedingt nötige Gold in das Ausland, dagegen überhaupt
kein Gold in erheblichem Betrage ohne ihren Willen in den Inland-
verkehr abfließt. Ohne diese Prämienpolitik könnte sie auch nicht
ihren Diskont andauernd niedrig halten, müßte ihn vielmehr, da ihre
Diskontpolitik dann das einzige zum Schutze ihres Goldbestandes
verfügbare Mittel wäre, immer erhöhen, sobald erhebliche Goldabflüsse
in das Ausland erfolgen oder drohen !). Immerhin ist das andauernde
Steigen des Zinsfußes in, den letzten Jahren, von dem Frankreich
trotz des überwiegenden Innenlebens seiner Volkswirtschaft nicht
ausgeschlossen bleiben konnte, da es international wirksamen Ur-
1) Vgl. u. a. Schmidt a. a. O. S. 34 f.
726 H. Köppe,
sachen entsprang, auch in der Gestaltung des Diskonts der Bank
von Frankreich zum Ausdruck gekommen. Während dieser in der
Mitte der 90er Jahre durchschnittlich nur 2 v. H. betragen hatte,
im Jahre 1906 noch durchschniltlich 3 v. H. und im Jahresdurch-
schnitt 1901—10 3,05 v. H. (gegen 3,61 bei der Bank von England
und 4,35 v. H. bei der Reichsbank) betrug, stieg er, wenn auch
unter Schwankungen, bis zu durchschnittlich 4 v. H. in den Jahren
1913 und 1914. Seine Herabsetzung auf 3!/, v. H. Ende Januar
1914 entsprach nicht der Lage des Geldmarktes, sondern sollte nur
die Ausgabe einer Staatsanleihe vorbereiten helfen.
Es ist danach klar, daß die Bank vor allem darauf ausgeht, ihren
Goldbestand nicht nur zu erhalten, sondern auch möglichst zu ver-
stärken. Sie treibt eine „Goldthesaurierungspolitik* großen Stiles.
Daher ist sie auch stets bemüht, Gold aus dem Auslande, unter
Umständen sogar ohne Rücksicht auf die Höhe der Wechselkurse, an-
zukaufen. Wenn sie dies auch im Interesse der Volkswirtschaft
tut, so doch noch weit mehr in demjenigen des Staates und des
Staatskredits. Denn Frankreich war in der sehr angenehmen Lage,
seine Staatsanleihen, dank dem niedrigen Diskonte seiner Bank, vor
dem jetzigen Kriege stets zu recht niedrigen Zinssätzen aufnehmen
zu können. Die gesamte dauernde Staatsschuld bestand bei Kriegs-
beginn aus nur drei prozentiger, teils untilgbarer, teils tilgungs-
pflichtiger Rente. Bei dem sowohl absolut wie gegen andere Staaten
enorm hohen Stande dieser Schuld — 33,1 Milliarden fres. — war
die Verzinsung zu dem niedrigen Satze von 3 v. H. von größter
Bedeutung sowohl für den Stand der dauernden Staatsausgaben als
insbesondere für die Balanzierung des Staatshaushalts. Erforderte
sie doch selbst unter diesen günstigen Zinsverhältnissen immer noch
eine Jahresausgabe von 1306,5 Mill. fres. Von nicht minderer Wich-
tigkeit war sie für die Frage einer systematischen Tilgung des weit-
aus größeren nichttilgungspflichtigen Teiles der Staatsschuld. Daß
die Größe des Goldbestandes der Zentralnotenbank aber für die
Finanzen der Kriegführung von der allergrößten Wichtigkeit ist,
da ihre gesamte Kreditgewährungsfähigkeit davon abhängt, bedarf
keiner weiteren Ausführung.
Ihr hoher Goldbestand gibt der Bank eine hervorragende Stel-
lung unter den Zentralnotenbanken Europas. Er betrug im Frieden
mehr als das Dreifache desjenigen der Bank von England, deren
Notenumlauf allerdings — dank der vorzüglichen ‚Ausbildung des
bargeldlosen Zahlungsverkehrs in England — so gering ist, daß er
von ihrem Goldbestande beständig, selbst jetzt im Kriege, über-
deckt wird. Bei Kriegsbeginn beliefen sich:
der Goldbestand der Bank von Frankreich auf 4141 Mill. fres. = 3354 Mill. M.
n ” n n ” England ” 38,18 n £ 779 n ”
K, H „ Oesterr.-ungar. Bank , 1237,80 » K. = 105218 m n
pr 3 » Reichsbank - 1253 i Wa
Nur die russische Staatsbank verfügte, wenn die amtlichen Ausweise
richtig sind, über mehr, nämlich über 1603,7 Mill. Rbl. = 3463,99
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 727
Mill. M., dazu noch über 140,7 Mill. Rbl. = 303,91 Mill. M. Gold-
guthaben im Auslande !). Dagegen ist die Stellung der Bank von
Frankreich gegenüber den privaten Großbanken des eigenen Landes
keineswegs eine überragende, namentlich nicht im Diskontgeschäft.
Der Prozeß der Konzentration des Bankwesens ist in Frankreich,
dem Lande der Zentralisation, ein sehr starker gewesen. Demgemäß
hat auch eine gewaltige Konzentration des sich jeweilig neubilden-
den Geldkapitals bei den an Zahl zurückgegangenen, an Größe ge-
stiegenen Banken und besonders bei den großen Depositenbanken
stattgefunden. Mit dieser Fülle fremder Gelder treiben die Groß-
banken das Diskontgeschäft in einem solchen Umfange, daß die
Bank von Frankreich erheblich dahinter zurückbleibt und ihr Wechsel-
portefeuille von demjenigen einzelner Großbanken fast erreicht wird,
ja von dem des Credit Lyonnais sogar schon wiederholt übertroffen
worden ist. Trotzdem liegt das Schwergewicht der Tätigkeit dieser
Banken, die mit der Ausspannung eines Netzes von Filialen dem
Beispiele der Notenbank gefolgt sind, nicht im Diskont-, sondern
im Effekten- und Emissionsgeschäft, das ja seine Entstehung dem
als Typus der modernen Großbank berühmt gewordenen Credit
mobilier, also einer französischen Schöpfung, verdankt. Welche
wichtigen Folgen sich für die Finanzlage Frankreichs daraus er-
geben, wird noch zu zeigen sein.
Die Goldthesaurierung der Bank von Frankreich hat eine große
Notenausgabe zur Folge, die auf dem Wege hoher Geldflüssigkeit
ihrerseits gleichfalls auf einen niedrigen Stand des Zinsfußes ein-
wirkt. Die Masse dieser Noten und die Tatsache, daß sie, als Erbe
aus der Kriegszeit 1870/71, allgemeines gesetzliches Zahlungsmittel
sind, gibt der Banknote die vorherrschende Rolle im französischen
Geldwesen. Am 30. Juli 1914 betrugen bei der Notenbank:
der Goldbestand 4141 Mill. fres.
der gesamte Metallbestand 4766 „ Pe e
die Notenausgabe 6883 „ Pr
das Wechselportefeuille 2444 » ee
Die Golddeckung der Noten belief sich also auf 60,16 v. H.
Ende 1913 war ihr Goldbestand erst 3517,4 Mill., ihr Notenumlauf
5713,6 Mill., die Golddeckung mithin 61,56 v. H. gewesen. Die Ver-
mehrung des Goldbestandes um mehr als !;, Milliarde läßt erkennen,
wie sehr sich die Bank in diesen 7 Monaten für den Kriegsfall ge-
rüstet hatte.
2. Privatbanken und Börse. Die „politique financiere“ und ihre
üblen Folgen.
Gerade das Gegenteil war der Fall bei den Privatbanken und
bei der Börse. Die ersteren litten auf das schwerste an Ueber-
sättigung mit ausländischen Wertpapieren, die hauptsächlich eine
Folge der erwähnten geringen Ausdehnungsfähigkeit der französischen
1) Nach Hartung a. a. O. XIV, 9.
128 H. Köppe,
Industrie war. Das durch seine große Sparsamkeit bekannte fran-
zösische Volk pflegte seine Ersparnisse, seinem Nationalgefühl und
dem starken Triebe nach möglichster Sicherheit der Anlage folgend,
so lange in französischer Staatsrente anzulegen, als dies möglich war.
Die „Demokratisierung der Rente“, d. h. die außerordentliche Er-
leichterung solcher Anlegung durch eine sehr geschickte Finanzver-
waltungstechnik (Verkauf von Staatsrente in kleinsten Abschnitten
durch die Steuereinnehmer, Postämter, Bürgermeistereien usw.) für-
derte diese Anlegung in hohem Maße. Als aber der Staat ange-
sichts des bedenklichen Wachstums der Staatsschuld von der Aus-
gabe neuer Anleihen Abstand nahm und gleichzeitig mit dem stei-
genden Kurse der Staatsrente ihr realer Zinsfuß von über 4 v. H.
in den siebziger Jahren auf nicht mehr ganz 3 v. H. Mitte der
neunziger ‚Jahre sank, sahen sich, zumal angesichts der fortgesetzten
Steigerung aller Lebenshaltungskosten, die Sparer genötigt, andere
Anlagemöglichkeiten aufzusuchen. Hierbei kamen ihnen nun die
Kreditbanken eifrig entgegen, indem sie, dank namentlich der Tätig-
keit der mit den großen Depositenbanken dabei Hand in Hand vor-
gehenden Credit mobilier-Institute, neben einheimischen Industrie-
und Eisenbahnwerten große Massen ausländischer Zins- und Divi-
dendenpapiere mit bedeutendem eigenen Nutzen an Provisionen und
Kursdifferenzen übernahmen und dem anlagesuchenden Publikum
aufhalsten. Durch die mit dem massenhaften Zuströmen fremder
Gelder immer weitergehende Herabsetzung der Depositenzinsen für-
derten sie diesen Umwälzungsprozeß der Kapitalanlagen noch be-
deutend. Die Konkurrenz der öffentlichen Sparkassen, deren Zins
mit 3\/, v. H. immer noch höher als der reale Zinsfuß der Staats-
anleihen war, hatten sie dabei nicht zu fürchten, da diese gehalten
sind, alle ihre Einlagen durch Vermittlung der staatlichen Caisse des
consignations et depöts in Staatsrente anzulegen, und überdies kein
Sparer mehr als 1500 frcs. Einlage halten darf !).
In diesem Stadium griff nun die enge Verquickung von Geld-
geschäften und auswärtiger Politik, die das Charakteristikum der
dritten Republik ist, in die weitere Entwicklung ein. An und für
sich, d. h. für ihre Gewinnmöglichkeiten, konnte es ja den Banken
gleich sein, aus welchen Ländern sie die papierenen Werte bezogen,
wenn sie nur gehörig daran verdienten. Sie waren daher auch
keineswegs wählerisch, sondern brachten die exotischsten Werte un-
bedenklich in das Publikum hinein. Die Börsenspekulation folgte
ihnen dabei auf dem Fuße nach und nützte die ihr dadurch sich
bietenden Chancen gehörig aus. So ward Frankreich, dessen In-
dustrie lange Zeit die bedeutendste auf dem Kontinente gewesen
war, zu einem Lande, das sein Kapital und besonders dessen Zu-
wachs immer mehr in den Dienst fremder Länder stellte und da-
1) Ueber die Erhöhung dieser Grenze von 1500 auf 3000 fres. und die Er-
weiterung des durch das Moratorium stark beschränkten Abhebungsrechtes durch den
Ministerialerlaß von Ende März 1916 siehe weiter unten Abschnitt IV.
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 799
durch zum „Weltbankier“ ward. Es wurde mehr und mehr zur
müßigen Ruhe des kapitalistischen Rentners genötigt, statt sich dem
Betätigungsdrange einer großindustriellen Expansion hingeben zu
können. Einem solchen fehlte das dazu nötige Menschenmaterial.
Auch stand ihm wohl die der nationalen Eitelkeit entspringende
Abneigung im Wege, die Bahnen einer ruhmvollen industriellen
Tradition zu verlassen und, über den Bereich der Luxusgewerbe
hinaus, neue Richtungen einzuschlagen, neuen Formen und Methoden
großgewerblicher Betätigung nachzuspüren, vor allem sich vom Hoch-
stande der französischen „Kultur“ herabzulassen und den Bedürf-
nissen fremder Völker anzupassen. Dank namentlich der üblichen
Bekleidung hoher Posten in der Leitung und Kontrolle der Kredit-
institute durch hochstehende Regierungsbeamte und einflußreiche
Parlamentarier wurde die Einführung fremder Werte ganz unter die
Gesichtspunkte der auswärtigen Politik gestellt. Für ihre Zulassung
zum Börsenhandel war die Genehmigung der Regierung ohnehin er-
forderlich. So wurde seit der Annäherung zwischen Frankreich und
Rußland, die schließlich unter der Aegide Eduards VII. von Eng-
land zu dem engen Bündnis der beiden Reiche führte, der Markt
für die russischen Anleihen in Frankreich eingerichtet. Auf dem
Wege über die Börse und die Banken wurden die Ersparnisse des
französischen Volkes in Russenwerten angelegt. Der französische
Chauvinismus ward aufgestachelt, um immer neue russische Anleihen
zu Milliarden in Frankreich unterzubringen. So führte die „po-
litique financiere“ zum finanziellen Nationalismus und Chauvinismus
und dieser schließlich an den Abgrund. Daneben ging die Ueber-
nahme auch anderer Auslandswerte, besonders von südamerikanischen
und Balkan-Staaten, je nach den Profitmöglichkeiten der Banken.
Schließlich war der Markt übersättigt und der Rückschlag konnte
nicht mehr länger ausbleiben. Immer schwieriger gestaltete sich die
Unterbringung der russischen und anderen ausländischen Werte im
Publikum, immer größere Mengen davon blieben mangels Aufnahme-
fähigkeit der Kapitalistenkreise bei den Banken als „schwimmende
Ware“ hängen und bewirkten eine bedenkliche und für den Kriegs-
fall höchst gefährliche Illiquidität derselben.
Diese Schwierigkeiten wuchsen in das Ungemessene, als auf
Rußlands Verlangen während des Balkankrieges auch die Balkan-
staaten für ihre Kriegführung durch Frankreich mit Finanzmitteln
versorgt werden mußten. Dies war nur in der Weise möglich, daß
die Banken die durchgängig anderweit nicht realisierbaren Schatz-
scheine dieser Staaten auf sich nahmen. Schließlich stellte Ruß-
land, wie bekannt, auf die Forderung der französischen Regierung,
ein Netz von strategischen Eisenbahnen nach der deutschen Grenze
hin zu bauen, die Gegenforderung der Unterbringung auch der dazu
nötigen Anleihe in Frankreich. Wiederum mußte dieses willfahren,
obwohl schon seit mehreren Jahren die Banken eine besondere Ver-
einigung für den Notankauf der vom französischen Publikum in
immer größeren Mengen auf den Markt zurückgebrachten russischen
730 H. Köppe,
Anleihen zur Stützung ihres Kurses hatten bilden müssen. Dar.
eine Ablehnung der russischen Wünsche nach Uebernahme neue
Anleihen durch Frankreich, gleichviel wie hoch deren Gesamtbetrag
schon gestiegen war, hätte sowohl das politische Bündnis als aut
die russischen Staatsfinanzen, damit aber auch den Kurs der i
französischem Besitz befindlichen Russenwerte auf das allerschwers:
erschüttern müssen. Diesmal zog nun aber die russische Regieru:
ihre Guthaben bei den Banken aus dem Anleiheerlöse, die sie i:
den früheren Anleihefällen bei ihnen hatte stehen lassen, so daß di:
Banken dadurch immer zu Interventionskäufen befähigt gewea
waren, wegen eigenen Geldbedarfes zurück. Infolgedessen fielen ù:
Kurse der russischen Anleihen an der Pariser Börse ganz bedeuten.
In russischen Papieren sollen 22 Milliarden frcs. französisches K:
pital zuletzt angelegt gewesen sein. Während des Krieges kom
Frankreich weder über diesen Kapitalbesitz selbst noch über dı
Einkünfte daraus in erheblichem Umfange verfügen, teils wegen dr
überall ergangenen Moratorien, teils wegen der Verkehrshemmuzı
und sonstigen Kriegswirkungen. Der unter dem Pseudonym Lrs
schreibende Finanzschriftsteller äußerte sich darüber in der Hi
manité“, dem einstigen Organe von Jaurès: Man habe sich in Fmi
reich eingebildet, durch ausländische Anleihen sich für den Kries
fall Kredit im Auslande und politische Vorteile zu sichern. Dz
Krieg habe das Gegenteil bewiesen. Frankreich könne so gut m:
nichts von seinen ausländischen Werten realisieren und sei sz
genötigt, in Amerika Kredit zu nehmen, während sich Deutschl:
durch die Anlage seines Kapitals in seiner eigenen Industrie &
gewaltiges Kriegswerkzeug geschaffen habe. Die letztere Annir
ist ja nun allerdings nur zum Teil richtig, da Deutschland a“
einen sehr großen Besitz an Auslandwerten — man schätzte it:
vor dem Kriege auf 16—20 Milliarden M.!) — hat. Gerade danz
ist aber diese Auslassung des französischen Publizisten ein ine
santer Beitrag zu der bei uns viel erörterten Frage des „Kapit
exports“ und seiner Wirkungen im Frieden und im Kriegstall.
3. Die Staatsfinanzen. Budget und Staatsschuld.
So befand sich denn bei Ausbruch des Krieges nur die Bi
von Frankreich in einem erfreulichen Zustande, der sogar ein it
vorragend guter genannt werden konnte. Sie war der eiii:
finanzielle Halt, auf den der Staat sich für seine Kriegführung 1
verlässig stützen konnte Er hatte solchen Halt mit Rücksicht &
seine Schuldverhältnisse ebenso sehr wie auf den Zustand set:
Budgets nötig. Die öffentliche Staatsschuld, die vor dem Kne
von 1870/71 rund 13,8 Milliarden frcs. betragen hatte, dann a
durch kräftige und systematische Tilgung nicht unerheblich zuri
gegangen war, hatte sich seit den achtziger Jahren durch die Er |
1) Näheres darüber bei Helfferich, „Deutschlands Volkswohlstand 1883-18
S. 112.
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 731
gehung von zunächst schwebenden Schulden, die dann notgedrungen
konsolidiert werden mußten, sehr stark vermehrt. Seit 1890, in
welchem Jahre nochmals eine Anleihe von 870 Mill. frcs. aufge-
nommen worden war, vermied man infolgedessen jede weitere Ver-
mehrung der dauernden Schuld peinlichst, nur im Jahre 1901 wurden
noch einmal 200 Mill. frcs. Rente ausgegeben. Am 1. Januar 1913
belief sich die Gesamtschuld auf 31555,189 Mill. frcs. dauernde und
1523,665 Mill. frcs. schwebende Schulden. Von den ersteren waren
21 922,217 Mill. 3-proz. „ewige“ Rente und 3388,345 Mill. amorti-
sable Rente sowie 2161,133 Mill. Eisenbahn-Annuitäten. Der Zinsen-
und Tilgungsdienst dieser Schuld erforderte eine Jahresaufwendung
von 1318!/, Mill. fres. Dies trotz der von 1883 bis 1902 durchge-
führten Reihe von Konversionen, durch welche der Zinsfuß aller
älteren Anleihen nach und nach von 4!/ bis auf 3 v. H. herab-
gedrückt worden war, während die neueren gleich zum letzteren
Zinssatz begeben worden waren. Mit dieser enormen Staatsschuld
von rund 31!/, Milliarden frcs. und der durch ihren Dienst bedingten
Belastung des ordentlichen Etats überragte Frankreich weitaus alle
Kulturländer, sowohl absolut wie auf den Kopf der Bevölkerung be-
rechnet. Ihr stand ein Volksvermögen gegenüber, das Caillaux im
Februar 1414 auf 250 Milliarden frcs. schätzte).
Zu dieser Staatsschuld trat nun ganz kurz vor Kriegsbeginn
noch hinzu die durch ihren besonderen Charakter und ihren frag-
würdigen Erfolg ausgezeichnete große Rentenanleihe vom Juli 1914
im Nominalbetrage von 805 Mill. frcs. Sie war veranlaßt durch die
nach jahrelangen Anstrengungen endlich erkannte Unmöglichkeit,
das mit bedeutenden, durch die expansive auswärtige Politik be-
dingten Ausgaben in wachsendem Maße belastete Budget noch länger
in Gleichgewicht zu halten. Dazu hätte allenfalls ein Mittel dienen
können, dessen Anwendung seit Jahren das schwierigste und heikelste
Problem der französischen Finanz- und überhaupt inneren Politik
bildete, aber nicht hatte durchgesetzt werden können, nämlich die
Einführung einer allgemeinen progressiven Einkommensteuer. Eine
solche ist nicht durchführbar ohne eine genaue Offenlegung der ge-
samten Einkommens- und Besitzverhältnisse eines jeden Bürgers.
Diese scheute aber der in dieser Hinsicht stark verwöhnte Franzose
auf das äußerste. Keine Regierung und kein Parlament hatte diese
Steuer durchzusetzen vermocht. Entweder waren die Versuche gar
nicht ernsthaft gemeint oder sie blieben in den Anfängen stecken.
Bei einem auf dem allgemeinen Stimmrecht aufgebauten, streng par-
lamentarischen Regierungssystem ist dieses Scheitern durchaus er-
klärlich. Ihre politische Stellung und die mit ihr verbundenen
materiellen Vorteile als Opfer für das Gemeinwohl darzubringen,
dazu reichte auch der leidenschaftlichste Chauvinismus der politischen
Machthaber nicht aus. Dazu kam noch eines. Es ist eine alte Tradition
1) Schwarz schätzt es im „Bankarchiv“ (XV, 8) auf 230 Milliarden M., also rund
284 Milliarden fres.
132 H. Köppe,
in Frankreich, daß der Besitzer von Staatsrente vollkommen steuer-
frei ist. Auch sie hätte preisgegeben werden müssen, sollte die
Einkommensteuer eine wirkliche und vor allem eine ertragreiche sein.
Dieses Opfer erschien nicht weniger unerhört. Erst der das ganze
Staatswesen tief erschütternde Verlauf des Weltkrieges vermochte
schließlich, wie wir noch sehen werden, der Einkommensteuer in
Frankreich Eingang zu verschaffen.
Die Schwierigkeiten, welche der Budgetaufstellung durch die
auswärtige Politik verursacht wurden, lagen in der kriegerischen
Marokkopolitik und in der Einführung der dreijährigen Dienstzeit
mit ihrer nicht minder kriegerischen Spitze gegen Deutschland,
endlich in der Verstärkung der „defense nationale“, d. h. der heim-
lichen Kriegsvorbereitungen gleicher Tendenz. Schon im Jahre 1906,
sodann von 1908 ab andauernd hatten die Voranschläge des Staats-
haushalts mit einem Defizit abgeschlossen, dessen Deckung jedesmal
große Schwierigkeiten verursachte. Von 1904—13 waren die Aus-
gaben um 1524,1 Mill. frcs. gestiegen, wovon 553 Mill. auf Heer,
Flotte und dreijährige Dienstzeit fielen. Die letztere erforderte
allein eine einmalige Ausgabe von 900 Mill. und für die nächst-
folgenden Jahre von je 200—300 Mill. frcs. An neuen Einnahmen
wurden aber nur 236 Mill. fres. neue Steuern erschlossen. Das
Budget für 1914 wies weitere bedeutende Mehrausgaben der ge-
nannten drei Arten, daneben auch solche für soziale Zwecke und
für Schuldenzinsen auf. Sie waren so groß, daß die in den letzten
Jahren angewandten dürftigen Methoden der Verschiebung anderer
Ausgaben auf spätere Jahre und der — nur so lange, als die wirt-
schaftlichen Konjunkturen günstig waren, zutreffenden — Annahme
von Mehreingängen bei den Einnahmen des laufenden oder des
letzten, noch nicht abgerechneten Etats versagten. Ein mehrfacher
Wechsel im Finanzministerposten wurde durch die Nichteinigung
der Regierung mit der Kammer über die Defizitdeckung nötig. Die
bemerkenswerteste Episode dabei war das Programm, das Caillaux,
der ehrliche und energische Vertreter des Einkommensteuergedankens,
während er diesen Posten versah, aufstelltee Die Einkommensteuer
sollte danach die alten Ertragsteuern wie auch die Steuer auf das
Einkommen aus beweglichen Werten (die französische Kapitalrenten-
steuer) ersetzen, durch Zuschläge progressiv gestaffelt und durch
eine gleichfalls progressive Vermögenssteuer ergänzt sein. Die außer-
ordentlichen Ausgaben für Heer und Flotte sollten durch tilgungs-
pflichtige Anleihen mit möglichst kurzer Laufzeit gedeckt werden.
Nachdem dieser vernünftige Vorschlag mit dem Sturze seines Ver-
fassers am 16. März 1914 abgetan war, wählte man das der Ein-
kommensteuer gegenüber kleinere der beiden Uebel, die beide zu
vermeiden nicht länger anging, nämlich den Anleiheweg, beschritt
ihn aber mit ängstlicher Vorsicht und machte dem öffentlichen Ge-
wissen das platonische Zugeständnis, die Einführung der Einkommen-
steuer nur zu „verschieben“.
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 733
4. Die 3'/,-prozentige Anleihe vom Juli 1914.
Die neue Anleihe mußte eine hohe sein und konnte nur bei
einer Ausgabe unter wesentlich ungünstigeren Bedingungen als den-
jenigen der letzten großen Anleihe von 1891, die zu einem Zinsfuß
von 3 v. H. und einem Kurse von 92!/, begeben worden war, Erfolg
versprechen. Denn es galt, eine schwebende Schuld von über 1!j,
Milliarden zu konsolidieren und außerdem noch reichliche Mittel
nicht nur für die Gegenwart, sondern auch gleich für eine geraume
weitere Zeit flüssig zu machen. Anderseits war der Kurs der fran-
zösischen Rente aller Arten schon seit 10 Jahren in starker Abwärts-
bewegung begriffen. Statt der ursprünglich in Aussicht genommenen
zwei Milliarden wurden schließlich, angesichts der schwierigen Ver-
hältnisse der Banken, der Börse und des Geldmarktes, nur 805 Mill. frcs.
neue Anleihe bewilligt, wovon 5 Mill. für die Kosten ihrer Aus-
bringung und nicht weniger als 705 Mill. zur Einlösung von Schatz-
anweisungen bestimmt waren. Da Caillaux die Mehrausgaben für
Heer und Flotte auf 1830 Mill. geschätzt hatte, blieben noch
1030 Mill. zu beschaffen. Gleichzeitig wurde die Ausgabe von
weiteren 600 Mill. frcs. Schatzanweisungen genehmigt. Das Budget
ward unter Entlastung vom größten, auf die neue Anleihe über-
nommenen Teile jener Mehrausgaben in Höhe von 5192 Mill fres.
festgesetzt. Ein Zuschlag zu den alten direkten Steuern ward ihm
eingefügt, der die Einkommen über 5000 frcs. traf, Abzugsrechte
für Verheiratete und für Haushaltsangehörige über 70 und unter
21 Jahren vorsah, und für Einkommen bis zu 25000 frcs. progressiv
gestaffelt, darüber hinaus proportional mit 2 v.H. war. Die Haupt-
sache, die Deklarationspflicht mit ausreichender Kontrolle, fehlte.
Aber auch dieser Zuschlag ward, nachdem der Krieg ausgebrochen
war, von 1914 auf 1915 und von 1915 auf 1916 verschoben.
Der Anfang Juli 1914 zur Öffentlichen Zeichnung aufgelegten
Anleihe wurde die Form einer in 73 Serien eingeteilten, innerhalb
25 Jahren im Wege der Pariauslosung tilgungspflichtigen 3!/,-proz.
steuerpflichtigen Rente und ein Ausgabekurs von 91 v. H. gegeben.
Ein 3-proz. Zinsfuß wäre nur zu einem wesentlich niedrigeren Aus-
gabekurse möglich gewesen. Die tilgbare Rente war als Anleihetyp
Ende der 70er Jahre eingeführt worden, zuerst mit einer Laufzeit
von 75 Jahren. Bis dahin hatte es nur „ewige“, d. h. nicht tilgungs-
pflichtige Rente, rente perpetuelle, gegeben. Solche jetzt aufzulegen
schien aber bei dem hohen Stande der Gesamtschuld und dem Tief-
stande des Kurses der untilgbaren Rente bedenklich. Gleichwohl
wirkte die neue Anleihe, da sie nach Abzug der Couponsteuer, je-
doch einschließlich des Kursgewinnes bei der Rückzahlung, eine tat-
sächliche Verzinsung von etwa 4'/, v. H. (ohne den Kursgewinn eine
solche von 3,69 v. H.) enthielt, stark kursdrückend auf die 3-proz.
Rente, die bei dem damaligen Kurse von 84,12 nur eine Realver-
zinsung von 3,56 v. H. ergab, und daher entmutigend auf deren Be-
734 H. Köppe,
sitzer, die große Masse des französischen Volkes. Dieser wurde die
Pille dadurch noch bitterer gemacht, daß die 3!/,-proz. Rente, im
Gegensatz zur 3-prozentigen, steuerpflichtig ist. Die Besteuerung
des beweglichen Kapitals ward überdies durch den Gesetzgebungs-
akt vom 29. März 1914 neu geregelt, der als einziges neben dem
Budget zustande gekommenes Steuerreformgesetz, wie die Grund- und
Gebäudesteuer, so auch die Steuer vom Einkommen aus beweglichen
Werten (Kapitalrentensteuer) einer Reform im Sinne sowohl einer
sachlichen Verbesserung (namentlich durch Besteuerung der Anleihen
und Obligationen fremder Staaten, die bisher von dieser Steuer ganz
frei waren) als auch einer Ausgestaltung zu größerer Ergiebigkeit
unterzog. Die Regierung erhoffte daraus einen Mehrertrag von
180—200 Mill. fres. Die neue 3'/,-proz. Anleihe unterliegt der 4-proz.
Couponsteuer, die ein Teil dieser Kapitalrentensteuer ist.
Diese 3Y/,-proz. Anleihe lief auf ein Blendwerk größten Stiles
hinaus. Die Regierung konnte sich einer 40-fachen (eigentlich 44! ,-
fachen) Ueberzeichnung rühmen und machte davon auch den üblichen
reichlichen Gebrauch. Etwa 36 Milliarden wurden angeblich ge-
zeichnet. In Wirklichkeit sah es damit freilich anders aus. Zu-
nächst fand dieses Ergebnis, um ganz abzusehen von den seitens der
Notenbank für die Ermöglichung der Zeichnung und der Ein-
zahlungen gewährten Erleichterungen in bezug auf Diskontierung und
Lombardierung, seine Erklärung darin, daß die bei der Zeichnung
verlangte Einzahlung von 10 v. H. nicht nur in bar, sondern auch
in Schatzwechseln geleistet werdeu durfte. Da die letzteren in Un-
masse ausgegeben waren, so machte man von der Gelegenheit, sie
gegen ein höher verzinsliches, gleichfalls tilgungspflichtiges staat-
liches Schuldversprechen mit Garantie eines Kursgewinnes von 9 v.H.
auf eine anständige, patriotische und gewinnbringende Weise los zu
werden, reichlichen Gebrauch. Die öffentlichen Kassen, die Bank
von Frankreich, die Kreditinstitute, Versicherungsgesellschaften,
Eisenbahnen, die Kapitalisten, die sich der neuen Zinsscheinsteuer
entziehen wollten, sie alle hatten übermäßig hohe Beträge in Schatz-
scheinen angelegt. Auch die Kautionen der Staatslieferanten waren
so angelegt worden. Jeder Betrag von Schatzwechseln war ja immer
leicht abzusetzen — auf welche ungeheuren Schwierigkeiten stieß
dagegen jeder Versuch, auf anderem Wege, durch Steuern oder An-
leihen, Geldmittel in die Hände zu bekommen! Die Regierung. die
den Ertrag der neuen Anleihe zu 98 Hundertsteln zur Umwandlung
schwebender Schulden in dauernde verwenden wollte, bekam auf
diese bequeme Weise die Stücke der zu konsolidierenden Schulden
allerdings gleich in die Hand. Sodann wurden „Konzertzeich-
nungen“, d. h. nicht als ernstliche und dauernde Anlage gemeinte,
sondern rein spekulative Zeichnungen zu Milliarden angemeldet. Eine
wüste Agiotage wurde betrieben und dadurch ermöglicht, daB die
nämlichen Zuteilungen auf ernsthafte kleine wie auf spekulative
Riesenzeichnungen erfolgten. Die Zeichner der letzteren stellten
dann durch vorteilhaften Weiterverkauf an oder auch außerhalb der
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 735
Börse ihren Gewinn sicher — oder glaubten vielmehr irrigerweise,
dies tun zu können, denn der Ausbruch des Krieges, die Schließung
der Börsen und die Verhängung des Moratoriums verhinderten dem-
nächst die Abwicklung und effektive Erfüllung aller dieser Ge-
schäfte. Die inzwischen und vollends die fernerhin zu leistenden
Einzahlungen überstiegen bald die Kräfte der spekulativen Groß-
zeichner. Bereits Ende Juli blieb ein großer Teil der fälligen Ein-
zahlungen rückständig, was der Staat selbst den Schuldnern dadurch
wesentlich erleichterte, daß solcher Zahlungsverzug keinen Verlust
an den bereits geleisteten Einzahlungen nach sich zog. Gleichzeitig
sank die neue Rente bis zu 5 v. H. unter den Ausgabekurs, womit
die wahre Natur ihrer Riesenüberzeichnung auch äußerlich zu ent-
sprechendem Ausdruck gebracht ward. Allen den vielen kapital-
schwachen Zeichnern, die nur einen Zwischengewinn hatten heraus-
schlagen wollen, war die Unterbringung ihrer Scheine nun auf un-
absehbare Zeit unmöglich geworden. Es mag schließlich hier noch
Erwähnung finden, daß, als nach Kriegsausbruch der Plan der Aus-
gabe einer 5-proz. Kriegsanleihe unter Hinaufkonvertierung dieser
3!/;-proz. erwogen wurde, man ihn fallen ließ wegen der traurigen
Erfahrungen mit dieser „vierzigfach überzeichneten“ Rente.
I. Die finanziellen Notbehelfe.
1. Die staatlichen Finanzmaßnahmen bei Kriegsbeginn.
Es ist klar, daß angesichts solcher Zustände bei Beginn des
Krieges und noch lange nachher von der Auflegung einer festen
Anleihe im eigenen Lande keine Rede sein konnte. „Die Lage des
Geld- und Anleihemarktes war außerordentlich ungünstig. Die
Staatskassen leer, die Kreditbanken vollgestopft mit unverkäuflichen
Werten, ihre Zahlungsbereitschaft bedenklich geschwächt, der Geld-
markt desorganisiert, der Staatskredit gelähmt. Allein gerüstet und
stark in dieser trüben Situation stellte sich die Bank von Frank-
reich dar. Nur von ihr konnte die in dieser Lage notwendige Hilfe
geleistet werden.“ Mit diesen Worten schildert Hartung!) kurz und
treffend die Lage. Die kriegsfinanziellen Maßnahmen der Regierung
bezweckten daher hauptsächlich die Stärkung der Notenbank sowie
den Schutz der übrigen Kreditinstitute gegen Verschlimmerungen
katastrophalen Charakters, die angesichts der schon an sich sehr
üblen Lage der letzteren durch die Wirkungen des Kriegszustandes
und des Kriegsverlaufes über sie hereinzubrechen drohten. Durch
Dekret vom 6. August wurde die Noteneinlösungspflicht der
Bank aufgehoben und die Grenze ihres Notenausgaberechtes
von 6,8 auf 12 Milliarden frcs. mit der Maßgabe erhöht, daß durch
bloßen Beschluß des Ministerrates diese Höchstgrenze beliebig er-
höht werden kann. Dies geschah auch durch weitere Erhöhung am
15. Mai 1915 auf 15 Milliarden und Ende März 1916 auf 18 Milli-
1) a. a. O. XIV, 7, S. 118.
736 H. Köppe,
arden frcs. Schon Ende Juli hatte die Bank, um dem Ansturm nach
Zahlungsmitteln, besonders kleinen Einheiten, gewachsen zu sein,
mit der Ausgabe kleiner Noten, über 5 und 20 frcs. (die
kleinste Einheit war im Frieden 50 frcs.), begonnen, die sie für den
Kriegsfall schon vorrätig liegen hatte. Binnen 10 Tagen hatte sie
bereits von den ersteren für 200, von den letzteren für 400 Mill. frcs.
in Umlauf gesetzt. Dagegen hat der Staat kein Kriegspapiergeld
ausgegeben. Zugleich wurde die Herstellung von Scheidemünzen
kräftig gesteigert. Trotzdem bestand im Anfang auch in Frankreich
eine solche Knappheit an Zahlungsmitteln, daß die Handelskammern
auf Anweisung der Regierung metallisch gänzlich ungedecktes Papier-
geld ausgaben. Indessen fand dieses nur sehr schwer Aufnahme.
Nicht nur viele private Unternehmungen, sondern auch die öffent-
lichen Kassen lehnten die Annahme dieser bons des chambres de
commerce ab. Sodann erhöhte die Bank ihren Diskontsatz am
1. August von 4!/, auf 6 v. H., ermäßigte ihn aber am 20. August
wieder auf 5 v. H. Endlich wurde die Veröffentlichung ihrer
Wochenausweise eingestellt und erst im Januar 1915, gleich-
zeitig mit der Veröffentlichung ihrer Jahresrechnung, wieder auf-
genommen.
So gerüstet, hatte sie dem Staate einerseits und den Kredit-
instituten andererseits beizustehen. Die Vorschüsse an den ersteren
erfolgten auf Grund sukzessiver Bewilligungen des Parlamente:s.
Den letzteren hatte der Staat schon am 31. Juli den nötigen Schutz
gewährt durch den Erlaß eines Teilmoratoriums, wonach die Banken
ihren Einlegern nur höchstens 250 frcs. und 5 v. H. vom Reste
ihres Guthabens, die Sparkassen den ihrigen auf jedes Buch nur
50 frcs. nach 14-tägiger Kündigung zu zahlen verbunden waren ».
Am 9. August erging dann erst das vollständige Moratorium, das
namentlich für alle seit dem 31. Juli 1914 fällig gewordenen oder
vor dem 1. September 1914 fällig werdenden übertragbaren Papiere.
mit Ausnahme der auf den Staatsschatz ausgestellten, sowie für die
Auszahlung von Bardepots und Kreditsalden eine Verschiebung der
Fälligkeit um 30 Tage anordnete und innerhalb dieser Frist nur
Abhebungen in dem durch die Verordnung vom 31. Juli gestatteten
Umfang zuließ. Diese Frist wurde dann durch spätere Verord-
nungen wiederholt hinausgeschoben und zugleich die Abhebungs-
befugnis der Depositengläubiger allmählich erweitert.
2. Die Vorschüsse der Notenbank an den Staat.
Die direkte Vorschußgewährung der Bank von
Frankreich an den Staat setzte sofort ein und wiederholte
sich fortgesetzt, so daß sie mit der Zeit einen sehr großen Umfang
erreichte. Für die Zeit der Einstellung der Bankausweise weiß man
1) Ueber den das Sparkassengesetz und das Moratorium abändernden Ministerial-
erlaß von Ende März 1916 siehe weiter unten Abschnitt IV.
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe etc. 737
darüber nur aus den gelegentlichen Mitteilungen der Regierung, be-
sonders des Finanzministers Ribot im Parlamente. Diese sind na-
türlich mit Vorsicht aufzunehmen. Das Schönfärben, sonst eine
französische Kunst, erscheint dort als Pflicht, wo es die Wahrung
des nationalen Prestiges gilt. Nach einem schon am 11. November
1911, also kurz nach der Marokkokrise, getroffenen und nunmehr
am 4. August 1914 vom Parlamente ratifizierten Uebereinkommen
hatte die Bank bei Kriegsbeginn dem Staate 2900 Mill. frcs. für
Mobilisierungszwecke vorzuschießen. Am 21. September 1914 ward
dieser Höchstbetrag auf 6000 und Anfang Mai weiter auf
9000 Mill. frcs. erhöht. Die Rückzahlung soll „sobald als möglich“
erfolgen. Ein bestimmtes Versprechen in dieser Hinsicht zu geben
hat die Regierung trotz des Drängens der Bank abgelehnt. Ver-
zinsen soll der Staat die Vorschüsse zunächst nur mit 1 v. H., wobei
die Bank noch eine Abgabe von !/; der Einnahmen entrichtet, so
daß die Nettoverzinsung 'ļ v. H. beträgt. Vom Schlusse des auf
die Beendigung des Krieges folgenden Jahres ab erhöht sich die
Verzinsung auf 3 v. H., wovon jedoch 2 v. H. in einen Tilgungs-
fonds abzuführen sind, der zur Abzahlung der gesamten Kriegsschuld
des Staates an die Notenbank zu bilden ist. Vor Beginn dieser Ab-
zahlung sollen aus ihm aber alle diejenigen Verluste gedeckt werden,
die der Bank aus ihren Moratoriumswechseln erwachsen. Diese Art
von Tilgungsfürsorge ist eine sehr oberflächliche. Die daraufhin
gewährten Vorschüsse betrugen:
am 24. Dezember 1914 3900 Mill. frcs.
» 15. April 1915 500 5 ty
Fin 15. Juni Pr} 6400 ”„ ”„
n 1. November ”» 7000 „ ”
„ 24. Dezember , 740 ,„ n
„ 24. Februar 1916 5900 u »
„ 16. März 7 6500 „ »
Der Rückgang zu Anfang 1916 hängt mit den Einzahlungen auf die
„Siegesanleihe* zusammen. Nach ihrem Jahresberichte hat die Bank
gemäß den mit ihr bei der ersten Erhöhung des Höchstbetrages am
21. September 1914 getroffenen Vereinbarungen vom Staate nach
erfolgter Ausbringung dieser Anleihe 2,4 Milliarden frcs. zurück-
gezahlt erhalten. Diese Rückzahlung hatte die wichtige und wohl-
tätige Wirkung, den Notenumlauf entsprechend herabzusetzen. Auch
die Bank von Algier schoß dem Staate bis Ende Oktober 1915
75 Mill. frcs. vor.
Dazu treten nun noch die Vorschüsse, die die Bank von
Frankreich auf Verlangen des Staates verschiedenen der Verbün-
deten Frankreichs sowie solchen Staaten, die es dazu zu machen
wünschte, hat geben müssen. Ihre Höhe hat sehr gewechselt. Im
ganzen erreichten Frankreichs Vorschüsse an seine Verbündeten um
die Mitte März 1916 den Betrag von 4'/, Milliarden frcs. 1). Zu-
1) Nach Mitteilung Ribots im Budgetausschuß der Kammer, zufolge eine Meldung
aus Genf vom 20. März 1916.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 47
738 H. Köppe,
nächst wurde, nach Mitteilungen des offiziösen „Temps“ vom 25. Ok-
tober 1915, durch Dekret vom 27. Oktober 1914 dem Finanzminister
ein Kredit zur Gewährung von Vorschüssen an fremde Regierungen
und Institute in Höhe von 340,5 Mill. frcs. eröffnet. Davon waren
250 Mill. für die belgische, 90 Mill. für die serbische Regierung und
1/), Mill. für die montenegrinische Staatsbank bestimmt. Sodann
wurde durch Dekret vom 20. November 1914 der griechischen Re-
gierung ein Vorschuß von 20 Mill. frcs. bewilligt. Serbien erhielt
weitere Vorschüsse von 95 Mill, so daß bis zum 1. April 1915 die
gesamten Vorschüsse schon 445,5 Mill. betrugen. Durch ein Gesetz
von diesem Tage wurde der Gesamtkredit auf 1350 Mill. frcs. er-
höht, namentlich um auch Rußland mit Geld unterstützen zu können,
was Frankreich und England mit gleich hohen Summen zu tun über-
eingekommen waren. Außerdem hatten Frankreich, England und
Rußland sich dahin geeinigt, alle von ihnen an verbündete oder be-
freundete Länder gewährten Vorschüsse gemeinsam zu tragen. Ende
Oktober 1915 war dieser ganze Kredit erschöpft. Montenegro soll
davon nochmals, und zwar in Höhe von 30 Mill. fres., Anteil erhalten
haben. Die Auszahlung der Vorschüsse erfolgte durch ein Finanz-
konsortium für Rechnung der französischen Regierung. Die Bank
von Frankreich hatte nach ihrem Jahresberichte bis zum 24. De-
zember 1915 630 Mill. fres. Schatzscheine diskontiert, deren Erlös
zu diesen Vorschüssen an die verbündeten Staaten verwendet wurde.
Nach ihrem Ausweise vom 16. März 1916 stellten sich ihre Vor-
schüsse an die Verbündeten an diesem Tage auf 865 Mill. fres.
Außer der Bereitstellung der dafür erforderlichen Barmittel mußte
die Bank aber auch noch, zur Erfüllung eines von der französischen
Regierung mit der russischen getroffenen Uebereinkommens, der rus-
sischen Staatsbank Ende Dezember 1914 einen Kredit von 500 Mill. frcs.
eröffnen, der zur Rückzahlung der von französischen Banken dem
russischen Staate gegebenen Vorschüsse dienen sollte Nach Har-
tung!) dürfte es sich dabei um die Zurückziehung von Guthaben
gehandelt haben, die Rußland aus früheren Anleihen noch bei fran-
zösischen Banken hatte, aber wegen des Moratoriums nicht recht-
zeitig einziehen konnte.
Die Lage der Bank hat sich seit Beginn des Krieges sehr
geändert. Zum Guten insofern, als sie es in sehr geschickter Weise
verstanden hat, ihren Goldbestand andauernd erheblich zu ver-
stärken. Das ist um so bedeutsamer, weil diese Verstärkung ge-
schehen ist einmal trotz erheblicher Goldausgänge, die teils zur
Unterstützung der Verbündeten, teils auf Verlangen Englands an die
Bank von England erfolgten, und von denen noch die Rede sein
wird, sodann und namentlich aber im Kampfe mit den sehr be-
deutenden Schwierigkeiten, die sich aus dem traditionellen zähen Fest-
halten der Bevölkerung an ihrem außerordentlich großen Besitz an
Goldmünzen ergaben. Die Aufhäufung von Bargeld — vor dem
1) a. a. O. XIV, 9, S. 154.
Die Kriegsanleiben Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 739
Kriege von Metallgeld, während desselben von Papiergeld — ist eine
typische französische Gewohnheit, in der der vielgerühmte franzö-
sische Sparsinn einen volkswirtschaftlich unrationellen und im Kriege
geradezu unpatriotischen Ausdruck findet. Es bedurfte gewaltiger
und sehr geschickter Anstrengungen der Bank, um über diese
Schwierigkeiten einigermaßen Herr zu werden. Eine mächtige Pro-
paganda zur Herausholung des Goldes und Ablieferung an die Bank
wurde allerorten, in der Presse, in der Kirche und den Schulen, ins
Werk gesetzt. Gegen die nationale Eigenheit der äußersten Zuge-
knöpftheit in Geldsachen spielte man klugerweise die noch stärkere
der Eitelkeit aus, indem unter anderem das im republikanischen
Frankreich überaus heiß begehrte Kreuz der Ehrenlegion als Preis
für Goldablieferung in Aussicht gestellt wurde. Der Erfolg blieb
schließlich nicht aus. Wir sahen, daß die Bank mit 4141 Mill. frcs.
Gold in den Krieg eintrat. Dieser Bestand ging zunächst zurück,
und zwar bis zum 1. Oktober 1914 um 48 Mill. frcs. (an Metall über-
haupt um 345 Mill. frcs.), stieg dann aber erheblich, so daß er am
10. Dezember 1915 schon um eine Milliarde höher als bei Kriegs-
beginn war, um dann wieder langsam abzunehmen. Er betrug !):
am 24. Dezember 1914 4158,5 Mill. fres.
» 28. Januar 1915 4234 % ”
» 15. April 1915 4250 PR Pr
„ 24. Dezember 1915 5079,77 „ A
a 30: ” 1915 5015 ” ”
„ 24. Februar 1916 5035 ' ”
„ 16. März 1916 5023 ss š
In ihrem Bericht über das Jahr 1915 gibt die Bank an, daß der
Goldausgang bei ihr in diesem Jahre 566 Mill. frcs. betragen habe.
Da ihr Goldbestand gleichzeitig von 4158,5 Mill. frcs. auf 5079,7
Mill. frcs. gestiegen sei, so belaufe sich der Goldeingang auf 1487,2
Mill. frcs., wovon 1340,7 Mill. fres. freiwillige Einlieferungen des
Publikums seien. Das wären 1085,967 Mill. Mark. Die Reichsbank
hat ihren Goldbestand vom 24. Juli 1914 bis 31. Dezember 1915 trotz
Goldausgängen von unbekannter Höhe um 1088,3 Mill. M. zu er-
höhen vermocht, die Bank von Frankreich dagegen im gleichen
Zeitraum nur um 707,94 Mill. M. Der Silberbestand der Bank von
Frankreich sank dagegen von 625 Mill. fres. bei Kriegsbeginn auf
352 Mill. fres Ende Dezember 1915.
Die Auslandguthaben der Bank — größtenteils Vorschüse
auf die von russischen Banken an französische geschuldeten Beträge
— betrugen:
am 3. Februar 1916 964 Mill. fres.
„ 16. März 1916 781,5 „ Fr
Andererseits ist natürlich der Notenumlauf der Bank fort-
dauernd sehr beträchtlich gestiegen. Er betrug:
1) Für die folgenden Uebersichten sei bemerkt, daß der 24. Dezember der Stichtag
ist, mit dem die Bank ihre Jahresberichte abschließt.
47*
140 H. Köppe,
am 1. Oktober 1914 9300 Mill. frcs.
„ 24. Dezember 1914 10043 „ =
„ 28 Januar 1915 10474 „ 5
„ 30. Dezember 1915 13310 „ D
„ 24. Februar 1916 14295 „ a
„ 16. März 1916 14719 „ a
Das Deckungsverhältnis der Noten war, was die metal-
lische Deckung betrifft, am 16. März 1916 34,12 v. H. in Gold
gegen 60,16 bei Kriegsbeginn. Was die bankmäßige Deckung
anlangt, so verdient die Qualität des Wechselmaterials besondere
Beachtung. Dieses besteht nämlich zum weitaus größten Teile aus
solchen Wechseln, die auf Grund der Moratoriumsbestimmungen un-
eingelöst geblieben sind. Ihren Höchststand erreichten diese Mora-
toriumswechsel am 1. Oktober 1914 mit 4476 Mill. fres. Am 24. De-
zember 1914 waren es 3477 Mill. und am 15. August 1915 2140
Mill. frcs., denen nur 290 Mill. frcs. reguläre Wechsel gegenüber-
standen. Sie sanken dann allmählich weiter bis auf 1639 Mill. frcs.
am 24. Dezember 1915, während sich der Bestand an regulären
Wechseln, nachdem er mit 200 Mill. frcs. seinen Tiefstand erreicht
hatte, bis ebendahin auf fast 400 Mill. frcs. erhöhte. Am 24. De-
zember 1913 hatte das gesamte Wechselportefeuille 1526 Mill. frcs.
betragen. Den enormen Rückgang ihres ganzen Wechseldiskont-
geschäfts erkennt man aus der Vergleichung seines Umfangs in den
Jahren 1913 und 1915. Während die Bank im ersteren Jahre über
30 Millionen Wechsel mit einem Gesamtbetrage von über 20 Mil-
liarden frcs. diskontierte, waren es im letzteren nur 2,9 Millionen
Wechsel mit einem Gesamtbetrage von 2823,8 Mill. frcs.
Die Moratoriumswechsel gleichen einer Ware, die das
Liegen nicht verträgt. Wie die Vermögenslage der Schuldner dieser
„effets proroges“ nach Friedensschluß sein wird, ist höchst fraglich.
Die Bank wird jedenfalls starke Verluste an diesen Papieren haben,
und ihre Lage ist daher, soweit sie mit solchem Wechselmaterial
belastet ist, unerquicklich. Um es als Deckung richtig zu bewerten,
müßte man von seinem Werte sehr erhebliche Abschreibungen
machen. Obschon bis Mitte August 1915 2330 Mill. frcs. solche
Moratoriumswechsel bezahlt worden waren, lagen zu dieser Zeit bei
der Bank noch jene 2140 Mill. frcs. unbezahlte. Außer durch diese
schlechten Wechsel sind die Noten der Bank von Frankreich bank-
mäßig fast nur noch durch die bedenklich hohen Vorschüsse an den
Staat „gedeckt“. Das gegenseitige Verhältnis dieser Wechsel und
Vorschüsse ist dabei das, daß die schlechten Wechsel die Unterlage
und damit die Möglichkeit für die Gewährung dieser Vorschüsse
bildeten.
3. Die Kriegsschatzscheine.
a) Die Nationalverteidigungsbons.
Die Vorschüsse allein, die die Notenbank dem Staate zu geben
imstande war, konnten bei der Dauer des Krieges und dem gewaltigen
Steigen der monatlichen Kriegskosten ihm nicht genügen. Das zweite
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 741
Mittel, das er daneben, abgesehen von der Erneuerung von fällig
werdenden Schatzwechseln aus der Friedenszeit, von denen bei
Kriegsbeginn 129 Mill. fres. in Umlauf gewesen sein sollen, und
wohl auch der Ausgabe von neuen Schatzwechseln von unbekannter
Höhe!), in ausgiebigen Gebrauch nahm, war die mit allen Kräften
betriebene Ausgabe von besonderen kurzfristigen Schatzscheinen für
den Kriegsbedarf. Sie erfolgte unmittelbar an die Allgemeinheit,
also sowohl an die Kreditinstitute wie an das Publikum, und in
möglichst großen Mengen. Diese Scheine sind in zwei Typen ver-
treten, die sich durch die Dauer der Rückzahlungsfrist unterscheiden:
die Nationalverteidigungsbons und-obligationen. Von
den mit 5 v. H. verzinslichen und zu Pari ausgegebenen bons de
la défense nationale hat der größere Teil eine Laufzeit von
nur 3 Monaten, der kleinere eine solche von 6 oder 12 Monaten’).
Ihre Vorzüge für den Staat sind: die unbegrenzte Höhe ihrer Aus-
gabe, insofern eine Emissionsgrenze für sie zwar gezogen, aber nach
Bedarf immer wieder erhöht wurde, und die Möglichkeit ihres Ab-
satzes in den breiten Volksschichten der kleinen Sparer. Ihre Nach-
teile: die hohe Verzinsung und ihre baldige Einlösung. Im Volks-
munde heißen sie nach ihrem Urheber „Ribotins“. Sie sind bei allen
Staatskassen auf Anmeldung in beliebiger Höhe zu haben und über
verschieden hohe, mit 100 frcs. beginnende Beträge ausgestellt. Bei
ihrer um die Mitte September 1914 begonnenen und seitdem mit
einer später zu erwähnenden Unterbrechung andauernden Ausgabe
werden die Stücke der neuen 31j,-proz. Rente zum Ausgabekurse von
91 v. H. unbeschränkt in Zahlung genommen. Da diese immer weiter
im Kurse gesunken sind — vom Kriegsbeginn bis zur ersten Aus-
gabe der Bons bereits von 86 auf 83 — so war und ist damit ein
starker Anreiz zu solchem, für ihren Besitzer ebenso vorteilhaften
wie für den Staat nachteiligen Umtausch gegeben. Die 3!/,-proz.
Anleihe wurde auf diesem Wege bis auf einen Rest von 30 Mill. frcs.
„voll“ gezahlt, d. h. großenteils in solche Bons umgewandelt. Aber
dieser Anreiz muß noch nicht stark genug gewesen sein, denn noch
vor JahresschlußB wurde die Notenbank ermächtigt, diese Bons bei
mindestens dreimonatiger Laufzeit zu diskontieren und außerdem im
Lombard zu 80 v. H. ihres Nennwertes zu beleihen. Je mehr von
diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird, um so mehr läuft die
ganze Operation hinaus auf eine weitere, indirekte Beanspruchung
der Notenbank durch den Staat. Auch war der Absatz der Bons im
Publikum lange Zeit dadurch sehr erschwert, daß die Banken auf
Grund des Moratoriums die Guthaben ihrer Kunden für die Zeich-
nung und Einzahlung auf die Bons nicht freigaben.
Ueberhaupt war der Gebrauch, den die französischen Kredit-
institute mit wenigen Ausnahmen vom Moratorium machten, lange
1) Von der Unterbringung solcher im Auslande ist weiterhin noch die Rede.
2) Schwarz gibt (im „Finanzarchiv“, 1916, Bd. 1) die Laufzeiten, abweichend
von allen anderen Angaben, auf 3, 6 und 9 Monate an. Die dreimonatigen seien später
nur zu 4 v. H. begeben worden.
742 H. Köppe,
Zeit hindurch der denkbar weitestgehende, so daß während dieser
Zeit nicht einmal die Einlösung der Coupons der Staatsrente von
ihnen zu erlangen war. Das Publikum wandte sich daher von ihnen
ab und der Notenbank zu, deren Konto- und Giroeinlagen dadurch
von 688 Mill. frcs. bei Kriegsbeginn auf 2317 Mill. frcs. im Früh-
jahr 1915 stiegen, wogegen die Einlagen bei den großen Kredit-
banken, besonders dem Credit Lyonnais und der Societe generale,
und damit deren Hauptbetriebsmittel immer mehr zurückgingen. So
z. B. bei der letztgenannten Gesellschaft, nach ihrer Bilanz von Ende
1914, bis auf die Hälfte des Bestandes gegen den Schluß des Vor-
jahres. Erst im Laufe des Jahres 1915 schränkten die Banken die
Anwendung des Moratoriums nach und nach ein, worauf ihre Ein-
lagen wieder stiegen und ihre Lage sich demgemäß besserte. Am
8. Februar 1915 mußte daher der Finanzminister im Parlamente
mitteilen, daß 34 v. H. der dreimonatigen Bons bei Verfall nicht
hatten erneuert werden können. Ein Vierteljahr später konnte er
angeben, daß von den Bons nunmehr 4975 Mill. fres. untergebracht
seien, davon 600 Mill. frcs. in England. Ihre Emissionsgrenze, die
durch Dekret vom 6. Dezember 1914 auf 1100 Mill. frcs. bestimmt
und seitdem wiederholt hinaufgesetzt worden war, ward im Mai 1915
weiter von 4500 auf 6000 und, nachdem sie um 150 Mill. frcs. über-
schritten worden, im Juli auf 7000 Mill. frcs. erhöht. Gleichzeitig
wurde durch eine offiziöse Mitteilung im „Temps“ bekannt, daß bis
Mitte Juli 6140 Mill. frcs. Bons gezeichnet seien. Von Mitte August
ab gaben auch die Postämter Nationalverteidigungsbons zu 20 und
5 frcs. aus, von denen die ersteren 8, die letzteren 2 centimes Zinsen
monatlich tragen und nach Jahresfrist zu 21 und 5,25 frcs. eingelöst
werden, sofern ihr Besitzer nicht den Umtausch in neue Bons vor-
zieht. Sie bilden also eine Art verzinslicher Kassenscheine, die den
unverzinslichen Banknoten eine unerfreuliche Konkurrenz machten
und eine billige Gelegenheit boten, den Patriotismus von der finan-
ziellen Seite zu zeigen. Es soll den Kleinbürgern nämlich ein kind-
liches, sportmäßiges Vergnügen bereitet haben, ihre Kapitalanlage in
recht vielen solchen kleinen Abschnitten zu machen und sich der
Masse dieses papierenen Besitzes sowohl zu freuen als zu rühmen.
Die Ausgabe der Bons sollte nach Erklärung der Regierung
ursprünglich nur zur Rückzahlung fällig werdender älterer Staats-
schatzscheine erfolgen, wozu sie auch zum Teil Verwendung gefunden
haben. Zu ihrer Unterbringung im Publikum wurde eine ganz ähn-
liche Propaganda wie zur Ablieferung des Goldes an die Notenbank
betrieben. Nicht nur ihre Zeichnung, sondern auch ihre möglichste
Verwendung als Zahlungsmittel, als „zinstragende Banknote mit
festem Rückzahlungstermin“!), die ja selbst wieder als Reklame
1) Es wurde sogar der Plan aufgebracht, die Bons mit dem gesetzlichen Charakter
von Banknoten in den öffentlichen Zahlungsverkehr einzuführen. Hiergegen nahm
allerdings die Regierung in einem offiziösen Artikel des „Temps“ Stellung unter Hin-
weis auf die großen Gefahren, die sich für das Notenbankwesen und den Staatskredit
daraus ergeben müßten.
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe etc. 743
wirkte, wurde in einem in allen Blättern veröffentlichten offiziösen
Aufrufe für patriotische Pflicht erklärt. Die Handelskammern wurden
angewiesen, für einen Teil des Erlöses ihrer Papiergeldausgabe solche
Bons zu kaufen, so daß aus der Kleingeldnot eine patriotische Tu-
gend gemacht wurde. Bei der ersten Zeichnung, die 217 752000 frcs.
ergab, entfielen auf die dreimonatigen Bons 118,80 Mill, auf die
sechsmonatigen 33,70 Mill., auf die zwölfmonatigen 65,10 Mill. frcs.
Das war ein Fiasko, aber nach dem „Temps“ war die Regierung
befriedigt, da die Zeichnung im großen Publikum kaum bekannt ge-
worden sei (!). Wenn man dagegen hält, daß Deutschland in 10 Tagen
4460,7 Mill. M. erste Kriegsanleihe aufbrachte, so sprechen diese
Gegensätze für sich selbst. Sie zeigen, daß Patriotismus und Chau-
vinismus zwei sehr verschiedene Dinge sind, deren Grenzen ungefähr
in derselben Richtung wie die Reihe der aufzubringenden finan-
ziellen Kriegsopfer verläuft. Dieser Mißerfolg spornte zu den äußer-
sten Anstrengungen für die Vermehrung des Umsatzes an, die denn
auch, besonders durch die Hilfe der Notenbank, mit der Zeit Erfolg
hatten. Bis Ende November waren 700 und Mitte Dezember 1914
1050 Mill. frcs. Bons gezeichnet, bis zum 21. Januar 1915 nach
Ribot sogar über 2,7 Milliarden, einschließlich der ausländischen
Uebernahmen. Ende Juli waren nach amtlichen Mitteilungen 6468
Mill. frcs. an Bons ausgegeben. Wie schon erwähnt, wurden diese
Bons auch im Auslande untergebracht. So im Januar 1915 für 10
Mill. £ = 255 Mill. frcs. in England und im April 1915 für 30
Mill. $ = 157,5 Mill. frcs. in den Vereinigten Staaten. In England
vermittelte die Bank von England ihre Unterbringung und gewährte
auch Erleichterungen für ihre Lombardierung. Der Erlös diente zur
Bezahlung von Kriegslieferungen. Ein Teil der Bons wurde von
London aus in New York untergebracht. In den Vereinigten Staaten
übernahmen die Bankfirmen Morgan u. Co., First National Bank
und National City Bank die nach 1 Jahre fälligen Bons zum Preise
von 994, v. H.
Neben der Unterbringung von Nationalverteidigungsbons im
Auslande ging die Aufnahme von kurzfristigem ausländischen Kredit
durch Ausgabe von gewöhnlichen Schatzwechseln (Schatzscheinen)
einher. Zunächst wurden im September 1914 2 Mill. £ 5-proz.
Schatzwechsel mit einjähriger Laufzeit auf dem englischen Geld-
markte untergebracht. Sodann Anfang November 10 Mill. $ 6-proz.
Schatzscheine mit gleicher Laufzeit durch Vermittlung der New
Yorker National City Bank in den Vereinigten Staaten. Weiter
eröffnete Mitte März 1915 das Bankhaus Lazard freres in New York
der französischen Regierung einen Kredit von 20 Mill. $. Ende
Juni liehen ferner Morgan u. Co. 40 Mill. $ auf 5-proz. Schatz-
scheine gegen Verpfändung von amerikanischen Wertpapieren, die
ein französisches Bankensyndikat unter Führung des Hauses Roth-
schild für Rechnung der französischen Regierung zu diesem Zwecke
erwarb. Endlich erhielt diese im Mai 1915 in London durch Ver-
mittlung der Bank von England einen Kredit von 62 Mill. £ gegen
744 H. Köppe,
5-proz. Schatzwechsel und gegen Abgabe von 20 Mill. £ Gold an
diese Bank. Von ihm wird weiterhin noch die Rede sein. Alle
diese Vorschüsse dienten ebenfalls zur Bezahlung von Heeresliefe-
rungen und standen unter dem noch näher zu erörternden Gesichts-
punkte der Stützung der auswärtigen Wechselkurse }).
Die Einrichtung der Bons fand Nachahmung durch die Stadt
Paris, die im Oktober 1914 117 Mill. fres. 6-proz. Bons mit ein-
jähriger Laufzeit zur Bestreitung der Kosten der Kriegswohlfahrts-
pflege ausgab.
b) Die Nationalverteidigungsobligationen.
Der zweite Typ von Kriegsschatzscheinen sind die obligations
de la défense nationale, welche erst nach 10 Jahren rück-
zahlbar sind. Ihre Ausgabe wurde angeordnet durch ein Gesetz vom
10. Februar 1915. Sie sollte fortlaufend zum Kurse von 96,50 in
unbegrenzter Höhe erfolgen. Die --- angesichts der Riesenverluste
der Großkapitalisten an Auslandwerten — hauptsächlich für die
Verhältnisse der kleinen Sparer berechneten Obligationen sind steuer-
frei und mit 5 v. H. verzinslich. Sie lauten über Beträge von 100,
500 und 1000 frcs. Die am 16. Februar und 16. August jährlich
fälligen Zinsen sind — ein unerhörter Vorgang in der Finanz-
geschichte nicht nur Frankreichs, sondern aller Kulturvölker —
praenumerando zahlbar. Die Rückzahlung der Obligationen soll
am 15. Februar 1925 zu Pari erfolgen, doch kann die Regierung sie
vom Jahre 1920 ab unter Ersatzleistung für den Zinsverlust jeder-
zeit einlösen. Ihr Umtausch in Stücke aller künftigen, bis zum
1. Januar 1918 auszugebenden Staatsanleihen wurde für statthatt
erklärt und demgemäß auch bei der späteren „Siegesanleihe” zu-
gelassen. In diesem Falle sind die Obligationen anzunehmen zu
ihrem Ausgabekurse von 96,50 unter Hinzurechnung des sich für
die Besitzdauer rechnerisch ergebenden Anteils an der Rückzahlungs-
prämie, nämlich an dem Unterschiede zwischen dem Ausgabe- und
dem Parirückzahlungspreise, jedoch abzüglich der für das laufende
Halbjahr vorausgezahlten Zinsen. Diese Umtauschmöglichkeit ent-
spricht der mit der Ausgabe der 3",-proz. Anleihe in Frankreich
aufgekommenen Gewohnheit, bei jeder neuen Anleihe, die zur Aus-
gabe gelangt, ihren Umtausch in eine später aufzulegende zu ge-
statten. Anderseits wurden, wie schon bei den Nationalverteidigungs-
bons, so auch bei der Ausgabe dieser Obligationen die Stücke der
31/,-proz. Anleihe zu ihrem Ausgabepreise von 91 zuzüglich der lau-
fenden Zinsen als Gegenwert in Zahlung genommen, unter der Vor-
aussetzung jedoch, daß sie bis zum 31. Januar 1915 vollgezahlt
waren. An nicht vollgezahlten liefen damals, trotz des Eingreifens
der Bank von Frankreich, noch 250 Mill. frcs. um. Ebenso durften
1) Die hier aufgeführten Kredite sind die bekannt gewordenen. Es ist nicht aus-
geschlossen, daß noch weitere ausländische Bankkredite aufgenommen worden sind.
Schwarz nimmt ihre Gesamthöhe auf 2 Milliarden M. an.
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 745
die Besitzer von Nationalverteidigungsbons kraft eines „Vorzug-
zeichnungsrechtes“ diese beim Erwerb von Obligationen unter Abzug
der im voraus vergüteten Zinsen zu Pari in Zahlung geben. Die
Bezahlung hatte sogleich bei der Zeichnung, die vom 25. Februar
ab erfolgen durfte, zu geschehen. Neben diesen Obligationen wurden
wahlweise auch solche mit nur dreijähriger Laufzeit zum Preise von
101'/, v. H., rückzahlbar zu Pari, angeboten. Die Bank von Frank-
reich beleihet beide Arten bis zu 80 v. H. ihres Nennwertes.
Die Bedingungen dieser Anleihe sind außerordentlich schwere
für den Staat. 5 v. H. im voraus zahlbare Zinsen, gegen 3!/, vor
einem halben Jahre, mußte er samt einem Kursgewinn von 31), v. H.
und der in der Kammer heftig angefochtenen Steuerfreiheit garan-
tieren. Die effektive Verzinsung dieser Obligationen stellt sich auf
5,6 v. H. Der Ausgabekurs war um 1 v. H. niedriger als derjenige
der gleichfalls 5-proz. ersten deutschen Kriegsanleihe. Ribot recht-
fertigte diese Bedingungen damit, daß die verfügbaren Kapitalien zur
Zeit schwer erhältlich seien, da man für die Zeit nach Beendigung
des Krieges große, von allen Seiten kommende Kapitalansprüche für
industrielle Zwecke wie für Staatsbedürfnisse erwarte und der Zins-
fuß dann höher als jetzt sein könne. Daher sei es angebracht, den
gegenwärtigen Zeichnern die Gewißheit zu geben, daß sie dabei
nichts einbüßen werden, indem sie die jetzt gezeichneten Obligationen
entweder bis zu ihrem Verfall behalten oder in Titres der konsolidierten
Anleihen umtauschen können. Das in diesen Ausführungen liegende
Zugeständnis der spekulativen Zurückhaltung des französischen Ka-
pitals ist sehr beachtenswert. In der Tat hielten sich trotz allen
charakteristischen Phrasengeklingels die großen und kleinen Kapita-
listen auch dieser Anleihe gegenüber stark zurück. Bis zum 5. März
waren von den neuen Obligationen erst 600 Mill. gezeichnet, bis
zum 21. März, nach Ribot, 1060 Mill. frcs., davon 575 Mill. durch
Umtausch von 3!/,-proz. Rente und 153 Mill. durch Umtausch von
Nationalverteidigungsbons, so daß 332 Mill. bar eingegangen sein
würden, während Ribot nur 253 Mill. Barzahlungen angab. Die
Befriedigung, die er gleichzeitig über dieses klägliche Ergebnis aus-
drückte, wird ihm von keiner Seite mißgönnt worden sein.
Die Ausgabe von Nationalverteidigungsobligationen wurde bis
zum 20. November 1915, dem Tage ihrer vorläufigen Einstellung,
nach Kräften fortgesetzt und erreichte nach Ribot Mitte Juni 1915
die Summe von 2214, Mitte Juli diejenige von 2300 Mill, von
welchen letzteren aber 700 Mill. auf den Umtausch von 3!/,-proz.
Rente entfielen, und schließlich die Höhe von 3,6 Milliarden. Auch
für die Ausgabe dieses Papieres war die wiederholte Bewilligung
eines jedesmal erhöhten Höchstbetrages durch die Kammern die ge-
setzliche Form. So wurde Ende Juli 1915 ihr Höchstbetrag auf
7 Milliarden hinaufgesetzt. Die von den Kammern bewilligten
Kriegskredite betrugen bis Mitte Juli insgesamt rund 17750 Mill.
frcs. Am 16. September forderte die Regierung vom Parlamente
weitere 6,1 Milliarden. Bis Mitte Juli 1915 waren an Bons 6140
746 H. Köppe,
Mill. und an Obligationen, ohne den Umtausch in 3!/,-proz. Rente,
1600 Mill. frcs., zusammen also an Kriegsschatzscheinen 7740 Mill.
untergebracht. Ende August 1915 war diese Gesamtzahl nach amt-
lichen Angaben auf 7872 Mill. gestiegen !). Davon sind jedoch ab-
zuziehen die für den Bezug von Obligationen in Tausch gegebenen
Bons, da insoweit sonst Doppelzählung vorliegen würde, ferner die
für die Bons in Tausch gegebenen Beträge an 3!),-proz. Anleihe, so-
dann der Unterschied von 3! v. H. zwischen dem Nennwert und
dem Ausgabekurs bei allen Nationalverteidigungsobligationen und
endlich die im Auslande untergebrachten 412,5 Mill. fres. Bons, so-
weit sie in den amtlichen Gesamtziffern, was sehr leicht möglich
ist, mit enthalten sind. Erst der danach verbleibende Rest wäre das,
was das französische Volk an Kriegsanleihe bis dahin aufgebracht
hat. Es ist klar, daß dieser Rest jedenfalls ein kläglich geringer
Betrag ist, sowohl an sich wie verglichen mit dem Kriegskosten-
erfordernis, das bis zum 1. Juli schon 13—14 Milliarden frcs. be-
trug, namentlich aber auch mit den 13563,7 Mill. M., die das
deutsche Volk bis zum selben Zeitpunkte in Gestalt der Erträge
seiner ersten beiden Kriegsanleihen aufgebracht hatte. Nach sach-
kundigen Schätzungen in Frankreich selbst sollen um die Mitte
Juni 1915 etwa 5—6 Milliarden frcs. durch Thesaurierung ihrer
Nutzbarmachung sowohl für den Kriegsbedarf als für die Bedürf-
nisse des Verkehrs entzogen gewesen sein, davon nicht weniger als
3 Milliarden in Goldmünzen ?), !/, Milliarde in silbernen Fünffranken-
stücken und 2 Milliarden in Banknoten. In engstem Zusammenhang
damit stand die fortgesetzte Ueberholung der neuen Einlagen bei
den Sparkassen durch die Abhebungen. Im Jahre 1914 betrug das
Mehr der Abhebungen über 114!/, Mill. frcs. und in den drei
ersten Wochen des Januar 1915 834000 frcs. In seiner Reichstags-
rede vom 16. März 1916 teilte der Staatssekretär Helfferich mit,
daß der Betrag der Sparkasseneinlagen in Frankreich seit Kriegs-
ausbruch einen Rückgang von 280 Mill. frcs. erfahren hat, bei
uns seit Kriegsausbruch im Jahre 1914 und für das Jahr 1915 zu-
sammen einen Zugang, der auf 4600 Mill. M. zu berechnen ist.
Daraus sind etwa 4500 Mill. zu Einzahlungen auf die drei ersten
Kriegsanleihen verwendet worden.
4. Die gegenseitigen finanziellen Beziehungen unserer verbündeten
Feinde.
Nach der im Senate vom Berichterstatter Aimond gegebenen
Uebersicht verteilten sich die vom 1. August 1914 bis Ende Oktober
1915 vorgenommenen Kreditoperatonen, ohne die in diesen Monat
1) Die abweichenden Angaben im „Bankarchiv“, XIV, 1, S. 14, scheinen Doppel-
zählungen zu enthalten.
2) Nach Hantos, a. a. O. S. 61, sogar 3'/, Milliarden. Manche Schätzungen
gehen bis zu 5 Milliarden.
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe etc. 747
fallende englisch-französische Anleihe in den Vereinigten Staaten,
folgendermaßen (in Mill. frcs.):
Vorschüsse der Bank von Frankreich 7 000
” " ”» Algier 75
Nationalverteidigungsobligationen :
a) Barzeichnungen 2 388,178
b) in Umtausch gegen Bons 345,620
Nationalverteidigungsbons:
a) Ertrag der bisherigen Ausgaben abzüglich
Zinsen und Rückzahlungen 8 319,588
b) in Umtausch von 3!/,-proz. Rente 462,263
Ausländische Ausgaben von Nationalverteidigungs-
bons und Anleihen:
a) England 1 028,976
b) Vereinigte Staaten 135,716
19 755,341
Wie wenig alle diese Finanzoperationen ihren Zweck erreichten,
geht daraus hervor, daß nach den für das französische Parlament
bestimmten amtlichen Uebersichten!) die monatlichen Kriegskosten
im Durchschnitt betrugen:
Heeresausgaben Gesamtausgaben
Millionen fres.
von August bis Dezember 1914 805 1365
im ersten Halbjahr 1915 1100 1665
, III. Quartal 1915 1300 1870
und später, wie folgt, stiegen:
im IV. Quartal 1915 1570 2150
u € y 1916 1750 2505
Nach Helfferich (am 16. März 1916 im Reichstage) sollen sie jetzt
nahezu 80 Mill. frcs. pro Tag = 2400 Mill. pro Monat betragen
und ungefähr ebenso hoch wie die unserigen sein. Doch hat Ribot
kurz darauf in der Kammer sie auf 93 Mill. fres. pro Tag beziffert.
Ferner daraus, daß die Regierung den Heereslieferanten noch viel
schuldete, daß die Golddeckung der Noten längere Zeit unter !/;
sank, daß endlich der Finanzminister die Pariser Großbanken auf-
fordern mußte, alle ihre verfügbaren Gelder ihm gegen 5!/,-proz.,
zu Pari überlassene Schatzwechsel mit 6-monatiger Laufzeit zur Ver-
fügung zu stellen. Der Betrag der militärischen Ausgaben ward von
Ribot für die Zeit von Kriegsbeginn bis Ende 1915 auf 20843 Mill.
und der Gesamtbetrag der Kriegskosten auf 28374 Mill. frcs. ver-
anschlagt. Aber im November schätzte der Generalberichterstatter
der Kammer für das Budget die erstere Summe auf 21438 Mill. frcs.
Dazu kamen noch die Folgen einer Mißernte in Frankreich. Den
Ausfall an Getreideernte schätzte der Statistiker Edmond Thery auf
20 Mill. Zentner, was eine weitere Verschlechterung der Handels-
bilanz um 700 Mill. frcs. nach sich zog. Unter diesen Umständen
kam die Notwendigkeit der Aufnahme einer festen Anleihe den maß-
gehenden Stellen immer mehr zum Bewußtsein. Ehe von der Aus-
1) Vgl. „Oesterr. Volkswirt“, Jahrg. 8, No. 12, S. 188.
748 H. Köppe,
reifung dieser Pläne die Rede ist, bedürfen jedoch die finanziellen
Abmachungen zwischen Frankreich und seinen Verbündeten und
ihre Durchführung nocheiner die darüber bereits gemachten Angaben
ergänzenden Darstellung.
Die schwache finanzielle Position Rußlands erforderte sehr bald
weitere Unterstützungsmaßnahmen durch seine beiden Hauptver-
bündeten. Rußland ist für die Bezahlung sowohl der Zinsen seiner
vornehmlich in Frankreich untergebrachten Riesenanleihen als auch
seiner hauptsächlich aus Nordamerika und Japan bezogenen Kriegs-
lieferungen in starkem Grade auf seine Verbündeten angewiesen.
Mit dem Golde seiner Staatsbank, dessen vielgerühmte und oben
angegebene Höhe im Laufe dieses Krieges verdächtig erschienen ist
und überdies durch die erzwungene Abgabe von Gold an die Bank
von England geschwächt wurde, konnte es die Unsummen, um die
es sich dabei handelte, natürlich nicht bezahlen. Seine große Aus-
fuhr an Bodenerzeugnissen, mit der es im Frieden seinen Bedarf
an gewerblichen Erzeugnissen zu bezahlen pflegt, ist durch die
Sperrung seiner europäischen Landgrenzen sowie der Ostsee und
des Schwarzen Meeres infolge des Krieges weggefallen. Es kann
also nur mit immer neuen Schulden oder mit Geldern, die seine
Verbündeten ihm leihen, seine Verbindlichkeiten beider Arten be-
gleichen. Der erstere Weg hat seine Schwierigkeiten und Grenzen
hauptsächlich in der fehlenden Fähigkeit und Gewilltheit seines Geld-
marktes und seiner Volksmasse, diese Lasten auf sich zu nehmen.
So muß Rußland denn von seinen zwar im Grunde nicht reicheren,
aber finanziell liquideren Verbündeten mitdurchgeschleppt werden —
eine schwere Last für diese, zumal angesichts der großen Ent-
täuschungen, die Rußland ihnen in bezug auf seine militärischen
Leistungen bereitet hat.
Nach übereinstimmenden Meldungen räumten französische und
englische Kreditinstitute auf Veranlassung ihrer Regierungen der
russischen Regierung im Januar 1915 einen Kredit von 1, Milli-
arden frcs. ein, wovon England eine, Frankreich eine halbe übernahn.
Ob mit dieser Uebernahme eine Garantieleistung der beiden Re-
gierungen gegenüber den Banken gemeint sein soll, ist aus der Form
der Meldungen nicht erkennbar. Frankreich lieh also seinem Ver-
bündeten die Mittel, damit dieser die Zinsen seiner in Frankreich
untergebrachten Anleihen den französischen Gläubigern bezahlen
konnte. Anderenfalls wäre der finanzielle Ruin der französischen
Geldbesitzer, auf deren Hilfe die französische Regierung für die
Aufbringung ihrer Kriegführungsmittel angewiesen ist, und die sie,
wie wir sahen, nur sehr schwer erlangen kann, besiegelt gewesen.
Ferner trafen die drei Staaten ein um die Mitte März 1915 bekannt
gewordenes Abkommen, wonach England und Frankreich sich bereit
erklärten, für die ganze Dauer des Krieges alle russischen Verbind-
lichkeiten aus Kriegslieferungen in Paris, London und New York,
außerdem die dort fälligen Zinsen aller russischen Anleihen, und
endlich auch die auf Rußland entfallenden Anteile der Belgien,
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 749
Serbien und Montenegro gewährten Unterstützungen vorschußweise
zu bezahlen. Als Sicherheit für die Erstattung dieser Vorschüsse
verpfändete Rußland alle in Odessa lagernden Getreidevorräte. Die
Richtigkeit dieses Geschäftsabschlusses wurde um die Mitte April
vom russischen Finanzminister bestätigt, der die bis dahin gewährten
Vorschüsse auf 650 Mill. frcs. angab. Endlich verfügte Ribot um
dieselbe Zeit die Schaffung von zinslosen Schatzscheinen, die von
der Bank von Frankreich diskontiert werden sollten, zur Darleihung
an Rußland, damit dieses in Frankreich seine Militärlieferungen und
seine Schuldenzinsen bezahlen könne. Als wichtigste Gegenleistung
für diese notgedrungenen Dienstleistungen mußte die russische Staats-
bank von ihrem Goldbestande wiederholt erhebliche Beträge an die
Bank von Frankreich abgeben. Damit wird hier ein Punkt von be-
sonderer Wichtigkeit berührt.
Wie wir bereits mehrfach zu sehen Gelegenheit hatten, lag
England nach der ganzen Lage der Verhältnisse die Sorge ob, nicht
nur Rußland finanziell durchzuhelfen, sondern auch Frankreich im
Hinblick auf die Schwierigkeiten, mit denen seine Volkswirtschaft
und seine Kreditinstitute zu kämpfen hatten, die Bezahlung seiner
für den Kriegsbedarf gemachten Auslandschulden zu erleichtern. Die
Uebernahme von Nationalverteidigungsbons und Schatzwechseln sc-
wie die Kreditgewährung zur Bezahlung von Heereslieferungen von
Seiten Englands hatten diesem Zweck gedient. Trat England solcher-
weise wie auch durch die fortlaufende bare Unterstützung der
kleineren Verbündeten und derjenigen Staaten, die solche werden
sollten, für seine Mitkämpfer direkt oder durch Finanzierung ihrer
Verpflichtungen ein, so mußte es auch dafür sorgen, die Quellen
seiner eigenen Finanzkraft ergiebig zu gestalten. Die Hauptquelle
ist der Goldbestand der Bank von England. Daher die bei der Dar-
stellung der englischen Kriegsanleihen näher zu erörternden Zu-
sammenraffungen von Gold und Ueberführungen desselben nach
London, wie die Entführung des Metallschatzes der belgischen
Nationalbank, der indischen Währungsreserve und des ägyptischen
Staatsschatzes. Daher die Beschlagnahme aller Goldbestände Ka-
nadas, Südafrikas und Australiens und der gesamten südafrikanischen
Golderzeugung. Nach gleicher Richtung gingen nun auch die Ent-
ziehungen von Gold aus der Bank von Frankreich und der russischen
Staatsbank, denen sich Frankreich und Rußland unterwerfen mußten,
um Englands Dienste zu erlangen. Waren doch die Goldreserven
dieser beiden Zentralnotenbanken die weitaus größten aller Gold-
bestände der alten und der neuen Welt. England dachte nicht
daran, angesichts dieser Reserven seiner Hauptverbündeten deren
Schulden unter Schwächung seines eigenen Goldvorrates zu be-
zahlen. Eine Schwächung wäre namentlich insofern damit ver-
bunden gewesen, als England den mit dem Rückgang seiner Ausfuhr
und der wachsenden Einfuhr von Kriegsmaterial aus den Vereinigten
Staaten sich immer mehr verschlechternden Stand seines Wechsel-
kurses gegen New York wirksam und dauernd nur zu stützen ver-
750 H. Köppe,
mochte durch wiederholte Goldversendungen dorthin. Indem es
seinen Verbündeten deren Kriegslieferungsschulden an Amerika be-
zahlen half, hätte es seine eigene Stellung Amerika gegenüber noch
ganz erheblich verschlechtert, wenn es nicht gleichzeitig für Auf-
füllung seines Goldvorrates aus den Beständen dieser selben Ver-
bündeten Sorge trug.
Daher mußten diese beiden Länder sich verpflichten, England
die zur Durchführung seiner Goldzahlungen erforderlichen Mengen
Gold zur Verfügung zu stellen, sobald die Goldreserve der Bank von
England auf einen gewissen Mindestbestand gesunken sein würde.
Dieser Fall scheint mehrmals eingetreten oder dem Eintritt nahe
gewesen zu sein. ‚Jedenfalls mußte die russische Staatsbank wieder-
holt — wieviel im ganzen, ist nicht bekannt geworden, schon bald
nach getroffenem Abkommen waren es aber 8 Mill. £ — und ebenso
die Bank von Frankreich mehrmals Gold nach London abgeben. Es
wurde bereits erwähnt, daß die französische Regierung im Mai 1:15
gegen Abgabe von 20 Mill. £ Gold an die Bank von England von
dieser einen Kredit von 62 Mill. £ erhielt. Die näheren Umstände
dieser Kreditoperation waren die, daß auf Grund einer Abmachung
vom 30. April 1915 die Bank von England 1550 Mill. fres. Schatz-
wechsel mit 3—6-monatiger Laufzeit der französischen Regierung
diskontierte, deren regelmäßige Erneuerung bei Fälligkeit für die
Zeit bis zu einem Jahre nach Friedensschluß stattfinden sollte. Die
Bank von England sollte diese Wechsel nicht weitergeben dürfen.
Dagegen verpflichtete Frankreich sich zur Abgabe von 500 Mill. fres.
= 20 Mill. £ Gold an die Bank von England, die nach Einlösung der
Schatzwechsel zurückzugeben sind. Diese Goldabgabe fand nach und
nach statt und griff den Goldbestand der Bank stark an. Sie verlor
dadurch alles seit Kriegsbeginn aus dem Verkehr herausgezogene
Gold und noch weit darüber hinaus, und es bedurfte großer An-
strengungen, um diese Lücke allmählich wieder auszufüllen. Den
Hauptvorteil davon hatten aber die Vereinigten Staaten, denen von
diesem Golde zweifellos ein ansehnlicher Teil zur Hebung des Ster-
lingkurses zugeflossen ist!) Nach Ribots Mitteilungen waren die
1550 Mill. fres. der Gesamtbetrag, den Frankreich, von Anfang
Februar an, in den nächsten 6 Monaten in England, Kanada und
den Vereinigten Staaten für Kriegslieferungen zu bezahlen hatte.
und wurden davon zunächst 1050 Mill. henötigt. Ausdrücklich hob
er hervor, daß das dafür hingegebene Gold zur Stärkung des Ster-
linekurses in New York dienen solle. Die Bestellungen von Kriegs-
material würden behufs Erzielung soliderer Preise und überhaupt
1) Nach der „Neuen Züricher Zeitung“ sollen 200 von jenen 500 Mill. fres. in
der Woche vom 22.—29. August nach Amerika geschafft worden sein. Die „Daily News’
wußten darüber aus New York zu berichten, daß im August 4 Mill. £ in Gold und
5 Mill. £ in Wertpapieren an Morgan gesandt und von Halifax auf der Bahn unter
Bewachung durch Bewaffnete nach New York geschafft worden seien, um zur Bezahlung
von Munitionslieferungen zu dienen und den Wechselkurs zum Sinken zu bringen.
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 751
günstigerer Einkaufsbedingungen, sowie damit Frankreich Kredite,
die es in den Vereinigten Staaten nicht erhalten könne, in England
bekomme, von den Verbündeten künftig gemeinschaftlich vorge-
nommen werden.
III. Die auswärtigen Wechselkurse und die englisch-französische
Anleihe in den Vereinigten Staaten.
Damit sind wir beim Thema der Wechselkurse und der Be-
mühungen zu ihrer Hebung angelangt. Hier ist in dieser Hinsicht
nur auf Frankreich näher einzugehen. Mit dem Rückgang seiner
Ausfuhr durch den Krieg und dem Anschwellen seiner Einfuhr durch
den Bezug von Kriegsmaterial aus dem Auslande sah Frankreich
seine Wechselkurse sich mehr und mehr verschlechtern. Vom Februar
1915 ab trat diese Verschlechterung allgemein in Erscheinung, nach-
dem bis dahin nur die Devise Holland etwas über Pari gestiegen
war. Sie nahm zu, je passiver die Handelsbilanz wurde, die einen
Ueberschuß der Einfuhr über die Ausfuhr von 3657 Mill. frcs. (gegen
1269 Mill. in der gleichen Zeit des Vorjahres) für den Zeitraum vom
1. Januar bis 30. September 1915 und schließlich einen solchen von
5 Milliarden fres. für das ganze Jahr 1915 aufwies. Konnte die
wachsende Einfuhr sonach bei weitem nicht mit dem Werte der
Ausfuhr bezahlt werden, so half es auch nicht viel, daß die Bank
von Frankreich im Laufe desselben Jahres ihrer Kundschaft und
dem Geldmarkte Devisen in Höhe von 800 Mill. fres. zur Verfügung
stellte. Die Unterbringung von Nationalverteidigungsbons und Schatz-
wechseln in London und New York und die Aufnahme von aus-
ländischen Bankkrediten hatten, wie wir sahen, den Zweck verfolgt,
Lieferungsschulden an das Ausland durch im Auslande aufgenommene
Kredite zu decken, um den Kurs des regulären internationalen Zah-
lungsmittels, der Devisen auf die Gläubigerländer, nicht noch höher
steigen zu lassen und das Disagio der französischen Währung im
Auslande demgemäß zu vergrößern. Aber diese Erleichterungen
waren bei der fortgesetzten Notwendigkeit neuer Lieferungen nur
von ganz vorübergehendem Charakter, gewissermaßen Tropfen auf
den heißen Stein, und vergrößerten zudem durch die Notwendigkeit
der Verzinsung dieser neuen Schulden noch die Last der Verschul-
dung an die Vereinigten Staaten. Goldausfuhr größeren Umfanges
hätte die metallische Deckung der immer gewaltiger anschwellenden
Masse Noten in höchst gefährlicher Weise verringert. Ebenso fehlte,
wie früher dargelegt, die Möglichkeit der Verrechnung der Zinsen
von den großen Massen der im französischen Besitz befindlichen
ausländischen Wertpapiere oder der Abstoßung erheblicher Teile
dieses Besitzes. Auch die Einführung des Nachweises eines kom-
merziellen Bedürfnisses auf Seiten der Devisenkäufer konnte natür-
lich nicht viel nützen, höchstens die Spekulation in Devisen ver-
hindern. So erreichten die Wechselkurse bald wieder ihren früheren
hohen Stand.
152 H. Köppe,
Der Kurs für Wechsel auf London!) betrug in Paris bei einer
Wechselparität von 25,22 frcs. für 1 £:
am 6. Aug. 13. Aug. 20. Aug. 27. Aug. 3. Sept. 8. Sept. 17. Sept. 24. Sept.
26,95 27,62 27,05 27,70 27,62 27,77 27,28 27,65
Der Kurs für Wechsel auf New York betrug in Paris bei einer -
Parität von 5,18!/, frcs. für 1 $:
am 6. Aug. 13. Aug. 20. Aug. 27. Aug. 3. Sept. 8. Sept. 17. Sept. 24. Sept.
5,645 5,825 5,825 5,99 5,99 5,975 5,80 5,86
Der letzte Stand von 5,86 entspricht einem durchschnittlichen Dis-
agio der französischen Valuta von 16 v. H., während der Kurs des
Pfundes Sterling in New York in der ersten Hälfte des September
ein Disagio von fast 12 v. H. erreichte.
Diese England und Frankreich gemeinsame üble Lage, die nahezu
als Devisenkrisis bezeichnet werden konnte, außerdem aber auch die
Aussicht, bei gemeinsamem Vorgehen einen größeren Kredit und
günstigere Bedingungen zu erlangen, drängte die beiden Regierungen
dahin, die gemeinsame Aufnahme einer großen Anleihe im Auslande
zur Hebung und Festigung des Wechselkurses zu versuchen. In
Betracht kamen dafür nur die Vereinigten Staaten als Haupt-
lieferanten des zu bezahlenden Kriegsmaterials und zugleich als das
einzige neutrale Land, das über das nötige Geld verfügte und dessen
Regierung schon Beweise genug dafür geliefert hatte, daß man sich
auf sie für jede wirksame indirekte Unterstützung, deren die Entente-
mächte zu ihrer Kriegführung bedurften, verlassen konnte. Haben
doch bis Ende 1915 die Kriegslieferungen der Union an unsere
Gegner einen Wert von über 5 Milliarden Mark erreicht, und
hat doch der Ueberschuß ihrer Ausfuhr über ihre Einfuhr in der
Zeit vom Dezember 1914 bis Ende Oktober 1915 einen Wert von
1534 Mill. $ dargestellt gegen 270 Mill. im entsprechenden Zeit-
raum der Jahre 1913/14. Daher reiste auf Grund einer Besprechung
der beiderseitigen Finanzminister Ribot und M’Kenna und nach
Verhandlungen des letzteren mit den Mitgliedern des Londoner
clearinghouse ein Ausschuß von vier englischen und zwei französi-
schen Finanzleuten (zu welchen letzteren ein Vertreter der Bank von
Frankreich gehörte), an dessen Spitze die englische Finanzgröße
Sir Edward Holden, Leiter der London City and Midland Bank
und Lord Reading, der Lord-Oberrichter (lord chief justice) von
England, standen und der als freiwilliger Berater Sir Ernest Cassel
sich anschloß, nach New York, wo sie am 9. September eintrafen
und mit Morgan in Verhandlungen eintraten. Dieser gab ihnen zu
Ehren ein Empfangsfest, zu dem 175 amerikanische Bankiers und
Geschäftsleute eingeladen waren. Darauf setzte sich Morgan mit
etwa 600 Bankvertretern und Bankiers, die er zu einer Versammlung
in das Waldorf-Astoria-Hotel einlud, in Einvernehmen. John D.
Rockefeller, der reichste Mann Amerikas, lehnte seine Beteiligung
1) Die beiden folgenden Uebersichten nach Zusammenstellungen in der „Frank-
furter Zeitung“.
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe etc. 753
ab, doch ließ sich sein Sohn von Morgan zuziehen. Von den großen
Banken förderten besonders die bereits früher erwähnte National
City Bank und von seiten der Trusts die Standard Oil Company
das Unternehmen, nachdem die Absicht, die Bezahlung der Kriegs-
lieferungen mit Hilfe der amerikanischen Lieferanten selbst, und
zwar dahin zu regeln, daß diese und die Banken je die Hälfte des
Darlehens aufbringen sollten, aufgegeben worden war. Hauptgegner
der Sache waren namentlich der vormalige Staatssekretär Bryan,
ferner der einflußreiche Senator Lowis von Illinois, vor allem aber
die Deutsch-Amerikaner. Diese leiteten unter der Führung des
Deutsch-amerikanischen Bundes und seines Präsidenten Hexamer eine
Protestbewegung ein und wirkten nach Kräften auf die Zurückziehung
aller Guthaben von Deutsch-Amerikanern bei solchen Banken, die ihre
Beteiligung nicht ausdrücklich ablehnten. Die amerikanischen Ir-
länder wirkten ebenso eifrig nach gleicher Richtung. Auch die so-
genannte Hearstpresse, genannt nach dem später mit der Lusitania
untergegangenen Zeitungsherausgeber Hearst, nahm gegen die An-
leihe Stellung.
Die Haltung der amerikanischen Bundesregierung war die einer
kaum verhehlten Sympathie für die Anleihe. Sie ließ sich zwar
amtlich über diese nicht aus, erklärte aber offiziös, sie werde sich
nicht mit der Anleihe befassen, da sie das als eine „nicht neutrale
Handlung“ betrachten würde. Der Staatssekretär Lansing äußerte
— mit Rücksicht darauf, daß sein Amtsvorgänger Bryan und auch
der Präsident Wilson sich bei Beginn des Krieges gegen die Zu-
lässigkeit der Aufnahme von Kriegsanleihen in den Vereinigten
Staaten ausgesprochen hatten — die Anleihe sei nicht gegen das
Völkerrecht. Wenn die Regierung früher die Unterbringung von
Kriegsanleihen im Lande für gegen den Geist der Neutralität
gerichtet erklärt habe, so habe sich diese Erklärung ausschließlich
auf nationale Einschreibungen bezogen — womit er wohl die Auf-
legung zur öffentlichen Zeichnung in der Union meinte. Die neue
Anleihe sei aber lediglich eine Handelstransaktion, wie solche bisher
auch schon vorgenommen worden seien. Damit suchte er den An-
schluß an die Politik seines Vorgängers zu gewinnen, der die An-
schauung vertreten hatte, daß „Kreditarrangements“ nicht unter den
Begriff der Kriegsanleihen fielen. Daß eine von zwei Großmächten
für Kriegführungszwecke gemeinsam aufgenommene Milliardenanleihe
kein gewöhnlicher Handelskredit ist, bedarf aber keines Beweises.
Das Reuterbureau ließ sich dazu aus Washington melden: daß sich
die Regierung weder für noch gegen den Anleiheversuch erklären
werde. Sie stehe auf dem Standpunkte, daß sich die beteiligten
Bankiers nicht an sie gewendet hätten, mithin auf eigene Verant-
wortung handelten, und daß dieser geschäftlichen Transaktion keine
Hindernisse im Wege stünden. Die Regierung befolgte also dieselbe
Vogel Strauß-Politik wie gegenüber den Munitionslieferungen. Sie
bewies damit der Entente ein Entgegenkommen, das, in die Form
einer wohlwollenden passiven Neutralität gekleidet, in Wirklichkeit
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 48
754 H. Köppe,
eine wirksame und äußerst wertvolle Unterstützung der Entente-
mächte in ihrer Kriegführung war.
Der benötigte Anleihebetrag war mindestens 1 Milliarde $, da
die Ententemächte damals schon mehr als diese enorme Summe nach
Amerika schuldig geworden waren. Die Anleihe kam aber schließ-
lich, nachdem im September ganz ungewöhnlich große Mengen Gold
aus der Bank von England nach Amerika abgeflossen waren, am
5. Oktober, doch nur in Höhe der Hälfte dieser Summe und nur zu
sehr harten Bedingungen für die Darlehnsnehmer zustande. Der
Abschluß!) geschah auf folgender Grundlage: Ein großes, die ganze
Union umfassendes Garantiesyndikat von Banken, Bankiers und
anderen Geschäftsleuten schloß die Anleihe ab. Es sollen etwa
30000 Geschäftsleute an diesem Syndikate beteiligt sein. Geliehen
wurden von ihm den beiden Regierungen 500 Mill. $ in der Form
der Uebernahme von 5-proz., auf Dollars lautenden Schatzscheinen,
die nach 5 Jahren, also im Jahre 1920, zu Pari rückzahlbar sind.
Der Uebernahmekurs betrug für das Garantiesyndikat 961, ?), für
das Publikum, an das die Anleihe von diesem unter Garantie für
ihre vollständige Unterbringung weiterbegeben wurde, 98 v.H. Nach
Ablauf der 5 Jahre steht den Besitzern der Anleihestücke die Wahl
offen, statt der Rückzahlung den Umtausch in neue 4!/,-proz. An-
leihescheine mit längerer Lauffrist von 10—20 Jahren vorzuziehen.
Diese können schuldnerischerseits mit Ablauf von 10 Jahren seit
dem Zeitpunkte des Abschlusses der ursprünglichen Anleihe, also im
Jahre 1925 eingelöst werden. Der ganze Anleihevertrag war aus-
schließlich für die Bezahlung amerikanischer Lieferungen zu ver-
wenden. Alle am Abschluß auf amerikanischer Seite beteiligten
Finanzleute erhielten den gleichen Gewinn von 1°/, v. H. Kurs-
differenz. Morgans Versuch, noch einen Extragewinn zu erzielen,
mißlang. Ob sie nicht außerdem noch in irgendwelcher Form Profite
dabei gemacht haben, steht dahin. Neutrale Berufsgenossen von
ihnen wollen wissen, sie hätten sich auch von den Lieferanten, zu
deren Bezahlung die Anleihe vermittelt wurde, dafür noch eine be-
deutende Vergütung ausbedungen. Jedenfalls haben sie, da sie die
Kriegslieferungen größtenteils vermittelt hatten, schon hierbei einen
ansehnlichen Gewinn erzielt und also zweimal enorme Profite ein-
geheimst, beim Abschluß und bei der Bezahlung dieser Lieferungen *'.
Eine besondere reale Sicherheit für die Anleihe wurde von den
Unterhändlern im Interesse der Hochhaltung des Kredites ihrer
Regierungen nicht zugestanden, obwohl die Amerikaner eine solche
mit der Versicherung, die Anleihe werde sonst beim Publikum keinen
Absatz finden, durchaus begehrten. Die Einzahlungen hatten mit
je 25 v. H. bis zum 15. Oktober und 15. November, mit 50 v. H.
1) Den die New Yorker Staatszeitung als „die morgan—atische Verbindung
zwischen der amerikanischen Finanzwelt und den Alliierten‘ anzeigte.
2) Er ward mit 96 angegeben, muß aber, da der Verdienst der Banken auf
1°/, v. H. Kursdifferenz festgesetzt ward, 96'/, betragen haben.
3) Vgl. „Oesterreichischer Volkswirt“, Jahrg. 8, No. 2, S. 26.
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 755
bis zum 15. Dezember zu erfolgen. Darüber, in welcher Weise die
Anleihestücke dem Publikum zugänglich gemacht werden sollten,
ob durch öffentliche Aufforderung zur Zeichnung, was mit den
oben wiedergegebenen Erklärungen Lansings in Widerspruch ge-
standen hätte, oder nur durch geschäftsübliche Zirkulare, ist nichts
Sicheres bekannt geworden. Der Ertrag aus dem Besitz der Anleihe
stellt sich unter Berücksichtigung des Ausgabekurses und des bei
der Rückzahlung sich ergebenden Kursgewinnes auf 6 v. H., nach
anderen Berechnungen infolge von allerhand angeblich versteckten
Vergütungen sogar bis zu 7 v. H.
Unbekannt ist geblieben, wie sich England und Frankreich in
den Erlös der Anleihe und dementsprechend in die Last der Ver-
zinsung und Tilgung geteilt haben und ob sie den Gläubigern soli-
darisch, was das Wahrscheinliche ist, oder jeder zur Hälfte oder
wie sonst aus der Anleihe haften!). Da die gemeinsame Aufnahme
einer Anleihe durch zwei Mächte eine Neuheit ist — bisher kamen in
der Finanzgeschichte nur gemeinsame Garantieübernahmen mehrerer
Mächte zugunsten einer dritten vor — so liegt auch kein Analogon
vor, aus dem man etwa Rückschlüsse darauf machen könnte Für
den Anleiheabschluß wurde bei den Parlamenten in Paris und
London die gesetzliche Ratifizierung nachgesucht und erlangt. Inter-
essant ist die Nichtbeteiligung Rußlands, dessen finanzielle Hilf-
losigkeit sich in dieser notgedrungenen Passivität offenbarte. Immer-
hin kam ihm die Stärkung seiner Bundesgenossen indirekt zugute,
sofern es diesen dadurch erleichtert wurde, Rußland weiterhin finan-
zielle Hilfe angedeihen zu lassen.
Das Ergebnis der Verhandlungen bedeutete jedenfalls einen
harten Schlag für das Prestige Englands und für das hohe Selbst-
bewußtsein Frankreichs. England, dessen Anleihezinsfuß vor dem
Kriege 2!/, v. H. war, hatte schon eine innere Anleihe zu 4!/⁄ v. H.
unter Pari aufnehmen müssen und langte nun auf einer Höhe des
effektiven Zinsfußes von 6 v. H. an. Frankreich war bei seinen
bons und obligations de la defense nationale schon über einen Real-
zins von 5 v. H. hinausgegangen, bisher aber doch noch unter
6 v. H. geblieben. Weit schwerer als dieses materielle Opfer wog
aber das Zugeständnis, die Schuldverschreibungen auf Dollars lauten
zu lassen. Das war eine geradezu demütigende Bedingung nament-
lich für England, dessen Pfund Sterling bisher gewissermaßen die
Weltwährung gewesen war. Denn der Pfundwechsel war vor dem
Kriege das Weltgeld, in dem internationale Zahlungen allgemein
beglichen wurden. Die Welthandelsstellung Englands ließ die großen
Massen „Devise London“ und „Scheck London“ entstehen und
lieferte dadurch das Material an internationalen Zahlungsmitteln für
den Weltbedarf. Anderseits hob die Finanzierung der auf Waren
1) Nach dem oben wiedergegebenen Berichte des Senators Aimond beträgt
Frankreichs Anteil 1'/, Milliarden fres., also die Hälfte des Nennwerts. Die Ge-
samtziffer der Anleihebeträge bis Ende Oktober 1915 ist demnach daselbst mit
(19 755,341 + 12500 Mill. =) 21 005 341 000 fres. angegeben.
48*
756 H. Köppe,
oder Leistungen gerichteten internationalen Austauschgeschäfte durch
die Londoner Banken England zum „Weltbankier* empor. Nun
aber krankte die englische Währung außerhalb Englands an einem
erheblichen und wachsenden Disagio. Dem Glauben an die Welt-
geltung des Pfundes Sterling war damit ein schwerer Stoß versetzt.
Ihm folgend, mußte die von den Amerikanern erzwungene Aus-
stellung dieser Anleihe auf den Dollar als Werteinheit das Ansehen
der englischen Währung geradezu auf das schwerste erschüttern.
Denn damit begann der Dollar das Pfund zu ersetzen, und es war
ernstlich zu fürchten, daß er dessen Stelle als Weltgeld einzunehmen
Aussicht habe. Der Erlös der Anleihe reichte nämlich noch nicht
einmal aus, um auch nur die Hälfte der bisherigen Schulden an
Amerika für die Lieferung von Kriegsmaterialien und Nahrungs-
mitteln zu bezahlen. Nimmt man mit Ribot Frankreichs damalige
Kriegskosten auf 40 Mill. frcs. für den Tag an, was jedoch viel zu
niedrig ist, so würde Frankreich, wenn es die Hälfte des Anleihe-
erlöses, also 250 Mill. $ = 1312,5 Mill. frcs. oder, zu 96'/, v. H.
1263,28 Mill. fres. erhalten hat, damit etwa einen Monat lang die
Kriegskosten haben decken können. Englands Bezug an Kriegs-
bedarfsmitteln aus den Vereinigten Staaten aber wurde im Herbst
1915 auf monatlich 10 Mill. £ = 250 Mill. frcs. geschätzt.
Die Notwendigkeit weiterer Schuldaufnahmen im Auslande trat
also sogleich zutage. Ob und unter welchen Bedingungen die bis-
herigen Geldgeber in den Vereinigten Staaten dazu bereit sein
würden, ist eine offene Frage. Jedenfalls drohet sich das Ver-
hältnis immer mehr so zu gestalten, daß nach dem Kriege eine
dauernde Kapitalverschuldung Englands und Frankreichs gegen die
Union verbleibt. Noch übeler ist freilich die Gefahr, daß der inter-
nationale Zahlungsverkehr fortan seinen Weg über New York statt
über London nimmt und England in seiner Stellung als Finanz-
zentrum der Weltwirtschaft durch die Vereinigten Staaten entthront
wird. Die erstere, die Verschuldungsgefahr, bedeutet die Umkehrung
des bisherigen Verhältnisses in sein gerades Gegenteil. Die Ver-
einigten Staaten waren nämlich vor dem Kriege die ständigen
Schuldner Englands und Frankreichs, da sehr große Massen amerika-
nischer Wertpapiere, besonders Industrie- und Eisenbahneffekten,
in englischem und französischem Besitz, namentlich in ersterem
sind. Die daraus hervorgehenden Forderungen an Zinsen und Divi-
denden dienten nach Kriegsbeginn zunächst zur Verrechnung gegen
die Kriegslieferungsschulden. Als das mit der Zunahme der letzteren
nicht mehr genügte, folgte die Sendung von Gold aus der kana-
dischen Filiale der Bank von England in Ottawa nach New York
als Deckung. Erst nicht lange vorher war von New York eine
große Menge Gold dorthin gebracht worden, als nämlich infolge des
Krieges die englischen Guthaben in Amerika eingezogen wurden.
Diese Filiale diente der Bank von England überhaupt als Gold-
sammelstelle, um möglichst viel Gold aus den amerikanischen Banken
herauszuziehen und anzuhäufen. Ferner soll England, das die ge-
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 757
samte Goldausbeute Südafrikas für die Kriegsdauer beschlagnahmt
hat, große Mengen Goldes aus den in seinen Kolonien belegenen
Golderzeugungsgebieten nach Amerika geschafft und sollen England
und Frankreich ihre Guthaben in Südamerika und anderen über-
seeischen Ländern nach den Vereinigten Staaten überwiesen haben !).
Aber auch diese Mittel halfen nur vorübergehend. Nun blieben
nur zwei Wege: der Aufkauf der in englischen Händen befind-
lichen amerikanischen Wertpapiere (deren Höhe Lloyd George auf
1 Milliarde £ schätzte, während andere Schätzungen nur auf die
Hälfte gehen) und ihre Verwendung als Zahlungsmittel, oder eine
große Anleihe in Amerika selbst. Der erstere bot keine Sicherheit
des Gelingens, da man die Kapitalisten nicht zwingen konnte, der
Regierung ihren Besitz käuflich abzutreten, und sie dazu auch nicht
geneigt waren. Denn dieser Besitz war durch den Umschwung der
Verhältnisse erheblich im Werte gestiegen und bot weitere Gewinn-
aussichten, insbesondere für die Zeit nach dem Kriege. Gleichwohl
wurden eine Zeitlang, solange nämlich solche Papiere zu haben
waren, an den Börsen von London und Paris nordamerikanische
Effekten auf Veranlassung und unter Mithilfe der beiden Regie-
rungen aufgekauft, nach den Vereinigten Staaten gesandt und dort
lombardiert. Dann versagte dieser Weg, und so blieb nur die An-
leihe. Da deren Ergebnis noch nicht einmal die Hälfte der bis
dahin aufgelaufenen Gesamtschuld deckte, so blieben für die weitere
Behandlung der Sache nur die beiden Möglichkeiten neuer Anleihen
in Amerika oder eines wirkungsvollen direkten oder indirekten
Zwanges auf die Besitzer nordamerikanischer Werte zur Hergabe
ihrer Effekten übrig. Frankreich entzog sich diesem Dilemma da-
durch, daß es sich endlich entschloß, den Weg der inneren Anleihe
zu beschreiten. Für deren angeblichen Erfolg überaus bezeichnend
ist es aber, daß im März 1916 bei der Budgetberatung der Kammer
Ribot das Recht forderte, in französischen Händen befindliche
Wertpapiere neutraler Länder zu beschlagnahmen und zur Bestrei-
tung der Kriegskosten für Rechnung des Staates zu verkaufen.
Angesichts dieses dornenvollen Anleiheweges ihrer Gegner ist
der Hinweis darauf angebracht, wie gut Deutschland und Oesterreich-
Ungarn sich dadurch standen, daß sie, dank dem Absperrungs- und
Aushungerungsplane ihrer Feinde, ihren gesamten Kriegsbedarf im
eigenen Lande herzustellen genötigt waren. Alle die Demütigungen
und Nackenschläge, die ihre Feinde in dem Ringen um die Bezahlung
ihrer ausländischen Kriegsschulden sich zuzogen, blieben ihnen erspart.
Dagegen floß das zur Bezahlung ihrer Kriegslieferungen im Inlande
ausgegebene Geld ihnen sofort wieder als Einzahlung auf Kriegs-
anleihe zu und setzte sie zur Bestreitung der ferneren Kriegskosten
ohne weiteres in den Stand. Diesem klaren Sachverhalt gegenüber
machen die Auslassungen der feindlichen Presse einen sehr ge-
zwungenen Eindruck. So wenn die „Morning Post“ schrieb, England
1) Vgl. „Oesterreichischer Volkswirt“, Jahrg. 8, No. 51, S. 851.
758 H. Köppe,
habe Geld genug zur Kriegführung, es sei aber billiger, 500 Mill. $
in Amerika zu leihen, als 100 zu Hause und dann durch die Wechsel-
kurse bei der Bezahlung Geld zu verlieren. Oder die „Times“: Das
Ergebnis der Anleihe sei der Ausdruck des Vertrauens Amerikas.
Englands Feinde würden eine solche Summe dort unter keinen Um-
ständen aufnehmen können. Man kann demgegenüber Deutschland
und Oesterreich-Ungarn nur beglückwünschen, daß sie es für ihre
Kriegführung nicht nötig haben, sich unter das Joch der Yankees
zu beugen. Viel ehrlicher klingt dagegen das Geständnis des ehe-
maligen englischen Ministers und Botschafters Bryce: „Wir sind als
Bettler nach New York gegangen. Bettler müssen nehmen, was man
ihnen gibt.“
Die begleitenden Umstände wie der weitere Verlauf der Anleihe
rücken deren wahren Charakter in noch schärfere Beleuchtung. Die
englische Regierung verbot die Zeichnung auf diese ihre Anleihe in
ihrem eigenen Lande und den Handel mit ihr an den englischen
Börsen als unpatriotisch, da dem Zwecke der Anleihe, den Wechsel-
kurs zu bessern, dadurch entgegengewirkt werde. Natürlich bemühte
sich das Syndikat dagegen, die Anleihe wo nur immer möglich, z. B.
sogar in Norwegen zu ,97!J, v. H., unterzubringen. Aber Mitte De-
zember 1915, bei Ablauf des Syndikatsvertrages, wurde — nachdem
vorher verbreitet worden war, die Anleihe, sei mit 50—100 Mill. $
überzeichnet worden — bekannt, daß von ihr 180 Mill. $ unter die
Syndikatsmitglieder verteilt worden seien. Es war also in dieser
Höhe mit der Anleihe sitzen geblieben. Das Publikum
hatte nur 220 Mill. $ aufgenommen, worunter noch viele Zeichnungen
von Syndikatsmitgliedern und Kriegslieferanten enthalten sind. So
zeichnete Rockefeller junior 20 Millionen und ebenso viele die be-
rüchtigte Betlehem Steel Company, die Hauptlieferantin von Munition
an die Entente, deren Leiter Charles M. Schwab ist. Bezeichnender-
weise stellten nicht wenige Zeichner dabei die Bedingung der Ge-
heimhaltung ihres Namens oder ihrer Firma. Ja, nach einer von
anderer Seite bestätigten Darstellung der amerikanischen Monats-
schrift „Review of reviews“ hat das Publikum sogar nur etwa
30 Millionen aufgenommen. Denn die Anleihe sei nicht in voller
Höhe dem Publikum angeboten, sondern es seien sofort etwa
290 Millionen seitens der Syndikatsmitglieder von der Subskription
zurückgezogen worden, so daß 210 Millionen loszuschlagen blieben.
Als das Syndikat sich am 15. Dezember auflöste, habe es von diesen
210 noch 180 übrig gehabt, die daher unter die Mitglieder zu ver-
teilen gewesen seien. Diesen Rest sollen nach der „Daily Mail“ die
Syndikatsbanken unter der Hand im Publikum abzusetzen noch immer
bemüht sein, doch ohne Erfolg, da dieses an fremde Anleihen nicht
gewöhnt sei. Wie sehr die Unanbringbarkeit von fast der Hälfte
dieser Anleihe der Aufnahme einer neuen im Wege stehen muß,
liegt auf der Hand. England sah sich daher genötigt, zur weiteren
Tilgung seiner amerikanischen Kriegsschulden fortgesetzt Tratten
auch auf andere neutrale Länder zu den höchsten Preisen auf dem
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 759
Kontinente aufzukaufen und nach New York in Zahlung zu geben.
Dadurch kam es, daß die Devise Holland zeitweise höher bewertet
wurde als die Devise New York, trotz der enorm günstigen Zahlungs-
bilanz der Vereinigten Staaten.
Ausdrücklich ist den Anleihestücken die Freiheit von allen
englischen und französischen Steuern, auch von der englischen
Einkommensteuer, in dem Anleihevertrage zugesichert. Das bedeutet
eine große Bevorzugung der Anleihe vor den englischen Consols,
deren Besitzer, gleichviel welchem Lande sie angehören und wo sie
wohnen, es sich gefallen lassen müssen, daß ihnen die englische
Einkommensteuer bei der Auszahlung der Zinsen vom Betrage des
fälligen Coupons vorweg abgezogen wird. Der „Manchester Guardian“
hat berechnet, daß durch diese Vergünstigung bei einem Steuersatz
von 3sh 6d vom Pfund die effektive Verzinsung für den Anleihe-
besitzer sich auf 7 v. H. erhöht. Die Steuerfreiheit erstreckt sich
auch auf die nach 5 Jahren dagegen einzutauschenden 41/,-proz.
Titres mit 10-20-jähriger Laufzeit. Der Kurs der Anleihe stellte
sich schon von ihrem ersten Handel an schlecht. Obwohl Morgan
sie mit 98'/;, handeln ließ, fiel der Kurs, da auf ihn die nicht unter-
gebrachten 180 Millionen drückten, schon Mitte Oktober auf 97°/;
und bis Mitte Dezember durch Verkäufe aus erster Hand gar auf
94. Ihr Zweck wurde, was Frankreich betrifft, von Anfang an nicht
erreicht. Der Kurs der Wechsel auf New York, der in Paris am
24. September 5,86 frcs. für einen Dollar (bei einer Münzparität von
5,18!/,) gestanden hatte, ging zwar bis zum 2. Oktober auf 5,75 zu-
rück, stieg aber am 6. Oktober auf 5,80, am 20. Oktober auf 5,88
und am 6. November auf 5,96!/,. Der letztere Kurs entspricht einem
Disagio von 15 v. H. Auch der Sterlingkurs, der während der
Anleiheverhandlungen von 4,67°/, auf 4,73!/, gestiegen war, fiel
wieder auf 4,70!, und bis Ende Oktober sogar auf 4,62 bei einer
Parität von 4,86°/, $ für das Pfund Sterling. Der letztere Kurs
entsprach einem Disagio von etwa 5,1 v. H. Die französische Re-
gierung hatte damit schon gerechnet. Sie ließ sich nämlich im
Ratifikationsgesetz eine Blankovollmacht zur Aufnahme weiterer
steuerfreier Anleihen in Amerika, allein oder gemeinschaftlich mit
England, „zu bestmöglichen Bedingungen“ geben. Von dieser Er-
mächtigung soll sie mehrmals Gebrauch gemacht haben. So indem
sie im November 1915 in den Vereinigten Staaten einen Akzept-
kredit von 15 Mill. $ auf 3 Monate zu 5 v. H. zuzüglich !/, v. H.
Kommissionsgebühr aufnahm, wobei eine viermalige Erneuerung vor-
gesehen wurde. Dann so, daß John D. Rockefeller und das New
Yorker Bankhaus Bonbright & Co. ihr weitere 15 Mill. $ =
75 Mill. frcs. gegen einjährige Schatzwechsel liehen, die sich mit
der Bankprovision auf eine effektive Verzinsung von 8 v. H. stellten.
Namentlich aber ward im Februar 1916 von den verschiedensten
Seiten, unter anderem auch vom Wolffschen Telegraphen-Bureau,
berichtet, daß ein neuer Kredit von 250 Mill. $ bei Morgan von
der französischen Regierung nachgesucht worden sei. Die Anleihe
760 H. Köppe,
solle eine Laufzeit von 3—5 Jahren haben, gedeckt werden durch
Wertpapiere — man nannte nord- und südamerikanische und japanische
Werte — und der ganze Erlös wiederum zur Bezahlung von ameri-
kanischen Kriegslieferungen dienen. Morgan dementierte zwar diese
Nachricht und verweigerte auch jede Angabe über die Zusammen-
setzung des angeblich zur Regelung dieses neuen Kredites zusammen-
getretenen Konsortiums.. Doch wird mit gutem Grund vermutet,
daß der Kredit in der Tat nachgesucht ward, aber daran scheiterte,
daß das Syndikat der ersten Anleihe mit 36 v. H. derselben sitzen
geblieben war. Die darum angegangenen Banken sollen, durch
Morgan und Strong vertreten, drakonische Bedingungen gestellt,
namentlich die Verpfändung von nur amerikanischen Wertpapieren
und einen sehr hohen Zinsfuß gefordert haben. Aus holländischen
Quellen wurden als weitere Gründe des Scheiterns angeführt: die
Bedenken im Kongreß und in der öffentlichen Stimmung gegen neue
Ententeanleihen angesichts der stark englisch gefärbten, rücksichts-
losen und daher gefährlichen Politik des Präsidenten Wilson; die
deutschen Erfolge bei Verdun und an anderen Stellen der West-
front; sodann ganz besonders die Kursrückgänge der Ententeanleihe
und die Passivität der englischen Regierung ihnen gegenüber: die
gedrückte Stimmung der amerikanischen Börsen wegen der Gefahr
eines Krieges mit Deutschland; ihre Uebersättigung mit amerikanischen
Wertpapieren, die aus englischem und französischem Besitz fortdauernd
abgestoßen wurden; endlich die Forderung sehr hoher Bankprovisionen
wegen des viel größeren Risikos. Auch verhehle die englische Re-
gierung kaum ihr Mißbehagen darüber, daß sie für die gemeinschaft-
liche Anleihe einen höheren Zins zahlen müsse, als sie für eine
eigene Anleihe auf dem amerikanischen Markte hätte zu zahlen
brauchen.
So blieben denn England und Frankreich auf den Buchkredit
der amerikanischen Banken nach dem Muster der beiden eben ge
nannten Fälle angewiesen. Unter der Hand aber sollen beide, nach
guten, gleichfalls holländischen Informationen, in angeblich aussichts-
reichen Verhandlungen wegen Einzelanleihen in Amerika stehen,
deren Zustandekommen freilich von den militärischen Aussichten
der beiden Mächte abhängen werde!). Nicht unerwähnt darf schließlich
noch der üble Eindruck bleiben, den in Deutschland und Oester-
reich-Ungarn die Beteiligung einer nicht geringen Zahl von führen-
den amerikanischen Bankleuten deutscher Abstammung an der An-
leihe unserer Feinde gemacht hat.
Eigentümlich ist die Wirkung der Dollaranleihe auf die Be-
wertung der deutschen Valuta im Auslande. Diese verbesserte sich
nämlich sofort, indem z. B. Wechsel auf Berlin in New York aul
841/, cents stiegen, eine Höhe, die sie seit dem 20. Februar 1915
1) Nach einer Meldung der Times vom 10. Mai 1916 bewilligten amerikanische
Banken der französischen Regierung einen Kredit von 100 Mill. $ auf 3 oder 5 Jahre
zu 6 v. H. gegen Hinterlegung von Faustpfändern, auf welche die Banken eigene
5-proz. Obligationen emittieren.
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 761
nicht mehr gehabt hatten. Der Grund lag in folgendem. Solange
England keine sichere Aussicht auf das Gelingen einer großen Aus-
landanleihe hatte, mußte es auf den Märkten aller Länder Tratten
auf Amerika zu kaufen suchen. Das ist, durch die Vermittlung
holländischer Neutraler, auch in Deutschland mit Erfolg geschehen.
Sobald die Anleihe aber sicher war, hörte diese Nachfrage und da-
mit die dadurch herbeigeführte Verschiebung der Wechselkurse zu
ungunsten Deutschlands auf. Ihrer Wiederholung ist durch die in-
zwischen erfolgte amtliche Regelung des deutschen Devisenhandels
ein sicherer Riegel vorgeschoben worden.
1V. Die „Siegesanleihe“.
Der Begebung einer inneren Anleihe, zu der Regierung und
Parlament in Frankreich, wie der Gang der hier geschilderten Er-
eignisse zeigt, sich schließlich trotz der mißlichen Lage der Volks-
wirtschaft, der Kreditinstitute und der Staatsfinanzen entschließen
mußten, waren Beratungen der Finanzminister Englands, Frankreichs
und Rußlands in Paris zu Anfang Februar 1915 über die Möglich-
keit der Aufnahme einer gemeinsamen internationalen An-
leihe dieser drei Großmächte zur Deckung ihrer Kriegsausgaben
— also nicht nur zum Zwecke der Aufbesserung der Wechselkurse,
wie die Anleihe in Amerika — voraufgegangen. Es soll sich dabei
gehandelt haben um 15 bis 20 Milliarden frcs., die gleichzeitig in
Paris, London, New York, Petersburg, Moskau und Tokio zur öffent-
lichen Zeichnung aufzulegen und in einem längeren Zeitraum zu
amortisieren wären. Vor allem galt es dabei, die amerikanischen
Finanzmänner für den Geldbedarf der Ententemächte zu interessieren
und wenn möglich zu gewinnen. Die Frage der Neutralität der Ver-
einigten Staaten mußte gegenüber einem derartigen, nicht als bloße
„Handelstransaktion“ mit einer gleichgültigen Handbewegung seitens
der Washingtoner Regierung abzufertigenden Plane eine wichtige
Rolle spielen. Es kam indessen nicht zu einem solchen Entschluß.
Zunächst brachte der „Temps“ ein Dementi, wonach das, was über
diese Besprechung verlautet habe, „in dieser Form“ nicht zutreffend
sei. Hierauf gab die Agence Havas nähere Mitteilungen. Danach
seien die verbündeten Regierungen entschlossen, ihre finanziellen
Hilfsquellen ebenso wie ihre militärischen zu vereinigen und den
Krieg bis zum schließlichen Siege fortzusetzen. Zu diesem Zwecke
hätten ihre Vertreter beschlossen, ihren Regierungen vorzuschlagen,
diejenigen Vorschüsse im gleichen Verhältnis auf sich zu nehmen,
die den an ihrer Seite kämpfenden oder dazu geneigten Ländern
bereits gemacht wären oder noch gemacht würden. Der Betrag
dieser Vorschüsse solle durch die eigenen Hilfsquellen der drei
Länder und durch die Emission einer Anleihe gedeckt werden, die
zu gegebener Zeit im Namen der drei Mächte aufzunehmen sei. Die
Frage der Herstellung der Beziehungen zu den Emissionsbanken der
drei Länder bilde den Gegenstand eines besonderen Abkommens.
762 H. Köppe,
Auch ein gemeinsames Vorgehen betreffs der Ankäufe von Kriegs-
material in den neutralen Ländern sei beschlossen worden. Endlich
seien die erforderlichen Maßnahmen ergriffen worden, um Rußland
seine Ausfuhr zu erleichtern und soweit möglich einen gleichmäßigen
Wechselkurs zwischen ihm und seinen Verbündeten herzustellen.
Weitere Konferenzen würden nach Bedarf abgehalten werden, und
zwar die nächste in London. Von der hier in Aussicht gestellten
Anleihe zum gedachten Zwecke ist später nie wieder die Rede ge-
wesen. Unausgesprochen, aber zwischen den Zeilen zu lesen ist in
dieser Mitteilung die Tatsache, daß die Absicht einer gemeinsamen
Anleihe zur Deckung der Kriegskosten bestanden hat, aber fallen
gelassen wurde.
Dieses Scheitern war besonders für Rußland fatal, das gleich
nach Kriegsbeginn den Wunsch nach gemeinschaftlicher Deckung
aller den drei Entente-Großmächten erwachsenden Kriegskosten ausge-
sprochen und sich wiederholt in gleichem Sinne bemüht hatte. Es
ist aber klar, daß das Interesse der beiden auf finanziell erheblich
festerer Grundlage als der dritte Bundesgenosse stehenden Mächte
nicht in der gleichen Richtung lag. Daher kam nur der früher er-
wähnte Beschluß der gemeinsamen Tragung aller Vorschüsse an die
mit der Entente gehenden oder „befreundeten“ Staaten zustande.
Im übrigen ergab sich sehr bald die Notwendigkeit für England und
Frankreich, Rußland ihrerseits mit Geld zu unterstützen, und aus
ihr das gleichfalls erwähnte Abkommen, diese Unterstützung je zur
Hälfte zu tragen.
Danach war Frankreich im Herbste 1915 für die Aufbringung
der weiteren Kriegführungsmittel und ebenso sehr für die nicht länger
aufzuschiebende Konsolidierung der enormen Masse kurzfristiger und
daher mit naher Einlösung drohender Kriegsschatzscheine aller Arten
ganz auf die Bereitwilligkeit und die Kräfte des eigenen Volkes
zur Aufbringung einer dauernden Anleihe angewiesen. Für
die Form und die Bedingungen einer solchen gab der Umstand einen
Anhalt, daß die Erneuerung der im September 1914 in England
untergebrachten und am 5. Oktober 1915 fällig gewordenen 2 Mill. £
5-proz. Schatzwechsel nur möglich wurde gegen Heraufsetzung des
Zinsfußes auf 5%, v. H. und Zahlung einer neuen Vermittlungs-
provision. Dabei waren Handelswechsel, die sonst eine beliebte An-
lage für flüssiges Kapital sind, in London wenig angeboten und
betrug der Privatdiskont 4!/⁄ v. H. Außerdem mußte auf die
schwierige Lage der Kapitalisten, die an französischen Werten so
starke Verluste erlitten hatten, Rücksicht genommen werden. Ange-
sichts dieser Lage entschloß sich Ribot zur Einbringung einer Vor-
lage, die die Ermächtigung zur Ausgabe einer 5-prozentigen
Rente enthielt. Sie sollte keine amortisable, sondern eine „rente
perpétuelle“ sein. Für diese Rückkehr zum alten Typ der
„ewigen Rente“ war maßgebend, daß es trotz der ohnehin unver-
meidlich gewordenen erheblichen Steuererhöhungen unmöglich schien,
in die Budgets der nächsten Jahre Tilgungsbeträge einzustellen. Die
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 763
Vorlage sollte ursprünglich schon zu Anfang Oktober eingebracht
werden, da man am Erfolge der großen Durchbruchsoffensive nicht
zweifelte. Deren Scheitern gab dann Anlaß, sie erst am 11. November
einzubringen. Schon am 17. November konnte das Anleihegesetz
veröffentlicht werden. Die Festsetzung aller näheren Bedingungen
war darin der Bestimmung durch Dekret vorbehalten. Nachdem
dieses ergangen, bot diese erste feste Kriegsanleihe Frank-
reichs das folgende Bild:
Sie wurde ohne Festsetzung einer Höchstgrenze und
zum Kurse von 88 v. H. vom 25. November ab bis zum 15. De-
zember zur öffentlichen Zeichnung aufgelegt. Auslandzeichnungen
wurden zum täglichen Wechselkurse entgegengenommen. Die Groß-
banken bekamen sie, wie es heißt, zum Vorzugspreise von 85 v. H.
Bei Barzahlung waren am Subskriptionstage 10 v. H., am 15. Januar,
dem Tage der Ausgabe der Zwischenscheine, 25 und am 15. Februar
und 15. März gleichfalls je 26 v. H., zusammen also 88 v. H., zu
zahlen. Die Vorrechte der 3-proz. Rente finden auf die Anleihe
Anwendung, mithin auch, im Gegensatz zur 3V/,-proz. Rente vom
Juli 1914, ihre Steuerfreiheit, die sich jedoch nicht auf solche
Steuern, die das Vermögen oder Einkommen im ganzen treffen, mit-
hin auch nicht auf die allgemeine Einkommensteuer erstreckt. Der
Staat verzichtete auf das Recht der Rückzahlung bis
zum 1. Januar 1931, so daß bis dahin eine Konversion des
5-proz. Zinsfußes ausgeschlossen ist. Die Verzinsung begann mit
dem 16. November und ist eine vierteljährliche. Nationalverteidigungs-
bons und -obligationen konnten unbeschränkt, die ersteren zu ihrem
vollen Nennwerte, die letzteren zu ihrem Ausgabekurse in Zahlung
gegeben werden. Auf die Obligationen wurden dabei als bereits
erworbene Amortisationsprämie 25 cent. für 100 frcs. Nennwert ver-
gütet. Zugleich ward die Ausgabe von weiteren Obligationen für
die Zeit vom 20. November ab vorläufig eingestellt. Besitzer der
alten 3-proz. Rente konnten diese für den dritten Teil des Betrages
ihrer in bar oder durch Einlieferung von Nationalverteidigungs-
obligationen oder 3!,-proz. Rente zu bezahlenden Zeichnungen zu
einem später, entsprechend dem Börsenkurse dieser Rente, auf 66
v. H. festgesetzten Verrechnungspreise in Zahlung geben. Diese
Hinaufkonvertierung entsprach dem englischen Vorbilde, das
sich aber nicht bewährt hatte, da dort ein starker Kursfall der
älteren Anleihen die Folge gewesen war. Ebenso wurden die noch
vorhandenen Reste der 3!/,-proz. Rente von 1914 in Tausch ge-
nommen. Die Sparkassen, die bisher nach den Bestimmungen des
Moratoriums nur alle 14 Tage 50 frcs. den Einlegern auszahlen
durften !), wurden angewiesen, den Zeichnern dieser Anleihe die
Hälfte ihrer Einlage für die Einzahlung auf die Anleihe auszuzahlen.
1) Ende März 1916 wurde durch einen Ministerialerlaß das Sparkassengesetz dahin
abgeändert, daß der Höchstbetrag des Sparguthabens von 1500 auf 3000 fres. erhöht
ward und daß das ganze Guthaben abgehoben werden kann, wenn der Abhebende da-
für französische Rente kauft und sie '/, Jahr bei der Sparkasse liegen läßt.
764 H. Köppe,
Da sie aber ihre Bestände in Staatsrente anzulegen verpflichtet sind,
so konnte die Auszahlung größerer Einlagesummen für Kriegsanleihe-
zwecke nur im Wege der Verrechnung, statt in bar, erfolgen. Bei
einem Kurse von 88 v. H. stellt sich die effektive Verzinsung
der Anleihe auf 5,68 v. H. Freilich war der wirkliche Kurs nur
87,25 v. H., da denjenigen Zeichnern, die bei der Subskription so-
gleich voll bezahlten, sei es in bar, sei es durch Umtausch von
Kriegsschatzscheinen beider Arten oder von 3V,-proz. Rente, auf
je 1 frc. Rente eine Vergütung von 0,15 v. H., also 0,75 v. H. für
5 frcs. Rente = 100 frcs. Kapital gewährt wurde. Sieht man davon
ab und berücksichtigt den Kursgewinn bei der Parirückzahlung, in-
dem man ihn auf die 15 Jahre der Unkündbarkeit verteilt, so er-
höht sich die effektive Verzinsung noch um 0,80 v. H., so daß die
gesamte Annuität dann 6,48 v. H. beträgt. Dieser Kurs und
diese Zinshöhe zeigen klar, wie tief Frankreichs Kredit im eigenen
Lande gesunken ist. Bestätigt wird diese Tatsache dadurch, daß
der Kurs der 3-proz. Rente bei der Ausbringung der neuen Anleihe
bis auf 65 herunterging. Zum Teil lag dies daran, daß viele Be-
sitzer solcher alten Anleihe sie wegen der gefährlichen Konkurrenz
der neuen verkauften und dieses Angebot natürlich nur zu sehr
schlechten Kursen unterzubringen war. Da am 1. Januar 1913 nahe-
zu 22 Milliarden frcs. von dieser 3-proz. Rente vorhanden waren.
so konnte durch ihre tauschweise Hingabe ein ganz enormer Betrag
der neuen Anleihe untergebracht werden. Infolge dieser Umtausch-
möglichkeit zog der Kurs um 1 v. H. an, ohne daß aber erhebliche
Kaufaufträge vorlagen.
Die Begründung der Vorlage rechtfertigte diese damit, dad
zwar die Nationalverteidigungsbons und -obligationen den größten
Teil der erforderlichen Kriegsführungsmittel geliefert hätten, es
sei nun aber der Augenblick gekommen, einen Teil davon zu kon-
solidieren und das Land zu ermahnen, eine neue Anstrengung zu
machen, um die energische Fortsetzung des Krieges bis zum schließ-
lichen Siege zu ermöglichen. Der 5-proz. Zinsfuß sei deshalb ge-
wählt worden, weil nach dem Kriege der Zinsfuß infolge des all-
gemeinen Kapitalbedarfes sehr steigen werde und Frankreich nicht
wünsche, daß diejenigen, die während des Krieges ihm Geld liehen,
weniger begünstigt seien als diejenigen, die es nachher täten.
Der neuen Anleihe wurde der pomphafte Name der „Sieges-
anleihe“ — L’Emprunt de la Victoire — gegeben und eine un-
geheure Reklame für ihren Erfolg entfaltet. Wohl kein anderes
Volk als das französische brächte es fertig, sich mit derartigem Vor-
schußlorbeer zu schmücken und seine — freilich sehr große und
leicht erregbare — Einbildungskraft dem „Patriotismus des Geld-
beutels* dienstbar machen zu lassen. Nach der nämlichen Richtung
der Massensuggestion hin sollte die apodiktisch-enthusiastische Vor-
hersage eines Riesenerfolges wirken, die aller Orten und in allen
erdenkbaren Ausdrucksformen in die breitesten Volksschichten hinein-
geworfen wurde. Um auch die Sinnesreize anzuregen, ließ die Regie-
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 765
rung Reklamefilms anfertigen, die, in einem Zyklus von 10 Bildern in
allen Kinos vorgeführt, für die „Siegesanleihe* um Zeichnungen
warben. In allen oberen Klassen der Volks- und Mittelschulen
wurde eine systematische Volksaufklärungspropaganda betrieben. Vor
allem aber wurde die Presse durch das wirksamste aller Mittel von
der Regierung in den Dienst der großen Sache gestellt, nämlich
durch höchst freigebige Bezahlung aller dafür aufgenommenen Re-
klameartikel, die in der beliebten, nicht mehr neuen, aber doch immer
noch zugkräftigen Einkleidung einer selbständigen Anempfehlung
von seiten des Blattes gehalten waren. Nachdrücklich wiesen die
Zeitungen auch auf die im Wege spekulativer Betätigung sich er-
gebenden Gewinnmöglichkeiten durch den sofortigen Umsatz der
Anleihe an den Börsen und auf die damit verbundenen Kursgewinn-
chancen hin. Im ganzen sollen 50 Mill. frcs. für diesen Zweck von
der Regierung verausgabt und davon auf jede Zeitung durchschnitt-
lich 10000 frcs. entfallen sein, so daß 5000 Blätter aus dieser Quelle
geschöpft hätten. Die Zeitung „L’Oeuvre“ brachte darüber sensatio-
nelle Enthüllungen, die zu einer Interpellation in der Kammer Ver-
anlassung gaben. Auch in das gesamte neutrale Ausland und be-
sonders in die Länder der „lateinischen Rasse“ wurde die Stimmungs-
mache hineingetragen. Sie war in Spanien so stark, daß man dort
im Senate ein Verbot dieser lärmenden Propaganda von der Regierung
forderte, die ein solches aber für unmöglich und zugleich für nutzlos
erklärte. Auf die in Frankreich wohnenden reichen Neutralen wirkte
die Regierung mit allen Mitteln ein, in ihrer Heimat für die An-
leihe Propaganda zu machen. In Paris gab sie ihnen zu Ehren
Propagandabankette, ohne jedoch, namentlich auf die Skandinavier,
damit erheblichen Eindruck zu machen. Der Generalissimus Joffre
empfahl in einem Tagesbefehl die Anleihe der Armee. Die Bank
von Frankreich erhöhte ihre Beleihungsquote für Wertpapiere von
50 auf 75 v. H. für alle Darlehen, die zur Einzahlung auf die An-
leihe verwendet wurden, und nahm zu dieser Quote die Anleihestücke
selbst als Pfand an. Zugleich erhöhte sie den Höchstbetrag ihrer
einzelnen Vorschüsse von 25000 auf 300000 und für den Fall be-
sonderen Bedarfes sogar auf 3 Mill. frcs. Dagegen blieb es bei
ihrem Zinsfuß von 6 v. H. für Lombardierungen auch zu Kriegs-
anleihezwecken, um die Anleihe nicht allzusehr auf die Schultern
der Bank von Frankreich abzuwälzen. Endlich wurde sogar die
Grenzkontrolle gegen die Schweiz für Zeichnungszwecke aufgehoben.
Alle diese Anstrengungen waren wesentlich durch den Gesichtspunkt
bestimmt, daß der Ausfall der Anleihe auch ein Votum für oder gegen
die Regierung enthielt, insofern diese daraus entnehmen konnte, ob
und wie weit sie noch das Vertrauen der besitzenden Klassen genob.
Von besonderem Reiz ist die Behandlung, die der Anleihe im
verbündeten England zuteil wurde. Dort entstand aus begreif-
licher Furcht vor der Konkurrenz, die sie den englischen inneren
Anleihen machen könnte, eine heftige Agitation gegen die Zulassung
ihrer Zeichnung und gegen den Handel mit ihr. Die Presse warnte
ee e E SA E EOE
Eli Kg ii
766 H. Köppe,
geradezu vor ihr. So schrieb die „Times“, es sei zu hoffen, daß die
Anleihe einen überwältigenden Erfolg — in Frankreich haben werde.
Es werde aber gut sein, wenn das Schatzamt Zeichnungen auf sie
in England für unerwünscht erklären lasse. Solche Mahnung sei
nötig, denn schon rege sich in der City die Nachfrage nach ihr. Es
werde auch schon von manchen Seiten als Vorkehrungsmaßregel gegen
sie die Erhöhung des Zinssatzes der englischen Schatzscheine emp-
fohlen. Mit Recht wiesen deutsche Blätter darauf hin, welcher
Sturm der Entrüstung sich erheben würde, wenn etwa eine deutsche
Zeitung in ähnlicher Weise gegen eine Österreichisch -ungarische
Kriegsanleihe Stellung nehmen würde Die englische Regierung
löste das Problem, indem sie einen Mittelweg einschlug. Sie lieb
die Zeichnungen in England bis zu einer bestimmten Höhe, wahr-
scheinlich 1200 Mill. frcs., und unter der Bedingung zu, daß die
ganze in England gezeichnete und eingezahlte Summe im Lande ver-
bliebe und zur Bezahlung von englischen Lieferungen an Frankreich
Verwendung fände. Auf diese Weise sorgte sie zugleich für die
Bezahlung von Schulden, die sonst Schwierigkeiten verursacht hätte.
Die Bank von England durfte sogar als Zeichnungsstelle dienen.
Es gelang dadurch, die Erregung der englischen Presse zu beschwich-
tigen. Der Umrechnungssatz wurde auf 64 sh = 100 fres. fest-
gesetzt, was einem Wechselkurse von 27,50 entsprochen haben würde,
bei einem damaligen Stande desselben von 27,69 und einer Wechsel-
parität von 25,22. Er bedeutete also gegen die letztere ein Disagio
von fast 10 v. H. und mithin einen tatsächlichen Ausgabekurs von
nur etwa 80 v. H., bei dem die effektive Verzinsung 62 v. H.
betrug. Als Vorsichtsmaßregel wurden für England Anleihestücke mit
besonderer Kennzeichnung und mit der Bestimmung hergestellt, dab
die diese Kennzeichnung nicht tragenden Stücke in England nicht
lieferbar sind. Auf diese Weise sollte verhindert werden, daß Eng-
land von Frankreich aus über das zugestandene Maß hinaus mit der
bundesgenössischen Anleihe beglückt würde.
Ein kurzer Vergleich mit den Bedingungen der deutschen
Kriegsanleihen ist hier angebracht. Diese wurden gleichfalls zu
5 v. H., zum Kurse von 97,50—99 und mit 10- bis 8'/,-jähriger Un-
kündbarkeit ausgegeben, die französische Anleihe zum Kurse von 88
mit 15-jähriger Laufzeit. Der Ausgabekurs der französischen An-
leihe liegt also 11 v. H. unter dem höchsten deutschen Ausgabekurse.
Ihre effektive Verzinsung ist daher 5,68, diejenige der ersten deut-
schen Kriegsanleihe dagegen 5,13 v. H., der zweiten und vierten 5,07,
der dritten 5,04 v. H., wenn beiderseits der Kursgewinn bei der
Rückzahlung außer Betracht gelassen wird. Beachtenswert ist auch,
daß gleichzeitig mit der französischen eine russische 5'/,-proz. An-
leihe zu 95 v. H. aufgelegt wurde, deren effektive Verzinsung also
5,78 v. H. beträgt. Bis auf den geringen Unterschied von 0,10 v. H.
war also der französische Staatskredit, was den Anleihezinsfuß an-
langt, auf das Niveau des russischen Staatskredits hinabgesunken.
Der endgültige Erfolg der Zeichnungen auf die „Sieges-
anleihe“ ward von Ribot im Senate Ende Dezember 1915 bei Ein-
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe etc. 767
bringung der Kreditforderung für die Bezahlung der ersten Quartals-
zinsen dieser Anleihe auf 15130 Mill. frcs. angegeben. Davon
seien bar 6368 Mill. gezeichnet. Sonach sind 8762 Mill. oder
57,78 v. H. vom Nennwert des ganzen Ertrages im Wege des Um-
tausches von neuer Anleihe gegen alte Anleihen und Kriegsschatz-
scheine untergebracht worden. An diesem Umtausch waren die Be-
sitzer von 3-proz. Rente mit einem Anteil von 4'/, Milliarden an der
Gesamtzeichnung beteiligt, und zwar besonders durch die Vermitt-
lung der Caisse de consignations et de depöts, die allein 2 Milliarden
zeichnete und deren Vermögen hauptsächlich in 3-proz. Rente besteht.
Wie früher erwähnt, haben alle französischen Sparkassen ihre Ein-
lagenbestände an sie abzuführen. Sie legt sie in Rente an und ver-
waltet sie für die Sparkassen. Die 15130 Mill. entsprechen, zum
Kurse von 88, einem Erlöse von 13314 Mill, und nach Abzug der
Vergütung von 0,75 v. H. für die bei der Zeichnung voll bezahlte
Anleihe einem Erlöse von 13243 Mill. fres. Dieser verteilte
sich, wie folgt:
auf Barzeichnungen 3 668,— Mill. fres.
in Umtausch gegen Nationalverteidigungsbons 2 227,90 „ »
” i » Nationalverteidigungsobligationen 3191,90 » r
» » » 3'/,-proz. Rente 24,45 „ ,
» ” „ 3-proz. ” I 430,53 ,
13 242,78 Mill. fres.
Die Nationalverteidigungsobligationen, von denen zuletzt 3,6 Mil-
liarden in Umlauf waren, wurden also zu °/, ihres Gesamtbetrages
in Tausch gegeben. Rund eine Milliarde von der Gesamtzeichnung
entfiel auf das Ausland. In England zeichneten 22000 Zeichner
602 Mill. frcs. In ganz Frankreich betrug die Zahl der Zeichner
über 3 Millionen, in Paris allein 1 Million. Diese Zahlen können
bei der außerordentlich großen Zahl von mittleren und kleinen
Rentnern in dem durch seine Sparsamkeit bekannten Lande nicht
auffallen. Die Bank von Frankreich zeichnete fast 3 Milliarden,
davon 1,62 in bar. Die Anleihe erfordert nach der amtlichen Dar-
stellung eine Jahresverzinsung von 756,5 Mill. frcs., wogegen am
Dienste der in Umtausch gegebenen älteren Anleihen 346,91 Mill.
gespart werden. Davon entfallen auf die 3-proz. Rente 65 Mill. frcs.
Zinsen, auf die 3'/,-proz. 1,09 Mill. Zinsen und 0,94 Mill. Tilgungs-
betrag, auf die Nationalverteidigungsbons 113!/, Mill. und auf die
Nationalverteidigungsobligationen 166,38 Mill. Zinsen. Nach Abzug
dieser insgesamt 346,91 Mill. entfällt auf die Anleihe eine Zinslast
von 409,61 Mill., so daß der Barertrag der 6368 Mill. mit 6,43 v. H.
zu verzinsen ist. Dem Kapitalwerte nach sind von den älteren An-
leihen nach Angabe der Regierung insgesamt 9478 Mill. fres. in
Tausch gegeben worden.
Die 6368 Mill. Barzeichnungen dürfen aber nur zum Ausgabe-
kurse von 87,25 eingesetzt werden. Ein sicherlich beträchtlicher
Teil von ihnen hat sogar erheblich weniger eingebracht, da die
Großbanken, wie erwähnt, für ihre Zeichnungen nur 85 v. H. zu
768 H. Köppe,
zahlen hatten. Doch muß dieser Ausfall hier außer Betracht bleiben,
da nicht bekannt ist, wieviel von der Gesamtzeichnung auf die Groß-
banken entfiel. Zum Kurse von 871!/, ergeben die Barzeichnungen
5556,08 Mill. frcs. oder, den Franken zu 81 Pf. gerechnet,
4500,4248 Mill. M. Die erstere Summe entspricht nur ein wenig
mehr als der Hälfte der auf 10 Milliarden frcs. veranschlagten Kosten
des Winterfeldzuges. Die letztere Summe geht nur ganz wenig über
den Ertrag allein der ersten deutschen Kriegsanleihe von 4460,7 Mill.M.
hinaus. Der Ertrag aller drei bis dahin aufgenommenen deutschen
Kriegsanleihen von 25,7 Milliarden M. verhält sich zu ihr wie
100:17,51. Nun könnte man freilich einwenden, daß auch die seit
Kriegsbeginn bis dahin ausgegebenen Kriegsschatzscheine beider
Arten als Anleihen in Rechnung zu stellen seien. Rechnet man
daher dem baren Ertrage der „Siegesanleihe* den Nennwert aller
bis zum November 1915 ausgegebenen Nationalverteidigungsbons und
-obligationen hinzu, obwohl diese Zahl aus den früher dargelegten
Gründen viel zu hoch ist, und nimmt man diesen Nennwert so hoch
an, wie ihn im November 1915 Ribot selbst in der Kammer ange-
geben hat, nämlich auf 8353 Mill. Bons und 3659 Mill. Obligationen,
so ist die Gesamtzahl der vom französischen Volke aufgebrachten
Kriegsanleihesumme 17585,53 Mill. frcs. = 14 244,28 Mill. M. Das
wäre also nur wenig mehr als die Hälfte von dem, was das deutsche
Volk im gleichen Zeitraum in Höhe von 25 723,7 Mill. M. insgesamt
an Kriegsanleihen aufgebracht hat. Das Verhältnis stünde wie
100 : 55,37. In Wirklichkeit wird man den baren Erlös der National-
verteidigungsbons und -obligationen auf kaum mehr als die Hälfte
jenes Nennwertes schätzen dürfen. Dann wäre die Gesamtzahl
11579,53 Mill. frcs. oder 9379,42 Mill. M., also rund 36 v. H.
oder etwas über !/; des Gesamtertrages der drei deutschen Kriegs-
anleihen !).
Diese Zahlen schließen nun aber auch den ausländischen An-
leiheerlös in sich. Um zu ermitteln, wieviel das französische Volk
selbst aufgebracht hat, müßte man den im Auslande bar gezeichneten
Teil aus der insgesamt im Auslande gezeichneten Milliarde aus-
scheiden können und von jenen 5556,08 Mill. frcs. absetzen, was
leider nicht möglich ist. In England, von dem man übrigens er-
wartet hatte, daß es allein mindestens eine Milliarde zeichnen werde,
dürfte der Umtausch von Kriegsschatzscheinen in „Siegesanleihe“
besonders groß gewesen sein, da in London etwa 1!/, Milliarden frcs.
von ersteren in Umlauf gewesen sein sollen.
Die Beteiligung des neutralen Auslandes blieb trotz
des durch das Disagio der französischen Valuta gegebenen Extra-
profites weit hinter den Erwartungen zurück. Holland zeichnete
1) Diese Annahme deckt sich fast genau mit dem, was Helfferich als das reale
Ergebnis der ,Siegesanleihe“ annimmt, insofern er am 16. März 1916 im Reichstage
ausführte: „Frankreich hat in seiner einzigen inneren Anleihe, der ‚Siegesanleihe‘, noch
keine 10 Milliarden M. Kriegsausgaben konsolidieren können.“
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 769
nur 30 statt der erhofften 360 Mill. frcs. Anscheinend hoch waren
die Zeichnungen von 80 Mill. frcs. in der Schweiz. Indessen wiesen
Schweizer Zeitungen sogleich darauf hin, daß diese ganz überwiegend
von französischen Kapitalisten herrührten, die teils in der Schweiz
wohnten, teils aus Furcht vor der Einkommensteuer ihren Kapital-
besitz in schweizerischen Banken untergebracht hatten. Aber auch
die Beteiligung Englands ist in der Hauptsache nur dadurch einiger-
maßen rege gewesen, daß der Umtausch von Konsols gegen „Sieges-
anleihe“ beim Stande des Wechselkurses eine Verzinsung von 5j; v. H.
sicherte.
Es kommt nun aber nicht nur darauf an, wieviel aufgebracht
wurde, sondern auch wie weit die Aufbringung der Anleihe aus
eigener wirtschaftlicher Kraft der Zeichner und wie
weit auf künstlichem Wege, durch Benutzung von eigens durch die
Regierung dazu geschaffenen Einrichtungen und Maßnahmen erfolgte.
Seitens unserer Feinde ist uns in dieser Hinsicht die Mitwirkung
unserer Darlehnskassen vorgeworfen worden. Wie sehr mit Unrecht,
ward in dem Aufsatze über die deutschen Kriegsanleihen näher
dargetan. In Frankreich, wo es solche Kassen nicht gibt, versieht
die Notenbank ihre Funktionen mit. In einem Artikel der „Nord-
deutschen Allgemeinen Zeitung“ vom 27. Dezember 1915 ist nun
der Umfang, in dem die Bank zur Erzielung des baren Ertrages der
„Siegesanleihe* mitgewirkt hat, aus der Entwicklung ihres Standes
während der Zeichnungsfrist, wie folgt, ermittelt worden: „Der
Status der Bank von Frankreich weist vom 2. bis 23. Dezember
folgende Veränderungen auf: der Staatsvorschuß hat sich von 7,6 auf
5,2 Milliarden frcs., also um 2400 Mill. frcs. vermindert, das Staats-
guthaben ist von 102 Mill. frcs. auf 362 Mill. frcs., also um
260 Mill. frcs. gestiegen. Daraus ergibt sich, daß die dem fran-
zösischen Staatsschatz in den 3 Wochen zugeflossenen Mittel sich
auf 2660 Mill. frcs. belaufen. Auf der anderen Seite hat sich die
Inanspruchnahme des Lombardkredits der Bank von Frankreich in
den 3 Wochen von 578 Mill. frcs. auf 1156 Mill. frcs. gesteigert,
das ist eine Zunahme von 578 Mill. frcs., also eine genaue Ver-
doppelung. Die 578 Mill. neuer Bankdarlehen, die von der Bank
von Frankreich in offenbarem Zusammenhang mit den bisherigen
Einzahlungen auf die ‚Siegesanleihe‘ gewährt worden sind, stellen
mehr als 20 v. H. der 2660 Mill. frcs. dar, die bisher als Barzahlung
dem französischen Staatsschatz aus der Anleihe zugeflossen sind.
Die Bank von Frankreich hat also durch ihre Hilfs-
aktion mehr als 20 Proz. der bisherigen Bareinzahlung
auf die ‚Siegesanleihe‘ flüssig gemacht, während unsere
Darlehnskassen für die Einzahlung auf die dritte Kriegsanleihe, die
am ersten Pflichteinzahlungstage nicht weniger als 8732 Mill. M.
betrug, nur mit 6,5 Proz. in Anspruch genommen worden sind, und
während insgesamt die Inanspruchnahme der Darlehnskassen für die
Zwecke der dritten Kriegsanleihe sich auf weniger als 5 Proz.
Jahrb. f. Nationalök, u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 49
770 H. Köppe,
stellt.“ Nach ihrem eigenen Berichte wurden der Bank von Frank-
reich innerhalb der Emissionsfrist 589 Mill. fres. durch Lombard-
vorschüsse und 658 Mill. durch Abhebung von Guthaben entzogen.
Die Kursverhältnisse der Anleihe gestalteten sich sehr
unerfreulich. Ribot hatte auf ihre Einführung mit einem Agio an
den Börsen gehofft. Statt dessen stand ihr Kurs Anfang Februar
an der Pariser Börse auf 87!/,, aber einschließlich des am 15. Fe-
bruar abzutrennenden ersten Zinsscheins von 5,—=1'/, v. H., so daß
der wirkliche Kurs 86, also 2 v. H. unter dem Ausgabekurs war.
Für die Großbanken kam, da sie die Anleihe zu 85 übernommen
hatten, dabei noch immer ein Gewinn heraus. An der Londoner
Börse wurde sie zu Anfang Dezember mit 87, aber am 4. Februar
nur noch mit 847/, v. H. notiert. Hierbei mag gleich erwähnt
werden, daß Frankreich im Januar 1916 den englischen Banken für
die neue Verlängerung seiner fällig gewordenen Schatzscheine 6+‘,
v. H. Zinsen zahlen mußte. Bei der letzten Verlängerung im Herbst
1915 war der Zinsfuß, wie erwähnt, eben erst von 5 auf 5%, v. H.
heraufgesetzt worden. Der Erfolg der „Siegesanleihe“ war also eine
weitere Erhöhung des Zinsfußes der bei seinem Verbündeten auf-
genommenen schwebenden Kriegsschuld. Die 3-proz. französische
Rente sank gleichzeitig in Paris weiter bis auf 63,40 v. H. zu An-
fang Februar. Um diesen Tiefstand voll werten zu können, muß
man wissen, daß diese Rente, die, wie wir sahen, am 1. Januar 1913
22 Milliarden von den 31'/, Milliarden frcs. Rentenschulden Frank-
reichs ausmachte, in den Jahren 1897/98 auf durchschnittlich 103
gestanden hatte, dann bis 1907 unter Schwankungen um fast 10 v. H.
gefallen, bis 1910 wieder auf über 97 gestiegen, seitdem aber in
unausgesetztem Rückgang und am 25. Juli 1914 auf 78 angelangt
war. Ende 1914 hatte ihr Kurs etwa 70 und Ende Oktober 1915
65,90 erreicht. Am 15. Dezember, dem Tage des Ablaufs der Zeich-
nungsfrist der „Siegesanleihe*, stand sie auf 64,50, am folgenden
Tage und bis zum 21. Dezember auf 63,75, um dann im neuen Jahre
ihre Abwärtsbewegung langsam aber sicher fortzusetzen. In Amster-
dam und Rotterdam wurde die „Siegesanleihe“ Anfang Dezember zu
73" gehandelt, was in Ansehung der dortigen Börsenbräuche einem
Kurse von 87!/, entspricht, in Spanien zu 87. Es ist dies nicht
weiter verwunderlich, da die französischen Großbanken die Anleihe
überall im Auslande unter dem Ausgabekurse anboten.
Der Wechselkurs auf New York, der, wie wir sahen, am
6. November 5,965 betragen hatte und bis zum 30. November auf
5.835 zurückgegangen war, verschlechterte sich während des ganzen
Verlaufes der Anleiheoperationen, indem er am 4. Dezember aut
5.845 und am 7. Dezember auf 5,885 stand. Auch der Kurs der
Devise London wurde ungünstiger, da er an denselben Tagen 27,545.
27,04 und 27,73 betrug. Im ganzen waren an der Verschlechterung
der Kurse namentlich die Devisen derjenigen neutralen Länder be-
teiliet, an die Frankreich fortgesetzt große Zahlungsverpflichtungen
aus Kriegslieferungen hat. Dagegen hat es von Rußland und Italien.
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 771
deren Valuta noch schlechter als diejenige Frankreichs steht, sehr
erhebliche Summen an Anleihezinsen usw. zu fordern. Nach beiden
Seiten erleidet Frankreich also enorme Valutaverluste. Für den Tief-
stand des französischen Staatskredits ist es auch bezeichnend, daß
die französische Regierung zur Begleichung des Einkaufs von Be-
darfsartikeln in Spanien sich vergeblich bemühte, Kriegsschatzscheine
dort zu lombardieren, und schließlich genötigt war, spanische Eisen-
bahnpapiere zu steigenden Kursen an der Pariser Börse zu kaufen
und als Deckung für die dadurch ermöglichten Vorschußgeschäfte in
Madrid zu verwenden.
V. Die weiteren Finanzmaßnahmen. Rückblick.
Daß der wirkliche Ertrag der „Siegesanleihe* nicht lange aus-
reichen konnte, liegt auf der Hand. Bezeichnend dafür ist, daß die
Regierung sogleich nach Feststellung des Ergebnisses die Ausgabe
von Nationalverteidigungsbons und -obligationen wieder aufnahm.
Noch mehr, daß sie schon im Februar in Verlegenheit war um die
Bezahlung von Ankäufen, die in England gemacht waren, woselbst
doch die dort gezeichneten 602 Mill. frcs. zur Begleichung derartiger
Schulden zur Verfügung standen — oder gestanden hatten. Ribot
berichtete darüber im Ministerrat, daß er mit dem Gouverneur der
Bank von Frankreich nach London gereist sei zur Behebung dieser
Schwierigkeiten. Man habe dort vereinbart, daß die Londoner Börse
für den Handel mit französischen Wertpapieren geöffnet werden,
dieser aber nur durch Vermittlung der Bank von England und der
Bank von Frankreich stattfinden und der Erlös zur Bezahlung jener
Schulden dienen solle Mit Hilfe der Bank von England und der
Londoner Börse sollte Frankreich also den nötigen Handelskredit
zur Bezahlung seiner dortigen Schulden erlangen. Natürlich mußte
die Regierung, um diesen Weg beschreiten zu können, geeignete
Wertpapiere vorher an der Pariser Börse aufkaufen lassen. Für den
Fall, daß sie solche freihändig nicht in genügender Menge mehr
würde erhalten können, erließ der offiziöse „Temps“ schon einen
Appell an alle Franzosen, die in London gehandelte Effekten besäßen,
davon der Regierung so viel abzulassen, als diese zur Schaffung von
dortigen Guthaben brauchen werde. Sie würden dafür mit Schatz-
bons u. dgl. abgefunden werden. Es ist dies dasselbe System, das Eng-
land handhaben muß, um amerikanische Wertpapiere für die Regelung
seiner Kriegslieferungsschulden an die Vereinigten Staaten zu er-
langen.
Sonach kann es nicht überraschen, daß Ribot, nach einer Mel-
dung vom 12. Januar, im Finanzausschusse der Kammer für den
April eine neue Anleihe von mindestens 10 Milliarden frcs. an-
kündigte. Der Erlös der „Siegesanleihe“* werde, so führte er aus,
über den März hinaus die beständig steigenden Kriegskosten ebenso-
wenig zu decken vermögen wie der noch täglich fortgesetzte und
49*
772 H. Köppe,
angeblich befriedigende Verkauf von Nationalverteidigungsbons. Bis
Ende 1915 hatten die gesamten seit Kriegsbeginn angeforderten
Kriegskredite 38'/, Milliarden frcs. betragen. Im Dezember 1915
waren sodann für das erste Quartal 1916 neue Kriegskredite in Höhe
von 8172,8 Mill. frcs. angefordert und bewilligt worden, davon
5973,8 Mill. fres. für militärische Zwecke. Die letztere Summe ent-
sprach einer Zunahme von 751,7 Mill. frcs. gegen das voraufgegangene
Quartal. Mitte Februar forderte Ribot weitere provisorische Kredite
für das zweite Quartal 1916 in Höhe von 7818 Mill. frcs., davon
6333 Mill. frcs. für Kriegsausgaben. Zugleich berichtete er, dab die
Vorschüsse der Notenbank an den Staat sich dank dem Erfolge der
„Siegesanleihe*“ und der Bereitwilligkeit des Volkes, einen großen
Teil seiner Ersparnisse dem Staatsschatze zuzuführen, am Schlusse
des Jahres 1915 gegen den Stand zu Ende 1914 nur um 1175 Mill. fres.
erhöhet hätten. In demselben Jahre 1915 sei der Betrag der ausge-
gebenen Nationalverteidigungsbons um 5 674 584 000 frcs. gewachsen.
Als eine Gewissenspflicht mußte es angesichts der Belastung
der Zukunft mit der Verzinsung und Tilgung der bisherigen An-
leihen erscheinen, dem Einkommensteuerprojekt nochmals und
diesmal ernstlich näher zu treten. Die Kammer beschloß erneuet ihre
Durchführung für das Budgetjahr 1916). Der Senat entschied sich
dagegen für Verschiebung bis zum 1. Januar 1917. Endlich gelangte
aber doch der im Dezember 1915 von der Kammer in das Gesetz
über die vorläufigen Kredite für das erste Quartal 1916 aufgenom-
mene Beschluß, die Einkommensteuer noch im Laufe des Jahres 1916
in Kraft zu setzen, auch im Senat zur Annahme. Am 1. März ist
darauf das Einkommensteuergesetz °) in Kraft getreten, mit einem Auf-
schub für die Steuererklärungen der Bewohner der vom Feinde be-
setzten Gebiete. Bis Ende April ist die Deklaration vom Steuer-
pflichtigen einzureichen. Im Unterlassungsfalle erfolgt eine steuer-
behördliche Mahnung, und nach vergeblichem Ablauf der dabei
gestellten neuen Frist die amtliche Festsetzung der Einkommenshöhe.
Reklamiert der Betroffene dagegen, so trägt er die Beweislast hin-
sichtlich der von ihm behaupteten Abzüge.
Blickt man auf den Weg zurück, den die französischen Macht-
haber zur Finanzierung des Krieges bisher gegangen sind, so haben
sie ein einziges Mal den Versuch mit einer inneren festen Anleihe
gemacht, den Deutschland bisher viermal mit großem Erfolg unter-
nommen hat. Frankreichs wirklicher Erfolg war dabei ein überaus
dürftiger. Die bar eingegangenen 5556,8 Mill. fres. reichten für
!/, Kriegsmonate Die Formen der kurzfristigen Schulden leben
1) Das Budgetjahr ist in Frankreich das Kalenderjahr.
2) Dieser neue „impôt personnel sur le revenu global“ ersetzt nicht die bisherigen
Ertragsteuern, die vielmehr mit Ausnahme der Tür- und Fenstersteuer fortbestehen. Er
ist sehr mäßig und geht nicht über 2 v. H. hinaus. Für jede Person, für die der
Steuerzahler zu sorgen hat, findet ein Abzug statt.
Die Kriegsanleiben Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 773
sich allmählich aus, und es wird schwerlich gelingen, neue und zug-
kräftige zu finden. Vorübergehend vielleicht in einer Lotterieanleihe,
die die leicht erregbare Phantasie des Volkes eine kurze Weile be-
schäftigt, freilich nur, um es desto ärger zu enttäuschen. Planen
doch sogar die sonst so nüchternen Engländer eine solche Anleihe,
auch sie in Ermangelung irgendeines besseren Vorschlages. Ein
neuer und jeder weitere Appell an das weitaus kapitalkräftigste unter
den neutralen Ländern, die Vereinigten Staaten, kann Frankreich
bestenfalls nur Gelder zuführen, die für eine knappe Zeit ausreichen,
nicht aber für die lange Dauer eines systematischen Aushungerungs-
krieges, wie es dieser Krieg nach Absicht unserer Feinde sein soll.
Ein solcher erfordert so riesige Mittel, wie sie selbst dieses große
und reiche Land nicht würde aufbringen können, auch wenn es
noch mehr als bisher dazu bereit wäre. Denn es handelt sich dabei
— gleichviel wer als Borger nach außen hin auftritt — um die
finanzielle Ausrüstung von vier Großmächten: England, Frankreich,
Rußland und das bald am Ende der eigenen Kräfte angelangte Italien.
Helfferich hat jüngst die täglichen Kriegskosten unserer Feinde aus-
schließlich Italiens auf mindestens 240 Mill. M. geschätzt, das sind
monatlich 7,2 Milliarden M. Auch das reichste Land der Welt müßte
sich finanziell verbluten, wollte es diese Lasten auf sich nehmen.
Amerika aber will bei dem Unternehmen gar nicht seine Seele, d. h.
sein Geld lassen, sondern umgekehrt erheblich profitieren.
Reichen die eigene Volkskraft und die fremden Geldsäcke nicht
aus, so bleibt noch die freilich weniger dezente Form des Schulden-
machens auf den Kredit der eigenen Notenbank hin, soweit dieser
reicht. Sie hat den besonderen Vorzug größter Leichtigkeit und
Schnelligkeit, erfordert weder langwierige und peinliche Verhand-
lungen, wie die Anleihe, noch Kopfzerbrechen um die Raffinements
der Ausstattung immer neuer Typen schwebender Schulden. Für
Frankreich insbesondere ist sie der gegebene Weg wegen der bis-
herigen finanziellen Stärke und der Verfassung, Politik und Tradi-
tion seiner Bank, endlich wegen des Ansehens und Vertrauens, das
sie im Lande und darüber hinaus genießt. Sie war der Felsen, auf
den allein Frankreich sich für die finanzielle Seite seiner Krieg-
führung bei Ausbruch des Krieges stützen konnte, sie ist es noch
heute. Solange er hält, wird Frankreich nicht gezwungen sein, aus
Mangel an Geldmitteln seinen Revanchekrieg aufzugeben. Die Be-
nutzung der Notenpresse, worin der staatliche Notenbankkredit fort-
laufend in Erscheinung tritt, kann und muß freilich mit der Zeit
zur Entwertung der Währung auch im Inlande, zur Papiergeldwirt-
schaft im eigentlichen Sinne mit allen ihren Folgen führen. Auch
diesen Zustand kann der Staat aber überstehen. Die Not des Krieges,
und erst recht die eines harten, schweren und langwierigen Krieges,
erzieht zur Anspruchslosigkeit auch in bezug auf die Mittel des
Tauschverkehrs, und die Preissteigerung, in der die Papiergeldent-
wertung Ausdruck findet, geht in die wachsende große Teuerung
mit ein, die durch die abnormen Verhältnisse der Kriegszeit verur-
774 H. Köppe,
sacht wird. Viel schwieriger gestaltet sich die Bezahlung der Aus-
landschulden, die fortgesetzt aufgehäuft werden müssen, weil die
Kriegsmaterialien im eigenen Lande nicht zur Genüge hergestellt
werden können. Die dazu nötigen Auslandkredite können nur zu
immer härteren Bedingungen aufgebracht werden, und hier ist in der
Tat eine Grenze gegeben, jenseits deren die Kraft zur Fortführung
des Krieges erlahmen muß. Ziffernmäßig läßt sie sich natürlich
nicht bestimmen. Auch die Kredithilfe Englands wird schließlich
der Erschöpfung zugeführt, wenn es zuletzt die unerhörten finan-
ziellen Lasten des Weltkrieges auf der Seite unserer Gegner ganz
allein tragen muß. Die Entwertung der Banknoten im Inlandverkehr
dagegen wird für sich allein dem Kriege kein Halt gebieten. Erst
der militärische Zusammenbruch mit der Wirkung tiefer Erschütte
rung des Vertrauens zur Staats- und Heeresleitung müßte zweifellos
auch den Kredit des Staates im eigenen Lande zusammenbrechen
lassen. In diesem Falle aber ist das Schicksal des Krieges ohne
hin entschieden. So schlecht die Finanzen Frankreichs auch stehen.
so wäre es doch unklug, daraus eine bestimmte Hoffnung auf Be
endigung des Krieges infolge finanzieller Erschöpfung ableiten zu
wollen.
Ganz anders steht die Frage der Finanzen Frankreichs nach
dem Kriege. Die Wunden, aus denen seine Volkswirtschaft und sein
Finanzwesen bluten, werden eine sehr lange Zeit brauchen, um sich
zu schließen und wieder zu heilen. Das läßt der gegenwärtige Stand
der Dinge mit Sicherheit annehmen. Frankreich wird in dieser Hin-
sicht die entgegengesetzte Erfahrung wie nach dem Kriege 1810/11
machen, und für Deutschland wie für die ganze Welt wird auf eine
nicht geringe Zahl von Jahren hinaus eine starke Garantie des
Friedens in dieser finanziellen Zermürbung seines alten Gegner
liegen.
Diese Garantie wird erheblich verstärkt werden durch die sehr
bitteren Erfahrungen, die Frankreich in diesem Kriege mit der Be-
reitschaft seiner Bürger, die materiellen Lasten und Opfer des
Krieges auf sich zu nehmen, gemacht hat. Sie dürften selbst bei
diesem leichtlebigen Volke nicht so bald vergessen werden. Man
braucht nicht so weit zu gehen, wie Landmann!), der darin, dab
von den bis zum November 1915 aufgebrachten Kriegskrediten in
Frankreich 14, in Deutschland 95 v. H. in langfristiger Form aul-
gebracht wurden, „zwei Extreme der Staatsauffassung“ erblickt. Der
einen sei der Staat ein höchster, fast religiöser Wert, der über Wirt-
schaft und Gesellschaft stehe, die andere beschränke ihn auf die
Grenzen eines notwendigen Uebels und wende alle ihm entzogent
Macht der Gesellschaft zu. Im machtlos gewordenen Staate könne
alsdann die Gesellschaft ihre wirtschaftlichen Interessen zum Gesetz
des staatlichen Handelns erheben; der mächtig gebliebene Staat da
gegen könne öffentliche Pflichten über wirtschaftliche Interessen
1) a. a. O. S. 24,
Die Kriegsanleihen Frankreichs und die englisch-französische Anleihe ete. 775
setzen und neben der persönlichen Dienstpflicht des Mannes die
Dienstpflicht des Kapitals instituieren. Es genügt vielmehr, aus der
Geschichte der französischen Kriegsanleihen — oder besser gesagt
Kriegsanleiheversuche — zu erkennen, daß das französische Volk
trotz allem Nationalismus und Chauvinismus, Völkerhaß und Revanche-
geschrei, den materiellen Egoismus in seiner Seele nicht in dem Maße
zu überwinden vermag, wie es das Staatsinteresse erfordert, um die
ungeheueren Opfer an Gut aufbringen und bestreiten zu können, die
ein Krieg mit Deutschland in jedem, für Frankreich durch Bünd-
nisse oder Konstellationen oder durch das Auftreten von strate-
gischen Genies oder wodurch sonst auch noch so günstig liegenden
Falle unbedingt erheischt. Dieser durch die Ergebnisse unserer Be-
trachtung gerechtfertigte Ausblick in die Zukunft mag uns in der
sicheren Ruhe bestärken, mit der wir angesichts des bisherigen Ver-
laufs des Weltkrieges dessen Ausgange und der darauf folgenden
Periode neugestalteten Völkerlebens entgegensehen.
776 Otto Heyn,
IX
Zur Verteidigung der Chartaltheorie
des Geldes.
Von
Dr. Otto Heyn, Nürnberg.
In einer vor kurzem veröffentlichten Abhandlung „Die Kriegs-
kostendeckung und ihre Quellen“ !) beschäftigt sich Lansburgh ein-
gehend mit der sogenannten Chartaltheorie des Geldes, die er einer-
seits als fehlerhaft konstruiert bezeichnet und der er andererseits
unter anderem den Vorwurf macht, daß sie, in Kriegszeiten ange-
wendet, dazu beitrage, die zur Deckung der Kriegskosten notwendige
Umwandlung der Friedenswirtschaft in die Kriegswirtschaft zu ver-
langsamen. Als einer der ältesten, wenn nicht der älteste Vertreter
der Chartaltheorie (die allerdings bei dem Erscheinen meiner ersten
Schrift hierüber — 1894 — diesen Namen noch nicht führte), sehe
ich mich veranlaßt, hierauf zu antworten.
Lansburgh gibt zunächst (a. a. O. S. 52) eine Erklärung für die
beiden Geldtheorien, die metallistische und die Chartaltheorie, die
theoretisch streng unterschieden werden müssen, wenn sie auch, wie
ausdrücklich betont wird, in der Praxis rein kaum vorkommen, son-
dern „meist ineinander überlaufen, vielfach sogar in dem Maße, dad
die Währungen sich kaum noch klassifizieren lassen“. Diese Er-
klärung lautet folgendermaßen:
„Die metallistische Theorie (currency principle) versteht unter dem
Gelde, wie es sein soll, ein Zahlungsmittel aus Metall, dessen Nennwert sich mit
seinem Effektivwert deckt; also ein Zahlungsmittel, dessen Metallgehalt so gro)
ist, daß man ihn aus der Geldform (durch gen in irgendeine andere
Form bringen kann, ohne dadurch einen Verlust zu erleiden. Diesem wertechten
Gelde stellt die metallistische Theorie diejenigen Geldarten gleich, welche, obschon
sie selbst keinen ihrem Nennwert entsprechenden Metallgehalt haben, doch jeder-
zeit in solche metallhaltigen Geldarten umgetauscht werden können, die an irgend-
einer Stelle als Deckung oder Pfand für sie hinterliegen. Das Kennzeichen einer
metallistischen Währung ist also, daß das Währungsgeld seinen Nennwert entweder
in Form eines bestimmten Metalls mit sich herumträgt, oder Stück für Stück voll
durch dieses Metall gedeckt ist, so daß dem umlaufenden Währungsgeld eine
irgendwo hinterliegende Metallmenge absolut gleichen Werts entspricht. Wesent-
lich für eine solche Währung ist ferner, daß ebenso wie das Währungsgeld jeder-
zeit in Metall, so auch das Metall jederzeit in Währungsgeld verwandelt werden
kann. Seit Silberwährung und Bimetallismus theoretisch und praktisch Bankerott
1) Bank Verlag. Berlin W. 8°. VI u. 72 SS. (Preis: 2 M.)
Zur Verteidigung der Chartaltheorie des Geldes. 777
emacht haben (nicht infolge ihrer fehlerhaften Konstruktion oder ihrer inneren
Unmöglichkeit, sondern intolge des jedem Handelsstaate auferlegten Zwanges,
sein eigenes Geldwesen dem des Haupthandelsstaates anzupassen), besteht das
Währungsgeld der metallistischen Richtung nur noch aus Gold und voll durch
Gold gedeckten Noten.
„Die Chartaltheorie (eine Abart des alten banking principle) steht hin-
gegen auf dem Standpunkt, daß das Geld als solches mit dem Metall, aus dem
es häufig besteht, oder in das es normalerweise meist umgetauscht werden kann,
nicht notwendig verbunden zu sein braucht, sondern daß die Beziehung zwischen
Geld und Metall ebenso gut fehlen kann. Geld ist nach dieser Theorie ein
Zahlungsmittel, dessen Wertbeständigkeit nicht durch das Unterpfand eines be-
stimmten Gutes und durch die jederzeit mögliche Verwandelbarkeit in dieses Gut
arantiert zu sein braucht. Es genügt vielmehr, daß dem Zahlungsmittel ein
estimmter Wert durch Staatsbefehl verliehen wird, um es ‚Geld‘ werden zu lassen,
es mag im übrigen beschaffen sein, wie es will. Besteht es aus Gold, so ist das
eine angenehme Zugabe, die — vernünftige Chartalisten gestehen das ruhig zu —
manchen schätzenswerten Vorteil hat. Aber das Geld kann diese Zugabe auch
ohne wesentlichen Schaden für das Gemeinwesen entbehren, und es steht völlig
beim Staate, welchen Stoff er durch seinen Geltungsbefehl zu Geld machen will.
Papier tut dabei genau so gute Dienste wie irgendein edles oder nicht edles
Metall. Denn das Geld gilt nicht, was der Stoff wert ist, aus welchem es (ma-
teriell oder durch Tauschbeziehung) besteht, sondern was der Staat will, daß es
elten soll, indem er es durch Aufdruck oder Prägung zum Wertzeichen macht.
er Staat kann die von ihm zu Geld erhobenen Wertzeichen selbst ausgeben, er
kann aber auch andere Instanzen mit ihrer Ausgabe betrauen, also kreditgewährende
und zugleich geldschaffende Banken konzessionieren (daher ‚banking principle‘).“
Die hier gemachten Ausführungen über die Chartaltheorie sind
nicht ganz zutreffend. Man darf aber Lansburgh zugute halten, daß
die Verfechter dieser Theorie selbst nicht einig sind. Die von mir
vertretene Richtung z. B. weicht von der Knappschen in wesent-
lichen Punkten ab. Hierauf näher einzugehen, ist an dieser Stelle
nicht nötig. Die Unterschiede werden sich im Laufe der Erörterung
ohnehin deutlich zeigen.
I. Die Wertbasis des Chartalgeldes.
Der Hauptkonstruktionsfehler, an dem nach Lansburgh die
Chartaltheorie krankt, wird, wie folgt, dargelegt (a. a. O. S. 55 fg.):
E Und trotz alledem habe ich gesagt, es scheine nur so, als ob Geld-
ohne stoffliche Garantie existieren, die ihren Wert ausschließlich vom Staats-
willen erhalten. Und ich wiederhole es hier. Natürlich will ich damit nicht etwa
sagen, es sei Augentäuschung, wenn wir allenthalben Zahlungsmittel ohne Eigen-
ehalt sehen, die in einem bestimmten, staatlich festgesetzten Verhältnis im Ver-
ehr gegeben und genommen werden. Solche Zahlungsmittel — daran ist kein
Zweifel möglich — existieren, haben wohl stets existiert und werden auch immer
existieren. Was ich für Schein und Selbsttäuschung erkläre, ist nicht die Tat-
sache, daß irgendwelche Zettel durch Staatsbefehl zu mexikanischen Dollars,
portugiesischen Milreis und chinesischen Taels gemacht werden können, sondern
die Folgerung, die von den Anhängern der Chartaltheorie aus dieser Tatsache
ezogen wird. Denn die Chartalisten folgern aus der unbestreitbaren Tatsache
es Bestehens zahlreicher Papier-, Eisen-, Stein- und sonstigen Währungen ohne
Edelmetallbasis, daß der Staat den von ihm geschaffenen oder autorisierten Zah-
lungsmitteln außer dem ihnen in Währungseinheiten aufgedruckten, aufgeprägten
oder aufgemeißelten Verhältnis zum gesetzlichen Landesgelde, also außer seinem
nominellen Wert, auch einen faktischen Wert, eine bestimmte positive
Kaufkraft verleihen könne. Und diese Annahme, die den eigentlichen Inhalt
778 Otto Heyn,
der Chartaltheorie ausmacht, beruht auf Selbsttäuschung und auf gründlicher
Verkennung des Geldwesens.
„Alles, was die Staatsgewalt dem Gelde gegenüber vermag, ist auf das rein
.Deklaratorische‘ beschränkt. Der Staat kann erklären, daß diese oder jene
Münze, dieser oder jener Zettel im Verkehr als soundso viel Mark-, Franks- oder
Dollareinheiten zu gelten habe. Er kann auch erzwingen, daß diese, den Nominal-
wert seines Geldes regelnde Anordnung befolgt wird, daß also jeder, der den
Preis seiner Arbeitskraft oder seiner Waren in den betreffenden Münzen oder
Zetteln bezahlt erhalten hat, rechtlich befriedigt ist und keinen weiteren Anspruch
mehr hat. Dagegen vermag der Staat nichts in ‚valorisatorischer‘ Hin-
sicht. Es steht nicht in seiner Macht, zu bestimmen, wie groß das Quantum
Ware oder Arbeitskraft sein soll, das für einen bestimmten Hich seine Münzen
oder Zettel dargestellten Geldbetrag erhältlich ist.“
Hier liegt, wenigstens was die von mir vertretene Richtung an-
langt, die ich allein zu verteidigen die Aufgabe habe, ein Irrtum
zugrunde.
Zunächst ist es doch wohl unrichtig, wenn Lansburgh be-
hauptet: alles, was die Staatsgewalt dem Gelde gegenüber vermag,
ist auf das rein Deklaratorische beschränkt. Wenn der Staat
nicht nur erklären („deklarieren“) kann, daß dieser oder jener Zettel
im Verkehr soundso viel Mark zu gelten habe, sondern, wie L.
selbst hinzufügt, auch erzwingen kann (und tatsächlich erzwingt),
daß diese den Nominalwert des Geldes regelnde Anordnung im Ver-
kehr befolgt wird; wenn insbesondere seine Gerichte jeden Schuldner,
der sich verpflichtet hat, 1000 M. zu bezahlen, von seiner Schuld
freisprechen, wenn er seinem Gläubiger Staatsnoten im Nennwerte
von 1000 M. übergibt; wenn endlich der Staat selbst Steuerschulden
im Betrage von 1000 M. mit Staatsnoten von gleichem Nennwert
zu bezahlen gestattet, so geht das über das rein Deklaratorische weit
hinaus. Darin aber hat L. recht: eine „bestimmte positive Kauf-
kraft“ vermag der Staat dem von ihm zum Gelde erklärten Papier-
zettel nicht zu verleihen !). Das ist aber auch gar nicht nötig. Kauf-
kraft erwirbt das Papiergeld sich selbst.
Dieser Umstand ist es, der von den meisten völlig übersehen
wird. Das Papiergeld (Chartalgeld) erlangt Kaufkraft wie jedes
andere wirtschaftliche Gut — im freien Verkehr ohne jeden Zwang
nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage, die alle Preisver-
hältnisse des Marktes regulieren.
Worauf beruht die Kaufkraft oder der Tauschwert, besser: der
den Tauschwert bestimmende Preis jedes wirtschaftlichen Gutes?
Darauf, daß dieses Gut eine gewisse Brauchbarkeit z. B. zur Er-
nährung des Menschen, wie das Brot oder das Wasser, besitzt, und
darauf, daß es nicht ohne Kosten zu erlangen ist, wie wiederum das
Brot, ferner das Wasser aus der Wasserleitung in der Wohnung des
einzelnen. Die Brauchbarkeit eines Gutes veranlaßt den Menschen,
seinen Erwerb ins Auge zu fassen, seine „Kostspieligkeit“ veranlaßt
ihn, für den Erwerb etwas zu bezahlen. In berechtigtem Eigennutz
bezahlt er stets möglichst wenig dafür, im höchsten Falle so viel,
1) Das ist von mir auch niemals behauptet worden,
Zur Verteidigung der Chartaltheorie des Geldes. 779
daß die aufgewendeten Kosten hinter dem Opfer, das ‘in dem Ver-
zicht auf den Erwerb des begehrten Gutes liegen würde, zurück-
bleiben. Aus dem Bestreben der Besitzer des Gutes, dasselbe mög-
lichst teuer zu verkaufen, und dem Bestreben der Reflektanten, mög-
lichst wenig dafür zu bezahlen, bildet sich dann der Preis in der
Höhe, in welcher die bei diesem Preise angebotene und die bei diesem
Preise nachgefragte Menge einander decken.
Diesen allgemeinen Gesetzen folgt auch die Preisbildung —
oder wenn man lieber will: die Gewinnung von Kaufkraft — beim
Gelde.
Der Staat, welcher Papiergeld ausgibt, verleiht den betreffenden
Stücken Papier, die an sich wertlos sind, gesetzliche Zahlkraft, d. h.
die Fähigkeit, Geldschulden von gleichem Nominalbetrage zu tilgen.
Diese Geldschulden sind Schulden aller Art, sowohl vertragsmäßig
begründete, wie sie bei jedem Kreditgeschäft entstehen, als auch
öftentlich-rechtliche, insbesondere Steuerschulden. Da es nun bei
unserem auf Kredit aufgebauten Verkehr stets eine unabsehbare
Menge vertragsmäßiger Geldschulden gibt und da bei Fortdauer des
Vertrauens zum Gelde stets neue Schulden dieser Art, und zwar
auch zu denselben Bedingungen, stets wieder begründet werden, da
ferner auch die Steuerschulden der Staatsbürger nicht ganz unwesent-
lich sind, so ist ein mit gesetzlicher Zahlkraft ausgestattetes Stück
Papier zweifellos ein Ding, welches für viele Personen „brauchbar“ -
ist. Dieses Stück Papier wird nun nicht umsonst abgegeben. Der
Staat sucht dasselbe vielmehr möglichst teuer zu verwerten, und
ebenso verfahren diejenigen, die es von ihm erworben haben. Daraus
ergibt sich die Folge, daß die Beschaffung eines solchen Papiers
seitens irgendwelcher Privatpersonen im freien Verkehr etwas kostet.
Die Staatsnote besitzt also einerseits „Brauchbarkeit“ oder „Nütz-
lichkeit“, andererseits Kostspieligkeit. Das sind aber die
beiden einzigen Vorbedingungen dafür, daß ein Ding im Tauschverkehr
einen Preis und damit Tauschwert oder mit anderen Worten „Kauf-
kraft“ erlangt.
Die Größe dieser Kaufkraft, oder sagen wir besser: der Preis,
den das staatliche Notengeld im Verkehr erlangt, hängt, wie bei
jedem anderen Gute, nicht davon ab, welchen Nutzen es zu gewähren
vermag, sondern einerseits davon, welchen Preis diejenigen, die es
um seiner nützlichen Eigenschaft (der gesetzlichen Zahlkraft) willen
erwerben wollen, dafür bieten, andererseits davon, zu welchem Preise
diejenigen, die es besitzen, selbst aber von dieser Eigenschaft keinen
Nutzen ziehen können oder wollen, dasselbe abgeben. Wie hoch ist
dieser Preis?
In dieser Beziehung ist zu berücksichtigen, daß das staatliche
Notengeld niemals unvermittelt ins Leben tritt, sondern stets die
Stelle eines anderen Geldes einnimmt, das vor ihm im Verkehr war,
gewöhnlich diejenige eines vollwertigen Metallgeldes, an dessen Stelle
es ausgegeben wird. Dieser Vorgänger wurde in Verkehr zu einem
ganz bestimmten Preise gegeben und genommen; der Wertbegriff,
180 Otto Heyn,
den es verkörperte, etwa die Mark, hatte einen ganz bestimmten
Inhalt; er bedeutete (je nach den Preisen) etwa 40 Stück Weib-
brötchen oder 1 Pfund Fleisch oder ‘, Tagelohn eines männlichen
Arbeiters, !/;, Monatsmiete für eine kleine Wohnung u. dgl. Wenn
nun der Staat Noten im Nennwerte von 1 Mark ausgibt und diese
mit gesetzlicher Zahlkraft in entsprechender Höhe, also mit der
Kraft, Schulden von 1 Mark zu tilgen, ausstattet, so wird er in dem
Bestreben, diese Noten so gut wie möglich zu verwerten, den Ver-
such machen, sie zu dem gleichen Preise abzugeben wie das frühere
Metallgeld, so hoch also, daß 1 Mark Nominalwert 1 Mark Effektiv-
wert gleichkommt. Das liegt nicht nur in seinem eigenen Vorteil,
sondern entspricht auch dem allgemein anerkannten Postulate tun-
lichster Erhaltung der Wertbeständigkeit des Geldes. Diesem Grund-
satz folgend, bezahlt also der Staat für Arbeitsleistungen und Waren
unter übrigens gleichen Umständen nach wie vor die gleichen Preise.
mit anderen Worten die gleichen Beträge in Mark, jetzt aber in
Noten, statt früher in Metallgeld. Die Empfänger werden das neue
Notengeld teils zu diesen Preisen annehmen müssen, weil sie als
Kreditgeber des Staates oder als Staatsdiener oder aus sonstigen
Gründen das nicht weigern können, teils werden sie es freiwillig
dazu annehmen in dem Bewußtsein, daß das Notengeld den gleichen
Nennwert und die gleiche gesetzliche Zahlkraft besitzt wie das
frühere Metallgeld, und in der Erwartung, daß es auch die gleiche
Kaufkraft erlangen werde. Auch diese ersten Nehmer werden dann
(wie auch alle späteren) danach trachten, wenn sie das Notengeld
weitergeben, ihrerseits wiederum einen möglichst hohen, tunlichst
einen ebenso hohen Preis wie für das frühere Metallgeld zu erzielen.
Diejenigen nun, welche das Geld erwerben müssen, um Schulden
zu tilgen, werden, solange diese „feste Stimmung“ vorherrscht, nicht
umhin können, den gleichen Preis wie für das frühere Metallgeld
zu bezahlen. Solange ihnen der Erwerb nicht billiger angeboten
wird, können sie das aber auch ruhig tun; denn das staatliche Noten-
geld leistet ihnen ja bei der Bezahlung ihrer Geldschulden die gleichen
Dienste wie das frühere Metallgeld, und billiger lassen sich diese
Dienste anderweitig nicht beschaffen.
Geschieht das aber und geschieht es allgemein, so erwirbt damit
das Notengeld auch die gleiche Kaufkraft wie das frühere
Metallgeld.
Herrscht nun Vertrauen zu dem neuen Gelde, d. h. wird
entweder in der Erkenntnis der wahren Sachlage (was aber wohl in
den seltensten Fällen zutreffen wird) oder in der Ueberschätzung
der Macht des Staates oder in mehr oder weniger begründetem
Optimismus angenommen, daß der Wert des Notengeldes in der
erreichten Höhe dauernd erhalten bleiben werde, so werden auch bei
Kreditgeschäften, also wenn beim Warenverkauf der Kaufpreis
gestundet wird oder wenn Darlehen gewährt werden, keine anderen
Bedingungen, insbesondere keine Goldklauseln, vereinbart. Damit
aber werden die vertraglichen Geldschulden, zu deren Tilgung die
Zur Verteidigung der Chartaltheorie des Geldes. 781
gesetztliche Zahlkraft dem Notengelde die Fähigkeit verleiht, immer
neu begründet, und so bleibt die Verwertungsmöglichkeit dieses Geldes
in dem früheren Umfange erhalten. Daß der Staat diese gesetzliche
Zahlkraft nicht herabsetzt und daß er selbst nach wie vor das neue
Geld zum Nominalwerte annimmt, versteht sich in einem geordneten
Staatswesen, das es mit seiner Pflicht der Regelung des Geldumlaufs
genau nimmt, von selbst. Bei dieser Sachlage bleibt dann aber die
Basis des Geldwertes, die gesetzliche Zahlkraft, unverändert
und wird ihre Verwertbarkeit, sowohl was das Anwendungsgebiet,
als auch was die Bedingungen der Anwendung anlangt, in dem
früheren Umfange erhalten.
Ebenso wird der Staat stets auch darauf bedacht sein, das
Notengeld so teuer wie möglich abzugeben, und nicht etwa bei dem
Ankauf von Waren höhere Preise aus dem Grunde zugestehen, weil
er nicht mit Metallgeld, sondern „nur“ mit Notengeld zahlt. Solange
das geschieht, haben aber auch andere Besitzer von Notengeld keinen
Grund, dasselbe billiger abzugeben als früher und damit zugleich
billiger als das ehemalige Metallgeld. Trifft das zu, so sehen sich
die Geldschuldner dauernd gezwungen, für das Notengeld die gleichen
Preise zu bezahlen wie für das frühere Metallgeld. Damit bleiben
dann auch die Beschaffungskosten und die Kaufkraft, die
weiteren Elemente des Wertes, dauernd die gleichen.
Wenn hier gesagt ist, daß das Notengeld dauernd die gleichen
Preise erziele wie früher, so heißt das natürlich nur, daß die Preise
unter übrigens gleichen Umständen gleich bleiben. Es
ist keineswegs ausgeschlossen (und darf nicht ausgeschlossen sein,
wenn das Geld seine Funktion als Preismesser richtig erfüllen soll!),
daß die Preise sich ändern, wenn Aenderungen auf der Warenseite
eintreten, wie etwa dann, wenn wegen Ermäßigung der Produktions-
kosten infolge technischer Verbesserungen die Waren billiger
abgegeben werden oder wenn infolge der Zunahme des Bedarfs (z. B.
des Staatsbedarfs bei Kriegsausbruch, der überdies eilige Deckung
erfordert) eine Verteuerung eintritt. Derartige Aenderungen auf
dem Warenmarkte sollen und müssen in den Preisen zum Ausdruck
kommen. Sie zum richtigen Ausdruck zu bringen, ist aber das
Notengeld, wie wir später noch sehen werden, sogar besser geeignet
als das Metallgeld.
Die Werterhaltung, und damit das gedeihliche Funktionieren
des Notengeldes, ist aber — ebenso wie die Werterhaltung jedes
anderen Gutes — dadurch bedingt, daß nicht nur die Grundlagen
seines Wertes in Wirklichkeit unverändert erhalten bleiben,
sondern daß auch der Glaube hieran nicht ins Wanken gerät. Bei
allen Dispositionen für die Zukunft — und diese sind ja stets zu
treffen, wenn es sich darum handelt, zu entscheiden, ob Geld behalten
oder zum Ankauf von Waren verwendet werden oder ausgeliehen
werden soll — ist ja von maßgebender Bedeutung die Meinung des
Disponenten darüber, wie die Zukunft sich gestalten wird. Herrscht
Vertrauen in den ruhigen Fortgang der Dinge, so wird jedermann
182 Otto Heyn,
ganz anders disponieren als in der Furcht von einer Verschlechterung
der Verhältnisse, vor deren Folgen er natürlicherweise sich zu
schützen trachtet. Herrschen in einem Lande — um dem von
Lansburgh als Beweis gegen die Richtigkeit der Chartaltheorie
angeführten Beispiele zu folgen — so unglückliche politische Ver-
hältnisse wie in Mexiko, wo eine Regierung die andere ablöst und
niemand weiß, ob die Verfügungen der früheren Regierung von der
folgenden anerkannt werden, so wird jedermann daran Zweifel hegen,
ob das bestehende Notengeld die Grundlage seines Wertes, nämlich
seine gesetzliche Zahlkraft, auch in Zukunft noch ungeschmälert
besitzen werde, und ebenso werden Zweifel daran bestehen, ob nicht
eine neue Regierung, um sich Mittel zu verschaffen, neues Geld zu
viel billigeren Preisen abgibt. Schon aus diesem Grunde wird
niemand geneigt sein, für das Notengeld ohne weiteres den gleichen
Preis wie früher für das Metallgeld zu bezahlen. Ebenso wird aber
derjenige, der Notengeld besitzt, ohne es in der nächsten Zukuntt
zur Schuldentilgung verwenden zu müssen, geneigt sein, dieses Geld
billiger abzugeben. Damit sind dann aber Kaufkraft und
Beschaffungskosten des Geldes — und letztere bilden ja den aus-
schlaggebenden Faktor des Preises für jedes Gut — schon in der
Gegenwart gesunken. Unter solchen Umstämden kann der Wert
des Notengeldes natürlich nicht erhalten bleiben.
Das Gleiche geschieht unter anderem Verhältnissen, wenn Geld-
besitzer und Geldreflektanten aus irgendeinem anderen Grunde,
und sei es zunächst auch nur im Irrtum, zu der Annahme gelangen,
daß das Notengeld später nicht mehr den gleichen Wert haben,
d. h. entweder weniger gut verwertbar sein werde oder billiger
werde erworben werden können — eine Meinung, die sich mit Grund
oder ohne Grund z. B. dann verbreiten kann, wenn Notengeld in
großer Menge ausgegeben wird. In solchen Fällen suchen die Geld-
besitzer ihr Geld ins Ausland zu retten und kaufen Güter, die dort
Wert haben, besonders Gold, ausländische Wechsel, ausländische
Effekten. Durch diese außergewöhnliche Nachfrage treiben sie die
Preise dieser Güter in die Höhe, rufen ein Goldagio hervor, das
allgemein als Zeichen der „Entwertung“ des inländischen Geldes
angesehen wird und das ebenso wie ein Steigen der Wechselkurse
auf die Preise der Import- und Exportartikel verteuernd einwirkt,
und tragen damit zur Ausbreitung und Verstärkung dieser Angst-
dispositionen bei. Schließlich tritt dann eine allgemeine Minder-
bewertung des Geldes ein -—- aus den gleichen Gründen und mit
dem gleichen Erfolge, wie bei einer Börsenpanik, unter deren Ein-
fluß auch die Kurse der bestfundierten Werte ohne jeden inneren
Grund heruntergerissen werden.
Mit Rücksicht hierauf ist von mir stets betont worden, dal
die Voraussetzung für das richtige Funktionieren des Notengeldes
(wie übrigens jedes Geldes) ist: daß das Vertrauen zu dem
Geldeaufrechterhalten bleibt. Diese Bedingung läßt sich aber
auch erfüllen — allerdings nicht unter Verhältnissen wie in Mexiko.
Zur Verteidigung der Chartaltheorie des Geldes. 783
wo jede sichere Staatsordnung aufgehört hat und die Machthaber
sich bei ihren Dispositionen nicht von der Rücksicht auf das Staats-
wohl und die Grundsätze einer gesunden Geldwirtschaft, sondern
von der Rücksicht auf ihren eigenen Geldbedarf leiten lassen, wohl
aber in Staaten von normaler Struktur und mit geordneter, durch
sachliche Rücksichten geregelter Verwaltung, wie z. B. Deutschland.
In solchen Staaten liegt auch nicht die mindeste Veranlassung vor,
das Vertrauen zum Gelde, auch wenn es nur aus Papier besteht,
sinken zu lassen. Das gilt wenigstens unter der Voraussetzung, daß die
am Verkehr beteiligten oder wenigstens die leitenden Kreise, denen
die übrigen folgen, entweder die Dinge so betrachten, wie sie wirk-
lich liegen, und die wirtschaftlichen Gesetze kennen, denen sie
sich beugen, oder daß in Unkenntnis der wirklichen Verhältnisse
angenommen wird, daß der Staat imstande sei, dem Gelde eine
bestimmte Kaufkraft zu garantieren, wie Lansburgh es den Vertretern
der Chartaltheorie allgemein unterstellt.
Ob dieses unerläßliche — sei es blinde, sei es auf Erkenntnis
beruhende — Vertrauen zu dem Gelde, wenn es Papiergeld ist, sich
bei uns in Deutschland schon jetzt ohne weitere Stütze herstellen
` ließe, ist eine Frage, die mit Rücksicht auf den seit Jahren gepflegten
starren Goldglauben und in Anbetracht dessen, daß die Wissenschaft
über die Geldtheorie noch keine klaren Ansichten gewonnen hat,
verneint werden muß. Schuld daran ist aber nicht ein Konstruktions-
fehler der Chartaltheorie, sondern der Grund liegt in den praktischen
Verhältnissen, speziell in der durch entgegengesetzte Lehrmeinungen
und frühere Mißbräuche hervorgerufenen Voreingenommenheit der
Verkehrskreise. Gegenwärtig kann in Deutschland — im Gegensatz
z. B. zu Oesterreich-Ungarn — das Vertrauen zum Gelde nur
aufrechterhalten werden durch das Gold, das nun einmal als das
beste Geld und das einzig wertbeständige Gut angesehen wird.
Aber auch in dieser Beziehung sind Aenderungen eingetreten.
Während es früher notwendig war, daß das Geld selbst entweder
aus Gold bestand oder jederzeit in Gold eingelöst werden konnte
(wenn es auch, unter Abweichung von den Grundsätzen der
metallistischen Theorie, nicht voll gedeckt war), so genügt es jetzt,
wie Augenschein lehrt, daß bei ausschließlichem Umlauf von Papier-
geld (Banknoten, Darlehnskassenscheine und Reichskassenscheine)
ein großer Goldschatz da ist, der, im Besitze der Reichsbank,
jederzeit das Vorhandensein von Gold in Höhe von 30—40 Prozent
des umlaufenden Papiergeldes vor die Augen führt, das aber infolge
der Uneinlösbarkeit der Noten und Scheine vorerst niemandem
zugänglich ist!).
Lassen wir diesen Zustand bestehen, so bleiben damit auch für
die Zukunft die Bedingungen erhalten, unter denen ein chartales
Geld bei uns die Geldfunktion ausüben könnte.
1) Näheres darüber in dem Aufsatz: Die Bedeutung des Goldschatzes der Reichs-
bank im Kriege und nach dem Kriege, Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Januarheft 1916.
784 Otto Heyn,
II. Die Wertbeständigkeit des Geldes bei der Goldwährung und
bei der Chartalwährung.
Lansburgh fährt in seiner Kritik der Chartaltheorie folgender-
maßen fort (5. 57 fg.):
„Auch Staatswesen in besserer Verfassung, als es derzeit Mexiko ist, ver-
mögen nichts über den Effektivwert, d. h. die Kaufkraft der von ihnen prokla-
mierten Zahlungsmittel. Will ein Staat neue Geldarten schaffen, gleichzeitig aber
seine Währung gegen Wertschwankungen sichern, so genügt es nicht, daß er die
neuen Zahlungsmittel in sein historisch gewordenes Geldsystem einreiht und ihnen
durch Gesetz oder Verordnung den Nennwert der alten Zahlungsmittel beilegt
Diese Verankerung des neuen Geldes in der Landeswährung ist viel zu lose. Es
bedarf einer zweiten Verankerung, um zu bewirken, daß der so verliehene Nenn-
wert der Zahlungsmittel zu einem Effektivwert wird. Die Zahlungsmittel müssen
— da der Wert jedes Gutes sich durch das Austauschverhältnis mit anderen
Gütern bestimmt — unlöslich mit demjenigen Gute verknüpft werden, welches
man in den für den Handel malgebenden Ländern zum Weltaustauschgut und
damit zum Weltwertmesser gemacht hat. Zwar unterliegt auch dieses Gut ge-
wissen Wertschwankungen. Aber da man es vorsorglich so auswählt, daß keine
allzu plötzlichen und willkürlichen Veränderungen seiner Gesamtmenge eintreten
können, und da die Nachfrage nach ihm eine dauernde und fast stets gleich in-
tensive ist, so ist sein Wert relativ konstant. Die Veränderungen, die sein
Tauschverhältnis zu den anderen Gütern erfährt, beruhen fast stets und fast
vollständig auf Marktverschiebungen dieser zu messenden Güter,
der Weltwaren, nicht auf einer Wertänderung des messenden Gutes, des Welt-
eldes. Unterläßt man es, die Zahlungsmittel eines Landes aus dem jeweils als
/eltwertmesser dienenden Gute herzustellen, so wird es unvermeidlich, daß
diese Zahlungsmittel, ungeachtet ihres staatlich deklarierten Nennwertes, dem
Weltwertmesser gegenüber zu einer Ware werden, die wie alle Waren im
Effektivwerte schwankt und je nach dem Grade ihres Schwankens mehr
oder weniger ungeeignet zur Feststellung der Güterwerte wird. Vor allem aber
versagen solche Zahlungsmittel bei Ausübung der außerordentlich wichtigen
Funktion, als Maßstab für alle langfristigen Zahlungs- und Kreditverträge zu
dienen, für die nur ein wertbeständiges Geld in Frage kommen kann. Beweis:
die Goldklausel, die sich bei wichtigeren Geldverträgen in jedem Lande unver-
meidlich einstellt, in dem die Zahlungsmittel ihre Weltgeldqualität verloren haben
oder zu verlieren drohen.
Um diese Weltgeldqualität zu haben und zu behalten, brauchen die Zahlungs-
mittel nicht unter allen Umständen stofflich aus dem Welttauschgut zu bestehen.
Sie haben und behalten diese Qualität auch, solange sie jedem Besitzer die Mög-
lichkeit gewähren, ohne Mühe und Verzug in den Besitz des Welttauschgutes zu
kommen, also solange sie Zertifikate über dieses Gut sind und im Verkehr Platz-
halterdienste für dasselbe verrichten. Die Tauschmöglichkeit darf aber nicht eine
rein rechnungsmäßige sein und etwa auf der Erfahrungstatsache beruhen, da8
meist 40 oder 33'/, Proz. Deckung genügen, um dem Maximum an praktisch
vorkommenden Tauschgesuchen gerecht werden zu können. Vielmehr müssen die
Noten oder sonstigen Zahlungsmittel, welche Platzhalterdienste verrichten, Stück
für Stück durch das entsprechende Welttauschgut gedeckt sein.
Im anderen Falle ist wohl ihre Tauschwahrscheinlichkeit und damit ihre ‚Sicher-
heit‘ bis zu einem gewissen Grade gewährleistet, nicht aber ihre Wertbeständigkeit.*
Lansburgh verlangt also eine feste Verbindung mit dem „Welt-
wertmesser“, dem Golde, um Wertschwankungen zu verhüten und
(bestmögliche) Wertbeständigkeit zu sichern, und zwar entweder in
der Weise, daß das Geld aus Gold besteht oder daß es ein zu
100 Proz. gedecktes Goldzertifikat darstellt. Unsere nur zu 40 oder
331, Proz. mit Gold gedeckten Banknoten (die schon im Frieden
Zur Verteidigung der Chartaltheorie des Geldes. 785
beinahe die Hälfte des außerhalb der Reichsbank, also im Umlauf
befindlichen Geldes bildeten!) genügen ihm nicht. Doch das nebenbei.
Zunächst einige Worte über das Gold als „Weltwertmesser“ und
über die auf Gold gegründete Weltwährung, von denen man bei der-
artigen /Betrachtungen unrichtigerweise stets ausgeht.
Einen „Weltwertmesser“ gibt es nicht. Das Gold als solchen
zu bezeichnen, ist unrichtig. Alle Preise und Werte sind in Geld
ausgedrückt, in Mark, Frank, Sterling etc. Das Geld ist eine staat-
liche Einrichtung. Sein Geltungsgebiet hört mit den Grenzen des
ausgebenden Staates auf; außerhalb dieses Staates ist es nur noch
Ware. Ausgangspunkt für alle Erörterungen über Geldwesen darf
daher nicht die Fiktion einer Weltwährung, sondern die Tatsache
der Vielheit von verschiedenen, an das betreffende Staatsgebiet ge-
bundenen Währungen sein.
Der Schein einer Weltwährung wird dadurch hervorgerufen, daß
das Gold in fast allen Staaten zu einem bestimmten Münzfuß jeder-
zeit in Geld umgewandelt werden kann. Dieser Münzfuß ist bei
seiner Festsetzung dem tatsächlich bestehenden, durch den Münzfuß
der schon vorhandenen Goldwährungsländer mitbestimmten Markt-
preise angepaßt worden. Dadurch wurde eine bestimmte Gleichung
zwischen den Währungsgeldern der verschiedenen Staaten hergestellt.
Dieses „Pari“ wird, sofern sich der Außenhandelsverkehr der be-
treffenden Länder auf dieser Basis abwickeln kann, dadurch aufrecht-
erhalten, daß infolge der Prägungsfreiheit und der vollwertigen Aus-
prägung des Geldes das Goldgeld des einen Landes stets mit geringen
Kosten in das Goldgeld des anderen umgewandelt werden kann, und
daß diese Umwandlung unter Abfluß und Zufluß von Gold stets so
lange stattfindet, als sich dadurch noch ein Vorteil erzielen läßt.
Es beruht auf einer falschen Vorstellung, zu sagen, daß das
Landesgeld, wenn es nicht aus Gold bestehe, auch im Inlande gegen-
über dem Weltwertmesser zu einer „Ware werde, die wie alle Waren
im Effektivwerte schwanke“. Ware kann immer nur der sogenannte
Weltwertmesser, nämlich das Gold, sein.
Wenn ferner behauptet wird, daß das Gold zwar auch Ver-
änderungen seines Tauschwertes erfahre, daß diese Wertverände-
rungen aber fast ausschließlich auf Marktverschiebungen der Waren,
nicht auf Veränderungen seines eigenen Wertes beruhen, so ist das
zwar im allgemeinen richtig; es erklärt sich aber nicht aus dem
Goldgehalt des Geldes, sondern daraus, daß der Wert des goldenen
Körpers des Geldes, wenn nicht Goldknappheit herrscht, als
wert- oder preisbildendes Moment im Warenverkehr überhaupt
nichtin Frage kommt.
Der Tauschwert des Goldes in Geld ist durch die Währungs-
gesetze der verschiedenen Länder unverrückbar festgelegt. In Deutsch-
land beträgt dieser Wert 2790 M. für 1 kg. Steigt der Wert des
Goldes auf dem Markte über diesen Betrag hinaus, so wird das
Goldgeld exportiert oder eingeschmolzen oder bleibt mit Agio im
Umlauf. Darunter kann der Wert des Goldes überhaupt nicht
Jahrb. £. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 50
786 Otto Heyn,
fallen, weil jedes Kilogramm Gold zu 2790 M. in Geld umgewandelt
werden kann. Soweit Goldgeld in Deutschland existiert, muß es
also diesen Geldwert (1 kg = 2790 M.) haben.
Lansburgh spricht aber von dem Tauschwert des Goldes gegen-
über Waren. Ein direkter Austausch zwischen Gold und Waren
findet nun überhaupt nicht statt. Es gibt immer nur einen Aus-
tausch zwischen Geld und Waren, wobei allerdings das Geld viel-
fach aus Gold besteht. Lansburgh muß also behaupten, daß in
Ländern mit Goldwährung das Austauschverhältnis zwischen
Geld und Waren relativ konstant bleibe und eintretende Verände-
rungen fast stets und fast vollständig auf Marktverschiebungen der
Waren beruhen.
Zugegeben, daß das im allgemeinen zutrifft, so fragt sich doch,
worauf denn diese schätzenswerte Eigenschaft des Geldes in Gold-
währungsländern beruht, bzw. ob es gerade der Goldgehalt ihres
Geldes ist, worauf sie zurückzuführen ist.
Ursachen der Wertveränderungen des Geldes.
Wertveränderungen des Geldes, die in anderen Dingen als Markt-
verschiebungen der Waren ihren Grund haben, also auf Ursachen auf
der Geldseite zurückzuführen sind, können entstehen
a) aus Mißtrauen zum Gelde;
b) daraus, daß die Menge des Geldes nicht ausreicht, um den
Bedarf zu decken (Geldknappheit);
c) daraus, daß die Menge über den Bedarf hinausgeht (Geld-
überfluß);
d) daraus, daß das Geldpari mit anderen Ländern nicht erhalten
bleibt.
a) Mißtrauen.
Mißtrauen zum Gelde führt, wie bereits dargelegt, dazu, daß das
Geld — ebenso wie Effekten bei einer Börsenpanik — billiger ab-
gegeben wird, um wertbeständigere Güter zu kaufen, weil ange
nommen wird, daß der Wert des Geldes in Zukunft sinken oder gar.
daß es (wie in Revolutionszeiten) später für ungültig erklärt werden
möchte. Dieser Gefahr ist das Goldgeld nicht ausgesetzt, und zwar
verdankt es das, wie ohne weiteres zugegeben werden muß, seinen
goldenen Körper, der Verwertbarkeit des Goldes in der ganzen Welt
und dem überall herrschenden Goldglauben. Das Gleiche läßt sich
aber, wie bereits dargelegt, nach den Erfahrungen der letzten Jahre
bei einer Chartalwährung erreichen, wenn eine hinreichende Menge
Goldes als Stütze des Vertrauens bei der Zentralbank oder an ai-
corer Stelle hinterlegt wird.
b) Geldknappheit.
Geldknappheit würde in Goldwährungsländern überall herrschen.
wan nicht überall, wie Lansburgh schreibt, die metallistische Geld-
theorie mit der Chartaltheorie ein Kompromiß geschlossen hätte und
Zur Verteidigung der Chartaltheorie des Geldes. 7187
das nach L. theoretisch allein normale, aus Gold bestehende oder zu
100 Proz. mit Gold gedeckte Geld durch Papiergeld in der Gestalt
von Banknoten und durch andere Geldsurrogate, insbesondere Schecks
und Giroübertragungen (genauer durch die Uebertragung von Geld-
forderungen an Stelle des Geldes) eine Ergänzung fände. In
welchem Maße speziell das Papiergeld hier ergänzend eintritt, geht
daraus hervor, daß in Deutschland vor dem Kriege (1913) durch-
schnittlich 2000—2500 Mill. M. Goldgeld und etwas über 2000 Mill. M.
Banknoten und anderes Papiergeld im Umlauf waren. Die Gold-
produktion ist bekanntlich viel zu gering, um neben dem industriellen
auch noch das Geldherstellungsbedürfnis der ganzen Welt zu decken,
und überdies ist es viel billiger, wenn die Erfüllung der Geldfunk-
tion nicht ausschließlich dem Goldgelde vorbehalten, sondern zum
Teil dem körperlich wertlosen Papiergelde oder körperlosen Forde-
rungen übertragen wird. Bei so gemischtem Geldumlauf braucht,
wenn Mangel an Goldgeld herrscht, nur die Ausgabe von Papiergeld
vergrößert oder (was allerdings nur in langsamer Entwicklung ge-
schehen kann) der Giroverkehr ausgedehnt zu werden, um einer
Knappheit an Geld mit ihren schlimmen Folgen vorzubeugen. In
der Regel ist das auch in hinreichendem Maße möglich. Die Ge-
schichte kennt aber auch lange Perioden eines Kampfes ums Gold,
in denen diese Möglichkeit nicht vorhanden war und ein dauernd
anormal hoher Diskont mit seinen nachteiligen Folgen namentlich
für den Geld- und den Effektenmarkt die Wertbeständigkeit des
Geldes in Frage stellte.
Hiernach war es, soweit es gelungen ist, die Erschütterung des
Geldwertes durch Geldknappheit fernzuhalten, nicht das Verdienst
des Goldes oder des Goldgeldes, daß das geschah, sondern es war
das Verdienst des Papiergeldes, genauer die Folge der Zulassung
von nicht aus Gold bestehenden Geldsurrogaten und der Anpassung
ihrer Menge an den schwankenden Bedarf durch den sinnreichen
Mechanismus ihrer kreditweisen Ausgabe Wenn ferner in Zeiten
schwerer Krisen, zumal bei politischen Umwälzungen wie in Mexiko
oder bei Nationalkriegen wie bei uns, nicht die äußerste Geldknapp-
heit eintritt und infolgedessen die Preise ganz über den Haufen ge-
worfen werden, so ist das wiederum keineswegs ein Verdienst des
Goldgeldes, das in solchen Zeiten bekanntlich aus dem Verkehr ent-
schwindet, sondern es ist auch hier das chartale Element der Wäh-
rung, dem das zu danken ist.
c) Geldüberfluß.
Geldüberfluß ist in Ländern mit reinen, streng nach metal-
listischen Grundsätzen konstruierter Goldwährung zurzeit gewiß nicht
zu befürchten, weil nicht einmal genügend Gold vorhanden ist, um
den nach diesen Grundsätzen bestimmten Bedarf zu decken. Länder
mit solcher Währung gibt es ja aber überhaupt nicht. Die Ver-
sorgung selbst nur mit einer hinreichenden Geldmenge wird ja in
allen Staaten, wie wir gesehen haben, nur durch die Ausgabe von
50*
788 Otto Heyn,
Papiergeld und das Hinzutreten sonstiger Geldsurrogate gewährleistet.
Die Gefahr einer übermäßigen Geldausgabe besteht also nur des-
halb, weil neben dem Goldgeld die Ausgabe von Papiergeld oder von
anderen Geldsurrogaten gestattet ist. Ist diese Gefahr aber in
„Goldwährungsländern“ geringer als in Ländern mit (reiner oder ge-
mischter) Papierwährung, die derselben ganz besonders ausgesetzt
sein sollen? Das kommt auf die grundsätzliche Regelung
der Geldausgabe an.
Grundsätzlich ist die Regelung der Geldausgabe in Ländern mit
Goldwährung so, daß jede Menge Goldes zu Geld ausgeprägt werden
kann, wodurch ein fester Stock von Umlaufsmitteln geschaffen wird.
und daß darüber hinaus eine mehr oder weniger große Menge von
Geldsurrogaten leihweise ausgegeben wird. Zu diesen Surrogaten
zählen in erster Linie die wie Währungsgeld umlaufenden Bank-
noten, die die Nation demjenigen überläßt, der von ihrer Zentralbank
gegen Diskontierung eines Wechsels oder Lombardierung von Wert-
papieren Kredit erhält. Für diese Notengeldschöpfung ist im allge-
meinen eine Grenze gezogen, sei es 1) durch die absolute Be-
stimmung der Menge der von der Bank überhaupt auszugebenden
Noten (einschließlich oder ausschließlich der nur das Goldgeld ver-
tretenden), wie in Frankreich bzw. England, oder 2) durch die Vor-
schrift eines bestimmten Mindestverhältnisses zu der Größe
des Metallbestandes, der zur Sicherung der Erfüllung des Ver-
sprechens jederzeitiger Einlösbarkeit, sowie zur Sicherung des Ver-
trauens gehalten werden muß, und außerdem durch eine Notensteuer
im Falle der Ueberschreitung der „steuerfreien Notenreserve“, wie
in Deutschland. Daneben kommen, teils leihweise, teils fest aus-
gegeben, Geldforderungen in Betracht, die durch Scheck oder
Giroanweisungen übertragen werden und den Gelddienst ebenso ver-
richten wie Metallgeld oder Banknoten. Die Ausgabe dieser letzteren
Geldsurrogate hängt, wenigstens insoweit, als sie auf Kredit erfolgt,
im wesentlichen von dem Ermessen der ausgebenden Privatbanken
ab, wobei jedoch die Verpflichtung zu jederzeitiger Einlösung in
Metallgeld oder Banknoten einen heilsamen Zwang ausübt.
Wie groß der Bedarf an Geld ist, also wieviel Tauschmittel |
notwendig vorhanden sein müssen, um die gedeihliche Abwicklung
des Verkehrs bei einem den Verhältnissen des Landes angemessenen
Zinsfuß zu ermöglichen, und welche Grenze eingehalten werden mub.
um diesen Bedarf nicht zu überschreiten und schädlichen Uebertlub
zu schaffen, wird nie festgestellt. Das ist aber auch nicht nötig.
da das geltende System eine fast automatische Anpassung an den
Bedarf gewährleistet. Einerseits ist nämlich bei diesem System eine
weite Ausdehnung der Neugeldschöpfung möglich, wobei nicht nur
der anderweitig schon vorhandene, sondern auch der durch die Ge-
währung neuen Kredits seitens der Noten- und der privaten Kredit-
banken neu geschaffene Bedarf berücksichtigt werden kann; anderer-
seits tritt im Falle der Einschränkung des Bedarfs infolge dessen,
daß ein großer Teil des umlaufenden Geldes gewissermaßen nur leih-
Zur Verteidigung der Chartaltheorie des Geldes. 789
weise (gegen Diskontierung von Wechseln) auf kurze Zeit ausgegeben
ist, in kürzester Frist automatisch eine entsprechende Minderung
des Geldumlaufs ein, da in solchem Falle die fälligen Kredite mit
Rücksicht auf die Höhe der Zinslast nicht wieder erneuert und des-
halb die gegen Diskontierung von Dreimonatswechseln ausgegebenen
Noten oder Scheckkredite zurückgezahlt werden.
Dieses außerordentlich geistvolle, einfache, aus der Praxis heraus-
gewachsene System, das die Regulierung der Geldmenge im wesent-
lichen in die Hände der krediterteilenden Banken legt und einen
Ueberfluß des Geldumlaufs von selbst beseitigt, — dieses System ist
nun keineswegs ein solches, das nur bei der Goldwährung in An-
wendung gebracht werden kann. Mit dem Bestand an Goldgeld hat
es eigentlich — im Prinzip — sehr wenig zu tun. Der Bestand an
Goldgeld ist der unbewegliche Faktor, der, einerlei ob der Geldbedarf
anschwillt oder zurückgeht, im großen ganzen unverändert bleibt,
jedenfalls aber, worauf es hier ankommt, nicht den Ausschlag gibt,
weil der Verkehrsbedarf stets eine Ergänzung durch Notengeld oder
„Giralgeld“ (Geldforderungen, die durch Scheck- oder Giroanweisung
übertragen werden) erfordert. Ausschlaggebend ist vielmehr die zur
Ergänzung dienende, je nach dem Bedarf zunehmende oder ab-
nehmende und in letzter Linie durch die Krediterteilung als maß-
gebenden Faktor des Bedarfs (d. h. des Bedarfs an Umlaufsmitteln
zur Abwicklung des in seiner Ausdehnung von dem Umfange des
Kredits abhängigen Verkehrs) regulierte Menge von Geldsurro-
gaten, Notengeld und Giralgeld.e Dieser Zustand läßt sich aber
bei einer Chartalwährung genau so herstellen. Wir brauchten nur
unseren festen Minimalbedarf an Geldzeichen, der ungefähr unserem
Bestande an Goldgeld, wie er vor dem Kriege war — einschließlich
des Goldschatzes der Reichsbank — entspricht, (unter Einziehung
des Goldgeldes) in Papiergeld herzustellen und dieses definitiv
auszugeben, und dann die Reichsbank zu ermächtigen, daneben (wenn
wir den Friedensmaßstab anlegen) vorerst etwa bis zu 1500 Mill. M.
Notengeld leihweise auf Kredit gegen Diskontierung von Wechseln
oder Lombardierung von Wertpapieren auszugeben, während im
übrigen, abgesehen davon, daß die prozentuale Golddeckung wegfiele,
alles unverändert bliebe. Bei zunehmendem Bedarf könnte dann auf
Grund der Erfahrung die Menge des definitiv ausgegebenen Geldes
(etwa auf dem Wege des Rückkaufs oder der Einlösung von Staats-
anleihen) von Zeit zu Zeit erhöht werden.
Bei einem solchen System würde auch bei einer Papierwährung
dieselbe Anpassung der Geldmenge an den Bedarf eintreten wie bei
der jetzigen „Goldwährung“. Ja noch mehr — es würde sich sogar
noch eine wesentliche Verbesserung ergeben, weil dann alle Unvoll-
kommenheiten, die der Metallgehalt des Geldes zur Folge hat, weg-
fallen. In letzterer Beziehung ist folgendes zu beachten: Bei der
Goldwährung wird die Anpassung der Geldmenge an den Bedarf,
soweit die oben erwähnte automatische Einschränkung nicht Platz
greift, dadurch erreicht, daß der Bedarf an Geld der zu Währungs-
790 Otto Heyn,
zwecken verfügbaren und im Besitze der Zentralbank befindlichen
Menge Goldes angepaßt wird. Es wird nämlich bei reichlichem Gold-
bestand unter Herabsetzung des Diskonts viel, bei knappem Gold-
bestande unter Heraufsetzung des Diskonts wenig Kredit erteilt,
und von dem Umfange der Krediterteilung hängt ja die Ausdehnung
des Verkehrs und damit der Bedarf an Umlaufsmitteln ab. Bei einer
Chartalwährung fiele dieses heterogene Element der Beeinflussung
der Krediterteilung ganz weg. Dann würde für die Krediterteilung
ausschließlich der Bedarf der Volkswirtschaft (der jetzt freilich auch.
aber doch nur als zweites Element berücksichtigt wird) maßgebend
sein; es würde weder ein reichlicher, noch ein knapper Goldbestand
irgendeinen Einfluß darauf ausüben, und der Umfang der Kredit-
erteilung würde, da Schwierigkeiten der Beschaffung der erforder-
lichen Menge an Umlaufsmitteln überhaupt nicht beständen, (nach
noch aufzustellenden Grundsätzen) lediglich durch ihren Zweck be-
stimmt werden.
Wenn man stets befürchtet, daß eine Chartalwährung zur „In-
flation“ führen müsse, so ist das unbegründet. Bei unreifen Völkern
und namentlich dann, wenn die Entscheidung über die Menge des
Geldes von der Person des Herrschers allein abhängt, ist diese Ge-
fahr allerdings vorhanden, nicht aber bei Völkern, die ihr Geldwesen
nach strengen wissenschaftlichen Grundsätzen einrichten und bei
denen die von der Zustimmung des Parlaments abhängigen Gesetze
über die Menge des auszugebenden Geldes bestimmen. Ueberdies ist
eine Inflation nur dann zu fürchten, wenn in leichtsinniger Weise
Kredit erteilt wird, und dieser Gefahr kann bei einer Chartai-
währung ebensogut vorgebeugt werden wie bei Goldwährung.
d) Aufrechterhaltung der Geldparität mit dem
Auslande.
Wenn wir endlich, den Ausführungen Lansburghs folgend, zur
Wertbeständigkeit des Geldes auch die Aufrechterhaltung seines
Wertes gegenüber dem Gelde anderer Staaten rechnen, so besteht
in dieser Beziehung in Goldwährungsländern, freilich nur gegnüber
anderen Goldwährungsländern, ein geradezu idealer Zustand, der fast
der vollen Stabilität gleichkommt. Dieser Zustand ist auch lediglich
auf das Bestehen der Goldwährung zurückzuführen: er beruht auf
der daraus sich ergebenden Tatsache, daß das Geld aus Gold besteht
und daß Gold jederzeit und in jeder Menge nach dem gesetzlichen
Münzfuß zu Geld ausgeprägt werden kann. Für die natürlichen
Schwankungen des Austauschverhältnisses zwischen den Währunss-
geldern verschiedener Staaten und des Preises der auf dieses Geld
lautenden Anweisungen (Wechsel und Schecks) sind hierdurch be-
kanntlich sehr enge Grenzen gezogen, bei deren Ueberschreitung bzw.
Unterschreitung Angebot und Nachfrage jedesmal durch den Abfluĝ
von Gold aus dem einen, und dessen Ausprägung zu Goldgeld in
dem anderen Lande wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Die
Aufrechterhaltung dieses Zustandes ist aber bedingt einerseits durch
Zur Verteidigung der Chartaltheorie des Geldes. 791
das Vorhandensein einer genügenden Menge Goldes, das abfließen
kann, andererseits durch die Aufnahme derjenigen Menge Goldgeldes,
die zufließt, und daraus können möglicherweise in anderer Beziehung
recht nachteilige Folgen entstehen. Das gilt namentlich von dem
Ab£fluß von Gold, für den Fall nämlich, daß dieses Gold wie ge-
wöhnlich auch noch anderen Zwecken, nämlich denjenigen der Noten-
deckung dient und die Gefahr besteht, daß bei Abfluß desselben der
gesetzliche Mindestprozentsatz der Notendeckung erreicht oder gar
unterschritten wird. Im letzteren Falle suchen die Notenbanken
durch Diskonterhöhungen dem Goldabfluß vorzubeugen, und das hat
dann Störungen der Wertbeständigkeit des Geldes im Innern durch
Kreditverteuerung und Kreditbeschränkung zur Folge.
Die höchst schätzenswerte Stabilität des Wertverhältnisses des
einheimischen Geldes zu dem Gelde anderer Länder ist nun aber
keineswegs ein Charakteristikum der Goldwährung in dem Sinne,
daß das Bestehen der Goldwährung notwendige Voraussetzung des-
selben wäre Der gleiche Zustand läßt sich vielmehr auch
bei einer Chartalwährung herstellen. Das ist möglich ent-
weder durch direkte Beeinflussung von Angebot und Nachfrage nach
dem ausländischen Gelde bzw. nach den Anweisungen auf dieses Geld
(Wechsel etc.), was aber nur dann gelingt, wenn die regulierende
Stelle über einen großen Teil des Angebots oder der Nachfrage nach
den Wechseln des betreffendes Landes verfügt, wie z. B. England
im Verhältnis zu Indien; oder wenn unter Nachahmung des Zu-
standes bei der offenen Goldwährung eine bestimmte feste Beziehung
zwischen dem Landesgelde und der Ware Gold hergestellt wird, der-
gestalt, daß eine Landeszentralstelle jederzeit Gold zu einem be-
stimmten festen Preise in der erforderlichen Menge gegen Landes-
geld ankauft und für Landesgeld abgibt, oder endlich in der Weise,
daß beide Systeme miteinander kombiniert werden. In allen diesen
Fällen ist der Austausch des inländischen Geldes gegen ausländisches
zu einem bestimmten Kurse ebenso gesichert wie bei offener Gold-
währung. Dieser gegenüber ergibt sich sogar noch der Vorteil, daß
diese Regulierung ohne jede Gefahr für die Erschütterung der in-
ländischen Geldverhältnisse und ohne jede Beeinträchtigung der Wert-
beständigkeit des Geldes erzielt wird. Bei einer Chartalwährung
wird ja die Menge des für den Umlauf verfügbaren Geldes durch
den Zufluß und den Abfluß von Gold in keiner Weise beeinflußt;
vor allem ist es ausgeschlossen, daß durch den Abfluß von Gold
eine entsprechende Menge Geldes seiner Funktion entzogen, und daß
dadurch eine Geldknappheit herbeigeführt wird. Freilich muß der
zur Regulierung verfügbare, eventuell zur Ausfuhr abzugebende
Vorrat an Gold (oder Wechseln) groß genug sein, um dieser Auf-
gabe genügen zu können. Die gleiche Forderung ist ja aber auch
bei der offenen Goldwährung zu stellen. Hier ist sie sogar noch
ernster, denn die Konsequenz eines Abflusses von Gold bei unge-
nügendem Vorrat ist bei der Chartalwährung nur eine für das In-
land ungünstige Verschiebung des Austauschverhältnisses mit dem
792 Otto Heyn,
ausländischen Gelde, bei offener Goldwährung dagegen eine von viel
schlimmeren Folgen begleitete allgemeine Geldknappheit, ja Geldkrise.
Hiermit kommen wir zu dem Ergebnis, daß die Chartal-
währung, was die Wertbeständigkeit des Geldes anlangt, hinter
der Goldwährung zwar insofern zurücksteht, als das für die gedeih-
liche Verrichtung des Gelddienstes unentbehrliche Vertrauen zum
Gelde zurzeit weniger gefestigt ist, und daß die Aufrechterhaltung
der Geldparität mit dem Auslande ohne besondere Vorkehrungen
ausgeschlossen erscheint; daß es aber möglich ist, beiden Mängeln
durch Hinterlegung eines bedeutenden Goldschatzes bzw. durch die
Bildung einer „Goldreserve für den Auslandsverkehr“, abzuhelfen,
und daß, wenn letzteres geschieht, die Chartalwährung erheblich
größere Garantien der Wertbeständigkeit des Geldes bietet als die
Goldwährung.
III. Die angeblich nachteiligen Folgen der Beschaffung von
Geldmitteln im Kriegsfalle auf dem Wege der Notenauszabe
bei der Chartalwährung.
Lansburgh erhebt endlich gegen die Chartaltheorie den Vorwurf,
daß sie in Fällen kriegerischer Verwicklungen die Staaten dazu
verführe, unter ausgiebiger Ausnützung ihres „Schöpferrechtes“ in
„uferloser Notenausgabe“, die „nur einen Entschluß koste“, die
benötigten Geldmittel „aus der vierten Dimension herbeizuzaubern“,
daß hierdurch zugleich „im Organismus der Nationalwirtschaft eine
zusätzliche Kaufkraft erzeugt“ und daß durch beides eine scheinbare
Blüte herbeigeführt werde, die einerseits die Umwandlung der Friedens-
wirtschaft in die Kriegswirtschaft erschwere und andererseits sich
sehr bald als ein Scheingebilde erweise, das durch einen ungünstigen
Einfluß auf die Vermögensverteilung per Saldo nur Nachteile im
sefolge habe.
a) Uferlose Notenausgabe.
In diesem Teile seiner Ausführungen (S. 59 ff.) spricht Lans-
burgh so, als ob die Chartaltheorie lehre, der Staat könne nicht
nur, sondern dürfe auch ungezählte Mengen Papiergeldes ausgeben,
„von seinem Schöpferrechte ausgiebigen Gebrauch machen“ und in
„uferloser Notenausgabe“ sich auf diesem Wege alle nur gewünschten
Mittel zur Kriegführung verschaffen. In Wirklichkeit hat das noch
kein (wenigstens kein wissenschaftlicher) Anhänger oder Verfechter
der Chartaltheorie behauptet; im Gegenteil wird mit allem Nachdruck
darauf hingewiesen, daß die Ausgabe von Papiergeld sich in ver-
nünftigen Grenzen halten müsse, und redlich versucht, diese Grenzen
zu bestimmen !).
Eine dieser Grenzen ergibt sich notwendig aus den früheren
Darlegungen von selbst. Esist bereitsausgeführt worden, daß die gedeih-
1) Zuerst dürfte Bendixen hierauf aufmerksam gemacht haben. Vgl. desen
Schrift: Das Wesen des Geldes, Leipzig 1908.
Zur Verteidigung der Chartaltheorie des Geldes. 793
liche Erfüllung der Geldfunktion seitens des Chartalgeldes (wie jedes
anderen Geldes) dadurch bedingt sei, daß es das volle Vertrauen
des Verkehrs besitze. Da nun dieses Vertrauen durch die Zunahme
der Menge des Geldes in Frage gestellt wird, so muß die Ausgabe
von Geld schon mit Rücksicht hierauf in Schranken gehalten werden.
Schon aus diesem Grunde wird daher kein Staat, der sich bei seinen
Dispositionen von vernünftigen Erwägungen leiten läßt, anders als
etwa unter dem Drucke äußerster Not zu einer „uferlosen Noten-
ausgabe“ gelangen.
Abgesehen hiervon stehen aber auch die Grundsätze der
Geldschöpfung einem solchen Mißbrauch der Notenpresse ent-
gegen.
Der Staat hat dafür zu sorgen, daß stets genügend Geld, d. h.
daß eine genügende Menge von Umlaufsmitteln da ist, um den Bedarf
des Verkehrs an diesen Umlaufsmitteln zu decken. Er darf nicht
mehr und nicht weniger ausgeben. Da der Bedarf wechselt und
eine bewußte Anpassung an denselben schwierig ist, gibt er einen
Teil der Umlaufsmittel, wie bereits (S. 789) ausgeführt, fest und
unwiderruflich, einen Teil nur darlehnsweise hinaus und sichert
dadurch eine automatische Anpassung bei jeder Verminderung des
Bedarfs. Der Staat beeinflußt aber außerdem auch den Bedarf selbst.
Das geschieht in der Weise, daß er, durch die Gesetze ermächtigt,
unter bestimmten Bedingungen (gegen Diskontierung von Wechseln
oder Lombardierung von Effekten und Waren) über die einfache
Umlaufsmittelbeschaffung hinaus (neben den Privatbanken) Kredite
erteilt; denn durch diese Kredite werden viele neue Tausch-
geschäfte veranlaßt und herbeigeführt, und diese Zunahme an
Geschäften bedingt naturgemäß auch die Zunahme des Bedarfs an
Umlaufsmitteln.
Inwieweit solche Kredite erteilt werden dürfen und sollen, ist
keine Frage der Geldtheorie, sondern eine Frage von viel allgemeinerer
Bedeutung, die unter Berücksichtigung des nationalen Interesses
einerseits an einem gedeihlichen Fortschreiten der Produktion, anderer-
seits an der Erhaltung der bestehenden Vermögen und deren (in der
Höhe des Zinses ausgesprochenen) Produktivität gelöst werden muß.
Wissenschaftlich ist dieselbe, soweit mir bekannt, überhaupt noch
nicht untersucht worden. Nur so viel steht fest, daß im allgemeinen
Staatsinteresse Ueberproduktion und Ueberspekulation, wie sie durch
übermässige Kreditgabe hervorgerufen wird, vermieden werden müssen.
Im übrigen wird, wie es bisher schon durch die Praxis geschehen
ist, die Antwort zu geben sein, daß, wenigstens in normalen Zeiten,
nur eine beschränkte Krediterteilung unter Berücksichtigung des
allgemeinen Interesses an einer Stabilität des Zinsfußes stattfinden
darf (wobei die Grenzen noch entdeckt werden müssen!). Daneben
wird grundsätzlich festzustellen sein, daß der Staat selbst nur in
Ausnahmefällen, wie z. B. im Kriege, als Kreditnehmer auftreten
darf und daß für ihn die gleichen Bedingungen gelten müssen wie
für den einzelnen Staatsbürger.
794 Otto Heyn,
Das sind nur allgemeine Umrisse. Im einzelnen müssen die
Grundsätze der Geldschöpfung erst noch festgestellt werden. Die
Wissenschaft ist hier noch weit im Rückstande Unter allen
Umständen aber ist es unrichtig, wenn behauptet wird, daß die
Chartaltheorie einer uferlosen Notenausgabe das Wort redet oder
auch nur sie begünstigt.
b) Die Notenausgabe kostet nur einen Entschluß.
Lansburgh behauptet ferner, daß die Notenausgabe den Staat
nur einen Entschluß koste. Auch das ist ein Irrtum. Der Staat
muß grundsätzlich, wenn er den Besitz von Geld anders als auf dem
Steuerwege erlangen will, um darüber zu Staatszwecken zu verfügen,
dieses Geld entgeltlich erwerben, ebenso wie jeder seiner
Untertanen. Ob das Geld aus Gold besteht oder aus einer „Charta“,
etwa aus Papier, das ist ganz gleichgültig. Der Staat hat beim
Chartalgelde nicht etwa lediglich den Entschluß zu fassen, die
Notenpresse in Bewegung zu setzen, um in den Besitz von Geld zu
kommen, sondern er muß das irgendwie hergestellte Geld, das für
ihn vorerst ein noli me tangere ist, gegen ein Aequivalent
eintauschen; er muß seinen Kredit anspannen, Schuldver-
schreibungen hinterlegen und einen Diskont zahlen oder ein Zins-
versprechen geben, wie jeder einzelne Staatsbürger. Dieser ent-
geltliche Erwerb ist das Wesentliche. Ob das Geld, das er zu
seiner Verfügung erhält, aus einem wertvollen Metalle oder aus
wertlosem Papier hergestellt wird, ist in dieser Hinsicht gleich-
gültig. Vom ökonomischen Standpunkte aus muß es aber als ein
Vorteil angesehen werden, wenn die Herstellung aus Papier erfolgen
kann, d. h. wenn sie genügt, um den beabsichtigten Zweck der
Beschaffung eines gut funktionierenden Umlaufsmittels zu erreichen,
denn dann ist es nicht nötig, diesem Zwecke einen Teil des Volks-
vermögens zu opfern, der anderweitig besser verwertet werden kann.
Diesen Grundsätzen entsprechend ist ja jetzt auch in Deutsch-
land verfahren worden. Nach Ausbruch des Krieges hat der Staat
nicht etwa einfach die Notenpresse in Bewegung gesetzt und das
so hergestellte Geld für seine Zwecke an sich genommen, sondern
er hat Schatzscheine, also Schuldverschreibungen, ausgestellt, diese
bei der Reichsbank diskontiert und dagegen sich Noten aushändigen
lassen. In dieser Weise ist aber auch nicht etwa nur deshalb ver-
fahren worden, weil bei uns früher Goldwährung bestand und die
Regeln der Goldwährung ein solches Vorgehen bedingten. Keines-
wegs. Unser Vorgehen war allerdings durch Gesetze, die zur Zeit
der Goldwährung gemacht waren, vorgeschrieben, aber diese Vor-
schriften waren ganz unabhängig von der Art unserer Währung
und dadurch, daß das deutsche Geld früher aus Gold bestand, in
keiner Weise veranlaßt.
Werden bei solcher Geldabgabe gegen zu hinterlegende Schuld-
verschreibungen diese letzteren richtig gewertet, also nicht etwa
abweichend vom Verkehrswert zu pari statt zu einem niedrigeren
Zur Verteidigung der Chartaltheorie des Geldes. 795
Kurse angenommen (was z. B. in Frankreich hinsichtlich der vorerst
nur 1prozentigen Schuldverschreibungen des Staates geschehen ist),
dann erhält der Staat auf diese Weise nicht mehr Geld, als er
erhalten würde, wenn er für seine Schuldverschreibungen den Geld-
stoff, speziell Gold — dieses allerdings nicht zu den Preisen, die er
jetzt tatsächlich bezahlen müßte, sondern zu pari, wie es aber auch
bei der Münzgesetzgebung beabsichtigt ist — ankaufte, ausmünzen
ließe und nun statt mit Chartalgeld mit Goldgeld bezahlte.
c), „Zusätzliche Kaufkraft aus der vierten Dimension“
und deren nachteilige Folgen.
Lansburgh stellt dem Falle, daß der Staat sich das für die
Kriegführung Erforderliche auf dem Wege der Notenausgabe
verschafft, den anderen gegenüber, daß er bei seinen Untertanen
eine Anleihe aufnimmt, und behauptet, im ersteren Falle werde
durch die „Erzeugung“ einer zusätzlichen Kaufkraft mittels „Herbei-
zauberung von Geld aus der vierten Dimension“ eine scheinbare
Blüte, geradezu eine „Hochkonjunktur mitten im Kriege“ hervor-
gerufen, die die Umwandlung der Friedenswirtschaft in die Kriegs-
wirtschaft erschwerte und auch sonst nur nachteilig wirke. Ist
das richtig?
Zunächst: Wird denn wirklich eine „zusätzliche Kaufkraft“
erzeugt, wenn der Staat zum Zwecke der Beschaffung seines Kriegs-
bedarfs Papiergeld ausgibt, oder, wie bei uns, Banknoten ausgeben
läßt? Diese Kaufkraft war doch schon vorher da, nur
latent: sie wird jetzt erst ausgenutzt. Der Staat erhält die Noten
grundsätzlich, wie schon ausgeführt, nur dann, wenn er Schuldver-
schreibungen hinterlegt, die gleichwertig sind. Er spannt seinen
Kredit an, der längst vorhanden war, aber bisher in Reserve gehalten
wurde; dieser wird ausgemünzt oder richtiger: in bares Geld ver-
wandelt, „mobilisiert“. Das ist alles. Es wird keineswegs eine
neue zusätzliche Kaufkraft aus der vierten Dimension herbeigezaubert!
Der Staat tut nichts anderes, als etwa der Grundbesitzer tut, wenn
er in Zeiten der Not sein schuldenfrei gehaltenes oder wenig belastetes
Grundstück durch Aufnahme einer Hypothek zur Geldbeschaffung
heranzieht, oder wenn er seinen noch nicht erschöpften Personal-
kredit voll ausnützt, indem er diese Vermögensteile in Geld ver-
wandelt. Sein Vermögen bleibt gleich, ja ist vielleicht infolge
des Preisrückgangs vieler Wertgegenstände noch verringert worden;
seine Kaufkraft bleibt gleich oder ist vielleicht ebenfalls geringer
als früher, jedenfalls hat sie keinen Zusatz erfahren: es geschieht
nichts anderes, als daß ein Teil des bisher ruhenden Vermögens
mobilisiert und in einen andereren Zustand, nämlich in bares Geld
überge führt wird.
Im Vergleich mit der Beschaffung der Geldmittel für den
Kriegsbedarf durch Anleihe besteht nur der Unterschied, daß der
Staat im ersteren Falle seine Schuldverschreibungen an die Zentral-
bank, im letzteren an das Publikum begibt. Daß der Staat bei der
796 Otto Heyn,
Zentralbank regelmäßig einen besseren Kurs erzielt, ist nicht im
Prinzip der Chartaltheorie begründet und steht mit den Grundsätzen
der Lehre von der Geldschöpfung sogar im Widerspruch. —
Und doch hat Lansburgh in gewissem Sinne recht, wenn er
behauptet, daß im Falle der Beschaffung der Kriegsmittel durch
N otenausgabe statt durch Anleihe eine zusätzliche Kaufkraft
auftrete, die im anderen Falle nicht vorhanden sei. Das ergibt sich,
wenn man berücksichtigt, daß im Falle der Geldbeschaffung durch
Anleihe (wenn eine solche überhaupt möglich ist!) diejenigen
Mittel vielleicht unbenutzt bleiben, die die zentrale Notenbank kraft
ihres Geldschöpfungsrechts als Kreditgeberin im Namen der Nation
und auf deren besondere Ermächtigung dem Staate zur Verfügung
zu stellen vermag und im anderen Falle tatsächlich zur Verfügung
stellt. Das kann jedoch nur insoweit zutreffen, als die Noten der
Zentralbank nicht erforderlich sind, um den Verkehr mit den
nötigen Umlaufsmitteln zu versehen. In Höhe dieses Verkehrsbedaris
werden die Mittel der Zentralbank unter allen Umständen in Anspruch
genommen, wenn nicht durch den Staat, so von Privaten, und von
diesen vielleicht unter Lombardierung der von ihnen übernommenen
Kriegsanleihe.
Aber ob die Kaufkraft des Staates im Falle der Mittelbeschaffung
auf dem Wege der Notenausgabe eine zu der unverminderten Kauf-
kraft der Privaten hinzukommende „zusätzliche“ ist oder nicht, ist
schließlich ohne entscheidende Bedeutung. Die grundsätzliche
Erwägung Lansburghs geht dahin: wenn der Staat sich die Mittel
zur Kriegsführung nicht auf dem Wege der Notenausgabe, sondern
durch Anleihe verschafft, dann wird „um denselben Betrag, um den
die Kaufkraft des Staates zugenommen hat... . die übrige Kauf-
kraft im Lande geschmälert“ und ist „die Nationalwirtschaft also
gezwungen, auf eine entsprechende Umsatzmenge zu verzichten“:
„soweit der gewaltige Kriegsbedarf des Staates aus dem vorhandenen
Geldbestand des Landes bestritten wird, erdrückt er unstreitbar einen
erheblichen Teil der Friedensproduktion“. Diese Schmälerung der
Friedensproduktion aber ist es, was L. als das Wesentliche betrachtet,
weil dann, wie er ausführt, die Friedensproduzenten wegen mangelnden
Absatzes gezwungen werden, sich der Kriegsproduktion zuzuwenden,
und dadurch die Umwandlung der Friedenswirtschaft in die Kriegs-
wirtschaft beschleunigt wird. „Ganz anders“, fährt er fort (S. 60.
„wenn der Staat sich der Notenausgabe bedient. Das neugeschaffene
Papiergeld ermöglicht es ihm, die größten Ausgaben zu decken, ohne
daß die Privatwirtschaft auch nur den geringsten Verzicht zu leisten
brauchte Der Privatkonsum geht... . ungestört weiter und der
Kriegskonsum des Staates, der hinzutritt, stellt einen absoluten Zuwachs
an Aufträgen dar .... Dann entsteht (im besten Falle) das äußere
Bild eines blühenden Geschäftsganges, einer Hochkonjunktur mitten
im Kriege.“
Hierauf ist folgendes zu erwidern. Es ist unrichtig, daß durch
Zeichnung von Kriegsanleihe die übrige Kaufkraft im Lande geschmälert
Zur Verteidigung der Chartaltheorie des Geldes. 797
oder doch so sehr geschmälert wird, daß die Friedensproduktion
dadurch eine wesentliche Einbuße erfahren müßte. Wer Kriegsanleihe
zeichnet, der legt in dieser Weise zumeist nur denjenigen Teil seines
Vermögens an, den er entweder überhaupt kapitalisiert haben würde
oder den er augenblicklich, nach der Art seines Betriebes, als Kapital
nicht nötig hat. Der Konsum an Friedensbedarfsartikeln wird aller-
dings eingeschränkt, aber nur in geringem Umfange zu dem Zwecke,
um Kriegsanleihe zeichnen zu können, hauptsächlich vielmehr aus
dem Grunde, weil die Kriegsstimmung einen großen Konsum nicht
gestattet oder weil die Befriedigung dieses Konsums zu teuer ist.
Aber auch diejenigen, die Kriegsanleihe gezeichnet haben, büßen
nichts an Kaufkraft ein, denn die Kriegsanleihe des Staates ist ein
Wertobjekt, das sich durch Beleihung oder Verkauf stets leicht wieder
in Bargeld verwandeln läßt. Richtig ist allerdings, daß das in vielen
Fällen nicht geschieht.
Indessen, die Geldmittel, die der Staat auf dem Wege der Anleihe
an sich zieht, bleiben doch nicht in seinem Tresor verschlossen!
Sie werden vielmehr wiederausgegeben und stärken nun die Kaufkraft
zum Teil anderer Schichten von Personen, namentlich der Arbeiter
und gewisser Spekulanten. Gerade deren Konsum aber ist es, der
so viele Friedensproduzenten in Nahrung setzt und diese davor bewahrt,
den „Leidensweg“ des Uebergangs zur Kriegsproduktion, „der über
die Stationen: Beschäftigungsmangel, Betriebsverlust und Arbeiter-
entlassung führt“ (S. 67), zu betreten.
Hiervon abgesehen kann ein Nachteilin der Aufrechterhaltung
eines Teils der Friedensproduktion doch nur dann liegen, wenn dadurch
die Sicherung einer ausreichenden Kriegsproduktion in Frage gestellt
oder nur unter Verhältnissen ermöglicht wird, die für die Nation
ungünstig sind, z. B. ihr übermäßige Kosten verursachen. Letzteres
wird nun allerdings von Lansburgh behauptet. Er führt (S. 67)
aus, daß es bei Fortdauer der Friedensproduktion des „Lockmittels
außerordentlich hoher Preisgebote bedürfe, um sie (die Friedensindustrie)
zum Uebergange auf das Kriegsgebiet zu veranlassen“, und „des Ein-
greifens einer aus zahllosen Gliedern bestehenden Kette von Zwischen-
händlern“, wodurch eine solche Verteuerung herbeigeführt werde,
daß der Staat „so ziemlich denselben Betrag, den er sich statt durch
Anleihen oder Steuern im Wege der Notenausgabe beschafft hat, in
Form einer Ueberzahlung seines enormen Kriegsbedarfs, also ohne
Nutzen für sich und für die Steuerzahler, hingeben muß“. „Seine
zusätzlich geschaffene Kaufkraft, die ihn zuerst zum Herrn von
Milliarden macht, zerrinnt infolge der durch sie hervorgerrufenen,
den Staatsbedarf in erster Linie treffenden Teuerung allmählich in
nichts, ja, sie läßt bei allzu langer Dauer des Krieges sogar noch ein
erhebliches Defizit“.
Hiernach wird die Teuerung in Kriegszeiten, namentlich für
Kriegsbedarfsartikel, wie sie ja auch in Deutschland eingetreten ist,
darauf zurückgeführt, daß der Staat aus dem Grunde, weil infolge
der Beschaffung der Kriegsmittel auf dem Wege der Notenausgabe
798 Otto Heyn,
die Kaufkraft des Privatmannes ungeschmälert, und infolgedessen
auch die Nachfrage nach Friedensbedarfsartikeln ungemindert bleibe,
gezwungen sei, für Kriegsbedarfsartikel sehr hohe Preise zu be-
zahlen, um die Produzenten von den Friedensaufgaben abzuziehen
und zur Einstellung auf den Kriegsbedarf zu veranlassen. Das sind
Behauptungen, die durch unsere eigenen Erfahrungen widerlegt werden.
Nach Ausbruch des gegenwärtigen Krieges im August 1914 zog
eine Menge Friedenskonsumenten ins Feld; deren Konsum fiel also
weg und von den übrigen wurde der Konsum eingeschränkt. Ferner
fiel, zum größten Teil wenigstens, der Export weg. Dadurch waren
viele Produzenten ohne weiteres gezwungen, ihre Friedensproduktion
einzuschränken und sich nach Kriegsproduktion umzusehen. Allen
Kriegsproduzenten wurden höhere Preise bewilligt, gewiß, aber die
Einrichtung auf Kriegsproduktion forderte auch große Extrakosten.
Die Rohstoffe wurden knapp und die Löhne stiegen. Außerdem
mußten Maschinen und Arbeitskräfte auf das äußerste angespannt
werden, weil es sich um die schleunigste Versorgung des Heeres
handelte. Zwischenhändler stellten sich ein, aber nicht, weil das
notwendig gewesen wäre, um die Friedensproduzenten zu veranlassen,
zur Kriegsproduktion überzugehen, sondern weil es für die Heeres-
verwaltung bequemer war, sich ihrer zu bedienen und ihnen die
Unterbringung der Aufträge im einzelnen zu überlassen, statt mit
den Fabrikanten direkt zu verhandeln, deren Leistungsfähigkeit und
Zuverlässigkeit man nicht kannte. Mit der Notenausgabe und der
Beschaffung der Kriegsmittel auf diesem Wege statt durch Anleihe
hatte das alles gar keinen Zusammenhang.
Eine starke Teuerung setzte erst ein, als der Staat dazu über-
ging, seine Kriegsmittel nicht mehr durch Notenausgabe, sondern
auf dem Wege der Anleihe(!) zu beschaffen, nämlich im Spät-
herbst 1914. Nach Calwer, Deutschlands Wirtschaft im ersten Kriegs-
jahr 1914/15, Heft III, S. 61, stellten sich die wöchentlichen Kosten
der Ernährung für eine vierköpfige Familie im Mittel von 200 Orten
im Oktober 1914 um 5, im November um 9, Dezember 13, Januar 1915
16, Februar 24, März 31, April 37Y/,,, Mai 47!/,, Juni 51 Proz. höher
als zu gleicher Zeit des Vorjahres. Die Teuerung stand aber auch
mit der Art und Weise der Beschaffung des erforderlichen Geldes
zur Kriegführung in keiner Weise im Zusammenhang. Die Teuerung
hatte vielmehr ihre Ursache in der ungünstigen Verschiebung zwischen
Angebot und Nachfrage, namentlich auf dem Rohstoffmarkte, wo in-
folge einerseits der gesteigerten Nachfrage nach Material für den
Kriegsbedarf, andererseits der verminderten Einfuhr von Kupfer,
Zinn, Aluminium, Oelen und Fetten, Baumwolle, Wolle u. dergl.,
ferner von Lebensmitteln und von Futtermitteln aus dem Auslande
und unter der Beihilfe einer gewissenlosen Spekulation, die mit Vor-
räten zurückhielt, die Preise, den Gesetzen des damals noch freien
Spiels der Kräfte folgend, in die Höhe gingen. Der gesteigerte
Notenumlauf ist keine Ursache dieser Preissteigerung gewesen,
er hat lediglich bewirkt, daß zur Abwicklung der durch diese Preis-
Zur Verteidigung der Chartaltheorie des Geldes. 799
steigerung in ihren Beträgen erhöhten Umsätze die erforderlichen
Umlaufsmittel zur Verfügung standen !).
Ebensowenig hat der gesteigerte Notenumlauf die — allerdings
tatsächlich eingetretene — Steigerung der ausländischen
Wechselkurse zur Folge gehabt. Es ist unrichtig, wenn Lans-
burgh (S. 70) das daraus glaubt ableiten zu müssen, daß die durch
den vermehrten Notenumlauf gesteigerte Kaufkraft des Inlands dazu
ausgenützt werde, um große Mengen Ware aus dem Auslande zu
beziehen; daß dadurch eine vergrößerte Nachfrage nach ausländischen
Wechseln erzeugt werde und diese deren Preis in die Höhe treibe.
Das kann zutreffen, es muß aber nicht zutreffen, und es trifft unter
allen Umständen nicht für die Gegenwart zu. Unsere (gegen früher
außerordentlich eingeschränkte!) Nachfrage nach ausländischen Waren
dient im wesentlichen nur dazu, uns mit den notwendigen Nahrungs-
mitteln und Rohstoffen zu versorgen, und wenn infolgedessen und
infolge der durch die intensive Nachfrage der ganzen Welt bei ver-
mindertem Angebot gesteigerten Preise hohe Beträge an das Ausland
haben bezahlt und dazu Wechsel über große Summen haben ange-
kauft werden müssen, während bei unserem stark eingeschränkten
Export nur wenig zum Angebot kamen, so ist das eine Folge, die
auch bei ausschließlicher Beschaffung des Kriegsgeldes auf dem Wege
der Anleihe eingetreten sein würde. Daß auch die übrigen Ursachen
der Kurssteigerung, die sich namentlich seit Herbst 1915 geltend
gemacht haben, nämlich Ankäufe von Rohstoffen für die Zeit nach
dem Kriege, Angstkäufe und Baissespekulationen, in gleicher Weise
wirksam gewesen wären, bedarf keiner weiteren Darlegung.
Wenn Lansburgh endlich meint, daß die Beschaffung des Kriegs-
geldes auf dem Wege der Notenausgabe eine „scheinbare Blüte“
erzeuge, und daß sich „später in Wirklichkeit meist sehr bedenk-
liche, unter Umständen verhängnisvolle Wirkungen“ ergäben (S.60/61),
so ist das ebenso unrichtig. Die Berufung auf die Erfahrungen
Rußlands, Oesterreich-Ungarns und Italiens vor 20—30 (soll wohl
heißen 30—60) Jahren geht fehl, weil in diesen Staaten damals unter
dem Druck der Notwendigkeit prinziplos gewirtschaftet wurde.
(Uebrigens muß doch auch nachdenklich stimmen, daß alle diese
Staaten sich unter der Herrschaft der Papierwährung recht gut er-
holt haben!) Heutzutage könnten jene Folgen nur eintreten, wenn
man entweder das Vertrauen zu dem Papiergelde verlöre oder wenn
wegen ungezügelter Kreditgewährung Ueberspekulation und Ueber-
produktion mit folgender Krise einträten. Das ist möglich, gewiß,
aber daß es nicht notwendig geschehen muß, beweist der Umstand,
daß Frankreich sich nach dem Kriege von 1870 staunenswert rasch
erholt hat, obwohl, und vielleicht gerade weil, unter starker Ver-
mehrung der Geldmenge, bis zu 3,1 Milliarden frcs. in Papiergeld aus-
gegeben wurden. —
1) Näheres hierüber in dem Aufsatz: Vermehrung des Notenumlaufs und Geld-
entwertung in Deutschland. Deutsche Wirtschaftszeitung vom 15. Dezember 1915
S. 706 ff.
800 Otto Heyn,
Wenn hiernach die Lansburghschen Behauptungen sich im all-
gemeinen als nicht zutreffend, wenigstens nicht für die Gegenwart
und für Deutschland zutreffend erweisen, — in einem Punkte ist
seine These doch nicht so ganz abzulehnen. In einem bestimmten
Falle treten nämlich allerdings, wenigstens annähernd und zum Teil,
diejenigen Folgen ein, die er als regelmäßige Erscheinung bei der
Beschaffung der Kriegsmittel auf dem Wege der Notenausgabe hin-
stellt. Dieser Fall liegt dann vor, wenn die Zentralbank die gegen
ihre Noten eingetauschten Staatsschuldverschreibungen (Schatzscheine)
nicht weiterbegibt. Wenn nämlich der Staat die erhaltenen Noten
zum Ankauf von Kriegsbedarfsartikeln ausgibt und die Noten da-
durch ins Volk kommen, dann wird auf der einen Seite durch die
mehr oder weniger großen Gewinne, welche von den mit Noten be-
zahlten Kriegslieferanten und deren Unterlieferanten und Arbeitern
gemacht werden, eine große Anzahl neuer Vermögen (das ist
das Wesentliche) gebildet, die in Rentenwerten oder Waren Anlage
suchen, während auf der anderen Seite die Menge derjenigen Gegen-
stände, in denen dieses Vermögen angelegt werden kann, gleich
bleibt. Die Folge ist, da die neuen Vermögen nur zum kleinsten
Teil ungebraucht liegen bleiben, eine vermehrte Nachfrage nach den
Gegenständen der Vermögensanlage, mit der weiteren Konsequenz
einerseits der Herabdrückung des Zinses zunächst für kurzfristige
Dariehen, andererseits der Steigerung der Kurse der inländischen
und ausländischen Effekten und der ausländischen Wechsel, und
ferner, soweit nicht der niedrige Zins zu einer hinreichenden Aus-
dehnung der Friedensproduktion führt (was vielfach wegen Rohstoff-
mangels ausgeschlossen sein wird), zu einer Steigerung der Waren-
preise. Diese Folgen treten bei der Kriegsmittelbeschaffung auf
dem Wege der Anleihe — unter übrigens gleichen Umständen —
nicht ein. Denn wenn der Staat gleichzeitig mit der Ausgabe der
großen Summen für seinen Kriegsbedarf oder unmittelbar vorher
oder nachher durch die Begebung von Anleihen der Vermögens-
mehrung der Staatsbürger auch eine entsprechende Vermehrung von
Anlagewerten gegenüberstellt, so werden dadurch Kapitalangebot und
Kapitalnachfrage wieder auf ungefähr dem früheren, wenigstens auf
einem niedrigeren Niveau zum Ausgleich gebracht. Das Gleiche
muß aber auch dann geschehen, wenn im Falle der Beschaffung des
Kriegsgeldes auf dem Wege der Notenausgabe die Zentralbank
die von ihr übernommenen Schuldverschreibungen des Staates nicht
behält, sondern weiterbegibt (rediskontiert). Einem solchen Ver-
halten aber steht die Chartaltheorie in keiner Weise entgegen!
Schluß.
Wer diese Zeilen liest, mag mit einem gewissen Rechte aus-
rufen: Wozu noch diese langen theoretischen Auseinandersetzungen.
die Praxis hat ja längst für die Chartaltheorie entschieden! Es gibt
in der Tat keinen besseren Beweis für das Chartalgeld als die Er-
Zur Verteidigung der Chartaltheorie des Geldes. 801
fahrungen der Gegenwart. Wir haben ja tatsächlich zurzeit nichts
anderes als eine Chartalwährung, und wir befinden uns nicht schlechter
dabei als bei einer anderen Währung, speziell der Goldwährung. Ja,
mit der Goldwährung hätten wir diesen Krieg gar nicht führen können.
Oder will etwa Lansburgh das Gegenteil behaupten ? Glaubt er, daß
wir mit einer reinen, ja auch nur mit der gemischten Goldwährung,
wie sie vor 1914 bestand, über die Schwierigkeiten der Gegenwart
hinweggekommen wären? Glaubt er, daß das vorhandene Goldgeld
im Umlauf geblieben wäre und wie im Frieden seinen Gelddienst
verrichtet hätte? Glaubt er, daß die vorhandene Menge Goldgeldes
genügt haben würde, um für die Riesenumsätze, die der Krieg mit sich
gebracht hat, die erforderlichen Umlaufsmittel zu liefern? Diese
Fragen sind zweifellos zuverneinen. Nicht einmal England ist im-
stande gewesen, ohne große Mengen neuen Papiergeldes, der Currency
Notes (ca. 100 Mill. £) auszukommen, obwohl England in der Lage
gewesen ist, seinen Goldvorrat aus allen möglichen Quellen und
durch eine Reihe mehr oder minder anfechtbarer Appropriationen zu
ergänzen, und obwohl der bargeldlosen Zahlungsverkehr dort viel
mehr ausgebildet ist. Ueberall ist es das vielgeschmähte Chartal-
geld gewesen, das den Ländern ihre Kriegführung ermöglicht hat, und
überall hat das Chartalgeld seine Geldfunktion so verrichtet, wie es
durch Goldgeld nicht besser hätte geschehen können. Wenn man
meint, daß die Preise bei einer Goldwährung weniger hoch gestiegen
sein würden, so verkennt man die Ursachen dieser Preissteigerung !)
und verschließt die Augen vor der Tatsache, daß die Preise in
England zum Teil nicht minder stark gestiegen sind.
Es wäre aber auch unrichtig, anzunehmen, daß das frühere
Bestehen der Goldwährung es uns erst ermöglicht hätte, im Kriege
mit der Chartalwährung auszukommen. Man behauptet das wohl,
indem man sagt, durch das Bestehen der Goldwährung werde dem
Lande die Goldreserve gesichert, deren es im Kriege bedürfe. Das
trifft aber nicht zu. So viel ist allerdings richtig, daß wir es dem
früheren Bestehen der Goldwährung in Deutschland verdanken, daß
der Goldschatz der Reichsbank auf 2460 Mill. M. gebracht werden
konnte und daß wir deshalb in der Lage sind, 7380 Mill. M. zu t%
mit Gold gedeckte Banknoten als Chartalgeld auszugeben. Indessen
zunächst war es ein riesiges Glück, daß von dem im Umlauf be-
findlichen Golde nach den ersten Siegen ca. 1000 Mill. M. in die
Reichsbank strömten, statt wie der Rest von den Eigentümern ver-
steckt zu werden, ein Glück, das uns bei weniger gutem Beginn
des Krieges vielleicht nicht zuteil geworden wäre. Und dann: Was
nützt uns jetzt das Gold in der Reichsbank? Es dient lediglich
dazu, das Vertrauen zu dem Chartalgeld aufrechtzuerhalten und die
Ausgabe des Dreifachen an Banknoten zu ermöglichen. Dieser —
an sich ungeheuer wichtige — Dienst ist aber nur deshalb über-
1) Vgl. m. Aufsatz: Vermehrung des Notenumlaufs und Geldentwertung in Deutsch-
land, in der Deutschen Wirtschaftszeitung vom 15. Dezember 1915, S. 756 ff.
Jahrb, f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 51
802 Otto Heyn,
haupt nötig, weil früher Goldwährung bestand und nur das Goldgeld
als gutes Geld betrachtet wurde. Hätten wir schon früher eine
Chartalwährung gehabt, wie z. B. Oesterreich-Ungarn, so würde das
Chartalgeld einer besonderen Stütze des Vertrauens gar nicht be-
dürfen, und könnten wir hinsichtlich der Notenausgabe unsere Dis-
positionen treffen, ohne auf die Größe des Goldschatzes Rücksicht
zu nehmen. Unser Gold wäre dann frei und könnte z. B. zur Be-
zahlung wichtiger Importe dienen, während es jetzt festgelegt ist
und mit Argusaugen bewacht wird.
Nur in einem Punkte haben wir seit der Herstellung der Chartal-
währung, also seit Beginn des Krieges, schlechte Erfahrungen ge-
macht, nämlich darin, daß es nicht gelungen ist, die Parität
unseres Wechselkurses bzw. das frühere Wertverhältnis
des deutschen zum ausländischen Gelde aufrechtzu-
erhalten. Aber glaubt man denn, daß es bei der Fortdauer der
Goldwährung besser gewesen wäre? Die Parität des Geldes’ eines
Landes (A) zu dem Gelde eines anderen Landes (B), mit anderen
Worten der frühere Preis des Geldes von A (oder von Anweisungen
auf dieses Geld: Wechsel etc.) in dem Gelde des Landes B wird
nur so lange aufrechterhalten, als es dem Lande A möglich ist, die
fälligen Verbindlichkeiten auf der Basis dieses Kurses zu erfüllen.
Ist das auf dem gewöhnlichen Wege, d. h. durch Export von Waren
oder Effekten, durch Leistung von Diensten etc. nicht möglich, so
fließt bei einer Goldwährung so viel Gold ab, als zur Deckung des
Debetsaldos erforderlich ist. Steht kein Gold zur Verfügung, dann
drückt das überwiegende Angebot so lange auf den Kurs, bis durch
das Sinken des Kurses der (nun erschwerte) Import so stark einge-
schränkt, der (nun erleichterte) Export so stark vermehrt ist, dab
die fälligen Verbindlichkeiten Deckung finden. Nun ist Tatsache,
daß wir nach Beginn des Krieges eine ganze Menge Waren einge-
führt haben, ferner daß unser Export unter dem Drucke Englands
auf ein Minimum zurückgegangen ist, während ein Erwerb aus-
ländischer Guthaben auf andere Weise nicht möglich war und über
die früher erworbenen nicht verfügt werden konnte. Unter diesen
Umständen hätten wir, um die Parität unseres Wechselkurses auf-
rechtzuerhalten, sehr beträchtliche Mengen Goldes ausführen müssen.
Wäre das bei Fortdauer der Goldwährung möglich gewesen? Ganz
gewiß nicht! Wir hätten noch weniger Gold ausführen können,
als es jetzt geschehen konnte, denn wir hätten ja nur den durch
den Kriegsschatz vermehrten Friedensgoldschatz der Reichsbank,
also etwa 1500 Mill. M., zur Verfügung gehabt — das übrige Gold
wäre im Umlauf geblieben — und diese kleine Menge hätte — noch
mehr, als das schon im Frieden geschieht — mit aller Aengstlichkeit
festgehalten werden müssen, um die zur Deckung des Kriegsbedarfs
erforderliche Mehrausgabe von Banknoten zu ermöglichen.
Wenn aber die Sache so liegt, wie will man dann daraus, dad
die Parität unseres Wechselkurses nicht aufrechterhalten worden
ist, ein Argument gegen die Chartalwährung entnehmen?
Zur Verteidigung der Chartaltheorie des Geldes. 803
Man verweist auf England. England ist es in der Tat geglückt,
seinen Wechselkurs annähernd auf Pari zu halten, wenn auch im
Herbst 1915 vorübergehend ein Rückgang bis auf etwa 7 Proz. unter
Pari eintrat. England und Deutschland können aber in dieser Be-
ziehung gar nicht auf eine Stufe gestellt werden. Dazu liegen die
Verhältnisse denn doch zu sehr verschieden. Wenn England mit
seinem Kurse günstigere Erfahrungen gemacht hat, so erklärt sich
das nicht daraus, daß in England „Goldwährung“ besteht, sondern
daraus, daß England seine auswärtigen Hilfsquellen nicht abge-
schnitten waren, daß es seinen Export in viel größerem Umfange
fortsetzen konnte, daß ihm in den Vereinigten Staaten Kredite von
mehr als 2 Milliarden M. gewährt wurden, daß ihm das ganze Er-
gebnis der transatlantischen und der australischen Goldproduktion
(auch der deutsche Anteil daran!) zur Verfügung stand; daß es end-.
lich aus seinem viel größeren Besitze an amerikanischen Effekten
wesentlich mehr zur Bezahlung von Importen veräußern konnte.
Darüber, daß diese Faktoren die maßgebenden gewesen sind, herrscht
ja aber auch selbst in England gar kein Zweifel. Die krampfhaften
Versuche der englischen Regierung, weitere Kredite in Amerika zu
erlangen und amerikanische Effekten in England zu kaufen, um
diese als Sicherheit für solche Kredite zu verwenden, lassen darüber
gar keinen Zweifel.
Weit entfernt davon, daß das Sinken unseres Wechselkurses
unter Pari auf das derzeitige Bestehen der Chartalwährung zurück-
zuführen ist, liegt die Sache vielmehr so, daß wir lediglich darunter
zu leiden gehabt haben, daß die Chartalwährung noch nicht einge-
bürgert war und daß das Chartalgeld noch nicht das erforderliche
Vertrauen besaß, um der Stütze dieses Vertrauens durch den großen
Goldschatz der Reichsbank entbehren zu können. Wäre es anders
gewesen, wie es z. B. für Oesterreich-Ungarn zutrifft, so hätten wir
den Kurs unseres Geldes, und zwar gerade wegen des Bestehens der
Chartalwährung, viel länger auf Pari halten können. In
diesem Falle hätte nämlich der ganze Goldschatz der Reichsbank,
der dann nicht zur Erhaltung des Vertrauens oder zur Deckung der
Banknoten erforderlich gewesen wäre, zur Verfügung gestanden, um
unseren Import zu bezahlen. Dann wäre es aber möglich gewesen,
unsere Zahlungsbilanz für lange Zeit auch beim Parikurse zum Aus-
gleich zu bringen !).
Nun mag man einwenden: in Oesterreich-Ungarn mit seiner
eingebürgerten Chartalwährung hat man noch schlechtere Erfahrungen
gemacht als bei uns; denn der Kurs der Krone ist noch eher und
noch mehr unter Pari gesunken. Das ist richtig, beweist aber nichts,
denn — ganz abgesehen von den völlig verschiedenen Verhältnissen
des Auslandsverkehrs in beiden Ländern — der österreichische Gold-
1) Eine andere Frage ist es, ob auf die Erhaltung dieser Stabilität in Kriegszeiten
überhaupt Wert zu legen ist. Vgl. darüber meinen Aufsatz „Valutasorgen‘“ im Bank-
archiv vom 1. Mai 1916.
51*
804 Otto Heyn, Zur Verteidigung der Chartaltheorie des Geldes.
schatz war klein und bestand überdies zum größten Teil aus Wechseln
auf England, die nach Ausbruch des Krieges nicht mehr verwertbar
waren.
Wer behauptet, daß der Krieg wenigstens im Hinblick auf die
Aufrechterhaltung der ausländischen Wechselkurse gegen die Chartal-
währung entschieden habe, befindet sich im Unrecht. Wenn der
Krieg in dieser Beziehung etwas gelehrt hat, so ist es nicht: daß
Goldwährung bestehen muß, um den Wechselkurs auf Pari zu er-
halten, sondern daß genügend freies, d. h. nicht durch Währungs-
(Deckungs- etc.) Zwecke gebundenes Gold zur Verfügung stehen muß,
das exportiert werden kann, um den Ausgleich der Zahlungsbilanz
auf der Basis des Parikurses zu ermöglichen. Eine derartige freie
„Goldreserve für den Auslandsverkehr“, aus der jederzeit Gold zu
‚einem festen Preise gegen Chartalgeld für Exportzwecke abgegeben
wird, soll ja aber, und zwar auch in Friedenszeiten, stets die not-
wendige Ergänzung der Chartalwährung bilden, um dem betreffenden
Lande die Wohltat der gleichen Stabilität der Wechselkurse wie bei
einer Goldwährung zu sichern. Das ist von mir schon bei der
ersten Aufstellung meiner Theorie im Jahre 1894 gefordert worden!)
Es wird nur praktisch unmöglich und auch zu kostspielig sein, diese
Goldreserve so groß zu bemessen, daß sie auch durch die Erforder-
nisse eines Weltkrieges, wie des gegenwärtigen, nicht erschöpft wird °).
1) Vgl. „Papierwährung mit Goldreserve für den Auslandsverkehr‘, Berlin
(Puttkammer & Mühlbrecht) 1894.
2) Die Konsequenz der hier dargelegten Anschauungen ist in dem Aufsatz: „Die
Bedeutung des Goldschatzes der Reichsbank im Kriege und nach dem Kriege“, ab-
gedruckt in der Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Januarheft 1916, gezogen worden.
Es wird dort empfohlen, bei der Neuordnung unserer Währung nach dem Kriege auch
für die Zukunft auf einen Goldumlauf zu verzichten und der Reichsbank den jetzigen
großen Goldschatz zu belassen gegen die Verpflichtung, dem Verkekr jederzeit für Ex-
portzwecke Gold oder ausländische Wechsel zum Parikurse zur Verfügung zu stellen.
Der gegenwärtige große Notenumlauf wird automatisch mit dem verringerten Bedart
zurückgehen.
Vgl. auch den Aufsatz „Die Zukunft unseres Geldwesens“ in der Europäischen
Staats- und Wirtschaftszeitung, München, Juni oder Juli 1916.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 805
Nationalökonomische Gesetzgebung.
lII.
Die Einschränkung des freien Getreidehandels
in Rumänien.
Von Dr. Emil Taubes, zurzeit Bukarest.
Am 6. Mai d. J. wurde in Rumänien ein Gesetz kundgemacht,
welches den freien Getreidehandel für die Dauer bis zu einem Jahre
nach allgemeinem Friedensschluß einschränkt. Dieses Gesetz verfügt,
daß die Zentral-Import-Kommission die Quote für den inländischen
Konsum und für die Ausfuhr, die Minimalpreise für das Exportgetreide
und die Höchstpreise für das Inlandsgetreide zu bestimmen hat.
Der Getreideverkauf zu Ausfuhrzwecken kann nur durch die
Zentral-Ausfuhr-Kommission erfolgen.
Nachstehend der Wortlaut des Gesetzes:
Gesetz betreffend den Verkauf der landwirtschaftlichen
Erzeugnisse.
Art. 1. Für die Dauer bis zu einem Jahre nach allgemeinem Friedens-
schluß ist der Verkauf von Getreide, Hülsenfrüchten und Saaten vor der Ernte
oder Aufspeicherung derselben verboten. Nach der Ernte und Aufspeicherung
derselben ist der Verkauf nur unter den Bedingungen dieses Gesetzes erlaubt.
Ausgenommen von der Anwendung dieses Gesetzes sind: alle Verträge, welche
sich auf Produkte beziehen, die den inländischen Fabriken als Rohstoffe dienen
und das nur in den Grenzen ihres eigenen Bedarfs.
Art. 2. Die bäuerlichen Pachtgenossenschaften oder Bauern und Landwirte,
die bis zu zehn Tonnen von jeder Art der oben erwähnten Produkte ernten,
dürfen diese verkaufen oder verpfänden nur durch die Zentralkasse der Volks-
banken, durch Vermittlung der lokalen Volksbanken, und zwar nach den Normen,
welche durch das Reglement der Zentralkasse festgesetzt werden. Die Zentral-
kasse der Volksbanken wird festsetzen die Mengen der Produkte, welche zu Saat-
zwecken und zu Ernährungszwecken des Erzeugers und seiner Familie bis zur
nächsten Ernte notwendig sind und welche weder veräußert noch verpfändet noch
sequestriert noch gerichtlich verfolgt werden können, nicht einmal für Staats-
führen und privilegierte Forderungen. Die Zentralkasse der Volksbanken wird
ebenfalls die Menge der Produkte, welche ausgeführt, welche zur Verfügung des
Erzeugers und welche im Inlande verkauft werden kann, festsetzen. Zu diesem
Zwecke wird vor der Bestimmung der oben angeführten Quote durch die Zentral-
kasse der Volksbanken nichts von den Produkten der bäuerlichen Pachtgenossen-
schaften, der Bauern und der Landwirte aus der Gemeinde, in welcher sie ge-
erntet wurden, ausgeführt werden könen. Auch nach der Festsetzung dieser
Quote wird der für Saatzwecke und für Bedürfnisse des Produzenten bestimmte
Teil nicht ausgeführt werden können.
Die zum inländischen Verkaufe freigegebene Quote wird aus der Gemeinde,
wo sie geerntet wurde, nicht ausgeführt werden können, bevor der Produzent die
806 Nationalökonomische Gesetzgebung.
lokalen Volksbanken nicht verständigt hat, daß er seine Produkte verkaufen will.
Die Bank wird diese Produkte zum Höchstpreise kaufen können. Sobald aber
die Bank sie nicht kauft, steht es dem Produzenten frei, diesen Teil zum Höchst-
preise zu verkaufen; er ist aber gehalten, zur Kontrolle den Verkauf bei der Bank
zu de
ie Präfekten, Richter und ihre Gehilfen, Bezirksverwalter, Bürgermeister,
Gemeindeschreiber und Gendarmen sind verpflichtet, die Befolgung dieses Gesetzes
zu überwachen. Die Uebertretung dieser Verfügungen zieht disziplinarische
Strafen und zivilrechtliche Verantwortung nach sich. — Der zur Ausfuhr ver-
fügbare Teil, der durch die Zentralkasse der Volksbanken in der Weise erworben
wurde, wird nur durch die Zentral-Ausfuhr-Kommission verkauft werden können:
der erzielte Gewinn aber wird nach Abzug des bezahlten Kaufpreises und aller
Spesen u. dgl. den Produzenten durch die Zentralkasse der Volksbanken, und
zmar nach Maßgabe ihrer Beteiligung zur Herstellung des Exportstockes verteilt
werden.
Art. 3. Der Verkauf der im Artikel 1 bezeichneten Produkte, welche Land-
wirten gehören, die nicht unter die im Artikel 2 bezeichnete Kategorie fallen,
wird für die Quote, welche zur Ausfuhr bestimmt ist, nur durch die Zentral-
Export-Kommission erfolgen können. Hingegen können die Landwirte die für den
internen Konsum bestimmte Quote direkt verkaufen, sind aber verpflichtet, binnen
drei Tagen den Verkaufsvertrag bei der Zentralkommission einzutragen. Die Ein-
tragung erfolgt kostenlos. Die Zentralkommission setzt für das ganze Land und
für alle Produzenten, auch für diejenigen, die im oben angeführten Artikel 2
bezeichnet sind und deren Ernte 20 Tonnen nicht überschreitet, die Quote, die
für den inneren Bedarf notwendig ist, als auch die für die Ausfuhr freigegebene
Quote, ferner die Minimalpreise für Getreide, Hülsenfrüchte und ihre Mehle fest.
Die Festsetzung der Quoten, die Modalitäten der Verkäufe für die Ausfuhr
und für das Inland und die Art und Weise der Realisierung der für den inneren
Konsum bestimmten Quote wird durch die Vollzugsverordnungen dieses Gesetzes
bestimmt werden.
Art. 4. Alle Verkäufe, Transaktionen, Optionen und schließlich alle Ver-
äußerungen, unter welchem Titel und unter welcher Form immer, otfen oder ver-
kleidet, sie geschehen sind, sei es direkt, sei es durch Mittelpersonen, welche den
Bestimmungen dieses Gesetzes widersprechen, sind vom Rechte aus ungültig.
Dem Käufer steht nicht das Recht zu, weder Schadenersatz noch Rückerstattung
der geleisteten Anzahlungen oder des bezahlten Kaufpreises zu verlangen. Er-
zeugnisse, die in der Weise verkauft wurden, als auch alle anderen, die noch im
Besitze des Erzeugers sind, sind für den Export verboten und können nur für
den inländischen Bedarf verwendet werden.
Art. 5. Eine Verordnung des Landwirtschafts- und Domänenministeriums
wird nach Einholung des Gutachtens der Zentral-Ausfuhr-Kommission und nach
Genehmigung des Ministerrates des näheren die Grundsätze dieses Gesetzes ent-
wickeln und die Art der Anwendung desselben bestimmen.
Miszellen. 807
Miszellen.
XIV.
Die Entwertung des französischen Bodens seit einem
Menschenalter').
Von L. Rudloff.
I.
1. Nach den Ergebnissen dər von 1908—1912 ausgeführten
Schätzung des Bodenwertes in Frankreich hat sich die Entwick-
lung des Reinertrages und des Verkaufswertes von
Grund und Boden seit 1879, wie folgt, gestaltet:
_Reinertrag Verkaufswert
- FEW s Mittlere
Schätzungen gesamter | N ERR gesamter | re Verzinsung
per ha per ha
E fres. | fres. fres. | fres. Proz.
1879—1881 2 645 505 565 53 91 583 966 075 1830 2,89
1908—1912 2 056 949 814 4I 61 757 233 533 1244 3,33
Danach ist der Reinertrag Frankreichs in der Periode 1879—1912
von 2646 auf 2057 Mill. frcs., also um 589 Mill. fres. oder
22,25 Proz.
gesunken. Der durchschnittliche Hektar-Reinertrag ist von 53 auf
41 fres. zurückgegangen.
Der gesamte Verkaufswert ist im nämlichen Zeitraum von 91584
auf 61757 Mill. fres., also um 29827 Mill. fres. oder
32,57 Proz.
gefallen. Der mittlere Hektar-Verkaufswert ist von 1830 auf 1244 frcs.
zurückgegangen.
Das durchschnittliche Verhältnis des Reinertrages zum Verkaufs-
wert — die mittlere Verzinsnng des Bodenkapitals — steigt dement-
sprechend von 2,89 Proz. in 1879 auf 3,33 Proz. in 1912.
Man kann unbedenklich sagen, daß dieses Ergebnis für die fran-
zösische Volkswirtschaft geradezu niederschmetternd ist.
1) Vgl. hierzu meine in Schmollers Jahrbuch, 1916, Heft 1, 8. 101 u. f.
erschienene Abhandlung über „den Bodenwert in Frankreich“, wo das vorstehend aus-
führlich entwickelte Hauptergebnis der Schätzung von 1908/12, der Rückgang, seit
einem Menschenalter, des Reinertrages und noch mehr des Kapitalwertes von Grund
und Boden, schon berührt worden ist.
808 Miszellen.
Zur Erklärung dieser Entwertung des französischen Bodens muß
man daran erinnern, daß die Periode vor 1879 eine Periode landwirt-
schaftlichen Gedeihens war. Ihr folgte nach 1879 eine landwirtschaft-
liche Krisis, herbeigeführt unter anderem durch die Entvölkerung
des platten Landes mit ihren Wirkungen: Verteuerung der land-
wirtschaftlichen Handarbeit und Abnahme der Nachfrage für Pachtung
und Kauf des Bodens.
Wenn nun der Verkaufswert prozentuell stärker gefallen ist als
der Reinertrag, so liegt das an den bedeutenden Wandlungen, die sich
seit einem halben Jahrhundert in der Landwirtschaft vollzogen haben,
an der Einführung der landwirtschaftlichen Nebengewerbe, der Ent-
wicklung des Futterbaues, der Vermehrung der Verkehrsmittel und der
Absatzgebiete, der Verwendung künstlicher Düngemittel usw., Verände-
rungen, die einen günstigen Einfluß auf die Entwicklung der Pacht-
preise ausgeübt haben.
Der Verkaufswert hingegen hat nicht ebenso aus diesen günstigen
Umständen Nutzen gezogen; denn der Grundbesitz ist heute viel weniger
begehrt als vor einem halben Jahrhundert. In jener Zeit verwandten
viele Personen ihre Ersparnisse zur Erwerbung oder Vergrößerung eines
Landgutes, und zahlreiche Liebhaber stritten sich um das kleinste
Fleckchen Erde. In unserer Zeit widerstrebt es dem Kapital mehr
und mehr, sich in Grund und Boden festzulegen, wo es keine Reali-
sationserleichterungen findet. Von zahlreichen Kreditanstalten begehrt,
wendet es sich vielmehr den Wertpapieren zu, die ihm mannigfache
Vorteile bieten: äußerste Anlagebeweglichkeit unter den einfachsten
und vorteilhaftesten Bedingungen, höhere Zinsen, angenehme Erhebung
der Zinsen usw. Daraus ist für den Grundbesitz eine ausgesprochene
Unterlegenheit entstanden, die ihm notwendigerweise einen Teil seines
Kapitalwertes genommen hat.
2. Der Rückgang des Reinertrages und des Verkaufswertes in den
Departements ist nahezu ein allgemeiner. Zählt man doch (von
87) nur 11 Departements!), wo der Reinertrag, und 5 Departements ?),
wo der Kaufwert zugenommen hat!
Was zunächst den Reinertrag betrifft, so haben vor allem die
Departements des Südens und Südwestens eine außerordentlich starke
Abnahme erfahren. Sie beziffert sich in
Aude auf 74,15 Proz. Niederalpen auf 46,15 Proz.
Korsika 69,70 » Dordogne 5il a
Ostpyrenäen 56,25 » Ariège 45,16 „
Lot und Garonne 50,00 „ Tarn und Garonne 44,30 »
Haute-Garonne 49,38 » Hérault 43,59 n
Gers 48,94 n Tarn 4340 „
Hochalpen 46,15 „ Hochpyrenäen 42,10
Es ist klar, daß der Verkaufswert des Bodens dieser Departements
ebenfalls stark gesunken sein muß:
1) Vendée, Bouches du Rhône, Creuse, Finistère, Ille und Vilaine, Loire-Inférieure,
Morbihan, Seine, Seine und Oise, Deux-Sèvres, Seealpen.
2) Bouches du Rhône, Landes, Creuse, Finistère, Morbihan.
Miszellen. 809
Lot und Garonne 61,44 Proz. Haute-Garonne 44,13 Proz.
Aude 59,20 „ Dordogne 42,54 „
Tarn und Garonne 56,24 „ Korsika 42,65 „
Hochalpen 52,16 „ Hochpyrenäen 4144 „
Gers 50,00 ,„ Tarn 40,19 ,
Niederalpen 50,00 ,„ usw.
Aber auch in anderen Departements Frankreichs ist die Verminde-
rung des Verkaufswertes eine ganz erhebliche:
Aube 48,31 Proz. Ardennen 44,04 Proz.
Oise 474l n Somme 43,65 „
Eure 46,75 ø Marne 43,10 j
Charente 46,52 „ Seine-Inferieure 40,54 „
Maas 45,21 »
II.
Die verschiedenen Bodennutzungsarten sind an dieser Ent-
wertung des Bodens in ganz verschiedenem Verhältnis beteiligt.
1. Der mittlere Hektar-Reinertrag des Gartenlandes (Obst-
und Gemüsegärten) Frankreichs ist seit 1879 sogar von 104 auf 108 frcs.
gestiegen. Dagegen ist der durchschnittliche Verkaufswert für den
Hektar von 3382 auf 3013 fres. oder um 10,91 Proz. gefallen. Die
mittlere Verzinsung des Gartenlandkapitals erhöht sich dementsprechend
von 3,08 auf 3,58 Proz.
Es wäre verkehrt, diesen Schwankungen eine besondere Bedeutung
beizulegen; denn sie liegen zum großen Teil an einer verschiedenen
Klassifizierung der Grundstücke im Laufe der beiden Schätzungen. In
der Tat enthielten die Gartenländereien in 1908 nur Obstgärten und
in vollem Betriebe stehende Gemüsegärten, während in 1879 dieser
Gruppe unter der Bezeichnung „verschiedene Kulturen“ oft Grund-
stücke viel geringeren Wertes, wie schlechte Weiden, Teiche, Sümpfe,
Torfmoore usw., einverleibt worden waren.
Unter solchen Verhältnissen können die Vergleichungen hier nur
relativen Wert haben. Wir begnügen uns deshalb mit dem Hinweis,
daß der aus Gemüsegärten bestehende Teil des Gartenlandes in der
Umgebung der Städte einen tatsächlichen Mehrwert erlangt hat. Er
ist besonders bemerkbar in der Gironde, Charente-Inferieure, Marne,
Meurthe und Mosel, Saône und Loire, Seine und Oise, Maine und Loire,
in Finistere, Gers, Lot und Garonne. Einige Departements zeigen
ausnahmsweise Reinertragsverminderungen, die auf besondere Ursachen
zurückzuführen sind, wie auf das Fehlen leichter und naher Absatz-
gebiete und die Landflucht (Niederalpen und Korsika), die Krankheit
der Olive (Bouches du Rhöne) und die Krisis der Seidenraupenzucht
Gard).
: Was den mittleren Verkaufswert betrifft, so variiert er nicht
immer in dem nämlichen Sinne wie der Reinertrag, er fällt zuweilen
oder bleibt unverändert, während der Reinertrag steigt. Das erklärt
sich in der Hauptsache damit, daß die Gemüsegärten in der Umgebung
der Städte viel leichter Pächter als Käufer finden, und daß infolge-
dessen die Zunahme ihres Pachtwertes nicht notwendigerweise eine
entsprechende Steigerung ihrse Verkaufswertes nach, sich zieht.
810 Miszellen.
2. Der mittlere Hektar-Reinertrag des Ackerlandes ist seit
1879 von 57 auf 49 frcs., also um 14,03 Proz. gesunken, der durch-
schnittliche Hektar-Verkaufswert von 2197 auf 1496 frcs., d. h. um
31,90 Proz. Die mittlere Verzinsung des Ackerbodenkapitals steigt
dementsprechend von 2,58 Proz. in 1879 auf 3,31 Proz. in 1912.
Es geht aus diesen Zahlen hervor, daß die Wertverluste in ihrer
Gesamtheit für den Reinertrag nicht so bedeutend sind. Wenn sie sich
für den Verkaufswert als viel einschneidender herausstellen, so liegt
das an den schon dargelegten Ursachen allgemeiner Art.
Die Entwertung des Ackerlandes in den Departements ist ziemlich
allgemein; denn man zählt nur 20 Departements, wo der Reinertrag,
und 14, wo der Verkaufswert zugenommen hat. Sie erreicht, was den
Reinertrag betrifft, ihr Maximum in folgenden Departements:
Gers 51,28 Proz. Charente 37,84 Proz.
Lot und Garonne 50,62 „ Hochpyrenäen 37.14 u
Tarn und Garonne ATTR 5 Vogesen 35,13 „
Haute-Saöne 390,87 w Haute-Marne 33,00 y
Haute-Garonne FBE. 55 Maas ILIS. a
Der Rückgang des Verkaufswertes ist noch erheblicher:
Lot und Garonne 63,60 Proz. Vogesen 47,30 Proz.
Tarn und Garonne 56,30 „ Eure 47,02 „
Gers 53,79 a Haute-Marne 44,62 „
Oise 48,18 „ Seine-Inférieure 44,57 „
Charente 47,56 i Marne 40,87 „
Maas 4748 » Hochpyrenäen 40,05 „
In allen diesen Departements ist entweder die Landflucht größer
gewesen als anderwärts, oder das Anbauverfahren ist rückständig ge-
blieben, oder auch der Ertrag eines seiner Beschaffenheit nach armen
Bodens setzt den Landwirt nur schwer in den Stand, die stark ge-
stiegenen Betriebskosten zu bestreiten. Zuweilen haben diese Wert-
verminderungen auch rein örtliche Ursachen, wie die Verwendung des
besten Ackerlandes für den lohnenderen Weinbau (Herault) und die
Zuckerkrisis (Aisne).
3. Der mittlere Hektar-Reinertrag der Wiesen ist in der Periode
1879—1912 von 97 auf 65 fres., also um 32 frcs. oder 33 Proz. ge-
sunken, der durchschnittliche Hektar-Verkaufswert von 2691 auf 1816 frcs.,
also um 1083 fres. oder 36,57 Proz. Die mittlere Verzinsung des
Wiesenkapitals erhöht sich infolgedessen von 3,26 auf 3,45 Proz.
Diese erhebliche Entwertung der Wiesen muß bei flüchtigem Zu-
sehen überraschen, wenn man die große Entwicklung in Betracht zieht,
die in den letzten Jahrzehnten die Viehzucht genommen hat, und die
sich übrigens in einer bedeutenden Vergrößerung des Wiesenareals seit
1879 ausdrückt. Und doch ist sie gerechtfertigt. In der Tat sind die
Landwirte infolge der zunehmenden Leutenot und des Steigens der
Arbeitslöhne einerseits und des immer stärkeren Schlachtviehverbrauches
andererseits mehr und mehr dazu übergegangen, ihre Wiesen- und
Weideflächen zu vergrößern. Dazu haben sie natürlich schlechtes
Ackerland, dessen Anbau zu kostspielig war, genommen, was die Wir-
kung hatte, die Durchschnittswerte herabzudrücken, da doch die so
geschaffenen neuen Wiesen von minderer Beschaffenheit sind.
Miszellen. 811
Diese Erklärung gilt auch für die Ergebnisse der meisten De-
partements, die Abnahme der Durchschnittswerte ist dort allgemein,
ausgenommen in der Seine, Somme und Vendée, wo die mittleren Rein-
erträge mäßig gestiegen sind.
4. Frankreichs Rebland zeigt seit 1879 einen Rückgang des
mittleren Reinertrages für den Hektar von 130 auf 76 fres., also um
41,54 Proz, und des durchschnittlichen Hektar-Verkaufswertes von
2968 auf 2033 frcs., d. h. um 31,41 Proz. Die mittlere Verzinsung
des Rebbodenkapitals fällt dementsprechend von 4,38 auf 3,76 Proz.
Die Wertabnahme in den Departements ist allgemein, mit Aus-
nahme der Charente, wo die Wiederherstellung der Reben eine neue
Steigerung der Mittel herbeigeführt hat, und einiger anderer Departe-
ments (6 für den Reinertrag und 8 für den Verkaufswert), wo die Zu-
nahmen unbedeutend sind. Das ist in der Tat besonders von 1879 ab,
seit die Reblaus ihre Verheerungen angerichtet hat. Die Reben sind
zwar in vielen Gegenden wieder gepflanzt worden; aber die für diese
Wiederherstellung verwendeten neuen Pflanzen haben im allgemeinen
ein Produkt geliefert, das hinsichtlich seiner Güte sich mit dem früheren
nicht messen kann. Andere Krankheiten sind dazu gekommen, die,
wenn sie auch den Weinstock nicht zerstören, doch die Güte und Menge
des Weines vermindern und auf alle Fälle eine kostspielige Behandlung
erfordern. Andererseits hat die Verteuerung der Handarbeit sich ganz
besonders beim Weinbau fühlbar gemacht, der ständige Arbeiten er-
fordert, und wo die Verwendung landwirtschaftlicher Maschinen fast
unmöglich ist. Endlich ist das Rebland gerade in den Jahren, die der
letzten Schätzung unmittelbar vorausgingen, stark entwertet worden
durch ansehnlichen Rückgang der Weinpreise, dann auch durch Fehl-
ernten.
Alle diese verschiedenen Umstände sind es, die den recht bedeu-
tenden Rückgang der Durchschnittswerte des Weinlandes erklären; sie
haben übrigens den Reinertrag stärker beeinflußt als den Verkaufswert,
obschon man wegen der unsicheren Dauer der Rebkultur und ihres
unregelmäßigen Ertrages gerade das Gegenteil erwarten sollte.
5. Der mittlere Hektar-Reinertrag des Waldlandes ist von 23
auf 17 fres., also um 26,09 Proz. zurückgegangen, der durchschnittliche
Verkaufswert für den Hektar von 745 auf 573 frcs., d. h. um 23,09 Proz.
Das mittlere Verhältnis des Reinertrages zum Verkaufswert fällt in-
folgedessen von 3,02 Proz. in 1879 auf 2,90 Proz. in 1912.
Wie diese Zahlen zeigen, hat die Krisis, die seit 1879 den Grund-
besitz überhaupt ergriff, auch die Waldungen nicht verschont. In Wahr-
heit hat sie den Hochwald und besonders den Nadelwald verhältnis-
mäßig wenig betroffen, aber der Mittel- und Niederwald ist stark mit-
genommen worden. Seine Produkte, denen Kohle und Gas für den
industriellen wie für den häuslichen Gebrauch starke Konkurrenz
machen, haben eine bedeutende Wertminderung erfahren, besonders in
den Kohlenbezirken; andererseits ist seine ehemals für die Leder-
gerberei benutzte Rinde nach und nach durch chemische Mittel ersetzt
worden. Daraus erklärt es sich, daß trotz des noch hohen Wertes der
Hochwaldungen die Mittel des Waldlandes in 1912 doch einen be-
812 Miszellen.
merkenswerten Rückgang verzeichnen. Man muß übrigens hinzufügen,
daß die seit einigen Jahrzehnten betriebenen erheblichen Aufforstungen,
die zum großen Teil auf schlechtem Boden (Heideland, aufgegebenem
Ackerland) erfolgt sind, in ihrer Gesamtheit nur aus Niederwald min-
derer Qualität bestehen, dessen geringer Wert noch dazu beiträgt, die
Abschwächung der Mittel zu verschärfen.
Diese Erwägungen erklären auch die Abnahme der Durchschnitts-
werte in den Departements, von denen nur 7 hinsichtlich des Rein-
ertrages und 15 hinsichtlich des Verkaufswertes Zunahmen verzeichnen.
Sie haben indessen nur einige Bedeutung in der Gironde und in den
Landes, deren Seekieferpflanzungen sehr ertragreich sind, im Jura- und
besonders im Vogesendepartement, das zahlreiche und sehr schöne Nadel-
hochwälder besitzt.
6. Das Heideland, die Hutungen und das andere unan-
gebaute Land zeigen einen Rückgang des durchschnittlichen Hektar-
Reinertrages von 6 auf 4 frcs., also um 331/, Proz. Der mittlere
Verkaufswert ist von 207 auf 159 fres., d.h. um 23,19 Proz. gesunken.
Die mittlere Verzinsung dieser Besitzgruppe fällt dementsprechend von
2,96 Proz. auf 2,73 Proz. Man stellt nur 15 Departements fest, wo
der Reinertrag, und 25, wo der Verkaufswert gestiegen ist.
Aber die mittleren Werte dieser Gruppe bieten nur ein neben-
sächliches Interesse, da sie sich doch auf einen Boden beziehen, dessen
Ertrag immer ein sehr geringer ist. Uebrigens erklären sich ihre not-
wendigerweise wenig bedeutenden Schwankungen weniger aus wirt-
schaftlichen Verhältnissen, die einen Einfluß auf die Entwicklung der
Pachtpreise des Bodens ausüben könnten, als aus der Natur der Grund-
stücke, die bei jeder Schätzung der Gruppe des Heidelandes usw. zu-
geteilt worden sind. —
Es geht aus diesen Ausführungen hervor, daß es der Reinertrag
des Reblandes ist, der prozentuell den stärksten Rückgang (41,54 Proz.)
erfahren hat. Folgen Heideland, Wiesen, Waldland, Ackerland und
Gartenland, dessen Rente sogar schwach gestiegen ist. Man muß be-
sonders darauf hinweisen, daß die Ackerrente nur mäßig (14,03 Proz.)
gesunken ist.
Was den Verkaufswert betrifft, so ist es der des Wiesen-
landes, der prozentuell die stärkste Abnahme (36,57 Proz.) erfahren
hat. Folgen Ackerland (31,90 Proz.), Rebland (31,41 Proz.), Heideland
und Waldland (23,09 Proz.), schließlich in großem Abstand Gartenland
mit 10,51 Proz.
Wenn hinsichtlich der Gesamtheit der Bodennutzungsarten für den
Verkaufswert ein stärkerer Rückgang festgestellt werden kann als für
den Reinertrag, so gilt das auch, wenn man jede Kulturart für sich
betrachtet, für Ackerland, Wiesen und Gartenland; aber es trifft nicht
mehr zu für Rebland, Waldland und Heideland, wo der Reinertrag
stärker gesunken ist als der Verkaufswert.
Miszellen. 813
XV.
Die Brotpreise in Berlin im zweiten Kriegsjahre 1915.
Von Dr. Hans Guradze, Berlin.
Nachdem wir in Bd. 50 S. 369 fg. dieser „Jahrbücher“ die Brotpreise
in Berlin in der ersten Hälfte des zweiten Kriegsjahres 1915 besprochen
haben, sollen sie im folgenden für das ganze Jahr gegeben werden.
Sie stellten sich nach Verwiegungen des Statistischen Amtes der Stadt
Berlin für 1 kg in Pfennigen folgendermaßen:
1915 1914
Monat, Jahr 7 =
Roggenbrot | Weizenbrot Roggenbrot | Weizenbrot
Januar 34,14 63,48 26,03 54,38
Februar A x 25,95 53,95
März 43,98 67,20 25,71 54,10
April 43,63 67,05 25,72 53,57
Mai 40,86 68,04 25,79 53,43
Juni 40,74 63,39 26,22 | 53,48
Juli 40,66 61,45 27,65 55,06
August 40,51 61,39 30,95 59,23
September 40,70 61,63 30,19 57,55
Oktober 40,61 61,91 30,82 57,56
November 40,34 61,94 31,45 58,43
Dezember 40,50 62,16 32,58 61 95
1) 40,61 1) 63,60 1) 30,82 1) 56,25
Jahr | å S ?) 28,25 ?) 56,06
Die Preise von 1915 sind — abgesehen vom Januar — aus dem
Grunde mit denen von 1914 unvergleichbar, weil 1915 Höchstpreise
festgesetzt sind, und zwar am 1. Mai für 1 kg Roggenbrot 43 Pf., für
75 g Weizenbrot 5 Pf., am 7. Juni 42 Pf. bzw. für 50 g 3 Pf. Ferner
beziehen sich die Angaben nicht mehr, wie bis Ende 1914, auf 40,
sondern auf 60 Bäckereien; auch ist vielfach die Zugabe schärfer be-
rücksichtigt (vgl. meinen letzten Aufsatz in Bd. 50, S. 369). Im Fe-
bruar des Jahres 1915 fanden keine Verwiegungen statt. Die jetzige
Tabelle ist gegenüber der bisherigen um die Mehl- und Getreidepreise
gekürzt, und zwar aus nachstehenden Gründen. Für Mehl liegen aus
1915 nur Januarnotierungen vor: Roggenmehl 35,10 gegenüber 19,80
im Januar 1914, Weizenmehl (nach den Ermittelungen der Aeltesten
1) ausschließlich Februar.
2) einschließlich Februar.
814 Miszellen.
der Kaufmannschaft von Berlin) 41,79 gegenüber 23,20 im gleichen
Monat von 1914. Für Getreide liegen seit November 1914 überhaupt
keine Notierungen vor, da ja nach der Bundesratsverordnung vom
19. Dezember 1914 für die Dauer des gegenwärtigen Krieges Höchst-
preise festgesetzt sind, und zwar, wie bereits in meinem Aufsatze „Die
Brotpreise in Berlin im ersten Kriegsjahr 1914“, diese Jahrbücher,
Bd. 49 S. 522, ausgeführt ist, zunächst ab 24. Dezember 1914: für
100 kg inländischen Roggen 22,0 M., inländischen Weizen 26,0 M,
für Bromberg 20,9 bzw. 24,9 M. An diesen Höchstpreisen hat der
Bundesrat in der Sitzung vom 23. Juli 1915 für Berlin nichts geändert,
für Bromberg aber 21,5 bzw. 25,5 M. festgesetzt.
Gegenüber den Preisen des Vorjahres zeigen die des Jahres 1915
‚lie folgende Erhöhung in Prozent:
bei | Januar | Februar März April | Mi | Jwi
| | i |
Roggenbrot 31,16 | i | 7106 69,63 ıı 58,3 | 55.38
Weizenbrot 16,73 | | 2421 2516 | 27,348 | 1853
bei | Juli | August September | Oktober | November Dezember
Roggenbrot 47,05 | 30,89 | 43,83 | 31,76 28,27 | 24,50
Weizenbrot 11,61 3,65 | 09 | 756 | 601 | ou
Für das ganze Jahr 1915 (ohne Febrnar) beläuft sich die Zunahme
gegenüber 1914 beim Roggenbrot auf 31,76 Proz., beim Weizenbrot
auf 13,07 Proz.
Das durchschnittliche Gewicht des Fünfzigpfennigbrotes hatte 1915
mit 1,23 kg den niedrigsten Stand seit 1890.
Die Tabelle der Jahresdurchschnittssätze zeigt folgendes Bild, wobei
für 1915 stets die Höchstpreise im Auge zu behalten sind:
Roggenbrot- Gewicht des Roggenmehl- Roggenpreis
Jahe preis Fünfzig- preis pro
pro 100 kg pfennigbrotes pro 100 kg 100 kg
M. kg M. M.
1886 20,80 2,40 17,91 13,06
1887 20,65 2,42 17,06 12,09
1888 21,22 2,36 18,90 23,45
1889 24,89 1,02 21,77 15,55
1890 27,18 1,84 23,45 17,00
1891 31,66 1,58 29,05 21,12
1592 29,52 1,70 23,97 17,60
1893 21,89 2,28 17,69 13,37
1894 20,43 2,45 15,47 11,77
1895 20,63 2,42 16,50 11,98
1846 20,43 2,39 16,30 11,88
1897 22,30 2,24 17,44 13,01
1898 25,15 1,99 20,12 14,63
1899 24,21 2,07 19,37 14,60
1900 23,96 2,09 19,31 14,26
1901 24,93 2,02 18,86 14,07
1902 24,21 2,07 19,61 14,42
1903 23,83 2,09 17,97 13,23
Kriegsjahr 1914 bereits in das Gegenteil umgeschlagen.
Jahr
1904
1905
1906
1907
1908
1909
1910
1911
1912
1913
1914
1915
Miszellen.
Roggenbrot-
preis Fünfzig-
pro 100 kg pfennigbrotes
M. kg
23,50 2,12
24,30 2,06
27,06 1,85
30,82 1,62
31,78 1,57
30,21 1,66
27,65 1,81
27,86 1,79
29,70 1,68
28,87 1,78
30,25 1) 1,65?)
40,51 1,28
preis
pro 100
M.
17,55
19,07
21,00
25,35
23,17
22,25
19,20
21,32
22,78
20,85
24,65
Gewicht des Roggenmehl-
kg
Roggenpreis
pro
100 k
13,51
15,19
16,06
19,32
18,65
17,65
15,23
16,83
18,58
16,48
17,82
g
815
Die Durchschnittspreise der bezeichneten Jahre sind also in Prozent
des jeweils vorangehenden Jahrespreises gestiegen (+) oder gefallen (—):
1886 auf 1887
1887 „
1888 „
1889 „
1890 „
1891 „
1892 „
1893 „
1894 ,„
1895 „
1896 „
1897 s;
1898 „
1899 „
1900 „
1901 „
1902 „
1903 „
1904 „
1905 „
1906 „
1907 »
1908 „
1909 „
1910 „
1911 „
1912 „
1913 „
1914 „
1888
1859
1890
1891
1892
1893
1894
1895
1896
1897
1898
1899
1900
1901
1902
1903
1904
1905
1906
1907
1908
1909
1910
1911
1912
1913
1914
1915
Roggenbrot
I++++ 1 1 |
+++] 14444 IE
ws
Roggen
— 7,43
+ 11,25
+ 15,61
+ 9,32
+ 24,24
19,67
24,03
11,95
1,78
0,83
9,51
12,45
0,21
2,33
1,33
2,49
8,25
2,07
12,46
5,73
20,30
3,47
5,36
13,71
10,51
10,40
11,57
+ 8,40
.
LELE DE ze u
I++ I I +++
Weizenbrot
rel ll
++H I + | 4++++++ | ++ |
Wei
HIHI I1++++++ | I +1 A++] ]
zen
9,58
3,55
6,37
8,34
6,14
Die rückläufige Bewegung des Jahres 1913 ist also im ersten
gilt das vom zweiten.
Für die Maxima nach Kalendermonaten ergibt sich seit 1899
nachstehende Uebersicht:
1) bzw. 28,25.
2) bzw. 1,77.
Um so mehr
a
816 Miszellen. |
l
a ae a a aeaa a er mn nn |
| | Roggen von | Weizenmebl | Weizen wz |
Jabr Roggenbrot Reg gnier Duroli- Weizenbrot |No. 00 (nach der| gawr Doa
0.01 schnitts- Reichsstatistik) | schnite
beschaffenheit | beschaffen
| I
1899 [Februar 24,71 Januar 20,17 Oktober 14,98|Januar 42,60 Januar 23,50 Januar ihr
1900 Wuli 24,40, Juni 20,45 Mai 15,12 [Juli 42,01Juni, Juli 21,50 Juni I
1901! Juli, August 24,50 Deanna JIA April 14,41]August 41,93 Dezember 24,00 Mai 174
1902 [September 24,77, August 21,45 Juli 15,08|Dezember 42,10 Mai, Juni 24,00 Januar 1.3
| | | Januar, | Jaganı
1903! |Februar 24,15 Januar 18,73, Juni 13,58], ,- 2 41,92 August 22,00 Juli 1
| | | Juli J Dezember
1904 Wuli 23,75 August 18,20 Dezember 14,25ljAugust 42,55/Februar 24,50 Augus ir
1905 [Dezember 26,35 Dezember 21,92 Dezember 17,05|November 43,88 Oktober 24,25 Dezember 13:1
1906 [Dezember 27,36 Januar 22,41 Januar 16,95jFebruar 45,93 Dezember 24,50 Mai 13.08
1907 |Dezember 33,98 November 28,08 November 21,11|Dezember 54,60 Oktober 32,00 Oktober 23,3
1908 [Januar 33,859 Januar 27,18|Januar 20,35jFebruar 54,77 Januar 31,00 Juli 22:2
1909 Wuli 31,57 Juni 24,4 Juni 19,55|Juli 56,49 Juli 36,00 Juni 20.0
1910 JJanuar 29,42 Januar 20,90 Januar 16,70|Februar 55,50 Januar 30,25 Februar 22
1911 [November 29,16 September 22,95 September 18,48]August 54,30 September 28,00 Juli aa
1912 [Juli 30,31 Mai 24,15 Mai 19,91] Juli 55,44 August 29,00 Juni 23:0
1913 [Mai 29,34 Januar 21,84 Juli 17,33|Dezember 55,11 Januar 27,50 Mai a
1914 [Dezember !') 34,53 Dezember 31,78] à Dezember 61,95, Dezember 38,0u
1915 [März 43,95, Š 2 Mai 68,04
Als Ergänzung der Maximaübersicht seien die Minima ent-
sprechend angeführt:
Roggen von ; | Weizen wa ı
Weizenmehl EA
Jahr | Roggenbrot Roggenmehl guter Düsch- Weizenbrot |No. 00 (nach der EU Dar N
No. 0/1 schnitts- Reichsstatistik) | schnite- |
beschaffenheit beschaffen:
e—a — == — a
1899 |Dezember 23,73|November 18,78|März 14,14|November 40,55 Dezember 21,00|Dezember isit
1900ù Januar 23,66|Januar 18,40 hans Januar 40,47 Febrrl2o,r8 Januar ie
,
1901 [Januar 24,07\Oktober 18,35|Oktober 13,45jFebrnar 41,09 Jan., Febr., 21,25 Januar zad
1902 |Januar 24,02|Dezember 18,79|Dezember 13,719|Februar 41,27|Okt., Nov., 21,50|Oktober 15:4
1903 |Dezember 23,33|Dezember 17,10|Oktober 12,92|November 40,87 März 21,25| März 1]
1904 |April 23,10|Mai 16,87 |Januar 12,86|Januar 41,25|Januar 22,00|Januar u
1905 [Januar 23,46|März, April 17,10|März 13,98|Februar 41,47|April, Juni 22,35jAugust
1906 [März 26,81] August 19,68 August 15,37|Oktober 44,30|März, Sept. 23,75| August
1907 Januar 27,63 Januar 21,69|Januar 16,36|Januar 45,83 Januar 24,50 Januar
1908) [Dezember 29,55|Dezember 21,04 Dezember 16,84|Dezember 51,23 Dee ber "127,00! August
1909 |Februar 29,10\Dezember 20,51Dezember 16,62|Januar 51,67\Januar 27,25 Januar
1910 [November 26,38|Juni 17,95 Juni 14,48[Dezember 51,89/Oktober 26,75 August
1911 Januar 26,42|März 19,06 Januar 14,96[ April 52,01/März 26,25 März
1912 [Januar 29,20 August 21,55 August 14,12|Januar 53,26/|Dezember 27,25 Dezember ~ +
1913 |Dezember 28,03/[November 19,95|November 15,55|Oktober 53,17/November 25,75 Oktober
1914 |März?) 27,71,März 19,55|Februar 15,48jMai 53,43|März 27,00 Januar
1915 [Januar 34,14 z i August 61,39 | .
1) bzw. 32,53.
2) bzw. 25,71.
Miszellen. 817
Es zeigen also in den einzelnen Monaten unserer 17 Berichtsjahre
jeweils den niedrigsten Preis: bei Roggenbrot der April 1904 mit 23,10,
bei Roggenmehl der Mai 1904 mit 16,87, bei Roggen der Januar 1904
mit 12,86, bei Weizenbrot der Januar 1900 mit 40,47, bei Weizenmehl
der Januar, Februar, März, April 1900 mit 20,75, schließlich bei Weizen
der Dezember 1899 mit 14,42.
Unsere im letzten Bericht ausgesprochene Vermutung, daß die Brot-
ration heraufgesetzt werden würde, findet zunächst eine Bestätigung
in nachstehender Verordnung über Zusatzbrotkarten.
Verordnung über Zusatzbrotkarten.
Auf Grund der §§ 47 und 48 der Bekanntmachung des Bundesrats über
den Verkehr mit Brotgetreide und Mehl aus dem Erntej 1915 vom 28. Juni
1915 (RGBl. S. 363) wird für den Bezirk der Stadt Berlin angeordnet:
a 1. An die Inhaber von Brotkarten dürfen Zusatzbrotkarten ausgegeben
werden.
Die Zusatzkarte enthält Abschnitte, die insgesamt über ein Gewicht von
500 g Gebäck lauten. Sie gilt für eine Kalenderwoche.
Ein Recht auf Erteilung einer Zusatzkarte besteht nicht. Die Entscheidung
über die Erteilung erfolgt durch die Brotkommission.
g 2. Die Ausgabe von Zusatzkarten ist zulässig:
l) an Personen, die infolge ihrer virkschafilichen Lage in erhöhtem Maße
auf Brot als billiges Nahrungsmittel angewiesen sind;
7 an Personen, die infolge ihrer gesundheitlichen oder beruflichen Verhält-
nisse der Brotnahrung besonders bedürfen.
ae 3. Der einzelnen Person darf nicht mehr als eine Zusatzkarte zugeteilt
werden.
Der Haushaltungsvorstand ist verpflichtet, den zu seiner Haushaltung ge-
hörenden Untermietern, Schlafleuten, Pensionären, gewerblichen Personen u. dgl.,
für die er Zusatzkarten erhalten hat, diese auf Verlangen auszuhändigen. Die
dem Haushaltungsvorstand für die übrigen Barren (Familien-
mitglieder) zugeteilten Zusatzkarten bleiben in seiner Hand.
4. Die Erteilung von Zusatzkarten erfolgt auf Grund eines Antrages, der
nach Maßgabe des vom Magistrat vorgeschriebenen Vordruckes zu stellen ist.
$ 5. Auf die Zusatzkarte findet die Verordnung und Ausführungsanweisun
vom 31. März 1915/2. Juni 1915 über die Abgabe und Entnahme von Brot un
Mehl sinngemäß Anwendung.
8 6. Zuwiderhandlungen gegen diese Verordnung, insbesondere unrichtige
Angaben zur Erlangung der Zusatzkarten, werden gemäß § 57 der Bekannt-
machung des Bundesrats vom 28. Juni 1915 (RGBl. S. 363) mit Gefängnis bis
zu 6 Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 1500 M. bestraft.
8 7. Diese Verordnung tritt mit der Verkündung in Kraft. Sie tritt an die
Stelle der Verordnung über Zusatzbrotkarten vom 15. Juni 1915.
Berlin, den 1. Oktober 1915.
Damit ist die Brotration der Zusatzkarte von 450 auf 500 g pro
Woche heraufgesetzt.
Die Bundesratsverordnung vom 28. Juni 1915 (vgl. den Schluß
der letzten Arbeit in Bd. 50 S. 384) führte erst im März 1916 zu
einer besonderen Verordnung für Berlin.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 52
818 Literatur.
Literatur.
VI.
Oberfohren, Ernst, Die Idee der Universalökonomie
in der französischen wirtschaftswissenschaftlichen
Literatur bis auf Turgot.
Probleme der Weltwirtschaft, herausgeg. von Prof. Dr. Bernhard Harms,
23. Heft. Jena, (Gustav Fischer) 1915. gr.8. 204 SS. 7,50 M.
Von Prof. Dr. W. Ed. Biermann-Leipzig.
Seit meinem Versuche, vom dogmatischen Einteilungsprinzip Dietzels
aus eine „Geschichte des ökonomischen Individualismus“ (1905) zu
skizzieren, hat sich die Literatur des seitdem verstrichenen Dezenniums
mit Liebe und Verständnis der Untersuchung der klassischen National-
ökonomie und ihrer Vorgänger angenommen. War die Verankerung
der „Universalökonomie“ des 18. Jahrhunderts im Naturrecht nament-
lich seit den Schriften Wilhelm Hasbachs klar geworden, so fehlte ein
liebevolles Nachforschen nach den ersten Freihändlern vor der Physio-
kratie und vor Ad. Smith. Es fehlte ferner eine Prüfung des Unter-
schiedes zwischen der „reinen“ Lehre der Klassiker und den Ueber-
treibungen ihrer Epigonen. Es fehlte endlich eine mehr soziologisch
orientierte Analyse des Individualismus als Weltanschauung überhaupt.
Im wesentlichen sind die eben angedeuteten Lücken durch zum Teil
treffliche Untersuchungen der letzten Jahre ausgefüllt worden. Die
Arbeiten von Pribram und Chatterton-Hill haben die soziolozischen
Grundbeziehungen zwischen Individuum und Staat neu geprüft, die
Schriften von Schatz, Raffel, Wolters, Güntzberg, Fengler und Briefs haben
Physiokratie und Smithianismus, sowie ihre Vorläufer im Freihandel
einer gründlichen Analyse unterzogen und damit zugleich einen Beitrag
zur Geschichte der „Weltwirtschaftslehre“ gegeben, die eben früher
identisch mit „Freihandelslehre‘ war. Endlich gedenken wir der
interessanten Untersuchungen von Wahl und Glagau zur Vorgeschichte
der französischen Revolution, die ein scharfes Licht auf die Physiokratie
und ihre allgemeine historische Bedeutung warfen.
In diesen Zusammenhang reiht sich die Arbeit von Ernst Ober-
fohren ein, die als 23. Heft der „Probleme der Weltwirtschaft“
erschienen ist und einer Anregung von Bernhard Harms ihre Entstehung
verdankt. Harms hatte („Volkswirtschaft und Weltwirtschaft“, 1912,
S. 4.) betont, in welch’ engem Zusammenhange die „Universalökonomie“
Literatur. 819
des 18. Jahrhunderts mit den kosmopolitischen Ideen jener Zeit steht
und wie sie’ ihren ethischen Gehalt aus der Naturrechtsphilosophie des
17. und 18. Jahrhunderts empfängt. Oberfohren hat sich die Aufgabe
gestellt, die Idee der „Universalökonomie‘ in der französischen sozial-
ökonomischen Literatur von Jean Bodin bis auf Turgot zu verfolgen.
Sein Buch will in erster Linie als Quellenuntersuchung auf-
gefaßt sein. Daraus erklärt sich, daß nur gelegentlich eine Auseinander-
setzung mit der monographischen Literatur stattfindet. Man mag das
bedauern, muß aber doch wohl die Selbstbeschränkung des Autors
respektieren. Einige Abschnitte der Arbeit sind schon früher im „Welt-
wirtschaftlichen Archiv“ (Bd. 1 und Bd. 5.) veröffentlicht worden.
Es kann nicht meine Aufgabe sein, Einzelkritik an den Analysen
des Autors zu üben. Soweit ich habe sehen können, hat Oberfohren
gewissenhaft und gründlich die riesige Quellenliteratur studiert, darunter
manche so seltene Schrift, daß wohl selbst der gelehrteste Kenner der
nationalökonomischen Literaturgeschichte Frankreichs sich für diese
Partien des Buches wird als inkompetent erklären müssen. In der
Auffassung ist der Referent zum Teil anderer Meinung, so z. B. in der
Beurteilung der Scholastik, der eine Auseinandersetzung nicht nur mit
Edm. Schreiber, sondern auch mit Ernst Troeltsch sicherlich zugute
gekommen wäre, u.i.a. mehr. Er verzichtet aber auf eine Auseinander-
setzung mit O. gemäß seiner schon früher betonten Selbstbeschränkung
und begnügt sich, in großen Zügen den Gang der wertvollen Unter-
suchung dem Leser vorzuführen. O. beginnt mit einer Einleitung, die
den übernommenen philosophischen Grundlagen der Universalökonomie
gewidmet ist, die er, Hasbach folgend, bis in die Antike zurückverfolgt.
Stoizismus ist auch ihm die erste Philosophie des Kosmopolitismus und die
„Sehnsucht nach einer erdumspannenden Gemeinschaft geistig und sittlich
hochstehender Geister“. Die universalmenschliche, kosmopolitische Ethik
der Stoa bauen Apologeten und Kirchenväter aus. Am Ende dieser
mittelalterlichen Entwicklung steht Dante mit seiner glänzenden Dar-
stellung des christlichen Universalstaates. In der Neuzeit kehren die
alten, niemals völlig überwundenen Vorstellungen der Stoa wieder in einer
neuen naturrechtlichen Schule, deren Lehre O. als „rückwärts gerichteten
Individualismus“ deutet, „um für die Gegenwart um so entschiedener
den Kollektivismus zu begründen“. Eine Auffassung, die mir in dieser
allgemeinen Formulierung nicht einwandfrei zu sein scheint. Jeden-
falls wird das Naturrecht später — um einen Ausdruck Schumpeters
(Vergangenheit und Zukunft der Sozialwissenschaften, 1915, S. 38)
über das 18. Jahrhundert zu gebrauchen — für das sozialwissenschaft-
liche Geisterleben, „was der Nil für Aegypten ist“. Und (ebenda,
S. 48) „so wurde die Nationalökonomie aus dem Naturrecht geboren“.
Im Gegensatz zu Dietzel nimmt O. an, daß die Zweckmäßigkeit und
Notwendigkeit einer weltumfassenden Gemeinschaft bis in die beginnende
Neuzeit nur oratorisch, philosophisch und theologisch erwiesen worden
sei, nicht aber ökonomisch. Das geschehe erst jetzt, und zwar mit
Argumenten, die in den Niederungen der menschlichen Wirtschafts-
führung verankert seien.
52*
820 Literatur.
Nach dieser Einleitung sucht O. seinem Thema, der Entwicklung der
französischen Universalökonomie bis auf Turgot, in vierAbschnitten
gerecht zu werden. Er behandelt in ihnen Frühzeit, Absolutismus, die
Uebergangsperiode zum klassischen Individualismus und die Physiokratie.
Der sehr interessante erste Abschnitt handelt über Bodin und seine
Schule. Er ist für O. der Vorläufer der klassischen Schule, nament-
lich Montesquieus, dessen Ideen sich bei ihm schon zum großen Teil
vorfinden. Seine Gedankengänge enthalten im Keime das ganze Frei-
handelssystem des 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts. „Es ist
erstaunlich“, sagt O., „mit welcher Selbstverständlichkeit dieser scharf-
sinnige Kopf Ideen aufstellt, die zwei Jahrhunderte später die Welt
revolutionieren sollten.“ Auf der anderen Seite freilich — das verkennt
unser Autor durchaus nicht — finden sich in seiner „Republique“ und
der „Réponse“ Stellen von unverkennbar merkantilistischem Charakter.
Seine liberalistischen Ideen aber werden zum Ausgangspunkt für eins
ganze Schule wirtschaftspolitischer Schriftsteller in der Epoche des
sog. beginnenden Merkantilismus. O. nennt Jean d’Arrerac, Francois
de Rosieres, Estienne de la Boätie (einen Freund Montaignes), Henry
Estienne und Claude d’Expilly. O. möchte es dem Einfluß Bodins
zuschreiben, daß Frankreich im Gegensatz zu England und Italien eine
merkantilistische Literatur im eigentlichen Sinne kaum hervorgebracht
hat. Auchin dem berühmten Traité de l’économie politique Montchretiens
— den er in der Neuausgabe von Funck-Brentano benutzt hat —
findet er zahlreiche universalökonomische Gedanken, die freilich in keinem
organischen Zusammenhang mit den protektionistischen Forderungen
und der echt merkantilistischen Vorrangspolitik des Buches stehen.
Jedenfalls ist Montchretien von den Ideen der Bodinschen Schule nicht
unbeeinflußt geblieben. Schärferen Ausdruck hat allen Ideen der
Bodinschen Schule ein Schriftsteller verliehen, der wohl in der deutschen
Literatur völlig unbekannt geblieben ist und den O. mit sichtlicher
Liebe ausgräbt: Emeric Cruc& mit seinem Nouveau Cynee von 1623.
Das Prinzip des wirtschaftlichen Universalismus wird hier als ausführbar
erwiesen. Was diesem Manne — darin ist O. wohl zuzustimmen —
einen ehrenvollen Platz in der Geschichte der Universalökonomie
verschafft, ist die scharfe Herausarbeitung des universalökonomischen
Ideenkomplexes in einer Zeit der protektionistischen Abschließung aller
Länder.
Den 2. Abschnitt seines Buches widmet O. der Universalökonomie
in der Volkswirtschaftslehre des „Absolutismus“, wie er die nun fol-
gende Periode im Anschluß an Mann (Der Marschall Vauban, 1914,
S. 377) nennen möchte, um die engen Beziehungen der Volkswirtschafts-
lehre zu den politischen Wissenschaften zu betonen. Ich vermag nicht
einzusehen, warum es nicht bei der Bezeichnung: „System der landes-
fürstlichen Wohlstandspolizei“ (Oncken) bleiben soll, die doch gut die
Ueberspannung des Staatsgedankens und die Regierungspraxis, alles
von oben zu regulieren, kennzeichnet. Einige wenige universalökono-
mische Züge findet O. sogar bei Colbert und namentlich in seiner Kor-
respondenz mit den Intendanten, sowie in den verschiedenen Protesten,
Literatur. 821
die damals schon gegen behördliche Bevormundung erhoben wurden.
Von den Schriften dieser Zeit hebt O. zuerst die anonyme Schrift
„Commerce honorable etc.“ vom Jahre 1646 hervor, die der Auffassung
von Cruc6 nahesteht; von ihr wieder angeregt ist Lefèvre mit seinem
Discours von 1650. Es folgt Peter de Groot, von dem noch Oncken
meinte, er habe erstmalig das Naturgesetz einer internationalen Arbeits-
teilung der Völker verfochten. Gewiß zu Unrecht, wie uns jetzt O.
zeigt, denn schon zu Bodins Zeiten finden sich solche Gedanken. Des
weiteren würdigt unser Autor Jacques Savary, die anonyme Flugschrift
„Les soupirs de la France ... etc.“ und das Richelieu zugeschriebene
„Testament politique“ von 1688, das freilich nur ganz vereinzelt „freiheit-
liche Erfordernisse“ aufstell. Viel ausgeprägter sind die universal-
ökonomischen Ideen schon bei Bossuet, Fenelon und Belesbat. Alles
in allem wird man aber doch von dieser Epoche sagen müssen, daß in
ihr die universalökonomische Theorie nur schwer eine Ausgestaltung
erfahren konnte, da sie immer im Kampf mit dem Geiste der Zeit lag.
So ist nur der Besitzstand der Bodinschen Schule in seinen wesent-
lichen Stücken wenigstens bewahrt worden; eine Weiterbildung findet
sich nur bei Belesbat. Weit günstiger lagen die Vorbedingungen für
die Entwicklung der universalökonomischen Ideen in der Uebergangs-
periode zum klassischen Individualismus. Aber auch in dieser Periode
— der O. den 3. Abschnitt seines Werkes widmet — werden die Ar-
gumente für wirtschaftliche Freiheit, die in der Naturrechtslehre jener
Zeit verankert waren, stets an bestimmten wirtschaftlichen Verhältnissen
entwickelt. Es fehlt noch immer eine Darlegung des Prinzips von einer
einheitlichen Erfassung des gesamten ökonomischen und sozialen Lebens
aus. Trotzdem» bietet gerade diese Uebergangszeit wertvolle Beiträge
zur universalökonomischen Theorie: Da sind um die Wende des 18.
Jahrhunderts zunächst Vauban und Boisguillebert zu nennen. O. teilt
die Auffassung F. K. Manns über Vauban, daß er im wesentlichen nur
ein Epigone Colberts gewesen sei, während sich Boisguillebert schon
mehr der physiokratischen Naturlehre nähere. Während V. „nicht in
den Bannkreis der schöpferischen neuen Mächte gestellt werden kann,
die damals aus der Zersetzung des Alten emporstiegen“, hört man in
B.s Schriften „als schwingenden Unterton die Idee von der universellen
Solidarität der Interessen“. B. folgt Herberts Essai, der schon all-
gemein gegen Privilegien und Monopole kämpft, weil sie der Kon-
kurrenz und der Freiheit Fesseln anlegen. O. wendet sich sodann dem
widerspruchsvollen Law und seiner „ersten staatlichen Theorie des
Geldes“ zu, deren Einfluß auf die Gedankenwelt seiner Zeitgenossen
nicht gering eingeschätzt wird. Sein Hauptmitarbeiter war Melon, der
auch die allgemeinen Fragen behandelt. Auch Huet, der Dictionnaire
du commerce der Brüder Savary und der interessante, an den „Wealth
of Nations“ anschließende anonyme Traité de la Richesse von 1722
werden gewürdigt, sowie Cantillon, Boureau des Landes und d’Heguerty.
St. Pierre verlangt die Vereinigung der Nationen, wenn er auch sonst
ein Merkantilist war. Dagegen gebührt der Ruhm, ein wahrer Vorläufer
der Physiokraten gewesen zu sein, dem Marquis d’Argenson. Dasselbe
822 Literatur.
laßt sich nicht von Gournay sagen, obwohl auch er im Gärungsprozeb
der vorphysiokratischen Zeit eine bedeutsame Rolle spielt und ein
freiheitlicher Geist war. Ihm verwandt ist Clicquot-Blervache; der
schärfste Gegner der Ideen eines Antagonismus der Interessen endlich
ist Mirabeau, dessen Hauptziel aber doch die Verbesserung der sozialen
Organisation Frankreichs bleibt.
So ist alles vorbereitet für die schöpferische Leistung der Physio-
kratie, deren Hauptverdienst O. in ihrer methodologischen Leistung
sieht. Der 4. Abschnitt würdigt ausführlich Quesnay, Mercier de la
Riviere, Le Trosne, Du Pont und — im Anschluß an Lauvaire-Jourdains
Ausgrabung von 1913 — Isidor de Bacalan. Ein Kapitel über Turgot
beschließt die aufschlußreiche Monographie. O. sieht das Verdienst der
ganzen Schule darin, dab sie eine sozialökonomische Naturlehre aus-
bildete, „die, umrahmt von einer universellen, abstrakten Philosophie,
sich vorsetzen konnte, die Gesamtheit der wirtschaftlichen und gesell-
schaftlichen Erscheinungen unbekümmert um politische Grenzen zu
analysieren“.... Zusammenfassend wird man sagen können, daß O. eine
gelehrte und gediegene literarhistorische Untersuchung geliefert hat.
Es ist ihn vor allem gelungen, die Schrifsteller wirklich gewissenhaft
zu lesen und sie mit allen ihren Widersprüchen erscheinen zu
lassen. Er ist so der Gefahr entgangen, seiner These zulieb das Uni-
versalökonomische in den einzelnen Schriften ungebührlich in den Vorder-
grund zu rücken. Ein Register würde den Gebrauch des Buches er-
leichtert haben.
VII.
Bredt, Joh. Viktor, Welche Umstände verteuern
as Bauland?
Berlin (Carl Heymann) 1915. 8. 60 SS. Preis 1,50 M.
Von Dr. Strehlo w -Oberhausen.
Diese Schrift stellt ein Referat dar für die vom Reichskanzler be-
rufene Immobiliarkreditkommission. Berichterstatter dieser Kommission
waren die Herrn Prof. Dr. Albrecht, Justizrat Dr. Baumert, Präsident
a. D. van der Borght, Prof. Dr. Bredt, Wirkl. Geh. Rat Dr. Dernburg,
Exzellenz, Prof. Dr. Eberstadt, Stadtrat a. D. Dr. Luther und Regie-
rungsrat Schwartz. Man hatte es scheinbar mit Absicht vermieden,
ausgesprochene Vertreter der Bodenreform zuzuziehen. Baumert, van der
Borght und Bredt sind bekannte Gegner bodenreformerischer Ideen; die
übrigen Mitglieder kann man mehr als Vertreter der praktischen Woh-
nungsreform ansprechen. Nachdem die Herrn Baumert und van der
Borght ihren Bericht veröffentlicht hatten, ist den übrigen Bericht-
erstattern durch das Reichsamt des Innern auf Anregung des Vereins
Literatur. 823
für Wohnungsreform die Veröffentlichung ihrer Referate nahegelegt
worden.
Die Berichterstattung erstreckte sich über eine ganze Reihe von
Fragen, aus denen Bredt in der vorliegenden Schrift eine, allerdings
auch die bei weitem wichtigste und grundlegende herausgegriffen hat.
In der Vorbemerkung betont Bredt den Unterschied zwischen Wert
und Preis beim Boden. Die heutige nationalökonomische Wissenschaft
erblickt in dem Nutzen, den eine Sache für die menschliche Wirt-
schaft gewährt, verbunden mit der Seltenheit des Gutes im Verhältnis
zu dem Bedarf, das entscheidende Merkmal für den Wert, und der
Preis ist diejenige Erscheinung, in welcher dieser Wert im wirtschaft-
lichen Verkehr zum Ausdruck kommt. Des weiteren muß noch ein
anderer Unterschied hervorgehoben werden, der auch nicht immer ge-
nügend berücksichtigt wird, nämlich der zwischen dem ursprünglichen
Boden und dem fertigen Bauland. Bredt legt daher seinen Dar-
legungen die Einteilung zugrunde, daß zuerst Wert und Preis des ur-
sprünglichen Bodens — mit anderen Worten die Herrichtungskosten —
untersucht werden, dann Wert und Preis des fertigen Baugeländes und
weiter, in anderer Einteilung, die Gestaltung des Wertes und des
Preises ohne Rücksicht darauf, ob es sich um ursprüngliches oder fer-
tiges Baugelände handelt.
Das erste Kapitel bespricht die Herrichtung des Baugeländes. Die
Ausführungen über das Baufluchtliniengesetz und den $ 9 des Kom-
munalabgabengesetzes sind hier außerordentlich klar und übersichtlich
und zeigen dem Praktiker interessante Ausblicke vom großen Gesichts-
punkte aus.
Bei der Besprechung von Wert und Preis des fertigen Bau-
geländes geht Bredt aus von dem Ricardoschen Grundrentengesetz und
kommt zu dem Schluß, daß es der Nutzen allein ist, der den Wert
eines Grundstücks bestimmt und demgemäß auch im Preise zum Aus-
druck kommt. „Das ist überhaupt der Schlüssel zur Lösung der ganzen
Frage: man muß Wert und Preis auseinanderhalten. Der Wert eines
Grundstücks besteht in dem Nutzen, den es gewährt, sei es nun land-
wirtschaftlicher Ertrag, sei es die Annehmlichkeit einer Wohnung, sei
es die vorteilhafte Lage eines Ladens. Daß ein fetter Rübenboden
mehr abwirft als ein steiniger Gebirgsacker, ist eine Tatsache, mit der
ganz einfach gerechnet werden muß. Genau ebenso aber ist es eine
Tatsache, daß eine Wohnung im Tiergartenviertel besser ist als die
gleiche Wohnung in einer rauchigen, engen Fabrikgegend, und nicht
minder endlich ist es eine Tatsache, daß ein Laden in der Hauptstraße
mehr abwirft, als der gleiche Laden in einer Nebenstraße. Alle diese
Vorteile sind Werte, welche die Grundstückseigentümer den Käufern
bzw. Mietern bieten, und für welche sie einen Preis verlangen. Dieser
Preis ist nichts anderes als der Ausdruck des Wertes, und so kommt
es, daß der Rübenboden höher bezahlt wird als das steinige Acker-
land, die Wohnung im Tiergarten höher als im Fabrikviertel und der
Laden in der Hauptstraße höher als der in der Nebenstraße.“ Und
824 Literatur.
an einer anderen Stelle: „Aus allen solchen Erwägungen auf der
Grundlage der tatsächlichen Erscheinungen ergibt sich, daß jene sum-
marische Behauptung, der Preis des Grund und Bodens bemesse sich
allein nach äußerlichen Momenten, doch sehr an der Oberfläche haftet.
Was dabei übersehen wird, ist die Tatsache, daß ebenso wie überall
der Preis nur den Ausdruck bildet für einen Wert, und zwar einen
Wert, der sich äußert in einem Nutzen. Angebot und Nachfrage sind
auch in diesem Zusammenhange nur die Mittel, durch welche dieser
Wert zum Ausdruck gebracht wird.“
Die Gestaltung des Wertes, der das nächste Kapitel gewidmet ist,
ist eine durchaus natürliche nach der Ricardoschen Grundrententheorie,
in erster Linie abhängig von der Lage des Grundstücks. Sie wird
aber auch erheblich beeinflußt durch Bauordnungen und wirtschaftliche
Maßnahmen, vor allem solche der Gemeinden. „Aus diesen Erfahrungen
können wir auch unsere Lehre ziehen. Würde man bei uns durch Bau-
ordnungen allgemein zum Flachbau übergehen, müßte man die Aus-
dehnung unserer Städte ins Ungemessene steigern. Jedermann hätte
sehr viel Zeit und sehr viel Geld aufzuwenden, um zur Arbeitsstätte
oder ins Geschäftszentrum zu kommen, und diese Aufwendungen würden
doch ebenfalls zu rechnen sein. Dafür aber, daß überhaupt solches
Einfamilienhaus billiger zu bauen sein sollte als eine gleich große
Etagenwohnung, dafür scheint heute in Praxis und Literatur noch kein
Beweis erbracht. Mit der Bauordnung läßt sich gewiß der Wert des
Bodens beeinflussen, weil seine Ausnutzbarkeit davon abhängig ist,
wieviel Wohnungen man auf ihm errichten kann. Infolgedessen sinkt
natürlich auch der Preis. Keineswegs aber kann man mit diesem
Mittel auch den Preis für die einzelne Wohnung herabdrücken.“ „Um-
gekehrt wirken Maßnahmen der Gemeinde, welche einer Gegend be-
sondere Vorteile zuwenden. Wenn eine Straße durchbrochen, wenn eine
Brücke gebaut oder ein Park angelegt wird, werden regelmäßig die
Grundstückswerte erheblich beeinflußt, denn derartige Maßnahmen be-
leben den Verkehr, heben die Annehmlichkeit des Wohnens und steigern
dadurch den Wert der dortigen Grundstücke. An sich sind die Eigen-
tümer bei diesen Maßnahmen regelmäßig unbeteiligt — sie brauchen
jedenfalls nicht beteiligt zu sein — und so kann ihnen hier ein unter
Umständen recht erheblicher Gewinn mühelos in den Schoß fallen. Es
ist gerechtfertigt, wenn hier ein Ausgleich zwischen dem öffentlichen
Interesse und dem Gewinn der Grundbesitzer geschaffen wird.“
Bei der Besprechung der Gestaltung des Preises wirft Bredt zu-
nächst die Frage auf, wie man sich dazu stellen soll, daß der Wert-
zuwachs dem privatrechtlichen Eigentümer zukommt. „Nach der heutigen
Rechts- und Wirtschaftsordnung ist dies eine ganz selbstverständliche
Folge des Eigentumsbegriffs. Es gehen aber Bestrebungen dahin, diese
steigende Grundrente der Allgemeinheit zufließen zu lassen, also zu
sozialisieren. Es ist das in letzter Linie das Hauptziel in der Boden-
reform, und ein Anlauf in dieser Richtung wurde genommen durch die
Wertzuwachssteuer. Diese ganzen Fragen aber sind nicht Gegenstand
objektiver Erkenntnis, sondern politischer Forderungen. Es wird nie-
Literatur. 825
mals möglich sein, zu beweisen, wem die Grundrente zukommen ‚muß‘,
sondern höchstens zu verlangen, wenn sie zukommen soll.“
Eine Spekulation durch Umsatz oder Liegenlassen ist nur beim
nicht ausgereiften Baugelände möglich; sie belastet aber die All-
gemeinheit nicht, weil im Endergebnis, beim ausgereiften Grundstück,
der Preis durch den Nutzungswert festliegt. „Macht man sich das alles
klar, so kann der Spekulation solche entscheidende Bedeutung nicht
zugemessen werden, wie es von seiten der Bodenreformer geschieht.
Denn die beiden Verfahren, der zu häufige Umsatz und das zu lange
Liegenlassen, werden sich nicht nur ergänzen, sondern auch ausgleichen.
Wenn ein Teil der Spekulanten stets verkaufen, der andere gerade
nicht verkaufen will, wird sich in dubio stets ein angemessenes Ver-
kaufsangebot ergeben.“
„Es ist zuzugeben, daß die Spekulation die Grundrentenbildung
beschleunigen und zeitweise die Preise steigern kann. Dies gilt aber
nur bis zu dem Zeitpunkt, an welchem alles vorhandene Gelände einer
bestimmten Bodenklasse bebaut ist und die folgende Bodenklasse, die
sich in den Händen der Spekulanten befindet, zur Ausreifung gelangt.
Wenn dies der Fall, kostet der Boden nicht mehr, als wenn niemals
mit ihm spekuliert worden wäre. Die Grundrente ist eben für jedes
Grundstück zu jeder Zeit ein festbestimmter Wert. Aus Menschenliebe
hält niemand seinen Boden billiger, als nötig ist, vielmehr verlangt
jeder Eigentümer so viel, als er zu bekommen Aussicht hat. Das aber
ist nicht mehr, als der Boden tatsächlich abwirft. Mehr kann daher
auch der Spekulant nicht bekommen.“
Alle Maßnahmen zur Unterdrückung der Spekulation, die öffentlich-
rechtliche Stadterweiterung, kommunale Bodenpolitik, Umsatzsteuer,
Steuer nach dem gemeinen Wert und Wertzuwachssteuer, müssen nach
diesen Erwägungen naturgemäß als verfehlt erscheinen. Bredt sucht
dies für die drei Steuerarten nachzuweisen, wenn er auch ihre Be-
rechtigung als Steuer durchaus nicht immer ablehnt.
In der Schlußzusammenfassung kommt Bredt zu dem Resultat, daß
die Verteuerung des Bodens eine durchaus natürliche sei, weil eben
die Werte im Sinne der Ricardoschen Grundrententheorie ansteigen,
und daß es deshalb unmöglich sei, sie durch gesetzgeberische Maß-
nahmen künstlich zu beeinflussen. „Hier liegt überhaupt der Schlüssel
zum ganzen Wertproblem. Der Wert eines Grundstücks beruht auf
seinem Nutzen und zeigt sich im wirtschaftlichen Verkehre ganz unab-
hängig vom Willen des Eigentümers. Der Preis aber ist nichts als
der Ausdruck für diesen Wert. Daher kann der Eigentümer keines-
wegs die Preise steigern nach Belieben, sondern ist an den tatsäch-
lichen Wert gebunden.“
Die Bedeutung des behandelten Problems und die originelle Art
der Ausführungen von Bredt rechtfertigen es, auf dieselben näher ein-
zugehen.
Die Frage ist zunächst die, ob der Nutzungswert des fertigen
Grundstücks wirklich so fest gegeben ist, wie Bredt voraussetzt. Wir
sehen, daß die Mieten von Jahr zu Jahr immer mehr ansteigen. Diese
826 Literatur.
Steigerung erklärt Bredt für natürliche Grundrente. Hierfür bleibt er
uns allerdings den Beweis schuldig, denn wenn auch zugegeben wird,
daß aus der Natur der volkswirtschaftlichen Verhältnisse beim Vor-
handensein einer städtischen Entwicklung mit Notwendigkeit Grund-
rente entsteht, so würde man diese doch nur dann eine natürliche,
durch keine Maßnahme veränderliche nennen können, wenn sie ihrer
Höhe nach zu dieser Entwicklung überall in einem unabänderlichen
Verhältnis steht. Die Tatsache, daß Städte mit gleicher Einwohner-
zahl und ähnlicher Entwicklung, Bebauung und Leistungsfähigkeit der
Einwohner recht verschiedene Miethöhen aufweisen können, spricht gegen
diese Annahme. In Wirklichkeit wird man niemals den natürlichen
Teil der Grundrente von einem etwa durch die Spekulation verschul-
deten Teil zahlenmäßig trennen können.
Bredt geht aus von der Ricardoschen Grundrententheorie. Die
Entstehung jeder Rente setzt eine Monopolstellung der Besitzers voraus.
Wieweit er dieselbe ausnutzen kann, das hängt von den Verhältnissen
des einzelnen Falles ab; dab er sie aber bis zum Aeußersten ausnutzt,
das beweist uns der jetzige Krieg, der die Landwirte durch die Ab-
geschlossenheit Deutschlands mit einem Schlage zu ausgesprochenen
Monopolbesitzern gemacht hat.
Dieses Aeuberste nennt nun Bredt natürlichen Nutzungswert. Es
gibt sicherlich eine Grenze für den Nutzungswert und Bodenpreis,
aber um diese Grenze findet ein ständiger erbitterter Kampf zwischen
den Besitzern und den Mietern oder Käufern statt, der regelmäßig mit
einem Sieg der ersteren infolge ihrer Monopolstellung, mit einer Ver-
schiebung der Grenze zugunsten der Besitzer endet. Das kann man doch
nicht mehr einen natürlichen preisbegrenzenden Nutzungswert nennen.
Bredt bringt ein praktisches Beispiel. „Wir nehmen drei Zigarren-
geschäfte und unterstellen: das in der Hauptstraße liegende zahle
10 000 M., das in der Nebenstraße liegende 1000 M., das in der Vorort-
straße liegende 200 M. Miete. Wenn nun etwa die Hausbesitzer plötz-
lich einen Ring schlössen und die Mieten überall auf das Doppelte
setzten — was würde die Folge sein? Keinesfalls könnte man hier
doch folgern, daß die Händler auch mit ihren Zigarrenpreisen auf das
Doppelte gehen könnten. Kein Kunde würde sich darauf einlassen,
ebensowenig wie die Käufer der anderen Waren, deren Verkäufer von
der Mieterhöhung betroffen werden. Man würde die Waren anders-
woher, von auswärts, von Versandgeschäften und ähnlichen Quellen be-
ziehen. Also die Mieterhöhung einfach auf den Warenpreis schlagen,
wird nicht gelingen. Ebensowenig natürlich kann damit gerechnet
werden, die Mieterhöhung durch größeren Absatz auszugleichen, denn
der Ladeninhaber wird sowieso schon seinen Absatz so weit gesteigert
haben als irgend möglich, und eine Erhöhung steht keineswegs ohne
weiteres in seiner Macht. Es bleibt ihm also nichts anderes übrig, als
sein Geschäft aufzugeben, weil es bei verdoppelter Miete nicht mehr
rentiert.“
So spielt sich allerdings die Sache in der Praxis kaum ab. Aber
ich könnte mir sehr gut den Fall denken, daß ein Interessent für den
Literatur. 827
ersten Laden 12000 für den zweiten 1500 oder für den dritten 400 M.
bietet, sei es daß er seiner persönlichen Geschäftstüchtigkeit die Heran-
ziehung eines größeren Kundenkreises zutraut, sei es daß er mit mehr
Bargeld arbeitet und daher einen größeren Gewinn erwarten kann,
oder daß er das Geschäft als Nebenerwerb betreibt und sich mit einem
geringeren Gewinn begnügt. Ich könnte mir ferner sehr gut denken,
daß die betreffende Lage sich für ein anderes Geschäft eignet, das
einen höheren Gewinn abwirft und deshalb auch höhere Mieten tragen
kann. Aus dem Zigarrengeschäft wird ein Gold- oder Schuhwaren-
geschäft usw., und zuletzt ist die Lage reif zum Warenhaus, das fast
unbegrenzte Mieten tragen kann. Wo liegt hier der preisbegrenzende
Nutzungswert und wann ist derselbe erreicht? Wird es nicht immer
Menschen geben, die diese Fragen zum Ausgangspunkt weitgehender
Spekulationen machen, die bereit und in vielen Fällen sogar gezwungen
sind, die Aussichten der Zukunft im Kaufpreis zu eskomptieren. So-
lange eine Wertsteigerung, eine Grundrente noch möglich ist, wird
diese Möglichkeit eine Spekulation auslösen, weil die Grundrente ja
ihrer Höhe nach nicht bekannt ist und unter Umständen hohe Gewinne
erwarten läßt. Eine solche Spekulation verteuert aber den Boden immer
in unnatürlicher Weise, weil sie nur auf die Hausse geht.
Bei der Wohnlage ist die Sache ganz ähnlich, wenn auch die
Zahlen kleiner sind. Die Möglichkeit des Ueberganges zur besseren
Lage, zur Geschäftslage, Liebhaber- und Zwangspreise reizen hier die
Spekulation. Die Preise werden dadurch in die Höhe getrieben, sie
eskomptieren die Zukunftswerte und müssen endlich eine Mietsteigerung
auslösen, wenn weiterer Zuzug untergebracht werden soll. Der Wider-
stand, den die Preise bei diesem Werdegang zu überwinden haben, ist
lediglich die Leistungsfähigkeit der in Frage kommenden Bevölkerungs-
klasse. Diese ist aber bei einem so wichtigen Bedürfnis wie das
Wohnen nicht allzu schwer zu überwinden. Der Krieg hat uns ge-
zeigt, wie weit die Leistungsfähigkeit bei wichtigen Lebensbedürfnissen
gedehnt werden kann.
Beim bebauten Grundstück kann man also keineswegs von einem
preisbegrenzenden Nutzungswert sprechen. Noch weniger ist dies mög-
lich beim unbebauten, wenn auch für den Anbau fertigen Grundstück,
denn hier kommt bei der Berechnung des Nutzungswertes noch die
Unsicherheit der Art der Ausnutzung in Betracht. Die Bedeutung, mit
der der Grundstückspreis in diese Berechnung eintritt, kann sich selbst
bei gleichwertigen Grundstücken wie 1 zu 3 verhalten.
Nach Bredt ist beim fertigen Grundstück der Preis durch den
Nutzungswert begrenzt und dadurch jede Spekulation unmöglich. In
den Städten des rheinisch-westfälischen Industriebezirkes ist infolge
der allgemein herrschenden zerstreuten Bebauung das fertige Grund-
stück die Regel. Gerade bei den fertigen Grundstücken spielt sich
hier die Spekulation ab. Ich könnte eine ungezählte Reihe solcher
Grundstücke aufführen, die in den letzten 20 Jahren um das Vier- bis
Sechsfache im Preise gestiegen sind, während ihr Nutzungswert sich
nur etwa um 50 Proz. erhöht hat.
828 Literatur.
Die Behauptung Bredts, daß der häufige Umsatz und das lange
Liegenlassen sich aufheben und so die Wirkung der Spekulation auf-
heben, ist nicht zu halten. Das umgesetzte Grundstück geht entweder
mit den Umsatzkosten belastet in eine andere spekulative Hand über,
oder es wird bebaut und scheidet damit aus dem Grundstücksangebot
aus; beide Möglichkeiten kommen dem Spekulanten, der liegen läßt,
zugute und werden von ihm bewußt ausgenutzt.
Ein Rückschlag gegen die Spekulation kann allerdings dann ein-
treten, wenn durch dieselbe in weitem Umkreise einer Stadt der Boden
derart verteuert ist, daß der zu erwartende Wertzuwachs die Preise
nicht mehr wirtschaftlich erscheinen läßt, wenn in diesen also die Aus-
sichten einer weiten Zukunft bereits eskomptiert sind. Dieser Fall der
Ueberspekulation scheint in der Umgebung von Berlin vorzuliegen.
In seinem Gutachten zu der gleichen Frage (Mitteilungen der Zen-
tralstelle des Deutschen Städtetages, Bd. 5, No. 7/8, Sonderbeilage)
führt Stadtrat Dr. Luther ein gutes Beispiel ausgesprochener Speku-
lationswirkung aus einem Briefe auf, der kürzlich von der Bodenreform
in No. 6 des 25. Jahrganges auf S. 170 ff. abgedruckt worden ist als
Auslassung einer Hamburger Terraingesellschaft, der man den nötigen
Einblick in die tatsächlichen Verhältnisse wohl zutrauen darf.
„Obwohl die Walddörferbahn noch im Ausbau begriffen und die
Langenhornerbahn erst kürzlich in Angriff genommen wurde, sind im
letzten Jahre an Langenhorner und Walddörfer Terrains bereits ganz
enorme Gelder verdient worden. — Fast sämtliche Grundstücke sind
dort in andere Hände, nicht wenige sogar zwei- und dreimal über-
gegangen, und jede Hand hat binnen wenigen Monaten tüchtig ver-
dient...“
„Durch die spekulative Preissteigerung der Walddörferterrains ist
der Boden auf preußischer Seite bereits auf das 6-fache, auf Ham-
burger Seite je nach Lage auf das 15-fache des landwirtschaftlichen
Ertragswertes in die Höhe getrieben worden. Die Hamburger Terrain-
gesellschaft ‚Tarpenbeckhöh‘ hat im Laufe von 6 Jahren einen Rein-
gewinn von etwa 6000 M. auf jeden Tausendmark-Anteil ausgeschüttet.
Die Hamburger Gesellschaft ‚Homerhöh‘ wurde nach 2-jährigem Be-
stehen mit einem Reingewinn von 325 v. H. weiterverkauft. Die Ge-
sellschaft ‚Forsthof‘ erzielte in 2 Jahren 100 v. H. Reingewinn ....“
„Weitere Einzelheiten über die Bewegung der Bodenpreise in den
Vororten Hamburgs und in der weiteren Umgebung ersieht man aus
nachstehender Statistik. Der Boden kostete:
im Jahre 1900 im Jahre 1912
M. M.
in Barmbeck 6 bis 9 30 bis 75
„ Winterhude 5 „8 30 „ 65
„ Hammerbrook 6 „ lo 50 „ 90
” Horn I » 6 I5 „ 40
„ Billwärder 0,25 ,„ 0,40 -AEE ir
„ Moorfleth 0,15 „ 0,30 ka RN
„Zieht man um den Mittelpunkt der Städte Köln oder Düsseldort,
Frankfurt... Kreise von 8 oder 10 oder 12 km Radius, so findet
Literatur. 829
man, daß in den entsprechenden Zonen die Bodenpreise durchschnitt-
lich doppelt bis dreifach so hoch sind, als in den gleichen Zonen um
Hamburg herum. Der Grund für diese Tatsache liegt eben darin, daß
in jenen Großstädten... die Bodenspekulation bereits 15 bis 20 und
noch mehr Jahre früher eingesetzt hat als hier in Hamburg, und daß
in jenen Städten die Terrains durch einen vielfachen Uebergang in
andere Hände schon sehr viel teuerer sind als hier.“
Und Luther folgert: „Aus diesen Beispielen scheint weiter hervor-
zugehen, daß die Wirkung der Spekulation sich durchaus nicht in einer
Hemmung der Rückbildung unberechtigt gewordener Preise erschöpft.
Sondern, weil jeder neue Besitzer wieder mit Gewinn verkaufen will,
und weil die Zukunftswerte, um deren Eskomptierung es sich hier
handelt, ziemlich beweglich zu sein scheinen, so wird eine lebhafte
Spekulation es jedenfalls dahin bringen, daß die Monopolpreise bis an
ihre Höchstgrenze emporgetrieben werden. Eine genaue Untersuchung
müßte zeigen, ob die Baulandpreise wirklich je höher sind, je lebhafter
die Spekulation ist.“
Man braucht nicht gerade Bodenreformer zu sein, um das Irrtüm-
liche in den Ausführungen Bredts, denen eine allzu theoretische Auf-
fassung zugrunde liegt, zu erkennen. Liegt aber eine unnatürliche Ver-
teuerung des städtischen Bodens vor, so lohnt es sich gewiß, Maß-
nahmen gegen dieselbe zu treffen. Daß diese nicht in steuerlichen
Maßnahmen gefunden werden können, darin stimme ich mit Bredt
überein.
Das Lesen des temperamentvoll geschriebenen Büchleins unter Ver-
gleich mit dem oben angezogenen Gutachten von Luther kann jedem,
der sich für die städtische Bodenfrage interessiert, empfohlen werden.
VIII.
Weidner Fritz, Die Haussklaverei in Ostafrika.
Jena, (Gustav Fischer) 1915. (No. 7 der Veröffentlichungen des
Reichskolonialamts.)
Besprochen von Rudolf Leonhard, München.
Die vorliegende Publikation des Reichskolonialamts rechtfertigt
eine ausführlichere Besprechung nicht nur durch das rein stoffliche
Interesse, das wir den Fragen der Kolonialpolitik entgegenbringen, welche
für unsere einheimische Wirtschaft eine immer größere Bedeutung
gewinnen, sondern auch durch die interessanten vergleichenden Parallelen,
die sich namentlich für den Wirtschaftshistoriker aus der Betrachtung
einer Arbeitsverfassung ergeben, die, in Europa längst der Geschichte
angehörend, in Afrika vielfach noch heute die Grundlage der Erwerbs-
830 Literatur.
wirtschaft isti). Es ist sehr berechtigt, daß die Veröffentlichung, im
Gegensatz zu der sonstigen Gepflogenheit, offizielle Denkschriften nur
unter dem Namen des herausgebenden Amtes erscheinen zu lassen,
den Namen des Autors trägt. Es handelt sich um eine hochqualifizierte
Leistung, bei der sich eigene Anschauung und Erfahrung mit ver-
gleichenden historischen Studien in wirksamer Weise kombinieren.
Ergänzende Bemerkungen und Parallelen, die dem sachkundigen Leser
an einzelnen Stellen sich aufdrängen, erscheinen in der Regel einige
Seiten später in der Abhandlung selbst bereits vorweggenommen. Bezieht
sich die Arbeit auch speziell auf die drei Gebiete Zanzibar, Englisch-
und Deutsch-Östafrika, so geht sie doch in ihren Grundlagen über den
engeren Rahmen dieser Gegenden vielfach hinaus und betrachtet die
Frage der Sklaverei und Eingeborenenpolitik vom allgemeinen Stand-
punkt des Ethnographen und Historikers aus. Nur auf so breiter Basis
konnte man auch einem Problem gerecht werden, welches als Grenz-
gebiet zwischen Kulturgeschichte, Volkswirtschaft und praktischer
Kolonialpolitik von verschiedenen Seiten her beleuchtet und angegriffen
werden mul.
Bei dem Wort Sklaverei überläuft den Durchschnittseuropäer eine
Gänsehaut, die Institution ist ihm der Inbegriff rohester Barbarei;
es ist ihm in der Regel unbekannt, daß auf persönlichen Abhängig-
keitsverhältnissen auch die ganze europäische Kultur bis zur französischen
Revolution beruhte, daß also nur wenige Menschenalter uns von jener
Zeit trennen. Volkswirtschaftlich betrachtet ist die Sklaverei eine Form
der Arbeitsverfassung und Arbeitsbeschaffung, welche einer geldlosen
Naturalwirtschaft entspricht, die in der Anhäufung von Vieh und Sklaven
die einzige Möglichkeit zinstragenden Besitztums findet. Kulturell
betrachtet bedeutet die Sklaverei geradezu einen Fortschritt gegenüber
sinem Stadium, in welchem man den Feind nur zu erschlagen und zu
verzehren wußte. Zugleich ist, wie Schmoller sich ausdrückt, die
Institution der Sklaverei eine „Arbeitsschule“, in welcher die Gewöhnung
an kontinuierliche Arbeit dem direktionslosen Naturmenschen zwangs-
weise beigebracht wird, und der z. B. Seeck in seinem „Untergang der
antiken Welt“ es zuschreibt, daß im Imperium Romanum die Frei-
gelassenen, die Nachkommen der arbeitsgewohnten Sklaven, sich so
schnell über die ein Drohnendasein führenden freien Römer erheben
konnten. Von ihrer schwärzesten Seite zeigen sich die persönlichen
Abhängigkeitsverhältnisse erst dann und werden unhaltbar, wenn sie
in vorgeschrittene kapitalistische Zustände hineinragen, die es ermüg-
lichen und gebieten, aus dem Sklaven oder Hörigen das Letzte seiner
Arbeitskraft herauszupressen.
Nicht also von einem seicht moralisierenden Standpunkt aus ist
die Sklavenfrage in den Kolonien zu betrachten und zu behandeln,
1) Solche historisch etwa dem Zeitalter der mittleren Antike entsprechende Kul-
turstadien finden wir aber nicht nur in Afrika, sondern auch noch sozusagen vor den
Toren Europas. Prof. Richard Leonhard (t) berichtet in seinem geographischen Werk
„Paphlagonia 1915“ von einem Pferderennen in Kleinasien, wo genau wie bei den
homerischen Kampfspielen eine Sklavin als Siegespreis ausgesetzt war.
Literatur. 831
sondern theoretisch vom Standpunkt des Historikers, praktisch von dem
des Kolonialpolitikers, der „an die rechtlichen und sozialen Zustände
anknüpft, die er vorfindet“ (S. 191). Neben ehrlichem Doktrinarismus
und blinder Schwärmerei für abstrakte Prinzipien steckt in der euro-
päischen Sklavenpolitik außerordentlich viel Heuchelei. England trat
erst energisch gegen den Sklavenhandel auf, als es selbst an ihm genug
verdient hatte und nicht mehr an seinem Fortbestand interessiert war;
die Nordstaaten der Union warfen die Sklavenhalter des Südens nieder, um
ihre Handelspolitik und politische Suprematie durchzusetzen, waren aber
nachher nicht imstande, die Negerfrage wirklich zu lösen, die sich heute
schwieriger anläßt als zur Zeit der Sklavenwirtschaft. In den afrikanischen,
speziell ostafrikanischen Kolonien richtete sich die gemeinsame deutsch-
englische Aktion vor allem deshalb gegen den Sklavenhandel, weil es
galt, die vornehmlich auf diesem Handel beruhende Vorherrschaft der
Araber zu brechen. Die Notwendigkeit aber, etwas anderes, eine Art
von Staatshörigkeit der Neger, an die Stelle der früheren persönlichen
Abhängigkeitsverhältnisse zu setzen, hat sich bald genug herausgestellt.
Doch wir wollen mit dem Autor ab ovo anfangen, d. h. die Sklaven-
wirtschaft in Ostafrika betrachten, wie sie sich vor dem Eingreifen
der Europäer entwickelt hat. Die Geschichte Ostafrikas, wenn wir den
Begriff der Geschichte auf diese kulturell jugendlichen Gebiete bereits
anwenden wollen, ist charakterisiert durch das Eingreifen der Araber
von Oman und Maskat, die von ihrem Stützpunkt aus, der Insel Zanzibar,
ihren Einfluß über Ostafrika bis tief in den Kongostaat hinein aus-
dehnten, ohne aber das Binnenland wirklich zu kolonisieren. Während
also die Insel Zanzibar selbst mit ihren Gewürznelkenplantagen und
Kokospflanzungen, welche viele Sklavenarbeit erforderten, sich zu einer
Art von arabischem Aegina entwickelte, auf welcher wie einst auf je“er
griechischen Insel die Zahl der Sklaven die der Freien bei weitem
übertraf und von der arabischer Kultureinfluß und islamisches Recht auf
die benachbarten Küstengebiete ausstrahlten, herrschte im Innern in
bezug auf die Sklaverei Eingeborenenrecht. Wir haben da den alten
Gegensatz zwischen Küstenkultur uud Binnenkultur (wenn wir unter
Kultur nicht hohe Kultur, sondern nur den Gesamtausdruck der
charakteristischen Lebensäußerungen eines Volkes verstehen wollen).
Dieser Gegensatz von Küsten- und Binnenkultur auch in der
Sklavenfrage tritt uns überall in der Wirtschaftsgeschichte genau in der
gleichen Gestalt entgegen. Die äußeren Formen der Abhängigkeit und
Ausbeutung, die im Prinzip immer die gleiche bleibt, wechseln je nach
den allgemeinen Wirtschaftsformen und der Wirtschaftsstufe, sind aber
vor allem von den Marktverhältnissen abhängig. Binnenwirtschaft
mit ihrer agrarischen Autarkie hat territoriale Hörigkeit, Handel- und
Küstenkultur, soweit die persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse nicht
kapitalistischer Abhängigkeit und „freier“ Lohnarbeit Platz machen,
Plantagenwirtschaft mit Sklaverei, vermieteter Lohnarbeit der Sklaven
und Sklavenhandel zur Folge. Diesen durch den Gegensatz von Handel-
und Agrarstaat bedingten Unterschied in der Form kannte schon Theo-
pomp, der über die Sklaverei folgendes sagt:
832 Literatur.
„Als erste unter allen Hellenen nach den Thessalern und den
Lakedämoniern benutzten die Chioten Sklaven, aber sie erwarben sie
nicht in derselben Weise wie diese .... Man kann sehen, daß die
Lakedämonier und die Thessaler ihre Sklavenklasse aus Hellenen gebildet
haben, die vor ihnen den Boden bewohnten, den sie jetzt besitzen, so
daß sie die Achäer, die Perreben und die Magneten in ihren Dienst
zwangen und die Unterworfenen Heloten und Penesten nannten. Die
Chioten dagegen erwarben Barbaren als Sklaven und bezahlten für sie
einen Preis.“
Dementsprechend sind im ostafrikanischen Binnenland Sklaven im
engeren wirtschaftlichen Sinne nur diejenigen Schwarzen, die im Haus-
halt des Herrn, des Häuptlings, leben und aus denen sich sein Gesinde
und Gefolge zusammensetzt. Diejenigen, die einen besonderen Haus-
halt und eigenes, ihnen zugewiesenes Grundstück haben, von dem sie
in der Hauptsache leben, und nur gewisse Ueberschüsse dem Herrn
abliefern müssen, sind ebenso als Hörige zu betrachten wie die sogenannten
Sklaven der Germanen des Tacitus, die ihrer wirtschaftlichen Lage
nach auch mehr als leibeigene Kolonen anzusprechen sind. Von
Wichtigkeit ist ferner bei der ostafrikanischen Binnensklaverei, zu unter-
scheiden, ob Herr und Sklave vom gleichen Stamm oder von ver-
schiedener Herkunft sind. Ersterenfalls, wenn der Sklave etwa wegen
Schulden oder Verbrechen seine Freiheit verlor, ist seine Abhängigkeit
weniger hart, er darf z. B. nicht außer Landes verkauft werden, kann
sich meist auch wieder auslösen. Kommt doch oft genug in Ostafrika,
auch wieder ganz wie in des Tacitus Germania, Selbstverkauf wegen
Not oder Schulden vor, den der Verkäufer mitunter zu betrügerischen
Manipulationen benützt, indem er mit dem Kaufgeld verschwindet.
Ganz und gar als Territorialleibeigenschaft, nicht als Sklaverei in
engerem Sinne, sind die kollektiven Abhängigkeitsverhältnisse eines
anterworfenen Negervolks von einem erobernden, beherrschenden Stamm
aufzufassen, wobei den Besiegten die Abgabe eines Teils der Ernte auf-
erlegt wird.
Diesen vorwiegend territorialen und autochtonen Hörigkeitsver-
hältnissen der Eingeborenen steht nun gegenüber die Sklaverei bei
den Arabern nach islamischem Recht. Ist aber die Binnensklaverei
im Vergleich zu dem ganzen niederen Kulturzustand der Neger, die
auch sonst in Kriegführung und Justiz keinen Respekt vor Menschen-
leben und Individualität kennen, nicht als sonderlich grausame In-
stitution aufzufassen, so ist sie bei den Arabern stark gemildert durch
die eingehenden Vorschriften des Koran, die religiösen Satzungen
und Bräuche des Scheriat. Rassenunterschiede spielen im orientalisch-
islamischen Kulturkreis, der sich in imponierender Einheitlichkeit
von Marokko bis Java erstreckt, im Gegensatz zu den religiösen keine
Rolle. „Der arabische Herr in seiner Bequemlichkeit und Indolenz
kennt solche Motive mit wenigen Ausnahmen nicht und ist dem
Negersklaven ein viel besserer Herr als es der Europäer je war.“ Für
die „Buschneger“ aus dem Innern ist die Verwendung in den Haus-
haltungen der Araber an der Küste geradezu eine Standeserhöhung
Literatur. 833
und wird auch als solche betrachtet. „Die Arbeit im Haushalt ist für-
wahr das Ideal einer Negerseele“ (S. 32), denn sie ist nur geschäftiger
Müßiggang, ähnlich wie die massenhafte Verwendung von Sklaven in
der Oikoswirtschaft des antiken Rom. Brauch und Herkommen verhindern
die Ueberlastung des Sklaven mit ungewohnter Arbeit, und die Anek-
dote von dem türkischen Pascha, der in seinem Haus lieber alle 3 Jahre
neue Scheiben einsetzen ließ, als daß er seinen Sklaven die neue, un-
gewohnte Arbeit zumuten wollte, die blind gewordenen Scheiben zu
putzen, ist durchaus nicht unwahrscheinlich, wenn man bei Vambery
(Story of the struggles of my life), der in Konstantinopel Hauslehrer bei
einem reichen Türken war, liest, welche Uebergriffe und Frechheiten
sich der vornehme alte Mann von den Sklaven seiner Mutter, die im
gleichen Haushalt lebt und alles dirigiert, täglich gefallen läßt. Auch
die Sklavin ist in sexueller Hinsicht durch die öffentliche Meinung
einigermaßen geschützt. So war es zur Zeit der vollen Geltung der
Sklaverei an der Küste (S. 11) „verpönt, daß man ein Sklavenehepaar
einzeln verkaufte“, Kinder trennte man in der Regel auch nicht von
der Mutter. Die Sklavin, die dem Herrn als Nebenfrau ein Kind, wenn
auch tot, geboren hat, wird frei. Der Haussklave wird durchaus zur
Familie gerechnet, und welche Schätzung er genießt, zeigt sich auch
im Sprachgebrauch, der das offizielle Wort „Mtumwa“, „der geschickt
wird“, als zu hart vermeidet. Der Herr redet von seinen Sklaven als
seinen Mannen oder seinen Dienern, die Sklaven von dem Herrn als
von ihrem Vater !!).
Nicht ganz so gut hatten es die auf den Nelkenplantagen beschäftigten
Plantagensklaven, die aber auch nicht über Gebühr angestrengt wurden,
weil es der Koran ausdrücklich verbietet. Sie mußten in der Regel
3—5 Tage in der Woche für den Herrn arbeiten, durften aber die
übrige Zeit auf ihren eigenen Hausstand und ihr Deputatland ver-
wenden, was in den Tropen völlig genügt; auch bekamen sie während
der Ernte Naturalanteile am Ertrag und waren somit imstande, sich
ein Peculium zu sammeln, von dem sie sich womöglich selbst wieder
Sklaven hielten.
Noch selbständiger waren die sogenannten Abgabensklaven, die
entweder auf entfernter liegendem Herrenland wohnten oder ein Hand-
werk gelernt hatten und auf eigene Rechnung betrieben, von dessen Er-
gebnissen sie dem Herrn einen Anteil zu zahlen hatten. Autor vergleicht
selbst — und jedem Wirtschaftshistoriker wird sich diese Analogie auf-
drängen — diese Sklaven, die vielmehr als Hörige anzusprechen sind,
mit den russischen Obrokleibeigenen. Die Grenze zwischen Sklaverei
und Hörigkeit ist eben ganz fließend, und die Frage, welche von beiden
Abhängigkeitsformen vorliegt, mehr eine ökonomische Quantitätsfrage der
geforderten Leistungen als eine juristische Qualitätsfrage. Ein geschun-
1) Auch hier wieder drängen sich die Parallelen zur antiken Haussklaverei auf,
wie sie uns die griechischen Gesellschaftskomödien des Plautus und Lucian schildern, wie
der Sklave und der junge Haussohn, die ja beide zur Familie gehören und rechtlich
gleichstehen, gemeinsame Sache machen, um den knickrigen Alten zu prellen und ihm
Geld herauszulocken.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 53
834 Literatur.
dener bayerischer Höriger im 18. Jahrhundert war sicher schlechter daran
wie ein arabischer Haus- oder Abgabensklave. Uebrigens handelt
es sich bei dieser Abgabensklaverei um eine Form der Abhängig-
keit, die auch im Sklavenrecht der Eingeborenen häufig ist, hier aber
mehr als Territorialleibeigenschaft aufzufassen ist. Bei den Bantus
und Zulus ist der Häuptling der Leibherr aller Dorfinsassen, und die
Kaffern, die in den Minen Südafrikas arbeiten, zahlen, zurückgekehrt,
ihrem Ortshäuptling einen Teil ihres Lohns. Die Träger, mit denen der
Karawanenhandel Innerafrikas immer noch in der Hauptsache vor sich
geht, sind vielfach solche Abgabensklaven, was der Europäer, der sie
angeworben hat, meist gar nicht weiß. An der Küste aber sind auch
Schreiner, Schuster, Zimmerleute, Maurer, ja selbst die Kapitäne der
arabischen Segler vielfach frühere Sklaven, die der Herr, um einen
höheren Ertrag von ihnen zu erzielen, hat ein Handwerk lernen lassen.
Die Entwicklung ist dann aber meist eine umgekehrte, der Anteil des
Herrn am Arbeitsertrag hat fallende Tendenz, denn das Einkommen
des auswärts selbständig arbeitenden Arbeitssklaven entzieht sich na-
türlich genauer Feststellung. Deshalb begnügt sich der Herr meist
mit einer festen Gebühr, die aber vielfach zur Fiktion wird, zu einer
bloßen symbolischen Anerkennungsgebühr, ganz wie manche Abgaben
im deutschen Mittelalter, wo ein leibeigener Bauer etwa nur ein Ei
jährlich zu liefern hatte, es aber auf einem Leiterwagen anfahren mußte.
Frappante Aehnlichkeiten mit den Sklavenzuständen des Imperium
Romanum bestehen wieder in der sozialen und rechtlichen Stellung der
Freigelassenen. Freilassung und Freikauf sind ein vom Koran direkt
befohlenes Gott wohlgefälliges Werk. Dem Freigelassenen wäre aber
mit unbedingter Freiheit, die für ihn nur Vogelfreiheit wäre, nicht ge-
dient, er bleibt mit seinem früheren Herrn in naher Verbindung und
hat nach wie vor Anspruch auf die Unterstützung und Vertretung
durch jenen vor Gericht, rechnet sich zu seinem Haushalt und vermehrt
seinen Splendor als dienender Klient. Dafür rechnet er auf Geschenke
des Herrn, und es ist üblich, daß vornehme Araber einen Teil ihres
Landes ausdrücklich als Stiftungsland zur Versorgung ihrer befreiten
Sklaven reservieren.
Jedenfalls sehen wir aus dem milden Charakter der Sklaverei im
Kulturkreis des Islams, daß die Europäer die Humanität weder erfunden
noch gepachtet haben, und daß Eroberer den Eingeborenen gegenüber
sich um so milder verhalten, je weniger sie sich Kulturell über sie er-
heben. Ist doch selbst die Herrschaft der Spanier über die Indianer
trotz aller Kolonialgreuel nicht von so vernichtender Wirkung gewesen
wie die der Angelsachsen in der Union und Australien gegenüber den
dortigen Eingeborenen. Denn während in Mittel- und Südamerika das
eingeborene Element heute noch numerisch überwiegt, ist es in den
angelsächsischen Kolonialländern, weil es sich mit dem Standard der
Einwanderer nicht vertrug, mit kalter Berechnung systematisch aus-
gerottet worden. Wirkliche Greuel kamen in Ostafrika nur beim Ein-
fangen und Transportieren der Sklaven vor, wobei die meisten unter-
wegs zugrunde gingen. Wenn aber hierbei für den überseeischen Bedarf
Literatur, 835
und den Massenkonsum der Plantagen ganze Dörfer ausgerottet und
Landstriche verwüstet wurden, so sind das bereits verhängnisvolle Fern-
wirkungen des Kapitalismus, welche der ursprünglich milderen, weil
weniger auf ökonomische Ausnützung bedachten Sklaverei dieselbe
Härte verleihen wie der europäischen Leibeigenschaft gerade vor ihrer
Auflösung im 18. Jahrhundert.
Autor schildert dann die Maßnahmen, welche Deutschland und
England in Ostafrika gemeinsam zur Unterdrückung der Sklaverei, des
Menschenfangs und -handels ergriffen, speziell die Küstenblockade, an
der sich übrigens Frankreich, das sogen. Kontraktarbeiter für Mada-
gaskar braucht, nur merkwürdig lax beteiligte. Da in unserer Be-
sprechung nur die Ergebnisse und Parallelen interessieren, ist für diese
rein pragmatischen, sehr instruktiv dargestellten Partien auf das Buch
selbst zu verweisen. Nur noch kurz die Ergebnisse, daß nämlich hier
gerade die vielgepriesene englische Kolonialpolitik unter dem Druck
eines einsichtslosen Kreises guter Menschen, aber schlechter Musikanten
ideologisch und unpraktisch vorging und die Insel Zanzibar durch über-
eilt dekretierte Abschaffung der Institution der Sklaverei wirtschaftlich
schwer geschädigt hat. Denn die Ablösung und Entschädigung, deren
Kosten der Staat übernahm, war einerseits ganz unzureichend, um die
enteigneten Herren für den Verlust der Arbeitskraft ihrer Sklaven zu
entschädigen, andererseits wollten die Araber mit den englischen Be-
hörden nichts zu tun haben und verzichteten meist lieber ganz auf die
Entschädigung. Es wurde ferner nicht berücksichtigt, daß der plötz-
liche Uebergang von der Abhängigkeit zu voller Freiheit dem aus dem
Nexus der arabischen Großfamilie, der ihm moralischen Halt gab, be-
freiten Neger, der ja auch im Innern in starker Abhängigkeit von
seinem Häuptling gestanden hatte, schlecht bekommen würde. In der
Tat nehmen in den nächsten Jahren seit der Abschaffung Verbrechen
und Prostitution auf der englischen Insel Zanzibar unheimlich zu.
Viel besser wirkten die ohne Plötzlichkeit eingeführten Maßnahmen
der deutschen Regierung auf dem ostafrikanischen Festland, wobei man
die Sklaverei durch Aufhebung ihrer Erblichkeit langsam aussterben ließ
und so Uebergangszustände schaffte. Es wurde die bisherige private Vor-
mundschaft, unter welcher der Neger stand, durch eine Art von staatlicher
ersetzt und namentlich durch die Hüttensteuer eine Art von sanftem
Arbeitszwang eingeführt. Ohne diese Maßnahmen wäre die Kolonie
Deutsch-Ostafrika direkt kulturell zurückgegangen, da die befreiten
Sklaven zunächst wie überall schwer zu irgendwelcher freien Arbeit
sich heranziehen ließen. Indessen halfen ökonomische Fortschritte den
schwierigen Uebergang überwinden; die Zehntausende meist leibeigener
Träger wurden durch die großen Ueberlandbahnen, welche die bis-
herigen Karawanenstraßen ersetzten, bis zu einem gewissen Grade ent-
behrlich, ebenso die Kapitalsanlage in Sklaven, früher die einzig mög-
liche zinstragende Investition für Betriebsüberschüsse, durch die er-
folgreiche Einführung zinstragender Sparkassen; damit fiel also die
ökonomische Notwendigkeit der Sklavenwirtschaft fort, ebenso wie man
auf manchen Südseeinseln den auf dem Fleischhunger der Eingeborenen
53*
836 Literatur.
beruhenden Kannibalismus ganz friedlich durch Einführung der
Schweinezucht beseitigt hat. Die Araber haben freilich (S. 273) „ihre
hervorragende wirtschaftliche Stellung auf dem Festland inzwischen
ganz eingebüßt“, und das war ja auch wohl neben der Besserstellung
der Neger der uneingestandene Zweck der Aktion. An ihre Stelle ist
teilweise der frühere Gelddarleiher, der Inder, getreten, der zu rechnen
versteht und die ihm verschuldeten Grundstücke der Araber übernahm,
welche letztere, mehr Eroberer als wahrhafte kaufmännische Naturen,
nicht gelernt hatten einzusehen, daß Füälligkeitstermine eingehalten
werden müssen.
Diese kurzen Proben von dem Reichtum des Inhalts werden hoffent-
lich den einen oder anderen zur Lektüre anregen. Es sei schließlich
noch auf das den Rahmen der Sklavenfrage in Ostafrika weit über-
schreitende Literaturverzeichnis aufmerksam gemacht. Wenn Autor
übrigens selbst Literatur über die Agrarverhältnisse in Tunis anführt,
sei er auf meine Abhandlung in der vorliegenden Zeitschrift III. F.
Bd. 44, S. 145 fg. „Die französische Kolonisation in Tunis“, die nament-
lich die Eingeborenenfrage und das Problem der Arbeitsbeschaffung in
jener Gegend behandelt, aufmerksam gemacht.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 837
Uebersicht über die neuesten Publikationen
Deutschlands und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Eggenschwyler, Die Schweizer Volkswirtschaft am Scheideweg.
Ratschläge zur Neuorientierung unserer Industrie. (Schweizer Zeit-
fragen, Heft 44.) Zürich (Art. Institut Orell Füßli) 1915. 8%. 80 SS.
(Preis 2 fres.)
Der Verf. wendet sich in dieser Schrift zwar ausschließlich an
seine schweizerischen Landsleute, aber da es auch für uns von Interesse
ist, die mit dem Krieg zusammenhängenden wirtschaftlichen Diskussionen
anderer Länder zu verfolgen, so seien die Hauptansichten des Verf. hier
rein referierend dargestellt. Allerdings ist das bei der ursystematischen
Anlage der Schrift, die alle möglichen Probleme streift, ohne sie
gründlich zu erörtern, nicht ganz einfach.
Der Ausgangspunkt aller Betrachtungen des Verf. ist die Ueber-
zeugung, daß es nach dem Krieg zu einer großen allgemeinen wirt-
schaftlichen Kalamität kommen müsse und daß insbesondere auch die
Schweiz schwer darunter leiden werde. „Wahrscheinlich wird nach
dem heutigen Weltbrand die Arbeitslosigkeit überall alarmierende
Formen annehmen. Infolge der Verminderung des geschäftlichen und
gewerblichen Betriebskapitals wird die produktive Beschäftigung der
aus dem Kriegsdienst Entlassenen auf große Schwierigkeiten stoßen.
Die kapitalistische Basis unserer industriellen Volkswirtschaften wird
sich plötzlich als zu eng erweisen, und naturgemäß wird sich das Miß-
verhältnis zwischen Anstellern und Arbeitern im Nu von Land zu Land
ausbreiten. Mehrere Umstände lassen am Ende dieses Krieges eine
viel schwerere und allgemeinere Depression erwarten als selbst von
1873—1887: Die relativ luxuriösen, verschwenderischen Produktions-
methoden der letzten zwei Jahrzehnte, die Gewöhnung an imposante
Kapitalien und an steigende Kosten, das Ueberwiegen der Luxus- und
Qualitätsindustrie, speziell in der Schweiz, die weitgehende wirtschaft-
liche Abhängigkeit vom Ausland, die Erschöpfung des Weltkredits
durch die Staaten, die ungeheuren Staatsschulden und Steuerlasten der
nächsten Jahrzehnte, die leicht einen Teil der unternehmendsten Euro-
päer zur Auswanderung veranlassen dürften, die Verwandlung der
Privatkapitalisten in staatliche Rentiers, gar nicht zu sprechen von der
tiefen und dauernden Erschütterung der geschäftlichen Zuversicht, be-
sonders im internationalen Verkehr, von der Menschenzerstörung und
Rassenverschlechterung, vom Hang der modernen Grolstaaten zur
Hypertrophie, zur Beschränkung der Privatinitiative, zum Staatssozia-
838 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
lismus, der erfahrungsgemäß durch große Kriege einen entscheidenden
Impuls erhält“ (S. 11).
Infolge dieser Sachlage und wegen des nach dem Kriege zu er-
wartenden erbitterten wirtschaftlichen Wettkampfes sei eine wirtschaft-
liche Neuorientierung notwendig. „Vor allem gilt es, mit unseren Er-
sparnissen möglichst sparsam zu verfahren, jede übereilte Kapitalfest-
legung (in neuen Eisenbahn- und Kanalbauten, Luxushotels oder nicht
dringend notwendigen öffentlichen Bauten), jede unüberlegte Kapital-
abgabe ans Ausland zu verhüten. Wichtige Erwerbszweige werden
großenteils aufzugeben oder auf ein Minimum zu reduzieren sein, so
besonders die ausschließlich auf den Geldsack der Reichen spekulierenden
Luxusindustrien, von der Bijouterie- und Seidenindustrie bis zum Luxus-
hotel und zur Luxusschule. Ueberall gilt es, die Frage der anderweiten
Verwertung des bereits geopferten Kapitals einem gründlichen Studium
zu unterziehen, durch Zusammenschluß der Interessierten, durch Re-
duktion der Vertretungs- und Reklamespesen einen Teil des Unglücks
abzuwenden. Wo immer möglich, sollen die bereits bestehenden An-
lagen und Maschinen bescheideneren oder zukunftssichereren Produktions-
zweigen dienstbar gemacht werden, die Exportindustrien den Bedürf-
nissen der minder geschädigten Länder angepaßt werden“ (S. 18 f.).
Nähere Ratschläge, wie diese Neuorientierung durchzuführen sei, werden
nicht gegeben. „Leider kann es nicht unsere Aufgabe sein, hier auch
nur summarisch anzudeuten, wie ungeheuer viel es in dieser Richtung
zu tun gibt. Gilt es doch, gewissermaßen die ganze Nation neu zu er-
ziehen, sie auf einen ökonomischen Wettkampf vorzubereiten, der dem
heutigen Weltkrieg an Erbitterung um nichts nachstehen wird“ (S. 46).
Nur beispielsweise wird auf die Frage hingewiesen, wieweit der
schweizerische Export in der Lage sei, denjenigen der kriegführenden
Länder im Gebiet ihrer Gegner zu ersetzen. „Allein in Italien er-
öffnet sich der schweizerischen Maschinenindustrie infolge der Mißgunst
der Deutschen ein unermeßliches Arbeitsfeld, dessen Ausbeutung aber
eine Unsumme von Takt, Diplomatie, Anpassungskunst, und ein ein-
heitlich organisiertes Informationswesen voraussetzt“ (S. 19). Ein
solcher Informationsdienst müsse ausgebaut werden, bei der Berufswahl
und Berufsberatung müsse auf die veränderten Verhältnisse Rücksicht
genommen werden, eine große Aufgabe habe die Lehre vom Privat-
reichtum, die „Privatökonomie“ zu leisten.
Weiter tritt der Verf. für die Herbeiführung einer größeren wirt-
schaftlichen Unabhängigkeit der Schweiz ein. „Der schweizerische
Arbeits- und Kapitalmarkt könnte in viel höherem Maße als bisher
für den Eigenverbrauch arbeiten, sich selbst genügen.“ Nach dem
Kriege werde die Tendenz zur Konzentration der Betriebe bisher ganz
ungeahnte Proportionen annehmen; damit drohe die Gefahr, daß das
schweizerische Wirtschaftsleben „zu einer Art Filiale des ausländischen
Unternehmertums“ herabsinke. „Welches wird beim Vorherrschen
solcher Tendenzen das wirtschaftliche und politische Los der Schweiz
sein? Das wird ganz davon abhängen, ob sie sich in dieser Um-
gruppierung der Produktionskräfte durch die Umsicht und Initiative
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 839
ihrer Söhne eine führende Stellung zu sichern weiß oder sie sich passiv
aufdrängen läßt. Entweder stellen sich Schweizer Unternehmer und
Organisatoren selbst an die Spitze internationaler Unternehmungen,
suchen ihre Leitung in unsere Grenzen zu verlegen, oder die Schweizer
Häuser verwandeln sich allmählich in Filialen deutscher, französischer,
italienischer, vielleicht amerikanischer Unternehmungen, sinken zu
bloßen Schattengebilden herab. Unterwerfen oder Unterworfenwerden:
einen anderen Ausweg gibt es nicht“ (S.55). Wolle die Schweiz ihre
wirtschaftliche Selbständigkeit wahren, so müsse sie vor allem ihr Er-
ziehungssystem gründlich reformieren.
Besonders eindringlich weist der Verf. — das sei zum Schluß noch
erwähnt — seine Landsleute auf die Gefahr hin, die die „wissen-
schaftliche Abhängigkeit der Schweiz von der deutschen
Nationalökonomie“ in sich berge. Ich stelle hier folgende Aus-
sprüche zusammen:
Gleich zu Anfang wird unter den Faktoren, die an der vom Verf.
bekämpften optimistischen Ansicht von der Wirtschaftslage nach dem
Kriege schuld seien, angeführt: „vor allem unsere wissenschaftliche
Abhängigkeit von der ausländischen, besonders deutschen National-
ökonomie, die sich heute aus Selbsterhaltungstrieb zum Optimismus be-
kennt. Da die große Mehrzahl der Volkswirte entweder direkt im
Staatsdienst steht, oder doch die wissenschaftliche Objektivität vorüber-
gehend patriotischen Rücksichten opfert, so ist es dazu gekommen, daß
die angesehensten deutschen, französischen usw. Volkswirte genau das
Gegenteil von dem verkünden, was sie noch vor Jahresfrist als wahr-
scheinliche Folgen des ‚zukünftigen Krieges‘ an die Wand malten.
Der Krieg erscheint ihnen nicht mehr als alles zerstörendes Verhängnis,
als nicht wieder gut zu machender, wirtschaftlicher und kultureller
Ruin, sondern als eine von der normalen nur schwach verschiedene
Wirtschaftsperiode, als eine Epoche ‚anders orientierter Produktion‘,
die bereits die Keime einer beispiellosen künftigen Prosperität in sich
trägt“ (S. 5 f., ähnlich S. 11).
„Die Nationalökonomie ist von allen modernen Wissenschaften bei
uns am mangelhaftesten vertreten, trägt am ausgesprochensten das Ge-
präge der völligen Abhängigkeit vom Ausland — was um so bedenk-
licher ist, als unsere deutschen Lehrmeister mit ihren Lehrsystemen —
wie schon der Name sagt — vorwiegend nationale Zwecke verfolgen,
sich nur zu leicht dazu verstehen, das ‚gute Gewissen einer Politik‘
zu sein“ (S. 25).
„Was die Schweiz an nationalökonomischer Intelligenz besitzt, das
ist (wie die geringste Debatte über Verkehrspolitik zeigt) außerhalb
der Universitäten und Handelsschulen — oder trotz der Universitäten
entstanden. Die wortreichen Systeme der deutschen Staatswissenschaft
nachbetenden Privatdozenten haben bis zur Stunde eine Weltfremdheit
bewahrt, die die Vorlesungen über Volkswirtschaft zur — unwirtschaft-
lichsten Einrichtung unseres Wirtschaftssystems stempelt“ (S. 54, vgl.
auch S. 59).
Aachen. Richard Passow.
840 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Arnstadt (M. d.#R.), Albert, Der Weltkrieg und die deutsche Volkswirtschaft.
Langensalza, Wendt u. Klauwell, 1916. gr. 8. 56 SS. M. 0,80.
Chronik, Volkswirtschaftliche, für das Jahr 1915. Jena, Gustav Fischer, 1915/16.
gr. 8. III—1052 SS. M. 2.—. (Sep.-Abdr. aus den Jahrbüchern für Nationalökonomie
und Statistik, 104.—106. Bd.)
Haenisch (M. d. A.), Konrad, Die deutsche Sozialdemokratie in und nach
dem Weltkriege. Mit einem Anhang: Zur Bibliographie der sozialistischen Kriegs-
literatur. (Kriegspolitische Einzelschriften, Heft 6/7.) Berlin, C. A. Schwetschke u. Sohn,
1916. 8. 171 SS. M. 2,50.
Mannstaedt, Dr. Heinrich, Preisbildung und Preispolitik im Frieden und
im Kriege. Vortrag, gehalten in der Juristischen Gesellschaft zu Bonn am 23. II. 1916.
Jena, Gustav Fischer, 1916. gr. 8. 31 8S. M. 0,75.
Perreau, Camille, Cours d’economie politique. T. 2. Paris, Libr. gén. de
droit. 8. fr. 11.—.
Gunn, Richard, The social trinity. A new science of political economy.
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3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung
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nach dem Kriege. Berlin, Karl Curtius, 1916. gr. 8. 31 SS. M. 0,50.
Larass (Kreisarzt), Dr., Untersuchungen zum Geburtenrückgang in der Provinz
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Sr. Exzellenz des Herrn Ministers des Innern hrsg. von der Medizinalabteilung des
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Berlin, Verlagsbuchhdlg. von Richard Schoetz, 1916. gr. 8. 30 SS. M. 1.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 841
Zimmermann (Legationsr.), Dr. Alfred, Die Kolonialreiche der Großmächte
1871—1916. Mit 5 Uebersichtskarten. (Männer und Völker, Bd. 10.) Berlin, Ull-
stein u. Co., 1916. kl. 8. 251 SS. M. 1.—.
%. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Pischereiwesen.
Aereboe (Landesökon.-R., Geh. Reg.-R.), Prof. Dr. Frdr., Die Landwirtschaft
und der Krieg. 1. TI. Die landwirtschaftlichen Verhältnisse in Rußland, England,
Italien und Serbien. (Unterm eisernen Kreuz 1914/15/16. Kriegsschriften des Kaiser
Wilhelm-Dank, Verein der Soldatenfreunde, Heft 49.) Berlin, Kameradschaft, 1916.
8. 48 SS. M. 0,30.
Bergwerke und Hütten Deutschlands. Jahr- und Adreßbuch der gesamten
Bergwerks- und Hüttenindustrie Deutschlands. 12. Jahrg. 1916/17. Hrsg. u. bearb.
von Paul Linde. 2 Bde. Berlin, Industrieverlag Spaeth u. Linde, 1916. 8. M. 15.—.
Bergwerks-Inspektion, Die, in Oesterreich. Berichte der k. k. Berg-
behörden und ihre Tätigkeit im Jahre 1912 bei Handhabung der Bergpolizei und Be-
aufsichtigung der Bergarbeiterverhältnisse. Veröffentlicht vom k. k. Ministerium für
öffentliche Arbeiten. 21. Jahrg. 1912. 1. Tl. Bericht der Berghauptmannschaften und
Revierbergämter. Wien, Manz, 1915. gr. 8. IV—540 SS. u. 3 Tab. M. 5,20.
Brukner (Zuckerfabr.-Dir.), Dr. Bruno, Zucker und Zuckerrübe im Weltkrieg.
Mit 3 Karten und 2 bildlichen Darstellungen. Berlin, Paul Parey, 1916. gr. 8.
VIII—181 SS. M. 2,50.
Hothum, Georg, Die wirtschaftliche Geflügelzucht. München, Bayerische
Druckerei und Verlagsanstalt, 1916. 8. IV—353 SS. mit Abbildungen, 2 farb. Tafeln
und 1 Bildnis, M. 5.—.
Lemmermann (Rekt.), Prof. Dr. Otto, Die Nutzbarmachung des Luftstick-
stoffes für die Landwirtschaft. Rede zur Feier des Geburtstages S. M. des Kaisers und
Königs Wilhelm II., gehalten in der Kgl. Landwirtschaftlichen Hochschule zu Berlin
am 26. I. 1916. Berlin, Paul Parey, 1916. Lex.-8. M. 1.—.
Nasch, Dr. Karl, Die Berliner Rieselfelder. Städtischer Eigenbetrieb und
Kleinverpachtung. Eine Untersuchung ihrer privat- und volkswirtschaftlichen Bedeutung.
Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1916. gr. 8. XII—131 SS. mit 1 farb. Plan. M. 3,50.
Oberstein (Versuchs- u. Samenkontrollstat.-Leit.), Dr. Otto, Herkunftsbestim-
mung der Kleesaaten. Studien und Beiträge. Berlin, Paul Parey, 1916. gr. 8. VII
—55 SS. mit 16 Abbild. auf Tafeln. M. 3,50.
Pantz (Reichsr.-Abg.), Ferd. Ritter v., Oesterreiehs Landwirtschaftspolitik nach
dem Kriege. Graz, „Leykam“, Druckerei u. Verlags-Aktien-Gesellschaft, 1916. gr. 8.
27 SS. M. 0,60.
Peter (Molkereisch.-Dir., Doz.), Albin, Milchwirtschaftliche Betriebslehre. Berlin,
Paul Parey, 1916. 8. XII—262 SS. M. 6,50.
Rubner (Geheimr.), M., Ueber Nährwert einiger wichtiger Gemüsearten und
deren Preiswert. Berlin, August Hirschwald, 1916. 8. 32 SS. M. 0,60.
Schliekau-Secklendorf, Dr. Heinrich, Entwicklung und Stand der Lüne-
burger Landwirtschaft mit besonderer Berücksichtigung der Rindviehzucht. (Arbeiten
der Landwirtschaftskammer für die Provinz Hannover, Heft 42.) Hannover, M. und
H. Schaper, 1915. Lex.-8. 132 SS. mit 1 Tabelle. M. 3.—.
Stoklasa (Hofr., Versuchsstat.-Dir.), Prof. Dr. Julius, und (Versuchsstat.-
Assistent) Dr. Alois Matoušek, Beiträge zur Kenntnis der Ernährung der Zucker-
rübe. Physiologische Bedeutung des Kalium-Ions im Organismus der Zuckerrübe. Unter
Mitwirkung von (Oberinsp., Doz.) Ph. Em. Senft, (Doz.) Dr. J. Sebor, Dr. W. Zdob-
nicky. Mit 1 Abbild. im Text und 23 (2 farb.) Tafeln. Jena, Gustav Fischer, 1916.
Lex.-8. XII—230 SS. M. 12.—.
Uebersicht über die amtlichen Maßnahmen während des Krieges, die für Land-
wirtschaft, Volksernährung und Verpflegung von Heer und Marine besonderes Interesse
haben. (Deutscher Landwirtschaftsrat. 3. Ausg. 6. Nachtrag. 11. XI. 1915 bis 31 III.
1916. Anhang: Maßnahmen in Oesterreich-Ungarn und der Schweiz.) Berlin, Deutscher
Landwirtschaftsrat, 1916. Lex.-8. 596 SS. M. 4,50.
Confevron, F. de, Le tabac. 3° édition, revue. Paris, Hachette et Cie., 1916.
16. 44 pag. 75 cent. (Encyclopédie des connaissances agricoles, sous la direction de
M. E. Chancrin, inspecteur de l’agriculture.)
842 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Gray, H. L., English field systems. London, Oxford Univ. Press. 8. 11/.6.
Turnor, C., Our food supply: perils and remedies. London, „Country Life“.
Cr. 8. 171 pp. 2/.6.
5. Gewerbe und Industrie.
Brandt, Die deutsche Industrie im Kriege 1914/15. Berlin
(Carl Heymann) 1915. 8%. VIII u. 263 SS. (Preis 5 M.)
Der Verf. will nicht Zukunftsbetrachtungen anstellen, sondern den
tatsächlichen Einfluß des Krieges auf die deutsche Industrie schildern.
Zu diesem Zweck hat er ein großes Tatsachenmaterial übersichtlich
verarbeitet und bietet somit eine bequeme Uebersicht über die Ver-
hältnisse in der ersten Zeit des Krieges (der Nachtrag ist am 20. März
1915 abgeschlossen). Sehr wenig sorgsam ist die Art der Quellen-
nachweise.
Aachen. Richard Passow.
Fritze, G. A., Das Schicksal der Seekabel im Kriege und die Leistungen der
deutschen Seekabelindustrie in Vergangenheit und Zukunft. (Kriegshefte aus dem In-
dustriebezirk, Heft 16.) Essen, G. D. Baedeker, 1916. gr. 8. 64 SS. M. 1.—.
Langen, Felix, Die Arbeitsweise der Zuckerraffinerien. Magdeburg, Schallehn
u. Wollbrück, 1916. 8. 94 SS. M. 5.—.
Lebensmittelgewerbe, Das. Ein Handbuch für Nahrungsmittelchemiker,
Vertreter von Gewerbe und Handel, Apotheker, Aerzte, Tierärzte, Verwaltungsbeamte
und Richter. Unter Mitwirkung von (Nahrungsmittel-Untersuchungsamts-Dir.) Prof.
Dr. E. Baier hrsg. von (Geh. Ob.-Reg.-R., Vorst.) Prof. Dr. K. v. Buchka. Mit zahl-
reichen Tafeln und Abbildungen. 24. Lief. 2. Bd. Leipzig, Akademische Verlagsgesell-
schaft, 1916. Lex.-8. X u. S. 193—751. M. 32.— (2. Bd. vollst. M. 40.—).
Stieda (Geh. Hofr.), Prof. Dr. Wilh., Krieg und Industrie. (Unterm eisernen
Kreuz, 1914/15/16. Kriegsschriften des Kaiser Wilhelm-Dank, Verein der Soldaten-
freunde, Heft 51.) Berlin, Kameradschaft, 1916. 8. 40 SS. M. 0,30.
Tilmant, J., D’après guerre. L’industrie des matières colorantes en France.
Paris, Libr. Delandre. 8. fr. 2,50.
Carli, C, D’ industria del gas. Fabbricazione — applicazioni — sottoprodotti.
Milano, Hoepli. 8. 1. 12.—.
6. Handel und Verkehr.
Pfitzner, Johannes, Die Pan-Amerikanische Finanzkonferenz
vom 24. bis 29. Mai 1915. (Kriegswirtschaftliche Untersuchungen aus
dem Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft an der Universität
Kiel, herausgegeben von B. Harms. Zweites Heft.) Jena (Gustav
Fischer) 1915. 8% 41 SS. (Preis 1,— M.)
Schmidt, Ludwig W., Die Entwicklung der Handelsbeziehungen
der Vereinigten Staaten von Amerika während des ersten Kriegsjahres
1914/15. (Kriegswirtschaftliche Untersuchungen aus dem Institut für
Seerverkehr und Weltwirtschaft an der Universität Kiel, herausge-
geben von B. Harms. Drittes Heft.) Jena (Gustav Fischer) 1915.
8°. 24 SS. und 20 Tabellen. (Preis 1,80 M.)
Man muß es den Amerikanern lassen, daß sie sich der außerordent-
lichen Schwierigkeiten bewußt sind, die sich der wirtschaftlichen Er-
oberung Zentral- und Südamerikas entgegenstemmen. Die Ansprachen,
die auf der Panamerikanischen Finanzkonferenz gehalten wurden und
die in Pfitzner einen gewissenhaften Chronisten gefunden haben,
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 843
lassen darüber keinen Zweifel aufkommen. Seitdem aber das neue
Bankgesetz die Nationalbanken der Yankeerepublik ermächtigt, aus-
wärtige Zweiganstalten zu errichten, und ihnen die rechtliche Grund-
lage zur Finanzierung des Außenhandels der Vereinigten Staaten
durch Gewährung von Akzeptkredit schafft; seitdem die Eröffnung des
Panamakanals die beiden Hälften des Kontinents geographisch ge-
nähert hat und der europäische Krieg mit einem Male die ungeahnte
Gelegenheit schuf, England und Deutschland, die wichtigsten Konkur-
renten, auf dem südamerikanischen Markte zu verdrängen, sind die
Vereinigten Staaten entschieden einen großen Schritt in der Erreichung
des Zieles vorwärts gekommen. Freilich stecken der Nachrichtendienst
und die Schiffahrtseinrichtungen zwischen Nord- und Südamerika noch
in den Kinderschuhen und stimmen die Handels- und Finanzierungs-
methoden der Vereinigten Staaten mit jenen der lateinischen Schwester-
republiken nicht überein. Auch lassen sich die Abneigung des Ame-
rikaners, fremde Sprachen zu erlernen und außer Landes zu gehen,
und seine Unfähigkeit, sich anderer Länder Kultur anzupassen, nicht
von heute auf morgen überwinden. Wie wir den geschickt zusammen-
gestellten Zahlenausweisen L. W. Schmidts über die Entwicklung
des amerikanischen Außenhandels im ersten Kriegsjahr entnehmen, be-
trug die Ausfuhr der Vereinigten Staaten nach Argentinien vom
1. Juli 1914 bis 30. Juni 1915 nur rund 33 Mill. $ gegenüber
rund 45 Mill. $ 1913/14 und die Ausfuhr nach Brasilien rund
26 Mill. $ gegenüber rund 30 Mill. $ des Vorjahres. Dazu ist
allerdings zu bemerken, daß sich bis heute erst eine einzige ameri-
kanische Bank in Südamerika niedergelassen hat, nämlich die National
City Bank of New York, die in Argentinien als Kreditgeber aufzu-
treten in der Lage ist. Es ist nicht ohne Reiz, den genannten Aus-
fuhrwerten jene des Handels der Vereinigten Staaten mit Großbritannien
und mit Frankreich gegenüberzustellen. 1914/15 betrug die Ausfuhr
nach Großbritannien 912 Mill. $ und nach Frankreich 369 Mill. $,
1913/14 hingegen 594 Mill. und 160 Mill. $. In diesen Zahlen drückt
sich eine gewisse Ironie des Schicksals aus. Während die Vereinigten
Staaten daran gehen wollen, ihrem Hauptkonkurrenten England auf
dem südamerikanischen Markte das Wasser abzugraben, verurteilt sie
das Kriegsgeschick dazu, ihren Handel mit England und dessen
Alliierten zum guten, wenn nicht größten Teil selbst zu finanzieren.
Mußten sie doch dem Vierverband manche Milliarden Mark in Form
von Anleihen und des Rückkaufs amerikanischer Wertpapiere über-
lassen. Da kann man sich lebhaft ausmalen, wieviel Kapital jetzt und
nach dem Kriege den Vereinigten Staaten noch zur Verfügung steht,
womit sie dem kredithungrigen südamerikanischen Markte beispringen
könnten. Bei dieser Gelegenheit sei einiges aus der Ansprache wieder-
gegeben, die der Vizepräsident der National City Bank, Mr. Kies, auf
dem Internationalen Handelskongreß in New York (6.—8. Dezember
1915) hielt. Er betonte, daß die europäischen Mächte nach dem Ende
des Krieges alles daran setzen werden, um die Handelsbeziehungen
nach auswärts wieder aufnehmen zu können; sie würden wohl eher
844 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslands.
mit Verlust arbeiten, um baldmöglichst wieder eine befriedigende
Handelsbilanz herstellen zu können. Er glaubt nicht, daß die Arbeits-
löhne in Europa nach Friedensschluß sehr stark in die Höhe gehen
werden, ist aber der Ansicht, daß im Gegenteil die amerikanische
Industrie vor ernsthaften Arbeiter- und Lohnschwierigkeiten stehen
werde, die ihre Ursachen in der jetzigen Hochkonjunktur und in den
teilweise beträchtlichen Lohnerhöhungen hätten, die von amerikanischen
Industriellen unter dem Druck der heutigen Verhältnisse den Arbeitern
gewährt worden seien. — Es hat auch allen Anschein, daß der riesige
europäische Ersparnisstrom, den der Krieg gegenwärtig unablässig ver-
schlingt, angesichts der Gewöhnung weiter Bevölkerungskreise an
knappes Haushalten nach Beendigung des Krieges nicht versiegen und
zum Teil im Export nach dem neutralen, zumal überseeischen Ausland
ein willkommenes Anlagebecken suchen und finden wird.
Zollikon-Zürich. Eduard Kellenberger.
Bericht, Stenographischer, über die Verhandlungen des Deutsch-österreichisch-
ungarischen Wirtschaftsverbandes am Montag, den 29. XI. 1915, in Dresden betrefiend
die zukünftigen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Oesterreich-
Ungarn in Anwesenbeit zahlreicher Industrieller und Wirtschaftspolitiker aus Oesterreich
und Ungarn. Berlin, Deutsch-österreichisch-ungarischer Wirtschaftsverband, 1916. gr. 8.
85 SS. M. 1,50.
Calwer, Rich., Das Wirtschaftsjahr 1913. Jahresbericht über den Wirtschafts-
und Arbeitsmarkt. Für Volkswirte und Geschäftsmänner, Arbeitgeber und Arbeiter-
Organisationen. 1. Teil: Handel und Wandel. Jena, Gustav Fischer, 1916. gr. 8.
VII—342 SS. M. 2,40.
Gürtler, Prof. Dr. Alfred, Zollgemeinschaft und pragmatische Sanktion. Graz,
Leuschner u. Lubenskys Univ. Buchhandlung, 1916. gr. 8. 22 SS. M. 0,50.
Jireček, Dr. Const. Jos., Die Handelsstraßen und Bergwerke von Serbien und
Bosnien während des Mittelalters. Historisch-geographische Studien. (Abhandlungen
der Kgl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften. 6. F. 10. Bd.) Prag 1879: Kgl.
böhmische Gesellschaft der Wissenschaften. Prag, Taussig u. Taussig, 1916. Lex.-3.
VII—92 SS. M. 6.—.
Niderberger, Leonz, Der Suezkanal. Seine Geschichte, Lage und Bedeutung
für den Weltverkehr und im Weltkrieg. Limburg, Limburger Antiquariat u. Verlag,
1916. 8. 69 SS. mit 17 Abbildgn. M. 0,75.
Riesenfeld (Oberstaatsbahnr.), Dr. Emil, Eisenbahntariflehre mit besonderer
Berücksichtigung der österreichischen Eisenbahnen. Allgemeiner Teil. Wien, k. k. Hof-
u. Staatsdruckerei, 1916. gr. 8. V—64 SS. M. 1,40.
Rosenbaum, J. M., Die Wirkung des Kriegs auf den überseeischen Handel
Englands. Vorlesung, gehalten in der Royal Statistical Society zu London am 18. V. 15.
Uebersetzt, bearbeitet und fortgeführt im Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft in
Kiel. (Kriegswirtschaftliche Untersuchungen, aus dem Institut für Seeverkehr und Weli-
wirtschaft an der Universität Kiel. Hrsg. von Prof. Dr. Bernh. Harms. Heft 6.) Jens,
Gustav Fischer, 1916. gr. 8. V—86 SS. M. 1,80.
Schmidlin, Dr. Hans, Die Ostalpenbahnfrage. Geschichtliche Entwicklung
und jetziger Stand der Bestrebungen für einen ostschweizerischen Alpendurchstich, unter
spezieller Berücksichtigung der rechtlichen Grundlagen, Zürich, Orell Füßli, 1910.
gr.8. X—699 SS. M. 18.—.
Wicher, P. (Eisenbahnbaudepart.-Vorst., Hofr. Ing.), Ueber die zukünftige Aus-
gestaltung der Hauptverkehrswege auf der Balkanhalbinsel. Berlin, Verlag für Fach-
literatur, 1916. gr. 8. S. 664—690 mit 1 eingedruckten Karte. M. 1,50. (S.-A. aus
der Balkan-Revue.)
Marvaud, A., H.de Peyerimhoff, PierreGuebhard et Ch. de Lastey-
rie, Intérêts économiques et rapports internationaux à la veille de la guerre. Con-
erence. Paris, Félix Alean, 1915. 276 pag. fr. 3,50.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 845
Shaw, A. W., Some problems in the market distribution. London, Oxford Univ.
Press. Cr. 8. 4/.6.
Soprano, E., La materia di commercio nella nostra legislazione di guerra.
Milano, Società ed. libr. 8. 1. 1.—.
Bijdragen tot de geschiedenis van den Nederlandschen boekhandel. Uitgegeven
door de Vereeniging ter bevordering van de belangen des boekhandels. ’sGravenhage,
Mart. Nijhoff. X. M. M. Kleerkooper, De boekhandel te Amsterdam, voorname-
lijk in de 17 eeuw. Biographische en geschiedkundige aanteekenningen. Aangevuld en
uitgeg. door W. P. van Stockum. Jr. 5e ged. (slot.) (1281—1747) fl. 9 (compl. 5 stkn.
fl. 33).
Oss, J. F. van, Leerboek der waren kennis en technologie. Zwolle, W. E. J.
Tjeeuk Willenk I. Anorganische producten en brandstoffen. 4 en 294 blz. m. 86 fig.
tusschen tekst. fl. 2,90.
7. Finanzwesen.
Blumenstein, Prof. Dr. Ernst. Die Erlasse betreffend die eidgenössische
Kriegssteuer. Hrsg. und für den praktischen Gebrauch erläutert. Bern, K. J. Wyß,
1916. 8. VII-274 SS. M. 4.—.
Klevenz, Frdr., Die badische Steuerverwaltung. Die technische Durchführung
der Erhebung und Verwaltung der Steuern und öffentlichen Abgaben. 1. Teil. Mann-
heim, J. Bensheimer, 1916. gr. 8 X—310 SS. M. 5.—.
Mombert, Prof. Dr. Paul, Der Finanzbedarf des Reiches und seine Deckung
nach dem Kriege. Prinzipielle Erörterungen über den Zusammenhang zwischen Wirt-
schaft und Steuerpolitik. Karlsruhe, G. Braun, 1916. gr. 8. III—44 SS. M. 1,50.
Schäfer (Pfr. Lie), Dr., Zur Finanzreform in der evangelischen Kirche in
Preußen. Ein Beitrag zur Reform des kirchlichen Finanzwesens für die Mitglieder der
evangelischen kirchlichen Körperschaften. 2. vermehrte Aufl. Gütersloh, C. Bertels-
mann, 1916. Lex.-8. 107 SS. M. 5.—.
Steiger, Prof. J., Zur Herstellung des finanziellen Gleichgewichtes des Bundes.
Bern, A. Francke, 1915. 8. 42 SS. M. 0,50.
Wolf (Hof- u. Ger.-Adv.), Dr. Franz Max, Die neuen Erb- und Schenkungs-
gebühren samt den einschlägigen Gesetzen, Verordnungen und Erlässen nebst Sach-
register hrsg. (Oesterreichische Gesetze mit Erläuterungen aus den Materialien. Einzel-
Ausgaben. Heft 106.) Wien, Moritz Perles, 1916. kl. 8. 150 SS. M. 2,30.
Adam, Henry, L’amortissement de la dette publique. Paris, M. Giard et
E. Brière. 8. fr. 6.—.
Bosc, Henri, L’impöt sur le revenu. Paris, M. Giard et E. Brière. 8. fr. 5.—.
Farrow, T., and W. Crotch, How to win the war. The financial solution.
London, W. Laurice. Cr. 8. 98 pp. 1/.—.
Lawson, W. R., British war finance, 1914—15. 2nd ed. London, Constable.
Cr. 8. 6/.—.
N Harry D., Income tax for business men. London, Simpkin. 8.
166 pp. 3/.6.
Pigou, A. C., The economy and finance of the war. London, Dent. 8. 1/.—.
Gasca, C. L., Le tasse sugli affari. Raccolta completa delle leggi, dei decreti
e dei regolamenti coordinati secondo le più recenti disposizioni legislative. Vol. 3.
Torino, Unione tip. ed. Torinese. 8. 1. 5.—.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Köhne, Carl, Das Recht der Sozialversicherung und der Krieg
Berlin (E. Hofmann & Co.) 1915. 8%. 64 SS. Preis 1,50 M.
Die Schrift gibt einen Vortrag wieder, der in der Technischen
Hochschule zu Berlin als eine der von dieser veranstalteten deutschen
Reden in ernster Zeit gehalten wurde. Sie untersucht zunächst die
Beziehungen zwischen Recht und Krieg. Solche zwischen Sozialver-
sicherung und Krieg ergeben sich schon daraus, daß beide das Interesse
der weitesten Kreise berühren. Es werden dann die gesetzlichen Vor-
846 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
schriften zur Aufrechterhaltung der Tätigkeit der Versicherungsträzer
und die Vorschriften zugunsten der versicherten Kriegsteilnehmer er-
läutert, dann die durch den Krieg sich ergebenden Rechtsfragen, u. a.
die Rechte und Pflichten der als Kriegsteilnehmer eingezogenen Kassen-
mitglieder und die Pflichten der Versicherungsträger erläutert. Ein
Kapitel ist dem Rechtsverhältnis des Vermögens der Versicherungs-
träger in Kriegszeiten gewidmet. Eingehend behandelt Verf. zum
Schlusse die Sozialversicherung in ihrer Bedeutung als Hilfsmittel zur
Erringung des Sieges, es werden die Kriegshilfsmaßnahmen der Träzer
der Versicherungen geschildert und zunächst auf die Arbeit hingewieser,
welche sie schon im Frieden für eine der wichtigsten Voraussetzungen
der Erfolge im Kampfe, nämlich für die Steigerung der Wehrkrait
des deutschen Volkes geleistet haben. Die Bedeutung der Sozialrer-
sicherung liegt in dieser Hinsicht darin, daß sie ungünstige Folgen
unserer wirtschaftlichen Entwicklung, den Uebergang der Hauptmasse
der Bevölkerung zur Beschäftigung in der Großindustrie und zur Nieder-
lassung in den Städten, ausgleicht. Ihr ist es zu verdanken, dab zur-
zeit in Deutschland die in der Industrie beschäftigten Klassen zam
Heer verhältnismäßig nicht weniger Personen als die landwirtschaftliche
Bevölkerung stellen. Mit Recht ist daher als Märchen zu bezeichnen,
was früher hie und da von der verweichlichenden und entnervenden
Wirkung der Arbeiterversicherung gesagt wurde. Der Arbeit ist ein
ausführliches Literaturverzeichnis beigegeben.
Frankfurt a. M. W. Hanauer.
Paul, Dr. ing. Adolf, Erneuerungs-, Ersatz-, Reserve-, Tilgungs- und Heim?.l!-
fonds, ihre grundsätzlichen Unterschiede und ihre bilanzmäßige Behandlung. Berlır,
Julius Springer, 1916. gr. 8. IV—136 SS. M. 3,60.
Romberg, Dr. Franz, Die Brandschadenregulierung in Fabriken. Ein
Handbuch für Versicherungsnehmer, Taxatoren und Regulierungsbeamte. München,
Verlag Hoheneichen, 1916. gr. 8. 191 SS. M. 9.—.
Duplessis, F., Le crédit de banque en Allemagne et en France et notre avenir
économique. Paris, Berger-Levrault. 8. fr. 2.—.
9. Soziale Frage.
Bielschowsky (Dir.), Prof. Dr. A., Blindenwesen und Kriegsblindenfürsorge.
Ein Vortrag. Berlin, Julius Springer, 1916. 8. 31 SS. mit 5 Abbild. im Text u.
auf 1 Taf. M. 1.—.
Bonn, Peter, Zur Arbeitslosenfürsorge nach dem Weltkrieg (1914—1915'.
Regensburg, Friedrich Pustet, 1916. 8. 108 SS. M. 1.—.
Germanus, Schafft billige Lebensmittel! Die einzige, wirkliche Lösung der
sozialen Frage. München, Piloty u. Loeble, 1916. 8. 69 SS. mit 1 farb. Taf.
M. 1.—.
Kastner (Bez.-Amtsassess.), Hans, Familienunterstützung und Wochenhilfe im
Kriege. Uebersichtliche Zusammenstellung der gesetzlichen Vorschriften für Gemeind»-
behörden, Krankenkassen, Lieferungsverbände und alle Organe der öffentlichen Kriegs-
fürsorge nebst Sachverzeichnis. München, C. H. Becksche Verlagsbuchhdlg. (Oscar
Beck), 1916. 8. VII—146 SS. M. 2,20.
Praxis, Aus der, der Kriegshinterbliebenenfürsorge. Referate, erstattet auf der
2. Tagung des Hauptausschusses der Kriegerwitwen- und Waisenfürsorge am 27. XI.
1915 im Reichstagsgebäude in Berlin. Ergänzt durch schriftliche Berichte. (Schriften
des Arbeitsausschusses der Kriegerwitwen- und Waisenfürsorge. Hrsg. im Auftrage des
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 847
Hauptausschusses. Heft 2.) Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1916. gr. 8 VI—
78 SS. M. 1.—.
Wohnungsfrage, Zur. Wie verschafft man der minderbemittelten Bevölke-
rung die billigste und zweckmäßigste Wohngelegenheit? Die gemäß dem Preisaus-
schreiben des Schutzverbandes für deutschen Grundbesitz vom 4. IV. 1912 preisgekrön-
ten drei Arbeiten „Verkehr und Freiheit“ (v. Min.-R.) Dr. v. Völcker und (Reg.-Bau-
mstr.) Dr. Serini, „Zwei Fronten“, von (Postbauinsp.) Wilh. Deetz, „Suum cuique“ von
(Rechtsanw.) Dr. D. Pesl, hrsg. vom Schutzverhand für deutschen Grundbesitz in Berlin.
Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1916. gr. 8. XI—367 SS. mit 36 Abbild. M. 15.—.
Tourret, Jacques, Le salaire minimum des ouvriers à domicile. Paris, Libr.
de la Société du Recueil Sirey. 8. fr. 1.—-
Henry, A., The trade union woman. London, Appleton. Cr. 8. 314 pp. 6/.—.
Winkelhof, L. H. van, De normaal-arbeidsdag. Rotterdam, Drukkerij „Liber-
tas“. gr. 8. 348 blz. fl. 2,25.
11. Gesetzgebung, Staats- und Verwaltungsrecht. Staatsbürgerkunde.
Weck, Hermann, Kriegsschäden und Kriegsschadenersatz.
(Ostlandbibliothek, Bd. 1.) Berlin-Charlottenburg, (Ostlandverlag) 1916.
8. 216 SS.
Das Ziel, das der Verfasser sich gesetzt hat, ergibt die Einleitung:
„Es leuchtet... . ein, daß Gesetze, die vor einer Reihe von Jahr-
zehnten für die Regelung von Kriegschäden erlassen worden sind, nicht
ausreichen können, um die gewaltigen Lebensvorgänge zu erfassen, die
sich jetzt vor unseren Augen vollziehen. Im Anschluß an die Dar-
stellung des geltenden Rechtes und seiner bisherigen Entwicklung wird
sich also von selbst die Frage auftun, was unsere Gesetzgebung und
Verwaltung den neuen Verhältnissen und Tatbeständen gegenüber an
Rechtsvorschriften zu schaffen habe.
Die vorliegende Schrift möchte zur Lösung dieser für das künftige
Gedeihen unseres Landes und Volkes wichtigen Frage beitragen und
über den Kreis derer hinaus, die sich schon jetzt von Amts wegen
damit befassen, in der Allgemeinheit des deutschen Volkes Verständnis,
Teilnahme und Mitarbeit wachrufen.“
Seine Ergebnisse greift der Verfasser in folgendem Schlußworte
zusammen:
I
Anspruch auf Ersatz von Kriegsschäden besteht nach geltendem Recht nur
in geringem Umfange, und zwar kommen hier in Betracht:
1) Ansprüche aus dem Kriegsleistungsgesetze von 1873.
2) Ansprüche aus einzelnen deutschen Gesetzen, wie Rayongesetz, Tumult-
esetz, Gesetz über den Belagerungszustand in Verbindung mit dem
Gesetz über die Haftung des Reiches für seine Beamten.
3) Ansprüche gegen feindliche Staaten oder deren Angehörige aus Ver-
letzungen des in den feindlichen Staaten geltenden Rechts.
4) Ansprüche aus Völkerrechtsverletzungen.
In den Fällen 1 und 2 bestehen Ansprüche gegen den eigenen Staat, im
Falle 3 kann der geschädigte Deutsche Ansprüche innerhalb des feindlichen Staates
eltend machen, im Falle 4 kann nur das Reich nach Völkerrecht gegen die feind-
ichen Staaten vorgehen.
II.
Eine Regelung des Kriegsschadenersatzes über den vorgenannten Umfang
hinaus bedeutet nicht einen Gnadenakt, sondern entspricht den Anforderungen
des „richtigen Rechts“.
848 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
III.
In erster Reihe müßte versucht werden, den Kriegsschaden Deutschlands
aus einer von den Feinden zu zahlenden Kriegsentschädigung zu entnehmen.
Man muß aber von vornherein damit rechnen, daß dieser Weg nicht zu
einem vollständigen Ersatz alles Kriegsschadens führen könnte, und muß deshalb
darauf bedacht sein, den Ausgleich mit anderen Mitteln vorzubereiten.
IV.
In erster Reihe sollte man nicht auf Ersatz in Geld hinwirken, sondern die
vorhandenen Arbeitskräfte in ihrer weiteren Entwicklung zu fördern suchen.
Hier kommen vor allem in Betracht Kreditwesen, die allgemeine Finanzverwaltung
des Staates, mit Bezug auf den ausländischen Verkehr auch die Handelsverträge
und die Verbesserung der Rechtsverfolgung für die Deutschen im Auslande.
NR
Sofern mit den verfügbaren Mitteln nicht aller Kriegsschaden ausgeglichen
werden kann, sollte sich die Rangordnung bestimmen
1) nach dem Wert, den der E riezssohaden im Einzelfall als Opfer für Zwecke
der Gesamtheit gehabt hat,
2) danach, was der Geschädigte für die Gesamtheit bedeutet,
3) nach dem Grade der Hilfsbedürftigkeit.
VI.
Die Auslandsdeutschen — nach Möglichkeit auch die ehemaligen Deutschen
— sollten nach denselben Grundsätzen behandelt werden, wie die Deutschen im
Inland.
VII.
Alles, was über den Kriegsschaden und den Kriegschadenersatz gesagt
werden kann, läßt sich schließlich in das eine Wort zusammenfassen :
Auch für ein Volk kommt es nicht darauf an, was es erlebt, sondern: was
es sich aus seinem Erleben gestaltet.“
Ein Anhang enthält Verzeichnisse von Entscheidungen oberster
Gerichtshöfe zu Fragen des Kriegsschadenersatzes, sowie der Rechts-
vorschriften über die Behandlung von Kriegsschäden und bringt eine
Zusammenstellung der wichtigsten Rechtsvorschriften über Kriegs-
schäden im Wortlaut.
Schon mit Rücksicht auf diesen Anhang kann das Buch denen
empfohlen werden, die den Wunsch haben, sich über das einschlägige
Rechtsgebiet zu unterrichten, oder die sich amtlich mit der Frage des
Ersatzes von Kriegsschäden zu befassen haben.
Die Rechtsausführungen des Verfassers bringen nichts’ wesentlich
Neues, sind aber klar und in ihren Ergebnissen nicht zu beanstanden.
Da der Verfasser den Begriff des Kriegsschadens denkbar weit faßt,
— ihm bedeutet Kriegsschaden wohl jede (mittelbare oder unmittel-
bare) wirtschaftliche Beeinträchtigung, die ohne den Krieg nicht ein-
getreten wäre — kommt er dazu, auch die Kriegsleistungen zu den
Kriegsschäden zu rechnen. Auch hiergegen ist nichts einzuwenden, da
die praktischen Schwierigkeiten, die sich bei Anwendung des Kriegs-
leistungsgesetzes gerade aus der Unsicherheit der Grenzen zwischen
Kriegsschäden und Kriegsleistungen ergeben, vom Standpunkte des
Verfassers aus gesehen, ihre Bedeutung verlieren.
Wie Weck den Begriff des Kriegsschadens weit faßt, so auch den
des Kriegsschadenersatzes. Kriegsschadenersatz ist ihm etwa gleich-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 849
bedeutend wie wirtschaftliches Retablissement. So gelangt er dazu,
die künftig abzuschließenden Handelsverträge in die Erörterung ein-
zubeziehen, macht er Vorschläge zur Reform des internationalen Privat-
rechts und begibt sich schließlich auf die Gebiete der Steuerpolitik
und der Kreditorganisation. Der Mangel an Selbstbeschränkung, der
in diesen Teilen des Buches zum Ausdruck kommt, ist nicht zum Vor-
teil des Ganzen ausgeschlagen. Diese Teile sind dürftig geblieben,
und die in ihnen enthaltenen Anregungen zu allgemein, als daß sie
einen Wert beanspruchen könnten.
Das Zahlenmaterial, das der Verfasser gibt, ist im allgemeinen
zutreffend. Insbesondere darf die Vorsicht anerkannt werden, mit der
er bei Schätzung der Schadenssummen eher hinter den wirklichen
Schadensbeträgen zurückbleibt, nirgends sie übertreibt.
Auf Einzelheiten einzugehen, wäre in mancher Hinsicht lohnend,
verbietet sich aber an dieser Stelle.
Berlin. K. Elster.
Bachem, Dr. Julius, Die Vereinigung der Rheinlande mit Preußen. Eine
Denkschrift zur Jahrhundertfeier, hrsg. im Auftrage des Kreises rheinischer Freunde.
(Neue Aufl. v.: Zur Jahrhundertfeier der Vereinigung der Rheinlande mit Preußen.)
Köln, J. P. Bachem, 1916. gr. 8. 268 SS. M. 3.—.
Borinski, Prof. Dr. Karl, Deutsche Politik. 4. verb. Aufl. (Sammlung Göschen,
No. 40.) Berlin, G. J. Göschen, 1916. kl. 8. 167 SS. M. 0,90.
Calker, Prof. Wilh. van, Die Amtsverschwiegenheitspflicht im deutschen
Staatsrecht. (Aus: Festgabe für Otto Mayer. Zum 70. Geburtstage dargebracht von Freunden,
Verehrern und Schülern, 29. III. 1916.) Tübingen, J. C. B. Mohr, 1916. gr. 8.
S. 117—164. M. 1,50.
Damaschke, Adolf, Aufgaben der Gemeindepolitik. 6. wesentl. verm. Aufl.
2. Heft: Vom Gemeindegrundeigentum. 1. Kriegerheimstätten und Gemeinden. —
2. Schulen, Spiel- und Sportplätze. — 3. Verpachtungen. — 4. Erbbaurecht. — 5. Wieder-
kaufsrecht. — 6. Garten-Rentengut. Jena, Gustav Fischer, 1916. 8. IV—120 SS.
M. 1,20.
Fleiner, Prof. Fritz, Beamtenstaat und Volksstaat. (Aus: Festgabe für Otto
Mayer. Zum 70. Geburtstage dargebracht von Freunden, Verehrern und Schülern,
29. III. 1916.) Tübingen, J. C. B. Mohr, 1916. gr. 8. 8. 29—57. M. 1.—.
Frank, Prof. Dr. Reinhard, Das Seekriegsrecht in gemeinverständlichen Vor-
trägen. Tübingen, J. C. B. Mohr, 1916. 8. VII—100 SS. M. 1,80.
Freymuth (Oberlandesger.-R.), A., Kriegsrecht. Gemeinverständliche Darstel-
lung der wichtigeren Kriegsgesetze und Kriegsverordnungen. Berlin, Richard Oefler,
1916. 8. 32 SS. M. 1.—.
Handbuch des kommunalen Verfassungs- und Verwaltungsrechts in Preußen.
Unter Mitwirkung von (Geh. Reg.-R.) Baath, hrsg. und mitbearbeitet von (Abt.-Dir.)
Prof. Stier-Somlo. 5. Lfg. 2. Bd. 2. Teil. Oldenburg i. Gr., Gerhard Stalling, 1916.
Lex.-8. 8. 1—160. M. 4,50.
Jungheim (Dir. beim Reichstag), B., Die Geschäftsordnung für den Reichstag,
mit Anmerkungen hrsg. Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1916. Lex.-8. VII—262 SS.
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länder. Breslau, J. U. Kern, 1916. gr. 8. 45 SS. M. 1,20.
Laband, Prof. Paul, Die Verwaltung Belgiens während der kriegerischen Be-
setzung. (Aus: Festgabe für Otto Mayer. Zum 70. Geburtstage dargebracht von
Freunden, Verehrern und Schülern, 29. III. 1916.) Tübingen, J. C. B. Mohr, 1916.
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Lange (Synd., Rechtsanw.), Dr. Karl A., Die Wirkungen des bayerischen Malz-
aufschlaggesetzes vom 18. III. 1900 auf den öffentlichen Haushalt und die einzelnen
Schichten des Wirtschaftslebens.. Preisgekrönt 1913 durch die staatswissenschaftliche
Jahrb. ft. Nationalök. u. Stat. Bd. 106 (Dritte Folge Bd. 51). 54
850 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Fakultät der Universität München. (Münchener volkswirtschaftliche Studien. Hrsg. von
Lujo Brentano u. Walther Lotz. 137. Stück.) Stuttgart, J. G. Cotta, 1916. gr. 8.
X—331 SS. u. 4 Tab. M. 8.—.
Layer, Prof. Dr. Max, Zur Lehre vom öffentlich-rechtlichen Vertrag. Eine Studie
aus dem österreichischen Verwaltungsrecht. Graz, Leuschner u. Lubenskys Univ.
Buchhdlg., 1916. gr. 8. 69 SS. M. 2.—.
Loewenberg (Dir.), Dr. Georg, Das öffentliche Waren-Prüfungsamt zu Berlin.
Seine Bedeutung für Textilgewerbe und Textilhandel. Berlin, W. Krayn, 1916. gr. 8.
IV, 104 SS. u. S. 104a. M. 3.—.
Lorenz (Kammerger.-Rat), Karl, Der Krieg und das Recht. (Unterm eisernen
Kreuz 1914/1516. Kriegsschriften des Kaiser-Wilhelm-Dank, Verein der Soldaten-
freunde. Heft 50.) Berlin, Kameradschaft, 1916. 8. 55 SS. M. 0,30.
Lukas, Prof. Josef, Justizverwaltung und Belagerungszustandsgesetz. Zugleich
ein Beitrag zur Gewaltenlehre. (Aus: Festgabe für Otto Mayer. Zum 70. Geburtstage
dargebracht von Freunden, Verehrern und Schülern, 29. III. 1916.) Tübingen, J. C. B.
Mohr, 1916. gr. 8. S. 223—244. M. 1.—.
Nagel, Herm. G., Die Entstehung der Straßburger Stadtverfassung. (Beiträge
zur Landes- und Volkeskunde von Elsaß-Lothringen und der angrenzenden Gebiete,
No. 51.) Straßburg, J. H. Ed. Heitz, 1916. 8. VII—106 SS. M. 4.—.
Norden (Adv.), Dr. F., Das neutrale Belgien und Deutschland im Urteil belgi-
scher Staatsmänner und Juristen. Mit einem Geleitwort von Prof. (Geh. Justizr.) Dr.
Josef Kohler. München, F. Bruckmann, 1916. gr. 8. XVI—96 SS. M. 2.—.
Piloty, Prof. Rob., Verwaltungsrechtliche Gedanken. (Aus: Festgabe für
Otto Mayer. Zum 70. Geburtstage dargebracht von Freunden, Verehrern und Schülern,
29. III. 1916.) Tübingen, J. C. B. Mohr, 1916. gr. 8. S. 271—301. M. 1.—.
Prögels Verwaltungspraxis, insbesondere die Praxis des Bürgermeisteramts.
Heft 58: Reichsversicherungsordnung vom 19. VII. 1911. Auf Grund der
Gesetzesmaterialien und bisherigen Rechtsprechung erläutert und mit Vollzugsvor-
schriften in 309 Musterbeispielen hrsg. von mehreren Fachmännern. 4. Bd.: Invaliden-
und Hinterbliebenenversicherung. Enthaltend die §§ 1226—1500 der RVO. nebst Er-
läuterungen sowie die Vollzugsvorschriften und Musterbeispiele zur Invaliden- und
Hinterbliebenen- Versicherung. Hrsg. von (Obersekr.) J. Brose. Ansbach, Michael
Prögel, 1915. 8. XVI—690 SS. M. 4,50.
Rehm, Prof. Herm., Das politische Wesen der deutschen Monarchie. (Aus:
Festgabe f. Otto Mayer. Zum 70. Geburtstage dargebracht von Freunden, Verehrern
und Schülern, 29. III. 1916.) Tübingen, J. C. B. Mohr, 1916. gr. 8. S. 59—90.
M. 1.—.
Reichs-Gesetzbuch, Deutsches, für Industrie, Handel und Gewerbe, ein-
schließlich Handwerk und Landwirtschaft. Vollständige Sammlung aller einschlägigen
Reichsgesetze, Verordnungen, Ausführungsbestimmungen etc. mit Erläuterungen, For-
mularbuch und Sachregister. Bearbeitet und hrsg. von der Redaktion des Reichs-Gesetz-
buches für Industrie, Handel und Gewerbe: (Rechtsanw.) Lipke, (Landger.-Sekr.) C. Peter-
mann, unter Mitarbeit von (Amtsricht. a. D.) Klentzau, (Geh. Justizr.) Grünewald, (Ob.-Zoll-
insp.) Schumpelick u. a. Mit einem einleitenden Wort von Prof. Dr. Conrad Bornhak.
2 Bde. 46. Aufl. In 3 Teilen und 1 Sachreg.-Bd. Berlin, Verlag Deutsches Reichs-
Gesetzbuch für Industrie, Handel und Gewerbe (Otto Drewitz), 1916. gr. 8. XXIX,
XI, 2673, 963 SS., Formulare IV, II, VIII, 171 u. 278 SS. u. Sachreg. 369 u. 29 SS.
M. 30.—.
Schreibmüller (Gymn.-Prof., Herm., Bayern und die Pfalz 1816—1916.
Kaiserslautern, Hermann Kayser, 1916. 8. 64 SS. M. 1.—.
Smend, Prof. Rud., Ungeschriebenes Verfassungsrecht im monarchischen Bundes-
staat. (Aus: Festgabe für Otto Mayer. Zum 70. Geburtstage dargebracht von Freunden,
Verehrern und Schülern 29. III. 1916.) Tübingen, J. C. B. Mohr, 1916. gr. >.
S. 245—270. M. 1.—.
Thoma, Prof. Rich., Der Vorbehalt des Gesetzes im preußischen Verfassungs-
recht. (Aus: Festgabe für Otto Mayer. Zum 70. Geburtstage dargebracht von Freunden,
Verehrern und Schülern. 29. III. 1916). Tübingen, J. C. B. Mohr, 1916. gr. >.
S. 165—221. M. 1,50.
Witt (Ing.), Gustav Adolf, Die Notwendigkeit der Vertrautmachung der Be-
völkerung mit dem gewerblichen Rechtsschutz. Ein Beitrag zur Erörterung technischer
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 851
und wirtschaftlicher Staatsnotwendigkeiten. Vortrag, gehalten in der Vollversammlung
des österreichischen Ingenieur- und Architektenvereins am 22. I. 1916. Berlin, Verlag
für Fachliteratur, 1916. gr. 8. 32 SS. M. 1,80.
Joseph-Barth&lemy (prof.), Les institutions politiques de l’Allemagne con-
temporaine. Paris, Felix Alcan, 1915. 16. 275 pag. fr. 3,50.
Duckworth, Lawrence, The principles of marine law. 3rd ed. revised,
rearranged and enlarged. London, J. Pitman. 8. 402 pp. 7/.6.
Capello, Felice M., Le relazioni fra la chiesa e la stato nell’ora presente.
Vicenza, Società tipogr. 8. 1. 1,50.
Cogliolo, Pietro, La legislazione di guerra nel diretto civile e commerciale.
Con una parte speciale sopra la colpa, i danni, la forza maggiore. Torino, Unione tip.
ed. Torinese. 8. 1. 7.—.
Hoendervanger, W. J., Opstellen uit de grondwet. Arnhem, G. W. van der Wiel
en Co. gr. &. 380 blz. fl. 4,25.
12. Statistik.
Deutsches Reich.
Statistisches Jahrbuch der Stadt Cöln für 1914. Im
Auftrage des Herrn Oberbürgermeisters herausgegeben vom Statistischen
Amte der Stadt Cöln 1915. 127 SS. (M. 0,75.)
Das Statistische Jahrbuch der Stadt Cöln erscheint für 1914 in
seinem vierten Jahrgange und gibt wie seine Vorgänger ein vielseitiges
Bild von der überaus günstigen und schnellen Entwicklung der rhei-
nischen Hauptstadt. 1871: 129000 Einwohner, 1910 517000; 1893:
ein Haushaltsplan von 38 000 000 M., 1914: ein solcher von 475 000 000 M.
Diese Zahlen reden für sich und lassen einen Blick in das reiche
Material des statistischen Jahrbuches jedem, der sich für Kommunal-
wirtschaft und Kommunalpolitik interessiert, wertvoll erscheinen.
Jena. Johannes Müller-Halle.
Schuchart (Dipl.-Ing.), Dr. Th., Der Außenhandel der Vereinigten Staaten von
Amerika. Eine statistische Studie. (Meereskunde. Sammlung volkstümlicher Vorträge
zum Verständnis der nationalen Bedeutung vom Meer- und Seewesen. Heft 107, 9. Jahrg.
Heft 11.) Berlin, E. S. Mittler u. Sohn, 1915.. 8. 34 SS. mit 8 Abbild. M. 0,50.
Statistik des Deutschen Reiches. Bearbeitet im Kaiserl. Statistischen Amte.
Bewegung der Bevölkerung im Jahre 1912. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1916.
Oesterreich.
Statistik des österreichischen Post- und Telegraphenwesens im Jahre 1914,
Zusammengestellt im k. k. Handelsministerium. Wien, k. k. Hof- u. Staatsdruckerei,
1916. Lex.-8. XXV—89 SS. M. 1,50.
England.
Stamp, J.C., British incomes and property. The application of official statistics
to economic problems. London, King. 8. 12/.6.
13. Verschiedenes.
v. Caemmerer, Charlotte, Der Berufskampf der Kranken-
pflegerin in Krieg und Frieden. München u. Leipzig (Duncker &
Humblot) 1915. (2,80 M.)
In den letzten Jahren ist die soziale Lage der Krankenpflegerinnen
häufig einer scharfen Kritik unterzogen worden. Der Gedanke der
freiwilligen Liebestätigkeit, der von der Krankenpflege unzertrennbar
schien, hatte zu einer beispiellosen Aufopferung und Ausnutzung mensch-
54*
852 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
licher Kraft und Leistungsfähigkeit geführt. In diese Anschauungs-
weise von der Krankenpflege brachte einen entscheidenden Umschwunz
die 1903 von Agnes Karll in Berlin mit 30 Schwestern gegründete
Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands, die stets in
den darauffolgenden Jahren eifrig bemüht gewesen ist, die Berufs-
interessen ihrer Mitglieder zu wahren und zu fördern. Daß mit der
Gründung dieser Berufsorganisation einem Bedürfnis entsprochen wurde.
zeigte am deutlichsten die von Jahr zu Jahr wachsende Mitgliederzahl,
so daß die Schwesternzahl des Fachverbandes vor Kriegsausbruch auf
3377 gegenüber 232 im Jahre der Gründung angewachsen war. Durch
den Krieg ist die Existenz der Berufskrankenpflegerin sehr gefährdet
worden, da das Rote Kreuz die unentgeltliche Einstellung dieser ge-
schulten Kräfte ablehnte und sich Helferinnen mit sechsmonatlicher
Lazarettausbildung heranzog. Da 600 durch die Verhältnisse arbeitslos
gewordene Berufskrankenpflegerinnen auf diese Weise im Deutschen
Reich keine Verwendung finden konnten, gingen sie nach Oesterreich,
wo sie mit offenen Armen empfangen wurden. So ist der Kampf
zwischen freiwilliger Liebestätigkeit und Berufskrankenpflegerin herre
schroffer denn je, aber um so verdienstvoller ist auch ein Buch wie das
vorliegende, das nach Friedensschluß mit dem Althergebrachten als
zweifellos veraltet aufgeräumt wissen will und auf Grund des im
letzten Jahrzehnt gesammelten Materials und des auch auf unsere
Verhältnisse sehr wohl anwendbaren amerikanischen Vorbildes bestimmte
Forderungen aufstellt. Eingehende Behandlung findet die Fachaus-
bildung der Krankenpflegerinnen, die Arbeitszeit, die Einkommens-
verhältnisse, die Rechtslage, das Geschlechtsproblem in der Kranken-
pflege, die Krankenpflegerinnentracht und die Organisationsfrage.
Dabei ist zu beachten, daß nicht nur Kritik am Bestehenden geübt,
sondern auch zugleich gangbare Wege für eine Umgestaltung der
Krankenpflege gewiesen werden, wodurch das Buch besonders wertvoll
gestaltet worden ist.
Stuttgart. Margarethe v. Gottberg.
Bismarck, Deutschlands Eiserner Kanzler. Ein Gedenkbuch unter Mitarbeit
von G. Egelhaaf, Edwin Evers, J. Häußner, Karl Mayr, Dietr. Schäfer, in großer Zeit
dem deutschen Volke zum 100. Geburtstage seines großen Kanzlers dargeboten vom
Kaiser Wilhelm-Dank, Verein der Soldatenfreunde. 16 Kunstbeilagen. Berlin, Kamerxd-
schaft, Wohlfahrtsgesellschaft, 1915. 8. IV—283 SS. M. 3.—.
Boehm, Max Hildebert, Der Sinn der humanistischen Bildung. Berlin,
Georg Reimer, 1916. gr. 8. IX—72 SS. M. 1,50.
Jaeger, Prof. Dr. Th., Persien und die persische Frage. Mit einer (farbizen'
politischen Uebersichtskarte von Persien. (Deutsche Orientbücherei. Hrsg. von Ernst
Jäckh. No. 14.) Weimar, Gustav Kiepenheuer, 1916. 8. 180 SS. M. 2.—.
Lorenz, Dr. Karl, Die Ausgestaltung der europäischen Kultur und deren Ver-
breitung über den Erdball. (Die Neuzeit, vom westfälischen Frieden bis zur Gegenwart.
Mit Bildern. (Lehrbuch der Geschichte für Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten.
Mit Unterstützung aus Seminarlehrerkreisen bearbeitet. 3. Bd. 3. Hauptteil.) München,
R. Oldenbourg, 1916. gr. 8. IV, 354 u. XV SS. M. 4,30.
Pflugk-Harttung (Prof. a. D., Geh. Arch.-R.), Dr. J. v., Die Mittelmächte
und der Vierverband. Militärische, politische und wirtschaftliche Betrachtungen. Berlin,
R. Eisenschmidt, 1916. gr. 8. VIII—223 SS. M. 3.—.
Redlich, Alexander, Das europäische Problem. Stuttgart, Deutsche Verlags-
anstalt, 1916. gr. 8. 51 SS. M. 0,60,
Die periodische Presse des Auslandes. 853
Redlich (Hofr.), Prof. Dr. Oswald, Oesterreich-Ungarns Bestimmung. (Flug-
schriften für Oesterreich-Ungarns Erwachen. Hrsg.: Rob. Strache. Heft 12.) Warns-
dorf, Ed. Straches Verlag, 1916. gr. 8. 29 SS. M. 0,80.
Schmid, Prof. Ferd. Jacob, Das Problem der nationalen Einheitsschule.
(Vorträge und Aufsätze aus der Comenius-Gesellschaft. 25. Jahrg. 1. Stück.) Jena,
Eugen Diederichs, 1916. gr. 8. 25 SS. M. 0,80.
Schmitz, Oscar A. H., Englands politisches Vermächtnis an Deutschland (durch
Benjamin Disraeli, Lord Beaconsfield). (Die Kunst der Politik. 3. Aufl.) München
Georg Müller, 1916. 8. 455 Ss. M. 5.—. p
Schneider, Prof. Carl Camillo, Mitteleuropa als Kulturbegriff. Wien, Orion.
Verlag, 1916. gr. 8. 76 SS. M. 1,50.
Schubert, Dr. Emmerich, Deutschlands Brücke zum Orient (Oesterreich-
Ungarn, Balkanstaaten und Türkei). (Zeitspiegel. Sammlung zwangloser Abhandlungen
zum Verständnis der Gegenwart. Hrsg. von Herm. Mühlbrecht. Heft 6.) Berlin, Putt-
kammer u. Mühlbrecht, 1915. 8. 85 SS. M. 1,50.
Segel, Benjamin, Die polnische Judenfrage. Berlin, Georg Stilke, 1916.
gr. 8. 160 SS. M. 1,50.
Wengraf, Paul, Kultur, Kunst und der Krieg. Wien, Carl Konegen, 1916.
Lex.-8. 8. 71 SS. M. 1,70.
Die periodische Presse des Auslandes.
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de la guerre, par Yves Guyot. — La guerre et les chemins de fer allemands, par
Arthur Raffalovich. — L’application de l'impôt sur le revenu (Quelques difficultés),
par Dr. Félix Fredault. — Le budget italien, par Lorenzo Pisani. — La situation
économique et financière du Japon, ‘par Georges de Nouvion. — ete.
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by W. B. Briscomb. — ete.
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its antidote, by R. W. Seton-Watson. — The distribution of the burden of war charges,
by Prof. A. C. Pigou. — Thirty years of German rule in East Africa, by Alfred
Wigglesworth. — Science and the navy, by John B. C. Kershaw. — The causation of
the European war and the break-down of the old statecraft, by H. S. Perris. — etc.
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posed neutrality of Belgium, by En Vedette. — Land settlement after the war, by
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Deutschland, Schweiz, Italien, Türkei), — Inanspruchnahme der Darlehnskassen in
Deutschland seit Beginn des Krieges. — Internationaler Seidenmarkt. — Die Textil-
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stehenden Gebiete Serbiens. — Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen (Oesterreich,
Ungarn, Bosnien und Herzegowina, Deutschland, Großbritannien und Irland, Schweiz,
Niederlande, Türkei). — Der Steinkohlenbergbau Russisch-Polens. — ete. — No. 16:
Die dritte Teilnovelle zum Bürgerlichen Gesetzbuch in ihrer Bedeutung für den Handels-
verkehr, von (Univ.-Prof.) Dr. Rudolf Pollak. — Kriegsmaßnahmen und Kriegs-
wirkungen (Oesterreich, Deutschland, Großbritannien und Irland, Schweiz, Niederlande,
Dänemark, Schweden, Norwegen, Rumänien. — Außenhandel und Wirtschaftslage
Argentiniens. — Die Roheisenproduktion Englands. — ete. — No. 17: Industrielle
Konkurrenzbestrebungen in England. — Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen (Öester-
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den Warenaustausch zwischen Rumänien und Deutschland. — etc.
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March 1916, No. 113: The nature and significance of the changes in the birth and
death rates in recent years, by Walter F. Willcox. — Statisties of imports and exports,
by France R. Rutter. — The mortality of our public men, by Irving Fisher. — The
agricultural element in the population, by Eugene Merritt. — The mother and infant
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(Ministerialrat) Prof. Dr. Friedrich Zahn. — Der Krieg als Rechtshandlung des Staates.
von Dr. Adolf Merkl. — Konventionen und Krieg, von Johann Kempkens. — Die
Quantitätstheorie des Geldes, von Dr. Th. Christen. — Die Bewegung der Bevölkerung
in Belgien und in den Niederlanden, von R. Manschke. — Die Gewerkschaften Deutsch-
lands im ersten Kriegsjahr, vo H. Fehlinger. — etc.
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schaftsstufen und Wirtschaftsentwicklung, von Johannes Plenge. — Volksernährungs-
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des Weltkrieges, von (Ministerialrat) Prof. Dr. Walter Schiff. — Realkredit und Sozial-
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projekte in Alaska im Rahmen alaskanischer Wirtschaftsentwicklung und amerikanischer
Eisenbahnpolitik, von Dr. Edgar Salin. — Erweiterung und Vervollständigung des
preußischen Staatseisenbahnnetzes im Jahre 1916. — Deutschlands Getreideernte im
Jahre 1913 und die Eisenbahnen. — Die vereinigten preußischen und hessischen Staats-
eisenbahnen im Rechnungsjahre 1914. — Die Eisenbahnen Ungarns im Jahre 1913,
von (Eisenbahnoberinsp.) Rudolf Nagel. — ete.
Die periodische Presse Deutschlands. 855
Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie. Bd. 9, April 1916, Heft 3:
Das Entwicklungsgesetz der fortschreitenden Vergeistigung des Rechts (Schluß), von
(Reichsgerichtsrat) Dr. Neukamp. — Die Systematik der Vermögensdelikte (II), von
(ord. Prof.) Dr. August Hegler. — Produktivität der Volkswirtschaft und volkswirt-
schaftliche Produktivität (Schluß), von Prof. Heinrich Pesch, — Kriegswaisenfürsorge,
von (Oberlandesgerichtsrat) Franz Jannisch. — Zur Reform des Zivilprozesses, von
(Reichsgerichtsrat) Dr. Neukamp. — etc.
Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Bd. 41, 1916, Heft 3: Die
Wirtschaftsethik der Weltreligionen (III): Hinduismus und Buddhismus, von Max Weber.
— Hinauf mit den Bankraten! von Prof. Knut Wicksell. — Vom neuen Wirtschafts-
geist, von Dr. Eduard Heimann. — Bemerkungen zur Abhandlung „Der neue Wirt-
schaftsgeist‘‘, von Dr. Emil Lederer. — Kriegsgewinnsteuer und Aktiengesellschaften,
von Dr. Leo Blum. — Menschenökonomie! Zur Frage der Berufsberatung, von Prof.
Paul Oestreich. — Ueber Ricardos „Principles“. Die Ergebnisse eines Ricardoseminars.
Mitgeteilt von Dr. Emil Lederer. — Beamtenorganisationen und Fragen im Kriege. — etc.
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schaftslehre. Bd. 7, April 1916, Heft 2: Krieg und Weltwirtschaft, von Prof. Dr. Bern-
hard Harms. — Die Grundlagen des Eisenbahntarifwesens, von Dr. W. H. Edwards. —
Die Bedeutung Saint Malos für die Entwicklung Frankreichs zur Kolonial- und See-
macht im 16.—19. Jahrhundert, von Dr. Eberhard Frhr. v. Danckelman. — Sozialer
Internationalismus, von Dr. Waldemar Zimmermann. — Die zukünftige Stellun; der
Türkei in der Weltwirtschaft, von Gustav Herlt. — America and the European war,
von France L. McVey. — Die ausländischen Wanderarbeiter in der deutschen Land-
wirtschaft, von Prof. Dr. Wyzgodzinski. — etc.
Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahrg. 16,
1916, No. 4: Der Handelskrieg nach dem Kriege. — Vereinheitlichung der Handels-
und Kreditgesetzgebung der Mittelmächte. — etc.
Bank, Die. April 1916, Heft 4: Die Berliner Großbanken im Kriegsjahr 1916,
von Alfred Lansburgh. — Steuerliche Friedensziele, von Ludwig Eschwege. — Spar-
zwang. — Lotterieanleihen. — Um die Schätzungsämter. — Die wohltätige Marktlage.
— etc.
Bank-Archiv. Jahrg. 15, 1916, No. 14: Das Ergebnis der vierten Kriegs-
anleihe (nebst einer Uebersicht über die Bedingungen und Ergebnisse der Zeich-
nungen auf die vier Kriegsanleihen), von (Geh. Justizrat) Prof. Dr. Riesser. — Zu-
sammenhänge der Besteuerung, von (Senatspräs., Wirkl. Oberverwaltungsgerichtsrat)
Dr. jur. G. Strutz. — Die Einschränkungen des Stadtkredits auf dem Kapitalmarkte
(Schluß), von (Beigeordn.) Dr. Matthias. — ete. — No. 15: Das Reichsschuldbuch, von
Dr. jur. et phil. Hans Lessing. — Zusammenhänge der Besteuerung (Schluß), von
(Senatspräs., Oberverwaltungsgerichtsrat) Dr. jur. G. Strutz. — Valutasorgen, von Dr. Otto
Heyn. — ete.
Blätter für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre. Jahrg. 11,
Februar/März 1916, No. 8/9: Die internationale Rechtslage des Großherzogtums Luxem-
burg vor und in dem Weltkrieg, von (Rechtsanw.) Dr. Bernard Clasen. — Afrikanisches
Bodenrecht, von H. Berkusky. — Die finanzielle Kriegführung Oesterreich-Ungarns.
Vortrag von (Reichstags-Abg., Direktor des Reichsverbandes ungarischer Finanz-
institute) Dr. Elemer Hantos. — etc.
Blätter, Kommunalpolitische. Jahrg. 7, 1916, No. 4: Unser Kommunal-
programm: Zur grundsätzlichen Stellungnahme der Gemeindevertreter der Zentrums-
partei in der Schulfrage. Einheitsschule oder Konfessionsschule?, von (Reichstags- u.
Landtags-Abg.) Marx. — Die Gemeinschaftsarbeit der Kommunalverwaltungen und Ver-
eine in der Fürsorge, unter besonderer Berücksichtigung der Kriegshinterbliebenenfür-
sorge, von Dr. C. Noppel. — Die Kriegswohlfahrtspflege einer Mittelstadt, von (Stadt-
verordn.) Stöck. — Eine neue Grundlage für die Bemessung von Arbeitslosenunter-
stützung, von (Stadtverordn.) Dr. Fischer. — etc.
Concordia. Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Jahrg. 23, 1916,
No. 8: Fürsorge für die aus dem Felde heimkehrenden Gewerbetreibenden, von Dr. Josef
Wilden. — Die Notwendigkeit gründlicher Ausbildung der Aerzte in der sozialen
Hygiene und Wohlfahrtspflege, von Prof. Dr. med. et phil. J. Rambousek. — etc. -—
No. 9: Kriegsschundliteratur. — Ueber Lohnzahlung an Minderjährige. — etc.
Export. Jahrg. 38, 1916, No. 18—21: Die amerikanische Note, von Dr. R. Jan-
nasch. — Die deutschen Großbanken im Jahre 1915, von Dr. R. Jannasch. — Zur Weltwirt-
856 Die periodische Presse Deutschlands.
schaft hinauf (Forts.), von Dr. R. Jannasch. — Zur Lage in Portugal. — Zur Ge-
schäftslage in Palästina. — Präsidentenpolitik, Senat und Volk in Amerika, von Dr.
Frhr. v. Mackay. — etc.
Finanz-Archiv. Jahrg. 33, 1916, Bd. 1: Die Besteuerung der Kriegsgewinne,
von (Reg.-R.) Ludwig Buck. — Die Ausgaben der deutschen Einzelstaaten für das
Staatsoberhaupt, von (Priv.-Doz.) Dr. Johannes Pfitzner. — Die dänische Steuergesetz-
gebung in 1915 und die Besteuerung der Kriegsgewinne in Norwegen und Schweden,
von Helge Smith. — Der gemeindliche Malz- und Bieraufschlag in Bayern, von
Dr. Arthur Cohen. — Entwicklung und jetziger Stand der sächsischen Gemeindefinanz-
statistik, von (Reg.-Assess.) Dr. Kurt Bormann. — Die finanzwirtschaftliche Bebandlung
der städtischen Werke, von Carl Gerling. — Ueber den Zusammenhang zwischen Zahlungs-
bilanz und Wechselkurs unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Kriegsverhältnisse,
von Dr. Edgar Meyer. — Die fremden Mittel bei Banken und Sparkassen, von Dr. Walter
Hoffmann. — Die Finanzen der europäischen und der wichtigeren außereuropäischen
Staaten, von (Wirkl. Geh. Ob.-Finanzr.) Dr. O. Schwarz. — Württembergisches Ver-
mögenssteuergesetz vom 31. Juli 1915. — Württembergisches Gesetz betr. die Zuwachs-
steuer vom 31. Juli 1915. — etc.
Gegenwart, Die. Jahrg. 45, 1916, No. 17: Asquith an Bethmann und Haase,
von Spectator. — Finanzsorgen unserer Gegner, von Georg Horwitz. — ete. — No. 13:
Damno!, von Johannes Gaulke. — Die deutsche Stickstoffindustrie, von Dr. Heinrich
Wiesenthal. — etc. — No. 19: Keine Sentimentalität!, von Spectator. — Fleisch!, von
Erich Threve. — Treuhandunternehmen, von (Rechtsanw.) Dr. Fritz Koppe. — Die
Abstinenzbewegung, von Johannes Gaulke. — ete. — No. 20: Amerika — ein absolutistisch
regierter Staat!, von Spectator. — Die Abstinenzbewegung (Schluß), von Johannes
Gaulke. — Englands Kampf gegen den Luxus, von G. Horwitz. — etc.
Jahrbücher, Preußische. Bd. 164, Mai 1916, Heft 2: Die Weltstellung Eng-
lands und die Haltung der englischen Arbeiterklasse, von (M. d. R.) Dr. Paul Lensch.
— Arbeiter, Angestellte und die wirtschaftlichen Friedensziele, von (Priv.-Doz.) Prof.
Dr. A. Günther. — Die römische Frage, von (Priv.-Doz.) Liz. H. Mulert. — Eine
Richtigstellung; Die Zukunft Englands; Der Konflikt mit Amerika; Der Krieg im April,
von Delbrück. — etc.
Kartell-Rundschau. Jahrg. 14, 1916, Heft 1/2: Das Kartelljahr 1915 (II), von
Dr. Tschierschky. — Kündigung internationaler Kartelle wegen englischer Mitglieder,
von (Justizrat) Dr. Fuld. — Die Kartelle in der Kriegszeit, von William Notz. — ete.
Kultur, Soziale. Jahrg. 36, Mai 1916, Heft 5: Ein mitteleuropäischer „Zirvil-
rechtsverband“, von Otto Eschle. — Die Heimarbeit als Kriegswitwenberuf, von Ger-
trud Buetz. — Wachstum und Verteilung des Reichtums in den Vereinigten Staaten,
von Dr. Ernst Schultze. — Wirtschaft und Technik, von (Hofr.) Prof. Dr. E. Schwied-
land. —
Monatshefte, Sozialistische. Jahrg. 22, 1916, Bd. 1, Heft 8: Handelspolitische
Kriegspläne in England, von Max Schippel. — Die Sozialdemokratie nach dem Krieg,
von Dr. Ludwig Quessel. — Der Parteistreit und die Gewerkschaften, von Hermann
Mattutat. — Volksgemeinschaft und Volkswirtschaft, von Emil Kloth. — ete. — Heft 9:
Die Reform des Vereinsrechts, von Dr. Hugo Heinemann. — Rußlands Drang zum
Meer, von Hermann Kranold. — Das Ende eines kolonialen Arbeitssystems, von Mar
Schippel. — Zum Kapitel der wertlosen Kolonien, von Dr. Ludwig Quessel. — Ein
Beitrag zur Kritik der Hinterbliebenenversicherung, von Rudolf Wissell. — etc.
Monatsschrift, Politisch-Anthropologische. Jahrg. 15, Mai 1916, No. 2: Hel-
dische und händlerische Staatskunst, vom Herausgeber. — Entsprechen Kriegsgewinne
dem Geiste der allgemeinen deutschen Wehrpflicht? Eine zeitgemäße Betrachtung, von
Prof. Dr. Rudolf Franke. — Nationalitätsprinzip oder völkische Lebenskraft?, von Prot.
Dr. H. G. Holle. — Kritik der Rassenhygiene (Forts.), von Hermann W. Siemens,
— etc.
Oekonomist, Der Deutsche. Jahrg. 34, 1916, No. 1739: Geringe Wendungen
in der Kriegslage. — ete. — No. 1740: Krieg, Völkerrecht, Diplomatie und Wirtschaft.
— Die erste Kriegsanleihe Oesterreich-Ungarns. — Zur Frage der Pfandbriefämter für
Hausgrundstücke. — ete. — No. 1741: Deutschland und Amerika; Japan; Zunahme
des Trustwesens in Aussicht. — Quittungssteuer oder Warenumsatzsteuer? — etc. —
No. 1742: Krieg, Politik und Wirtschaft. — Ein deutscher Farbentrust. — ei. —
No. 1743: Krieg, Politik, Wirtschaft. — Die Darlehnskassen des Reiches im Jahre
1915. — etc.
Die periodische Presse Deutschlands. 857
Plutus, Jahrg. 13, 1916, Heft 17/18: Schätzämter, von (Direktor der Boden-
gesellsch.) Alfred Hahn. — Getreidemangel in Frankreich, von Myson. — etc. —
Heft 19/20: Der Bund der Retorten. — Aniwerpen als billigster Hafen, von (Geh.
Reg.-R., ord. Prof.) Dr. Hermann Schumacher. — Der Abschluß des Crédit Lyonnais,
von Fritz Zutrauen. — etc.
Recht und Wirtschaft. Jahrg. 5, Mai 1916, No. 5: Soll nur der Sparer und
nicht auch der Verbraucher Kriegssteuer zahlen?, von (Reichsgerichtsrat) Dr. Eber-
mayer. — Das Streben nach Rechtsgemeinschaft, von (Univ.-Prof.) Dr. Karl Adler. — Die
‚Außerordentlichen Kriegsgerichte“, von (Justizrat) Dr. Mamroth. — Zum bargeldlosen
Zahlungsverkehr, von (Bankdirektor) Philipp Helbing. — Die Reform der großstädtischen
Zwangsverwaltung, von (Rechtsanw., Privatdoz.) Dr. Arthur Nußbaum. — Neue Be-
strebungen zur Sicherung des Rechts, von (Staatsanw.) A. Zeller. — etc.
Revue, Deutsche. Jahrg. 41, Mai 1916: Der Krieg einst und jetzt, von (Gene-
ral der Inf.) v. Woinovich (Wien). — Bismarck und die römische Frage, von (Archiv-
rat) Dr. J. Lulvès. — Das bewaffnete Handelsschiff im neueren Völkerrecht, von Con-
rad Bornhak. — Die Türkei und Mitteleuropas wirtschaftliche Schützengräben?, von
(Geh. Reg.-R., vorm. Generaldir. der Anatol. Eisenbahn) Dr. Kurt Zander. — Die Er-
nährung der deutschen Jugend, besonders der Schulkinder, im Kriege, von (Univ.-Prof.)
Dr. Grober. — Genosse Liebknecht und deutsche Freiheit, von Prof. Dr. K. D. Sphyris
(Athen). — Der Postkrieg, von H. Wittmaack. — Der Krieg und das deutsche Geistes-
leben, von Prof. Dr. Theobald Ziegler. — etc.
Revue, Soziale. Jahrg. 16, 1916, Heft 3: Frauendienstpflicht, Frauendienstjahr,
von Maria Müller. — Volkswirtschaft und Kriegsausschüsse für Konsumenteninteressen,
von (Ing.) Rausch. — Katholische Arbeiterschaft und Jugend, von C. Walterbach. — etc.
Rundschau, Deutsche. Jahrg. 43, Mai 1916: Zum indischen Problem, von
B. L. Frhr. von Mackay. — etc.
Rundschau, Koloniale. Zeitschrift für Weltwirtschaft und Kolonialpolitik.
Jahrg. 1916, Februar/März, Heft 2/3: Wirtschaft und Recht in der englischen Kriegs-
justiz, von Prof. Dr. Albrecht Mendelsohn-Bartholdy. — Englands Kampf gegen den
deutschen Handel, von Prof. Dr. H. Großmann. — Die deutsche evangelische Mission
im Weltkrieg, von Prof. D. Julius Richter. — Ein Sozialdemokrat über Kolonialpolitik.
— Oesterreich-Ungarn und Kolonien. — etc.
Rundschau, Masius’, Blätter für Versicherungswissenschaft. Jahrg. 28, 1916,
Heft 4: Die Notwendigkeit einer Hochwasserversicherung, von Alfred Manes. — Bei-
träge zum Haftpflichtversicherungsrecht. — Die Geschäftsergebnisse der deutschen Aktien-
gesellschaften im Versicherungsgewerbe. — Die dänische Lebensversicherung im Jahre
1914. — etc.
Sozial-Technik. Jahrg. 15, 1916, Heft 8: Verhandlungen der 21. ordentlichen
Hauptversammlung des Vereins Deutscher Revisions-Ingenieure am 20. Nov. 1915
(Forts.): Fürsorge für Kriegsbeschädigte in Lazaretten, in Lehr- bzw. Uebungswerk-
stätten und bei der Berufsberatung. Einleitende Besprechung von (Geh. Reg.-R.) Prof.
Max Gary. — Ueber die Beschäftigung kriegsverletzter Arbeiter in gewerblichen Be-
trieben, von Dr. A. Bender. — ete. — Heft 9: Die Salpeterindustrie Chiles in wirt-
schaftlicher Bedeutung, von Dr. Hartwig. — etc.
Verwaltung und Statistik (Monatsschrift für deutsche Beamte). Jahrg. 6, 1916,
Heft 5: Städtische Volksküchen, von Franz Xaver Ragl. — Billige Stromtarife und
Hausinstallationen, von Wilhelm Beck. — Bevölkerungsbewegung in Preußen. — etc.
Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Bd. 13, 1916,
Heft 4: Landanlage und Kirchengut im 16. Jahrhundert, von Alfred H. Löbl. — Ge-
waltentrennung, Gewaltenteilung und gemischte Staatsform, von W. Hasbach. — ete.
Weltwirtschaft. Zeitschrift für Weltwirtschaft und Weltverkehr. Jahrg. 6,
April-Mai 1916, No. 1/2: Eisenbahnbauten in Albanien, von Dr. Albrecht Wirth. —
Kolonialwirtschaft und Weltwirtschaft, von Dr. Paul Leutwein. — Eisenvorrat und Eisen-
produktion der Welt, von Dr. Heinrich Pudor. — Der Turan im wirtschaftlichen Welt-
bild der Zukunft, von Dr. L. Frhr. v. Mackay. — Die Aussichten des amerikanischen
Strebens nach der Handelsvormacht-Stellung, von G. Buetz. — Der Vereinheitlichungs-
gedanke im deutsch-österreichischen Bahntarifsystem, von Eugen Löwinger. — etc.
Wirtschafts-Zeitung. Jakrg. 12, 1916, No. 8: Ein Zentralamt zur Förderung
des deutschen Außenhandels, von Prof. Dr. Max Apt. — Das Verhältnis der steuer-
lichen Belastung von Zigarren und Zigaretten nach der Regierungsvorlage, von (Synd.)
Georg Lisske. — Krieg und Wirtschaft, von E. Fitger. — Mitteilungen des Deutsch-
858 Die periodische Presse Deutschlands.
Amerikanischen Wirtschaftsverbandes: Amerikas Stellung zum Weltkriege (Schluß), von
John L. Stoddard. — etc. — No. 9: Ein Zentralamt zur Förderung des deutschen
Außenhandels (Forts), von Prof. Dr. Max Apt. — Die Verbesserung des Auskunfts-
wesens im Wege der Selbsthilfe (Schluß), von (Kgl. Rat) Max Guttmann. — Zur Frage
der Auslandshochschule. — Mitteilungen des Deutsch-Amerikanischen Wirtschaftsverban-
des: Wirtschaftliches aus den Vereinigten Staaten von Amerika. — Außenhandelsbezie-
hungen der Vereinigten Staaten 1913—1915. — ete.
Zeit, Die Neue. Jahrg. 34, Bd. 2, 1916, No. 3: Eine mahnende Erinnerung,
von K. Kautsky. — Vom Wirtschaftsmarkt. Geldmarkt und Bankgeschäft im Jahre
1915, von Heinrich Cunow. — etc. — No. 4: 1. Mai 1916, von Adolf Braun. —
Rekrutenschule oder proletarische Notwendigkeit, von Heinrich Schulz. — Grundsatz-
lose Steuerpolitik. Eine Erwiderung, von K. Kautsky. — Die soziale Unrast in Amerika
(Schluß), von J. Köttgen. — Zollpolitische Zukunftsmusik, von Anton Hofrichter. — ete.
— No. 5: Probleme der Kriegspolitik, von Gustav Eckstein. — Zur Industrialisierung
Ostasiens, von O. Jenssen. — Die Vereinigten Staaten und der europäische Krieg vor
hundert Jahren, von Erwin Gudde. — etc. — No. 6: Irland — eine Lehre, von Ed.
Bernstein. — Um die Zukunft der deutschen Arbeiterbewegung, von R. H. — Zur
Industrialisierung Ostasiens (Schluß), von O. Jenssen. — Die Angestelltenbewegung
während der Kriegszeit, von Fritz Oblhof. — ete.
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Bd. 37, 1916, Heft 5: Der
Szientismus, von Prof. Dr. Karl Holl. — Der Krieg und die Kriminalität der Jugend-
lichen, von (Geh. Justizr.) Prof. Dr. F. von Liszt. — Denkschrift über die Errichtung
kriminalistischer Institute. — etc.
Zeitschrift für die gesamte Versicherungs-Wissenschaft. Bd. 16, Mai 1916,
Heft 3: Die Bedeutung des Krieges und der deutschen Kriegsnotgesetze für die Privat-
versicherung, von (Rechtsanw.) Dr. jur. Ludwig Bendix. — Die Ausländer in der Sozial-
versicherung mit besonderer Berücksichtigung der Kriegszeit, von Prof. Dr. Stier-Somlo.
— Die deutsche Fürsorge für Kriegsbeschädigte (Gesetzliche Regelung), von Dr. jur.
Alexander Elster. — Rechtsstellung des Versicherers bei hypothekarischer Belastung
und Gefahrtragung bei Veräußerung der versicherten Sache, von (Rechtsanw.) Dr. jur.
Eugen Josef. — etc.
Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis. Jahrg. 9, April 1916,
Heft 1: Neues aus dem Gebiete der systematischen Buchhaltung, von Prof. Dr. Joh.
Friedrich Schär. — Namensaktien, von (Rechtsanw.) Dr. jur. A. Werneburg. — Artikel 6
des internationalen Uebereinkommens für den Güterverkehr und die österreichische
Kronenwährung, von Eugen Löwinger. — ete. — Beiblatt: Die Moratorien im Aus-
land. Krieg und Zahlungsstundung. Spezieller Teil, von (Red.) Otto Jöhlinger. —
Die Bedeutung des Rhein-Maas-Schelde-Kanalplans, von Dr. phil. Richard Hennig.
— etc.
Zeitschrift für Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik. Jahrg. 6, 1916,
No. 7/8: Das Kriegsunterstützungswesen (Referat), von (Magistratsrat) Liebrecht. —
Lebensmittel-Versorgung und Verbrauchsregelung in kleineren Gemeinden (Referat), von
(Bürgermstr.) Vollmer. — Die Sparkassen im Kriege (Referat), von (Geh. Ob.-Reg.-R.)
Dr. jur. Seidel. — ete. — No. 9/10: Der Geschäftsgang ohne Tagebuch im Kriege
(Referat), von (Stadt-Bureaudir.) Will. — Die Frage der Erhöhung der Reichssteuern nach
Friedensschluß, von (Oberbürgermstr. a. D.) Beseler. — Zentralisation und Dezentrali-
sation in den Gemeindeverwaltungen als Folge des Krieges, von (Oberstadtssekr.) Hert-
wig. — etc.
$ Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. 7, 1916, Heft 5: Die moderne Agrar-
krisis und das Gesetz des abnehmenden Bodenertrages. Einige kritische Bemerkungen,
von L. Pohle. — Der Baumwollbau in Turkestan (Schluß), von Dr. Ernst Schultze. —
Die Bedeutung der neuen Rechtsreformbewegung für das Wirtschaftsleben (Schluß), vou
Dr. jur. Alexander Elster. — Die „Verdrängung“ der Männerarbeit durch die Frauen-
arbeit, von Dr. Georg Zahn. — Die soziale Versicherung in Oesterreich-Ungarn, von
Dr. P. Martell. — Der Krieg und das englische Armenwesen, von Dr. Ernst Schultze.
— ete.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena — 4561
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101 067873305
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